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Unter- und oberflächlich
Sep 19, 2021
Bevor ein großes
Bild gemalt werden
kann, müssen Kreative
wissen, wo genau
auf der Leinwand
die Inhalte des
Motivs dargestellt werden könnten. Dem
geht eine Entwurfsphase voraus, und dann
erarbeitet sich ein Maler für gewöhnlich
diese Basis mit einer „Untermalung“. Das ist
eine Konkretisierung der ersten Bleistiftlinien
auf der Leinwand mit dünner Farbe,
so etwa in der Form, wie es einmal werden
soll. Ein Motiv zeichnet sich durch unterschiedliche
Qualitäten aus, das Thema und
die Mittel, dieses zu kommunizieren. Exakte
Abbildungen unserer Umgebung sind keine
Kunst mehr. Man muss nicht Maler sein. Die
natürliche Wiedergabe der Realität, Farbe
und Helldunkel, die Perspektive, das wird mit
der überall verfügbaren Technik ganz leicht.
Sogar zu filmen ist einfach.
# Alle sind Künstler
Der im Ganzen künstliche Mensch ist noch
weitgehend Utopie, künstliche Intelligenz
entwickelt sich bereits, künstliche Details
bemerken wir überall. Sie bilden einen
Großteil alltäglicher Gegenstände, animieren
unser Tun und verändern das Denken,
weil ihre Verfügbarkeit unsere Erwartungen
beeinflusst. Wir tun ganz einfach Dinge,
die einmal sehr mühselig gewesen sind.
Aber was ein Künstler ist, und ob dafür
eine besondere Fähigkeit nötig sei oder
Talent, darüber streiten manche. „Alle sind
Künstler“, meinen welche. Sich selbst und
damit die eigene Natur genau zu erforschen,
wäre nötig, finden die anderen. Natur und
Künstliches sind miteinander verwoben
wie nie zuvor.
Das Privileg, die Natur und das Drumherum
festhalten zu können, ist längst
keines mehr. Heute machen alle Bilder.
Sie nutzen ihr Handy oder fotografieren
mit einer guten Ausrüstung. Als ich
Schüler war, bin ich durch manches
Fotoprojekt unterrichtet worden, konnte
Negative, Fotos in eigener Dunkelkammer
entwickeln. Anfangs ausschließlich
in schwarzweiß, erweiterte ich später die
Ausrüstung noch und traute mich auch an
farbige Abzüge ran. Dafür war es nötig, in
völliger Dunkelheit zu arbeiten, und die
Chemikalien mussten exakt temperiert sein.
Wenn die Aufnahme belichtet war, steckte
man das Fotopapier in eine spezielle Dose.
Nachdem man den Deckel verschraubt und
Entwickler hinein gegossen hatte, musste
sie eine Zeit lang bewegt werden. Das kennt
man ja auch beim Verarbeiten schwarzweißer
Bilder. Die dort genutzten flachen Wannen
hebt man (bei Rotlicht) immer ein wenig
am Ende an und setzt sie wieder ab. Die
Flüssigkeit soll gleichmäßig
über das Fotopapier laufen,
drüber gleiten und nicht nur
darauf stehen. Ich kaufte
mir eher zufällig einen
gebrauchten Vergrößerer, der
auch für farbiges Belichten
konstruiert war. Anfangs
dachte ich gar nicht daran,
diese Funktion zu nutzen.
Später kam das andere, für
Farbabzüge noch benötigte
Material dazu, es war dann
gar nicht so schwierig. Die
besondere Trommel für die
Farbfotos, extra lichtdicht
konstruiert, drehte sich in
einer Halterung angekuppelt
und angetrieben durch
den kleinen Motor hin und
her. Dabei durfte das Licht
wieder eingeschaltet sein. Als Dunkelkammer
war ein kleiner Raum im Keller meiner
Eltern von uns ein wenig umgebaut worden.
Die benötigten Chemikalien mussten eine
ganz bestimmte Temperatur haben und warteten
vorgewärmt in kleinen Zylindern auf
den Moment ihrer Anwendung.
Dafür gab es eine größere Box
aus rotem Plastik, so eine Wanne
mit Wasserbad, die hatte
einen Rand mit kreisförmigen
Löchern. Dort fanden die Röhren
ihren Platz und bekamen
ihr handwarmes Fußbad. Ich
hatte alles auf dem Flohmarkt
gekauft. Das war am Yachthafen
im Herbst gewesen, normal
ist dort gebrauchtes Bootszubehör
im Angebot. „Ob das
Equipment auch funktioniere?“,
fragte ich skeptisch den Verkäufer, weil ich
mich ja mit der Farbe nicht auskannte. „Ich
verkaufe doch keinen Schrott“, sagte der
Mann. Das habe ich geglaubt. Ich nutzte
ein Buch als Ratgeber, mir die Sache selbst
beizubringen.
# Gutgläubigkeit ist oft …
… der Anfang, sich auf etwas Neues einzulassen.
Es dauerte, bis ich die Methode
herausfand, einen immer wiederkehrenden
Fehler zu eliminieren. Das war ein kleiner,
bläulicher Strich auf fast allen Abzügen
etwa in der Mitte. Durch Zufall las ich
irgendwo in einer Zeitschrift in einem
Beitrag über Fotografie, dass einige die
Dose mit der Hand auf dem Tisch hin und
her rollerten. Das probierte ich, und dann
trat das Problem nicht mehr auf. Ich nahm
an, dass meine Maschine immer etwa drei
Umdrehungen machte, dann die selbe
Anzahl zurück – und weiter. Immer im selben
Moment wechselte das Ding die Richtung.
Meine Vermutung: Mit der Hand gedreht,
schwappt der Entwickler genauso über das
Papier wie gewünscht. Es bildet sich aber
kein konzentrierter Sud in der Pfütze unten.
Die Dose rollt dabei nie exakt an derselben
Stelle zurück. Da fließt das Zeug, wie milde
Brandung eines windstillen Tages den
Strand leckt. Das hat gedauert, bis ich diese
Lösung fand. Man muss Nerd sein dafür.
Ich kannte mich aus mit vielem und besitze
bis heute eine OM-2. Sie war zu meiner Zeit
damit zu fotografieren eine professionelle
Spiegelreflexkamera und hochmodern. Gut
wie eine Nikon, ist sie ein wenig kleiner und
nicht schwer. Viele Ältere waren es gewohnt,
einen Belichtungsmesser dabeizuhaben.
Wenn meine Mutter ein Bild mit ihrer
hochwertigen Sucherkamera machte, maß
sie vorher das Licht mit diesem Ding in der
Hand, steckte es wieder in die Tasche und
stellte anschließend Schärfe und Verschlusszeit
am Objektiv der Kamera ein.
Eine Spiegelreflexkamera war dagegen
etwas ganz besonderes. Nachdem inflationär
wenig geübte Menschen (als professionelle
Fotografen) in Scharen damit zu knipsen
begannen, wurden die handelsüblichen mit
Mittelpunktmessung angeboten. Dazu kamen
Ideen der Hersteller, die Schärfe schnell
und direkt nach dem Geschauten im Sucher
der Kamera
fixieren zu
können,
anstelle der
manuellen
Vorauswahl
im Ring vorn.
„Drei Meter
bis unendlich“,
was
heißt das?
Wir lernten:
Fotografieren
bedeutet,
Schärfe, Verschlusszeit und Blende – in
Relation zur Entfernung des Motivs – und
die Filmempfindlichkeit zu berücksichtigen.
Bei meiner Kamera stellte ich diesen Wert
ein, nachdem der Film eingelegt war. Damit
verstand die moderne Automatik zu denken.
Sep 19, 2021 - Unter- und oberflächlich 104 [Seite 104 bis 106 ]