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Ludwigs Buch

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LUDWIGS

BURG


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Kennen Sie LUDWIGS BURG ‐ Natürlich werden Sie jetzt sagen–

Doch Achtung! Der Teufel liegt im Detail!

LUDWIGS BURG liegt nicht im gleichnamigen Landkreis und am Neckar.

LUDWIGS BURG findet man im Alb‐Donaukreis, genauer in Griesingen.

LUDWIGS BURG ‐ ist eben LUDWIGS BURG.

Genug der „Haarspaltereien“


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Tja mein lieber Ludwig,

schon wieder einige Zeit ins Land gegangen.

ß

Wie Du es so schön in Deinem Neujahrsbrief geschrieben hast, ich gehöre zu den von Dir bezeichneten stumm „Leidenden“.

Nicht weil mir es nicht aufgefallen wäre, das der Anhang fehlte.

Sondern weil ich die Hoffnung hatte, für mich, da noch fehlendes Bildmaterial „abzweigen“ zu können.

Also, wie richtig vermutet, bin fündig geworden und somit, sagen wir mal Produktions-klar.

Die Daten habe ich so übernommen wie sie vorlagen. Die Inhaltsangaben und die Reihenfolge der Artikel sind mutmaßlich

nicht immer identisch. Aber Du wirst mir das nachsehen.

Selbstverständlich habe ich die veröffentlichten Artikel und Bilder studiert und gelesen.

Allerdings ist mein Interesse an der Griesinger Geschichte, man möge es mir verzeihen, nicht so ausgeprägt.

Um so mehr begeistert mich wie Du was schreibst und wo Du die geschichtlichen Hintergründe dafür recherchierst.

Letztlich also ist meine Motivation auch darin begründet, kein adäquates Geschenk gefunden zu haben.

Was soll man jemanden schenken, so man denn schenken will, wenn derjenige den man beschenken möchte,

entweder Alles hat, oder vielleicht gar nicht beschenkt werden möchte. Großes Dilemma!

Wie löst man sowas? „Ma bäschdled was“. Des geht immer!

Tja, was aber wenn du kein „Säger, Bohrer, oder Hämmerer“ bist. Pudelmütze kann ich auch nicht.

Was bleibt dann also noch?

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Nr.

Kennwort

001 Bleamleskaffee, Zichore und Mode Advent

002 alte bäuerliche Gerätschaften

003 altertümliches Hausgerät (Sammlung Paul Braun)

004 Badefreuden und Geschrubbe

005 Bibellies, Blinder Espan und Bloßäcker

006 Bleamleskaffee, Zichore und Mode

007 Bonta ond Facklafuier

008 Corona nicht, aber sonst allerlei Krankheiten

009 Der heilige Leodegar

010 Ehrat, Felbengärtlesäcker und ‐teile

011 Fasnet — Soubloter und Schmalzkiachla

012 Fasnet in alten Zeiten

013 Gaatafescht

014 Gemeindewappen

015 Geschenk ans Kloster Murbach

016 Gespanne Kuh ‐ Ochs ‐ Gaul ‐ Bulldogg

017 Getreidesäcke

018 Griesinger Scharmützel

019 Griesinger Weiber

020 Hausschlachtung und reacht gveschberet

021 Himmelreich und Hölle ganz irdisch

022 Hochwasser

023 Hummelberg ohne Hummeln

024 Irrtümer im Gemeindebuch (Teil 1)

025 Irrtümer im Gemeindebuch (Teil 2)

026 Kaspar Schwenckfeldt

027 Keltengrab

028 Kinderfest in alten Zeiten

029 Kurze Schlunggärten und Lange Birkenteile

030 Ladengeschäfte

031 landwirtschaftliche Maschinen

032 Lange Rötel und Lange Schlunggärten

033 mit dem Tonkrug aufs Feld

034 Mooscht, Mooschdsekt

035 Quelle‐, Neckermannkatalog

036 Römerbad

037 Schbätzlesvarianten

038 Schindergrub und Schinderwasen

039 Steglache, Steigäcker, Stockäcker

040 Stehbrunzhos und Heisle

041 Streuobstwiesen

042 Unter Palmen gedenken wir

043 Waldmädla und Hopfa zopfa

044 Weihnachten

045 Wintersport für Jung und Alt

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Bleamleskaffee, Zichore und Mode

Im 18. und 19. Jahrhundert, aber auch noch in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, war Bohnenkaffee

etwas, das man sich nicht jeden Tag leisten konnte. Obwohl man (frau) es ja schon gerne

gehabt hätte. Doch Not macht erfinderisch. Beim Stallvieh mischte man gehäckseltes Stroh unters

Heu, um die Vorräte zu strecken. Und ebenso mischte man Malz‐ und Bohnenkaffee. Malzkaffee

wurde aus geröstetem Gerstenschrot hergestellt und mit Wasser aufgekocht.

Das tun auch heute noch viele und vermutlich sogar wieder vermehrt. Malzkaffee enthält von

Natur aus kein Koffein und wird heutzutage daher gerne als gesündere Alternative angesehen.

Als es aber damals um den ersehnten Wohlgeschmack des Bohnenkaffees und nicht so sehr

ums Gesunde ging, mischte man oft Malz‐ und Bohnenkaffee. Solche Mischungen gab es auch

zu kaufen. Die Marke Quieta gab es zum Beispiel in drei unterschiedlich gefärbten Verpackungen

mit drei unterschiedlich hohen Anteilen an echtem Bohnenkaffee. Das machte natürlich einen

Preisunterschied aus. Wer sich ungemischten Bohnenkaffee leisten wollte oder konnte, blieb

häufig sparsam bei der Menge der verwendeten Kaffeebohnen. Dann geriet der Kaffee womöglich

entsprechend dünn, und das Blümchenmuster des Tassenbodens schimmerte durch. Dies

nannte man dann spöttisch einen Blümchenkaffee, oder auf gut Griesinger Schwäbisch „en

Bleamleskaffee“. Um dem abzuhelfen, gab es wiederum ein Mittelchen. Jedes Ladengeschäft,

das Lebensmittel verkaufte, führte auch Zichorie.

Wikipedia: „In einer Zichorienfabrik werden die gereinigten Wurzeln der Zichorie [Wegwarte]

zunächst zerkleinert. Auf einer Darre oder in einem Trockenofen wird der Wassergehalt der

Wurzeln reduziert. Danach werden sie bei einer Temperatur von 100 °C bis 120 °C geröstet.

Während dieses Prozesses karamellisiert das in der Wurzel enthaltene Inulin… [eine Art Zucker],

wodurch der an Kaffee erinnernde Geschmack entsteht. Die abgekühlten Wurzeln werden abschließend

zu feinem Pulver gemahlen. Bisweilen werden Zuckerrüben, Speisefette und ‐öle,

Kochsalz … zugefügt. Zichorienkaffee ist an einer intensiven karamellbraunen Färbung erkennbar.“

Die Zichorie [schwäbisch: der Zichore; Betonung auf dem ‘o‘] wurde in eine Art runde Pellets

mit etwa 4 cm Durchmesser gepresst und dann mehrere dieser „Tabletten“ zusammen in einer

röhrenförmigen Hülle verpackt. Die Abbildung entstand im Bauernhausmuseum Kürnbach. Bei

Gebrauch brach man ein Stück davon ab und gab es zu den gemahlenen Kaffeebohnen hinzu.

So bekam dieser die ersehnte dunklere Färbung. Aber nicht nur das: Mädchen und Frauen hatten

irgendwann mal entdeckt, dass sie das rotgefärbte Einwickelpapier anfeuchten und sich dann

die Wangen bestreichen und ihnen somit eine rötliche Färbung verpassen konnten. Dieses

„Schminken“ war mal schwer in Mode. Und so bekam auch der Zichorienkaffee selbst im Volksmund

den Namen „Mode“. Man tat Mode in den Kaffee und wurde ganz nebenbei auch noch

hübscher. Übrigens: Noch heute kann man mit Zichorie Bratensoßen dunkler machen. ‘s nassgemachte

Papierle ins Gesicht reibt sich aber wohl schon lange niemand mehr.

Zum Nachlesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Zichorienfabrik

https://de.wikipedia.org/wiki/Kaffeeähnliches_Getränk

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Keltengrab

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Der Keltenweg in Obergriesingen erhielt seinen Namen nicht ohne Grund. In Richtung Altbierlingen

wurde 1928 bei Drainagearbeiten eine keltische Grabanlage entdeckt. Vielleicht besteht

sogar ein Zusammenhang mit Hügelgräbern. Der Straßenname wurde vom Gemeinderat

bewusst gewählt, weil der Weg genau in Richtung des ehemaligen „Keltengrabs“ führt.

Er wird daran erinnert, dass einmal die Kelten als frühes Kulturvolk in unserer Gegend beheimatet

waren, bis sie von den Römern unterdrückt und im Zuge der Völkerwanderung durch

die vom Ostseeraum (!) nachrückenden Alemannen und Sueben („Schwaben“) an die Ränder

Europas verdrängt wurden.

Keltische Volksgruppen, Sprachen, Kultur und Traditionen finden wir heute daher vor allem in

Westfrankreich (Bretagne), Irland, Schottland, Wales und Nordspanien.

Bei den „alten Römern“ hieß die Ostsee „Schwäbisches Meer“ (mare suebicum), weil die Sueben

eben zunächst dort zuhause waren, während die Römer den Bodensee als „Bregenzer See“

(Lacus Brigantinus oder Lacus Constantinus) bezeichneten, wobei die Städtenamen Bregenz

oder Konstanz durchschimmern.

Man räumt keltischen und römischen Elementen einen starken Einfluss auf uns, unser Aussehen,

unsere Sprache und unsere Kultur ein. Es dürfte kein Zufall sein, dass bei uns im deutschen

Süden der norddeutsch‐nordeuropäische hellblonde Menschenschlag (mit blauen Augen) eher

selten anzutreffen ist. Die Menschen hierzulande tragen gewiss auch römisches und keltisches

Erbgut in sich.

Auch in der deutschen Sprache finden sich Wörter keltischen Ursprungs, zum Beispiel Wörter

wie „Amt“, „Apfel“, „Bitumen“ (Straßenbelag), (der Name der Stadt) „Bregenz“, „Eisen“, „Lanze“,

„Karren“, „beten“ und „Bett“. Man vermutet, dass auch der Name des Flusses Donau und der

Griesinger Flurname „Taie (sprich: Doie) seinen Ursprung in der Sprache der Kelten hat.

Die Heuneburg, etwa 14 km östlich von Sigmaringen, ist eine der bekanntesten Fundstellen aus

keltischer Zeit in Mitteleuropa. Mit um die 5.000 Einwohnern war sie für die damalige Zeit eine

sehr große Stadt. Eine Vielzahl von Funden bezeugen Handelskontakte zu anderen Völkern und

Kulturen.

Die Kelten brachten das Eisen zu uns.

Es war wie bei anderen frühgeschichtlichen Neuerungen auch: In Kleinasien, der heutigen Türkei,

war bereits viel früher als bei uns die Eisentechnologie bekannt. Erst rund tausend Jahre später

fand sie dank der Kelten ihren Weg in unseren Raum.

Eisen wurde nach und nach zum wichtigsten Rohstoff für die Herstellung von Waffen und Werkzeug.

Darum wird die keltische Epoche auch als „Eisenzeit“ bezeichnet.


https://de.wikipedia.org/wiki/Kelten

https://de.wikipedia.org/wiki/Heuneburg


Advent

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Advent ist bekanntlich die Zeit der Einstimmung auf Weihnachten. Um diese Vorweihnachtszeit

ranken sich im schwäbischen Volksmund jedoch auch einige teils lustige Sprüche, Redensarten

und Wortspielereien. Hier eine kleine Auswahl.

Macht hoch die Tür … I komm noch glei.

(Macht hoch die Tür … Ich komme dann gleich.)

Mit diesem Begleitspruch hielt ein freundlicher Herr einer Dame eine Ladentüre auf.

Was wie ein kirchliches Adventslied anfängt, aber dann nicht wie vermutet weitergeht,

könnte, wenn auch scherzhaft, einem ganz anderen Kapitel zuzuordnen sein.

Das Augenzwinkern war danach ... War aber nur ein Späßle.

∙ Ouf s Silbr tritt i,

den hailigen Andreas bitt i,

er wolle mir lassen erschainen

den liebschten Mainen.

Auf‘s Silber trete ich,

den heiligen Andreas bitte ich,

er wolle mir lassen erscheinen

den liebsten Meinen.

(Ratzenried bei Wangen im Allgäu)

Der Sankt‐Andreas‐Tag (30.11.) liegt zeitlich nahe beim ersten Adventssonntag, mit dem das

Kirchenjahr beginnt. Also war der Andreas‐Tag ein beliebter Termin für versuchte Blicke in die

Zukunft. In diesem Fall traten wohl Mädchen im heiratsfähigen und ‐willigen Alter vor dem Zubettgehen

auf eine Silbermedaille und sagten obigen Spruch auf. Und weil‘s ein bisschen feierlich

zuging, ist er in nicht ganz hasenreinem Schwäbisch. Ob sie damit ihren Zukünftigen herausfinden

konnten, ist freilich nicht überliefert. Aber sie haben es offenbar immer wieder gehofft und

versucht.

Macht hoch die Tür: Hier bezogen auf den Kleinwagen Messerschmitt‐Kabinenroller, dessen

»Tür« zum Einsteigen nach oben aufging. Entsprechend mussten Fahrer und Mitfahrer von oben

ein‐ und auch nach oben wieder aussteigen. Und damit lag die Anspielung auf das kirchliche

Adventslied »Macht hoch die Tür!« nahe. 1950er‐ und 1960er‐Jahre. | Ludwig Dorner.


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Abfenz‐Outo (schwäbisch ausgesprochen)

Advents‐Auto

(Abb.: Wikipedia)


Advent und Weihnachtszeit in meiner Kindheit

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Meine Kindheit und Jugend bis einschließlich Studium verbrachte ich im oberschwäbischen

Weingarten. Weihnachten kündigte sich auch so an, dass am Vorabend von St. Nikolaus, also

am 5. Dezember, der Nikolaus höchstpersönlich in Begleitung von Knecht Ruprecht zu uns in

die Wohnung kam. Einmal hatte ich sogar ausgerechnet den „Wochadippl“ (Mumps) und lag

recht kränklich da, als „dr Gloos“ kam. Er las das Gute aus dem goldenen Buch und die kleinen

„Schandtaten“ aus dem schwarzen Buch vor. Bei diesen konnte Knecht Ruprecht mit der Rute

sachte über den Popo streichen, was als beeindruckende Maßnahme durchaus reichte. Und

dann gab es aus dem Rupfensack ein paar Geschenke: vielleicht zwei Mandarinen, eine Handvoll

Walnüsse, eine Orange sowie einen Lebkuchen mit aufgeklebtem Nikolausbildchen. Am andern

Tag teilte man sich noch einen Klosama (Hefeteig‐Nikolausmann) zum Eintunken in den Malzkaffee.

Adventskalender gab es zu meiner Kindheit auch. Wenn man täglich ein Türchen öffnete, guckte

ein kleines Bildle hervor. Das vom 24. Dezember war ein bisschen größer und hinter einem Doppeltürchen

versteckt.

Und jetzt folgt eine spätere Nikolaus‐Begebenheit. Da war ich schon Student an der Pädagogischen

Hochschule in meiner Heimatstadt. Damals gab es in Weingarten noch eine französische

Garnison: ein großes Kasernenareal, mehrere große Wohnblöcke für die Offiziere und ihre Familien,

ein französisches Kino, in das auch Deutsche reindurften, eine eigene Kapelle, in der

sonntags auf Französisch die Heilige Messe gefeiert wurde, und einen französischen Supermarkt,

in dem man als Deutscher nicht alles einkaufen durfte. Manche Waren (Zigaretten und Alkohol)

waren nämlich verbilligt und durften an Nicht‐Militärangehörige nicht abgegeben werden. War

mir übrigens egal. Die französischen Kinder gingen in ihre französische Grundschule in Weingarten,

und dann mussten sie nach Konstanz oder Freiburg an weiterführende französische

Schulen mit Internat wechseln.

In den meisten Gegenden in Frankreich kennt man den Brauch des Nikolausbesuchs nicht. Ein

guter Bekannter von mir organisierte über mehrere Jahre hinweg ein Nikolausgewand mit Mitra

und Krummstab, (Bischof) und für sich ein Knecht‐Ruprecht‐Gewand. Einige Tage vor Nikolaus

machten wir in französischer Sprache Anschläge an der Pinnwand in den Wohnblöcken der Franzosen

und kündigten das Kommen des Nikolaus an. Die Kinder sollten ein kleines Lied oder Gedicht

vorbereiten, und die Eltern die kleinen Sünden und guten Taten oder Eigenschaften für

den Nikolaus aufschreiben. Und wir wiesen höflich darauf hin, dass der Hl. Nikolaus nicht etwaige

Erziehungsfehler der Eltern mit Rutenhieben ausgleichen könne, und dass wir auch nicht

kleine Kinder in den Rupfensack stecken und mitnehmen würden. Die Eltern mögen vor der

Wohnungstür kleine Geschenke bereitlegen. — Und dann kamen wir als Nikolaus, wie es sich

gehört. Und die kleinen Franzosen waren genauso aufgeregt, sagten aber genauso artig ihre

kleinen Gedichte auf oder gaben ein kleines Lied zum Besten, natürlich alles auf Französisch.

Ich konnte es verstehen und auch fragen und antworten, während mein Knecht Ruprecht nur

Unverständliches in seinen Bart brummeln konnte, weil er kein Wort Französisch sprach.

Und nun wieder zurück in meine Kindheit zur Kindergartenzeit, aber jetzt an Heiligabend. Da

war es Brauch, dass unser Vater mit meiner Schwester und mir einen Spaziergang unternahm.


Die Mama blieb daheim. Unser Vater brachte es immer wieder fertig, dass wir zwei Kinder das

Christkindle am Himmel fliegen sahen. „Do, gugget, do isch es grad gfloga!“ Später war mir klar,

dass wir den Gockel auf dem Turm der evangelischen Stadtkirche im Mondlicht kurz aufblitzen

sahen, wenn er sich im Wind drehte — oder es auch nur meinten. Aber als jüngere Kinder waren

wir davon überzeugt. Und dann kamen wir heim, und siehe, am Christbaum brannten die Kerzen,

er war mit allem geschmückt, was dazugehörte, und Gschenkpäckla lagen auch darunter. Und

in der Stube war es gut warm. Jetzt war Weihnachten.

Die Abbildungen zeigen (neba Bredla) zwei Klosamaa aus Hefeteig und einen mit einem Bildle

beklebten Lebkuchen mit Zuckerguss, alles in Griesingen sichtbar hand‐ und hausgemacht.

Wer nach „Conrad David Arnold Weingarten“ googelt, erfährt Näheres zu meinem damaligen

Knecht Ruprecht. Im Gemeindebuch findet sich u. a. auf Seite 218 etwas zu Weihnachten in

Griesingen.


Neujahr — und anderes Neues

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Das neue Jahr liegt noch weitgehend vor uns. Vermutlich werden viele Menschen dem vergangenen

2020 nicht viele Tränen nachweinen. Zuviel war anders, ungewohnt, lästig, ärgerlich oder

auch bedrohlich.

Früher war bekanntlich auch nicht alles besser. Im Gemeindebuch steht auf Seite 239: „An

Stefanstag (2. Weihnachtsfeiertag) und an Neujahr 1933 [!!] führte der Militär‐ und Kriegerverein

Griesingen nachmittags mehrere Theaterstücke auf: „Weihnachten im Feindesland“, „Divisionsreserve“

und „Der Prestlingsgockel“. Das klang nicht alles so richtig nach friedlicher Weihnacht!“

Und es verhieß auch nichts Gutes für die anstehenden neuen Jahre.

Wir Menschen haben zuweilen die Neigung, vor ungewohntem Neuen etwas Bammel zu haben.

Was wird auf einen zukommen? Andererseits gibt es natürlich meist auch Gründe zu Hoffnung,

es möge 2021 auch Erfreuliches geschehen, möglichst sogar etwas mehr. Und so wird im

ortsüblichen Gruß „a goets Nuis“ (ein gutes Neues Jahr) diesmal vielleicht noch etwas mehr

Herzblut drinstecken als in anderen Jahren.

Die Abbildung (entstanden um 1920) zeigt auch etwas „Neues“, wie es damals eines war und

auch so bezeichnet wird: Die neue Schule. Es ist längst etwas Gutes für unsere Jugend daraus

geworden. Auch die anderen auf der Karte abgebildeten Gebäude haben inzwischen zu ihrem

Vorteil im Vergleich zu damals Neuerungen erfahren, und es ist ebenfalls Gutes daraus entstanden.

Seien wir um alles, was in unserer Gemeinde gut ist, froh und dankbar. Und nehmen wir die

Zukunftsfreude, die man aus der Abbildung herauslesen kann, als Muster für das jetzt

anstehende neue Jahr. Man muss nicht alles im Voraus wissen, aber man kann sich mit

Vorfreude, Zuversicht und eigenen besten Absichten darauf einlassen wollen.

Das kann den Alltag schöner oder mindestens erträglicher machen. In diesem Sinne für uns alle,

jünger oder älter: „a herzlichs goets Nuis!“ Und nochmals: Bx (= Bleib(et Se) xond! |


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Wintersport

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Ous dr Bah’ – d’ Halda na’!

Also dees war no zo denne Zeita, wo ma moit, s häb no mai Schnai gheet wie heitzedag.

[Also das war noch zu denjenigen Zeiten, von denen man meint, es habe noch mehr Schnee

gehabt als heutzutage.]

Ob das so ganz stimmt? Immerhin ist die Redensart „Weihnachten im Klee — Ostern im Schnee“

so ganz neu ja nicht. Es hat also wohl schon immer schneeärmere und schneereichere Winter

gegeben. Das bestätigen auch die Klimaforscher, die gleichwohl zu diesem Thema bekanntlich

noch allerhand mehr zu berichten wissen.

Wenn genügend Schnee lag, konnte man auch hier ausgiebig Wintersport betreiben. Skiausfahrten

in die Berge, wie es jetzt auch schon seit langem üblich ist, waren früher eher ungebräuchlich,

ja meist undenkbar. Auch ohne Corona.

Man begnügte sich mit dem, was es zu Hause gab. Man fuhr mit dem Schlitten „d’ Haie naa“

(die heutige Höhenstraße hinunter). Man rodelte auch den „Kirchaberg“ und gleich anschließend

„d’ Hohlgass naa“.

Zu meiner Kindheit im Schussental rief man dort „Bah‘ frei, Kartofflbrei ...“ Und wenn noch Zeit

war, ergänzten wir weiter im Singsang „… und a Schdiggle Wurschd drbei!“ Das hat sich alles

gereimt, wie in Griesingen auch – siehe Überschrift.

Mit dem Ruf „Ous dr Bah’ – d’ Halda na’!“ versuchte man sich in Griesingen an der „Halde“ Platz

zu schaffen. Hei – das war eine Freude, im „Doppeldecker“ hangabwärts zu „fliegen“: Zu mehreren

übereinander auf einem Schlitten, und der Hund noch obendrauf, was für ein Gejauchze

... Freilich, der Rückweg bergauf war lang und mühsam. Ob da der Hund manchmal mithelfen

musste?

Wagnermeister Wiget („Eschenwangers“) hatte als erster im Dorf Skier angefertigt. Sie waren

ein heiß ersehnter Artikel, den sich aber noch lange nicht jeder leisten konnte oder wollte. Auf

den zugefrorenen Altwasserarmen der Donau wurde Eishockey gespielt.

Die Abbildungen aus dem Gemeindebuch Seite 295 zeigen, dass Wintersport und Winterfreude

fast keine Altersbegrenzung kannten. Und der „Liesgaul“ durfte mit ein paar Schlitten hintereinander

auch keine Mühe gehabt haben.


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Die Mutter ist sauer

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Und das soll sie sogar! Und zwar so richtig sauer. Denn wenn der eigene Most irgendwann nicht

mehr richtig schmecken will und eher nach Essig zu riechen anfängt, dann schlägt die Stunde

der Feinschmecker: Lässt man den Most bei Luftzufuhr stehen, so verwandelt er sich allmählich

in Essig. Dabei bildet sich aus Essigbakterien, die überall in der Luft sind, im Mostfass allmählich

eine sogenannte Essigmutter. Diese sieht aus und fühlt sich an wie eine gallertartige Masse

(Abbildung, Wikipedia). Sie wächst und wächst unendlich weiter und wandelt dabei den Most

in einen milden Apfelessig um. Ab und zu muss man Teile der Essigmutter abtrennen und

entsorgen, sonst würde das Essigfass damit zuwachsen.

Wenn der Essigvorrat bis zur nächsten Saison reicht, kann man neuen übrigen Most jederzeit

nachfüllen. Es gibt auch in Griesingen Leute, die erzeugen auf diese Weise schon seit Jahrzehnten

ohne Unterbrechung ihren eigenen Essig. Wenn ein freundlicher Nachbar noch alten Most

übrighat, wird der gerne auch hinzugegeben, und auch in diesem Fall kann man annehmen,

dass man weiß, was drin ist. Reine Natur. Da darf die Essigmutter gerne sauer sein oder sich

„schwabbelig“ anfühlen! Da ist nichts Unappetitliches dran. Nur sollte man im selben Fass nächstes

Jahr nicht wieder Most machen wollen. Der Essig sollte in einem anderen Behältnis reifen.

Seinen Essigbedarf für den Gebrauch füllt man in eine Glaskanne, deckt diese mit einem Tuch

ab und lässt den neuen Essig noch eine kleine Weile an einem wärmeren Ort (zum Beispiel oben

auf dem Küchenschrank) weiter reifen. Auch darin lebt dann eine Essigmutter. Alsdann füllt man

den Essig durch ein Sieb in Flaschen mit Verschluss. Fertig zum Salat anmachen!

Wer Näheres wissen will, darf uns gerne fragen. Unter dem Stichwort „Küfer“ findet sich im

Gemeindebuch ab Seite 107 auch etwas zum Gebrauch des Mosts.

https://de.wikipedia.org/wiki/Essigmutter


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Fasnet — Soubloter und Schmalzkiachla

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Viele kennen vielleicht noch den alten Kinderreim:

Lustig ist die Fasenacht, wenn mai Muettr Kiachla bacht,

wenn sie aber kaine bacht, frait mich kaine Fasenacht.

Was haben Schmalzküchlein, die man auch in Griesingen kennt, mit der Fastnacht zu tun?

Nun, nach Lehre der katholischen Kirche beginnt die Fastenzeit am Aschermittwoch und dauert

bis Ostern. In der Fastenzeit war Vieles untersagt, nicht nur beim Essen und Trinken. Wir reden

jetzt vom 16.‐19. Jahrhundert und noch bis ins 20. hinein.

Also sorgten damals die Menschen kurz vor Fastenbeginn für ein Schlachtfest. Ein Schwein

wurde geschlachtet. Es gab für einige Tage viel Fleisch, das auch alsbald zum größeren Teil

verzehrt werden musste. Es gab früher ja keine Kühlmöglichkeiten. Ein anderer Teil wurde zu

Wurst verarbeitet und ebenso wie Teile des Fleisches geräuchert und luftgetrocknet.

Andere Methoden der Haltbarmachung waren damals nicht bekannt. Es gab also kurz vor der

„drohenden“ Fastenzeit reichlich Grund für ein Fest: Essen, Trinken, Tanz, Musik und allerlei

Lustbarkeiten – die Fasnet!

Und da die damaligen Schweine wie gewünscht viel Fett an sich hatten, gab es auch viel Schmalz,

das man täglich in der Küche verwendete. Man konnte nun in heißem Schmalz Gebackenes herstellen

und sich daran in überaus reichem Maße erfreuen.

Unsere badischen Nachbarn nennen den Glombiga in der Tat lieber Schmotziga Dunnschdig,

also den Donnerstag, an dem Schmotziges, d.h. Fettes, also Schmalzgebackenes, verzehrt wird.

Das Gesicht mit Schmalz einzureiben und dann in eine Schüssel voll Mehl zu blasen ergab zudem

eine einfache und billige Fastnachtsmaske.

Dies tut man heute noch z. B. bei den Geltentrommler‐Narren in Waldshut‐Tiengen am Hochrhein.

Mit jeder Schlachtung fielen auch Schweineharnblasen an (im Dialekt „Soublotr“ geheißen).

Diese werden zunächst gewässert (Geruch!), dann getrocknet und mit Luft aufgeblasen und

dienen in vielen schwäbisch‐alemannischen Narrenorten als närrisches Neckinstrument.

Die Abbildungen zeigen einen Weingärtler rotweißen Plätzler (es gibt auch andersfarbene)

mit Soublotera und einen Teller mit Schmalzkiachla aus Griesingen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schwäbisch‐alemannische_Fastnacht

https://www.plaetzlerzunft.de/die‐zunft/plaetzler/

https://www.suedkurier.de/region/hochrhein/waldshut‐tiengen/fastnacht/neuaufnahmen‐beider‐narro‐zunft‐waldshut‐18‐weisse‐gesichter‐auf‐dem‐monitor;art1369011,10663998


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Fasnet in alten Zeiten

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Fasnet (auch Fasnacht oder Fastnacht) gibt es schon sehr lange Zeit, auch als es in Städten noch

keine Narrenzünfte und auf dem Land keine organisierten Narrenvereinigungen wie auch in

Griesingen gab.

Ob man nun mit Rufen, Schellengeklingel, Peitschenknallen und „wildem Getue“ die dunklen

und kalten Mächte des Winters verjagen wollte, weiß man nicht so genau. Aber denkbar wäre

es schon. Die Fastnachtsforschung, vor allem Prof. Dr. Werner Mezger, bekannt durch die

SWR‐Fernsehübertragung von Narrentreffen, betont freilich, dass fastnächtliches Brauchtum

vor allem in den Klöstern des Mittelalters aufgekommen sei. Insbesondere die jugendlichen

Klosterschüler hätten sich einen Tag vor Aschermittwoch unter Duldung (und vielleicht heimlichem

Augenzwinkern der geistlichen Oberen) einige Frechheiten herausnehmen dürfen.

Sie durften mal Dampf ablassen. Sie durften vielleicht die eine oder andere Schwäche ihrer

geistlichen Lehrer aufs Korn nehmen, aber auch alte und abgetragene geistliche Gewänder

anziehen und Prozessionen und Gottesdienstrituale spöttisch nachahmen, um vielleicht damit

einen Pater wegen skurriler Eigenheiten oder menschlicher Schwächen zu veräppeln. Für die

Zeit vor dem strengen Fasten war es für den einen Tag im Jahr erlaubt, der in Kalendern als

Fasnacht vermerkt ist. Am nächsten Tag war „Aschermittwoch und alles vorbei“, wie es im Lied

heißt.

Nun waren die Klöster immer auch Vorbild für die Menschen im Umland. Auch in den Städten

und auf den Dörfern gab es eine närrische Zeit. Am bromigen Freitag (siehe unten) beschmierte

man sein Gesicht mit etwas schwarzem Ruß und hatte so eine Art Maske. Die Menschen verkleideten

sich irgendwie „verrückt“, zogen durchs Dorf, es gab vor dem langen Fasten nochmals

reichlich zu essen und zu trinken. Die Burschen machten sich einen Spaß daraus, den Mädchen

nachzujagen und ihnen einen schwarzen Strich ins Gesicht zu malen. Diese rannten kreischend

davon, aber manchmal vielleicht nicht gar zu schnell, damit sie wie versehentlich auch mal eingeholt

werden konnten … Vielleicht ging man anschließend noch in Nachbarorte, um auch dort

Schabernack zu treiben. Die Einkehr spätnachmittags ins Wirtshaus mit Musik und Tanz durfte

nicht fehlen. Oft wurden dabei auch Vorkommnisse aus dem vergangenen Jahr öffentlich durch

den Kakao gezogen. Lustig war’s.

Wikipedia weiß: „Als Rußigen Freitag bezeichnet man den Freitag vor Aschermittwoch, also

nach dem Schmotzigen Donnerstag und vor dem Schmalzigen Samstag. Der Begriff wird

vornehmlich in der schwäbisch‐alemannischen Fastnacht (das heißt in Baden‐Württemberg,

Vorarlberg und der Schweiz) verwendet, aber auch im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben.

Der Name stammt daher, dass früher an diesem Tag die Narren versucht haben, Leuten Ruß ins

Gesicht zu schmieren. Heutzutage ist der Brauch bei Kindern noch sehr beliebt. Ein Mädchen,

das bei mir in der 8. und dann 9. Klasse war, fragte mich höflich jeweils tags zuvor, ob sie mir

einen Strich auf die Stirn malen dürfe. Sie durfte natürlich …

In Oberschwaben und Vorarlberg heißt der Tag nach dem Glombiga, den man dort den „Gumpigen

Donnschdig“ nennt, auch Bromiger Freitag: An diesem Tag schwärzten früher die Buben

den Mädchen das Gesicht mit Ruß ...“ Mit „Brombeeren hat das nichts zu tun, wie Wikipedia

hier ausnahmsweise zunächst irrte.


Hermann Wax weiß in seinem Buch „Etymologie des Schwäbischen“, und ich weiß es auch seit

Kindheitstagen, dass Brom (oder auch B{e}ram oder Bram) ein altes schwäbisches Wort für Ruß

ist. Dies ist inzwischen auch bei Wikipedia ergänzt.

Im Gemeindebuch wird ab Seite 151 die Griesinger Fasnet früherer Jahrzehnte in Wort und Bild

dargestellt.

Am Aschermittwoch ging man zum Gottesdienst, bekam Asche auf die Stirn gestreut und wurde

daran erinnert, dass der Mensch sterblich sei: „memento mori“.

Die Fastenzeit dauerte bis Ostern.

Die Abbildung der Griesinger „Fasnetsmädla“ ist leider ohne Jahrgang überliefert. Weiß jemand

Näheres? Die fröhliche Musikkapelle war 1962 unterwegs. Offensichtlich waren auch einige

Ehinger Narren zu Gast.

https://de.wikipedia.org/wiki/Rußiger_Freitag

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Bonta ond Facklafuier

(„Spunten“ und Funkenfeuer)

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Das Fackelfeuer heißt vielerorts Funkenfeuer. In vielen oberschwäbischen Orten wird am Abend

des Funkensonntags oder bereits am Vorabend ein Funken(‐feuer) abgebrannt. An der oberschwäbischen

Donau sagt man auch Fackla (Fackeln) oder Facklafuier (Fackelfeuer) dazu. Das

ist in allen Fällen ein großer Holzstoß, vielleicht mit Strohballen ergänzt, so dass die Funken

schön stieben können. Daher wohl auch die Bezeichnung „Funken“ für dieses Feuer. Manchmal

wird oben an einer Stange eine menschenähnliche Gestalt befestigt. Ein altes Kleidungsstück

wird mit Stroh ausgestopft und brennt, wenn es von den Flammen erfasst wird, lichterloh. Damit

soll vielleicht symbolisch der kalte und dunkle Winter verbrannt werden. Und zugleich könnten

im Laufe von Herbst und Winter abgefallene dürre Äste, Reisig und Ähnliches entsorgt werden.

Oft bieten Vereine Getränke und Grillgut zum Verkauf an und erhoffen sich somit einen kleinen

Ausgleich für die tagelangen Mühen, die mit dem Einsammeln des Brennholzes, darunter auch

die ausgedienten Christbäume, und dem Aufschichten des Holzstoßes verbunden waren.

Außerdem sollen sie darauf achten, dass keine umweltbelastenden Materialien wie zum Beispiel

Altreifen oder behandeltes Holz in den Stapel eingeschmuggelt werden.

Zuvor muss also immer jemand die Arbeit auf sich nehmen und hinterher auch wieder aufräumen

wollen. Und so kommt es, dass wie auch in Griesingen in manchen Jahren ein Facklafuier

abgebrannt wurde und dann auch wieder nicht. Oder Corona macht es nicht möglich.

Funkensonntag ist immer der Sonntag nach Aschermittwoch. Mancherorts wird um den Funken

getanzt oder es gibt spezielles Gebäck beim Bäcker zu kaufen, oder es wird in Lokalen darum

gewürfelt: Funkenbrezeln oder Funkenringe. Zuweilen gibt es am Funkensonntag auch den

Brauch des Scheibenschlagens. Näheres dazu gibt es bei Wikipedia nachzulesen.

Bonta, die älteren Griesinger erinnern sich, waren Blecheimer, die zum Anlass des Facklafuiers

mit allerlei brennbarem Material getränkt und gefüllt, am Ort des Facklafuiers entzündet und

an einer längeren Schnur im Kreis geschwungen wurden. Dabei stoben die Funken, und es soll

zuweilen, je nach verwendetem Material (auch mal Altöl!) mächtig gequalmt und gestunken

haben. Tags darauf sah man deswegen an manchen Häusern Klamotten zum Auslüften aufgehängt.

Außerdem zog man sowieso tunlichst was Altes an, falls durch Funkenflug Löchlein in

Jacke oder Hose gebrannt würden. Beim Facklafuier des 1250‐Jahrjubiläums wurde der Brauch

des Bonta‐Schwingens kurzfristig wiederbelebt – natürlich umweltgerecht! (Abbildung)

Manche mögen sich schon gefragt haben, woher das Wort „Bonta“ eigentlich herrührt. Im Buch

„Etymologie des Schwäbischen“ von Hermann Wax werden wir fündig. Es sei eine Nebenform

von „Spunt“, den man ins Fass zum Verschließen einschlägt. Von „da Schbonta schla“ (den Spund

[ein]schlagen) entstand die weitere Bedeutung „den Bonta schwenken“. Das Anfangs‐S muss

irgendwann verlorengegangen sein. Damit sind wir glücklich beim Griesinger Facklafuier‐Bonta

angekommen. Die Aufnahmen zur Fackla‐Brauchtumspflege sind vom Jahr 2009 (Gemeindebuch

Seite 57).


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Fastenzeiten

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Fasten kann man auf verschiedene Arten und aus verschiedenen Gründen. In früheren Jahrzehnten

und Jahrhunderten war es von den Regeln her relativ einfach. Da schrieb hierzulande

die katholische Kirche den Gläubigen vor, was erlaubt war und was nicht. „Die vierzigtägige

Fastenzeit der römisch‐katholischen Kirche ist als österliche Bußzeit bestimmt und dient der

Vorbereitung auf die Feier des Todes und der Auferstehung Christi. … Die Fastenzeit dauert von

Aschermittwoch bis zum Beginn der Messe vom letzten Abendmahl am Gründonnerstag.

Ab Karfreitag bis zur Osternachtfeier schließt sich das Osterfasten an, als Trauerfasten zum

Gedächtnis der Passion und der Grabesruhe Christi und zur Vorbereitung der Taufe oder

Erneuerung der Taufversprechen in der Osternacht.“ So steht es bei Wikipedia. Die Adventszeit

galt überdies früher zusätzlich als „kleine“ Fastenzeit.

„Im Lauf der Geschichte des Christentums haben sich die Regeln und Verbote zur Fastenzeit

immer wieder geändert. So legte Papst Gregor I. im Jahr 590 fest, dass in der Fastenzeit vor Ostern

der Verzehr von warmblütigen Tieren verboten ist. Auch andere tierische Produkte wie

Eier, Milch, Butter und Käse sowie Alkohol standen auf der Verbotsliste. Außerdem war nur eine

Mahlzeit am Tag erlaubt. Diese Fastenregeln hatten über mehrere Jahrhunderte Bestand, bis

sie Mitte des 16. Jahrhunderts von Papst Julius III. gelockert wurden und nur noch auf Fleisch

verzichtet werden sollte. Fisch, Mehlspeisen und viel vegetarische Kost standen fortan auf den

Speisezetteln.“ (Quelle: siehe unten)

Freilich, keine Regel ohne Ausnahme. So heißt es in derselben Quelle: „Die Fastenzeit vor Ostern

war nicht die einzige Zeit im Kirchenjahr, zu der gefastet werden sollte – im Mittelalter gab es

bis zu 130 Fastentage. Doch gerade im Mittelalter war der Alltag der Menschen von schwerer

körperlicher Arbeit geprägt und sie waren auf kalorienreiche, nahrhafte Speisen angewiesen.

Frei nach dem Motto »Zu jedem Verbot gibt es Ausnahmen« wurden vor allem in den Klöstern

hilfreiche Tricks erdacht, um die strengen Fastenregeln zu umgehen. So wurden Vögel und

Geflügel kurzerhand zu Wassertieren erklärt und als solche mit Fischen gleichgesetzt, weil sie

laut der Schöpfungsgeschichte am selben Tag erschaffen wurden. Auch Biber zählten wegen

ihres geschuppten Schwanzes zu den Fischen.“

Martin Luther (Augustinermönch) schien seine Pappenheimer zu kennen: „Ich will jetzt davon

schweigen, dass manche so fasten, dass sie sich dennoch vollsaufen; dass manche so reichlich

mit Fischen und anderen Speisen fasten, dass sie mit Fleisch, Eiern und Butter dem Fasten viel

näher kämen … Wenn nun jemand fände, dass auf Fische hin sich mehr Mutwillen regte in seinem

Fleisch als auf Eier und Fleisch hin, so soll er Fleisch und nicht Eier essen. Andererseits,

wenn er fände, dass ihm vom Fasten der Kopf wüst und toll oder der Leib und der Magen

verderbt würde […], so soll er das Fasten ganz gehen lassen und essen, schlafen, müßig gehen,

so viel ihm zur Gesundheit nötig ist. — Deutlich wird aus diesem Zitat, dass Luther das Fasten

als eine Art individuelles Trainingsprogramm versteht. Daher kann nicht das gleiche Verzichtsverhalten

allen gleichermaßen empfohlen oder gar verordnet werden.“

Heute sieht es auch katholisch‐kirchlicherseits anders aus: „Was genau gefastet oder als

Freitagsopfer erbracht werden soll, wird in der Fastenordnung nicht detailliert festgehalten.

Stattdessen gibt es verschiedenen Vorschläge: Verzicht auf Fleisch, spürbare Einschränkungen


im Konsum, Verzicht auf Genussmittel sowie Werke der Nächstenliebe oder ein Geldopfer für

Notleidende.“ Oder gerade zu Coronazeiten vermehrt Kontaktpflege zu Alleinstehenden. Und

so kann man sich ein Stück weit selber aussuchen, in welcher Form man dem Gebot folgen will.

Es gibt auch moderne Vorschläge: Handybenutzung oder Fernsehen einschränken, oder weder

Zucker noch Milch in den Kaffee tun, auf Kuchen verzichten usw. Siehe Gemeindebuch S. 66.

Fastenzeiten und ‐regeln gibt es auch in anderen Kulturen und Religionen. Zum religiösen Fasten

(„Saum“) im Islam heißt es: „Das Fasten während des Ramadan gehört zu den fünf Säulen

(Grundpflichten) des Islams. Für alle erwachsenen und gesunden Muslime ist das Fasten

während des gesamten Monates Ramadan im Normalfall verpflichtend [es gibt Ausnahmen].

Hierbei nehmen die Fastenden täglich zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang

keine Nahrungs‐ oder Genussmittel zu sich und dürfen keinen Geschlechtsverkehr haben.“

Da heißt es, erst recht, wenn der Ramadan auf einen Sommermonat fällt, sehr früh zu einem

Frühstück aufzustehen. Manche legen sich danach nochmals ins Bett. Und es wird dann bis Sonnenuntergang

ein sehr langer Schul‐ oder Arbeitstag so ganz ohne jegliches Essen und Trinken.

Kein Wunder, wenn man nach Sonnenuntergang dann herzhaft zugreift. Mir erzählten türkische

Schülerinnen, die (noch minderjährig) das Fasten freiwillig ziemlich konsequent einhielten, dass

sie leider nie dabei abnehmen würden. Es wäre so ein schöner Nebeneffekt gewesen, meinten

sie schmunzelnd … Auch im Islam wird von den Gläubigen erwartet, dass im Rahmen des

Fastenmonats für Bedürftige gespendet wird. Dies gilt als moderne Form. Früher wurde persönlich

bekannten Armen direkt etwas vom Essen abgegeben. Gegenseitige Essenseinladungen

nach Sonnenuntergang als Freundschaftsbezeugungen spielen auch bei hiesigen Muslimen eine

große Rolle. — Eine Abbildung zeigt Biberacher Fastenbrezeln (kurz „Faschta“ genannt), die

andere einige Köstlichkeiten zum abendlichen Ende des „Tagsüber‐Fastens“ (sog. Fastenbrechen)

bei Muslimen; Copyright.

https://cms.vivat.de/themenwelten/jahreskreis/fastenzeit/fastenspeisen.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Fastenzeit

https://de.wikipedia.org/wiki/Fasten

https://www.hefe-und-mehr.de/2019/02/biberacher-fastenbrezel/

https://de.wikipedia.org/wiki/Ramadan

https://de.wikipedia.org/wiki/Saum_(Islam)

https://www.misereor.de/informieren

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Flurnamen

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Flurnamen bezeichnen bestimmte unbebaute Teile der Gemarkung einer Stadt oder Gemeinde

und dienen ihrer Unterscheidung. So ist es auch in Griesingen. Mit dem Rückgang der Landwirtschaft

schwinden Alltags‐Bedeutung und Bekanntheitsgrad.

„Flurnamen sind nicht zufällig. Sie sind aus ganz alltäglichen praktischen Erwägungen heraus

entstanden und dienten der eindeutigen Zuordnung bestimmter Markungsbereiche. Jeder im

Dorf musste genau wissen, welches Stück Land gemeint war.“ (Gemeindebuch Seite 165).

Flurnamen unterliegen zuweilen aber auch einem Wechsel. Manche tauchen in alten Landkarten

auf, in neueren hingegen nicht, oder umgekehrt, weil sich zum Beispiel Bedarf oder Besitzverhältnisse

ändern. Hier folgen beispielhaft einige Griesinger Flurnamen oder Namensbestandteile.

Viele sind nicht selbsterklärend. Sie bedeuten:

• den anfänglichen Besitzer („Ehrat“ vom Vornamen Erhard)

• die Bebauung („Taie“ [sprich „Doie“] keltischen Ursprungs: für Hütte, Unterstand)

• die Besitzverhältnisse („Breit‐“ ein Vermögender, „Himmelreich“ kirchlicher Besitz)

• die Bodenbeschaffenheit („Ried“ [feucht], „Höll“ [schlecht])

• die Rodung (Abholzung) („‐hau“, „Reut‐“, „Stock‐“)

• die Höhenlage („Unter‐“, „Oberes …“)

• die Lage in der Landschaft („Hinter dem Berg“)

• die Lage zum Ort („Hinter dem Dorf“)

• die Landschaftsform („Ebene“, „Halde“, „Rein“, „Steig‐“)

• die Nutzungsart („Schinder‐“, „Hummel‐“ [= Häge], „‐äcker“, „‐gärten“)

• menschliche Bearbeitung („Schlung‐“; verschließbare Öffnung im Wassergraben)

• eine markante und für alle bedeutsame Stelle („Rötleh‐“)

• a) die Grundstücksform („Lang‐“, „Kurz‐“)

• b) die Nähe markanter Stellen („Felben‐“) [Felbe = Weidenbaum]

• c) die Aufteilung der Allmende in kleinere Parzellen („‐teile“)

• eine Kombination (a‐c) aus den drei vorigen („Lang/Birke/Teile“): „Lange Birkenteile“

Nun lesen Sie eine Liste der Griesinger Flurnamen: Am Griesinger Wald, Am Nasgenstadter See,

Alte Viehweidteile, Banzäcker, Beim Oberholz, Bibellies/Bibellüß, Blinder Espan, Bloßäcker,

Breitenweiher, Breitwiesen, Brenntehau, Brühl, Bühl, Donauwiesen, Ebene, Eichenwäldle, Ehrat,

Felbengärtlesäcker, Felbengärtlesteile, Forchenteile, Gemeindehecke, Gemeiner Trieb, Greut,

Hägele, Halde(n), Haugenbrunnen, Himmelreich, Hinter dem Berg, Hinter dem Dorf, Hinter der

Zehntscheuer, Hohenrain, Hölle, Hummelberg, Jau, Kälberweide, Kammerwiesen, Kapellenberg,

Kleebühl, Kräutergarten(‐äcker), Krummer See, Kurzgelände (Pfaffental), Kurze Schlunggärten,

Lange Birkenteile, Lange Rötel, Lange Schlunggärten, Lüssen, Lüßwiesen, Oberes Ehrat, Oberholz,

Pfaffental, Ried, Riedäcker, Rötenleh/Rötleh, Schindergrub, Schinderwasen, Steglache,

Steigäcker, Stockäcker, Stockert, Stockertäcker, Suhau, Taie, Untere Au, Untere Straßenteile,

Unteres Ehrat, Unteres Greut, Waset, Wiesenbrünnle (Pfaffental), Zigeunerhof.

In jüngerer Zeit werden Flurnamen auch in Griesingen zu Namen für Straßen („Steigäcker“) oder

Wege („Bühlweg“, „Rötlehweg“). In Ehingen kennen wir als Stadtteil‐ und zugleich Straßennamen

Wenzelstein, Längenfeld und etliche weitere Straßen, die ganz eindeutig aus Flur‐ oder


Waldparzellennamen heraus entstanden sind, z. B. Rothäuleweg, Am Großholz, Hirtenhau und

Wittumweg (= ehem. kirchlicher Besitz). In Nasgenstadt gibt es zum Beispiel die Straßen Gollenäcker

und Haldenstraße.

Auch im benachbarten Öpfingen gibt es Straßennamen, die sicher aus Flurnamen entstanden

sind: Herrschaftsäcker, Hinter den Hopfengärten, Sonnenhalde und Unteres Greut. In Oberdischingen

gibt es Am Hägele, Am Hopfengarten, Banzengasse, Breitenweg, Holzgasse, Höllgasse,

Im Eschle und Riedstraße.

Für Straßennamen, die aus Flurnamen entstanden sind, ist dies oft ihre einzige Möglichkeit,

nicht in Vergessenheit zu geraten, wenn statt des arbeitenden Land‐ oder Forstwirts längst der

Gartenrasenmäher in Aktion trat. Oder es entstand darauf ein Gewerbegebiet: Erbach („Oberer

Luß“), Öpfingen („Burren“), Schemmerhofen („Reuteäcker“ und „Eichelsteige“).

Etliche der Griesinger Flurnamen werden im Laufe dieser Artikelserie noch näher besprochen.

Eine Abbildung zeigt die auflaufende Saat in der Flur „Felbengärtlesäcker“, die andere ist selbsterklärend.

https://schlehen.hypotheses.org/flurnamen/flurnamen-im-alltag

https://schlehen.hypotheses.org/files/2012/01/flurnamenlexikon-baden-wc3bcrttemberg.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Grenzstein (Markstein)

https://www.leo-bw.de/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/DOKUMENT/lmb_museen/1841/

Grenzsteinmuseum+Ostrach

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Ehrat, Felbengärtlesäcker und ‐teile

drei Griesinger Flurnamen

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Ehrat sprich [erret] — Kommt insgesamt dreifach vor (zweimal mit Zusatz): An der östlichen

Markungsgrenze, Rißtissen zu, entlang der Landstraße auf der rechten (südlichen) Seite.

Benachbart: Lange Birkenteile, Kurze Schlunggärten, Krautgartenäcker, Oberes Ehrat, Unteres

Ehrat, Untere Straßenteile.

Die Herkunft des Flurnamens konnte nicht eindeutig geklärt werden. Am Wahrscheinlichsten

ist jedoch die Deutung, dass der Rufname „Ehrhard“ oder „Erhard“ eines anfänglichen Besitzers

den Ausschlag gab. Es sind – wenn auch nicht gerade in Griesingen – insgesamt sehr oft

Personennamen zum Ursprung von Flurnamen geworden. Diese Erklärung ist einfach. Bei den

beiden folgenden müssen wir unseren Grips ein wenig mehr bemühen. Aber keine Bange: zuletzt

ist alles logisch.

Felbengärtlesäcker — Auf der Kreisstraße von Griesingen in Richtung Altbierlingen bei der

Baumgruppe am Frauenbund‐Wegkreuz geradeaus (südlich) den Feldweg hinunter, und gleich

wieder links (nach Osten) in den Feldweg einbiegen, so liegen die Felbengärtlesäcker gleich

anschließend links (nördlich) davon. Benachbart: Bibellüß, Hummelberg, Felbengärtlesteile,

Hinter dem Berg.

Felbe ist ein älteres Wort für Weidenbaum. „Felberlein“, schwäbisch Felberla oder „Felberkraut“

sind aber auch Wolfsmilchgewächse, tief wurzelnd und kaum auszurotten. Und diese sollen gerade

auch in dem Gewann noch lange kräftig gediehen sein, sogar trotz Spritzens, schilderte

mir Alt‐Bürgermeister Karl Müller †, selber ja auch ein erfahrener Landwirt.

Garten (auch „Gärtle“) bedeutete „eingezäunt“ (siehe nachstehend). Die Felbengärtlesäcker

müssen also Felder gewesen sein, die bei eingezäuntem Gartenland lagen, das nach Weidenbäumen

benannt wurde. Die Umzäunung diente als Schutz gegen Wildfraß. Und vielleicht auch,

um zu zeigen: „Der Gaata ghait eis!“ (Dieser Garten gehört uns!).

Siehe hierzu auch die nette Entstehungsgeschichte der Bad Cannstatter Narrenfigur „Felbenköpfe“,

wo sie Kopfweiden im Nebel für den heranrückenden Gegner gehalten haben sollen.

(Quelle: siehe unten).

Felbengärtlesteile — Auf der Kreisstraße nach Altbierlingen bei der Baumgruppe mit Wegkreuz

am Frauenbund‐Wegkreuz geradeaus in den abfallenden Feldweg, dann sogleich wieder nach

links (Osten) in den anderen Feldweg einbiegen. Nun liegen die Felbengärtlesteile gleich

anschließend rechts (südlich) davon. Auf dieser Parzelle befinden sich wieder wie früher teilweise

Kleingärten. Ein Wassergraben bot sich einst zum Wasserschöpfen und Gießen – und zum

Abkühlen an. „Teile“ sind meist kleine Stücke aus der Allmende. Allmende heißen die von der

Dorfgemeinschaft gemeinsam bewirtschafteten landwirtschaftlichen Grundstücke.

Das Nutzungsrecht wurde verlost. Daher sagte man auch Losteile oder Allmendteile.

Die Felbengärtlesteile müssen also durch Los zugewiesenes eingezäuntes Gartenland als Anteil

an der Allmende gewesen sein, das bei den Felbengärtlesäckern liegt (siehe oben).

Das mag sich erst etwas kompliziert anhören, ist aber dann doch logisch. Eine Abbildung zeigt


eine der namengebenden Weiden, die inzwischen einem Blitzschlag zum Opfer gefallen sind.

Die andere zeigt die Gewanne Ehrat (von Rißtissen her gesehen links der Straße), Oberes und

Unteres Ehrat (rechts der Straße).

https://de.wikipedia.org/wiki/Allmende

https://www.kuebelesmarkt.de/fasnetfelbe.html


Vom Oberholz zur Unteren Au

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Unter den Griesinger Flurnamen gibt es auch einige, die das Wort „Wasser“ zwar nicht enthalten,

aber doch dessen Vorkommen anzeigen oder vermuten lassen:

Beim Oberholz: Betonung auf [‚‐holz‘]. Fast am westlichen Markungsrand, Berg zu, nördlich

des „Berger Weges“. „Ober‐“ kann die höhere Lage (vgl. „Nieder‐“ oder „Unter‐“) bedeuten.

„Ober‐“ kann aber auch von „Ob“ abgeleitet sein, und dieses käme von „Au “, was „Wiese“

und auch „durch Bäche oder Gräben abgesondertes Land“ bedeutet. Und siehe da:

Ausgerechnet auf dieser ziemlich hoch gelegenen Fläche führt der Erdboden dank einer

undurchlässigen Schicht reichlich Wasser. Es mussten daher zur Entwässerung noch vor

wenigen Jahrzehnten Drainagerohre verlegt werden. Der Namensbestandteil ‚‐holz‘ deute

auf eine anfängliche Rodung einer Waldfläche hin. Dies wird in einem anderen Beitrag

dieser Reihe dargestellt.

Brühl: In nördlicher Richtung, Markung Gamerschwang zu. „In Oberschwaben hat fast jedes

Dorf seinen Brühl. Dort versteht man darunter Wässerwiesen“ (künstlich bewässerte

Wiesen); (Buck, Fischer). Keinath schreibt: „Brüel, in der Niederung, an einem Fluss oder

Bach gelegen, Ort oder Vorplatz eines Orts, wo einst ein Gehölz, eine Viehweide war, später

meist in gutes [mähbares] Wiesenland verwandelt, auch sumpfige und Wässerwiese.“

Haugenbrunnen: Östlich in Verlängerung der Waldstraße, etwa auf halber Strecke bis zum

Waldrand. „Haug“ bedeutet Hügel, und „Brunnen“ weist auf mehrere dort befindliche

Quellen hin, also „Hügelbrunnen“. Kein Wunder: Die Flur liegt am Fuße eines Hügels, der

vom Dorf her abfällt. Siehe auch den nächsten Abschnitt.

Kurze Schlunggärten: Gesprochen [kuuze Schlunget], ohne „‐gärten“. Südlich (rechts) der

Straße nach Rißtissen, etwa auf halber Strecke vom Ortsrand zur Abzweigung nach Öpfingen.

Die Deutung von „Schlung“ erscheint zunächst nur schwer möglich, denn fast alle

Quellen verweisen auf eine wenig überzeugende Herkunft dieses Namens: „Schlung“,

abgeleitet von „Schlieng“, käme von der heimischen Fischart Schleie. Dazu ist die Donau

aber wohl zu weit entfernt. Freilich befand sich aber nicht weit davon eine Quelle im

Gewann „Haugenbrunnen“, und in den wasserführenden Gräben sollen auch schon kleine

Forellen und wohl auch andere Fischlein gesehen worden sein. Vielleicht kommt die

Bezeichnung aus der Zeit der noch unregulierten Donau, die viel näher an Griesingen

heranreichte?

Eine weitere Deutung: Schlundgraben bedeutete einst Wassergraben, und ein Schlundloch

war eine verschließbare Öffnung im Wassergraben, vielleicht zur Bewässerung.

Steglache: An der südöstlichen Markungsgrenze Rißtissen zu. Steg bedeutet wie heute

schmale Brücke, aber auch „Stiege“, also Treppe. Mundartlich sagt man ja teils heute noch

„d Schteaga nouf“. Daneben gibt es „Staig“, also „Weg auf eine Anhöhe“, und „Steig(e)“ für

Pfad oder Fußpfad. „Lache“ könnte von einem Wort „Lach“ oder „Lauche“ herrühren, das

„Einhieb“ in einen Baum usw. bedeutet, um die Grenze zu markieren. Die Lage an der Markungsgrenze

könnte darauf hindeuten. Es konnte aber zweitens auch „Wasseransammlung“


verschiedenster Größen bedeuten. — In Griesingen erinnert man sich teilweise noch an

die „Gauslacha“ (Gänselache) nahe dem Regenüberlaufbecken beim Bioland‐Aussiedlerhof.

Dort soll sich früher immer mal wieder Wasser angesammelt haben, in dem die Gänse pfluderten,

wie mir Alt‐Bürgermeister Karl Müller † einmal berichtete. Und: Darin sei um 1945

wohl auch mancherlei unliebsam Gewordenes verschwunden …

Untere Au: Gleich nach der Markungsgrenze beidseitig der Landstraße, heute auf Markung

Nasgenstadt. Benachbart: Krummer See (!). „Au“ bedeutet mähbare Wiesen, die man also

nicht nur beweiden kann. Ursprünglich bedeutet es jedoch „Land am Wasser“ und ist somit

wieder ein Hinweis auf das nahe alte Flussbett der früher unbegradigten Donau. Dazu passt

auch der Name einer Nachbarflur: „Am Nasgenstadter See“ (Altwasser?). In alten Zeiten

wurden die fernab gelegenen Flurstücke häufig gemeinsam mit dem jeweiligen Nachbarort

genutzt, meist als Weideland.

Die Abbildung zeigt das Donau‐Altwasser bei der Schneeschmelze mit Öpfingen im Hintergrund.

Literatur (evtl. in Büchereien eingestellt oder antiquarisch erhältlich):

Württembergisches Flurnamenbüchlein, Dr. phil. Walther Keinath, Tübingen 1926

Oberdeutsches Flurnamenbuch, Dr. M. R. Buck, Bayreuth 1931, 2. Auflage („Michel Buck“)

Straßen und Fluren in der Gemeinde Griesingen, Ludwig Dorner, Griesingen 2002


Gespanne — nicht nur Kuh, Ochs, Gaul und Bulldogg

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… sondern auch mal ein Esel und ein Bernhardiner, die zusammen den Karren mit vollen Milchkannen

in die Obergriesinger Molke des Konrad Wiget ziehen mussten (vor 1914). Da geht es

gehörig bergan, oder, wie man in Griesingen sagt, „d Haie nouf“ (die Höhe hinauf).

Über Jahrtausende waren es manchmal der Mensch und meist Kuh, Ochse oder Pferd, die hierzulande

die landwirtschaftlichen Wagen und Gerätschaften zu ziehen hatten. Über eine sehr

lange Zeit hat sich daran nicht viel geändert. Und so hieß es im Lied einmal zu Recht „Im Märzen

der Bauer die Rösslein einspannt“. Aber das ist lange her.

Ab den 1870er‐Jahren kamen in den USA die ersten Dampftraktoren in Einsatz, die sich für

europäische Ackerböden wegen ihres Gewichts aber zu wenig eigneten. 1920 brachte die Firma

Lanz (Mannheim) einen Traktor auf den Markt, der mit Rohöl betrieben werden konnte.

Sie nannte das Modell „Bulldogg“. Dieser Name ist markenübergreifend bis heute für Schlepper

gebräuchlich geworden, vor allem in Süddeutschland. Im Norden wird dazu eher „Trecker“

(etwas, das zieht) gesagt. Siehe auch im Gemeindebuch auf Seite 284.

Als dann noch die Zapfwelle erfunden und immer leistungsfähigere Motoren entwickelt wurden,

wurden aus Zug‐ auch zugleich Antriebsmaschinen für immer zahlreichere Einsatzmöglichkeiten.

Es geschah in unserer Gegend vor allem in den Jahren 1950 bis 1970, dass sich mehr und mehr

landwirtschaftliche Betriebe einen „Bulldogg“ anschafften. Die Doppelseite 102/103 im

Gemeindebuch gibt einen kleinen Eindruck von solchen Oldtimer‐Traktoren wider.

Eines unserer diesmaligen Fotos zeigt als Besonderheit eine selbstfahrende Arbeitsmaschine

zur bodennahen Gülleausbringung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Traktor (viele Raritäten abgebildet)

https://de.wikipedia.org/wiki/Mechanisierung_der_Landwirtschaft (erste Dreschmaschinen ...)

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Nebenabtrieb (Zapfwelle)

https://www.youtube.com/watch?v=LoJ4_9zyfe4 (Lied: Im Märzen der Bauer …)


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Zur Belohnung ein Ei

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Dazu steht im Gemeindebuch auf Seite 252: Nach der Palmsonntagsmesse wurden die jetzt geweihten

Äpfel vom Palmen abgenommen und verzehrt. Der halb abgeräumte Palmen wurde in

Griesingen über die Karwoche (Woche vor Ostern) im „Gäätle“ (Gärtchen) am Gartenzaun aufgestellt.

Am Karsamstag wurde er abgeräumt. Wer ihn entfernte, bekam zur Belohnung ein Ei

geschenkt. Ein Ei zur Belohnung?

Man muss dazu wissen, dass noch vor einigen Jahrzehnten ein Ei etwas eher Außergewöhnliches

war. Ich erinnere mich an meine Kindheit: Ein „wachsweiches“ Frühstücksei gab es eigentlich

nur zu wenigen Anlässen im Jahr, zum Beispiel am Namens‐ und Geburtstag, oder wenn man

von einer Krankheit wieder am Genesen war. Dies war vor allem so, wenn man wie wir zuhause

selber keine Hühner hatte. Damals gab es noch keine Eierfarmen, kein spezielles „Legemehl“

und kein Beleuchtungsmanagement (siehe Hyperlinks unten) im Hühnerstall. Eier waren vor

allem in städtischen Haushalten etwas Besonderes. Anfangs der 1950er‐Jahre kostete eine

Laugenbrezel 5‐6 Pfennig (ca. 3 Euro‐Cent), ein Ei aber 22 Pfennig. Ein Ei kostete also rund das

Vierfache einer Brezel. Man rechne das mal um! Und so war es auch kein Wunder, dass Nudelhersteller

damit warben, wie viele Eier in ihren Produkten doch enthalten seien: Markennamen

wie „Gaggli“ und „Birkel‐sieben‐Hühnchen‐Nudeln“ sprachen für sich. Und anfangs galten

italienische Nudeln hierzulande als minderwertig: „Do isch jo it amool Oi denna!“ (Da ist ja nicht

mal Ei drin!). Italienische Nudelhersteller haben sich angepasst: Heute enthalten auch manche

ihrer Teigwaren Eier.

Eine schwäbische Redensart lautet: „Henna schärret rickwärds“ (Hennen scharren rückwärts).

Aus dieser biologischen Erkenntnis leitet die Bauernweisheit eine ökonomische ab: Mit bäuerlicher

Hühnerhaltung (Eiererzeugung) sei kein Geld zu verdienen, ja, man zahle noch drauf.

Ob es stimmt oder eher daher rührt, dass das Eiergeld traditionsgemäß das bescheidene

Privateinkommen der Bäuerin war und der Bauer davon also nichts unmittelbar zu sehen

bekam? Oder es auch gar nicht sollte …?

Auch in Wikipedia wird über das Ei berichtet, natürlich insbesondere in Verbindung mit Ostern:

„Das Dekorieren von Eierschalen ist weitaus älter als die christliche Tradition, was 60.000 Jahre

alte Funde dekorierter Straußeneier aus dem südlichen Afrika beweisen. Auch wurden 5.000

Jahre alte verzierte Straußeneier in antiken Gräbern der Sumerer und Ägypter gefunden.

Bemalte Eier als Grabbeigabe sind auch aus der europäischen Antike bekannt. Die frühen Christen

Mesopotamiens [heute ungefähr Irak und Syrien] bemalten Eier rot, um an das Blut Christi

zu erinnern, das er bei der Kreuzigung vergoss.

Dass [bei uns] die Eier verschiedentlich gefärbt wurden, hatte praktische Gründe. Aufgrund des

Fastengebotes der katholischen Kirche durften ab Aschermittwoch bis Ostern neben Fleisch

auch keine Eier gegessen werden. Da die Fastenzeit über sechs Wochen dauert, erfolgte die

Haltbarmachung durch Hartkochen der Eier. Um ältere Eier von jüngeren zu unterscheiden,

färbte man sie unterschiedlich. So standen am Ostersonntag verschieden gefärbte Eier zum

Verzehr zur Verfügung.“

Nun wieder zurück nach Griesingen. Im Gemeindebuch steht auf Seite 175: „Zu Ostern bauen

Kinder aus Moos oder grün gefärbter Holzwolle ein Nest, damit der ‚Osterhase‘ Süßigkeiten und


andere kleine Geschenke darin ablegen könne. Manche tragen ein aus Teig gebackenes Osterlamm

und hartgekochte bunt gefärbte Hühnereier mit zur Kirche, um sie dort segnen zu

lassen.“

Eine Abbildung (Wikipedia) zeigt buntgefärbte Ostereier, wie wir sie kennen. Die andere zeigt

einen Griesinger Palmen von 1964 (Gemeindebuch Seite 252).

Einige oberschwäbische Redensarten rund ums Ei:

Dem sai Oi hott zwoi Dottr! (Dem sein Ei hat zwei Dotter!)

Der hat unentwegt unverdientes Glück!

Doo lommer noo an Goggeler driebr schbaziera! (Da lassen wir noch einen Gockel darüber

spazieren!) Scherzhaft: Diese Suppe verfeinern wir noch durch ein dazugegebenes Ei — Schussental.

Etz hosch gaggeret, etz legs Oi au! (Jetzt hast du gegackert, jetzt leg das Ei auch!) Wer A sagt,

muss auch B sagen.

Wär am Karfrittig morga fria nichdern a rohs Oi usdringd, wird se koin Bruch nalupfa. (Wer

am Karfreitagmorgen früh nüchtern [ = mit leerem Magen] ein rohes Ei austrinkt, wird sich

keinen Bruch hinlupfen [zuziehen].) Karfreitag galt als besonders strenger Fastentag. Da ein Ei

zu essen erforderte allerhand „Mut“ … Lebensweisheit aus dem württembergischen Allgäu.

In Wikipedia findet man auch etliche Abbildungen mit Ostereiern aus anderen Kulturen und zu

den Palmsonntags‐„Palmen“:

https://de.wikipedia.org/wiki/Osterei

https://de.wikipedia.org/wiki/Osterpalme

https://oberschwaben-welt.de/palmsonntag-bad-saulgau/ (besonders schöne „Palmen“,

ganztägig ausgestellt)

https://bauernhahn.de/content/lichtverhaeltnisse-im-huehnerstall

https://www.huehner-hof.com/futter/futtersorten/legemehl/

https://www.mein-italien.info/essen-und-trinken/pasta-sorten.htm (italienische Nudeln – mit oder ohne Ei?


Der Weiße Sonntag

Nach Wikipedia: „Der Weiße Sonntag (lateinisch Dominica in albis‚ Sonntag in weißen [Gewändern]‘),

ist der Sonntag nach Ostern. Der Ursprung der Bezeichnung Weißer Sonntag ist nicht

gewiss. Wahrscheinlich hängt er mit den weißen Taufgewändern zusammen, die in der frühen

Kirche von den in der Osternacht Getauften bei den Gottesdiensten in den Tagen nach Ostern

getragen wurden. Sie legten diese Gewänder an Sonntag nach Ostern wieder ab.

Im deutschen Sprachraum ist die Bezeichnung Weißer Sonntag wegen ihrer Verwurzelung in

der Volksfrömmigkeit, u. a. als traditioneller Tag der Erstkommunion, geläufig. In der katholischen

Kirche empfangen Kinder erstmals die Kommunion, wenn das sogenannte Vernunftalter

erreicht ist, und zwar in der Regel in einer gemeinsamen Feier der Erstkommunion in der Pfarrgemeinde.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde der Weiße Sonntag zum bevorzugten Termin für die

Erstkommunion. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962‐65) gingen manche Gemeinden

dazu über, die Erstkommunionfeier auf einen anderen Termin zu legen.“ So ist es auch in

Griesingen.

Früher trugen die Mädchen zur Erstkommunion ein weißes Kleid, die Buben dunkle Anzüge.

Heute werden oft für beide Geschlechter die Gewänder in einheitlicher Form meist von der

Kirchengemeinde gestellt, auch um eine Art Modenschau‐Effekt unter den Kindern (und Eltern?)

zu vermeiden.

Die Erstkommunion wird im Gemeindebuch an verschiedenen Stellen erwähnt: 2008 kamen 11

Kinder zur Erstkommunion (Seite 37) — Nach der Feier der Erstkommunion können sich die Jugendlichen

entscheiden, zu den Ministranten zu kommen. (S. 40) — Kuchen und Torten wurden

zu besonderen Anlässen (beim örtlichen Bäcker) bestellt: Namenstag, Erstkommunion und

runde Geburtstage. (S. 100) — An besonders festlichen Ereignissen, oftmals verbunden mit

einer Prozession durch die Gemeinde, seien erwähnt: Feier der Erstkommunion … (S. 174) —

An Kindstaufen, Erstkommunionfeiern oder Hochzeiten gab’s natürlich immer schon etwas

Besonderes zum Essen. (S. 226).

Mein Vater (Jahrgang 1905) hat mal von einem Erlebnis bei seiner Erstkommunion erzählt. Es

sei plötzlich das Gerücht aufgekommen, „dr Karle hot a Milch gsoffa“ (Karl hat Milch getrunken).

Damals galt als strenge Regel, dass man zum Empfang der Kommunion auf jeden Fall mit leerem

Magen zu erscheinen habe. Da war das Trinken von Milch also natürlich etwas höchst Verwerfliches.

Warum man davon erfuhr, und ob es besagter Karle selber rumerzählt hatte, lässt sich

nicht mehr feststellen. Ich meine aber mich zu erinnern, dass der Arme erst am nächsten Tag in

aller Stille zum Empfang der ersten heiligen Kommunion zugelassen worden sei.

Zu meiner eigenen Erstkommunion weiß ich auch noch etwas zu erzählen. Ich bekam zu diesem

Tag einen „Bleyle‐Anzug“, ein Anzug mit eigentlich kurzer Hose, die aber wegen des abzusehenden

Hineinwachsens noch recht lang war, zu jener Zeit der Modehit für Jungs — freilich eher

aus Elternsicht. Mein „Erstkommunion“‐Foto dazu hat man erst Monate später gemacht, bis

mal jemand mit einer Kamera greifbar war. Als heißersehntes Geschenk erhielt ich eine Armbanduhr,

die beim Großversandhaus Quelle 20 Mark (ca. 10 Euro) gekostet hatte. Diesen Betrag

teilten sich mein Götte und meine Eltern. Zum Essen ging’s nach Hause. Die Einkehr in einer

Gastwirtschaft, gar mit mehreren Leuten, war völlig undenkbar. Und doch muss es ein aufregender

Tag für mich gewesen sein. Mitten unter dem feierlichen Gottesdienst fing mich die Blase

an zu drücken. Immer mehr. Vor aller Augen mal schnell rauszugehen, die große Weingärtler

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Basilika entlang von der vordersten Bankreihe bis ganz nach hinten, mutterseelenallein, wissend,

dass auch draußen weit und breit eh kein Klo wäre — undenkbar! Außerdem sollten wir demnächst

aus der Kirchenbank zur Kommunionbank vorgehen, Höhepunkt der ganzen Feier. Himmel

hilf, welche Not! Und so bildete sich unter mir ganz leise ein kleines Bächlein. Aber niemand

sonst hat etwas bemerkt — zum guten Glück. Und ich hab‘s auch nicht groß rumerzählt, wie es

jener Karle mit der Milch wohl tat, mindestens bis heute nicht. Und jetzt ist es ja hoffentlich

alles wieder getrocknet und außerdem verjährt …

Unsere Abbildungen entstammen dem Gemeindebuch und zeigen Aufnahmen zur Erstkommunion

in Griesingen zu verschiedenen Zeiten, bis auf eine: Das Bild von 1963 zeigt die Fronleichnamsprozession,

die Kommunionkinder des vergangenen Weißen Sonntags gehen vor den

Ehrwürdigen Schwestern. Man beachte beim Jahr 2009 den „Farbwechsel“ bei den Buben und

die Einheitlichkeit der Kleidung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Weißer_Sonntag

https://de.wikipedia.org/wiki/Erstkommunion

https://de.wikipedia.org/wiki/Bleyle


Ladengeschäfte

40

Im Gemeindebuch sind ab Seite 218 die Griesinger „Läden und Hucken“ in Text und Bild vorgestellt.

Hucken („eine Huck“): Dies waren noch etwas kleinere Läden — ohne eigenes Ladenlokal.

Es soll dem Hörensagen auch mal eine Huck in Obergriesingen gegeben haben. Die Waren

wurden oft unter der Treppe oder in einem Wohnraum gestapelt, und der Verkauf erfolgte im

Hausgang. Keiner dieser Läden und Hucken besteht noch. Ersatz sind einmal die Einzelhandelsgeschäfte,

Supermärkte und Discounter in benachbarten Orten, aber auch rollende Verkaufsfahrzeuge

und neuerdings ein Verkaufsautomat.

Als meine Eltern 1953 ihr neues Einfamilienhaus gebaut und bezogen hatten, stand alsbald ein

Vertreter einer Brauerei vor der Tür und konnte sie zur Einrichtung einer Flaschenbierhandlung

überreden. Jedes Zubrot war schließlich willkommen. Und außerdem wurde uns ein großer

Brauereikühlschrank in den Keller gestellt, dessen unterste Etage wir für uns nutzen durften.

Einen eigenen Kühlschrank kannten wir bis dahin nicht. Und so freuten wir uns umso mehr,

wenn gelegentlich Nachbarn oder Bauarbeiter zum Vesper ein bis zwei Fläschchen Bier bei uns

kauften. Für uns Kinder war manchmal auch ein Limonädle drin ... Sonst gab’s meistens Pfefferminz‐

oder Melissentee oder verdünnten Saft aus eigenen Beeren. Und welch Zufall: Im Elternhaus

meiner Frau im Allgäu war es ähnlich, wenn auch mit Flaschenbier einer anderen Brauerei.

In den meisten Fällen müssen wir in Griesingen längst irgendwelche Fahrzeuge zum Einkaufen

benutzen. Zu Fuß wäre es fast immer zu weit oder zu beschwerlich. Anders als früher kaufen

wir meist Vorrat für mehrere Tage oder gar die ganze Woche ein. Früher deckte man im örtlichen

Laden meist nur den jeweils kurzfristigen Bedarf, zuweilen also auch mehrmals täglich.

Eines hatten die früheren Griesinger Läden aber schon damals: Heute wären sie in mindestens

einer Beziehung wenigstens zum Teil wieder topmodern. Ein neuer Trend, der sich zunächst in

Großstädten, aber immer mehr auch auf dem Land ausbreitet, sind „Unverpackt‐Läden“. Vieles

wurde schon früher „offen“ aus einem Vorratsbehältnis heraus verkauft. Die Kundschaft hatte

Einkaufsnetze oder ‐taschen dabei. Derartiges oder entsprechende Behälter sind heutzutage

auch wieder vermehrt in Gebrauch.

Das Umweltbundesamt weiß dazu jedoch: „Die Deutschen produzieren immer mehr Verpackungsmüll.

Wie das Umweltbundesamt (UBA) am 18. November 2019 … mitteilte, fielen

2017 mit insgesamt 18,7 Millionen Tonnen drei Prozent mehr an als im Jahr zuvor. Pro Kopf sind

das im Durchschnitt 226,5 Kilogramm, nur knapp die Hälfte davon geht allerdings auf das Konto

der privaten Verbraucher.“

Das ist freilich auch noch eine ganze Menge. Und noch eines muss uns allen bewusst sein: Je

mehr wir online bestellen, wofür es durchaus gute Gründe geben mag, desto mehr verursachen

wir auch Verpackungsabfall. Diesen wenigstens sachgerecht zu entsorgen, sollte das Mindeste

sein. Straßen‐, Wald‐ und Wegränder oder die Umgebung von Abfallcontainern gehören nicht

dazu. Die Anständigen unter uns wissen und beherzigen das.

Noch eines unterschied die damaligen kleinen einheimischen Läden von den meisten heutigen

Geschäften: Man kannte sich gegenseitig, Inhaber und Kundschaft und deren Familien samt


Verwandtschaft, man sah sich regelmäßig, erfuhr vom Wohlergehen und von Krankheiten, Seelenschmerz

und Unfällen, aber auch, wenn sich Verlobungen anbahnten, und ein Einkauf war

daher auch insgesamt immer der Ort zum Austauschen von Tratsch und Neuigkeiten.

Unsere Abbildungen erinnern an ehemalige Griesinger Ladengeschäfte (Gräter, Wiget, Wilhelm

und die Flaschenbierhandlung Kiem). Ein Ladengeschäft der etwas anderen Art zeigt eine weitere

Abbildung: Im Griesinger Lagerhaus, an dessen Stelle heute das Feuerwehrgebäude steht,

konnte man das erwerben, was vor allem Landwirte benötigen, stellvertretend und nur zum

Beispiel viererlei Produktgruppen, die alle mit ‚K‘ beginnen: Kälbermilch, Kleesamen, Kraftfutter

und Kunstdünger. Aber natürlich war noch vieles mehr zu haben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Unverpacktladen

https://www.umweltbundesamt.de/immer-mehr-verpackungsmuell

https://de.wikipedia.org/wiki/Bierflasche (Manches dazu wissen wir gewiss, aber alles?)

https://de.wikipedia.org/wiki/Milchaustauscher (zu Kälbermilch)


Lange Rötel und Rötleh

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… und gleich daneben noch Rötenleh. Das sind drei Obergriesinger Flurnamen, die zwar durchaus

ähnlich klingen, aber teilweise vielleicht etwas ganz Unterschiedliches bedeuten und wieder

etwas aus unserer Ortsgeschichte erzählen.

Lange Rötel mundartlich [langa raitl] — Zwischen der „Ebene“ und „Rötleh“, in westlicher Richtung,

Berg zu. Weitere Nachbarfluren: Beim Oberholz, Gemeindehecke. — Rötel [raitl] könnte

von „reuten“ = „roden“ abstammen. In unmittelbarer Umgebung dieser Flur befinden sich in

der Tat noch andere Flurnamen, auch auf der Nachbarmarkung, die auf einstige Bewaldung und

erfolgte Rodung hinweisen. Dazu gibt es noch einen eigenen Beitrag in dieser Reihe. Der Zusatz

„lang“ beschreibt vielleicht die Form und Größe des Grundstückes, vielleicht aber zudem, dass

es einst einem Vermögenden gehört hat.

Rötenleh und Rötleh, mundartlich jeweils [raitlai], weniger stark mundartlich geprägt auch [retlee].

Der breite Feldweg, der vom Knotenpunkt Rötlehweg/Bühlweg in Richtung der Markungen

Altbierlingen und Berg abgeht, führt mitten in diesen Bereich mit den beiden einander sehr

ähnlichen Flurnamen Rötenleh und Rötleh. Die sich anschließenden Stockäcker bilden die Markungsgrenze.

Benachbarte Flurstücke: Hummelberg, Blinder Espan, Stockäcker, Lange Rötel,

Beim Oberholz, Gemeindehecke, Ebene. Auch diese werden ein andermal besprochen.

„Leh“, in Donaunähe auf Schwäbisch „Lai“ gesprochen, bedeutet Hügel, Grab‐ oder Grenzhügel,

das heißt, ein von Menschenhand errichteter Hügel. „Hügelgräber sind Überreste aus der Keltenzeit.

Davon gibt es viele in unserer Gegend. Nach der Oberamtsbeschreibung von 1893 sind

im früheren Oberamt [Altkreis] Ehingen 862 Hügelgräber registriert. Bei dieser Bestattungsart

wurde der Leichnam nicht in ein Grabloch, sondern ebenerdig auf eine Holz‐ oder Steinunterlage

gelegt und dann mit Erde oder faustgroßen Steinen zugedeckt. Den Toten waren Waffen,

Schmuck und Gefäße mit kleinen Gegenständen und Nahrung beigegeben worden, mehr oder

weniger nach Besitz und gesellschaftlicher Stellung. Oft liegen Gruppen von Hügelgräbern beieinander.

Einzelne Hügel sind im Zeitabstand auch mehrfach belegt worden.“ (Wohlleb, Altsteußlingen*)

„1500 bis 1200 vor Christus nennt man die ‚Bronzezeit der Hügelgräber’. In diesen Zeitabschnitt

fallen auch die Funde von Obergriesingen.“ (C. Kohl**)

Bei solchen von menschlicher Hand errichteten Hügeln, auf die Flurnamen mit „Leh“ oder „Lai“

hindeuten, waren häufig alte Gerichtsstätten. Sie befanden sich wiederum oft bei einer rot angemalten

Stelle: Turm, Tor, Tür oder — hier wohl am ehesten — bei einer entsprechenden rot

verputzten oder bemalten Bildsäule (Bildstöckle, „Käppele“). Das heißt, dass beide Wortbestandteile,

„Raut“ und „Lai“, auf eine alte Gerichtsstätte hindeuten.

„Gerichtsstätte“ darf nicht mit Hinrichtungsstätte („Galgen“) usw. verwechselt werden. Es handelte

sich um Treffpunkte unter freiem Himmel zum Schlichten von Streitigkeiten und für Gerichtsverhandlungen

gegen echte oder vermeintliche Übeltäter/innen an bestimmten Tagen des

Jahres. Man sagte auch „Dingtag“: „Dingtag ist ein Begriff der mittelalterlichen Rechtsprechung.

Dabei handelte es sich um Gerichtstage. Grundsätzlich gab es feststehende Gerichtstage, an

denen die ganze Bevölkerung dazu aufgerufen war, zu Gerichtstagen zu erscheinen. Traditionell

handelte es sich dabei um Termine um Weihnachten beziehungsweise um den Johannistag, die

als Pflichtdingtage galten. Oft waren diese mit Märkten und Messen verbunden und gewöhnlich

handelte es sich dabei um die Tage, an denen Dienstboten angestellt und entlassen wurden.


Die Gerichtstage dauerten oft mehrere Tage an oder wurden in bestimmten Abständen wiederholt.“

(Wikipedia)

Wir stellen abschließend fest: [langa raitl] und [raitlai] klingen teils einander zwar ähnlich, dürften

aber ganz unterschiedlicher Herkunft sein: Bei Lange Rötel mundartlich [langa raitl] ist es

die Erinnerung, dass hier einmal der Wald gerodet wurde, um Ackerland zu gewinnen. Bei Rötenleh

und Rötleh, mundartlich jeweils [raitlai], dass hier unter freiem Himmel Gerichtssitzungen

und Schlichtungsverhandlungen abgehalten wurden. Und wie sich doch eins zum andern fügt:

Benachbart ist die Flur „Blinder Espan“ sprich [aischba]. „Blind“ heißt, dass man das Unterholz

ausgehauen hat und die großen Bäume als Schattenspender und Regenschutz stehen blieben:

Eine Flur mit Namen Espan lag immer in unmittelbarer Nähe der Siedlung und diente auch als

Spiel‐ und Festplatz. Da hat sich die Dorfgemeinschaft zu verschiedenen Anlässen getroffen.

Entsprechende Straßennamen (nach Flurnamen benannt) gibt es außer in Griesingen (Rötlehweg)

auch sonst in unserer Region als Rötelfeld (Rißtissen) und Rötelweg (Laupertshausen und

Schaiblishausen) sowie Rödelstraße (Isny). Die Abbildungen zeigen den Griesinger Rötlehweg,

aus Wikipedia ein bronzezeitliches Hügelgrab bei Tannheim im Illertal (Landkreis Biberach) und

die schematische Darstellung eines Hügelgrabs.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hügelgrab

https://de.wikipedia.org/wiki/Hügelgräber_im_Illertal_bei_Tannheim

https://de.wikipedia.org/wiki/Leeberg (Rötleh!)

https://de.wikipedia.org/wiki/Bronzezeit

https://de.wikipedia.org/wiki/Dingtag (Gerichtstag)

https://de.wikipedia.org/wiki/Großsteingrab_Gerichtsstätte

*Geschichte und Geschichten von Altsteußlingen < Bürgerrecht, Allmende >, Max Wohlleb, 1993

** Flurnamen Griesingen, Christa Kohl, 1964 (maschinenschriftlicher Kohlepapier ‐Durchschlag) Zulassungsarbeit zur Ersten Dienstprüfung

für das Lehramt an Grund‐ und Hauptschulen, Pädagogisches Institut (jetzt Pädagogische Hochschule) Weingarten


Vom Aischtleita zom Zeemaleita

In einem Lesebuch meiner Grundschulzeit (um 1953) stand ein Gedicht, in dem beschrieben

wurde, dass ein Kind am Sonntag nicht zum Gottesdienst wollte und lieber in die Felder lief. Die

Mutter hatte es angedroht, und so geschah es: Die Glocke stieg vom Kirchturm, verfolgte das

Kind und drohte, es unter sich zu „begraben“. Die erzieherische Absicht war klar: Es sollte Druck

und Angst aufgebaut werden. Das Gedicht war übrigens von Goethe (siehe Anhang).

Zum Glück sind die wahren Aufgaben von Kirchenglocken andere: Sie geben mit ihrem viertelstündigen

Schlag die Zeit an. Zur vollen Stunde kann man mitzählen, was die Stunde geschlagen hat,

also wie viel Uhr es jetzt ist. Früher, als man in großer Zahl auf den Feldern tätig war und kaum jemand

eine Uhr bei sich hatte, war man auf die Zeitangabe vom Kirchturm her angewiesen.

Gemeindebuch Seite 122: Weil Kirchenuhr und Kirchenglocken auch eine „weltliche“ Aufgabe

erfüllen („Zeitanzeige“), beteiligt sich die bürgerliche Gemeinde seit etwa 1890 vertragsgemäß

an deren Unterhaltskosten in Form eines jährlichen Beitrags an die Kirchengemeinde. Ihr Anteil

beläuft sich auf 33% an den Kosten für den Kirchturm, auf 100% für die Uhrenanlage und auf

50% für die Glocken. (Auskunft Alt‐Bürgermeister Karl Müller †)

Freilich, heute haben wir immer und überall Datum und Uhrzeit verfügbar, im Haus, im Herd, womöglich

in der Kaffee‐, Spül‐ und Waschmaschine. Bei Handy und Armbanduhr, im Auto ist eine

Zeitanzeige, auch Radio und Fernsehen versorgen uns auch diesbezüglich mit aktuellen Meldungen

oder Pieptönen. Insofern sind wir nicht mehr so auf Kirchenuhr und ‐glocken angewiesen.

Kirchenglocken haben noch weitere Aufgaben: Sie werden geläutet, um den Tagesanbruch, die Mittagszeit

und den Feierabend zu verkünden. Dieses Läuten soll die Gläubigen zugleich zum Gebet

rufen, weshalb man morgens und abends auf gut Schwäbisch auch vom „Bäatleita“ (Gebetläuten)

spricht. Das abendliche Bäatleita war für Kinder das Signal, schleunigst heimzukommen.

In unserer Nachbarstadt Ehingen kann man das „Zwelfe‐Leita“ (Zwölf‐Uhr‐Läuten) besonders

erleben: Sobald der letzte Zwölf‐Uhr‐Glockenschlag verklungen ist, beginnt das Zwelfe‐Leita,

zeitlich abgestimmt in mehreren Kirchen der Stadt. Damit macht sich eine nahezu feierliche

Stimmung breit. Das Fußgängergeschehen ändert sich, vor allem auf dem Marktplatz. Angestellte

verlassen ihre Büros und „machen Mittag“, entweder suchen sie eine Gaststätte auf, oder

sie fahren mit dem Rad weg oder gehen zu den Tiefgaragen. Aus den nahen Berufsschulen strömen

Jugendliche scharenweise, entweder um schnell etwas einzukaufen oder sich etwas zum

Essen zu holen. An schönen Tagen kann man sich auf eine der Sitzbänke oder auf den Rand des

Theodulbrunnens setzen. Die Außen‐Sitzplätze der Gaststätten sind voll besetzt. Es herrscht

eine Art Piazza‐Stimmung im Städtle, also so etwas wie südländische Atmosphäre, ein Weilchen

begleitet vom vielstimmigen Glockengeläut. Wenn nicht gerade Corona ist …

Die Kirchenglocken haben aber noch eine weitere Aufgabe: Sie rufen zum Gottesdienst, in mehreren

Stufen, und nicht in allen Orten in genau der gleichen Art. Die Läuteordnung wird u. a. in

Wikipedia beschrieben (siehe unten).

Im Gemeindebuch heißt es auf Seite 173: Sonntags, beim Hochamt, da war alles viel feierlicher:

Die Glocken laden in mehreren Etappen zum Gottesdienst ein: „Aischtleita“ (Erstläuten, mit der

mittleren Glocke, 1 Stunde vor Gottesdienstbeginn), dann das „ Anderleita“ (das „andere“, also

zweite, jetzt mit der großen Glocke, 30 Min. zuvor), und dann das „Zeemaleita“ (Zusammen‐

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läuten mit allen anfangs drei, inzwischen längst vier Glocken, 10 Min. vor Beginn). Da die Gottesdienstzeiten

manchmal unterschiedlich waren, pflegte Pfarrherr Dr. Weber jeweils am Sonntag

zuvor darauf hinzuweisen: „Man achte auf das Läuten.“ Heute wird weniger oft mit Glocken

zum Gottesdienst geladen, 30 und 10 min vor Beginn. Heute finden die „Sonntagsgottesdienste“

zum Teil auch schon am Samstagabend statt. Nach dem antiken Kalender der „alten Römer“ begann

der neue Tag jeweils am Vorabend mit Aufzug der Nachwachen. Insofern kann man den

Samstagabend schon zum Sonntag zählen. Auskunft von kundiger Seite, Griesingen: „Es wird

samstags 30 Minuten vor Beginn mit zwei Glocken; am Sonntag 30 min vorher mit einer Glocke

geläutet. ‚Zusammengeläutet‘ wird dann samstags mit drei, sonntags mit allen vier Glocken.

Vor allen Gottesdiensten wird begonnen mit zusammenläuten 10 min vor Beginn und das für

eine Dauer von 5 min.“ Danke an alle, die mich beraten haben!

Im Gemeindebuch findet sich auf Seite 209 ein „weltlicher“ Anlass zum feierlichen Glockengeläut:

Am 14. Oktober 1955 kehrte Johannes Dorn als letzter Griesinger Kriegsgefangener aus Russland

zurück. Das war immerhin zehn Jahre nach Kriegsende! … Gegen 14.30 Uhr kamen die geschmückten

Fahrzeuge in der Gemeinde an. Die Glocken der Kirche kündeten von der Ankunft des von allen

Erwarteten. Am Triumphbogen, der zum Empfang am Ortseingang errichtet worden war, schüttelten

viele dem Zurückgekehrten in herzlicher Freude die Hände. Langsam fuhren die Fahrzeuge nach

Obergriesingen hinauf, zum Heimathaus, dem Dorn so lange fern gewesen war.

Eine der Abbildungen zeigt eine Glockenweihe 1977. Man erkennt neben Weihbischof Rieger

Herrn Pfarrer Klaus (Gemeindebuch Seite 186). Die andere Abbildung zeigt einen Merkzettel

aus der Sakristei. Darauf ist handschriftlich vermerkt, wann welche Glocken zu läuten sind. Man

zieht schon längst nicht mehr am Glockenseil, sondern schaltet das elektrische Läutwerk ein.

https://www.aphorismen.de/gedicht/112111 (Gedicht von der verfolgenden Glocke)

https://de.wikipedia.org/wiki/Läuteordnung (Läuteordnung katholisch)

https://www.kirchenrecht-ekm.de/document/9927 (Läuteordnung evangelisch)

https://www.youtube.com/watch?v=OQ8ZZV5UjcI (SWR „Handwerkskunst“: Wie man eine Glocke gießt)

https://www.youtube.com/watch?v=MiLroPwawjg (Glockenläuten am Handseil; Westminster London)

https://www.youtube.com/watch?v=vUE0NlWc4yI (Vollgeläut Sankt Leodegar Griesingen)

Hinweis: Auf Youtube finden sich unter dem Stichwort „Vollgeläut“ zahlreiche Aufnahmen aus aller Welt.


Europatag am 9. Mai

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Es gibt viele und vielerlei Gedenktage in Deutschland und auf der Welt: Am 8. Mai wird in mehreren

Ländern das Ende des Zweiten Weltkriegs als gesetzlicher Feiertag begangen. Aber es gibt

noch andere Gedenktage. Manche sind sicher in bester Absicht ernstgemeint und andere scheinen

eher kurios: Tag des Deutschen Schlagers, Welt‐Lepra‐Tag, Afrikatag (Religion), Tag der italienischen

Küche, Weltknuddeltag, Welttag der sozialen Kommunikationsmittel (katholisch),

Welttag der Feuchtgebiete, Internationaler Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung, Europäischer

Tag des Notrufs 112, Internationaler Tag der Muttersprache, Tag der seltenen Krankheiten

usw. In dieser bunt gemischten Aufzählung sind nur einige meist international geltende

Beispiele und nur solche aus den Monaten Januar und Februar aufgeführt.

Und nun also noch so ein Gedenktag, ein „Europatag“? Ja, und das mit gutem Grund. DER SPIE‐

GEL vom 23. Januar 2021, dem die folgenden kurzen Textausschnitte entnommen sind, stellt

als Überschrift darüber: „Die sanfte Macht“.

Zunächst zählt DER SPIEGEL auf, wie manche Spötter die Europäische Union (EU) oft darstellen:

als Schnecke, Schlangengrube, Saustall, Rennwagen ohne Motor, sinkendes Schiff und noch einiges

mehr. Als ob es nichts Schlimmeres auf der Welt als ausgerechnet die EU gäbe! Doch dann

legt die Wochenzeitschrift ganz anders los:

„Die EU ist nicht nur eine ökonomische Supermacht, sie ist heute vor allem der globale

Regulator Nummer eins.“

„Fast‐Food‐Ketten wie McDonald’s, Subway, Wendy’s nehmen chemische Zusätze aus

ihren Produkten, weil die EU sie nicht erlaubt.“

„ADIDAS, Nike, Zara verändern weltweit die Rezepturen des Plastiks in Turnschuhen,

um weniger giftige, EU‐konforme Ware herzustellen.“

„Wenn sich Microsoft, Google, Apple, Intel und andere Großfirmen gegenseitig wegen

Wettbewerbsvergehen verklagen, … streiten sie sich [auch] vor Europas hohen Gerichten.“

„Europas Auffassung von Datenschutz … ist zum globalen Standard geworden.“

„Indem die EU Schritt für Schritt die Angelegenheiten ihres Binnenmarkts regelt,

formuliert sie nebenbei weltweit wirksame Standards. Egal ob es um Chemikalien,

Sondermüll, Hormonfleisch, Elektroschrott, Abgasnormen, Tierversuche, Kartellrecht,

Privatsphäre, Pflanzenschutz, Wettbewerb oder Luftreinhaltung geht — die EU ist

immer irgendwie schon da.“

„EU‐Gesetze bestimmen [indirekt], wie in Indonesien Holz geschlagen wird, wie die

Brasilianer Honig produzieren, welche Pestizide Kakaobauern in Kamerun einsetzen

und welches Gerät in chinesischen Milchfabriken zum Einsatz kommt.“

„Klare Kriterien für alle bedeuten Planungssicherheit und fairen Wettbewerb, und weil

die EU meist nicht nur irgendwelche, sondern meist die strengsten Regeln setzt,

orientieren sich viele der Einfachheit halber gleich an ihr.“

Die EU ist „vor allem viel gesünder, viel wohlhabender, viel fortgeschrittener und viel

besser, als die meisten Menschen denken.“


Auch im Griesinger Gemeindebuch findet sich auf Seite 184 Passendes: „Vielleicht ist bei dieser

Gelegenheit auch große Dankbarkeit angesagt, dass wir seit 1945 in den derzeit 27 Mitgliedsländern

der Europäischen Union und darüber hinaus miteinander in Frieden leben können. So

lange ‚ungestörtes‘ Dasein war noch keiner Generation vor uns gegönnt.“

Zu den Abbildungen: Ein schönes Zeichen europäischen Denkens ist es, dass auf den Schildern

an den Ortseingängen Besucher in mehreren Sprachen zur 1250‐Jahrfeier im Jahr 2010 willkommen

geheißen werden (Gemeindebuch Seite 184). Bei der 1200‐Jahrfeier 1961 (aufgenommen

am Ortseingang Obergriesingen) geschah das noch in anderer Form und einsprachig (Seite 306).

Auch wenn in der EU gewiss nicht immer alles klappt. Manchmal möchte man auch mal schier

daran verzweifeln. Doch sollte man nicht nur die Fehler sehen wollen: „Zwei Schritte vor und

anderthalb zurück sind immer noch Fortschritt!“ (DER SPIEGEL) Nutzen wir doch mal die Gelegenheit,

um das Glas auf unsere Europäische Union zu erheben (in allen Amtssprachen ihrer

Mitgliedsstaaten, aber besser nicht alles auf einmal, außer alkoholfrei):

A/D (KFZ‐Kennzeichen: Österreich/ Deutschland): Zum Wohl! — B/F/LUX: A votre santé! —

B/NL: Santé/Proost! — BG: наздраве! — CZ: Na zdraví! — DK/S: Skål! — E: Salud! — EST: Rõõmuhõisked!

— FIN: Kippis! — GR/ZY: Στην υγειά σας! — HR:Živjeli! — HU: Egészségére! — I:

Alla salute! — IRL/M: Cheers! — LT: Linksmai! — LV: Priekā! — P: Felicidades! — PL: Na zdrowie!

— RO: Noroc! — SK: Na zdravie! — SLO: Na zdravje!

Eine große Zahl weiterer Staaten legt großen Wert auf Assoziierungs‐Verträge mit der EU, ohne

deren Mitglied zu sein.

PS: Nur für die Leserschaft dieses Mails

Zum Foto von 1961: links der Straße, nach der Gartenmauer, wo noch die Apfelbäume zu sehen

sind, steht seit 1987 unser Haus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Europatag#9._Mai_-_Europatag_der_Europäischen_Union

https://europa.eu/european-union/about-eu/symbols/europe-day_de

https://de.wikipedia.org/wiki/Mitgliedstaaten_der_Europäischen_Union#Liste_der_Mitgliedstaaten

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/assoziierung-615722

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Gedenk-_und_Aktionstagen

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kfz-Nationalitätszeichen


Wettervorhersage

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Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,

ändert sich’s Wetter oder ‘s bleibt, wie’s ist.

Der Spruch besagt, dass die Gockel als Wettervorhersager nicht wirklich zu gebrauchen sind.

Aber selbst wenn sie es wären, wo gibt es denn noch krähende Gockeler? Wo gibt es noch die

Miste vor dem Haus, auf der sie scharren, auf ihr Hühnervolk aufpassen und sich ab und zu laut

zu Wort melden können? Es gibt sie nur noch sehr selten.

Wir sind also auf jeden Fall auf andere Wetterpropheten angewiesen. Manche lesen in der

Zeitung, die bereits am Vortag produziert werden muss, wie das Wetter heute sein wird. Das

kann noch stimmen oder auch schon wieder halb veraltet sein. So mancher klopfte früher auch

ans Barometer in der Hoffnung, der Zeiger bewege sich wie erhofft. Das Wetter ändert sich

manchmal schneller, als uns lieb sein kann.

Das wissen auch die Meteorologen im Fernsehen, die vielleicht deshalb gerne und ausführlich

darstellen, wie das Wetter im Laufe des zu Ende gehenden Tages war. Die heutige Wetter‐

Vergangenheit beschreiben — da kann wenig schiefgehen … Doch wie es am nächsten Tag wird?

Oft stimmt es, aber manchmal wehen die Winde schneller und manchmal langsamer, oder sie

ändern die Richtung. Und schon ziehen die Wolken nicht genau dahin, wo es die „Wetterfrösche“

geweissagt hatten.

Wenn wir gerade davon sprechen: „Der Mythos vom Wetterfrosch geht auf die Beobachtung

zurück, dass besonders Europäische Laubfrösche bei sonnigem Wetter an bodennahen Pflanzen

hochklettern, wobei ihnen die spezielle Ausbildung ihrer Zehen dienlich ist. Dieses Verhalten ist

damit zu erklären, dass bei warmem Wetter die Insekten, die als Nahrung dienen, höher als bei

kaltem Wetter fliegen. Aus diesem Verhalten heraus entstand die irrige Vorstellung, der Frosch

könne das Wetter nicht nur anzeigen, wie es gerade ist, sondern sogar vorhersagen. In früheren

Zeiten sperrte man dazu die Frösche in Gläser, in denen sich eine kleine Leiter befand. Stieg der

Frosch die Leiter nach oben, bedeutete das demnach gutes Wetter, blieb er unten, war schlechtes

Wetter anzunehmen. Diese ‚Wetterstation‘ hat sich, ohne noch ernstgenommen zu werden,

bis heute als etwas erhalten, das mit Humor genommen wird. In einer spöttischen Übertragung

werden Meteorologen oder männliche Wettermoderatoren manchmal als Wetterfrösche

bezeichnet, Wettermoderatorinnen im Medien‐Fachjargon hingegen als Wetterfee.“ (nach

Wikipedia) Passend dazu auch „Wetterfröschinnen“ zu erfinden hat wohl noch niemand für

zwingend notwendig gehalten ...

Wenn die Schwalben tief fliegen, kündigt sich Regen an, oder auch ein Gewitter. Können wenigstens

diese in die Wetterzukunft schauen? Auch nicht ganz! Ganz ähnlich wie die Frösche: Ändert sich

bei herannahendem Unwetter der Luftdruck, ändern die Mücken ihre Flughöhe. Die nach ihnen jagenden

Schwalben passen sich entsprechend an. Wir könnten ihr Verhalten also deuten, dass sie

uns zeigen, es regne demnächst. Oft hilft uns ein Blick zum Himmel aber fast ebenso. Und außerdem:

wo gibt es noch Schwalben zu sehen? Auch die Mücken werden weniger.

Mancher sagt, und es klingt überzeugend, Wetterumschwünge an Narben oder „in den Knochen“

zu spüren. Wer diese Sehergabe nicht besitzt, wird sie auch nicht unbedingt vermissen ...

Und so bleiben den meisten von uns uns zuletzt doch eher Radio, Fernsehen und die Wetter‐


App auf dem Handy. Wenn diese über einen längeren Zeitraum wolkenlosen Himmel mit Dauersonnenschein

ankündigen, dann reden wir von „gutem Wetter“. Wer kann, sitzt in der Sonne

oder flieht in den kühleren Schatten, geht in Biergarten oder Freibad oder lädt zum Grillfest ein.

Ob die aber, deren Dasein nicht nur auf Sonnenschein, sondern auch auf Regen angewiesen ist,

also Förster, Garten‐ und Waldbesitzer, Freilandgärtner und natürlich Landwirte dann auch von

schönem Wetter reden? Schließlich müsste ihnen vielmehr zuweilen das Herz viel mehr

aufgehen, wenn sich zwei Wochen satter Landregen ankündigen. Das wäre dann für sie ja

eigentlich das allerschönste Wetter. Aber das denken sie dann wohl eher leise für sich und sagen

es nicht laut. „Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann,“ sagt das Sprichwort.

Und das kann nicht mal der fürs Wetter „Zuständige“. Nicht nur in der Bittwoche um Himmelfahrt

wird daher zuweilen hoffnungsfroh gesungen:

Wohlauf, mit hellem Singen, hinaus ins grüne Feld.

Gott Lob und Ehr zu bringen, der es so wohl bestellt.

Bis hierher half dein Segen; Herr, führ es treu hinaus.

Gib Sonnenschein und Regen, gib Brot in jedes Haus

Zu den Abbildungen: Im Gemeindebuch wird auf Seite 174/175 die Bittprozession mit Text und

Bild genannt Abbildung), leider ohne Jahrgangsangabe. Das Reporter‐Namenskürzel (wi) für

Theo Wilhelm † gibt jedoch einen gewissen Anhaltspunkt für den Zeitraum.

Der Blutritt in Weingarten gehört ebenfalls zu den Prozessionen der Bittwoche.

Die andere Abbildung zeigt den Blick ins Glas (1887): Steigt der Wetterfrosch die Leiter hoch?

https://de.wikipedia.org/wiki/Bittprozession

https://de.wikipedia.org/wiki/Blutritt (Weingarten)

https://www.youtube.com/watch?v=wc81t9bhQ9k (Video Blutritt Weingarten)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wetterfrosch

http://www.jakobus-weg.de/aJakw/2SObayJkw/gJkgebet/JkWandca.htm (Lied Wohlauf mit hellem

Singen; Noten und Text, ohne Gesang)


s Mammabrot

Wir kennen die Bitte im christlichen Gebet „Vaterunser“. Darin heißt es „Unser tägliches Brot gib

uns heute.“ Das Gebet geht auf Jesus Christus persönlich zurück und steht im Neuen Testament.

Im Gemeindebuch schreibt Pfarrer Dr. Talgner † auf Seite 34 zur Griesinger Pfarrkirche: „Und wenn

an der Wand der Südseite des Kirchenschiffes noch der Bauernheilige Wendelin (um 1697) grüßt,

zeigt dies nicht nur die landwirtschaftliche Prägung des Ortes Griesingen an, sondern auch die Vater‐

Unser‐Bitte: ‚Unser tägliches Brot gib uns heute!‘ Für die Menschen in der Entstehungszeit dieser

Wendelinsfigur durchaus eine existenzielle Bitte, waren doch Hungersnöte eine reale Erfahrung.“

Wikipedia: „[Wendelins] Gedenktag ist der 20. Oktober. Die Bauernregel für diesen Tag lautet:

Sankt Wendelin, verlass uns nie, schirm unsern Stall, schütz unser Vieh. … Wendelin ist der

Schutzpatron der Hirten und der Landleute, Bauern, Tagelöhner und Landarbeiter.“

Brot ist seit Jahrtausenden für die menschliche Ernährung unerlässlich. Freilich, ein leeres Brot

allein genügt uns meistens dann doch nicht. Auf die Frage, womit man es belegen könne, konnte

man in hungrigeren Zeiten zum Scherz auch mal die Antwort bekommen: Nimm halt Daumen

und Zeigefinger! Obwohl, Butter, Wurst, Käse, Honig oder Gsälz (Marmelade) und dergleichen

wären als Zugabe auch damals schon willkommener gewesen.

Die heutige kleine Geschichte handelt von einem unsichtbaren Brotbelag der besonderen Art. Ein

Bäsle von mir war die Tochter meines Götte (Pate). Dessen Schwester, meine Mama, war im Gegenzug

dafür die Gotta (Patin) seiner Kinder. Nennen wir das Mädle hier Susi. Die Susi durfte als

Grundschulkind einmal für ein paar Tage zu ihrer Gotta auf Besuch kommen. Vom bäuerlich

geprägten Dorf im Kreis Biberach in die kleine Stadt im Schussental. Schon die Anfahrt muss aufregend

gewesen sein, denn ein Auto besaß in der ganzen Verwandtschaft damals niemand. Ob die

Reise mit dem Zug vor sich ging? Ich weiß es nicht mehr. Bus gabs auch nicht. Zug hätte geheißen,

von zu Hause gut eine Stunde zu Fuß in den Nachbarort Ummendorf laufen, in dem es einen Bahnhof

gab. Dann ging es über Schussenried, Aulendorf und noch ein paar andere Haltstationa der

schwäb’schen Eisebah‘ bis Ravensburg. Dort wiederum wartete vor dem Bahnhof die Straßenbahn

nach Weingarten und Baienfurt. Und zuletzt waren es nochmals eine Viertelstunde zu Fuß von der

Straßenbahnhaltestelle bis zur Gotta, also zu uns nach Hause. Allein wird es die Susi sicher nicht

geschafft haben, dafür war sie noch zu klein und im Reisen unerfahren.

Nun, sie war da. Wohl zum ersten Mal in

ihrem Leben in einem Haus, das kein Bauernhaus

war. Es gab keinen Stall, koin

Denna (keine Tenne — in Griesingen sagt

man „Stadl“ dazu) und keine Tiere außer

unserer Katze „Schnurri“. Vieles war für

die kleine Susi also ganz neu und ungewohnt.

Es wird am zweiten oder dritten Tag

ihres Besuchs gewesen sein, da stand

sie vor unserem Haus am Gartentürle

zur Straße und weinte bitterlich. Unsere

Mutter, ihre Gotta, bemerkte es, eilte zu

ihr und fragte voller Besorgnis, was sie

50


habe. „I hau so Hoimweh, i will zur

Mamma!“ schluchzte sie. (Ich hab so

Heimweh, ich will zur Mama!). Nun, dieser

Wunsch konnte so schnell nicht erfüllt

werden. Da fiel meiner Mutter eine barmherzige

Notlüge ein: „Do, iss g‘schwind a

Schtickle Brot, des isch von dainer

Mamma. Deesch a Mammabrot.“ (Da, iss

geschwind ein Stückchen Brot, das ist von

deiner Mama. Das ist ein Mamabrot.)

Und die kleine Susi biss hinein und war

alsbald getröstet. Das Brot, vermeintlich

selbstgebacken von daheim, hatte für sie

einen unsichtbaren Belag, der nach dem

heimatlichen Dorf „schmeckte“. Und diese „Zutat“ war ihr damals mehr wert als alle Butter‐,

Wurst‐ und Gsälz‐Beläge der Welt und half also auch gegen ihr Heimweh. Wie sagt man auf

Schwäbisch: „Helf, was helfa mag!“

Eine Abbildung zeigt die Innenansicht der Griesinger Kirche St. Leodegar. Die andere zeigt in der

Außenansicht die Heimatkirche St. Odilia der Susi. Sonntags versah ihr Papa (mein Götte) darin

den Mesmerdienst, wochentags unsere gemeinsame Oma. Susis Elternhaus stand gleich hinter

der Kirche. Vielleicht hat sie auch noch den vertrauten nahen und regelmäßigen Glockenschlag

und das Geläute vermisst, wer weiß. Mit dem Bähnle (hier als Modell beim Welfenfest in Weingarten)

wird die Susi von Ravensburg aus zur Gotta gefahren sein.

https://de.wikipedia.org/wiki/Vaterunser

https://de.wikipedia.org/wiki/Wendelin

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Brotsorten

https://de.wikipedia.org/wiki/Straßenbahn _Ravensburg-Weingarten-Baienfurt


Künstler in der Höhle

52

Es war einmal ein Mann. Er hieß Wumme.

Seine Frau nannte man Neandra. Zusammen

hatten sie sieben allerliebste Kinder. Sie wohnten

in einer Höhle am Waldrand. Es war im

November, schon fiel der erste Schnee. Die

Vorratsräume in der Höhle waren gut gefüllt.

Schließlich hatten die Männer der Großfamilie

erst neulich ein Mammut erlegt. Das war eine

Menge Fleisch. Über den Winter sollte es auch

eine Weile halbwegs frisch und essbar bleiben.

Damals war man ja noch nicht so verwöhnt.

Ein Haltbarkeitsdatum war auf dem Mammut

auch nicht aufgeklebt. Aber es war garantiert

in „freilaufender“ Bio‐Qualität. Neandra war

mit Haushalt und Kochen gut beschäftigt. Das

Wäschewaschen erledigte sie am Bach, der an

der Höhle vorbeifloss. Jetzt, im Spätherbst,

war das Wasser freilich schon gehörig kalt. Die

Wohnhöhle war eigentlich gar keine richtige

Höhle, die so richtig tief in einen Berg hineinführt.

Sie war eher ein großes Loch in einem noch größeren Felsen. Daher nannte man ihn „Hohler

Fels“. Wumme saß in dieser Jahreszeit meist untätig herum und war seiner Frau zuweilen

auch im Weg. Neandra ließ sich allerlei einfallen, um ihn zu beschäftigen: Die Werkstatt in einer

Nebenhöhle könnte er ja wieder mal aufräumen. Das war freilich bald geschehen, denn außer

ein paar Messern und Beilen aus Stein und etlichen Knochen lag nicht viel herum. Den Boden

auskehren? Das sei doch wohl eher Weiberarbeit, meinte Wumme. Wozu sprängen da ein paar

Töchter herum? Und schon hockte er wieder am Höhleneingang und sah nach draußen ins weite

Tal. Im November, bei Nebel und Schneetreiben, war da freilich nicht viel Spannendes zu sehen.

Gääääähn … Dann brummte Wumme, wann es denn endlich was zu essen gäbe? „Du musst

noch ein Weilchen warten“, antwortete Neandra. „Du siehst, das Feuer brennt, der Brocken

Fleisch steckt auf dem Spieß. Aber es dauert halt seine Zeit.“ Auf das immer noch mürrische

Gesicht ihres Gatten fügte sie noch ein bisschen boshaft hinzu: „Hättet ihr halt ein jüngeres

Mammut heimgebracht und keinen so steinalten Bullen. Das Fleisch ist so zäh, da wird ja bald

der Hartholzspieß schneller mürbe.“

So ging das auch die kommende Zeit fort. Gut, das Brennholz machte Wumme jeden Tag klein

und trug es auch herbei, wobei ihm die Buben schon tüchtig halfen. Da hatte Neandra plötzlich

einen Einfall: „Du, Wumme, du hast doch vor einigen Monaten mal aus einem Knochenstück

für unsere Kleine einen Puppenkopf geschnitzt. Der ist ja ganz nett geworden. Sie spielt jeden

Tag damit. Willst du nicht mal wieder so etwas probieren?“ Nun war Wumme nicht der Typ, der

auf einen Vorschlag gleich begeistert abfuhr. Er brummte nur etwas Unverständliches vor sich

hin. Aber offenbar hatte es doch gewirkt. Nach dem Mittagessen verzog er sich in seine Werkstatthöhle

und suchte in der Reste‐Ecke nach einem Knochenstück. Von einem Mammut, weil

davon hatte er am meisten. Das Stück sollte nicht zu groß und nicht zu popelig klein sein. Dann


rief er seine Frau: „Du, Neandra, ich hab da so eine Idee.“ Er tat natürlich so, als sei der Einfall

auf seinem Mist gewachsen. „Ich will was schnitzen. Aber nichts für Kinder, sondern was für uns

Große. Das stellen wir dann auf die große Ablage beim Feuer. Und du musst mir Modell sitzen.“

„Ups“, entfuhr es da Neandra, „aber ich hab‘ doch nichts Gescheites zum Anziehen.“ Wumme

fing an zu grinsen: „Das brauchst du auch nicht. Ich will dich als Modell so, wie du einstmals auf

die Welt gekommen bist.“ Da fuhr sie ihn aber an: „Was, nagged!? Dees dät dir grad so bassa!

Was saget do au d Nochber? Noi, dees kommt et in Froog. Du kasch dr jo au sooo denka, wiane

oussieh!“

Nun saß er wieder da. Etwas ratlos hielt er den Mammutknochen in der Hand und fing dann

doch an herumzuschnipseln. Ein Span hier weg, einer dort. Und noch einer. Bis zum Abend war

er beschäftigt. Erst als es dunkel wurde, hörte er auf. Doch am anderen Tag war er gleich nach

dem Frühstücksbrei wieder in der Werkstatt verschwunden und kam nur zum Essen wieder,

oder wenn er mal aufs Klo musste. Niemand durfte ihn fragen, wie weit er denn mit dem Schnitzen

schon sei. „Dees wäaret r no bald gnua säa!“ pflegte er zu brummen. Ab und zu hörte man

ein lautes Gegosche (Schimpfen), wenn er sich mal wieder in den Finger geschnitten hatte oder


sein letztes Steinmesser abgebrochen

war. Dann musste er trotz Schnee und

Eiseskälte raus in den Wald. Wohl lagen

genügend Steine herum, aber er wusste

genau, wo es solche gab, die er zum Messer

umarbeiten konnte.

Und so schnitzte er seine Figur ohne

lebendes Vorbild ganz aus der Fantasie

heraus, stundenlang, tagelang, über

Wochen. Anatomisch womöglich nicht so

ganz originalgetreu, aber was soll’s?

Außerdem hätte er eine Brille gebraucht,

aber das gab es zu Steinzeiten noch nicht.

Vieles musste er mit den Fingern befühlen.

Hauptsache, die Figur würde dekorativ

und würde sich vor der Feuerstelle gut

machen. Er war zufrieden. Und dann

geschah es doch noch: Nach einer ungeschickten

Bewegung glitt das Messer aus

und der Kopf brach ab. Oh Jammer! Aus

war der Traum mit der Figur zum Aufstellen.

Doch Wumme gab nicht auf.

Er begann, mühsam ein Löchlein in den

Rumpf zu bohren, durch das man ein

Lederband ziehen konnte: Und bald war

anders als geplant wenigstens ein hübscher Schmuckanhänger fertig. Den sollte seine geliebte

Neandra bekommen.

Es war Frühjahr geworden und damit Zeit, Nachbarn und Verwandte mal wieder zu einem kleinen

Grillfest einzuladen. Der Vetter, der im nahen Geißenklösterle (auch eine Höhle) zuhause

war, spielte auf seiner Flöte ein paar lustige Liedlein. Er hatte sein Instrument selber aus den

Knochen eines Gänsegeiers geschnitzt und sich das Spielen beigebracht. Auch aus der Griesinger

Gegend waren Musikanten zu Gast und machten mit ihren Holderstängelflöten und Felltrommeln

fetzige Musik. Man wusste auch südlich der Donau schon recht genau, was kulturell so

lief in der Gegend. Mit steigender Stimmung begannen manche Gäste zu tanzen. Neandra trug

voll Stolz ihren neuen Schmuckanhänger und sah ihren Wumme immer wieder wie neu verliebt

an. Wer hatte schon so etwas Schönes umhängen, gar vom eigenen Mann geschaffen?

Und so lebten sie weiter bis an ihr seliges Ende.

Die Geschichte fing an wie ein Märchen, und so soll sie auch enden: Man hat die „Venus“‐

Frauenfigur und die Geierknochenflöte etwa 35 Tausend Jahre später tatsächlich gefunden,

Holderflöten und Felltrommeln kennt man bis heute. Ist das nicht märchenhaft?

Eine Abbildung zeigt die „Venus vom Hohlen Fels“, benannt nach ihrem Fundort bei Schelklingen

(Gemeindebuch Seite 203). Die anderen sind selbsterklärend (teilw. Copyright).


https://de.wikipedia.org/wiki/Venus_vom_Hohlefels

(War es eine Frau als Künstlerin?)

https://de.wikipedia.org/wiki/Geißenklösterle (bei Blaubeuren-Weiler;

auch die Flöte ist zu sehen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Mammute

https://de.wikipedia.org/wiki/Steinzeit

https://de.wikipedia.org/wiki/Urgeschichte_Baden-Württembergs

(Übersicht)

https://de.wikipedia.org/wiki/Jäger_und_Sammler

https://www.youtube.com/watch?v=gn42GuLZBAg

(Video, wie man eine Hol[un]derflöte herstellt)

http://www.federseemuseum.de/das-federseemuseum/

(auch etwas zur Steinzeit)


Warum man zur Lehrerin Fräulein sagte

56

Im Gemeindebuch wird die Lehrerin „Frl. Traub“, gesprochen [Fraila Droub], an mehreren Stellen

erwähnt oder in einem Bild gezeigt.

Auf Seite 109 steht unter einem Bild: Schulklassen 1 bis 4 mit Lehrerin Frl. Traub, aufgenommen

um 1950 vor der Rückseite der Griesinger Schule.

Ein Eintrag ins Poesiealbum durch Frl. Traub. — Auf Seite 254: Die Spuren der Wassertropfen

kamen vom Regen, weil es das Griesinger Mädle damals (1964) natürlich nicht „verheben“

(erwarten) konnte, reinzuschauen, was ihr die Lehrerin wohl ins Album geschrieben hatte.

Der Heimatabend im Festzelt — Seite 308: Kirchenchor Griesingen (Leit. Oberlehrerin Frl. Traub)

Festsonntag: am Klavier — Seite 309: Oberlehrerin Frl. Traub.

Kinderfest 1961 — Seite 310: Mit viel Liebe und Können hat die Lehrerschaft, Frl. Traub

und Lehrer Bendel, sowie die Schwestern des Kindergartens die Griesinger Buben und Mädchen

bei den Vorbereitungen für das große Fest der Kleinen angeleitet. — Man beachte in

der damaligen Zeitungsmeldung die Unterscheidung zwischen „Lehrer Bendel“, aber nicht

„Lehrerin Traub“, sondern „Frl. Traub“.

Uns Heutigen fällt auf, dass eine erwachsene berufstätige Frau in den obigen Texten durchweg

mit „Fräulein“ angesprochen und genannt wird. Das ist heute undenkbar, aber für die damalige

Griesinger Schüler‐ und Bürgerschaft war es selbstverständlich.

Fräulein (abgekürzt Frl.) war bis in die 1970er‐Jahre hinein die förmliche Anrede für unverheiratete

Frauen, unabhängig von ihrem Alter. Die Frauenbewegung kritisierte die Verkleinerungsform „Fräulein“

(weil es ja eigentlich „kleine Frau“ heißt). Entsprechende Gegenstücke wie „Männlein“ oder

„Herrlein“ wären einem schon damals höchst komisch vorgekommen. Am 16. Februar 1971 verfügte

das Bundesinnenministerium unter Bundeskanzler Willy Brandt, dass in Bundesbehörden erwachsene

weibliche Personen mit „Frau“ anzusprechen seien. Ich habe es als junger Lehrer zu jener Zeit

auch an unserer Ehinger Schule noch durchaus erlebt, dass gleichaltrige unverheiratete Kolleginnen

noch mit „Fräulein X.“ (auf Schwäbisch „Fraila X.“) angesprochen wurden.

Und noch etwas mutet uns heute befremdlich an: „Bis 1958 konnte ein Ehemann das Dienstverhältnis

seiner Frau entscheiden – das heißt, es lag bei ihm, ob sie arbeiten durfte, und wenn

er seine Meinung ändern sollte, konnte er auch jederzeit das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen.

Das änderte sich mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958. Aber: Noch bis 1977

durfte eine Frau in Westdeutschland nur dann berufstätig sein, wenn das ‚mit ihren Pflichten in

Ehe und Familie vereinbar‘ war. Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung waren also

klar der Frau zugeordnet.“ (Quelle: siehe unten*)

Ich habe im beruflichen Umfeld auch noch später unverheiratete Kolleginnen kennengelernt,

die selbst zeitlebens großen Wert auf die Anrede „Fräulein“ legten. Eine von diesen Frauen war

die leibliche Schwester und Haushälterin eines katholischen Geistlichen. Sie erteilte wie ihr Bruder

auch Religionsunterricht an unserer Schule und wollte nicht mit dem gleichen Familiennamen

und dem Vorsatz „Frau“ wie der Herr Pfarrer angesprochen werden, denn sonst hätten

Nichtwissende ja von einem Ehepaar ausgehen können. Aber es gab auch einen anderen Fall,

dass es zumindest für Außenstehende nicht nachvollziehbar war, warum eine Lehrerkollegin auf

der Fräulein‐Anrede beharrte. Aus alter Gewohnheit, oder um das Unverheiratetsein hervorzuheben?

Bei dienstlichen Schreiben wird sie sich dann aber doch an die Anrede „Frau“ gewöhnt

haben müssen …


„Fräulein“ war also einst in der Tat für Ledige vorgesehen, „Frau“ für Verheiratete. Meine

Schwester hatte in ihrer Grundschulzeit im Schussental auch durchaus „ältere“ Lehrerinnen, die

allesamt Fräulein Soundso genannt wurden. Wenn es sie damals gestört hätte, dass man

zeitlebens „Fräulein“ zu ihnen sagte, hätten sie ja heiraten können. So möchte man meinen.

Aber da war nochmals etwas ganz anders als heute:

Lehrerinnen DURFTEN gar nicht heiraten! Unter dem Begriff „Lehrerinnenzölibat“ verstand man

die gesetzliche (!) Regelung, dass Lehrerinnen nur bis zu ihrer Heirat in ihrem Beruf arbeiten

durften. Heirateten sie, verloren sie ihren Job. Wikipedia: Im Dienstrecht des Landes Baden‐

Württemberg bestand … noch bis 1956 die Regelung, dass eine Lehrerin im Fall der Heirat ihre

Stellung zu quittieren hatte. Darum gab es besonders an Grundschulen viele unverheiratete

Lehrerinnen. „Beruf“ und „Ehe“ waren bei Lehrerinnen nach dem Gesetz gegenseitig ausgeschlossen.

Und damit sind wir auch wieder in Griesingen bei „Fraila“ Traub, oder zeitgemäßer: Frau (Maria)

Traub, auch wenn es für Viele ungewohnt klingen mag. Ihre damaligen männlichen Kollegen

werden in einem anderen Beitrag dargestellt. Die Abbildungen (um 1950 und 1961/1964) zeigen

Frau Traub bei ihrem Tun (Gemeindebuch Seiten 109, 254, 311). Sie stammte aus der Gemeinde

Sauggart, sprich [sougert], heute zu Uttenweiler gehörig. „Sauggart, zwischen Uttenweiler und

Grundsheim, sprich [Grondsa], gelegen, ist ein bäuerliches Dorf mit ungefähr 170 Einwohnern.

Durch die starke landwirtschaftliche Prägung hat sich Sauggart seine dörfliche Atmosphäre

bewahrt.“ (Quelle: siehe unten **)

https://de.wikipedia.org/wiki/Fräulein (als Anrede; Ernstes und zuweilen auch Kurioses)

https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Frauentag (entstand schon vor dem 1. Weltkrieg)

https://de.wikipedia.org/wiki/Lehrerinnenzölibat (kein Recht auf Ehe und Familie für weibl. Lehrkräfte)

https://www.humanresourcesmanager.de/news/frauenrechte-arbeit-letzte-100-jahre.html (* —„Diese

Rechte haben Frauen in den letzten 100 Jahren errungen“)

https://de.wiktionary.org/wiki/Lehrerin (es gibt mehrerlei, als man zunächst annehmen könnte)

https://de.wikipedia.org/wiki/Uttenweiler#Gemeindegliederung

https://www.uttenweiler.de/gemeinde/teilorte/sauggart/ (**)


Badefreuden und Geschrubbe

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Im Gemeindebuch steht auf Seite 185, dass es in Griesingen dort, wo heute das Feuerwehrhaus

steht, in früheren Jahrzehnten eine Gemeinschaftswäscherei gab. Später, als man in den Haushalten

selber Waschmaschinen hatte, wurde daraus eine Gemeinschaftsgefriere, die inzwischen

auch längst nicht mehr in Gebrauch war. Im ursprünglichen Wäschereikeller waren außerdem

zwei Badewannen installiert. Nach Voranmeldung konnte man sich gegen Bezahlung ein

Wannenbad gönnen. Das war zu Zeiten, als es in den Häusern noch kein Badezimmer gab, eine

wichtige Einrichtung.

Die Erwachsenen wuschen sich sonst irgendwo und irgendwie an einem Brunnentrog oder vielleicht

auch am Spültisch in der Küche. Samstags war, auch für Kinder, Badetag. Meist wurde ein

verzinkter Zuber (Blechwanne) aufgestellt, warmes Wasser eingefüllt, Seife bereitgestellt und

dann kam, je nachdem, wie es im Haushalt üblich war, manchmal erst nach den Erwachsenen,

ein Kind nach dem anderen dran, bei kleineren auch mal zwei oder drei zur gleichen Zeit. Dann

wurde eingeseift, geschrubbt, manchmal geplärrt und manchmal gelacht. Da blieb kein Auge

trocken, und der Fußboden meist auch nicht. War es in kalten Tagen in einem ungeheizten Raum,

versperrte der Wasserdampf die Sicht. War die erste Kindergruppe fertig, kam die nächste dran.

Wasserwechsel war nicht üblich. Höchstens, dass die Mutter weiteres warmes Wasser nachgoss.

Und dann gab es frische Unterwäsche, die wieder für eine Woche reichen musste. Auch bei den

Erwachsenen war es diesbezüglich so ähnlich. Ja, es waren rauere Zeiten. Wenn wir an unsere

heutigen Bade‐ und Duschmöglichkeiten denken, warmer Raum, fließend warmes Wasser …

Und die Wäsche wechseln wir heute gewiss auch öfter.

Aber es gab auch früher schon noch ein ganz anderes Baden. Die älteren Griesinger wussten

noch zu erzählen, dass sie als Kinder und Jugendliche an der nahen Donau oder in deren

Altwasser zum Baden gingen (Abb. der fröhlichen Mädchen). Es sei immer sehr lustig gewesen.

Schwamm man in der Donau flussabwärts, so galt es eine bestimmte Stelle „beim Baimle“

(Bäumchen) ja nicht zu verpassen, um wieder an Land zu gehen. Sonst, so glaubte man zumindest,

hätten einen die Strömung oder gefährliche Strudel fortgerissen, und es hätte bedrohlich

werden können.

Es ist im Gemeindebuch nicht ersichtlich, ob es auch in Griesingen so war wie im benachbarten

Berg. Dort badete man auch in der Donau, aber es sollen strenge Sitten geherrscht haben: Buben

hier und Mädchen dort! Dazwischen gab es eine „unsichtbare“ Grenzlinie. Manche seien freilich

heimlich darunter durchgetaucht … Wurde man erwischt, gab es eine Meldung an die Schule

— mit Folgen!

Kleinere Kinder durften an warmen Sommertagen auch mal in im verzinkten Zuber planschen

(Abb.), der im Hof aufgestellt wurde. Wie man an der Abbildung sieht, war das dann doch noch

schöner als die Schrubberei am Samstag.

Die historische Abbildung aus Wikipedia zeigt die Szene in einem Badehaus: Der Bader (Bademeister)

behandelt Badegäste; Stich von Jost Amman, 1568. Der Bader war ein angesehener

Beruf mit vielfältigen Aufgaben: Badewesen, Körperpflege, Kosmetik und Teilgebiete der

Chirurgie, Zahnmedizin und Augenheilkunde.


https://de.wikipedia.org/wiki/Badehaus (mit vielen historischen Abbildungen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Bader (einst ein angesehener Beruf mit vielfältigen Aufgaben)

https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbad (das Griesinger Wannenbad war deutlich kleiner)

https://de.wikipedia.org/wiki/Badekultur (mit historischen Abbildungen aus aller Welt)

https://de.wikipedia.org/wiki/Badewanne (mit Klapp- und Einbauwannen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbadewanne

(zahlr. Abb., auch zu Sitz- und Schaukelbadewannen)

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Deisagass ond Kelbrgass

Zwei Straßennamen, die eigentlich gar keine sind.

Seit den frühen 1980er‐Jahren hat Griesingen offizielle

Straßennamen. Volkstümliche Bezeichnungen

gab es freilich auch schon zuvor. Wenn es

angebracht schien, hat man diese in die neuen

Straßennamen übernommen, zum Beispiel „Hohlgasse“

und „Im Winkel“. Aus einem „d‘ Haie nouf“

(die Höhe hinauf) wurde die „Höhenstraße“. Und

als es im Neubaugebiet Steigäcker einen Abhang

hinunterging, erwuchs daraus die Bezeichnung

„Hangstraße“.

Es blieben aber auch mündliche Bezeichnungen, denen damals zum Beispiel wegen fehlender Bebauung

kein offizieller Status zuerkannt wurde.

„Deisagass“ ist so ein Beispiel. Das ist der Feldweg, der bei der Gemeindehalle von der Waldstraße

nach Osten abzweigt und in die Flur führt. Dies ist kein offizieller Straßenname. Ältere Leute im Ort

kennen die Bezeichnung aber seit je. Der Name dürfte vom Hausnamen „Deises“ (wohl abgeleitet

vom Vornamen „Mattheis“) des Bauernhauses stammen, etwa an dessen Stelle längst die Gemeindehalle

errichtet wurde Unsere historische Abbildung zeigt Deises Anwesen. Zur Herkunft des Vornamens

„Mattheis“, der die schwäbische Form von Matthias oder Matthäus ist: Matthias ist eine

Kurzform des Namens Mattatias, der griechischen Namensform des hebräischen Namens Mattitjahu

(). Mattitjahu bedeutet „von [Gott] gegeben“, was modern häufig in „Geschenk Gottes“

abgewandelt wird. Die Namensform Matthäus leitet sich von demselben hebräischen Namen ab. Die

Unterscheidung zwischen Matthias und Matthäus gibt es jedoch nicht in jeder Sprache. So werden

zum Beispiel Matthias und Matthäus im Englischen häufig einheitlich mit Matthew übersetzt. Nach

dem Ausscheiden von Judas rückte der Heilige nach, um die Zahl der zwölf Apostel wieder herzustellen.

Seine Gebeine ruhen in der Trierer Abtei St. Matthias. — Innerorts ist die Deisagass in ihrer

Bedeutung inzwischen „aufgestiegen“: Sie dient als Zufahrt zum großen Parkplatz hinter der Gemeindehalle

(Wertstoffcontainer, Lager‐ und Abstellplatz für Baumaterial und ‐maschinen). Auch das große

Festzelt zum Pfingstfest des Musikvereins wird entlang der Deisagass aufgestellt. Da wird sie dann,

wenn nicht gerade Corona ist, schier zur Griesinger Hauptstraße. Die neuen Wohngebäude an der

Deisagass wurden von der Hausnummer her der Waldstraße zugeordnet.

Kälberweide: Im Volksmund wird die Flur Kälberweide ab und zu scherzhaft auch „Kelbrgass“ oder

„Kelbrgässle “ (Kälbergasse, Kälbergässchen) genannt. Sie liegt in nördlicher Richtung halbwegs der

Donau zu. Auch dies ist kein offizieller Straßenname. Er könnte entstanden sein, als die Flur Kälberweide

einmal in lauter kleine Gartenland‐Parzellen

aufgeteilt wurde, die links und rechts

des Zufahrtsweges lagen. Über den Grund,

aus dem offiziellen Flurnamen „Kälberweide“

ein „Kelbrgässle“ zu machen, darf geraten

werden: Gar zu gerne bezeichnet man ja

einen „lieben“ Mitmenschen auch einmal als

Kalb, zumal, wenn er sich recht ungeschickt

angestellt hat. Und wenn dann schon jemand

in der Flur Kälberweide seine Landwirtschaft

oder seinen Krautgarten betrieb, war es viel‐


leicht gar zu verlockend, diesen Nutzern den

Beinamen „Kalb“ anzuhängen, versehen mit

dem Zusatz „Gässle“, als ob diese schein ‐

baren Menschen‐„Kälber“ auch gleich dort

wohnhaft wären. Dies hat mir Alt‐Bürgermeister

Karl Müller † mal augenzwinkernd

erzählt. Dort steht aber bekanntlich kein

einziges Haus, und niemand wohnt dort.

Abgesehen von diesen allzu menschlichen

kleinen Bosheiten, die ja vielleicht auch gar

nicht zutreffen: Der wirkliche Name „Kälberweide“

kommt natürlich daher, dass es sich

um ein Wiesenstück handelt, auf das die „Beschla“

(junge Rinder), von der Muttermilch

entwöhnt, auf die Weide getrieben wurden — sicher oft den ganzen Sommer über.

Und hier noch eine weitere nicht‐amtliche Griesinger Straßenbezeichnung: Die Waldstraße wurde

früher im Volksmund auch „Holzgass‘“ genannt. Wer weiß, wo sie in der Verlängerung hinführt,

versteht den inoffiziellen Zweitnamen: Der Wald ist nicht weit. Offizielle Straßennamen mit „Holz“

gibt es zum Beispiel in Achstetten („Holzweg“), Altshausen („Holzgasse“), Bad Waldsee („Holzstraße“),

Biberach („Holzstraße“), Ehingen („Holzackerweg“, „Holzgasse“ und „Holzgassäcker“), Erlenmoos

(„Holzweg“), Langenau („Holzweg“), Laupheim („Holzweg“), Oberdischingen („Holzgasse“), Schemmerhofen

(„Holzweg“), Tettnang („Holzweg“) und Ulm („Holzgasse“ und „Holzstraße“).

In Ehingen gibt es oben am Stoffelberg (Albaufstieg) nahe der Reithalle eine Flur mit Namen „Jungviehweide

“. In Stockach gibt es eine Straße „Kälberwiese“ und in Lindau einen „Kälberweidweg“.

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Kalb

https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias

https://de.wikipedia.org/wiki/Benediktinerabtei_St._Matthias


Wie sagte ein freundlicher Mensch dieser Tage: Schön, zu erfahren,

dass auch ein kleinerer Ort seine eigene Geschichte hat.

62

Gemeindewappen

„Ein Wappen ist ein schildförmiges Zeichen, angelehnt an den Schild als Schutzwaffe des

Mittelalters. Es kann als Hoheitszeichen für einen Staat, ein Land, eine Stadt stehen.“ So steht

es bei Wikipedia. Landkreise führen ebenfalls Wappen.

Also hat auch Griesingen sein Wappen. Es findet sich auf der Titelseite unseres Amtsblatts.

Im Gemeindebuch ist es auf Seite 16 in mehrfacher Ausführung abgebildet. Dazu wird auch

beschrieben, wie es zu dem Wappen kam. Das Ortsadelsgeschlecht der „Herren von Griesingen

führte einen von Rot und Silber geteilten Schrägbalken.“ Und weiter: „Der blaue Schildgrund

und die drei goldenen Kugeln sind vom Wappen der Freiherren von Freyberg abgeleitet.“

Also so richtig rittermäßig‐mittelalterlich? Nicht ganz: „Das Innenministerium hat das Wappen

und die Flagge [blau‐gelb] am 28. März 1961 verliehen.“ Das ist jetzt ziemlich genau sechzig

Jahre her. Und der Entwurf dazu stammte von Oberlehrer Ludwig Bendel (Griesingen), der im

Ehrenamt von 1953 bis 1979 Dirigent des Liederkranzes Cäcilia war. (Gemeindebuch Seite 71).

Er muss also auch zeichnerisch begabt gewesen sein und zudem geschichtlich bewandert.

Wikipedia zeigt, dass noch eine ganze Reihe weiterer Städte und Gemeinden ein ähnliches

Wappen führen. Manche Orte davon sind in der Nähe, andere wohl weiter entfernt. Allen

gemeinsam sind die drei meist goldenen, zuweilen andersfarbigen Kugeln, die auf die Familie

von Freyberg zurückgehen. „Freyberg ist der Name eines alten … schwäbischen Adelsgeschlechts,

das zuerst im Südwesten Deutschlands in Erscheinung tritt.“** Da bei Wikipedia

unser Nachbarort Altheim bei Ehingen nicht aufgeführt ist, ist dieses Wappen hier gesondert

dargestellt.

Die Abbildungen sind selbsterklärend. Ich habe bei meinen Nachforschungen festgestellt, dass

es durchaus auch heute noch einzelne Gemeinden gibt, die kein eigenes Wappen haben: „Die

Gemeinde Gutenzell‐Hürbel (Landkreis Biberach) führt als eine von drei Gemeinden in Baden‐

Württemberg kein eigenes Wappen. Stattdessen werden die ehemaligen Gemeindewappen der

beiden Ortsteile Gutenzell und Hürbel nebeneinander verwendet.“*

https://de.wikipedia.org/wiki/Wappen

https://de.wikipedia.org/wiki/Gutenzell-Hürbel (* führt kein eigenes Wappen, verwendet die der

Ortsteile)

https://www.griesingen.de/de/gemeinde-griesingen/die-gemeinde/wappen

https://de.wikipedia.org/wiki/Freyberg_(Adelsgeschlecht) (**)



Bibellies, Blinder Espan und Bloßäcker

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Das sind drei Griesinger Flurnamen, die hier näher erklärt werden sollen. Oft klingen Flurnamen

für uns Heutige seltsam, unverständlich oder verleiten zu irreführenden Erklärungsversuchen.

Bibellies sprich: [bibllias] — Auf der Flurkarte auch: Bibellüß. Im Winkel zwischen der Kreisstraße

nach Altbierlingen und dem Gemeindeverbindungsweg nach Schaiblishausen. Benachbart:

Stockert, Hummelberg, Felbengärtlesäcker, Hinter dem Berg, Greut. — Der

Flurname ist vielleicht von Lateinisch biblosus (mit Binsen bewachsen) abgeleitet, also

Grundstücke an fließendem Gewässer, das auch ein Rinnsal sein kann. Vielleicht handelt

es sich auch um Wiesen, die damit bewässert wurden. — Der zweite Wortbestandteil „Lüß“

[von Laus = Los] besagt, dass bestimmte Anteile an der Allmende durch Auslosen vergeben

wurden. Sicher ist, dass der Flurname nichts damit zu tun hat, dass da jemand besonders

Frommer immer in der Bibel gelesen hätte.

Blinder Espan sprich [aischba] auch ohne „blind“ — Im südwestlichen Markungsbereich, auf

neuer Karte rechts des Feldwegs nach Altbierlingen, westlich des Gewanns „Bühl“ und vor

„Rötenleh“/„Rötleh“. Zwischen 1561 und 1697 wird dieses Flurstück mehrfach „Waßenzaun“

genannt. Der heutige und wohl nicht sehr geläufige Name, 1825 als „Blinder Aispel“ geschrieben,

muss also aus jüngerer Zeit stammen. Aber beide Namensdeutungen (Espan bzw. Wasenzaun)

ähneln sich aufallend. „Ein ‚Wasen’ ist eine mit Gras bewachsene Fläche, die für

Anbau wenig geeignet ist; sie dient daher oft besonderen Zwecken: als Weide oder als Spielplatz

und Schindanger (Platz zum Verscharren eingegangener Tiere), und oft auch als Stätte

festlichen Treibens, sonn‐ und festtägliche Treffpunkte für Jung und Alt.“ (C. Kohl). Vgl. „Cannstatter

Wasen“* und „Theresienwiese“**. — „Blind“ nannte man einen Ort, an dem das Unterholz

ausgehauen ist. Und wie schon gesagt, es gibt weitere und ganz ähnliche Erklärungen:

Espan wird beschrieben als Weideland, das von einer beschränkten Zahl Nutzungsberechtigter

gemeinsam genutzt wurde. Espan ist ein zwischen Äckern und Wiesen gelegenes Grundstück,

das von der Dreifeldernutzung ausgenommen war und häufig als Vieh‐ und Geflügelweide genutzt

wurde. Wenn nur das Unterholz beseitigt war, bleiben größere Bäume stehen, konnten

Schatten spenden und vor Regen schützen. Der Espan lag immer in unmittelbarer Nähe der

Siedlung und diente auch als Spiel‐ und Festplatz. Espan: Eine einge‐’spannte’ [also wohl eingezäunte]

Weidefläche in der Nähe des Dorfes; Schwäbisch ‚aispe’‚ (Anton Huber, Kirchbierlingen).

— Hier folgen einige Namen von Ortsteilen oder Straßen, die aus dem Flurnamen

„Espan“ erwachsen sein dürften: Biberach („Beim Aspen“), Kißlegg („Espanweg“), Langenenslingen

(„Im Aisple“), Laupheim‐Untersulmetingen („Am Espan“), Mietingen‐Baltringen („Im

Espan“), Öpfingen („Im Aispel“,auch: „Aischbl“; Ortsteil südlich der Donau), Oberholzheim

(„Espan“), Erbach („Aspenweg“***), Schemmerhofen („Aispenweg“), Uttenweiler („Im Aispel“),

Isny („Espantor“.

Blößäcker, Bloßäcker, Blöße mundartlich [blaise] — Zum Teil auf Markung Schaiblishausen.

An der Markungsgrenze, nördlich des Gewanns Höll. Benachbart: Brenntehau, Höll(e),

Suhau (heute alle Markung Schaiblishausen); Am Griesinger Wald. — Blößäcker sind aus

dem Wald ausgehauene Ackerstücke, also von Wald entblößte Stellen. Ähnliches gilt für

die „Stockäcker“ wie in einem anderen Beitrag beschrieben wird. Die Zuwanderung von

Bauern nach dem 30‐jährigen Krieg (1618‐48) brachte eine Erweiterung der Wirtschaftsfläche

mit sich. Durch Rodung wurde Wiesen‐ und Ackerland gewonnen.


Die Flur wurde lange Zeit gemeinsam mit der Nachbargemeinde Schaiblishausen genutzt.

Wer die „Blaise“ landwirtschaftlich nutzt, weiß, dass sich dort knapp unter der Oberfläche

auffällig viele größere Steine befinden. Ob sie Reste der einstigen Römerstraße von Donaueschingen

über Ennetach‐Emerkingen‐Rißtissen und weiter letztlich bis Istanbul sind?

Dies wird in einem anderen Beitrag dieser Reihe näher dargestellt.

Zum Nachbarort Schaiblishausen sagt man (zumindest in Obergriesingen) oft auch einfach

„Housa“. Der örtliche Dialekt bewahrt wie so oft Geschichtliches: „Im 13. Jahrhundert ist Schaiblishausen

als ‚Husin‘ dokumentiert. Der spätere Zusatz ‚Schaiblis‘ geht wahrscheinlich auf die

Niederadelsfamilie Schadwin [oder ähnlich geschrieben] zurück, die im Ort lebte. Die dortige

Schädwienstraße erinnert daran. Es waren Dienstleute der Grafen von Berg, welche die Oberhoheit

über Schaiblishausen hatten. Von den Grafen von Berg gingen die Rechte im Jahr 1343

an Österreich über. Später hatten hier die Klöster Marchtal und Urspring Güter. Im Jahr 1681

erhielten die Grafen Schenk von Castell zusammen mit der Herrschaft Berg‐Schelklingen den

Ort als Pfand und später auch als Lehen. Seit dem Jahr 1805 war Schaiblishausen ein Teil des

Oberamtes Ehingen und gehörte somit zum Königreich Württemberg.“ Am 1. Januar 1973 wurde

das Dorf zusammen mit Bockighofen nach Ehingen eingemeindet und wurde dort einer von

heute 17 Teilorten“ (Wikipedia). Zu „Bockighofen“ sagt man mundartlich „Bockhofa“. Um 1300

hieß es in einer Urkunde „Bokkenkoven“ (Wikipedia).

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schaiblishausen

https://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaft_Berg

https://de.wikipedia.org/wiki/Cannstatter_Wasen (*Cannstatter Volksfest)

https://de.wikipedia.org/wiki/Theresienwiese (**München, Oktoberfest)

https://de.wikipedia.org/wiki/Isny_im_Allgäu (u. a. Espantor, und in einer Abbildung von 1631 als „Esperthor“)

*** Aspenweg (Erbach): Hier könnte auch die Baumart

Aspe/Espe eine Rolle gespielt haben: https://de.wikipedia.org/wiki/Espe


In der Anlage wie immer die dazugehörigen Fotos sowie

ausnahmsweise zusätzlich einmal der Scan des Originals

Vom Flintsteinmesser zum Mähdrescher

66

Die Getreideernte war jahrzehntausendelang ein mühseliges Geschäft. Gebückt und mit einer

Art Sichel in der Hand wurden die Getreidehalme abgeschnitten. Zunächst war diese „Sichel“

aus scharfkantigem Flintstein oder aus Knochensplittern gefertigt, erst ein paar Tausend Jahre

später waren sie aus Keramik oder ab der Eisenzeit aus Metall. Eine Abbildung zeigt eine sumerische

Ton‐Sichel von 3000 v. Chr. Die Sumerer lebten dort, wo heute Syrien, Irak und Iran liegen

und gelten derzeit als erstes Volk, das den Schritt zur Hochkultur geleistet hat.

Bei Wikipedia steht: „Etwa ab 450 v. Chr. entwickelte sich aus diesen Vorläufern die moderne

Sense mit längerem Stiel und abgewinkeltem Blatt, so dass ein bodennahes Abschneiden der

Pflanzen in aufrechter Stellung möglich war. Welch ein Fortschritt! Diese Sensen befanden sich

dann auch bei den Römern, Kelten, Germanen und Slawen im Einsatz.“ Freilich, man musste sie

auch beherrschen. Sonst hätte es geschehen können, dass man einen als „Spitzmahder“ verspottet,

wenn er mit der Sensenspitze beim Mähen öfters in den Boden stach.

Wenn das Getreide (die „Frucht“) erntereif war, wurde es gemäht, zusammengerecht und zu Bündeln

gebunden, die man Garben nannte und vom Feld heimführte. Die Abbildung auf Seite 281 im

Gemeindebuch zeigt einen vollbeladenen Garbenwagen. Man erkennt auch, dass viele helfende

Hände erforderlich waren. Die Zeit der Getreideernte heißt in Griesingen „Äret“ (Ernte), während

ich beim Gette im Kreis Biberach „Augschda“ dazu hörte (vom Erntemonat August abgeleitet).

Im Spätherbst und Winter wurde das eingelagerte Getreide gedroschen. Das heißt, man klopfte

die Körner aus den Ähren heraus, um sie später zu Mehl vermahlen zu können. Lange Zeit ging

das nur von Hand mit Dreschflegeln.

Siehe im Gemeindebuch Seite 229: Welche Erleichterung war da die Erfindung der ersten Dampf‐

Dreschmaschinen! Sie wurden zum jeweiligen Bauerngehöft angefahren und blieben dort, bis

vor Ort alles Getreide gedroschen war. Bald kamen weitere nützliche Maschinen auf den Markt,

zum Beispiel die ersten Mähmaschinen, anfangs von Pferden gezogen (siehe Abbildung). Sie

lösten die Sensen ab. Dann kam eine neue Erfindung dazu: Der Mähbinder oder Bindemäher

war vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1960er Jahre in Deutschland verbreitet.

Er konnte mähen und sogleich die Halme zu Garben binden. Wieder welche Erleichterung! Aber

noch immer mussten die Garben von Hand aufgeladen, in die Scheune gefahren und gelagert

und später gedroschen werden.

Der ultimative Kick war dann der Mähdrescher, der bald alles zugleich konnte: Mähen, dreschen, das

übrige Stroh ablegen oder gleich häckseln und verteilen und die Getreidekörner lager‐ oder verkaufsfertig

zum Abtransport bereithalten. Das Funktionsprinzip hat sich seit den ersten Exemplaren nicht

sehr geändert, wohl aber die Technik, die Wirkungsweise und die Leistungsfähigkeit. Nur ein Beispiel:

Saß bei den ersten Exemplaren der Fahrer noch hoch oben „auf dem Bock“, war er Wind und Wetter,

Regen und brütender Sonne ausgesetzt. Mancher befestigte irgendwo einen Sonnenschirm, aber

schlimmer noch als all dies war der aufgewirbelte Staub, der stundenlang eingeatmet wurde.

Die Folgen waren Hustenreiz und tränende Augen. Die Älteren unter uns wissen das noch gut.

Wie vergleichsweise komfortabel haben es heutige Mähdrescherfahrer und ‐ innen: Sie sitzen

in einer weitgehend staubdichten und schallgedämmten Kabine mit Klimaanlage, und der Bord‐


computer hilft bei der Bedienung und Überwachung des ganzen Geräts. Radio oder Musik vom

Handy gibt es auch. Heutzutage hilft zunehmend auch noch die GPS‐Steuerung zum möglichst

verlustfreien Abfahren des Felds. Und ein Mensch plus die Schlepperfahrer bewältigen heute

ein Vielfaches an abgeernteter Fläche im Vergleich zur Zeit der Sensen und Garben.

Wie seit der Steinzeit nimmt der Fortschritt noch immer kein Ende. Wer die harte Knochenarbeit

und Schinderei früherer Jahrzehnte noch selbst erlebte, wird über das Neue wohl nicht betrübt

sein, auch wenn ein Mähdrescher viel Geld kostet. Man könnte allenfalls bedauern, dass man

heute einsam hoch oben in einer Maschine „thront“ und seine Runden dreht, und dass es keine

größere Schar von Menschen mehr gibt, die sich stundenlang abplagen, aber danach auch noch

zum Feierabend in gemütlicher Runde beisammensitzen. Freilich, wenn in (ganz) ferner Zukunft

die Mähdrescher auch gleich noch ein eingebautes Backhäusle und eine Minibrauerei dabei

haben und Biertischgarnituren zum Ausklappen mitführen, dann … Ja, dann könnte die alte Gemütlichkeit

vielleicht wiederbelebt werden. Man wird ja noch träumen dürfen … *lächel*. Die

Abbildungen sind weitgehend selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Messer#Steinzeit

https://de.wikipedia.org/wiki/Sumerer

https://de.wikipedia.org/wiki/Sichel_(Werkzeug)

https://de.wikipedia.org/wiki/Jungsteinzeit

Youtube: Historischer Feldtag - Getreide-Ernte u. Dreschen

https://www.youtube.com/watch?v=SZtdVH4a_bo (Video: Sichel bis Mähdrescher)

https://www.youtube.com/watch?v=mDpSyjwzVMI (Video: Der Lanz und seine Geschichte)

https://de.wikipedia.org/wiki/Sense_(Werkzeug)

https://de.wikipedia.org/wiki/Mähbinder

https://de.wikipedia.org/wiki/Mähdrescher


Gemeiner Trieb

68

Klagte das Hirtenbüble: „Was, da soll ich heute unsere Kühe hintreiben? Es wird ein heißer Tag

und gibt dort kaum Schatten. Mit meinen nackten Füßen muss ich durch Brennnesseln und dornige

Brombeerhecken laufen. Tausende Schnaken wollen mich stechen. Unsere g’scheckte Lies‘

will immer wieder davonlaufen, und ich muss sie wieder hertreiben! Außerdem ist sonst keiner

da, mit dem ich reden oder spielen könnte. Deesch älles soo gemein, Babba!“

„Gemeiner Trieb“ ist ein Griesinger Flurname, der zu allerlei Mutmaßungen führen könnte. Man

spricht ihn so aus: [gmoi drib], mit langem „i“. Manchmal wird das ‚G‘ am Anfang auch schier verschluckt.

Die schwäbische Aussprache [gmoi] zeigt uns, dass der Flurname nichts mit „gemein“ im

Sinne von unfair oder hinterhältig zu tun hat. „Gemein“ bedeutet „allgemein“ genutzt, also von der

gesamten Dorfbevölkerung. Ein Flurstück dieses Namens gehörte nicht einem einzelnen Besitzer,

sondern war Teil der Allmende. „Als landwirtschaftlicher Begriff bezeichnet Allmende … Gemeinschafts‐

oder Genossenschaftsbesitz abseits der parzellierten (in Fluren aufgeteilten) landwirtschaftlichen

Nutzfläche.“ (Wikipedia). Was in diesem Sinne „gemein“ war, durfte von der

Dorfgemeinschaft gemeinsam genutzt werden, wenn auch sicher nach Absprache.

Zum zweiten Teil dieses Flurnamens: Ein „Trieb“ ist eine Stelle, auf die das Vieh zur Weide getrieben

wurde. Noch heute sagt man, wenn man Vieh auf die Weide bringt, „austreiben “, und

wenn man es am Abend wieder heimholt, „eintreiben “. Scherzhaft sagen auch Eltern, wenn sie

jüngere Kinder gegen Abend ins Haus rufen, sie würden den Nachwuchs jetzt „eintreiben“. Bei

Viehmärkten und ‐auktionen werden so und so viel Stück Vieh „aufgetrieben“. In den Bergen

gibt es im Frühjahr den „Almauftrieb“ und jeden Herbst den „Almabtrieb “. Woanders heißt’s

zum Teil auch anders: Im Allgäu heißt’s zum Beispiel „Alp‐“.

Natürlich haben „(auf‐)treiben“, „Trieb“ usw. noch andere Bedeutungen, die jedoch nicht zu

landwirtschaftlichem Tun und nicht zu den Flurnamen gehören.

Wie uns der Flurname also verrät, wurde der „Gemeine Trieb“ von allen gemeinsam als Viehweide

genutzt. Der Gemeine Trieb liegt an der nördlichen Gemarkungsgrenze Richtung Gamerschwang,

rechts (östlich) des „Gamerschwanger Wegs“ in Verlängerung des Riedwegs.

Benachbart: Lüßwiesen, Brühl, Donauwiesen, Hägele, Breitwiesen. Man trieb das Vieh vorwiegend

dort zur Weide, wo man entweder wegen Bodenfeuchte oder wegen Überschwemmungsgefahr

(nahe Donau!) nicht sonderlich gut Heu und Öhmd gewinnen konnte.

Die Namen einiger Nachbarfluren („Lüss‐“, „Brühl“ und „Donau‐“) deuten dies ja ebenfalls an.

Dies wird in einem anderen Beitrag besprochen. Nicht weit davon entfernt liegt auch die

„Kälberweide“ (scherzhaft auch „Kälbergässle“), wie ebenfalls in einem anderen Beitrag dieser

Reihe dargestellt. Solche Flurstücke nutzte man bevorzugt durch Viehaustrieb. Die Tiere konnten

ihr Futter selber suchen. Dies änderte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, als man auch

sommers überwiegend zur Stallfütterung überging. Zwar trieb noch bis in die 1970er‐Jahre mancher

Landwirt auch in Griesingen sein Vieh in der Vegetationsperiode stundenweise auf die

Weide, doch zum Melken wurde es allabends eingetrieben (heimgeholt). In Irland haben wir

gesehen, wie Bauern mit der Melkmaschine auf dem Bulldogg‐Anhänger zu den Kühen fuhren,

die in der wärmeren Jahreszeit auch nachts auf der Weide blieben. Manche Bauern legen auch

hierzulande inzwischen wieder Wert auf verstärkte Weidehaltung und werben damit.

Die bei der Stallhaltung anfallende Gülle und der Mist konnten zur Düngung und damit zur Er‐


tragssteigerung ausgebracht werden. „Damit wurden allmählich Brache und Allmende der

intensiven Nutzung zugeführt, und die Flächenerträge stiegen generell. Die gesteigerte pflanzliche

Produktion diente nicht nur der Ernährung der wachsenden und zunehmend gewerblichindustriell

tätigen Bevölkerung, sondern auch der Fütterung eines wachsenden Viehbestands.“

(Quelle: siehe unten*). Milchüberschüsse konnten zu Butter und Käse usw. verarbeitet werden.

Das dabei anfallende „Schottenwasser“ (oder „Käswasser“) konnte wiederum in der Schweinehaltung

zur Fütterung gut verwendet werden. Die Nutzung der Allmende verlor an Bedeutung.

So erzählt uns auch der Flurname „Gemeiner Trieb“ etwas zur Griesinger Geschichte. Straßennamen

anderer Orte, die sich aus entsprechenden Flurnamen ableiten lassen: Zu „Allmende/Gemein‐“:

Achstetten („Gemeindewiesen“), Bad Buchau‐Kappel („Gemeindebeunden“; Beund =

Kleingärten), Biberach („Allmendeweg“), Laichingen („Gemeindegässle“), Mietingen („Gemeindewiesen“),

Ravensburg („Allmannstraße“), Ulm („Gemeindeplatz“), Wangen im Allgäu („Allmandweg“)

und Weingarten („Allmandstraße“). — Zu „Trieb“: Ingoldingen‐Muttensweiler

(„Triebweg“), Maselheim („Triebäckerweg“) und Ummendorf‐Fischbach („Trieblesfeld“).

Die Abbildungen (Copyright) zeigen u. a. ein Hobby‐Hütekind und Weidevieh unter Obstbäumen

– aber alles aus neuerer Zeit und nicht in Griesingen und sind ansonsten selbsterklärend.

Der Elektrozaun würde dem Hirtenbüble den harten Tag ersparen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Allmende

https://finanzkun.de/artikel/geschichte-der-milchwirtschaft/

https://de.wikipedia.org/wiki/Käse#Käseherstellung

https://de.wikipedia.org/wiki/Käseherstellung

https://de.wikipedia.org/wiki/Molke

https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013827/2011-03-23/

*Umstrukturierung der Landwirtschaft in der 2. Hälfte des 18. Jhd.

https://de.wikipedia.org/wiki/Weide_(Tierhaltung)

https://de.wikipedia.org/wiki/Almauftrieb

https://de.wikipedia.org/wiki/Almabtrieb (Fotos geschmückter Kühe)


Oberstadion/Unterstadion. Oberburkhardshofen/Unterburkhardshofen.

Ober‐ und Unteressendorf … (Gemeinsames und Unterschiede, und dann …)

Ober‐ und Untergriesingen

Zu Ober‐ und Untergriesingen (alphabetisch geordnet) steht in der Quelle „LEO‐BW … das landeskundliche

Informationssystem für Baden‐Württemberg“ zu Obergriesingen: „Historische Namensform:

altero Grisingen“ [altero: lateinisch = oberes] — „Gehörte wohl immer, auch in kirchlicher

Beziehung, zu Untergriesingen, mit dem es eine gemeinsame Markung besitzt.“ Wie die hier abgebildete

Landkarte von 1831 zeigt, waren die beiden Ortsteile räumlich deutlich voneinander

getrennt. Speziell für Untergriesingen findet sich in dieser amtlichen Quelle leider kein ent ‐

sprechender Beitrag. Doch wir hier vor Ort wissen schon noch ein bisschen mehr zum Thema.

Gemeinsame Markung, ja, aber räumlich und auch kirchlich einstens durchaus getrennt. In der

Beschreibung des Oberamts Ehingen von 1826 heißt es: „Obergriesingen bildete ehemals eine

eigene Pfarrey, wovon Freyberg [in Öpfingen] das Patronat hatte. Da aber der Ort im Bauernkriege

1525 fast ganz zerstört wurde, zog der Pfarrer nach Unter‐Griesingen, von wo aus beyde

Pfarrer die Pfarrey lange Zeit gemeinschaftlich versahen. Nachdem im 30jährigen Kriege auch

Unter‐Griesingen ein ähnliches Schicksal gehabt hatte, ließ man die Ober‐Griesinger oder Freybergische

Pfarrey ganz ruhen, und 1723 wurde förmlich entschieden, daß nur Eine, die Kloster

Salmannsweilische, Pfarrey für beyde Orte fortan bestehen solle.“ [Salmannsweiler = Salem,

nahe Überlingen am Bodensee]. Wo einmal das Obergriesinger Pfarrhaus und eine zugehörige

Kirche oder Kapelle standen, ist bisher nicht bekannt.

Landrat Heinz Seiffert schreibt 2010 in seinem Grußwort zum Gemeindebuch: „Zwei kleine Ortschaften

im ehemaligen Vorderösterreich, Ober‐ und Untergriesingen, haben sich im Laufe der

Jahrhunderte zu einer lebendigen und äußerst attraktiven Gemeinde entwickelt.“ (Seite 11).

Dazu im Gemeindebuch Seite 22: „Seit 2004 hat sich die Siedlungsfläche in Griesingen nahezu

verdoppelt. Die Ortsteile Ober‐ und Untergriesingen sind baulich zusammengewachsen.“

Seite 213 im Gemeindebuch zum Thema Kühe hüten: „Die Obergriesinger trieben besonders

gern in die Flur ‚Höll‘ (Richtung Schaiblishausen) aus. Dort gab es keine Felder, sondern Grünland,

und die Kühe hielten sich den ganzen Nachmittag dort auf. Auf diese Art wurden auch ‚Raitlai‘

(Rötleh), ‚Stockert‘, ‚Felbegäätle‘ (Felbengärtle) und ‚Greit‘ (Greut) genutzt. In Untergriesingen

ging man zu diesem Zweck Rißtissen und Öpfingen zu.“ Zum Beispiel in die Fluren „Gemeiner

Trieb“ sprich [gmoi drib], Lüßwiesen, Brühl, Donauwiesen, Hägele und Breitwiesen. Mehr dazu

in einem anderen Beitrag dieser Reihe.

C. Kohl fand heraus, dass die Gewanne „Waset“ (früher „Wasach“) und „Kälberweide“ von Obergriesinger

Bauern nicht genutzt werden durften. Sie hatten ja auch vielleicht deshalb ihre eigene

„Schindergrub“ zur Entsorgung eingegangener Tiere, wie in einem anderen Artikel dargestellt.

Wenn jemand aus Obergriesingen in den Gemeinderat gewählt wurde, konnte er oder sie schon

mal Zuspruch erhalten, dass zum guten Glück jetzt auch Obergriesingen im Rathaus vertreten sei.

Lange war die heutige Höhenstraße nur geschottert und also ohne Teerbelag, und es gab keine

Gehwege. Für Kirch‐ und Botengänge, zum Einkaufen, um zur Bank und ihren Vorläufern, zur

Molke, zum Rathaus und zur Schule zu gehen, für all dies mussten die Menschen aus Obergriesingen

einen langen und vor allem bei schlechtem Wetter und im Alter auch beschwerlichen

Weg auf sich nehmen, vor allem zu Fuß. Jugendliche Obergriesinger Schüler/‐innen und die Er‐

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wachsenen hatten es lange Zeit weit bis zur Bushaltestelle. Diese lag anfangs sogar an der heutigen

Talstraße (Landesstraße) und erst später innerorts beim Gasthof Adler. Endlich wurden

wenigstens vor einigen Jahren in der Raiffeisenstraße und in der Höhenstraße an der Nahtstelle

zwischen Unter‐ und Obergriesingen zwei weitere Haltestellen eingerichtet.

Im Gemeindebuch auf Seite 246: „Zweierlei Griesingen – und doch eines. Wer einen ganz neuzeitlichen

Routenplaner im Internet benutzt, um herauszufinden, wie man am besten von oder

nach Griesingen finde, muss gewärtig sein, gefragt zu werden, ob Ober‐ oder Untergriesingen

gemeint sei. Auch (papierene) Straßenkarten unterscheiden noch genau zwischen den beiden

Ortsteilen.“ Das war im Jubiläumsjahr 2010 auf jeden Fall noch öfters so.

Aber, schlag me ‘s Blechle! Zehn Jahre später, am 24. Dezember 2020 konnte ich auf dem Handy

bei der Wetter‐App das Wetter für Ober‐ und Untergriesingen getrennt vorhersagen lassen, freilich

ohne nennenswerten Wetter‐Unterschied. Und auch mein Routenplaner auf dem Handy

„wusste Bescheid“, am 24. 2. 2021 (kleine Abbildungen). Und bei Wikipedia steht wörtlich: „Griesingen

mit dem Dorf Untergriesingen und dem Weiler Obergriesingen“. Und weiter bei derselben

Quelle: „Obergriesingen gehört zu Griesingen.“* Nun, das stimmt in der Tat. Aber es muss nicht

überall so sein! So gehört zum Beispiel Oberstadion nicht zu Unterstadion. Oberburkhardshofen

und Unterburkhardshofen gehören beide gleichberechtigt zu Leutkirch im Allgäu und hierbei

zum Ortsteil Diepoldshofen.

Im Gemeindebuch steht auf Seite 247: „Alteingesessene Griesinger wissen bis heute von gewissen

Rivalitäten zwischen Ober‐ und Untergriesingen zu berichten (wie halt ab und zu zwischen

Nachbarorten vermutlich auf der ganzen Welt). Fest steht, dass es in Obergriesingen Vieles

nie oder sehr lange nicht gab: Bäcker, Bank, Bushaltestelle, Gasthaus, Gemeinschaftseinrichtungen

(Waschküche, Gefrieranlage), Handwerksbetriebe, Kindergarten, Kirche und Friedhof,

Ladengeschäfte, Lagerhaus, Molke (Milchannahmestelle), Poststelle, Rathaus, Schule ...“. Nach

meiner Kenntnis war auch unter den früheren einheimischen Griesinger Bürgermeistern nie

einer in Obergriesingen wohnhaft.

Und abschließend nochmals auf Seite 247: „Heute erkennt man im Vorbeifahren kein Unterund

Obergriesingen mehr. Die Lücken sind geschlossen, baulich und wohl auch weitgehend gefühlsmäßig.“

Da sind wir also offensichtlich weiter als ein Teil der „modernen“ Computer‐ und

Handy‐Daten. Und das muss ja keineswegs schlecht sein!

https://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_Ehingen/Kapitel_B_20

https://www.leo-bw.de/

https://de.wikipedia.org/wiki/Griesingen

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Orte_im_Alb-Donau-Kreis (* auch zu Ober- und Untergriesingen)


Alte Landstraße

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Ihr Name erinnert daran, dass sie früher die Durchgangsstraße durch Untergriesingen war. Dies

zeigt zum Beispiel eine königlich‐amtliche Landkarte von 1831. Davor, um 1808, gab es übrigens

noch gar keine Straßenverbindung nach Nasgenstadt. Das war vor der Donaubegradigung, als

das Donautal häufig und großflächig überschwemmt war. „Diese Hochwasserereignisse verhinderten

bis zur Regulierung der Donau in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine dauerhafte

Besiedlung dieser Risikozone. Allerdings wurden die Überflutungsbereiche schon immer als

Weideland genutzt. Zur Aufrechterhaltung der Fruchtbarkeit der Weideflächen und Mahdwiesen

war der Eintrag von nährstoffreichen Sedimenten sogar sehr willkommen (es gab ja noch keinen

Kunstdünger). Überflutungen wurden daher auch nicht als Katastrophen wahrgenommen,

weswegen auch nur ganz außergewöhnliche Hochwasser in den Archiven dokumentiert

wurden.“ (Quelle**) In anderen Beiträgen dieser Reihe wird mehrfach über die Weidenutzung

des Donautals bei Griesingen berichtet.

Die heutige „Umgehungsstraße“ von Griesingen („Talstraße“; Landesstraße L 259) entstand erst

1935/36. Wenn das Wetter einigermaßen gut und die Wege passierbar waren, so benützten die

Fuhrleute daher früher zur Abkürzung an Griesingen vorbei gerne einen Feldweg, der etwa dem

Verlauf des heutigen Radwanderwegs folgte — also ungefähr parallel zur heutigen Talstraße.

So vermied man den auf beiden Seiten beschwerlichen Anstieg ins Dorf hinein, zumal umgekehrt

die Gefällstrecken ortsauswärts auch wieder nur schwer zu bewältigen waren. Freilich: Damit

konnten sie dann weder im Rößle, noch im Adler oder im Hirschen einkehren und ihre Zugtiere

saufen lassen. Da unterhalb der Kirche Wasser den Hang herunterdrückt, war zu nassen Zeiten

dieser Umgehungsweg freilich stellenweise oft sehr morastig. „Dia sand mit ihre Fuhrwerk schier

vrsoffa!“ wusste mir Alt‐Bürgermeister Karl Müller † noch zu erzählen. Das heißt, sie seien mit

ihren Fuhrwerken zeitweilig im Morast steckengeblieben und mit den Rädern tief eingesunken.

Von der Alten Landstraße führte einst ein Fußweg durch das Anwesen Hugo Raiber („Reges“) in

die angrenzenden Felder.

An der Alten Landstraße liegen der Kindergarten, das Rathaus, das Gasthaus „Brasserie Adler“,

das Musikerheim (ehemaliges Lehrerhaus) und die Schule. Aber auch die früheren Wirtschaften

„Rössle“ und „Hirsch“ lagen an der Alten Landstraße. Außerdem befindet sich an ihr eine beidseitige

Bushaltestelle mit den Buslinien 21 (Erbach) und 225 (Ehingen/Laupheim), neuerdings

barrierefrei ausgebaut. Über viele Jahre war hier auch die örtliche Poststelle und noch früher

sogar eine Tankstelle (beim „Adler“*).

Von der Alten Landstraße sind Pfarrkirche, Jakob‐Griesinger‐Haus, Feuerwehrhaus, Bank, Friedhof

und Mehrzweckhalle alle fußläufig zu erreichen. Und als sie noch bestanden, waren es auch

die Gemeinschaftsg’friere und die Gemeinschaftswäscherei sowie die Ladengeschäfte Gräter,

Wiget und Langensteiner/Wilhelm.

Und somit ist die Alte Landstraße von der Funktion her eine Art Hauptstraße oder das Rückgrat

der Gemeinde Griesingen, früher eher noch mehr als heute.

Die Abbildungen zeigen Teilstücke der Alten Landstraße und die damalige Tankstelle beim Gasthaus

Adler sowie eine Landkarte von 1808, wo es zwar je einen Weg nach Gamerschwang und

Öpfingen gibt. Nach Nasgenstadt geht es aber nur auf dem Umweg über Obergriesingen‐Altbierlingen‐Berg‐Ernsthof

(Gemeindebuch Seite 194).


Vergleichbare Straßenbezeichnungen gibt es zum Beispiel auch in Öpfingen („Alte Landstraße“),

mehrfach in Ehingen („Alte Bundesstraße“, Gamerschwang, „Alte Heerstraße“, Rißtissen, „Alte

Steige“, Nasgenstadt und „Alter Postweg“, Kernstadt), Erbach und Dornstadt (je eine „Alte Landstraße“),

Schemmerhofen („Alte Biberacher Straße“), Blaubeuren („Alte Poststraße“) und Warthausen

(„Alte Biberacher Straße“ und „Alte Steige“).

https://de.wikipedia.org/wiki/Landstraße (zur Auswahl)

https://de.wikipedia.org/wiki/Landesstraße

https://de.wikipedia.org/wiki/Fanal_(Mineralöl) (*die Griesinger Tankstelle)

http://www.joerghemmer.de/Umwelt/Donauausbau.html (**Hochwasser, Donauregulierung und Folgen)


Strieglein geleckt

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Es ist schon ein Weilchen her, dass ich 1952 ein Erstklässler war. In den großen Ferien durfte ich für

ein paar Tage zum Gette im Kreis Biberach. Es war aber nicht so sehr Urlaub auf dem Bauernhof.

Zwar hatte man beim Gette auch etliche Kinder, aber alle waren sie noch jünger als ich oder damals

auch noch gar nicht alle auf der Welt. Also war meine Mithilfe bei der Getreideernte durchaus

willkommen. Was sollte ich kleiner Junge tun? Man legte mir ein Bündel „Garbaschdriggla“

(Garbenstricklein) über den Arm. Und dann musste ich beim langsamen Gehen entlang der Ackerfurche

ein Stricklein nach dem anderen ordentlich hinlegen, so dass der Gette mit der Gabel die

zuvor gemähten Getreidehalme büschelweise darauf ablegen konnte. In einem dritten Arbeitsgang

kniete er dann auf jedes dieser Büschel und band es mithilfe „meiner“ Stricklein zu einer Garbe

zusammen. Ich als Leger der Garbenstricke musste streng darauf achten, dass die Stricke und damit

die Garben schön aufgereiht und nicht etwa in Kurven oder Wellenlinien zum Aufladen bereit lagen.

Sonst hätten weder anfangs die ziehenden Kühe oder Molle (Ochsen) und etwas später der Lanz‐

Mannheim‐Bulldogg entsprechend nicht geradeaus ziehen können, wie es natürlich erwünscht war.

Wer nach „Garbenstrick“ googeln will, wird fündig. Wer sie noch selbst gekannt hat, weiß, dass die

in der Sommerhitze ganz schön auf der Haut „gebissen“ haben. Kaum war man das letzte Stricklein

los, bekam man das nächste und anfangs wieder umso schwerere Bündel aufgelegt. In der Summe

machte das beim Gewicht einiges aus: Die Garbenstricke hatten an einem Ende alle einen Holz ‐

knebel befestigt, um sie besser verknoten zu können.

Schlafen durfte ich im Schdieble (Austragshäusle) bei der Oma. Die wird es wohl gewesen sein,

dass sie mir auftrug, doch mal an meine Eltern ein Brieflein zu schreiben. Für die Jüngeren:

Damals hatte man weit und breit noch kein Telefon im Haus, auch meine Eltern nicht, und

natürlich erst recht auch kein Handy. Ich weiß nicht mehr, was ich als ABC‐Schütze in das kleine

Brieflein schrieb. Aber eines ist mir in Erinnerung geblieben, weil es mir später meine Eltern erzählten.

Ich hätte unter anderem berichtet: „Ich habe Strieglein geleckt.“ Sie hätten einige Zeit

gerätselt, woran ich meine Zunge denn hätte entlangstreichen lassen. Bis es ihnen dämmerte,

dass ich etwas verwechselt hatte. Ich hätte schreiben sollen: „Ich habe Stricklein gelegt“ und

nicht „Strieglein geleckt.“ Als Erstklässler darf man das …

Aus dieser Zeit, ich war dann vielleicht schon in der zweiten oder dritten Klasse, habe ich noch

eine weitere Erinnerung ans „Augschda“ (vom Erntemonat August), wie man dort zur „Äret“

(Getreideernte) sagt. Ich sollte auf dem Acker im Gewann „Rehmoos“ den neuen Lanz fahren.

Was heißt fahren? Der Motor lief im Standgas, der Gette tat den Kriechgang rein und trat dann

schnell beiseite. Ich musste entlang der Garbenstricklein Linie halten. Auf Zuruf musste ich die

Fuhre anhalten, aber wie? Wenn ich vom Sitz rutschte und ein Pedal mit dem Fuß kräftig

runterdrückte, blieb der Bulldogg stehen, bis ich wieder mehr oder weniger sachte losließ.

Der angehängte Garbenwagen sorgte dann schon dafür, dass es dabei nicht allzu ruckartig

weiterging. Ich hatte damals keine Ahnung, wie und warum das funktionierte. Inzwischen weiß

ich es natürlich: Ich drückte die Kupplung, und dann blieb der Lanz auf dem Acker sofort stehen.

Und ehrlich: Bulldogg „fahren“ kam mir damals gleich erheblich schöner vor als „Strieglein

lecken“ … Die Aufnahme mit dem Lanz‐Bulldogg entstand bei einem der Griesinger Oldtimer‐

Umzüge. Ähnlich wie der Mann in der Abbildung machte es auch mein Gette (Wikipedia). Die

Abbildung mit dem „Äret“‐Wagen entstammt dem Gemeindebuch (Seite 281). | Bei Wikipedia


fand ich ein Garbenmesser, um die Garbenstricke (oder Garbenseile) vor dem Dreschen wieder

alle aufzuschneiden. Die waren dann vermutlich ohne Holzknebel. Ludwig Dorner. Aus der Serie:

In den Unterlagen zum Gemeindebuch geblättert. Das Griesinger Gemeindebuch ist im Bürgerbüro

für 20 Euro erhältlich.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_pk_0000130_014.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Getreideernte (mit historischen Abbildungen)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coupon_für_ein_Garbenmesser_der_Marke_Gräwiso.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Lanz_AG („mein“ erster Bulldogg)


Warum der September der siebte Monat ist

76

Natürlich kennen wir den September als den 9. Monat des Jahres. Aber vom Wortanfang

„Septem…“ her ist es eigentlich der siebte Monat im Jahr. Wie geht das denn? Die Antwort ist

einfach: Unser Kalender ist immer noch derjenige aus der Zeit der Römer, die etwa tausend

Jahre lang vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. währte. Und damals sprach

man im „alten Rom“ Lateinisch.

Unsere Monatsnamen von Januar bis August sind auch tatsächlich alle benannt nach römischen

Göttern, damaligen frommen Ritualen oder römischen Kaisern — und das bis heute.

Erst mit der Zeitenwende ums Jahr 0 [Null] seit Julius Caesar (100 – 44 v. Chr.) (Abbildung)

beginnt das römische Kalenderjahr nicht mehr mit Frühlingsanfang am 1. März, sondern mit

dem 1. Januar. Bis dahin war der März über Jahrhunderte der erste Monat im römischen Jahr.

Ja, genau: Neujahr war am 1. März!

Der „Chalandamarz“ ist ein Frühlingsbrauch in Teilen des Schweizer Kantons Graubünden. Und

man hört „Kalender“ und „März“ heraus. Gefeiert wird er bis heute jeweils am oder um den 1.

März, dem ehemaligen römischen Jahresanfang*.

Der Monat August war vom Namen her noch dem Kaiser Augustus (der „Erhabene“) gewidmet,

doch dann hat man bei den folgenden Monaten ohne Namensvergabe einfach weitergezählt —

und so ist es bis heute geblieben:

September: septem (lat.) = sieben (als Zahl). Der September ist in der Tat der siebte Monat, wenn

man ab März zu zählen beginnt. Oktober: octo (lat.) = acht. Der achte Monat, wenn man ab März

… November: novem (lat.) = neun. So gesehen ist es der neunte Monat des Jahres.

Dezember: decem (lat.) = zehn. Vom Namen her der zehnte Monat und nicht wie heute der Zwölfte.

Der September ist also in der Tat bis heute ganz wörtlich der „siebte“ Monat im Jahr geblieben,

weil die alten Römer ein halbes Jahrtausend lang das neue Jahr mit dem 1. März begannen.

Und noch etwas hat unser Kalendersystem von den Römern übernommen: Dort begann der neue

Tag nicht wie bei uns um Mitternacht (Null Uhr), sondern am Vorabend mit dem Aufzug der Nachtwachen.

Auch dies ist uns bis heute teilweise erhalten geblieben: Die Sonntagsmesse kann man

beruhigt auf den Samstagabend vorverlegen und auch damit schon der „Sonntagspflicht“ genügen.

Manche feiern ihren Geburtstag am Vorabend und bis über Mitternacht in den eigentlichen Festtag

hinein. Wir feiern den Beginn eines neuen Jahres hauptsächlich an dessen Vorabend, nämlich am

31. Dezember (Silvester), also noch im alten Jahr. Wir kennen die Ostergottesdienste in der „Osternacht“,

also am Vorabend von Ostern. Nikolaus ist am 6. Dezember. Seine Hausbesuche bei Familien

mit Kindern fanden traditionell (zum Beispiel in meiner eigenen Kindheit) am Abend zuvor statt,

also am 5. Dezember. Und der Tag vor Weihnachten heißt Heiligabend oder Christnacht.

Am Vorabend des ersten Mais errichten wir einen Maibaum (Abbildung, Gemeindebuch S. 227),

und in der anschließenden Nacht zum 1. Mai wird manches „angestellt“. Ursprünglich war der

Polterabend direkt am Vorabend einer Hochzeitsfeier üblich (Abbildung: Scherbenhaufen).

Die Ehinger Bürgerwache hat mit dem Zapfenstreich am Vorabend von Fronleichnam ihren großen

Tag, dem dann am nächsten Morgen noch die prächtige Prozession folgt. Der Memminger Fischertag

ist ein großes Heimatfest: Am Vorabend trifft man sich in den Gassen der Altstadt. Wenn offiziell

die schwäbisch‐alemannische Fasnet beginnt: Am Mittwoch, dem Vorabend zum Gumpigen


Donnerstag (Glombiga Dooschdig) versammeln sich zum Beispiel die Narren in Weingarten zum

„Maskenabstauben“ und die Bad Waldseer zum Schrättelestanz. Wir könnten die Aufzählung sicher

noch lange fortsetzen.

Eine Abbildung zeigt eine Büste von Gaius Julius Caesar, dem wir mehrerlei verdanken: eine

Kalenderreform und damit den Jahresbeginn zum 1. Januar und den Monatsnamen Juli. Mal

sagte man damals Cäsar wie „Zäsar“, woraus sich das russische „Zar“ ableitet, dann sagte man

zu anderen Zeiten „Käsar“, woher unser Wort „Kaiser“ stammt. Die anderen Abbildungen sind

selbsterklärend. Monatsnamen und Kalenderdaten kommen im Gemeindebuch an zahlreichen

Stellen vor.

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_lateinischer_Lehn-_und_Fremdwörter_im_Deutschen

https://de.wikipedia.org/wiki/Römisches_Reich

https://de.wikipedia.org/wiki/Kalenderreform_des_Gaius_Iulius_Caesar

https://www.dwds.de/

https://de.wikipedia.org/wiki/Frühlingsanfang

https://www.youtube.com/watch?v=7bXfAHjEb4A (Schrättelestanz in Bad Waldsee)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Scherben_(Polterabend).jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/September

https://de.wikipedia.org/wiki/Chalandamarz (*Brauchtum zum antiken Jahresbeginn: Kinder u. Jugendliche

mit Kuhglocken)


Griesingen — einmalig auf der Welt

78

EINFACH EINMALIG. „Berlin“ gibt es immerhin dreimal auf der Welt, und einmal noch als New

Berlin im US‐amerikanischen Bundesstaat Wisconsin. Den Ortsnamen „Ulm“ gibt es ebenfalls

mehrfach: als Stadt, dreifach irgendwo als Ortsteil, als bayerisches Neu‐Ulm und als New Ulm

in Minnesota (USA). „Ehingen“ gibt es allein in Deutschland sechsmal zu finden (Gemeindebuch

Seite 187).

Aber das ist noch gar nichts: Städte, Gemeinden und Ortschaften namens „Wangen“ finden sich

bei Wikipedia 18. Zu Städten, Gemeinden und Ortschaften mit dem Namen „Weingarten“ gibt

es nicht weniger als 31.

Griesingen aber — aufgemerkt! — gibt es weltweit bloß oi gotzigs Mool (nur genau ein einziges

Mal). Dies gilt übrigens auch für unsere Nachbargemeinden Oberdischingen und Öpfingen [und

viele andere]. Aber natürlich dürfen wir uns darauf allein noch nichts einbilden. Einmalig zu sein

muss schon noch mehr voraussetzen. Es genügt ja schließlich nicht, dass kein ausgewanderter

Griesinger Mensch jemals auf den Einfall gekommen ist, seinen (neuen) Heimatort nach der

alten Heimat zu benennen. Sonst könnte ja jemand fragen, warum eigentlich nicht? Warum gibt

es nirgends ein New Griesingen? Schließlich gibt es in den USA viele Städte, die mit dem Zusatz

„New“ (= Neu) an die alte europäische Heimat der Auswanderer erinnern sollen: New York*

(das zunächst New Amsterdam hieß), New Orleans, New Jersey und eben auch New Ulm … Diese

Auswanderer wollten sich offenbar noch für lange an die alte Heimat erinnern. Eine heimliche

Hoffnung bleibt: Vielleicht gibt es ja irgendwo sozusagen ganz hinten links im Wilden Westen

noch ein „New Greezing“, sprich [nju grising], zu entdecken, was für Englischsprachige erheblich

leichter auszusprechen wäre …

Wir wissen also nicht wirklich, warum es nur ein einziges Griesingen auf der ganzen Welt gibt.

Aber freuen wir uns, dass es wenigstens dieses eine gibt. Und dass es im Großen und Ganzen

so ist, wie es ist. Und dass es sich in diesem Geiste auch ständig weiterentwickelt.

Falls aber jemand ein einziges Griesingen auf der Welt doch nicht genügen sollte, dann machen

wir eben ganz schnell zwei daraus: Ober‐ und Untergriesingen. Dobblet gnäht heebt bessr. (Doppelt

genäht hält besser.) Und auch zu zweit ist es immer noch einmalig auf der Welt … Übrigens:

Es gibt auch nur einen einzigen Straßennamen, der dazu passt: In Ehingen‐Berg gibt‘s einen

Griesinger Weg, sonst nirgends.

*York (eine Stadt in England). Amsterdam (Niederlande). Orléans (Frankreich). Jersey (Kanalinsel).

Die Abbildungen sind selbsterklärend und zeigen unser „einmaliges“ Griesingen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Neugablonz (Neugründung nach 1945)

https://de.wikipedia.org/wiki/New_York_City (hieß anfangs Nieuw Amsterdam)

https://de.wikipedia.org/wiki/New_Ulm_(Minnesota)

https://de.wikipedia.org/wiki/New_Brunswick („Neubraunschweig“)

https://de.wikipedia.org/wiki/York


https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Heights_Monument (ein amerikanisches Hermannsdenkmal:

Neben dem Symbol des Stolzes der deutschen Einwanderer auf ihr altes Heimatland sollte es auch

ausdrücklich als Beitrag zur Integration und Freundschaft zwischen Deutschen und Amerikanern

verstanden werden.)


Himmelreich und Hölle ganz irdisch

80

Die zwei Griesinger Flurnamen Himmelreich und Höll‘ bringt man ja nicht unbedingt mit

so etwas Irdischem wie Bezeichnungen von Feldern und Wiesen in Verbindung. Und doch

geschieht das vielerorts, so auch in Griesingen. Das muss einen Grund haben.

Himmelreich: nördlich der Landesstraße Richtung Nasgenstadt, der Donau zu, etwa in Höhe des

Griesinger Sportplatzes. Benachbart: Pfaffental, Donauwiesen. — Fluren des Namens „Himmelreich“

liegen häufig auf einer Anhöhe, sozusagen näher beim Himmel. In Griesingen ist dies freilich nicht

der Fall. Dort liegt das Himmelreich tief unterhalb des Dorfs im Donautal. Oft finden sich in unmittelbarer

Nachbarschaft des „Himmlischen“ aber weitere Flurnamen, die ebenfalls auf Göttliches

oder wenigstens Kirchliches hinweisen. In Griesingen liegt dann auch prompt daneben das „Pfaffental“.

Beides verweist auf kirchlichen Grundbesitz, der früher gang und gäbe war und zum Einkommen

des Pfarrers beitrug, der oft „Pfaffe“ genannt wurde und selber eine kleine Landwirtschaft

betrieb. „Pfaffe“ ist eine ursprünglich keineswegs verächtlich gebrauchte Bezeichnung für einen katholischen

Pfarrer. Sonst hätte man sich auch den Strauch mit Namen Pfaffakäpple (Pfaffenkäppchen)

nicht so zu nennen getraut: „Da die Kapselfrucht dem Birett, einer Kopfbedeckung

katholischer Geistlicher, ähnelt, wird die Pflanze Pfaffenhütchen oder Pfaffenkäppchen genannt.“

(Wikipedia). Also zusammengefasst: Die einander benachbarten Griesinger Flurnamen Himmelreich

und Pfaffental deuten beide auf (einstigen) kirchlichen Besitz hin.

Wie ist es dann mit der „Höll“? Hölle sprich [Höll]: Markung Schaiblishausen. An der Straße

nach Schaiblishausen, nach der Kuppe, noch bevor die Straße nach rechts (westlich) abbiegt.

Das Gewann wurde früher gemeinsam mit Schaiblishausen umgetrieben (bewirtschaftet). Benachbart:

Stockertäcker, Suhau, Blößäcker, Brenntehau — (heute alle ganz oder teils auf den

Gemarkungen Altbierlingen oder Schaiblishausen, letztlich jetzt also zu Ehingen gehörig). — Das

Gewann „Höll“ hat seinen Namen einmal von seiner tiefen Lage — vgl. die Anmerkungen zu

„Himmelreich“ (oben) —, und wohl auch von seinem ausgesprochen schlechten Ackerboden –

zumindest zur Zeit der Namensgebung. Das kann erklären, warum ein Feld mit der Hölle verglichen

wird. Ältere Obergriesingerinnen wussten noch aus ihrer Kindheit zu erzählen, dass das

Vieh zum Weiden tagsüber in die Höll getrieben wurde. Eine andere Nutzung wird der Boden

nicht hergegeben haben. 1682 war die „Höll“ aufgeteilt in „Hellhau“ und „Hellwieß“. Der Zusatz

„‐hau“ verweist ebenso wie die oben genannten Nachbarflurstücke auf Rodung des Waldes, der

sich dort ursprünglich befunden haben muss. Das ist Thema eines anderen Beitrags dieser Reihe.

„‐wies“ deutet die Art der Nutzung an.

Es gibt Straßennamen in anderen Orten, die auf „Himmel‐“ oder „Höll‐“ lauten und wohl

an entsprechende Flurnamen erinnern: Bad Buchau („Höllweg“), Blaubeuren („Himmelreich“),

Laichingen („Beim Himmelreich“, „Himmelreichgasse“), Meersburg („Höllgasse“),

Münsingen („Höllochweg“), Neenstetten („Himmelreich“), Oberdischingen („Höllgasse“),

Ravensburg („Höll“ und „Höllbergweg“), Stockach („Höllstraße“), Ulm („Himmelgasse“) und

Wolfegg‐Alttann gleich doppelt („Höll“ und „Höllsteige“). Sonderfälle sind Ehingen‐Kirchen

(„Zum Pfaffental“) und Riedlingen („Pfarräckerweg“).

Noch etwas Lustiges weiß ich aus Weingarten im Schussental. Da konnte jemand frohgelaunt

sagen: „Vom Himmel Hoch da komm ich her …“ und meinte dabei kein Weihnachtslied.

Er hatte dann vielmehr die beiden benachbarten Cafés am Münsterplatz besucht, die


nach ihren Besitzern benannt wurden: das Café Himmel und das Café Hoch … Und vielleicht

war die Erinnerung danach ja auch himmelhochjauchzend, denn im „Hoch“ konnte man

schon mal „vorglühen“, und das „Himmel“ war ein bekanntes Tanzcafé …

Aus Kindheitstagen kennt man das Papierfalt‐ oder auch Hüpfspiel „Himmel und Hölle“.

Außerdem leben wir im „Himmelreich des Barocks“, dessen Kostbarkeiten die Oberschwäbische

Barockstraße miteinander verbindet.

Die Abbildungen zeigen einen Blick entlang des Gewanns Himmelreich zur Griesinger Pfarrkirche,

das Birett eines kath. Geistlichen und die Früchte des danach benannten Pfaffenkäppchenstrauchs,

die Flur namens Hölle („Höll“), das passende Papierfaltspiel und zwei Beispiele aus

dem „Himmelreich des Barock“.

https://de.wikipedia.org/wiki/Flurname

https://de.wikipedia.org/wiki/Birett

https://de.wikipedia.org/wiki/Gewöhnlicher_Spindelstrauch (Pfaffenhütchen, -käppchen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Himmel_oder_Hölle (Kinderspiel)

https://de.wikipedia.org/wiki/Oberschwäbische_Barockstraße („Himmelreich des Barocks“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Schussenried


Von Bethlehem nach Mailand sind's 79 Kilometer

82

Je nach Strecke ist’s auch ein bisschen mehr oder weniger. Und die Fahrt mit dem Auto dauert

knapp anderthalb Stunden. Wie soll das denn bitte gehen? Die Lösung ist einfach: Wenn man

„Bethlehem“ (ein Wohnplatz bei der Stadt Pfullendorf) und „Mailand“ (ein Stadtteil von Leutkirch

im Allgäu) meint, ist das überhaupt kein Problem.

In einem anderen Beitrag dieser Reihe ist die Rede, dass der Ortsname „Griesingen“ einmalig

ist auf der Welt. Andere Städte, Teilorte und Gemeinden oder auch nur winzige Weiler in

Deutschland tragen jedoch Namen, die uns von woanders her entweder recht vertraut oder

auch einfach merkwürdig vorkommen. Und so können wir jetzt zur Abwechslung mal eine lustige

Wortreise unternehmen.

Der Brenner ist ein Begriff, als Alpenpass führt er über Österreich nach Italien. Aber es geht

auch kürzer als in den üblichen fünf Stunden: „Nach Brenner“ (zu Argenbühl) und „Brenner“

(zu Wangen im Allgäu) sind es in beiden Fällen von Griesingen aus je nur eine gute Stunde im

Auto. Himmel und Hölle: Weit ist es auch nicht von „Himmelweiler“ (nahe Ulm/Dornstadt) über

„Seligweiler“ (an der A8) bis nach „Höllberg“ im Kreis Unterallgäu.

Will jemand von „Rom“ nach „Rom“ fahren, dann geht das das locker: Das eine ist in Nordrhein‐

Westfalen und das andere in Mecklenburg‐Vorpommern. Auch nach „Übersee“ kommt man

von hier aus auf dem Landweg, denn es liegt im Kreis Traunstein in Bayern. Und wenn man

schon dort ist, ist es mit dem Auto nur eine kleine Tagesreise nach „Amerika“. Es gehört zur

sächsischen Stadt Penig. Von dort kommt man problemlos nach „Brasilien“, das in Schleswig‐

Holstein liegt. Dort findet sich auch gleich noch ein „Kalifornien“. Und immer noch in Schleswig‐

Holstein sind es nur sieben Kilometer von „Russland“ nach „Amerika“. Ohne jede Ostsee‐Fähre

gelangt man nach „Norwegen“ (im Münsterland/Westfalen), und auch gar nicht weit ist es von

dort bis „Ägypten“ (bei Osnabrück). Freilich heißt da der zugehörige Fluss nicht Nil, sondern

„nur“ Hase …

Mal kurz beim Vater „Abraham“ vorbeischauen? Keine Weltreise! Das liegt bei Wangen im Allgäu.

Bei „Bremen“ können wir hier in Oberschwaben sogar gleich unter dreien auswählen: eins

in Amtzell und eins in Argenbühl, beide bei Wangen im Allgäu, und ein drittes bei Hohentengen

im Kreis Sigmaringen. Welches soll’s denn sein?

Schnuppern wir „Hundeluft“, dann sind wir in Sachsen‐Anhalt gelandet. Oh welch‘ ein „Elend“

wäre das, wenn es nicht ein Ortsteil der hübschen Stadt Dippoldiswalde in Sachsen wäre. Wenn

unsere Katze mitreist, muss sie aufpassen, dass sie sich nicht ihren „Katzenelnbogen“ (auch ein

Stadtname) in Rheinland‐Pfalz verrenkt. Wenn’s stürmt und schneit, sehnen wir uns nach dem

„Frühling“: Dieser erwartet uns sogar mitten im Winter beim oberbayerischen Traunreut. Alsdann

führt uns die Reise nach „Hannober“ (kein Schreibfehler, aber zum Verwechseln ähnlich!).

Es gehört zu Waldburg im Kreis Ravensburg. Wenn’s jetzt etwas verwirrend wird: Es ist von dort

nicht weit bis zum „Spinnenhirn“ … Da kann man hinwandern, im Heim des TV Weingarten 1861

e.V. einkehren, Tagungen abhalten und auch übernachten, und das ist dann keineswegs gesponnen

oder hirnverrückt!

Hoffentlich finden wir das alles recht lustig und landen daher zuletzt gerne in „Witzighausen“

(bei Senden im Kreis Neu‐Ulm). Zum „Lachen“ müssen wir dann übrigens nicht in den Keller

gehen, sondern einfach zum gleichnamigen Ort „Lachen“ mit schöner Kirche ein paar Kilometer


weiter ins Unterallgäu. Da haben wir dann unsere Ruhe. Und bitte, wenn jemand die einfache

Ruhe immer noch nicht reicht: „Überruh“ ist eine Kurklinik bei einem ehemaligen Einödhof bei

Großholzleute‐Bolsternang, Stadt Isny. Wem es hingegen mit der „Ewigkeit“ pressiert: Bitte, das

findet sich nicht weit bei Leutkirch im Allgäu. Ob es ledige Frauen eher leicht oder eher schwer

haben, wenn der kleine Ort bei Kempten „Ehemanns“ heißt?

Wer bei alledem gerne „Streit“ sucht: Kein Problem und bitte trotzdem ganz friedlich bleiben!

„Streit“ gehört zur Stadt Erlenbach in Franken (Bayern). Unsere Reise geht bald zu Ende, denn

alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Das ist freilich noch gar nichts: Die westfälische Stadt

Herdecke hat nämlich nicht weniger als gleich vier Enden, einen Ortsteil „Ende“, der wirklich so

heißt (mit eigenem Sportverein), aber außerdem gibt’s dort auch noch die Stadtteile Kirchende,

Westende und Ostende.

Und damit sind wir am Ende unserer, wie man in Griesingen gern sagt, „ganz unterhältlichen“

Deutschland‐Rundreise beim Hausnamen „Ostendes“ angekommen. Dieser ist, und jetzt wieder

ganz im Ernst, Gegenstand eines anderen Beitrags dieser Reihe. Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://www.reisereporter.de/artikel/12062-weltreise-durch-deutschland-diese-orte-gibt-es-wirklichbrasilien-norwegen-kanada

https://de.wikipedia.org/wiki/Bethlehem_(Pfullendorf) (und eine nette Geschichte, wie es zu dem

Namen kam)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hundeluft

https://de.wikipedia.org/wiki/Herdecke (Ortsteil „Ende“ und andere auf „-ende“ am Namensende)

https://de.wikipedia.org/wiki/TuS_Ende (Turn- und Sportverein Ende)

https://de.wikipedia.org/wiki/Großholzleute#Weiler_und_Einödöfe („Ueberruh“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Lachen_(Schwaben) („Lachen“)

https://www.turnverein-weingarten.de/index.php/10-basisbeitraege/16-turnerheim („Spinnenhirn“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Übersee_(Chiemgau) („Übersee“)

http://www.allgaeu-humor.de/01humor_verkehrsschilder_doerfer.htm (lustige Ortsnamen im Allgäu)


Taie

84

Das ist ein Griesinger Flurname, der sich etwas eigenartig anhört.

Taie, in Griesingen sagt man [doie] — Die Flur liegt im Winkel zwischen dem Riedweg (Richtung

Gamerschwang) und der Talstraße (Richtung Rißtissen), jedoch schon weiter Öpfingen zu und

nicht so nah beim Dorf, was seinen Grund haben dürfte. Benachbart: Riedäcker, Brühl, Lüßwiesen,

Breitwiesen, Oberes Ehrat, Krautgartenäcker.

Michel Buck leitet das Wort von Romanisch tegia (Hütte) und keltisch tig (Haus) ab. Schon die

hiesige Aussprache [doie] zeigt, dass der Flurname in der Tat nichts mit „Höhe“ zu tun haben

kann, was mundartlich ja [haie] heißt. Tai (auch Taisch, Kuhtai*) steht für Schirmhütte (Unterstand)

für Vieh auf der Weide und Melkhütte. Es könnte aber auch die Hütte des Schinders

gemeint sein, der außerhalb des Dorfs wohnen musste. „Taie“ und „Waset“ sind einander

benachbart. Nicht allzu weit sind auch die Fluren mit Namen „Schinderwasen“ und „Kleebühl“:

Kleebühl heißt in alten Urkunden „Kloyenbuehl“, „war früher Weideplatz, später diente er aber

dann als Abdeckerei für Tiere.“ (C. Kohl) Es liegt nahe, dass der Schinder (Klee‐ oder Wasenmeister)

nahe bei seinem Arbeitsplatz wohnte, also da, wo die eingegangenen Tiere „verlocht“

wurden, vielleicht in mehr oder weniger großen zeitlichen Abständen: Kleebühl, Schinderwasen,

Taie und Waset. Es ist also gut möglich, dass alle diese vier Flurnamen, also auch die Taie, etwas

Gemeinsames haben: die Erinnerung an den Schinder oder Abdecker.

„Abdecker, im oberdeutschen Sprachraum Wasenmeister [oder Schinder], war jahrhundertelang

eine Berufsbezeichnung für Personen, die in einem bestimmten Bezirk für die Beseitigung von

Tierkadavern und die Tierkörperverwertung zuständig waren. Aus der Verwertung ergaben sich

Produkte wie Fette, Leim, Knochenmehl, Salmiak, Seife, Bleichmittel und Viehfutter“ (!). (Wikipedia)

Das muss beim Abkochen regelmäßig bestialisch gestunken haben! Zu meiner Kindheit

gab es in der Nachbarschaft mitten in der Stadt eine Seifensiederei. Wenn man da Knochen

kochte … Ich weiß, wovon ich rede.

Der Arbeitsplatz der Abdecker, weitab vom Dorf und meist auch ihre Wohnstelle, war die

Abdeckerei („Wasenmeisterei“). Der Beruf des Abdeckers galt als unehrlicher Beruf: Unehrliche

Berufe waren in der Ständegesellschaft des europäischen Mittelalters und bis weit in die frühe

Neuzeit Erwerbsweisen ohne gesellschaftlich zuerkannte Ehrbarkeit. Unehrliche Berufe trugen

den Makel der gesellschaftlichen Verachtung. Unehrlich bedeutete, anders als heute, nicht

‚betrügerisch‘, sondern ‚nicht ehrenwert‘, ohne Ansehen.“

Zu meiner Kindheit und Jugend wurden wir in der Schule zuweilen gewarnt, dass es uns später

höchstens zum „Straßenkehrer“ langen würde, wenn wir nicht richtig fleißig wären … Oder wir

brächten es nur so weit „wia em Gaissmaier saine Mädla“. Das waren auch damals schon

ausgebildete Verkäuferinnen einer früheren Lebensmittelkette, die auch in Ulm, Ravensburg

und Weingarten vertreten war, in Ehingen sogar an prominenter Stelle in einem Eckhaus am

Marktplatz. Beide Drohungen waren abschreckend gemeinte Beispiele und taten doch den

darin Tätigen bitter Unrecht.

Es darf abschließend mit gutem Grund vermutet werden, dass die Griesinger Flur „Taie“ also von

der Behausung des Schinders ihren Namen erhielt. Die Taie wäre dann das Untergriesinger Gegenstück

zur Obergriesinger „Schindergrueb“. Diese wird in einem anderen Beitrag beschrieben.


Eine ergänzende Deutung zu Taie [„Doie“] vermutete freilich ein erfahrener Griesinger Landwirt †:

Ein Unterschlupf unter Bäumen oder eine Hütte habe dem Vieh und erst recht den wetterempfindsamen

Schafen Schutz gegen Sonne und Regen geboten. Da lagerten sie, um in Ruhe wiederzukäuen.

Wiederkäuen heißt in der Mundart „aidaia“ (ein‐ däuen, einspeicheln, vorkauen)

als Vorstufe zu ver‐ dauen. Und daher könne auch der Flurname „Taie“ [doie] herrühren.

Immerhin wurde aber auch hier eine Art Hütte vermutet.

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Abdecker (auch Schinder, Wasenmeister, Kleemeister)

https://de.wikipedia.org/wiki/Unehrlicher_Beruf (und wer sonst noch unter diesem „Ruf“ zu leiden hatte)

https://de.wikipedia.org/wiki/Kühtai (* Skiort in Tirol: „Ursprünglich gab es hier einen auf Viehzucht ausgerichteten

Hof, sog. „Schwaighof“, die Chutay (Kuhalm). Diese wird um 1288 erstmals erwähnt.)“

https://wabw.uni-hohenheim.de/69153 (Lebensmittel-Gaissmaier)

85


Der heilige Leodegar

86

Leodegar war Patron des Klosters Murbach im Elsass, dem Griesingen vom Marchtaler Adelshaus

im Jahr 760 mindestens teilweise geschenkt wurde. Insofern ergab es sich wohl zwangsläufig,

dass die Griesinger Pfarrkirche ebenfalls diesem Heiligen geweiht wurde und bis heute seinen

Namen trägt.

Wer mit Vornamen Leodegar heißt, kann am 2. Oktober Namenstag feiern. „Nicht einmal einer

von 100.000 Jungen wird Leodegar genannt. Dementsprechend ist Leodegar in der Rangfolge

der häufigsten Jungennamen weit unten auf Platz 28.243 zu finden. Ein Junge mit dem Namen

Leodegar ist also etwas ganz Besonderes!“ (Quelle: siehe unten*)

Wer mehr erfahren möchte, wer Leodegar war, kann sich im Gemeindebuch auf Seite 32 und

bei Wikipedia kundig machen. Dort heißt es u. a.: „Leodegar von Autun [Anm.: Autun ist eine

französische Stadt in Burgund mit Bischofssitz und berühmter Kathedrale, s. Abb.]

Leodegar (auch Leodgar, Lutgar, Léger, Leodigar) (* um 616; † 2. oder 3. Oktober um 677) war

von vornehmer fränkischer Herkunft, von 659 bis 674 Bischof von Autun und initiierte während

seiner Amtszeit das Konzil von Autun. Er wurde heiliggesprochen und gilt als Märtyrer.

Näheres zu seinem Werdegang, der sich in Frankreich abspielte: Im Jahr 653 wurde er Abt im

Kloster Saint‐Maixent im Marais Poitevin und sechs Jahre später (659) durch Königin Bathilde

zum Bischof von Autun. 670 hielt er eine Synode ab zur Reform des Mönchslebens. Nach dem

Tod des Königs kommt es bei der Wahl des neuen Königs zur Rivalität zwischen dem Grafen

Ebroin und Leodegar. In dem Streit unterliegt Ebrion und zieht sich in das Kloster Luxeuil zurück.

Leodegar wird vom neuen König Childerich II., dem Bruder des Verstorbenen, zum Ratgeber

ernannt. Ebroin hatte sich hingegen für dessen Bruder Theuderich III. eingesetzt. Doch Leodegar

verzichtete auf diese Ehre und trat auch von seinem Bischofsamt zurück, da er selbst von

Missgünstlingen beim König angeschwärzt worden war. Stattdessen begab er sich in das Kloster,

in dem Ebroin weilte, und ging mit diesem zum Schein eine Versöhnung ein. Als auch der neue

König bald darauf im Jahr 676 stirbt, bricht ihre Feindschaft wieder aus. Leodegar ist erneut als

Bischof in Autun eingesetzt, wo er von Ebroin belagert und gemeinsam mit seinem Bruder

Gerinus gefangen genommen wurde. Ebroin verdächtigte Leodegar an der Ermordung des

Königs beteiligt gewesen zu sein. Um ihn unschädlich zu machen, ließ er Leodegar mit einem

Bohrer blenden (die Augen ausstechen) und ihm die Zunge herausreißen. [Abbildung aus dem

Jahr 1200: Leodegars Martyrium]

Leodegar soll dennoch weiter Predigten verfasst und seinen eigenen und Ebroins Tod vorausgesagt

haben. Daher wurde er nach Fécamp in die Normandie verbannt. Im Jahr 677 wurde er

endgültig auf der Synode in Malay für abgesetzt erklärt und später enthauptet.

Mit der Ermordung Ebroins im Jahr 680 begann auch die Verehrung Leodegars. Seine Gebeine

wurden 682 ins Kloster St‐Maixent überführt und kamen später nach Poitiers, Plélan‐le‐Grand

und Ebreuil. …“

Das kann man vielleicht nicht in allen Einzelheiten nachvollziehen oder sich zu merken versuchen.

Doch es gibt auch Handfesteres zum Kirchenpatron:


Bauernregeln zum Tag des hl. Leodegar (2. Oktober):

— „Weht der Wind an Sankt Leodegar,

so kündet er an ein fruchtbares Jahr.“

— „Fällt das Laub an Leodegar,

so ist das nächste ein fruchtbares Jahr.“

— „Laubfall an Leodegar,

kündet an ein fruchtbar‘ Jahr.“

Nochmals Wikipedia: „Der Legende nach zeigten sich an dem Verstümmelten bei Lebzeiten allerlei

Wunder, andere an seinem Grabe. Er wurde heiliggesprochen, obwohl sein Leiden und

Sterben Folge seiner weltlichen Ränke war und mit der Kirche oder dem Glauben in keinerlei

Zusammenhang stand. …“ Im Gemeindebuch (ab Seite 32) findet sich auch die Abbildung der

Leodegarstatue in der hiesigen Pfarrkirche.

Leodegar international: Dem hl. Leodegar geweihte Kirchen gibt es eine in Italien, zwei in England,

vier in Belgien, acht in der Schweiz und über 220 in Frankreich (wo er St. Léger heißt). In

Deutschland nennt Wikipedia 13 Leodegarkirchen, wobei Griesingen zum Zeitpunkt meiner

Nachforschungen noch gar nicht mit aufgeführt war (inzwischen schon …).

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Leodegar_von_Autun

https://de.wikipedia.org/wiki/Autun

https://de.wikipedia.org/wiki/Konzil_von_Autun

https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Murbach („Murbach besaß Liegenschaften und Rechte in ungefähr

350 Ortschaften“, darunter auch Griesingen.)

https://de.wikipedia.org/wiki/Fécamp (hier war Leodegar inhaftriert)

https://de.wikipedia.org/wiki/St._Leodegar_(Friedingen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Leodegar-von-Autun-Kirche (nach ihm benannte Kirchen in halb Europa)

https://www.schulferien.org/namenstage/namenstag_vorname_Leodegar_450.html

https://vornamen.blog/Leodegar (*)

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Kleine Schätze im Privatmuseum

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Die einen sammeln Bierdeckel, Briefmarken, Liebesgeschichten, Münzen, Oldtimer oder auch

Zuckerwürfel, die letzteren eingepackt und aus aller Welt. Die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen.

In Griesingen gibt es mit Paul Braun einen Sammler der besonderen Art. Er sammelt

alles, was irgendwie mit Haushalt, Werkstatt und Hof zu tun hat. Und man findet für fast jeden

Anfangsbuchstaben des Alphabets etwas oder sogar mehreres Passendes. Hier einige Beispiele

dafür, was er mit unendlichem Fleiß angesammelt hat, sozusagen von „A bis Z“. Doch die Liste

hier ist natürlich sehr unvollständig, sonst würde diesmal aus dem Amtsblatt ein richtig dickes

Bilderbuch:

• Absatznägel, Ahle (beides für Schuhmacher)

• Bettflaschen (Abb.), Bügelverschluss‐Bierflaschen im Blechkasten, Blocker*

• Cementsack (aus Leinen; in früherer Schreibweise mit „C“)

• Dreifuß (Schuhmacherbedarf)

• Essigflasche, Einmachdosenverschließgerät

• Federhalter (mit Tintenfässle), FW (Kfz‐Nummernschild „franz. Württemberg“)

• Getreidesäcke (mit Besitzernamen), Grabkreuz, Griffellade, Gugelhupfform

• Handbohrer, Hobel (mehrerlei), Hoopa (Messer zum Reisighacken), Hufeisen

• Imkerstrohkorb

• Jagdmesser

• Kaffeemühle (an der Wand für Handbetrieb), Krauthobel, Kruzifix

• Leisten (Schuhmacher), LKW, Lokomotive (beides Blechspielzeug)

• Madonna (Figürchen), Madonnenbild (eingerahmt), Mehlsieb, Milchkannen

• Nähmaschine (Abb.), Nudelmaschine

• Ochsenkummet, Oelflasche (wörtlich, s. Abb.)

• Öllampe, Öpfingen/Griesingen (Markungsschild)

• Puppenwagen (Abb.)

• Quirl (Abb.)

• Rad (Wagenrad aus Holz), Rechen (aus Holz), Rechnung (für Bierlieferung)

• Säge (Fuchsschwanz), Schlitten, Schreibmaschine, Spinnrad

• Tellerbord (Abb.), Tonkrüge, Traktor (Spielzeug)

• Uralt‐Telefon (mit Kurbel; Abbildung)

• Vogelkäfig

• Waage mit Messinggewichten, Wäschestampfer, Wagenheber aus Holz, Waschbrett

• Zangen, Zeitungsausschnitte, Zigarettenwerbeschild


Fotos aus der Sammlung finden sich auf vielen Seiten des Gemeindebuchs und schmücken

immer wieder Artikel dieser Reihe. Siehe auch im Gemeindebuch auf den Seiten 67 und 278.

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://de.wikipedia.org/wiki/Telefon (auch ein Uralt-Telefon)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ahle (Schuhmacherbedarf)

https://de.wikipedia.org/wiki/Waage

https://de.wikipedia.org/wiki/Bohnerbesen (*wer nicht weiß, was ein Blocker ist; übrigens: als kleines

Kind stellte man sich gerne darauf, hielt sich am Stiel fest und ließ sich mit Vergnügen durch die Stube

schieben)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wärmflasche (Bettflasche)


Die Ortschaft „Kirchen“ ist ein Teilort der Großen Kreisstadt Ehingen (Donau) im Alb‐Donau‐

Kreis in Baden‐Württemberg. Der Ort wurde im Jahr 1972 nach Ehingen eingemeindet. … Ortsteile

von Kirchen sind Mühlen, Schlechtenfeld, Stetten, Deppenhausen und Mochental.

(Wikipedia)

Der Ortsteil Deppenhausen spielt im nachfolgenden Amtsblatt‐Beitrag eine Rolle. Deppenhausen

wird von der vielbefahrenen B311 (Ulm‐Freiburg) durchquert. In der Anlage ist die

Kopie der Originalausgabe enthalten.

Herkunft des Ortsnamens Griesingen

Woher kommt der Name Griesingen? In früheren Jahrzehnten war es üblich und entsprach auch

dem politisch gewollten Zeitgeist, möglichst alle Ortsnamen mit ‐ ingen am Ende auf eine Art

Häuptling und dessen Stammesangehörige zurückzuführen. Demnach wären die Ur‐Griesinger

zu einem „Chreso“ gehörige Leute gewesen, ebenso wie ein Häuptling namens Sigmar zum Ortsnamen

Sigmaringen führte. Es kann ja durchaus so gewesen sein.

Vergleichen wir es mal mit dem Gebrauch der örtlichen Hausnamen. Die Älteren hier Geborenen

und Aufgewachsenen gebrauchen sie auch heute noch durchaus, um Bewohner, Haus und Hof

genau danach und nicht nach dem amtlichen Nachnamen zu benennen. Auch die Kinder und

Enkel, selbst wenn sie (inzwischen) anders heißen und woanders wohnen, werden mit dem

Hausnamen definiert dementsprechend, wo sie sozusagen „herstammen“. Und wenn man

früher mal ein Kind fragte „Wamm ghaisch du?“ (Wem gehörst du?), dann hätte es vermutlich

mit dem Hausnamen geantwortet. So könnte aus einem ganz frühen Ur‐Hausnamen auch der

Name der Siedlung geworden sein, ähnlich, wie viele der Griesinger Hausnamen ja auch aus

Vornamen entstanden sind. Dies ist Gegenstand eines anderen Beitrags dieser Reihe.

Aber es gibt auch noch eine ganz andere Möglichkeit, warum Griesingen gerade so und nicht

anders heißt. Das Fachbuch für die Entstehung von Ortsnamen (DUDEN, Geografische Namen

in Deutschland) schreibt: „Der erste Bestandteil des Ortsnamens ‚Gries‐’ dürfte mit dem

althochdeutschen ‚Grioz’ oder ‚Griz’ verwandt sein, das ‚Sand’ oder ‚Kies’ bedeutet. Der Ortsname

kennzeichnet demnach die Lage des Ortes in den sandigen Randflächen eines Flusstales.“

Das Buch nennt als Beispiele dafür Griesheim, Griesbach, Beilngries – aber leider Griesingen

nicht. Ob unser Ort dennoch in diese Reihe gehört? Es spricht ja auch einiges dafür ...

Man wird es wohl nie mehr herausfinden, woher der Name Griesingen wirklich stammt

(Gemeindebuch Seite 187).

Immerhin aber dürfen wir froh sein, nicht in einem Ort zu wohnen, wo Reisebusse extra anhalten,

damit die Leute zur allgemeinen Gaudi ein Selfie mit Ortsschild machen können oder wo

das Schild regelmäßig als Souvenir geklaut wird. Fragen Sie mal in Deppenhausen nach! Meine

Schülerschaft, soweit sie von dort stammte, hat in den 40 Jahren meines Tuns immer gewusst

und betont, dass ihr Ort nach einem Häuptling Dappo und nicht nach ihrer angeblich mangelhaften

Gescheitheit benannt sei. Recht hatten sie! Natürlich! In ihrem einheimischen Schwäbisch

klang es auch nicht wie „Däpp…“, sondern mehr mehr nach „Dabbahousa“ mit Betonung auf ‐


housa. „Deppenhausen wird 1396 erstmals urkundlich erwähnt, damals noch unter dem Namen

Dappenhausen.“ (!!!) * Siehe da: Die Mundart hat die ursprüngliche Form also wieder einmal

über Jahrhunderte bis heute bewahrt. „Der erst spät (1396) erwähnte Ort (Personenname) ist

vermutlich eine merowingische Ausbausiedlung.“** — Am abgebildeten Griesinger Ortsschild

ist auch für Ortsfremde zu erkennen, dass Griesingen eine selbstständige Gemeinde und kein

Teilort einer größeren Stadt ist. Die schon etwas ältere Luftaufnahme zeigt (Unter‐)Griesingen

am Abhang des Donautals, im Hintergrund Ehingen‐Nasgenstadt. Die Souvenir‐Tasse stammt

aus der Sammlung von Paul Braun, Griesingen.

https://www.travelbook.de/orte/skurrile-orte/die-witzigsten-ortsnamen-in-deutschland

https://als.wikipedia.org/wiki/Griesingen (Alemannische Wikipedia)

https://de.wikipedia.org/wiki/Deppenhausen (*)

https://www.leo-bw.de/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/16768/Deppenhausen+-+Wohnplatz

(zu Deppenhausen) (**)

https://de.wikipedia.org/wiki/Griesbach (zahlreiche Orte dieses Namens in Mitteleuropa)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ortsname (allgemeine Übersicht zu ihrer Entstehung)


Kloster Salem

Der Ort und das gleichnamige ehemalige Kloster Salem liegen im Hinterland des Bodensees, 12

km von Überlingen entfernt. Das Kloster hatte viel mit Griesingen zu tun, auch wenn es annähernd

100 km entfernt gelegen ist.

So manche Schulklasse besuchte beim Schulausflug schon mal den dortigen Affenberg, der aber

mit dem Kloster nichts zu tun hat. Im einstigen Klostergebäude jedoch ist ein weltberühmtes

Internat untergebracht. Manche seiner ehemaligen Schülerinnen und Schüler sind recht prominent

geworden, zum Beispiel der jüngst verstorbene Prinz Philip, der Gemahl der britischen

Königin Elisabeth II.

Kehren wir nun in die Geschichte zurück. In Wikipedia steht u. a. dieses: „Früher hieß das Kloster

auch Salmannsweiler. Die Namen Salem und Salmannsweiler wurden bis ins 18. Jahrhundert

gleichwertig nebeneinander benutzt.“

Und wieder Wikipedia: Zum Zeitpunkt der Aufhebung (1804) hatte Salem enorme jährliche Einkünfte

und besaß Vermögenswerte von rund drei Millionen Gulden, darunter 330 Quadratkilometer

Land mit etwa 6000 Einwohnern. Dazu gehörten unter anderem die Oberämter Salem,

Ostrach und Schemmerberg, die Obervogteiämter Stetten am kalten Markt … sowie die Pflegämter

Ehingen und Unterelchingen.

Ein „Pfleger“ war im Mittelalter eine Art Burggraf oder Vogt, der für [die] Verwaltung eines Klosters

verantwortlich war. Griesingen muss zum klösterlich‐salem‘schen Pflegeamt Ehingen gehört

haben. Was die Griesinger an Abgaben zu entrichten hatten, wurde wohl in der örtlichen Zehntscheuer

(einst neben der Kirche) gesammelt und anschließend in den Ehinger Salmannsweiler

Hof verbracht. Dieses Gebäude steht bis heute in Ehingen am Gänsberg („Schaffnei der Zisterzienserabtei

Salem“, alternativ auch „Salemer Klosterhof“ genannt; erbaut 1586).

In über 31 Städten im Umland besaß Salem bereits im 14. Jahrhundert Stadthöfe, über die die

vom Kloster erzeugten oder eingehobenen Waren vertrieben wurden. Als wichtigste Stadthöfe

gelten der Salmannsweiler Hof in Konstanz sowie die Höfe in Biberach an der Riß, Ehingen, Meßkirch

und Pfullendorf. Die Stadthöfe waren zumeist von Steuern befreit und bildeten so einen

wichtigen Stützpunkt der klösterlichen Wirtschaft.

In der Beschreibung des Oberamts Ehingen (1826) steht wörtlich: „Obergriesingen bildete ehemals

eine eigene Pfarrey, wovon Freyberg [damals in Öpfingen ansässig] das Patronat hatte. Da

aber der Ort im Bauernkriege 1525 fast ganz zerstört wurde, zog der Pfarrer nach Unter‐Griesingen,

von wo aus beyde Pfarrer die Pfarrey lange Zeit gemeinschaftlich versahen. Nachdem

im 30jährigen Kriege auch Unter‐Griesingen ein ähnliches Schicksal gehabt hatte, ließ man die

Ober‐Griesinger oder Freybergische Pfarrey ganz ruhen, und 1723 wurde förmlich entschieden,

daß nur Eine, die Kloster Salmannsweilische, Pfarrey für beyde Orte fortan bestehen solle.“

Wir können zusammenfassend sagen: Das Kloster Salem kümmerte sich über Jahrhunderte in

Untergriesingen und ab 1723 in ganz Griesingen um Pfarrer und Kirche und erhob Steuern und

Abgaben von der Griesinger Bevölkerung. Dass dies nicht immer ohne Streit abging, wird in anderen

Beiträgen dieser Reihe dargestellt.

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Die Abbildungen sind selbsterklärend. — Salmannsweilergasse, ‐weg oder ‐straße gibt es zum

Beispiel in Konstanz und Biberach/Riß, Hagnau und Stockach. In Ulm gibt es einen Salemer Weg,

einen Salemweg in Friedrichshafen und in Ehingen‐Stetten eine Salemstraße. Direkt hierzu findet

sich Folgendes: „Das Zisterzienserkloster Salem erwarb vor 1271 Hausbesitz in der Stadt Ehingen

und richtete dort einen Klosterhof ein, der 1329 Sitz eines weltlichen Pflegers für die Verwaltung

der umliegenden, zumeist auf der Schwäbischen Alb gelegenen Güter wurde. Besonders umfangreiche

Besitzungen nannte das Kloster in Frankenhofen, Tiefenhülen und Stetten sein eigen.“

(Quelle: siehe unten*)

https://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_Ehingen/Kapitel_B_20

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsabtei_Salem

https://de.wikipedia.org/wiki/Salemer_Münster

https://www.affenberg-salem.de/

https://www.schule-schloss-salem.de/de/internat-und-schule/leben-im-internat?gclid=EAIaI-

QobChMI86iz-a2w7wIVj9_tCh02IAvREAAYASAAEgK0F_D_BwE

https://de.wikipedia.org/wiki/Schule_Schloss_Salem#Ehemalige_Schülerinnen_und_Schüler_(Auswahl)

https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=2261 (*zu Ehi-Stetten/Kloster Salem)


Mooscht, Mooschtsekt

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In der hiesigen Gegend spricht man „Most“ mit langem „oo“ und natürlich mit „scht“ aus, daher

diese schwäbische Schreibweise.

Zunächst sei aus dem Gemeindebuch zitiert (Seite 285): Most, damit meint man hierzulande

den Apfelwein. Wobei das so eine Sache ist, von wegen nur „Apfel“. Denn wenn man die wahren

Kenner fragt, so hat jeder sein eigenes kleines Geheimrezept und ist felsenfest überzeugt, sein

eigener Most sei der allerbeste.

Die einen tun „Süßwunder“ rein, einen Süßstoff, andere geben Zucker dazu, um den Alkoholgehalt

etwas zu verstärken oder um die Gärung zu beschleunigen. Es gibt auch Gärhefe zu kaufen

...

Ja, und dann suchen sich manche genau bestimmte Apfelsorten oder gar Apfelsortenkombinationen

aus. Der eine gibt noch eine geringe Menge Birnen (Mooschtbiira) dazu – aber ja nicht

zuviel, denn sonst wird der Most zu räs. „Räs“ kann man nicht wirklich ins Hochdeutsche übersetzen:

„Sauer“ allein trifft den Sachverhalt nicht, „sehr herb“, trocken oder „brut“, sprich [brüt],

wie bei Sekt und Champagner vielleicht noch am ehesten.

Es gibt auch Leute, die besorgen sich extra ein paar Quitten, weil nach ihrer Meinung diese eine

wahre Krönung der Mostmachkunst darstellten. Und jetzt gibt es bestimmt noch mehr als einen,

der noch irgendeinen weiteren Tipp bereit hat ... Zum Beispiel, dass gar nix zusätzlich in den

Saft kommt und er sich selbst überlassen bleibt. Wer es so macht, ist natürlich auch felsenfest

überzeugt, sein Most sei sowieso der Allerbeste. Für alle aber gilt: Damit konnte man sein eigenes

Obst ganzjährig nutzen. Mein Gette im Kreis Biberach machte übrigens lieber Zibebenmost*

(aus gekauften Rosinen), weil er ihm bekömmlicher schien.

Die Abbildungen zeigen u. a. eine Saftpresse, wie sie in vielen Häusern stand, und etwas für

Feinschmecker der besonderen Art: Sie füllen Most zur Vergärung in Sektflaschen und verkorken

diese gut. Flaschen und Korken als übriges Leergut erbitten sie zum Beispiel beim Barbetrieb

des Griesinger Musikvereinsfests zu Pfingsten. Wenn nicht gerade Corona ist … Zuweilen entwickeln

sich bei dieser Flaschengärung gewaltige Kräfte, so dass auch mal welche explodieren.

Daher lagert mancher seinen Mostsekt im Sandbett, damit der Schaden nicht allzu groß sei,

wenn es mal eine Flasche zerreißt. Passiert das nicht, so bleibt wohl ein besonders feines Tröpfchen

zum Genießen.

Wenn dann die Stimmung steigt, wächst vielleicht die Freude am bekannten schwäbischen

Zungenbrecher:

„Moisch, maaschd Mooschd?

Odr moisch, maasch mi?

Woisch, Mooschd moschd meega!“


Most mag man auch in anderen Teilen der Welt. Die Frankfurter schätzen ihren „Äppelwoi“, in

England gibt’s überall „Cider“, sprich [saida], zu kaufen. Man kennt ihn beispielsweise auch im

Baskenland, in Italien, Spanien, Irland und Polen. In Nordfrankreich und Kanada erntet man

zuweilen Äpfel bei eisigen Temperaturen und keltert daraus sozusagen einen Eismost, ähnlich

dem Eiswein. „Cidre“, sprich [sidr], so heißt der Most in Frankreich, steht überall meterweise in

den Supermärkten in den Regalen, ähnlich wie Wein in Flaschen abgefüllt und in verschiedenen

Geschmacks‐, Qualitäts‐ und Preislagen. Wie beim Wein gelten recht strenge gesetzliche Vorgaben.

Man unterscheidet auch nach dem Herkunftsgebiet. „Cidre bouché“ (prickelnd, in

Flaschen abgefüllt und verkorkt) entspricht ziemlich genau unserem hiesigen Mostsekt, ist dort

aber weit bekannter und überall zu haben.

Die Abbildungen sind selbsterklärend.

https://en.wikipedia.org/wiki/Cider (englischsprachig, mit Fotos)

https://fr.wikipedia.org/wiki/Cidre (französischsprachig, mit Fotos)

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Apfelwein (deutschsprachig)

https://meinfrankreich.com/cidre/ (Zum Cidre und noch einigem mehr; deutschsprachig)

https://de.food-and-recipes.com/publication/8846/ *(Wein aus Rosinen; Zibebenmost)


Von Sütterlin zu SMS

Das Wort Sütterlin kennen heute nicht mehr allzu viele Leute. Wer sich aber mit älteren Urkunden,

Familienbüchern und Sitzungs‐Protokollen usw. befasst, macht damit unweigerlich

Bekanntschaft. Die Sütterlinschrift, meist einfach Sütterlin genannt, ist eine im Jahr 1911 im

Auftrag des preußischen Kultur‐ und Schulministeriums von Ludwig Sütterlin entwickelte

Ausgangsschrift für das Erlernen von Schreibschrift in der Schule.

Es war im 19. Jahrhundert in England Mode geworden, mit der neu entwickelten stählernen

Spitzfeder statt mit Gänsefederkielen zu schreiben. Auch in Deutschland setzte sich die

Spitzfeder rasch durch und prägte das Schriftbild des 19. Jahrhunderts. In Deutschland schrieb

man damals als Schreibschrift vor allem Kurrent (auch altdeutsche Schreibschrift genannt) und

zuweilen auch lateinische Schreibschrift.

Um den Kindern das Schreibenlernen zu erleichtern, ließ Sütterlin sie mit einer Metallschreibfeder

mit Kugelspitze schreiben, vereinfachte die Buchstabenformen, verringerte die Ober‐ und

Unterlängen (Lineatur im Verhältnis 1:1:1) und stellte die relativ breiten Buchstaben aufrecht.

Die deutsche Sütterlinschrift wurde ab 1915 in Preußen eingeführt. Sie begann die bis dahin

übliche Form der deutschen Kurrentschrift abzulösen und wurde 1935 Teil des offiziellen Lehrplans.

Siehe die Abbildung mit „Übersetzungen“ in heutige Schrift jeweils eine Zeile darunter.

Bemerkenswert ist, dass die nächste Umstellung in der Zeit des Nationalsozialismus geschah:

Vom 1. September 1941 an wurde das Lehren der Sütterlinschrift, die für uns Heutige immer

noch recht „altdeutsch“ aussieht, im Schulunterricht untersagt. Als Ausgangsschrift wurde in

den Schulen die lateinische Schrift eingeführt. Das ist die, die wir alle kennen. Sütterlin lesen

oder gar schreiben können heute fast nur noch Archivare und Geschichtswissenschaftler. Oder

jemand hatte wie ich das Glück, dass die Oma (1891‐1972) zuweilen handgeschriebene Briefe

verschickte, natürlich auf Papier, im Umschlag und mit Briefmarke darauf. Und wenn ich dann

wissen wollte, was sie uns geschrieben hatte, sagte meine Mutter nur trocken: „Liesch halt.“

(„Lies es eben.“) So lernte ich „altdeutsch“ und Sütterlin wenigstens halbwegs zu entziffern.

Wer mal aus der Schule raus ist, wird heutzutage nicht mehr sehr oft genötigt sein, etwas handschriftlich

festzuhalten. Meist tippt man seine Texte in moderne Elektronikgeräte. Buchstaben

in Druckschrift begleiten uns unser Lebtag in allen Spielarten.

Die Technik schreitet unablässig voran. Eben noch waren E‐Mails das Modernste an Text, der

anderen Leuten elektronisch zugesandt werden konnte. Manche lächeln schon über diese

„Steinzeittechnik“. Messenger (englisch für „Bote/Botin“) sind das neue Maß der Dinge.

Man tippt und tippt … Ob es WhatsApp, Facebook, Signal oder irgendwelche der vielen anderen

elektronischen Helferlein (oder auch Verführer) sind: Sie lassen mehr als nur Texttippen zu: Man

kann Fotos und Videos aufnehmen, bearbeiten und verschicken, Zeichnungen, Grafiken,

Gesprochenes, Musik und was weiß ich noch alles, vom Computer, Handy oder Tablet aus. Gleich

ob sinnvoll oder überflüssig, freundlich und erfreulich oder ärgerlich und beleidigend, informierend

oder verdummend — dem Gerät selbst ist es egal.

Das in der Überschrift genannte SMS ist also auch schon nicht mehr allerneuester Stand der

Dinge, wird aber dennoch weiterhin fleißig verwendet. SMS kommt aus dem Englischen und

bedeutet „short message service“ (Kurznachrichtendienst). Im Deutschen neigen wir dazu, englischsprachige

Fachbegriffe unverändert ins Deutsche zu übernehmen. Auf Französisch heißen

SMS „texto“, auf Italienisch „messaggino“ und auf Spanisch „mensaje“.

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Am 3. Dezember 1992 schickte der Ingenieur Neil Papworth die SMS (mit dem Text »Merry

Christmas«) von einem PC an ein Mobiltelefon im britischen Vodafone‐Netz. … Durch die hohe

Akzeptanz von SMS nehmen Kurznachrichten einen zunehmenden Einfluss auf soziale Interaktion

(z. B. Terminvereinbarungen) und Sprache. So ist „simsen“ seit den 1990er‐Jahren im

deutschsprachigen Raum auch die umgangssprachliche Bezeichnung für das Versenden von

Kurzmitteilungen (SMS) mit einem Mobiltelefon. Um mehr Inhalt in die auf 160 Zeichen

beschränkten Nachrichten zu bringen, hat sich eine weitverbreitete Abkürzungskultur entwickelt

wie „mfg": „Mit freundlichen Grüßen“ oder „glg“ für „ganz liebe Grüße“. Dazu gehören auch

die inzwischen zahllosen, aber nicht wirklich neuen Emojis (Smileys; s. Abbildung), die Stimmungszustände

ausdrücken.… Die Kommunikation über SMS hat sich in der Gesellschaft über

die Jahrzehnte so etabliert, dass es heutzutage sogar zum Informationsaustausch in Liebesbeziehungen

benutzt wird, in Zu‐ und in Absagen.

Die Angaben stützen sich im Wesentlichen auf persönliche Erfahrung und auf Wikipedia. Siehe

aber auch im Gemeindebuch auf Seite 269. Die meisten Abbildungen sind selbsterklärend. Nur

zu einer muss ich etwas erklären. Sie entstand 2011 auf einem Friedhof auf der französischen

Insel Noirmoutier (südliche Bretagne). Wie in Frankreich meist üblich, sind die Gräber mit großen

Steinplatten komplett abgedeckt. Verwandte und Freunde der Verstorbenen platzieren auf dieser

Grabplatte oft eine größere Anzahl von Gedenk‐Gegenständen. In diesem Fall war die steinerne

Nachbildung eines Handys darunter mit der eingravierten Inschrift „Je t’envoie un dernier

texto pour ne pas t‘oublier…“, sinngemäß zu Deutsch: „Ich schick dir ein letztes SMS zum

Zeichen, dass du nicht vergessen bist.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift

https://de.wikipedia.org/wiki/Fraktur_(Schrift)#Schriftbeispiele_für_die_Fraktur („altdeutsche Druckschrift“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Sütterlinschrift

https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Sütterlin_(Grafiker)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausgangsschrift#Lateinische_Ausgangsschrift

https://de.wikipedia.org/wiki/Short_Message_Service (SMS)

https://de.wikipedia.org/wiki/Smiley

https://de.wikipedia.org/wiki/Île_de_Noirmoutier (auf Deutsch)


Griesingen gibt's nur einmal, aber ‐ingen‐Orte gibt's 164

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Ortsnamen, die wie Griesingen auf „‐ingen“ enden, gibt es in allein in Oberschwaben fast

unglaubliche 164. Sonst aber ist Griesingen – auf jeden Fall schon mal vom Namen her – einmalig

auf der ganzen Welt. Dies ist zu Recht Thema eines anderen Beitrags dieser Reihe (Gemeindebuch

Seite 187).

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, in den Kreisen Ulm (Stadt), Alb‐Donau, Biberach, Sigmaringen,

Ravensburg und Bodensee die Orte von A bis Z nach gängigen Ortsnamens‐Bestandteilen

und ‐Endungen zu durchsuchen, von Städten und Stadtteilen, von Gemeinden bis zu Weilern,

Ortsteilen und Einzelhöfen, von denen es im württembergischen Allgäu, also im Kreis Ravensburg,

mit seiner Streusiedlungsweise besonders viele gibt. Im genannten Gebiet habe ich unter

vielem anderem gefunden:

17 mal ‐kirch (z. B. Ehingen‐Kirchen, Schwörzkirch), 17 mal ‐stadt (z. B. Nasgenstadt, Winterstettenstadt),

17 mal ‐stetten (z. B. Stetten bei Ehingen und Stetten bei Laupheim), 21 mal ‐

wang(en) (z. B. Binzwangen, Gamerschwang), 28 mal ‐ried(en) (z. B. Bad Schussenried,

Donaurieden), 32 mal ‐heim (z. B. Granheim, Volkersheim), 34 mal staig/‐steig (z. B. Staig, Steigle

b. Scheer), 40 mal ‐bach (z. B. Bach, Erbach, ), 52 mal Bühl (z. B. Argenbühl, Bühl bei Burgrieden),

55 mal ‐dorf (z. B. Hochdorf/Riß, Ummendorf), 63 mal ‐hausen (z. B. Großschafhausen, Schaiblishausen),

81 mal ‐reute (z. B. Enzisreute bei Bad Waldsee an der B30), 130 mal Unter‐ (z. B.

Untergriesingen, Untermarchtal), 132 mal ‐hofen (z. B. Dintenhofen, Frankenhofen), 134 mal ‐

mühle (z. B. Laufenmühle, Ehingen‐Mühlen), 145 mal Ober‐ (z. B. Oberankenreute, Oberbalzheim,

Obergriesingen), 164 mal ‐ingen (z. B. Griesingen und noch viele andere auf ‐ingen), 188

mal ‐weiler (z. B. Weiler zu Blaubeuren, Uttenweiler).

Wie den Zahlen zu entnehmen ist, gibt es recht unterschiedliche Vorkommen: 17 mal enthält ein

Name ‐kirch oder ‐stetten, aber 188 mal ‐weiler. Griesingen ist gemeinsam mit 163 anderen ‐ingen‐

Orten also auf Platz 2 der oberschwäbischen Häufigkeitsliste bei den Ortsnamens‐Endungen.

Und daher geht’s jetzt einmal rund um Griesingen mit lauter ‐ingen‐Orten: Allmendingen,

Altbierlingen, Altsteußlingen, Dettingen, Emeringen, Emerkingen, Ersingen, Grötzingen, Ingerkingen,

Ingoldingen, Justingen, Kirchbierlingen, Kleinallmendingen, Merklingen, Ober‐ und

Untersulmetingen, Oberdischingen, Öpfingen, Ringingen, Söflingen, Unterwilzingen, Weilersteußlingen,

Wiblingen. Und dann gibt’s auch noch sieben passende ingen‐Städte: Ehingen,

Laichingen, Munderkingen, Riedlingen, Schelklingen, Sigmaringen und Überlingen.

Über mein diesmaliges „Forschungsgebiet“ hinaus gibt es zum Beispiel auch noch Balingen,

Burladingen, Donaueschingen, Gammertingen, Hechingen, Ingelfingen, Kreuzlingen (Schweiz,

Kanton Thurgau), Meiningen (Österreich, Vorarlberg), Memmingen, Mössingen, Münsingen,

Reutlingen, Trochtelfingen, Tübingen, Villingen‐Schwenningen, Vöhringen …

Für dieses Mal sind es ein bisschen viel Zahlen und Aufzählungen. Daher gibt es jetzt noch einige

schöne Bilder zum Anschauen dazu, teils sogar mehrfach passend zu einigen Ortsnamens‐

Bestandteilen. Schönes Oberschwaben! Viel Spaß beim Anschauen!

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wappen_Grossschafhausen.svg


https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bad_Waldsee_-_Haisterkirch_v_SO_121018_-_02.jpg

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Laufenmühle.jpg

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ratzenried_250708.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Winterstettenstadt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Griesingen,_UL_-_Untergriesingen_-_Höhenstr_Ri_NO.JPG


Totengedächtnis überall

Der Totensonntag (21. November) ist in den evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz

ein Gedenktag für die Verstorbenen. Er wurde 1816 eingeführt und dient auch der

Erinnerung an die Gefallenen der „Befreiungskriege“ von 1813 bis 1815. Es gibt also einen

Zusammenhang mit dem Volkstrauertag, der ebenfalls im November stattfindet. Da gedenkt man

ganz besonders der Opfer von Krieg, Vertreibung, Flucht und Gewalt, auch in Griesingen. Und es ist

glücklicherweise und durchaus mit gutem Grund üblich geworden, sich im Gedenken nicht allein

auf Deutschland zu beschränken. Andere Länder waren schließlich auch betroffen, und etliche von

ihnen begehen ebenfalls so einen Gedenktag, und sie haben auch allen Grund dazu …

Wo immer man (zumindest) in Europa unterwegs ist, trifft man in jedem Land und in nahezu jedem

noch so kleinen Ort auf ein Mahnmal oder eine Gedächtnistafel mit Namen der jeweiligen Gefallenen

und Vermissten. Manchmal noch aus dem deutsch‐französischen Krieg von 1870/71, aber

gewiss aus den beiden Weltkriegen. Liest man außer den Namen, wenn möglich, auch das jeweilige

Alter ab, so wird erschreckend deutlich, wie viele der Opfer noch sehr jung waren.

Besucht man einmal die zahlreichen Soldatenfriedhöfe in Frankreich, zum Beispiel um Verdun (1.

Weltkrieg) oder in der Normandie (2. Weltkrieg), wo viele Zehntausende aus aller Welt (!) bestattet

sind, dann wird verständlich, warum Lehrer ihre Schülerschaft neugierig machen

können mit der Frage, wo denn wohl die größten Teenagerfriedhöfe Europas seien. Ja, genau da!

Im Gemeindebuch steht auf Seite 210: „Sie kamen nicht mehr heim (Gefallene und Vermisste) —

Auch aus Griesingen gab es im Krieg gegen Frankreich 1870/1871 Opfer. Zum ersten Weltkrieg sind

im Gemeindebuch 32 Namen von Gefallenen und Vermissten verzeichnet, zum Zweiten Weltkrieg

fast doppelt so viel, nämlich 56, was etwa 10 Prozent der damaligen Bevölkerung entspricht.

Vor diesem Hintergrund bin ich bis heute unendlich froh und dankbar, dass ich schon mit jungen

Jahren wie mein Großvater und mein Vater auch nach Frankreich fahren konnte. Nur im großen

Unterschied zu diesen freiwillig, nicht in Uniform und nicht auf Militärfahrzeugen, sondern in

den Schulferien, in Freizeitklamotten, mit Kumpeln und auf dem Fahrrad. Mehrfach. Und ich

bin bis heute froh, dass ich in der französischen Partnerstadt von Weingarten, Bron bei Lyon,

bei einer Gastfamilie unterkam, obwohl mein Gastvater als junger Bursche in Lothringen von

SA oder SS bedroht nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Ich wurde ausdrücklich als

jugendlicher Gast aus der oberschwäbischen Partnerstadt herzlichst aufgenommen, DAMIT sich

so etwas nicht wiederholen solle. Die Städtepartnerschaft Bron‐Weingarten machte es möglich!

Im Gemeindebuch steht auf Seite 184, dass auch hier in Griesingen die Aufnahme einer

Gemeindepartnerschaft zumindest schon einmal erwogen wurde …

Als ich nach meinem Studium 1970 ein Jahr an zwei französischen Gymnasien in Bayonne und

Biarritz Deutsch unterrichtete, erfuhr ich reihum freundliche Aufnahme, WEIL ich Deutscher

bin. Ich könnte konkrete Beispiele nennen und die Liste noch lange fortsetzen.

In diese positiven Erfahrungen, dass man andere Länder in friedlicher Absicht bereisen und mit

den Menschen in Kontakt kommen kann, gehören auch mehrere Studienfahrten mit meinen

Ehinger Hauptschulklassen nach England. Schließlich war Englisch die Fremdsprache, die sie alle

in der Schule lernten. Die Jugendlichen und ihre Eltern waren dazu jeweils gerne bereit, sonst

hätten wir’s nicht gemacht. Wir haben die Studienfahrten auch jedes Mal lange sprachlich,

organisatorisch und vor allem auch erzieherisch vorbereitet. Dies war wohl nicht ganz vergebens.

Einmal erhielt eine der Mädchengruppen von ihren englischen Gasteltern in einem Brief beschei‐

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nigt: „They were the best German ambassadors we’ve ever had.“ (Sie waren die besten Botschafterinnen

Deutschlands, die wir jemals hatten.) Es gab weitere Schreiben ähnlichen Inhalts, wie eine

Abbildung zeigt. Und ebenso gehörten zahlreiche Urlaubsreisen fast rund um unseren Kontinent

zu den Erfahrungen: Sehen, wie die Menschen dort leben, arbeiten und wohnen.

Wer von all den oben angesprochenen gefallenen oder an Leib und Seele verwundeten „Kriegs‐

Teenagern“ und all ihre Eltern, Familienangehörigen, Verwandten, Bekannten, Verlobte, Bräute

und Freunde hätten sich damals so etwas jemals auch nur entfernt träumen lassen?

Die Abbildungen zeigen „Krieger‐Denkmäler“ und zwei Tafeln zu kommunalen Partnerschaften.

Steinhausen an der Rottum (Kreis Biberach) hat mit Eingemeindungen knapp 2200 Einwohner.

Ein anderes Bild zeigt das Mail einer britischen Jugendherberge an meine damalige Klasse 9b.

https://de.wikipedia.org/wiki/Commando_Memorial#/media/Datei:Spean_Bridge_Commando_

Memorial_PICT6239_r1.JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Totensonntag

https://de.wikipedia.org/wiki/Volkstrauertag#Kriegstotengedenken_in_anderen_Ländern

https://www.normandie-web.de/infos-ueber-die-normandie/soldatenfriedhoefe-in-der-normandie.php

https://fr.wikipedia.org/wiki/Bron (Städtepartnerschaft Bron, Frankreich, mit Weingarten; franz.)

https://de.wikipedia.org/wiki/Steinhausen_an_der_Rottum (Gemeindepartnerschaft mit der franzö -

sischen Gemeinde Chaponnay)


Gehört Griesingen zu Oberschwaben?

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Wenn man auf der B465 von Münsingen her den Stoffelberg nach Ehingen herunterkommt und

dann bei Berg, Gamerschwang oder Öpfingen die Donau überquert, dann beginnt geologisch

gesehen das Voralpenland, das auch Oberland oder Oberschwaben genannt wird. Demnach

liegt Griesingen — südlich der Donau — eindeutig in Oberschwaben bzw. im Oberland.

Der Begriff „Oberschwaben“ wurde im Laufe der Jahrhunderte teils unterschiedlich gedeutet.

Wikipedia: „Es wurde auch schon von einem größeren Oberschwaben bis zum Lech gesprochen,

das auch das bayerische Schwaben mit einbezieht. Und dann wird ein kleineres genannt, das

sich auf den baden‐württembergischen Teil beschränkt, also die Landschaft zwischen Donau,

Iller und Bodensee.“ Doch wie man es nimmt, Griesingen gehört so oder so klar zu jeder Art

von Oberschwaben.

Fährt aber jemand aus Griesingen nach Biberach oder Ravensburg, dann fährt er „ins Oberland“,

womöglich sogar „nouf“ (hinauf). Also gehört Griesingen gefühlt doch nicht so ganz dazu? Auch

innerhalb Oberschwabens gibt es unsichtbare Grenzlinien. Und dann umfasst bei manchen „das

eigentliche Oberschwaben“ womöglich nur die Landkreise Ravensburg, Bodenseekreis und Sigmaringen.

Kommt man an der B30 zwischen Oberessendorf und Bad Waldsee an die Kreisgrenze

BC/RV, so grüßt kein Schuld mit „Willkommen im Landkreis Ravensburg“, sondern eines mit

„Willkommen in der Region Bodensee‐Oberschwaben“. Die „VHS (Volkshochschule) Oberschwaben“

z. B. hat ihren Sitz in Aulendorf.

Die Menschen im früheren Landkreis Wangen, jetzt zu RV gehörend, seufzen dabei schon mal

auf, denn sie seien doch eigentlich West‐Allgäuer (Isny, Kißlegg, Leutkirch und Wangen). Ganz

ähnlich geht es den Leuten um Meersburg, Markdorf und Überlingen: Da singt man bis heute

bei halbwegs jedem Anlass gerne das Badenerlied. Die Kreise Alb‐Donau, Biberach und

Sigmaringen reichen teils auch auf die Schwäbische Alb hinauf. Doch in Biberach selbst fühlt

man sich genau wie in Ravensburg ganz im Herzen Oberschwabens — und natürlich zu Recht.

Diese beiden altehrwürdigen Freien Reichsstädte verkörpern sozusagen die Kraft von zwei

Herzen. Ein bisschen verwirrend, das Ganze …

Griesingen wiederum gehört weder zum württembergischen Allgäu noch zur Region „Bodensee‐Oberschwaben“,

nicht zum Illertal und auch nicht zum Kreis Biberach. Der Name unseres

Landkreises setzt andere Schwerpunkte: Alb und Donau.

Wie ist es also jetzt mit Griesingen und Oberschwaben? Wie in Grenzbereichen gelegentlich üblich:

Es gehört zwar einerseits eindeutig dazu, gefühlt aber eben doch nicht so ganz. Freilich, im

Gemeindebuch steht auf Seite 72: „Das Bestehen einer ‚Griesinger Blechmusik‘ ist erstmals im

Jahre 1850 durch eine Anzeige in der Zeitung ‚Volksfreund für Oberschwaben‘ nachzuweisen.“

Diese Zeitung mit „Oberschwaben“ im Titel erschien jahrzehntelang in Ehingen und muss als

Vorläuferin der Schwäbischen Zeitung Ehingen gesehen werden. Da heißt’s also dann doch

wieder „Oberschwaben“, sogar für Ehingen, bekanntlich nördlich der Donau, wie auch für

Griesingen. An anderer Stelle im Gemeindebuch auf Seite 91 steht: „Wer noch mehr über das

Griesinger Storchenleben wissen möchte, der kann sich im Internet unter www.stoerche‐oberschwaben.de

weiter informieren.“ Also wieder Griesingen in Verbindung mit Oberschwaben.

Und so kann sich jedermann in Griesingen frei entscheiden, ob unser Ort ganz oder doch nur

fast zu Oberschwaben gehören soll.


Eine weitere Unterscheidung ist der oberschwäbische Dialekt mit allerlei Schattierungen. Was

hierzulande „Beschla“ sind, heißen im Allgäu „Schumpa“ (Jungrinder). Sagt man vom Bodensee

bis kurz vor Laupheim „alle“, heißt von da an nördlich in Richtung Donau „älle“. Fährt der Landwirt

in Griesingen „Soich“, so ist sein Kollege im Schussental mit „Lacha“ und der im Allgäu mit

„Bschitte“ unterwegs. Für die Kartoffeln gibt es in Griesingen das Wort „Aideepfl“, weiter südlich

sind es „Grommbiera“ (mit langem „i“), und wieder anderswo „Grommbirra“ (mit kurzem „i“),

oder auch „Bodabirra“. Und alles ist doch in Oberschwaben zuhause.

„Bis heute stellen die Katholiken in weiten Teilen des Oberlandes die Bevölkerungsmehrheit.“

(Wikipedia) Warum das so ist, ist Thema eines anderen Beitrags dieser Reihe. „So ist der katholische

Glauben ebenso bis heute fester Bestandteil des kulturellen Lebens in Form von Fest‐ und

Feiertagen sowie Wallfahrten. Hervorzuheben sind die Wallfahrt auf den Bussen sowie die

alljährlich stattfindenden Blutritte in Weingarten und Bad Wurzach.“ (Wikipedia). Griesingen

gehört also auch wegen seiner katholisch geprägten Geschichte und seiner Traditionen eindeutig

zu Oberschwaben.

Zu den Abbildungen: Dem Storch auf dem Griesinger Schulhaus (Gemeindebuch Seite 91) kann

die Frage „Oberschwaben oder doch nicht so ganz“ wurscht sein. Er sieht auf jeden Fall vom

Griesinger Schulhauskamin weit ins Oberschwäbische hinein und ist auf seinem Weg nach Süden

und zurück auch mal mittendrüber. Die übrigen Abbildungen zeigen einige Schönheiten und

Traditionen Oberschwabens (auch aus Griesingen) und sind selbsterklärend. All dieses Sehenswerte

und noch viel mehr umfasst unser Oberschwaben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Oberschwaben

https://de.wikipedia.org/wiki/Region_Bodensee-Oberschwaben

https://de.wikipedia.org/wiki/Biberach_an_der_Riß

https://de.wikipedia.org/wiki/Ravensburg

https://de.wikipedia.org/wiki/Wangen_im_Allgäu

https://de.wikipedia.org/wiki/Ochsenhausen

https://de.wikipedia.org/wiki/Riedlingen

https://de.wikipedia.org/wiki/Waldburg_(Burg)

https://de.wikipedia.org/wiki/Basilika_St._Martin_(Weingarten)

https://de.wikipedia.org/wiki/Aktionsprogramm_zur_Sanierung_oberschwäbischer_Seen

https://de.wikipedia.org/wiki/Schwäbisch-alemannische_Fastnacht

http://stoerche-oberschwaben.de/


Molke

Hund und Esel — war da die halbe Mannschaft der Bremer Stadtmusikanten versammelt? Nein.

Bremen ist rund 700 Kilometer weit weg. Als aufmerksamer Leser des Gemeindebuchs wusste

Ulrich Freudenreich† („Gousa Ulle“) zum Thema „Molke“ etwas richtig Einheimisches beizusteuern:

„„Es gab [auch mal eine] Molke in Obergriesingen. Vor dem 1. Weltkrieg [1914‐18] holte

Konrad Wiget mit einem Gespann aus Esel und Bernhardiner [die Milch] zur Bearbeitung nach

Obergriesingen.“ Das ist lange her.

„Molke“ ist die landläufige Abkürzung für „Molkerei“. Gemeint ist die örtliche Milchannahmestelle,

die als örtliche Molkereigenossenschaft organisiert war und ihre Milch lange an das Bezirksbutterwerk

Riedlingen lieferte. Nicht immer fuhr das „Milchauto“ (Tanklastzug eines Milchwerks) fast von

Hof zu Hof, um täglich die Milch abzuholen. Vielmehr brachten über lange Zeit die Landwirte ihre

gefüllten Milchkannen täglich zweimal zur Sammelstelle. Die Milch wurde in einen großen Bottich

geschüttet, gewogen und das Ergebnis handschriftlich in ein Notizbüchlein eingetragen, später eingestempelt.

Die Milch wurde immer wieder auf Fettgehalt und Sauberkeit überprüft. Beanstandungen

ergaben einen schlechteren Preis. Die Milch wurde dann zentrifugiert, der Rahm abgeholt

und die übrigbleibende Magermilch dem Milcherzeuger als Schweinefutter wieder mitgegeben.

Zusätzlich konnte man noch Rührmilch (Buttermilch) bekommen, die im Milchwerk abfiel. In der

Molke konnte man auch Butter und auf Bestellung Limburger und Romadur („Backsteinkäse“)

erstehen. Im Sommer gab es zudem Edamer, Münsterkäse und Tilsiter zu kaufen, aber nur auf

Bestellung und nur in ganzen Laiben (Gemeindebuch Seite 232).

Die Molke war wichtig für ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf. Über sie konnten die Bauern

ganzjährig ein gewisses halbwegs regelmäßiges Einkommen erwirtschaften.

Die Molke, von der nachstehend die Rede ist, befand sich in Untergriesingen in der Straße „Im

Winkel“ neben dem früheren Lebensmittelgeschäft Wiget (Hausname „Eschawangers“/Eschenwangers),

Abb. im Gemeindebuch Seite 151 unten. Die Molke und ihre Betreiber tauchen im

Gemeindebuch immer wieder auf. Hier folgt eine Zusammenstellung:

Der Musikverein berichtet: „Deshalb führte man [1958] eine Alteisensammlung durch und

bat um Spenden aus der Gemeinde. Diese blieben glücklicherweise auch nicht aus: die

Molkereigenossenschaft Griesingen spendete einen größeren Betrag.“ Es ging um die

anfängliche Beschaffung von Musikinstrumenten (Seite 74).

Seite 118: „Oft sind die teils noch bis heute gebräuchlichen Griesinger Hausnamen auf die

Berufstätigkeiten der früheren Bewohner zurückzuführen. Dazu gehören zum Beispiel:

Molkes (Milchannahmestellenbetreiber)“, auf Seite 153. Im Dorf von meinem Gette (Kreis

Biberach) nannte man den Molke‐Betreiber „den Käs“ und seine Familie waren die „Käses“.

Das „Adreß‐ und Geschäftshandbuch“ von 1927 nennt zu Griesingens „Industrie, Handel

und Gewerbe“ auf Seite 188 u. a. „Butter‐ und Käsehandlung: Molkereigenossenschaft.“

Ebenfalls 1927: Molkerei‐Genossenschaft: Vorstand Valentin Scheffold (Seite 189)

Feuerwehr 1968: TS 8/8 Magirus – Unterbringung in der alten Molke

Feuerwehr 1975: Gerätehaus wird von „Rössles Stadel“ in die Molke verlegt (Seite 60)

Im Gemeindebuch auf Seite 133 steht unter der Überschrift „Buden‐Anfänge“ u. a.: „

Natürlich gab es … auch früher schon Jugendtreffpunkte im Dorf, entweder an der Molke …“

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Die Molke war mehr als nur eine Milchannahmestelle. Dazu später mehr. Nach dem morgendlichen

und abendlichen Melken wurde die frische Milch zur Molke gebracht. Das war zum Teil

ein weiter und holpriger Weg, der bei jeder Wetterlage und Jahreszeit zu gehen war. Die Milchkannen

wurden auf einem Handwägele oder winters auf einem Schlitten befördert und sollten

natürlich nicht umfallen und auslaufen. Ab und zu kontrollierte die Polizei, ob auch eine brennende

Laterne als Beleuchtung mitgeführt wurde. Wehe, einer der Lausbuben hatte einem der

Mädchen die Lampe zuvor ausgelöscht oder versteckt.

Aus Obergriesingen wurde mir erzählt, dass zuweilen Schulkinder für die Nachbarn gegen eine kleine

Entlohnung die Milch noch vor Schulbeginn zur Molke brachten. Und nicht immer seien die Nachbarn

rechtzeitig mit dem Melken fertig geworden. Dann habe es zur Schule öfters arg pressiert.

Abends war der Gang zur Molke entspannter. Es war nicht nur der möglichst schnelle Transport

der Milch zur Annahmestelle wichtig, sondern dort war zugleich der Treffpunkt für Jung und

Alt. Da wurden Neuigkeiten ausgetauscht, „Unterhältliches“ gepflegt und wohl zuweilen auch

zarte Bande geknüpft.

Gemeindebuch S. 233: Hans Seifert (Deise Hans) und ab 1933 Philipp Russ waren nacheinander

die „Molker“, letzterer über lange Jahre bis zur Schließung der Molkerei um 1970. Von 1940 bis

1949 betreuten kriegsbedingt seine Frau Maria und deren Schwester Theresia Biesinger,

verheiratete Staudenrausch, die Molke.

Eine Molke gab es logischerweise wohl in jedem Dorf einmal. Manchmal erinnern Straßennamen

daran: Molkereiweg (Rot an der Rot‐Haslach) und Molkeweg (Ehingen‐Schlechtenfeld), Am

Käserberg (Burgrieden), Käsergasse (Biberach/Riß‐Bergerhausen) und ebenso eine Käsergasse

(Bad Schussenried‐Sattenbeuren), Käserweg (Bad Buchau‐Moosburg), Käsereiweg (Leutkirch‐

Tautenhofen), Käsgässle (Ingoldingen‐Winterstettenstadt), Käsereiberg (Rot an der Rot‐Zell).

Die Abbildungen sind alle aus dem Gemeindebuch und selbsterklärend. Leider ließ sich selbst

unter freundlicher Mitwirkung aus der Einwohnerschaft (vielen Dank!) bisher kein einziges Foto

der Griesinger Molke finden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Milchsammelstelle

https://de.wikipedia.org/wiki/Allgäuland-Käsereien (auch: ehem. Milchwerk Riedlingen)

https://de.wikipedia.org/wiki/Tilsiter (allerlei Wissenswertes zum Tilsiter-Käse)

https://de.wikipedia.org/wiki/Edamer (nicht alle Edamer sind gleich)

https://de.wikipedia.org/wiki/Munster_(Käse) (französisch, deutsch oder amerikanisch?)

*aus: Hermann Wax, Etymologie des Schwäbischen (4. Auflage, 2011)


Weihnachtserleben im Nachbarort

Die Geschichte wurde für uns freundlicherweise aufgeschrieben und

zur Verfügung gestellt von Frau Gabriela Rapp, einer gebürtigen

Öpfingerin, die in Luxemburg lebt und wissenschaftlich arbeitet. Sie

setzt sich besonders für Kinder‐ und Jugendschutz ein*:

„Als wir Kinder waren, gab es ‚böse Nikolause und Knecht Ruprechte‘.

Sie haben die Dörfer rund um Öpfingen, Oberdischingen etc. unsicher

gemacht. Einer meiner eigentlich lieben Brüder, Josef, wurde von

solch einem Bösen einmal außerhalb des Hofes in den Sack gesteckt und ziemlich verprügelt,

bis meine Mutter das Schreien hörte und aus dem Kuhstall spurtend (so gut es ging, da sie schon

körperbehindert war), dem Spuk per Mistgabel ein Ende setzte.

Bei uns zuhause wurde die Krippen‐Kunst großgeschrieben. Hier waren stets ca. zwei Tage Arbeit

angesagt. Schwere, ausgewaschene Steine aus der Donau (ca. 15‐20 kg das Stück) dienten unter

anderem als Berge, was die Hauskrippe betraf, die natürlich immer sehr viel Platz in der Stube

einnahm.

Einmal habe ich die Zusatzbefestigungen zum Tisch nicht gut verankert (da war ich wohl ca. 16‐

17 Jahre alt) und der Teppich musste nach dem Putzen korrekt in Linie gerückt werden. Alle

waren bereits auf dem Sprung in die Kirche, noch 20 Minuten davor hatte ich die letzte Kuh

gemolken. Es war Eile angesagt. Ich hob etwas den Tisch und schon war es geschehen, das Erdbeben.

Es gab einen riesigen Schlag. Die Krippenkonstruktion mit den schweren Donausteinen

hatte Übergewicht bekommen, ein Holzstützpfosten brach und die ganze Krippe stürzte in sich

zusammen. Viele Krippenfiguren, Schafe, Hunde und sonstiges Getier waren unter den Trümmern

auf dem Stubenboden begraben. Meine Mutter weinte und mein Vater besah mich mit

Entsetzen, schüttelte den Kopf und ging mit meiner noch weinenden Mutter wortlos zur Kirche.

Gut ein Drittel der Stube kam einem Trümmerfeld gleich. Da bei uns zuhause mit so vielen

Kindern immer ein paar mehr (rund ums Dorf) mit am Tisch saßen, war am Heiligabend zufällig

auch D. mit da. Zu zweit befreiten wir Figuren und Tiere und bauten eilends eine völlig neue

Krippenlandschaft auf. Verletzte Figuren und Tiere wurden schnell mit Sekundenkleber geklebt.

Bis die Familie wieder vom Kirchgang heimkam, stellten wir gerade den letzten Rehbock ins

Felsengebirge. Wir hatten sogar einen Wasserfall mit integriert und beleuchtet.

Mein Vater sprach von einem kleinen Wunder, meine Mutter war froh zu singen und D. und ich

waren nass geschwitzt bis auf das Unterhemd. Noch heute erinnert so manch geklebtes Bein,

manch geklebter Arm der Figürchen an jenes besondere Weihnachtsbeben in der Stube von

Rapps ‐ es gab auch andere Weihnachtsbeben:

Da wir viele Kinder waren, kamen für gewöhnlich alle Tanten und Onkel in der Weihnachtszeit

auf einen Besuch zu uns. Die Stube war gerammelt voll. Und unter den Augen der Krippenbewohnerle

wurde gelacht, gesungen, Bredla [Plätzchen] gegessen und natürlich Karten gespielt,

z.B. 4er‐Ruf. Dabei spielten immer zwei auf einem Blatt. Ich hatte eine Tante aus Nasgenstadt,

die hat mit uns Kindern zusammen immer alles versucht, um zu schummeln. Das war ein riesiger

Spaß. Noch im hohen Alter nahm ich sie, meine Mutter und einen kleinen Neffen von mir öfters

auf den Ernsthof (Gaststätte) für Kaffee und Kuchen, doch hauptsächlich, um Karten zu spielen.“

Die Abbildungen sind weitgehend selbsterklärend. Eine (Gemeindebuch Seite 175) zeigt Grie‐


singer Sternsinger, Ende der 1960er‐Jahre (leider etwas unscharf). Damals kamen sie auch in

die Nachbarorte wie Öpfingen und sogar bis Achstetten. Im dortigen Schloss wurden sie freundlich

aufgenommen. Als sie ihren Vortrag aufgesagt und vorgesungen hatten, hieß es immer:

„Das Futter für die Kamele steht bereit.“ Dann gab es etwas zu trinken und Weihnachtsbrötla

zu knabbern.

https://www.digitalhealth24.com/ueber-uns/

*Gabriela Rapp: Bitte, tu was (Januar 2021); PORNO SEX GEWALT DROGEN SUCHT MOBBING

RITZEN & CO.

https://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtskrippe (viele sehenswerte Krippen aus Deutschland und

Europa)

https://de.wikipedia.org/wiki/Krippenmuseum_(Oberstadion) (Hierin sind 160 Krippen ausgestellt.)

https://de.wikipedia.org/wiki/Achstetten (Im Schloss gab damals „Futter für die Kamele“, die Sternsinger)

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