Blogtexte2021_1_12
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Du und ich
Jan 21, 2021
Ein Donnerstag im Januar, kurz vor
9 Uhr. Ich schiebe die Rippen im
Velux hoch, schaue aus dem Fenster
nach Westen. Mein Atelier ist
im Dachgeschoss. Das Westfenster
in der Schräge hat eine gute Jalousie.
Abends mache ich hier zu.
Die auf der gegenüberliegenden Seite, noch
mit Bändseln ausgerüstet, verkanntet immer,
stürzt regelmäßig aus der Spur. Wenn
es im Winter früh dunkel wird, reflektieren
die Lamellen das Licht im Atelier, wie es das
schwarze Viereck nach draußen hin nicht
könnte. Ich male ungern mit Lampenlicht.
Dieses Fenster kann ich auch senkrecht in
die Öffnung kippen (das andere klemmt),
und wenn ich mein schmales Telefonbuch
zwischen Rahmen und Begrenzung quetsche,
hält es tadellos zum Lüften.
An diesem Morgen, als es noch dunkel war,
habe ich letzte Sterne gesehen. Windstill
ist es gewesen, beinahe, und der Löwe (ein
Bote des Frühlings) hatte sich bereits weit in
den Südwesten begeben. Im Zenit der große
Wagen. Der Nordstern; wieder einmal kontrollierte
ich den Punkt darunter, ihn exakt zu
loten, die Flucht zum Pol genau zu bestimmen.
Vom Orion keine Spur mehr. Der Winter,
im Januar schon auf der Flucht. Auch was die
Temperatur betrifft, es ist knapp zweistellig
über null.
Später. Nun habe ich gefrühstückt, schiebe
den Rollladen auf, und da sehe ich diesen
wunderbaren Regenbogen!
Die Sonne mag um halb acht bereits gut
über dem Horizont sein, und auf dieser Seite
türmen sich nun dunkle Wolken, in der Mitte
noch warm angeleuchtet, in einem orangen
Ton, sind sie links und rechts dunkelgrau und
violett. Über allem, in einer gut überschaubaren
Größe, steht der wunderbare Bogen.
Er ist massiv in den Farben und ein nirgends
unterbrochener halber Bügel wie ein mächtiges
Tor. Links entspringt er in einer kleinen
Baumgruppe, mein Wald. In der Mitte wölbt
sich das farbige Band und bildet seine Brücke
noch locker über die Spitzen der großen Koniferen,
um dann rechts hinterm alten Backstein
des Hauses an der Straße gegenüber zu
enden.
Ein Abgasrohr fällt auf. Dort ist sicher der
Pott mit dem Gold? Das ist aber nur ein moderner
Schornstein, dessen Spitze in der Sonne
glänzt.
Kein Rauch, kein Feuer mehr, und Friede auf
Erden.
Ein toller Regenbogen!
Das habe ich genauso vor einigen Jahren auf
Fehmarn gesehen. Die Ereignisse, die mein
Leben so grundsätzlich verändert haben, waren
damals noch voll im Gange, keine leichte
Zeit. Auch dort habe ich in der Früh nach
Westen geschaut. Unser Balkon, wir wohnten
im ersten Stock. Der Bogen stand über dem
Giebel des benachbarten Ferienhauses.
Ein grell angestrahltes, gleichseitiges Dreieck,
darüber der bunte Halbkreis. Geometrie
wie in der Schule, Mathematik, eine penetrante
Symmetrie. Rötlich und ein wenig orange
(mit zwei kleinen Fensterchen wie eckig
schauende Augen) stand die Form unter dem
farbigen Band. Ein Pakt mit Gott habe ich gedacht,
das soll es sein, und heute für mich. Es
hat mich gestärkt, Mut gemacht! Ich dachte
an das Versprechen, das Gott Noah
gegeben hat und allen, die nach ihm
kommen. Vertrauen in die Welt um
mich herum. Sie hält was aus, ist stabil,
auch in bösen Zeiten, schlechten
Momenten, und wenn wir den Attacken
anderer ausgesetzt sind und unsere
Fehler nicht wahrnehmen, unsere
Schuld nicht erkennen, die sie uns
zuweisen. Der Regenbogen? Vertrauen
in das, was ich tu’ – ein Zeichen.
Heute Morgen habe ich wieder daran
gedacht: Wir erneuern unseren Bund.
Du bist noch da, und ich bin auch
noch hier auf Erden, so etwa.
Ich probiere, ein Foto zu machen.
Es ist zu groß, zu breit, geht nicht rauf. Nicht
das Ipad oder die kleine Digitalkamera genügen,
den weiten Farbenkranz einzufangen.
Ich hätte dafür ein Weitwinkelobjektiv benötigt.
Dann versuche ich’s nicht länger und
schaue nur noch kurz: Es ist beinahe windstill.
Leichter Niesel setzt wohl gerade ein?
Ich schließe das Fenster, mache die doofen
Lampen an. Nun wird es draußen finster.
Ich schaue auf das angefangene Bild. Das
nackte Mädchen, meine Europa auf ihrem
Stier Zeus. Es haut sie von den Socken, als der
Wal spritzt, das Rind bockt. Und sie ist verankert
in Bondage. Sie reitet auf hoher See.
Es scheint ein weiterer dunkler Regentag zu
werden, an dem die Lampen einzuschalten
nötig ist …
Ich setze mich auf den Bürostuhl, suche die
„Zweimeterbrille“, die ich immer nehme, um
meine großen Bilder als Ganzes anzuschauen.
Sie hat auf voller Glasbreite ein und dieselbe
Sehstärke für etwa diese Entfernung.
Mein Bild ist einszwanzig breit und einen
Meter hoch. Mit Gleitsicht kann ich arbeiten,
aber in aller Ruhe schauen wie früher? Dafür
nehme ich gern diese Spezialanfertigung. Ich
vergesse den Regenbogen, den Niesel, das
schlechte Licht. Ich trinke einen Kaffee und
schaue zu sehen, was ich nur morgens sehe,
wenn das unfertige Bild wieder neu ist. Am
Abend habe ich viele Stunden gemalt. Dann
bin ich betriebsblind.
Ich lehne mich im Stuhl zurück, und der knarrt
vertraut, der Kaffee schmeckt. Ich schaue auf
die grauen Wellen, die ich gestern malte und
das verlorene Mädel auf dem Bulln. Stürmisch
geht die See, aber nicht windig genug
scheint mir mein Meer. Ich denke: Ob ich das
noch hineinmalen kann?
Huuii!!
Da erzittert das Haus.
Mein Atelier erbebt, Regen knallt plötzlich
auf die Fenster – es brüllt das Wetter, der
Wind.
Eine schwere Bö zieht durch!
Jan 21, 2021 - Du und ich 10 [Seite 10 bis 14 ]