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Die OM-1 war noch rein manuell, ohne

Belichtungsautomatik gewesen, zu meiner

Zeit bereits ein Klassiker. Olympus eroberte

sich einen Markt dort, wo auf bestem

Niveau innovativ gedacht wurde. Viele

Profis nutzen diese Technik, und das war,

bevor das Zoomobjektiv zum Standard

wurde. Man rümpfte die Nase über nicht

vergleichbare Qualität und steckte lieber

um! Der Bajonettverschluss von Olympus

ist perfekt. Hat man einmal die Bewegung,

wie es vom Hersteller gelehrt wird, das alte

Objektiv zu greifen und gegen ein neues zu

tauschen erlernt, geht es schnell und sicher.

Meine einst neuartige, hochgelobte und

besonders raffinierte Kamera hat nun eine

Belichtungsautomatik, die wahlweise im

entsprechenden Modus, anstelle der manuell

definierten Kombination aus Blende und

Zeit, einen Scan maximal denkbarer Motive

vor der Aufnahme durchlaufen lässt. Das ist

ein blitzschnelles Rollo, bedruckt wie unsre

aktuell bekannten Quadrate aus schwarzweißen

Feldern, die nur das digitale Handy

lesen kann, ein QR-Code. Das war damals

das Beste an Automatik, was du kaufen

konntest – und kostete nicht einmal so viel.

Für die Mitnahme auf meiner Jolle, ein

kleines Boot, das schlimmstenfalls während

einer Reise auf der Ostsee auch kentern

könnte, baute ich mir eine wasserdichte

Box. Ich nahm eine große Majonäsedose,

so mit wulstigem Deckel in der Größe von

einem Schuhkarton, aber quadratisch. Die

war aus dem Großhandel für Lebensmittel,

wie meine Eltern sie im Geschäft hatten.

Vielleicht waren auch Gurken darin gewesen

oder eingelegte Heringe, so genau weiß ich

es nicht mehr. Dahinein kam die Kamera mit

den Objektiven, die durch eine Anordnung

von kleinen Sperrholzwänden ihren Platz

fanden. Heute gäbe es diese Dinge fertig

zu kaufen, damals möglicherweise genauso,

aber früher gab es auch mehr Leute, die

eigene Lösungen für manches fanden.

Ich fand es spannend, für mein astronomisches

Fernrohr diverse Adapter und

Stativkonstruktionen selbst zu erdenken. Ich

konnte den Mond oder die Sonne bei kurzer

Verschlusszeit direkt hindurch fotografieren

oder die seitlich befestigte Kamera mit

langer Belichtung nachführen, wenn mein

kleiner Refraktor von Quelle (etwa einen

Meter lang) parallaktisch ausgerichtet stand.

Mit ruhiger Hand musste man das Rädchen

am Ende der biegsamen Welle ganz

langsam drehen, um die Bewegung der Erde

auszugleichen. Damit sah ich die Monde des

Jupiter, die Ringe des Saturn und die kleine

Sichel des Abendsterns, der Venus. Ich zeichnete

Mondkrater auf Papier nach dem, was

ich im Okular erblickte. Ich fotografierte den

Nordamerikanebel im Schwan. Ich suchte

die Venus im Süden mittags am hellen Tag

und fand sie. Ich probierte, den Merkur zu

sehen, aber es gelang nicht. Ich fotografiere

den Halleyschen Kometen. Meine Oma hatte

ihn als Kind gesehen, behauptete, er wäre

damals quer über den ganzen Himmel gegangen;

sie machte eine ausholende Bewegung

mit der Hand. Wir fanden es schwierig,

das Ding im Dunst überhaupt zu lokalisieren.

Erst auf dem Foto war ein Schweif wirklich

zu erkennen, weil es etwas länger belichtet

immer mehr zu sehen gibt als mit bloßem

Auge. Lina ist einer der wenigen Menschen,

die den bekannten Kometen zwei Mal im

Leben sehen konnten und ist im selben Jahr

verstorben.

Ich war nur ein fasziniertes Kind, begriff

gar nichts vom Tod, obwohl ich schon das

Studium an der Armgartstraße angefangen

hatte. Zu fotografieren oder malen, mich

zu interessieren, bedeutete, von Onkel und

Tante, den Eltern und vom Lehrer gelobt zu

werden. Meine Bilder waren kaum besonders,

meine Versuche laienhaft, nur im Zeichnen

bin ich wirklich gut gewesen. Sich Dinge

selbst anzueignen, gefiel mir. Ich war darin

neugieriger als manche, die lieber erwachsen

wurden und endlich selbstständig sein

wollten, frei von ihren Eltern. Im Unterschied

zu den anderen, die sich in ihrer Altersgruppe

sozialisierten, blieb ich im

vertrauten Kosmos der Familie

und einigen, mir ähnlichen

Freunden. Wir begannen die

Boote zu segeln, die unsere

Eltern sich hatten neu bauen

lassen, als diese Klasse modern

gewesen ist.

# Meine Fotos?

Wir kannten kein Internet.

Heute, wo es unendliches

Zubehör gibt und Lifehack-

Videos noch obendrein,

interessiert es (vermutlich)

wenige, wie ich meine Zeit

verbrachte. Man löste seine

Probleme allein, das war

nicht ungewöhnlich. Ich

jedenfalls teilte meine Erfahrungen nicht. Es

war eine private Sache zu fotografieren, sich

am Sternhimmel auszukennen, eigene Bilder

zu entwickeln, sogar in Farbe – das hatte

keine soziale Komponente. Da lockte mich

nichts, es gab kein Netz; in keiner Weise kam

ich auf die Idee, mich deswegen mit anderen

auszutauschen. Dafür waren keine zwingenden

Anreize gegeben, jedenfalls nicht wie

jetzt mit Youtube und all dem. Ich verhielt

mich ganz normal? Obwohl es natürlich

schon immer Menschen gegeben hat, die

ihre Hobbys in reger Gemeinschaft pflegten,

na klar. Das ist für mich zu segeln. Das ganze

andere habe ich nur so getan.

Ich sammelte Bilder in Kartons, andere

klebte ich in Alben. Es kam vor, dass wir

im Winter mit einigen Freunden irgendwo

zusammen hockten, Fotos anschauten vom

Segeln, wenn wir etwa mit mehreren Jollen

in Dänemark Urlaub gemacht hatten. Auch

meine Eltern sahen sich die Bilder an, aber

insgesamt dürften es nur eine Handvoll

Menschen gewesen sein, die meine Alben

kannten. Als das digitale Zeitalter begann,

verlor ich das Interesse an der Fotografie,

aber nicht deswegen. Ich besitze kein

Smartphone. Ich habe noch ein Seniorenhandy

meiner verstorbenen Mutter, das ich

gelegentlich nutze und eine kleine Pocketkamera

mit einem Chip, den mein Rechner

lesen kann. Das genügt mir heute. Wenn ich

ein großes Acrylbild in Angriff nehme, ist der

Arbeit mit Farbe auf der Leinwand eine längere

Zeit des Entwerfens voraus gegangen.

Dazu nutze ich eigene Fotos dieser kleinen

Kamera und welche, die ich mit dem Pad

mache; zahlreiche ergoogelte Ausschnitte

aus dem Internet verwende ich zum komponieren

meiner ungewöhnlichen Ideen.

Ich liebe Porno, bin fasziniert von den

Mädchen, die ja irgendwo real existieren

und Nachbarn haben. So alte Esel wie mich

zum Beispiel. Wie mag es sein, von anderen

erkannt zu werden, sich’s bloß vorzustellen,

es könnte passieren? Im günstigen Fall

könnten wir alle davon lernen, es nicht so

wichtig zu nehmen mit der Scham. Unsere

Welt ist transparent, aber manche glauben,

wenn sie sich bildlich gesprochen eine Hand

vor das Gesicht halten, könnten wir anderen

sie nicht sehen? Wie Kinder sind die.

Sep 19, 2021 - Unter- und oberflächlich 105 [Seite 104 bis 106 ]

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