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Blogtexte2021_1_12

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Ellenbogen erinnere ich glänzend, blank

gescheuert. Irgendwie schief hing dem

Mann eine Schulter. Der lief vom Gangbild

tatsächlich wie ein schlampiger Soldat,

aber mit einer Hand in der Hosentasche.

Solche gab es in den Achtzigern noch einige.

Das ist quasi lässige Zackigkeit; das kann

man einem jungen Menschen von heute

kaum begreiflich machen. K. wurde von uns

gesiezt. Versuche, ihn duzen zu dürfen, wie

das die „große“ Dagmar probierte (wir hatten

zwei), weil es bei Angelika (der Klassenlehrerin)

schließlich klappte, scheiterten.

Ingeborg (Mathe) schlug das „Du“ von sich

aus vor, ein Dammbruch. Beim Bockelmann,

der Bo-okelmann genannt werden wollte,

musste ein „Sie“ unbedingt sein. Da kam

man ja gar nicht auf die Idee, ihn deswegen

anzusprechen.

Die (echte) Freundin von K. war auch groß

gewachsen, überragte ihn deutlich. Die beiden

liefen Händchen haltend durch Wedel,

und es sah ein wenig drollig aus.

Ein überzeugter SPD-Wähler.

„Die anderen

kann man ja nicht

wählen.“

Im Studium ging

das weiter. Einmal

saßen meine Professoren

in einer

Bar mit uns Kommilitonen

rum, und

Tom Knoth fing an,

über das „Hamburger

Abendblatt“

zu spotten. „Die

haben ein „Wochenend-Journal!“,

meinte er und

half nach: „Wisst

ihr, was ,Journal‘

heißt?“ Aber er

fragte nicht in Richtung der Studenten. Und

sein Freund, mein Professor Otto Ruths,

nickte nur. „Erscheint täglich, wird täglich

geführt. Ein Journal ist dem Wort nach eine

tägliche Aufzeichnung“, meinte der Alte. „Ja“,

sagte Otto, und sie witzelten weiter über die

Springer-Presse und Kohl.

Was der alles falsch mache.

Otto ist inzwischen auch tot, wie so viele.

Und manchmal fehlt er ein wenig. Ich habe

mich so gefreut, als Gerd Schröder Kanzler

wurde! Da war Alsterpokal, und wir saßen

nach der Preisverteilung beim

HSC rum. Es gab Großbildviewing

in Ledersesseln. Auch das

Ende, die später sogenannte

„Elefantenrunde“ im Fernsehen

sah ich live. Das war nach dem

hauchdünn verlorenen Votum

und Abwahl mit dem Desolaten,

der meinte, weiter Kanzler

bleiben zu können und Angela

Merkel müsste unter ihm mitregieren.

Ich war fasziniert. Julien

(vom Dorfcafé) fand, Schröder

wäre betrunken gewesen und

nahm den Gestrauchelten in

Schutz. Schröder hatte Angela

Merkel nicht ernst genommen?

Zu dieser Zeit wohnte ich schon

nicht mehr in Bahrenfeld,

kann mich aber gut an junge

„Scholzplakate“ erinnern. Der sah so

sympathisch aus. Nach dem Auge

entschied ich auch, Christiane zu

wählen, unsere Bürgermeisterin. Die

Konkurrentin von der CDU war vergleichsweise

wenig attraktiv. Und

so etwas zuzugeben, als Schenefelder,

mag dumm sein. Ich habe

schon öfter zu viel geredet? Gerd

Manthei, unser rotes Urgestein hier,

erinnert mich gelegentlich daran:

„Man müsse nicht alles sagen!“ Eine

rückwärtsgemeinte Mahnung? Das

fand Kalle auch einmal (das ist der

Obelix hier, das Wildschwein vom

Dorf, aber der konspiriert mit den Römern),

und den mochte ich früher. Ein Fehler! Das

war bestimmt die viel größere Dummheit,

Menschen zu vertrauen, die dem Staat

(und Nachrichtendienst) nahe sind, familiär

und beruflich verbunden, als zu sagen, was

gesagt werden muss. Mir wird wohlmeinend

angedeutet, ich sprach aus, was „man“ nicht

sagt? Einige machten mich schon darauf

aufmerksam. Sie sagen aber nicht,

was genau es war, das ich so naiv

ausplapperte.

Auf Nachfrage biegen sie diese

Gespräche immer weg.

Ich verbrachte viel Zeit mit Christiane,

Umarmung und Kaffeetrinken,

lange E-mails schrieben wir

uns. Politik war immer wichtig.

Meine Fehler kenne ich nur zu

gut und lerne kreative Sachen

auf neue Weise zu tun, aber in der

Politik muss man Versagen

anders behandeln, als es für

uns Künstler notwendig ist.

Das ist das Gegensätzliche zur

Kunst. Es ist genau andersherum.

Ein Künstler entwickelt

sich menschlich weiter, lernt.

Ein Politiker definiert seine Vergangenheit

neu. Während wir Kreativen an uns

selbst arbeiten, ist die Tätigkeit des Parteimitgliedes

sinngemäße Neudeutung

zum Wohle der Genossen. Maler stellen

die Umgebung wie Theater dar. Politiker

sind Berufsschauspieler und rücken ihre

Maske besser zurecht. Wir lernen, Fassaden

wegzunehmen, Führungskräfte mauern sich

ein, reden volksnah vom Podest.

Der große Kollege in Hamburg macht es

vor. Ziele stecken und sie zu erreichen,

funktioniert je nach Berufung verschieden.

Ich male meine Ideen anders. Der

feige Abgang nach Berlin, die Unfähigkeit

Schwachpunkte menschlich zu kommentieren,

die Erkenntnis, dass der tatkräftige (und

heute selbstbewusste) Genosse Tschentscher

schon in Hamburg aktiv war, bevor er selbst

Bürgermeister wurde; Olaf Scholz wähle ich

nie wieder. Nach dem verkackten Gipfel war

und ist es aus mit meiner Sympathie.

# Dauerhaft.

Übermorgen ist Wahltag. Das wird das erste

Mal in meinem Leben sein, dass ich Nichtwähler

des Deutschen Bundestages bin.

Eine Entfremdung von der SPD hat schon

längst stattgefunden. Ich erkannte in Merkel

eine fähige Kanzlerin und wählte sie nach

der Flüchtlingskrise aus Überzeugung. Mir

gefiel gerade, dass diese Frau in der Lage

gewesen ist, ihre Richtung der Politik zu

ändern. Das Ende

mit Kabul und

ihr ständiges

Fortbleiben ist

erbärmlich. (Ich

habe in Schleswig-Holstein

Daniel Günther

gewählt, weil ich

es unmöglich

fand, den meiner

Auffassung nach

abgehobenen

und eingebildeten

Albig zu

unterstützen. Diese Wahl bereue ich nicht).

Sechzehn Jahre Merkel, ich war dabei. Ich

fand, Steinmeier und -brück, Martin Schulz

könne man nicht unterstützen. Keine Führungskräfte.

Politik?

Das Ende in Afghanistan ist beschämend.

Die in der Organisation des Rückzuges

eingebundenen Minister Kramp-Karrenbauer

und Heiko Maas bleiben?

Es macht nur fassungslos.

Was die Leute über Olaf Teflon sagen,

erfahre ich durch Christiane am eigenen

Leib: Kunst und Politik sind gegensätzlicher,

wie sie nicht sein können. Ich wähle nie

wieder eine Politik, egal welche Partei und

schon gar nicht die SPD. Die ganz bestimmt

nicht. Als Maler lernte ich zu malen. Eine

Bürgermeisterin versteht zu verwalten und

ihre Politik

als Handwerk,

alles

im für sie

nutzbringenden

Sinn

darzustellen.

Einfluss

nehmen, wo

der Glanz

des Amtes

suggestiv

wirkt, das

kann sie. Ein

empathisches Lächeln auf Knopfdruck reproduziert,

das manche Merker parieren lässt?

Sie hat es drauf: „Herzlichen Glückwunsch!

und noch einen schönen Tag“ (ein tolles

Leben).

Sep 24, 2021 - Gegensätze 108 [Seite 107 bis 109 ]

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