Blogtexte2021_1_12
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Die OM-1 war noch rein manuell, ohne
Belichtungsautomatik gewesen, zu meiner
Zeit bereits ein Klassiker. Olympus eroberte
sich einen Markt dort, wo auf bestem
Niveau innovativ gedacht wurde. Viele
Profis nutzen diese Technik, und das war,
bevor das Zoomobjektiv zum Standard
wurde. Man rümpfte die Nase über nicht
vergleichbare Qualität und steckte lieber
um! Der Bajonettverschluss von Olympus
ist perfekt. Hat man einmal die Bewegung,
wie es vom Hersteller gelehrt wird, das alte
Objektiv zu greifen und gegen ein neues zu
tauschen erlernt, geht es schnell und sicher.
Meine einst neuartige, hochgelobte und
besonders raffinierte Kamera hat nun eine
Belichtungsautomatik, die wahlweise im
entsprechenden Modus, anstelle der manuell
definierten Kombination aus Blende und
Zeit, einen Scan maximal denkbarer Motive
vor der Aufnahme durchlaufen lässt. Das ist
ein blitzschnelles Rollo, bedruckt wie unsre
aktuell bekannten Quadrate aus schwarzweißen
Feldern, die nur das digitale Handy
lesen kann, ein QR-Code. Das war damals
das Beste an Automatik, was du kaufen
konntest – und kostete nicht einmal so viel.
Für die Mitnahme auf meiner Jolle, ein
kleines Boot, das schlimmstenfalls während
einer Reise auf der Ostsee auch kentern
könnte, baute ich mir eine wasserdichte
Box. Ich nahm eine große Majonäsedose,
so mit wulstigem Deckel in der Größe von
einem Schuhkarton, aber quadratisch. Die
war aus dem Großhandel für Lebensmittel,
wie meine Eltern sie im Geschäft hatten.
Vielleicht waren auch Gurken darin gewesen
oder eingelegte Heringe, so genau weiß ich
es nicht mehr. Dahinein kam die Kamera mit
den Objektiven, die durch eine Anordnung
von kleinen Sperrholzwänden ihren Platz
fanden. Heute gäbe es diese Dinge fertig
zu kaufen, damals möglicherweise genauso,
aber früher gab es auch mehr Leute, die
eigene Lösungen für manches fanden.
Ich fand es spannend, für mein astronomisches
Fernrohr diverse Adapter und
Stativkonstruktionen selbst zu erdenken. Ich
konnte den Mond oder die Sonne bei kurzer
Verschlusszeit direkt hindurch fotografieren
oder die seitlich befestigte Kamera mit
langer Belichtung nachführen, wenn mein
kleiner Refraktor von Quelle (etwa einen
Meter lang) parallaktisch ausgerichtet stand.
Mit ruhiger Hand musste man das Rädchen
am Ende der biegsamen Welle ganz
langsam drehen, um die Bewegung der Erde
auszugleichen. Damit sah ich die Monde des
Jupiter, die Ringe des Saturn und die kleine
Sichel des Abendsterns, der Venus. Ich zeichnete
Mondkrater auf Papier nach dem, was
ich im Okular erblickte. Ich fotografierte den
Nordamerikanebel im Schwan. Ich suchte
die Venus im Süden mittags am hellen Tag
und fand sie. Ich probierte, den Merkur zu
sehen, aber es gelang nicht. Ich fotografiere
den Halleyschen Kometen. Meine Oma hatte
ihn als Kind gesehen, behauptete, er wäre
damals quer über den ganzen Himmel gegangen;
sie machte eine ausholende Bewegung
mit der Hand. Wir fanden es schwierig,
das Ding im Dunst überhaupt zu lokalisieren.
Erst auf dem Foto war ein Schweif wirklich
zu erkennen, weil es etwas länger belichtet
immer mehr zu sehen gibt als mit bloßem
Auge. Lina ist einer der wenigen Menschen,
die den bekannten Kometen zwei Mal im
Leben sehen konnten und ist im selben Jahr
verstorben.
Ich war nur ein fasziniertes Kind, begriff
gar nichts vom Tod, obwohl ich schon das
Studium an der Armgartstraße angefangen
hatte. Zu fotografieren oder malen, mich
zu interessieren, bedeutete, von Onkel und
Tante, den Eltern und vom Lehrer gelobt zu
werden. Meine Bilder waren kaum besonders,
meine Versuche laienhaft, nur im Zeichnen
bin ich wirklich gut gewesen. Sich Dinge
selbst anzueignen, gefiel mir. Ich war darin
neugieriger als manche, die lieber erwachsen
wurden und endlich selbstständig sein
wollten, frei von ihren Eltern. Im Unterschied
zu den anderen, die sich in ihrer Altersgruppe
sozialisierten, blieb ich im
vertrauten Kosmos der Familie
und einigen, mir ähnlichen
Freunden. Wir begannen die
Boote zu segeln, die unsere
Eltern sich hatten neu bauen
lassen, als diese Klasse modern
gewesen ist.
# Meine Fotos?
Wir kannten kein Internet.
Heute, wo es unendliches
Zubehör gibt und Lifehack-
Videos noch obendrein,
interessiert es (vermutlich)
wenige, wie ich meine Zeit
verbrachte. Man löste seine
Probleme allein, das war
nicht ungewöhnlich. Ich
jedenfalls teilte meine Erfahrungen nicht. Es
war eine private Sache zu fotografieren, sich
am Sternhimmel auszukennen, eigene Bilder
zu entwickeln, sogar in Farbe – das hatte
keine soziale Komponente. Da lockte mich
nichts, es gab kein Netz; in keiner Weise kam
ich auf die Idee, mich deswegen mit anderen
auszutauschen. Dafür waren keine zwingenden
Anreize gegeben, jedenfalls nicht wie
jetzt mit Youtube und all dem. Ich verhielt
mich ganz normal? Obwohl es natürlich
schon immer Menschen gegeben hat, die
ihre Hobbys in reger Gemeinschaft pflegten,
na klar. Das ist für mich zu segeln. Das ganze
andere habe ich nur so getan.
Ich sammelte Bilder in Kartons, andere
klebte ich in Alben. Es kam vor, dass wir
im Winter mit einigen Freunden irgendwo
zusammen hockten, Fotos anschauten vom
Segeln, wenn wir etwa mit mehreren Jollen
in Dänemark Urlaub gemacht hatten. Auch
meine Eltern sahen sich die Bilder an, aber
insgesamt dürften es nur eine Handvoll
Menschen gewesen sein, die meine Alben
kannten. Als das digitale Zeitalter begann,
verlor ich das Interesse an der Fotografie,
aber nicht deswegen. Ich besitze kein
Smartphone. Ich habe noch ein Seniorenhandy
meiner verstorbenen Mutter, das ich
gelegentlich nutze und eine kleine Pocketkamera
mit einem Chip, den mein Rechner
lesen kann. Das genügt mir heute. Wenn ich
ein großes Acrylbild in Angriff nehme, ist der
Arbeit mit Farbe auf der Leinwand eine längere
Zeit des Entwerfens voraus gegangen.
Dazu nutze ich eigene Fotos dieser kleinen
Kamera und welche, die ich mit dem Pad
mache; zahlreiche ergoogelte Ausschnitte
aus dem Internet verwende ich zum komponieren
meiner ungewöhnlichen Ideen.
Ich liebe Porno, bin fasziniert von den
Mädchen, die ja irgendwo real existieren
und Nachbarn haben. So alte Esel wie mich
zum Beispiel. Wie mag es sein, von anderen
erkannt zu werden, sich’s bloß vorzustellen,
es könnte passieren? Im günstigen Fall
könnten wir alle davon lernen, es nicht so
wichtig zu nehmen mit der Scham. Unsere
Welt ist transparent, aber manche glauben,
wenn sie sich bildlich gesprochen eine Hand
vor das Gesicht halten, könnten wir anderen
sie nicht sehen? Wie Kinder sind die.
Sep 19, 2021 - Unter- und oberflächlich 105 [Seite 104 bis 106 ]