Blogtexte2021_1_12
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Zu spät
für dich
Sep 16,
2021
Es gibt nur einen Papst auf dieser Welt, die
anderen Religionen sprechen mit den vielen
Stimmen ihrer jeweiligen Prediger. Hierhin
und dorthin weisen sie die Gläubigen, die
sich für einen Gott entschieden haben,
der ihnen gerade passt. Die Kirchen bei
uns klagen über Mitgliederschwund. Der
Missbrauch ist weiter das Thema bei den
Katholiken, und wenn Herr Bedford-Strohm
spricht, klingt er wie der Frank-Walter aus
dem Bellevue. Der Bindestrich verbindet beide
irgendwie. Als ich jung war, wurden wir in
der Schule vor Sekten gewarnt. Schon immer
hatte der Glaube diese gefährliche Seite,
dass Menschen bereit sind, sich religiöser
Führung unterzuordnen und andere es ausnutzen.
Kann der Mensch sich seinen individuellen
Gott maßgeschneidert designen? Es
scheint zu funktionieren. Das moderne Bild
vom lieben Gott, der gut in eine smarte Welt
passt, Frauenrechte und sexuelle Vielfalt bejaht,
hat sich erst mit den Jahren entwickelt.
Parallel zum differenzierten System unseres
Rechtsstaates formulieren moderne Prediger
angepasste Spiritualität, die jeden in der
Gesellschaft mitnehmen kann. Andernfalls
verlassen Ausgegrenzte diese Kirche wie einen
Verein. Die Gruppe derjenigen, die nicht
Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sind,
sich jedoch nicht zum beherzten Atheismus
durchringen können und weiter „irgendwie“
suchen, ist groß geworden.
# Kein Stress mehr mit dem Herrn Jesus
Der moderne christliche Gott scheint sozial
unterwegs zu sein, so beschreiben manche
das Wirken und Wollen, entsprechend unser
Sollen; prägend ist seine wohlmeinende Gesamtheit
– wie die demokratische Regierung,
die das Beste für uns alle will. In der Politik
ist nicht angreifbar zu sein empfehlenswert,
um gut voranzukommen. Dementsprechend
groß ist die Sehnsucht nach Menschen, die
noch klare Kanten aufweisen. Die Vereinigten
Staaten haben gezeigt, welche Risiken
das birgt. Ein Donald Trump kann nicht
Präsident einer demokratischen
und vielfältigen Gesellschaft
sein. Die uns alle betreffenden
Probleme werden dazu führen,
dass der kollektive Druck auf
einzelne zunimmt. Gerade die
Anführer der großen Kirchen
hätten die Möglichkeit, ihre
Stimme für den Gläubigen an
sich zu erheben und weniger
die geschmeidige Gesamtheit
als erstrebenswertes Ziel. In
unserer Zeit, wo sich zunehmend
Gruppen für manches
profilieren, sollte dem Einzelnen
ein Angebot gemacht werden,
sich besser zu verstehen.
Weil bekannt ist, wie diktatorische
Züge an der Spitze vom
Staat dazu führen, dass das
System in Schieflage gerät und
in der Folge das Unrecht, andere
auszugrenzen Staatsräson
ist, möchte die Kirche nicht ins
Hintertreffen geraten und stößt
ins soziale Horn: Was allen
diene, sei auch Gerechtigkeit
für jeden einzelnen.
# Fühle, wie es sich für alle
gleich gehört?
Wer bin ich denn, wenn die Schule aus ist
und das Erwachsenenleben beginnt? Zu
Moses Zeiten ein Familienvater, der seine
Leute durchbringen muss: ein Mann. So
formt sich die bekannte Großfamilie und hat
zwei oder drei Probleme. Beim Pharao ist es
scheiße, und der Weg durch
die Wüste in das gelobte
Land ist weit. Buchstäblich
eine Durststrecke. Kein
Wunder, dass der Anführer
ein paar Gebote für seinen
wandernden Wüstenstaat
ganz gut gebrauchen kann.
Sicher haben die Juden, die
nach dem Ersten Weltkrieg
das damalige Palästina
(nach der Balfour-Erklärung)
besiedelten und schließlich
den modernen Staat Israel
gründeten, ähnlich empfunden.
Auch der gewöhnliche
Amerikaner mag sich dran
erinnern, wie das Gebiet,
das heute die Vereinigten
Staaten von Amerika darstellt, besiedelt
wurde – und sich deswegen Israel verbundener
sehen, als manch’ anderer mit weniger
der Identität, irgendwo für einen Neuanfang
weggegangen zu sein. Was dem einzelnen
hilft, der im Land bleibt, aber von Menschen
umzingelt ist, die anders empfinden,
lehrte Jesus und wurde zum Begründer der
christlichen Religion. Die Homosexuellen
als Gruppe mit gemeinsamer Identität oder
die Menschen mit Migrationshintergrund
(in einem Ausland für sie) bei uns Lebenden
und die Jugend, die vom Verhalten der
umweltfeindlichen Erwachsenen in ihrer
Zukunft bedroht ist; das sind Beispiele für
moderne Großfamilien. Bleibt noch der
einzelne Mensch, der Zugehörigkeit zum
Ganzen sucht. Seine individuelle Perspektive
muss er erst entwickeln, wie eine Aufgabe
lösen. Sogar als Migrant unter anderen, die
hier pauschal Ausländer genannt werden, ist
jemand zunächst für sich selbst verantwortlich.
Wenn ich nicht durch Herkunft
oder Hautfarbe eine Schublade bekomme,
in die mich die Umgebung steckt, bleibt
die Herausforderung, die eigene Kiste, das
persönliche Boot für eine gute Reise erst
einmal selbst zu zimmern.
# Herr Rossi sucht das Glück
Beim Regattasegeln heißt es, wer die wenigsten
Fehler mache, gewinnt. Der Bildhauer
glänzt mit dem Spruch, er müsse nur alles
Falsche vom Block weghauen, das Pferd
(oder was es sei) wäre schon im Stein gewesen.
Und vom Schwimmenlernen wissen wir,
dass Anfänger zu viele Bewegungen machen,
bis nur noch welche ausgeführt werden,
die dem Vorgang tatsächlich nützen. Das
Leben gelingt also leichter, wenn jemand
weniger Fehler macht. Zu kommunizieren,
ist wesentlicher geworden. Wir stehen mehr
als früher im Austausch mit anderen. Es
erfolgt ein ständiger Abgleich, wie in einer
Partnerschaft oder zusammen mit Freunden,
Kollegen richtigerweise etwas unternommen
wird, das bereits methodisch erforscht
wurde. Das bietet unendliche Vorteile, da
eine unglaubliche Flut an Erfahrungen
geteilt wird, aber auch einige Nachteile, zum
Beispiel effizientes Mobbing.
Wir kannten, dass Feuerwehrleute und
Polizisten sich auf eine gestelzte Art und
Weise äußerten, wenn sie im Fernsehen
zu einem Unfall oder Verbrechen Stellung
beziehen mussten. „Der Verunfallte, die
männliche Person, ist in seiner Eigenschaft
als … unterwegs gewesen.“ So reden wir
unter Freunden nicht. „Dieser Typ arbeitet
bei der Firma dahinten, und da vorn hat es
gekracht“, beschriebe
uns ein Bekannter, was
passierte. Beamte und
Helfer sprechen eine
Berufssprache. Die
seit dem Aufkommen
des Fernsehens in den
Siebzigern bekannten
Floskeln erreichen mit
dem Genderstreit die
Politik und haben die
Sprache insgesamt
erfasst. Nie jemanden
auszugrenzen, vermeidet
verbale Angreifbarkeit,
wie früher nur
Polizei oder Feuerwehr
aufpassen mussten,
Persönlichkeitsrechte
Sep 16, 2021 - Zu spät für dich 100 [Seite 100 bis 103 ]