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Blogtexte2021_1_12

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# So tun als ob, überzeugt doch heute niemanden

mehr

Um eine Figur anatomisch korrekt, entsprechend

meiner Idee hinzubekommen, benötige

ich oft einzelne Gliedmaßen als Vorlage.

Ich probiere auch vorab im Entwurf, den

Gesichtsausdruck selbst zu manipulieren. Ich

nutze verschiedene Details, verwende Nasen,

Augen oder den Mund aus einem anderen

Foto, kopiere Menschen, die ich mir suche.

Das treibe ich, bis mir ein individuelles Bild

gelingt, das es so nicht gibt. Die Elemente

montiere ich in Photoshop. Je nachdem,

ob es wichtig ist, jemanden Bestimmtes

nachzumalen oder gerade nicht, weil ein Internetbild

mir nicht gehört, passe ich meine

Fotovorlage an.

# Persönlichkeitsrechte?

Heute wird der verhasste

Nachbar gern polizeilich

verfolgt und wegen Bagatellen

angezeigt, genauso

andere Autofahrer oder ein

Fremder, der andere beleidigte.

Auch in der Musik,

wenn einige Takte beim Hit

des anderen geklaut wurden,

muss sich ein unliebsamer

Konkurrent schon mal

vor Gericht verantworten.

Beim Illustrieren von Infografik,

wenn es nötig war,

nach anderswo abgebildeten

Vorlagen zu arbeiten wie

alle Zeichner es tun, sagten

wir unter Kollegen und in der Herstellung

im Verlag, der „Eigenanteil (unserer Arbeit)

muss hoch sein“, damit niemand dem Grafiker

ein Plagiat unterstellt. Erfolgreich unterstellen

könnte, würde ich heute ergänzend

sagen, und bei der Malerei werden keine

Fotos montiert. Mein Eigenanteil der Herstellung

auf der Leinwand ist vollumfänglich

und komplett selbstgemacht. Neid und missgünstige

Mitmenschen werden nicht erst

seit Mozart und Salieri thematisiert als ein

Problem in der Kunst. Auch im Alltag hat die

Verklagbarkeit ihre Blüten in die Wiedergabe

anderer gemalt. Die unscharf gemachten

Gesichter der Menschen bei Aufnahmen aus

einem Prozess sind nachvollziehbar, aber

dass jemand online mit Bild gesucht wird

und dasselbe vom Tag seiner Festnahme an

nur noch verpixelt gezeigt wird, ist typisch

für eine Gesellschaft, die sich immer selbst

belügt.

# Mein Bild!

Dann wird gemalt. Den selbst

Schaffenden befriedigt der

Aufwand, eine Eisenbahnszene

wie die aktuelle, korrekt mit

Güterwagen, Puffer, Kupplung und

dergleichen zu kreieren – richtig

zumindest im Sinne einer überzeugenden,

technischen Anmutung

– und dass die Betrachter

des Bildes dies für gewöhnlich

nicht mitbekommen. Da man es

heutzutage gewohnt ist, mal eben

zu knipsen, schaut der Mensch nur

noch auf das gemalte Thema und

ekelt sich womöglich, weil sich

nicht gehört, was ich male?

Die kreative Leistung geht

dabei unter, denn ich muss ja lang dran

schaffen.

# Selfexecuties

Peng! Das ist einer der Gründe, hier ein

überspringendes Blitzlicht in das Selfie

der Mädchen knallen zu lassen und eine

Art festgefrorenes Foto zu malen. Eine

kurze Ewigkeit lang dauert die Szene auf

meiner Bühne. Es hat seinen Reiz, absurde

Realität zu gestalten. Porno? Die auf

diese Weise nicht zu erzielende Anerkennung

entlarvt meinen inneren Wunsch,

sie zu bekommen und führt mir sofort ihre

nichts bedeutende Leere vor Augen. Mir

gefällt gerade, wie oberflächlich die Leute

sind. Nun verordne ich mir, dass, würde ich

ansprechende Sachen malen und ausstellen,

das Lob der Menschen unehrlich wäre?

Obwohl ich

dann reichlich

davon bekäme

(und Geld).

# Christo

packt’s noch …

Nach dem Tod

berühmter.

Kunst ist nur

selten welche,

darin besteht

ja gerade das,

was ich gar

nicht mehr

versuche, aber

so genial ist.

Die Masse

der Kollegen

ist doch wenig aufregend und manche

blenden nur. Wir könnten zeigen, was hinter

den Masken ist, der Fassade, das ist unsere

Aufgabe. Auch selbst Theater zu spielen und

erst recht die Maske aufsetzen, kann der

Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Einer

drehte den Spieß noch ein weiteres Mal

um. Die große Plane wird noch vor unsere

gehängt, die wir bislang gar nicht als solche

bemerkten. Der umgekehrte Einfall, geschichtsbeladenen

Prunk von Staatsfassaden

wegzupacken: Eine unglaubliche Kunstaktion

passiert ja gerade in Paris! Posthum werden

der Künstler und seine Liebste Jeanne

Claude damit beglückt, das Lebenswerk mit

dem verhüllten Arc de Triomphe abzurunden.

Ich habe irgendwann gelernt, Christo zu

mögen, ohne mich all zu sehr damit zu beschäftigen.

Ich freue mich sehr über seinen

späten Triumph. Wie viele Menschen konnte

und musste der Großartige (wortwörtlich)

davon überzeugen, diese Sachen täten not

gemacht zu werden?

Ich sehe es schließlich ein: Jede diesbezügliche

Einbildung, ich selbst sei von Natur

aus irgendwie bedeutsam, ist verpufft. Mein

intellektueller Horizont ist viel zu eng für

Großes. Ist doch egal. Man ist nicht besonders,

niemand ist besser; man muss sich

den entsprechenden Platz auf einem Sockel

hart erarbeiten. Mir fehlt aber auch alles,

um in der Gesellschaft voranzukommen.

Kein Geschick ist mir gegeben, den Zeitgeist

wirklich zu treffen. Es mangelt mir am Fleiß,

schnell und produktiv zu malen. Der Wille,

Beziehungen zu nutzen und die Bereitschaft

mich anzupassen, fehlt mir. Ich könnte nicht

einmal einen kleinen Laden oder handwerklichen

Betrieb mit Gewinn betreiben.

Insofern habe ich mich gern entschieden,

einzusehen, dass ich früher ein Eigenbrötler

war, was Kunst betrifft und die späteren Jahre

mit brotlosen Versuchen, meine Bilder in

einer Szene zu etablieren, nachvollziehbare

bis unausweichliche Fehlschläge gewesen

sind, bezüglich echter Anerkennung und entsprechender

Existenz. Das interessiert mich

nicht mehr. Mein Erfolg ist nur das jeweilige

Bild selbst, das mir gelingt. Farbe dort wo

ich es will. Geld zu bekommen für ein Bild,

bedeutet mir heute gar nichts. Die damit

verbundene Anerkennung erscheint mir

inzwischen eine zweifelhafte zu sein, für die

es sich nicht unbedingt lohnt, mehr zu tun.

Nun bleibt noch Spott, wenn es mich mal

bekümmert – aber viele sind einfach so doof

und ich finde, sie bescheißen sich die meiste

Zeit selbst. Es geht ja auch anders. Ich bin

zufrieden.

:)

Sep 19, 2021 - Unter- und oberflächlich 106 [Seite 104 bis 106 ]

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