02 Magazin Souffleur Ausgabe 01/2021
"DU! LIEDE!" Prosa, Lyrik, Interviews. "DU! LIEDE!" Prosa, Lyrik, Interviews.
Altersbeschränkung: Ab 16 Jahren #01/2021 EURO 10,- Das Magazin. Die Anthologie. Die Plattform für unterschiedliche Weltanschauungen. GESPRÄCH DAS 11. GEBOT: DU SOLLST NICHT SCHWUL SEIN Ein Gespräch über Gott und einen Teil der Welt. Seite 2266 LYRIK FLOW BRADLEY ANDREA SCHIMEK-FISCHER INTERVIEW ZWEI MAL ZWEI MACHT (AUCH) LIEBE Polyamorie — Mehr als einen Menschen lieben. Seite 3322 SCHWERPUNKT
- Seite 2 und 3: INHALT Beilage: GELEBTE TRÄUME. Di
- Seite 4 und 5: FEATURE VON SAMIRA JOY FRAUWALLNER;
- Seite 6 und 7: Gebetsbänke, eine Mutter Gottes au
- Seite 8 und 9: Wochenendexzess und unsere Jagd nac
- Seite 10 und 11: MARIO AUER (1957 - 2020) ICH BIN EI
- Seite 12 und 13: INTERVIEW LUSTSPIELE Foto: Lustspie
- Seite 14 und 15: Kommen zu Dir Paare, die mittels Pr
- Seite 16 und 17: Werbung
- Seite 18 und 19: INTERVIEW Foto: A.P.Tauser LET´S S
- Seite 20 und 21: Fremden treffen, sondern dass uns d
- Seite 22 und 23: LISA WELTZIN EHRLICH SEIN P assiert
- Seite 24 und 25: SEITE 24 SOUFFLEUR #01/2021 Foto: W
- Seite 26 und 27: GESPRÄCH DAS 11. GEBOT: DU SOLLST
- Seite 28 und 29: Medien, im Schulunterricht oder in
- Seite 30 und 31: Ich habe in meinen Antworten nur au
- Seite 32 und 33: INTERVIEW POLYAMORIE: ZWEI MAL ZWEI
- Seite 34 und 35: Liebe und Frieden innerhalb einer F
- Seite 36 und 37: GASTBEITRAG D er Autor des Textes a
- Seite 38 und 39: Diskurs zum Thema Pädophilie hat e
- Seite 40 und 41: BEN LEANDER WILLGRUBER EIN EINHORN
- Seite 42 und 43: MUSIK „NACKTHEIT IN IHRER REINSTE
- Seite 44 und 45: Nacktheit, und auf die andere eine
- Seite 46 und 47: INTERVIEW SONDERANGEBOT Der Souffeu
- Seite 48 und 49: Geldbetrag bezahlt hat. Viele von d
- Seite 50 und 51: Spiele? Was hast Du schon alles erl
Altersbeschränkung:<br />
Ab 16 Jahren<br />
#<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
EURO 10,-<br />
Das <strong>Magazin</strong>. Die Anthologie.<br />
Die Plattform für unterschiedliche Weltanschauungen.<br />
GESPRÄCH<br />
DAS 11. GEBOT:<br />
DU SOLLST NICHT<br />
SCHWUL SEIN<br />
Ein Gespräch über Gott<br />
und einen Teil der Welt.<br />
Seite 2266<br />
LYRIK<br />
FLOW BRADLEY<br />
ANDREA SCHIMEK-FISCHER<br />
INTERVIEW<br />
ZWEI MAL ZWEI<br />
MACHT (AUCH)<br />
LIEBE<br />
Polyamorie — Mehr als<br />
einen Menschen lieben.<br />
Seite 3322<br />
SCHWERPUNKT
INHALT<br />
Beilage:<br />
GELEBTE TRÄUME.<br />
Dichter und Philosoph Jakob Goldberg<br />
im Gespräch über falsche Achtsamkeit, Klatsch<br />
und bürgerliche Doppelmoral<br />
044<br />
Interview: VERHEIRATET MIT GOTT. Ordensschwester Michaela über ihr Gelübde<br />
10 Gastbeitrag: ICH BIN EIN MANN. Mario Auer<br />
122<br />
155<br />
188<br />
2222<br />
2244<br />
2266<br />
331<br />
3322<br />
3366<br />
3399<br />
440<br />
4422<br />
4455<br />
4466<br />
551<br />
Interview: LUSTSPIELE. Erotiklabyrinthbetreiber über Lust und Moral<br />
Gastbeitrag: DIE LIEBE UND ICH. Tanja M. Stern<br />
Interview: LET´S SWING AGAIN. Drei Paare sprechen über Spiele, Clubs und Partys<br />
Gastbeitrag: EHRLICH SEIN. Lisa Weltzin<br />
Fotostrecke: DER KUSS<br />
Gespräch: DAS 11. GEBOT: DU SOLLST NICHT SCHWUL SEIN. Irrtum Evangelium<br />
Gastbeitrag: LYRIK. Florian Randacher<br />
Interview: ZWEI MAL ZWEI MACHT (AUCH) LIEBE. Mehr als einen Menschen lieben<br />
Gastbeitrag: PÄDOPHILIE: DIE GRAUSAMKEIT DES SCHWEIGENS. Sirius<br />
Gastbeitrag: 660 JAHRE EHE. Paul Wiesinger<br />
Gastbeitrag: EIN EINHORN IM PFERDESTALL. Ben Leander Willgruber<br />
Musik/Interview: NACKTHEIT IN IHRER REINSTEN FORM. Salò<br />
Gastbeitrag: LYRIK. Andrea Schimek-Fischer<br />
Interview: SONDERANGEBOT. Sex als Geldquelle<br />
Gastbeitrag: I MÅG. Benny Ruprecht<br />
5522 Gastbeitrag: HIV: POSITIV TROTZ POSITIV. Manuel M.<br />
5544<br />
5588<br />
6622<br />
6633<br />
6644<br />
Interview: ICD-10: PSYCHISCHE STÖRUNG MIT DEM CODE F6644. Gender, Transgender<br />
Gastbeitrag: EINSAMKEIT IST EINE ZELLE. Eifersucht, Strafanstalt. Selbsterkenntnis<br />
Gastbeitrag: BEIDE GLEICH. Jakob Georg Hatz<br />
Bild: Bitterblossom<br />
Epilog: SCHICKEN SIE UNS IHRE TEXTE für die nächste <strong>Ausgabe</strong>!<br />
6677/6688<br />
Blattlinie/Impressum<br />
Foto Seite 1 Joy Visual Artistry<br />
Seite 04
E d i t o r i a l<br />
Andreas P. Tauser<br />
Chefredakteur<br />
Liebe und Achtsamkeit bedroht?<br />
V<br />
or Jahren bin ich auf ein Osho-<br />
Buch gestoßen, eine Stelle aus<br />
Jörg Andrees Eltens Vorwort ist mir bis<br />
heute in Erinnerung geblieben: Diese Besessenheit,<br />
diese Gier nach Sex überall auf der<br />
Welt, kommt nicht daher, dass die Menschheit<br />
im Laufe der Zeit sexueller geworden<br />
ist. Sie kommt daher, dass ihr selbst im Sex<br />
nicht mehr total aufgehen könnt. Diese Gier<br />
nach Sex zeigt nur, dass die wahre Sache<br />
nicht stattfindet, dass nur noch Pseudo-Sex<br />
praktiziert wird. Die Gedankenwelt des modernen<br />
Menschen ist völlig vom Sex beherrscht,<br />
eben weil kein echter Geschlechtsverkehr<br />
mehr stattfindet. Selbst die Sexualität<br />
wird in den Kopf verlagert, sie ist zur<br />
gedanklichen Turnübung geworden.<br />
Folgt auf die Theoretisierung einer sozialen<br />
Aufgabenstellung eine Zeit der gelebten<br />
Praxis? Braucht diese Praxis die Verkopfung<br />
gar als Voraussetzung, als Nährboden?<br />
Am Anfang existiert vielleicht jede Theorie<br />
lange Zeit alleine und ohne eine Vollendung<br />
von Erkenntnissen im gelebten Alltag, oder<br />
eben nur mit einer sehr fehleranfälligen<br />
praktischen Umsetzung.<br />
An welchem Punkt der Entwicklung, an<br />
welcher Position im ewigen Hin und Her<br />
zwischen Theorie und Praxis stehen wir<br />
erwachsenen Österreicher, Deutsche und<br />
Schweizer, wenn es um die Liebe, um die<br />
Liebe im Sinne von Amor und Eros geht?<br />
Es wird, so habe ich während der Arbeit zu<br />
dieser Souffeur-<strong>Ausgabe</strong> nicht nur einmal<br />
gehört, vielerorts mehr und mehr von einer<br />
Freiheit in der Liebe gesprochen. Wird auch<br />
hier mehr davon gesprochen, als diese Freiheit<br />
praktisch gelebt wird? Es existiert vermeintlich<br />
nicht mehr an „angewandter Liebe“,<br />
nur weil sie von vielen theoretisiert<br />
wird. Ähnlich verhält es sich ja mit Freundschaft,<br />
mit Humanismus, mit sogenannten<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
christlichen Werten, mit dem Aktivsein für Umwelt<br />
und Klima und mit einer als Begriff äußerst<br />
strapazierten Achtsamkeit: Es wird darüber geredet.<br />
Nur geredet?<br />
Der für diese <strong>Ausgabe</strong> interviewte Philosoph und<br />
Dichter Jakob Goldberg hat in einem Vorgespräch<br />
gesagt: Liebe wird oft in Zusammenhang gebracht<br />
mit Achtsamkeit. Und es gibt heute nicht mehr<br />
Achtsamkeit als vor zehn Jahren. Nicht obwohl,<br />
sondern weil überall davon geredet wird. Die ach so<br />
Achtsamen reden nämlich besonders gerne über die<br />
Unachtsamen. Über sie, nicht mit ihnen. Und das<br />
ist eine der besonders ruppigen und gefühllosen<br />
Formen der Unachtsamkeit. Da ist mir der unfreiwillig<br />
emotionale, aber lernfähige Grobian allemal<br />
lieber.<br />
Es besteht nicht zwingend ein großer Unterschied<br />
zwischen der einfachen, plumpen Seele, die naiv<br />
und dem sprichwörtlichen Porzellanladenelefanten<br />
gleich von einer Grenzüberschreitung zur nächsten<br />
schlittert, und dem Achtsamkeitskatechisten. Die<br />
einzige Unübereinstimmung ist nicht selten nur<br />
die Etikette, der Inhalt ist oftmals derselbe.<br />
Mit der Freiheit der Liebe verhält es sich nicht viel<br />
anders. Die in diesem Zusammenhang so mutig<br />
gelebten alternativen Beziehungsformen von einzelnen<br />
Polyamoren, Lesben und Schwulen, die so<br />
wichtige Arbeit von wenigen LGBTQI-<br />
Aktivist*Innen, Sexual- und Partnerschaftstherapeut*Innen<br />
dürfen nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die Welt der Liebe immer noch bedroht ist<br />
von Egoismus, Philistertum, religiösen Dogmen<br />
und Besitzdenken einerseits und zu viel Mode, zu<br />
viel Schick und Zeitgeist andererseits.<br />
Es ist an jedem einzelnen von uns, eine theoretische<br />
Achtsamkeit und die theoretische Liebe zu<br />
Umwelt und Umfeld durch eine gelebte Praxis zu<br />
ergänzen.<br />
⓿<br />
SEITE 3
FEATURE<br />
VON SAMIRA JOY FRAUWALLNER; 2<strong>01</strong>8<br />
VERHEIRATET<br />
MIT GOTT<br />
Rosa Z. wurde im<br />
Mai 199330 in einem<br />
kleinen Dorf im Weizer<br />
Hügelland geboren.<br />
Mit 199 Jahren<br />
hat sie ihren bürgerlichen<br />
Namen abgelegt<br />
und sich vermählt.<br />
Ungeküsst:<br />
Mit Gott.<br />
Foto: Joy Visual Artistry<br />
Seite 04<br />
E<br />
in eher flaues Gefühl<br />
begleitet mich bei meinem<br />
Spaziergang durch die Grazer<br />
Prankergasse. Ein neonrotes<br />
Nachtclub-Schild hebt sich vom nebelgrauen<br />
Himmel. Das Nachhallen<br />
schwerer Kirchenglocken begleitet<br />
meine Schritte, ich denke kurz an die<br />
dunkelblauen Augen meiner<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Urgroßtante, die mir als Kind die Bibel geschenkt<br />
hat, in ihnen lag trotz meiner wandelnden<br />
Beziehung zu Kirche und Christentum<br />
nie auch nur ein Hauch von Vorwurf.<br />
Sie, Schwester Michaela, wie sie seit ihrem<br />
199. Lebensjahr genannt wird, ist die Zwillingsschwester<br />
meiner verstorbenen Urgroßmutter.<br />
Und sie ist Nonne.<br />
" W G " - L E B E N<br />
Ich suche nach einem Kloster nahe der Kirche,<br />
komme vorbei an Graffti-Schriftzügen<br />
über bröckelnden<br />
Hauskanten.<br />
Anarchy will<br />
never die oder<br />
Heart left,<br />
fear right<br />
steht da auf<br />
altrosa Wänden.<br />
Ich wende<br />
mich von<br />
der Prankerbar<br />
und ihrem<br />
Nightclub-<br />
Keller ab. Und<br />
zähle die<br />
Hausnummern.<br />
Prankergasse 220. Prankergasse 177. Prankergasse<br />
10. Es muss hier sein. Ich suche nach<br />
Kirchturmspitzen, nach etwas, das einem<br />
Gotteshaus auch nur ansatzweise ähnlich<br />
sieht. Nichts. Die Sonne duckt sich hinter<br />
Häuserdächer und Wolken. Und da ist es.<br />
Prankergasse 99. Ein simpler Neubau, der<br />
sich den Innenhof mit einer Malteserstation<br />
teilt. Ich habe nach irgendeinem Gotteshaus<br />
gesucht, ein Kloster erwartet, und trete nun<br />
durch die moderne Schrankenanlage eines<br />
Wohnkomplexes in das Entré einer<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Nonnen-WG.<br />
Als ich die Wohnung betrete, bemerke ich eine andächtig<br />
Stimmung. Eine Christusfigur steht im hellen Eingangsbereich,<br />
die Augen gesenkt, die Hände um eine Holzbibel<br />
gelegt. Die Uhr an der Wand tickt lauter als normal – hier<br />
wohnen ältere Menschen. Vier. Vier Nonnen und zahlreiche<br />
Heilige aus Holz. Die Wohnung besteht aus vier einzelnen<br />
Apartments, die man zu einer großen WG umgebaut<br />
hat. Schwester Michaela kommt mir mit Schwester<br />
Immaculata entgegen, beide lächeln. Ich habe meine Verwandte<br />
das letzte Mal vor einem Jahr gesehen. Manchmal<br />
verlässt sie Graz und kommt zu der einen oder anderen<br />
Familienfeier. Ihr Lächeln ist immer gütig. Die Frau<br />
ist drei Köpfe kleiner als ich. Sie hat eine zarte, leicht<br />
schief gebeugte Statur mit angestrengtem, aber stetigem<br />
Gang. Sie ist 8899 Jahre jung, und trotzdem merkt<br />
sie sich jedes wichtige Datum, was und in welchem<br />
Semester ich gerade studiere.<br />
H E I L I G E O R T E<br />
Zur vollen Stunde, nach Kaffee und Kuchen in der Gemeinschaftsküche,<br />
betreten wir schließlich ein Nebenzimmer.<br />
Ich habe ein Wohnzimmer erwartet. Aber wir stehen<br />
in einer vollständig eingerichteten Kapelle. Dunkelroter<br />
Samt schmiegt sich faltenreich in einem Halbkreis um<br />
SEITE 5<br />
Foto: Joy Visual Artistry
Gebetsbänke, eine Mutter Gottes aus Holz und ein kleines<br />
Tabernakel – dem Aufbewahrungsort heiliger Gegenstände.<br />
Auf dem Raum lastet eine Schwere, die mir die Luft<br />
Foto: Joy Visual Artistry<br />
nimmt. Es ist, als stünden wir in einer Kirche. Es braucht<br />
kein Kloster, um Gott nahe zu sein. Das bemerke ich, als<br />
ich die beiden Schwestern betrachte, die sich mit dem<br />
Finger ein Kreuz über die Brust machen und den Blick<br />
kurz senken. Schwester Immaculata, die schon ihr gesamtes<br />
Leben mit meiner Verwandten verbringt, raunt mir<br />
zu: „Hier beten wir zur vollen Stunde. Für uns ist es ein<br />
sehr wichtiger und heiliger Ort.“<br />
Die WG-Besichtigung bringt uns in einen größeren Gemeinschaftsraum.<br />
Helles Licht dringt durch die verglasten<br />
Fronten, die einen Blick auf die Malteserstation, die Straße<br />
und das Laufhaus bieten, vor dem ich vorhin irritiert<br />
innehielt. Schwester Immaculata bemerkt die Verwirrung<br />
in meinem Gesicht. „Wir wohnen hier in einer verrufenen<br />
Gegend, das Laufhaus tut sein Übriges. Aber uns tun die<br />
Frauen eher leid, als dass es uns stören würde. Wenn wir<br />
einkaufen oder spazieren gehen, fällt es uns auch gar<br />
nicht auf.“ Sie lächelt mich an. „Es kommt immer darauf<br />
an, wie man mit etwas umgeht. Kann man sich frei aussuchen.“<br />
Endlich setzen Schwester Michaela und ich uns an<br />
den Tisch in der Mitte, in die Sonne.<br />
G R E T E L F R I S U R U N D M O P E D<br />
Ich bin 2222 Jahre alt. Die Frau mir gegenüber<br />
wird bald 990, doch ist sie immer noch die<br />
jung gebliebene,<br />
humorvolle<br />
Frau, an die ich<br />
mich erinnern<br />
kann. Ihr Leben<br />
ist so gänzlich<br />
anders verlaufen<br />
als meines.<br />
Ihre Zwillingsschwester<br />
hat früh nach<br />
der Schule den<br />
Weg in die<br />
Landwirtschaft<br />
eingeschlagen,<br />
während es<br />
Rosa zur Kirche am Weizberg gezogen hat.<br />
Sie fand dort Arbeit im Kindergarten und<br />
Erfüllung in den Stunden mit Gott. Die erste<br />
Beichte mit 10 Jahren hat sie mit Ehrfurcht<br />
und Dankbarkeit erfüllt. Mich haben mit 10<br />
Jahren eine Pferdeweide und das Spielen im<br />
Wald erfüllt.<br />
Schwester Michaela faltet ihre Hände über<br />
einem handgeschriebenen Tagebuch. Sie<br />
erinnert sich. „Da hatte ich eine Zeitlang<br />
immer diese Gretelfrisur, weil ich mit dem<br />
Mofa von Göttelsberg nach Weiz gefahren<br />
bin. Damit mir der Wind das Haar nicht zerzaust.<br />
In der Kirche zu sein, das war alles,<br />
was ich wollte. Das war mein Ziel.“<br />
Ihr Blick wird dunkler. „Meine Schwester<br />
und ganz besonders die Familie haben das<br />
anfangs weniger verstanden. Sie waren alle<br />
sehr christlich, aber ich glaube, sie ahnten<br />
nicht, wie ernst es mir war. Meine Schwester<br />
hat sich früh verliebt.“ Da ist es, das<br />
Leuchten, wenn Menschen sich an eine<br />
SEITE 6 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Anekdote erinnern. „Aber ich mich auch.<br />
Und zwar in Gott.“<br />
Uroma wirkte mir da viel ähnlicher. Meine Verwandte<br />
blickt in die Sonne. „Ich konnte damals nicht zu ihrer<br />
Hochzeit gehen, weil wir als Novizinnen im Kloster bleiben<br />
mussten. Wir durften zuerst unser Zimmer nur zur<br />
Notdurft verlassen, später dann für die Arbeit im Kindergarten.<br />
Aber diese Vermählung mit Gott ist die höchste<br />
Erfüllung, die einem Menschen widerfahren kann. Das hat<br />
sie irgendwann verstanden.“ Eine Gemeinschaft, aber<br />
auch viele innere Hürden haben sie erwartet. Die Klosterschwester<br />
hat sich anhand von Disziplin, Silentium und<br />
vielen Stunden mit den „Kolleginnen“ zu einem Menschen<br />
entwickelt, der wenig braucht, wenig will. Und damit<br />
glücklich ist. Ganz anders als ihre leibliche Schwester: die<br />
wollte Haus, Hund, Mann und ein erfülltes Leben in Weiz.<br />
G E T R E N N T E W E G E I N<br />
V E R B U N D E N H E I T<br />
Mit 199 tritt die junge Frau auf Gottes geebnete<br />
Wege. Der erste Schritt war die Profess.<br />
Das ist das Ordensgelübde, das öffentliche<br />
Versprechen, Gott zu dienen und ihm<br />
treu zu sein. Gefolgt vom Noviziat, der Zeit<br />
der Ausbildung nach dem Eintritt in die Kirche<br />
als Nonne. Hier wird die Novizin geprüft,<br />
ob sie dazu berufen ist, die evangelischen<br />
Räte Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam<br />
zu halten.<br />
Ich denke an meine eigene Jugendzeit. Mit<br />
199 habe ich "im Luis", meinem damaligen<br />
Stammlokal am gleichen Weizberg, in dem<br />
meine Großtante in der Kirche saß, mit<br />
Freunden das ein oder andere Bier getrunken,<br />
habe unter den Sternen gelegen und im<br />
Licht der Kirche meinen ersten Kuss gekriegt.<br />
Schwester Michaela hat in diesem<br />
Alter Hochzeit gefeiert. Doch einen Mann<br />
hat sie nie geküsst. „Wir haben ein Brautkleid<br />
gekriegt, einen Ehering und eine traditionelle<br />
Hochzeit. Was war ich verliebt!“<br />
Sie legt ihre Hand auf meinen Arm. „Ich<br />
hatte die schönsten Flitterwochen meines<br />
Lebens. Ich konnte mir nichts Schöneres<br />
vorstellen.“ Wir schweigen eine Weile. Ich<br />
denke darüber nach, ob nicht erst Leidenschaft<br />
und Wärme, das Unberechenbare und<br />
eine gewisse Schrankenlosigkeit einem Leben<br />
die Hürde gibt, die es braucht, um an<br />
sich zu wachsen. So viele in meinem Alter<br />
sind unfähig zu Gleichmut. Das ist sichtbar<br />
an meinem eigenen Beispiel: Ich neige zu<br />
Impulsivität, zum Extrem. „Und deine<br />
Schwester?“, frage ich plötzlich. Meine<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
F R I E D E N S C H L I E S S E N<br />
Abrupt wird die Tür geöffnet. Schwester Immaculata, etwas<br />
jünger als die anderen hier lebenden Nonnen, hat<br />
Kaffee gekocht und bittet uns in die Küche. Auf uns warten<br />
Kuchenstücke und sogar ein Achtel Bier für jede der<br />
Damen. Sie lachen mich an, ich sehe den Schelm in ihren<br />
Augen. Die Unterbrechung unseres Gesprächs war wichtig.<br />
Es scheint anstrengend zu sein für ältere Menschen,<br />
derart intensiv an die Vergangenheit zu denken.<br />
Kurz erklärt Immaculata mir, warum am Boden in der<br />
Ecke der hölzerne Auferstandene steht: Er warte auf die<br />
Restaurateurin. Hätte sie nichts gesagt, wäre mir nichts<br />
aufgefallen. Wie unterschiedlich Prioritäten sein können.<br />
Sie schöpfen aus einem Gebet so viel Kraft für den ganzen<br />
Tag, und der Gedanke an Gott erfüllt sie mit Liebe, Frieden<br />
und Hoffnung. Sie trinken ihr Bier, essen vorsichtig<br />
von ihren Kuchenstücken und tratschen angeregt über die<br />
letzte Messe in der Andrä-Kirche. Täglich.<br />
Wir sprechen auch noch eine Weile davon, wie die<br />
Schwestern gemeinsam im Jahr 1997788 eine heile Welt im<br />
gut bewohnten Kloster in Gleisdorf verlassen mussten,<br />
um nach Thondorf bei Graz umzuziehen. Sie mussten<br />
mehrmals siedeln: Viele Klöster schließen mangels junger<br />
Schwestern. Ich betrachte nur mein eigenes Beispiel: Religion<br />
braucht ein junger Mensch immer weniger. Wir haben<br />
Musik als Religion, den ein oder anderen<br />
SEITE 7
Wochenendexzess und unsere Jagd nach<br />
Endorphinen. Kein Wunder, dass Klöster<br />
mangels Bedarf aus der Gesellschaft wegbrechen.<br />
Der Tagesablauf dieser Damen um mich<br />
herum ist so straff, dass Respekt in mir<br />
aufkeimt: Um fünf aufstehen. Um halb<br />
sechs Chorgebet und Morgenlob. Um halb<br />
sieben Betrachtung und Meditation. Danach<br />
Frühstück. Und das jeden Tag.<br />
Und ich? Ich wache manchmal um halb 9<br />
auf und haste an meine Hochschule, habe<br />
den ganzen Morgen ein schlechtes Gewissen<br />
deshalb und erledige spätabends Dinge,<br />
die unter meiner Prokrastination leiden<br />
mussten. Ich blicke lange in die<br />
warmherzigen Augen der Frauen, die sich<br />
gemeinsam mit Gott getraut haben. Allesamt<br />
einen Ehering am Finger und ein<br />
Hochzeitskleid der Profess irgendwo in<br />
ihren Schränken. Sie werden langsam alt,<br />
sind bereits jenseits der Achtzig, aber<br />
können sich dennoch an jedes wichtige<br />
Datum und den besonderen Tag dazu erinnern.<br />
Als ich gehe, entdecke ich, dass ich genau<br />
zur vollen Stunde vor dem Wohnkomplex<br />
stehe. Wieder höre ich das schwere Schlagen<br />
der Glocken. Kein flaues Gefühl mehr<br />
auf meinem Spaziergang durch die Prankergasse.<br />
Zurück auf die andere Seite der<br />
Mur. Statt des Nachtclub-Schilds vor mir<br />
das Leuchten der Innenstadt. Ich wische<br />
mir eine Schneeflocke von der Wange.<br />
Irgendwie gefällt mir der Klang der Kirchenglocken<br />
jetzt.<br />
Ich denke dabei nun an Demut, Hoffnung<br />
und vier Frauen, die ihr Leben einem<br />
Mann widmen, den sie niemals kennengelernt<br />
haben.<br />
⓿<br />
Foto: Joy Visual Artistry<br />
SEITE 8 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Bild: Gefunden auf der Toilette einer Grazer WG. Foto: A.P.Tauser<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
SEITE 9
MARIO AUER<br />
(1957 - 2<strong>02</strong>0)<br />
ICH BIN EIN MANN<br />
Ich definiere mich über einen Schwanz und zwei Hoden<br />
D<br />
en Sinn des Lebens erkennt man im Alter<br />
von selbst. Mit dem Nachlassen der Hormone<br />
verlieren all die einst so wichtigen<br />
Dinge des Lebens ihre übergroße Bedeutung. Alles wird<br />
klarer, strukturierter und einfacher.<br />
Sicher, das Leben ist komplex, die Wertigkeiten können<br />
stark differenziert sein. Niemand gleicht dem anderen,<br />
und dennoch ist es so einfach, das Leben: Es besteht<br />
grundsätzlich aus der Geburt, der Fortpflanzung und dem<br />
Tod. Mehr ist es nicht. Alles, was wir zwischen Geburt<br />
und Ende als wichtig erachten, alles, was wir glauben<br />
selbstbestimmt zu tun, wird in Wirklichkeit von Hormonen<br />
gesteuert und vorgegeben. Getrieben gehen wir<br />
durchs Leben, den Tieren gleich. Die Sexualität ist die<br />
stärkste Triebfeder für unser Handeln. Sie motiviert uns<br />
und sie bestimmt unseren Weg. Sie lässt uns die Genitalien<br />
unserer Cousinen erforschen, noch bevor wir wissen,<br />
warum. Sie lässt uns auf unser Äußeres achten, Musikinstrumente<br />
erlernen, Karriere machen oder sportliche<br />
Höchstleistungen erbringen, nur um das andere Geschlecht<br />
oder andere mögliche Geschlechtspartner zu beeindrucken.<br />
Wir lernen die Lust kennen und die Liebe, im<br />
Idealfall zur gleichen Zeit. Die Lust war für mich stets<br />
wichtiger als die Liebe und sehr selten bedingten sie ei-<br />
nander. Doch die wenigen Male, als Lust<br />
und Liebe eins wurden, war die Erfüllung<br />
unbeschreiblich und brannte sich in mein<br />
Gedächtnis ein.<br />
Ich erinnere mich zum Beispiel an ein besonderes<br />
Mal, als wir uns den gesamten Akt<br />
lang in die Augen schauten, ich erinnere<br />
mich an den stickigen Raum und an das<br />
schwüle Wetter. Ich fühle heute noch, wie<br />
erregt wir waren und mit wie wenigen Bewegungen<br />
wir auf einer gewaltigen Welle<br />
dahintrieben, ehe ich fragte: „Möchtest du<br />
ein Kind?“.<br />
Lust zu empfinden, sie auszukosten und<br />
hinauszuzögern, war schon in jungen Jahren<br />
mein Ziel. Ich fand Mittel und Wege und<br />
es war mir egal, ob ich diese Lust mit einer<br />
Frau, einem Mann oder mit mir allein genießen<br />
konnte. Vielleicht den besten Weg,<br />
meine Lust möglichst lange zu genießen<br />
und den Orgasmus so lange wie möglich<br />
hinauszuzögern, fand ich im BDSM, wie<br />
man es heute nennt. Vom Anfang der Siebzigerjahre<br />
an sammelte ich meine Erfahrungen<br />
im sadomasochistischen Bereich. Viele<br />
meiner späteren Beziehungen zu Frauen<br />
SEITE 10 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
waren davon geprägt,<br />
nicht alle. Damals, als ich<br />
von dieser Form des sexuellen<br />
Ausdrucks immer<br />
stärker abhängig wurde,<br />
waren diese Spiele noch<br />
verboten. Die Suche nach<br />
Partnern, die Treffen bzw.<br />
Sessions, wie wir sie nannten,<br />
waren illegal. Das war<br />
kein zusätzlicher Anreiz,<br />
es war uns einfach egal.<br />
Die Menschen, die ich dabei<br />
kennenlernen durfte,<br />
waren fast ausschließlich<br />
sehr gebildet und im Leben erfolgreich.<br />
Manchmal erwuchsen daraus langjährige<br />
Freundschaften. BDSM ist sehr vielfältig<br />
und umfasst ein sehr breites Spektrum sexueller<br />
Begierden. Vorstellungskraft und<br />
Einfühlungsvermögen spielen eine große<br />
Rolle. Die berühmte Peitsche und der herrische<br />
Ton sind nur ein sehr kleiner Teil davon<br />
und nicht unbedingt für jeden Liebhaber<br />
des BDSM relevant. Für die in den letzten<br />
Jahren aufgekommene Fetischbekleidung<br />
gilt das ebenso.<br />
Jeder Mensch muss für sich selbst herausfinden,<br />
was er braucht. Manche ficken einfach<br />
gerne, weil sie nur den Orgasmus suchen.<br />
Mir war der Orgasmus selten wichtig.<br />
Das Spiel mit der Erregung, der eigenen<br />
oder der einer Partnerin, war hingegen der<br />
große Lustgewinn. Je länger es mir gelang,<br />
diese Erregungskurve hinauszuziehen, umso<br />
tiefer war die Befriedigung: Spielen bis<br />
zum Schüttelfrost.<br />
Ich komme aus einer Generation die vieles<br />
ausprobierte und dabei blieb, oder es ein-<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
fach nicht wieder tat. Mit der eigenen Partnerin regelmäßig<br />
in Pärchenklubs gehen, befreundete Paare gemeinsam<br />
oder einzeln besuchen, Liebhaber und Geliebte haben,<br />
selbst das Leben zu dritt, mit zwei Frauen und fünf kleinen<br />
Kindern durfte ich genießen. Das scheiterte an mir,<br />
weil ich immer wieder ein schlechtes Gewissen meiner<br />
Frau gegenüber bekam. Meine nunmehrige Ex-Frau und<br />
die besagte Dame sind übrigens bis heute gut befreundet.<br />
Heute bin ich Schmerzpatient. Die körperliche Lust ist<br />
nicht mehr wichtig. Wenn ich dennoch manchmal versuche<br />
mich zu erregen und zu befriedigen, nur um meinem<br />
Körper zu signalisieren, dass ich noch lebe oder einfach in<br />
der Hoffnung, dass mir nicht irgendwann die Eier abfallen,<br />
dann ist das Resultat nicht nur enttäuschend, es ist<br />
auch demütigend, sich selbst dabei zu beobachten, wie<br />
man längst Vergangenem nachhechelt.<br />
Die Vergänglichkeit allen Lebens ist eine Gnade. Wer das<br />
Leben nicht in vollen Zügen genossen hat, ist arm, denn<br />
was einem zuletzt bleibt, ist nur noch die Erinnerung. ⓿<br />
*1<br />
SEITE 11
INTERVIEW<br />
LUSTSPIELE<br />
Foto: Lustspiel/Weswaldi<br />
SEITE 12<br />
Christian Weswaldi,<br />
Geschäftsführer des<br />
Grazer<br />
Erotikkinolabyrinths<br />
„Lustspiel“, über Moral,<br />
Werte und Homophobie.<br />
B<br />
ei Lust auf einen Cappuccino<br />
oder ein Bier zwischendurch<br />
locken in jeder Stadt unzählige Bars und<br />
Cafés. Zigaretten, Lottoscheine und Zeitschriften<br />
holt man im Vorbeigehen in der<br />
Trafik. In Graz haben Frauen, Paare und<br />
Männer mit dem „Lustspiel“ seit mehr als<br />
zehn Jahren die Möglichkeit, auch in Sachen<br />
Spontan-Sex und -Erotik einen eigenen Laden<br />
zu finden. Zwei Läden sind es seit zwei<br />
Jahren sogar. Dabei kann man in den Lokalen<br />
von „Mama Lustspiel“ Brigitte Ruprechter<br />
und Christian Weswaldi mehr als nur<br />
MacSex erleben.<br />
Das „Lustspiel 1“ in der Grazer Jakoministraße<br />
2255 lockt mit Kinolabyrinth, DVD-<br />
Kabinen, gläsernen Glory Holes, Raum für<br />
Cruising (vor allem im Kontext schwuler<br />
Sexualität die bewusste, aktive und ge-<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
wöhnlich mobile Suche nach einem Sexualpartner),<br />
versperr- und aber einsehbaren<br />
Spielwiesen, die nebenbei auf beeindruckende<br />
Weise erinnern an Tausendundeine<br />
Nacht und Königspalast sowie mit einem<br />
Sexshop für Männer. Das „Lustspiel 22“ in<br />
der Jakoministraße 122 bietet einen Erotik-<br />
Shop für Damen und Paare, versperr-, nicht<br />
einseh- und diskret über den Sexshop erreichbare<br />
Separees, einen SM-Raum mit<br />
Totenkopfboden. In<br />
beiden Etablissements<br />
SM-Räume,<br />
Sling, Gynstuhl und<br />
Andreaskreuz. Alles<br />
erlebbar einen Tag<br />
lang für 99,990 Euro.<br />
Lieber Christian!<br />
Eure „Lustspiel“-<br />
Läden sind ein riesiger<br />
und doch überschaubarer, halbdunkler<br />
und doch bunter Spielplatz für Menschen,<br />
die ihre Sexualität als etwas Spannendes<br />
und Abenteuerliches erleben – und<br />
für Menschen, die einen diskreten Platz<br />
und/oder einen Partner für die „schnelle<br />
Nummer zwischendurch“ suchen. Hauptsächlich<br />
für Schwule. Hab ich das<br />
„Lustspiel“ mit diesen Worten einigermaßen<br />
passend beschrieben?<br />
Christian: Ja! Aber es kommen wenige rein<br />
schwule Gäste zu uns! Eher die bi und offen<br />
lebenden Paare lieben uns.<br />
Erzähl mir von der Idee, vom Konzept<br />
„Lustspiel“.<br />
Christian: Erotik muss nicht immer<br />
schmuddelig und klischeehaft sein und kann<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
auch Stil haben. Das haben wir, denke ich, geschafft mit<br />
dem Lustspiel. Wir wollen keine Gäste, die es notwendig<br />
haben, in ein Sexkino zu gehen, sondern coole Leute, die<br />
sich zu benehmen und unser Konzept zu schätzen wissen!<br />
Zumindest im Orthografischen gibt es einen Unterschied,<br />
wenn ich entweder „die wahre Liebe“ oder „die<br />
Ware Liebe“ sage. Spielt jene Liebe, die viele als die<br />
wahre empfinden (möchten), in Deinen Lokalen eine<br />
Rolle?<br />
Christian: Viele<br />
weibliche Kundinnen<br />
hoffen schon<br />
oft, dass aus der<br />
erotischen Begegnung<br />
mehr wird.<br />
Und ja, ich weiß<br />
von drei Beziehungen,<br />
die bei uns im<br />
Lustspiel entstanden<br />
sind. Diese<br />
Paare sind nach wie vor glücklich.<br />
Du machst, weil Du in Deinen Lokalen Zimmern zur<br />
Verfügung stellst, ein Geschäft damit, dass auch Paare,<br />
die außerhalb Deiner Lokale keine solchen sind, einen<br />
diskreten Ort für das Ausleben ihrer Sexualität suchen,<br />
weil daheim entweder die Kinder stören oder der/die<br />
eigene PartnerIn, der/die nichts vom Seitensprung oder<br />
einer heimlich gelebten Neigung wissen soll.<br />
Musst Du Dir vorwerfen lassen, Menschen beim Betrügen<br />
ihrer Partner zu unterstützen?<br />
Christian: Eigentlich nicht mehr. Eventuell früher einmal.<br />
Aber ich glaube, die Leute wissen, dass nicht das<br />
Lustspiel der Grund für das Fremdgehen ist, sondern etwas<br />
ganz anderes! Wenn es in der Beziehung und beim<br />
Sex nicht mehr passt, dann beginnt man zu suchen. Wir<br />
sind also nicht der Grund für einen Seitensprung, nur der<br />
Platz des Geschehens. Verlockungen können überall lauern,<br />
nicht nur im Lustspiel.<br />
SEITE 13
Kommen zu Dir Paare, die mittels Promiskuität versuchen,<br />
eine womöglich (oder zweifellos) eingeschlafene<br />
oder tote Beziehung wieder zum Leben zu erwecken?<br />
Christian: Ja! Einfach zu uns kommen! Manchmal gelingt<br />
diese Wiederbelebung auch!<br />
Deine Antwort, Deine Reaktion auf Aussagen wie folgende:<br />
Bordelle, Swinger-Clubs, Sexkinos und Pornos<br />
sind gegen jede Form gesunder Sexualität, bedeuten die<br />
Zersetzung von christlichen Werten, Sitten und bürgerlicher<br />
Moral und sind eine Belästigung von einzelnen<br />
Personen ebenso, wie von Zivilisation und Gesellschaft.<br />
Christian: Was ist eine „gesunde Sexualität“? Was sind<br />
christliche Werte? Glaube ist eine Sache. Der Trieb und<br />
die Sünde gehören da auch dazu, wenn man es so nennen<br />
möchte. Schon bei Adam und Eva gab es die Verführung.<br />
Ich denke, dass Glauben in der heutigen Zeit nicht mehr<br />
so eine große Rolle spielt. Leute erkunden und genießen<br />
lieber ihr Leben. Aber natürlich ist es jedem freigestellt,<br />
ob er die Bibel am Nachtisch hat oder einen Vibrator.<br />
Zweiteres bringt mehr Erfüllung!<br />
dass das Verlangen am anderen nicht tot,<br />
sondern nur etwas eingeschlafen war.<br />
Du selbst bist schwul, viele Deiner Gäste<br />
sind schwul oder lesbisch. Was sagst Du –<br />
einerseits als Privatperson, andererseits<br />
als Betreiber des Lustspiels – zur Entwicklung<br />
(zumindest in Österreich), was die<br />
Gleichstellung von Schwulen und Lesben<br />
betrifft? Grundsätzlich ist es ja unfassbar<br />
und unerklärlich, dass etwas, wie die Orientierung<br />
im Zusammenhang damit, in<br />
wen ich mich verlieben möchte, darüber<br />
entscheidet, ob ich respektiert werde oder<br />
ausgestoßen. Hat sich in dieser Hinsicht<br />
etwas verändert in den letzten 20, 30, Jahren?<br />
Christian: Es ist vieles besser geworden.<br />
Obwohl ich seit ein, zwei Jahren vermehrt<br />
Homophobie erleben muss. Woran das liegt,<br />
weiß ich nicht. Menschen, die so denken,<br />
haben in unserem Lokal keinen Platz! ⓿<br />
Wir alle kennen Paargefüge, die ausschließlich nur noch<br />
vom Korsett aus dem gemeinsamen Kredit für das Haus,<br />
dem Auftrag zur Aufzucht der Nachkommen und der<br />
Gewohnheit aufrecht gehalten werden. Auf psychologischer<br />
Ebene könnte man da manchmal weniger von Liebe<br />
sprechen als vielmehr vom Stockholmsyndrom. Kann<br />
ein gemeinsam erlebtes Erotikabenteuer Deiner Meinung<br />
nach eine derartig gelagerte Zweisamkeit verändern/verbessern,<br />
oder sind Abenteuer mit Fremden hier<br />
einfach nur die Befriedigung eines Bedürfnisses nach<br />
Nähe und Zärtlichkeit, die man sich mit dem Partner<br />
nicht mehr vorstellen kann/will?<br />
Christian: Es erzählen mir viele Paare, dass es nach einem<br />
Besuch im Lustspiel auch zuhause wieder mehr Spaß<br />
mit dem Partner macht. Voraussetzung dafür ist aber Bestimmt,<br />
dass hier noch so etwas wie Reiz vorhanden ist,<br />
SEITE 14 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
TANJA M. STERN<br />
DIE LIEBE UND ICH<br />
A<br />
ls Kind dachte ich, eines Tages käme<br />
ein Mann wie der Prinz in einem<br />
Märchen, dessen Welt mich so selig<br />
durchflutet, dass ich mein Leben lang nichts<br />
anderes mehr bräuchte. Wie ein immerwährender<br />
Ort der Freude, in sich abgeschlossen,<br />
abgetrennt von allem Bösen und Unheilvollem.<br />
Und mein Prinz, der Schlüssel, würde<br />
mich finden und einlassen. Das „… und sie<br />
lebten glücklich bis an ihr Lebensende!“ war<br />
eingebranntes Dogma. Natürlich glaubte ich<br />
damals noch an den Einen. Den einen wundervollen<br />
Prinzen für den einen glückseligen<br />
Moment, der für immer anhält.<br />
Etwas später, eigentlich noch immer Kind und<br />
zum ersten Mal zutiefst unschuldig für immer<br />
und ewig verliebt, glaubte ich mich dort angekommen.<br />
Doch mein Prinz zierte sich.<br />
Ein hoffnungsvoll aufgesogenes Lächeln im<br />
einen Moment, doch im anderen wieder der<br />
kalte, gleichgültige Blick. Wollte er umworben<br />
werden? Das war nicht der Plan. Niemand<br />
eroberte mich, legte mir die Welt zu<br />
Füßen. Das Kind in mir war verwirrt, das Paradies<br />
vorerst aufgeschoben. So zog ich mich,<br />
das Herz schwer vor Liebestrunkenheit, zurück.<br />
Es würde schon jemand kommen, ich<br />
müsste nur zuerst meine Wunden lecken.<br />
Es kam auch wieder jemand. Und es war wieder<br />
etwas Heiliges, Verklärtes, tief in mich<br />
Sinkendes, in die Unendlichkeit Fallendes,<br />
mein ganzes Herz Ergreifendes.<br />
Ich verliebte mich noch einige Male auf diese<br />
Art und Weise. Doch sie, die Ziele und Inhalte<br />
meiner Liebe, blieben mir alle fern, niemals<br />
kam mir eines in meine nähere Umlaufbahn,<br />
so blieb auch keines in meinem Herzen.<br />
So war das in diesen Jugendtagen. Doch mit<br />
jeder vermeintlich großen Liebe brach, als sie<br />
mich wieder verließ, ein Stück des kindlichen<br />
Herzens ab. Wenn einer ging, ging auch wieder<br />
diese Ewigkeit mit ihm. Lange wusste ich<br />
nicht, was ich mehr betrauerte, den verloren<br />
gegangenen Prinzen oder dieses in die Unendlichkeit<br />
fallende Gefühl. Irgendwann zerbrach<br />
mir dann das kindliche Herz. Danach verfiel<br />
ich wohl in Starre, so als wollte ich mich totstellen.<br />
Wenn man dort nicht mehr hinkann,<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
wo man sein will und nicht hinwill, wo man sein sollte,<br />
bleibt einem nur die Möglichkeit des Sich-tot-Stellens. Als<br />
ich mich davon erholt hatte, sofern man sich von so etwas<br />
erholen kann, hatte ich mich mit der Wirklichkeit vertraut<br />
gemacht und ihrem staubigen Antlitz. Ich hatte sie mir angezogen<br />
wie ein Alltagsgewand. Ich wünschte mir nur noch<br />
Geborgenheit, einen Trauschein, eine Familie. Was ich dann<br />
auch bekam. Und es war schön. Umsponnen von Vertrautheit<br />
und Sicherheit konnte ich nicht mehr fallen. Die Unendlichkeit<br />
unter mir schloss sich, ich hatte festen Boden unter meinen<br />
Füßen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, es wäre genug,<br />
genug für dieses Leben. Vielleicht dachte ich damals tief im<br />
Innersten, ich würde eines Tages doch noch einem anderen<br />
Leben begegnen. Aber man begegnet nicht einfach so einem<br />
anderen Leben, man entscheidet sich dafür.<br />
In noch ledigen Tagen hatte ich ein interessantes Gespräch<br />
mit einem Mönch über das Zölibat. Ich fragte ihn die typische<br />
Frage, wie er denn damit leben könne. Er sagte, es wäre<br />
nicht so viel schwerer als eine Ehe zu führen. Denn auch die<br />
Ehe ist eine Art Zölibat. Das verstand ich damals nicht mit<br />
meinem Anspruch auf die eine wahre Liebe. Doch im Zustand<br />
der ehelichen Nestwärme, der kein Feuer mehr kennt, fand<br />
ich mich, Jahre später, gerade in diesem Zölibat wieder. So<br />
sperrte ich das sich auftürmende Gefühl der Trägheit in den<br />
Untergrund meiner Seele. Es musste doch noch etwas anderes<br />
geben, womit ich mein Leben füllen konnte, etwas anderes,<br />
wofür mein Herz brennt. Da waren aber nur vorübergehende<br />
Ablenkungen. Ablenkungen, die nicht stark genug waren,<br />
um im Moment der Finsternis für mich zu leuchten.<br />
Nachdem ich mir meiner über die Jahre hinweg angesammelten<br />
Leere bewusst wurde, musste ich mir eingestehen, dass<br />
mir das Feuer fehlte, das Feuer meines kindlichen Herzens,<br />
das Herz, das so geliebt hatte.<br />
Interessanterweise erhob sich zuerst die Stimme meines<br />
Mannes. Vielleicht spürte er die Unzufriedenheit, die Unlust.<br />
Vielleicht spürte er die Abwesenheit des Feuers.<br />
So beschlossen wir, das Zölibat zu brechen. Am Anfang tappten<br />
wir wie ungeschickte Kinder mitten in viel zu viel von<br />
dem, was wir noch nicht gewohnt waren. Es war aufregend,<br />
überflutend, dann erdrückend vor lauter Reiz, vor lauter<br />
Verpöntem. Dann plötzlich reizlos. Und danach? Danach kam<br />
endlich wieder ein Prinz. Ich weiß, er wird nicht lange bleiben,<br />
wie all meine Prinzen, aber es gefällt mir so gut, endlich<br />
einen zu haben neben der wohlig sanft erstickenden Nestwärme.<br />
Jetzt habe ich beides. Ich falle in die Unendlichkeit<br />
und habe trotzdem festen Boden unter meinen Füßen. Und<br />
auch wenn die eine Unendlichkeit sich schließt, tut sich irgendwann<br />
wieder eine neue auf. Denn rückblickend erkenne<br />
ich nun, dass die Prinzen ersetzbar sind, nicht aber dieses<br />
Gefühl der Glückseligkeit.<br />
⓿<br />
Seite 15
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INTERVIEW<br />
Foto: A.P.Tauser<br />
LET´S SWING AGAIN<br />
Der Souffeur hat Interviews<br />
mit drei Paaren geführt, die<br />
seit vielen Jahren als Swinger<br />
aktiv sind.<br />
Angela und Helmut (62, 65),<br />
Sybille und Anton (beide 56),<br />
Maria und Mario (32, 34).<br />
D<br />
er Begriff „Swinger“, von englisch „to<br />
swing“, ist vor etwa hundert Jahren ein<br />
populäres Synonym für Menschen geworden, die in einer<br />
Partnerschaft leben und ihre Sexualität dabei mit mehreren<br />
Partnern und oft auch fremden Personen anstreben.<br />
In vielen Kulturen und zu allen Zeiten wurde Promiskuität<br />
entweder frei oder als Subkultur gelebt.<br />
Überlieferungen aus dem alten Rom oder<br />
dem Barock illustrieren die lange Tradition<br />
dieses Lustverhalten abseits gesellschaftlicher<br />
Normen. Der Souffeur fragt nach.<br />
Wie oft habt Ihr Sex mit Fremden? Wo finden<br />
diese Spiele statt? In Clubs? In Privatwohnungen?<br />
Auf Partys? Im Freien? An<br />
öffentlichen Orten?<br />
Sybille & Anton: Alle ein bis zwei Monate.<br />
Entweder in Clubs oder privat bzw. in Hotels.<br />
Auf einer Party waren wir erst einmal.<br />
Maria & Mario: Wir laden Paare zu uns ein.<br />
Manchmal eines, hin und wieder auch drei,<br />
vier, fünf oder mehr. Auch Solodamen und -<br />
herren. In Clubs gehen wir nicht, weil wir<br />
die Musik dort nicht mögen und die vielen<br />
Paare, die nicht wissen, was und ob sie<br />
überhaupt wollen. Außerdem haben wir<br />
SEITE Seite 00 15 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
gerne sehr persönlichen Austausch mit unseren<br />
Bekanntschaften, auch auf persönlicher<br />
Ebene. Verliebtheit für ein paar Stunden<br />
gewissermaßen. In Clubs steht hauptsächlich<br />
reine Körperlichkeit im Mittelpunkt.<br />
Angela & Helmut: Sex mit Fremden etwa<br />
alle acht Wochen, manchmal öfter. In Clubs,<br />
privat bei uns oder anderen oder auf Partys.<br />
Es gibt Stimmen, die behaupten, Paare,<br />
die in Swinger-Clubs gehen, fliehen vor<br />
der Erkenntnis, dass das Sexualleben in<br />
der Beziehung tot ist. Was sagt Ihr dazu?<br />
Sybille & Anton: Swingen in einer nicht<br />
intakten<br />
Beziehung<br />
wäre ein<br />
Fehler.<br />
Swingen<br />
funktioniert<br />
nur, wenn auch die Erotik in der Beziehung<br />
stimmt; wenn beide sich der Liebe des Anderen<br />
sicher sind und beide viel Spaß am<br />
Sex miteinander haben.<br />
Maria & Mario: Ja, wir kennen solche Paare.<br />
In vielen Beziehungen ist das Sexualleben<br />
tot. Manche versuchen dann eben zu<br />
experimentieren. Aber für den Großteil der<br />
Swinger gilt das bestimmt nicht. Es muss<br />
für beide passen. Wir kennen Paare, die<br />
miteinander gar keinen Sex haben, aber regelmäßig<br />
mit Fremden und trotzdem seit 20<br />
Jahren glücklich miteinander sind.<br />
To each his own.<br />
Angela & Helmut: Das Sexualleben in unserer<br />
Beziehung ist lebendig und sehr befriedigend.<br />
Swingen ist eine Facette, die wir<br />
beide voll und ganz genießen. Als Teil unserer<br />
Beziehung, als Teil unserer Liebe.<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Ist Swingen etwas, dass Ihr anderen Menschen empfehlen<br />
würdet? Kann ein Öffnen, ein Erweitern des Sexuallebens<br />
Spannung in langweilige Beziehungen bringen?<br />
Sybille & Anton: Nur, wenn die Voraussetzungen (siehe<br />
Antwort auf Frage 2) gegeben sind. Wenn die Beziehung<br />
schon langweilig ist, bitte gemeinsam gut hinschauen,<br />
warum. Bei uns hat es Spannung in eine lebendige Beziehung<br />
gebracht.<br />
Maria & Mario: Wenn Promiskuität was ist, das wirklich<br />
beide Partner gleich gerne wollen, kann ein Sprung ins<br />
kalte Wasser hier vielleicht Knoten lösen. Aber Beziehungen,<br />
die bröckeln, kann auch Sex mit Fremden nicht retten.<br />
Andererseits: Viele Menschen haben ja auch gar nicht<br />
das Ziel, gemeinsam alt zu werden. Also einfach tun, wonach<br />
einem ist.<br />
Wenn eine Beziehung<br />
an sexuellen<br />
Experimenten<br />
zerbricht,<br />
tut sie<br />
das wahrscheinlich auch ohne.<br />
Angela & Helmut: Eine Beziehung muss gefestigt sein<br />
und lebendig, sonst hält sie das nicht aus.<br />
Empfehlen tun wir Promiskuität anderen Menschen nicht,<br />
aber wir erzählen gerne davon, dass wir sexuell offen leben.<br />
Apropos Spannung: Wie oft hattet Ihr nach erotischen<br />
Abenteuern bereits Streit? Spielt Eifersucht in diesem<br />
Zusammenhang eine Rolle?<br />
Sybille & Anton: Erst einmal, das ist sicher schon zehn<br />
Jahre her. War damals ein Missverständnis, das recht einfach<br />
zu klären war. Eifersucht hat noch nie eine Rolle gespielt.<br />
Maria & Mario: Wir beide sind impulsive Menschen. Wir<br />
streiten gerne, lieben die Versöhnung hinterher. Eifersucht<br />
hingegen kennen wir nicht. Wenn sich eine/r von<br />
uns verknallt, findet die/der andere das aufregend und<br />
erregend. Dazu müssen wir vielleicht sagen, dass wir uns<br />
niemals der reinen blinden Körperlichkeit wegen mit<br />
SEITE 19
Fremden treffen, sondern dass uns das Erleben der jeweiligen<br />
Gegenüber sehr wichtig ist.<br />
Angela & Helmut: Es gab Missstimmung. Streit wäre<br />
übertrieben. Eifersucht war nur marginal ein Thema dabei.<br />
Es ging um eine Frau, die unsere Grenzen überschritt,<br />
sich verliebte und mehr erwartete.<br />
Promiskuität ist nichts, das von den meisten öffentlich<br />
gelebt wird wie etwa ein gewöhnliches Hobby. Was<br />
glaubt Ihr, wie viele von zehn Paaren in Österreich haben<br />
(zumindest selten) Sex zu dritt oder zu viert und<br />
wie viele Paare haben zumindest den Wunsch danach?<br />
Sybille & Anton: Wunsch? Dreißig Prozent. Wirklich<br />
praktizieren tun das wahrscheinlich weniger als zehn Prozent<br />
Maria & Mario: Maria hat so eine Frage erwartet und<br />
kennt hier die Ergebnisse einer Cosmopolitan-Studie aus<br />
dem Jahr 22<strong>01</strong>33: 5599 Prozent der Männer haben Fantasien,<br />
in denen sie mit mehreren Mitspielern Sex haben, 155 Prozent<br />
der Frauen möchten gerne nur eine fremde Person<br />
dabei haben. Aber nur acht Prozent der Männer und vier<br />
Prozent der Frauen möchten gerne einmal in ein Swinger-<br />
Lokal. Laut statista.com waren auch knapp neun Prozent<br />
der Männer bereits einmal in einem Club. Weniger, als<br />
wir gedacht hätten.<br />
Kennt Ihr Unstimmigkeiten, weil einer<br />
von Euch beiden mehr und öfter Kontakt<br />
mit Fremden möchte als der andere? Was<br />
glaubt Ihr: Wollen Männer oder Frauen<br />
eher Treffen mit Fremden?<br />
Sybille & Anton: Nein, wir besprechen das<br />
immer wieder. Obwohl Anton öfter die Initiative<br />
ergreift und Treffen organisiert.<br />
Maria & Mario: Die letzte Frage haben wir<br />
vorhin schon beantwortet. Zur anderen: Bei<br />
uns hat Maria öfter Lust auf fremde Haut.<br />
Unstimmigkeiten deswegen kennen wir<br />
nicht, weil Mario entweder gerne mit dabei<br />
ist, oder Maria sich alleine mit einem Paar<br />
trifft.<br />
Angela & Helmut: Diese Unstimmigkeiten<br />
gibt es manchmal, sie enden aber immer in<br />
einem Kompromiss. Treffen mit Fremden<br />
wollen wir beide in gleichem Maße. Wir<br />
glauben, bei 550 Prozent der Swinger ist das<br />
aber oft im Ungleichgewicht. Mal wollen die<br />
Männer, mal die Frauen mehr und öfter.<br />
Angela & Helmut: Das ist schwer einzuschätzen. Wir<br />
glauben, fünf bis sechs von hundert Paaren.<br />
Ist die Entscheidung für einen einzigen Partner auf sexueller<br />
Ebene Eurer Meinung nach in Wirklichkeit eine<br />
Lüge?<br />
Sybille & Anton: Nein, für manche ist das ein gut funktionierendes<br />
Lebenskonzept.<br />
Maria & Mario: Die Zahlen oben würden ja nicht darauf<br />
hinweisen, dass Monogamie eine Lüge ist. Wir glauben<br />
aber, dass vor allem sehr viele Männer gerne offener Leben<br />
würden und des lieben Friedens willen nicht mit ihren<br />
Partnerinnen darüber sprechen.<br />
Angela & Helmut: Lüge nicht, aber wohl seltener sinnvoll,<br />
als man meinen würde.<br />
SEITE 20 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Wir leben in einem katholisch geprägten<br />
Land. Das neunte Gebot im Alten Testament<br />
(Ex 20, 17): "Du sollst nicht begehren<br />
deines Nächsten Frau." Welche Rolle<br />
spielen katholische oder konservative bürgerliche<br />
Moralvorstellungen für Euch?<br />
Sybille & Anton: Wir sind religiös und achten<br />
christliche Werte. Wir drängen uns deshalb<br />
auch nicht in andere Beziehungen und<br />
lassen uns nur auf Leute ein, die ungebunden<br />
sind oder auf Paare, wo beide Partner<br />
klar einverstanden sind mit Sex zu viert.<br />
Maria & Mario: Nur Menschen, die in unserem<br />
Kulturkreis auf die Welt kommen, beantworten<br />
sich die existenziellen Fragen<br />
(Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin?)<br />
irgendwann mit einem katholischen Glaubenssatz.<br />
Im Irak münden diese philosophischen<br />
Fragen in den Islam, in Kambodscha<br />
in die Lehren des Siddhartha Gautama. So<br />
ein Zufall aber auch.<br />
Individuelle Blickweisen auf Leben und Tod können und<br />
dürfen nicht vorgegeben werden, Religionen können erst<br />
dann einigermaßen ernst genommen werden, wenn es 7,7<br />
Milliarden unterschiedliche gibt.<br />
Angela & Helmut: Gar keine.<br />
Was ist dran an der Behauptung, Swinger seien größtenteils<br />
60 plus, träfen sich in schmuddeligen Clubs und<br />
achten nicht auf Safer Sex?<br />
Sybille & Anton: Wir treffen sehr viele jüngere Leute.<br />
Und Safer Sex wird überall sehr ernst genommen.<br />
Maria & Mario: Wir zwei sind lebende Beispiele dafür,<br />
dass nicht alle über 60 sind. Safer Sex ist bei den meisten<br />
Swingern Grundvoraussetzung.<br />
Obwohl: Manche Damen scheinen nicht zu wissen, dass<br />
Französisch ohne Kondom alles andere als safe ist.<br />
Angela & Helmut: Wir sind 60 plus. Und wir gehen in<br />
keine schmuddeligen Lokale. Wenn Clubs, dann nur zu<br />
ausgesuchten, besonderen Anlässen. Und da gehören wir<br />
oft zu den ältesten Gästen. Safer Sex ist Pflicht. ⓿<br />
Bild: Anna Maria Tauser-Fürpaß<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
SEITE 21
LISA WELTZIN<br />
EHRLICH SEIN<br />
P<br />
assiert. Wie Tomaten.<br />
Das Leben passiert, während wir dabei sind,<br />
andere Pläne zu machen. Auf Fahrten und Wegen ergeben<br />
sich Ziele und obwohl wir immer unterwegs sind,<br />
kommen wir nie an. Was passiert eigentlich, wenn wir<br />
zwischen Momenten von Verzweifelt- und Glücklichsein<br />
mal ehrlich sind zu uns? Was passiert, wenn wir uns einmal<br />
die richtigen Fragen stellen, anstatt ihnen zu entfliehen?<br />
Was passiert, wenn wir uns einmal der Ehrlichkeit<br />
nicht entziehen?<br />
Ich hab mir schon so manche Unwahrheit der Welt geliehen.<br />
Danach hab ich oft heimlich geschrien. Wenn ich<br />
mal ehrlich bin. Wie fühlt es sich an, nackt zu schwimmen?<br />
Wasser gleitet vorüber an nackter Haut, Tropfen<br />
werden zur Strömung; Frische, ein wenig Schmerz vom<br />
kalten Wasser.<br />
Wie oft schaut ihr euch ein Bild an, wenn ihr verliebt<br />
seid? Wovon träumt ihr nachts? Was beschäftigt euch am<br />
Tag? In einer Kultur, in der alle schönen Frauen 1,77 Meter<br />
groß sind, alle starken Männer Muskeln haben, alle<br />
intelligenten Menschen studieren. In einer Kultur, wo<br />
alle Menschen leben, um zu gefallen, sind schon einige<br />
Vorlieben gestorben, viele Sehnsüchte verfallen, unendliche<br />
Wahrheiten untergegangen. Weil sich keiner mehr<br />
Was sind eure am tiefsten sitzenden Ängste?<br />
Wo stecken unsere verborgenen Wünsche?<br />
Unsere intimsten Phantasien?<br />
Doch unser Leben passiert einfach. Wie Tomaten.<br />
Während wir eifrig dabei waren andere<br />
Pläne zu schmieden, schmiegte sich<br />
Unwahrheit an Unwahrheit. Wir bildeten<br />
Identitäten, ohne dabei hinzuschauen; es<br />
ergab sich einfach. Aufgrund tausender Ursachen<br />
und Einflüsse leben wir heute, ohne<br />
genau zu wissen, warum.<br />
Doch wie kommen wir an das Zwischendrin?<br />
Wir leben tagein, tagaus, nichts verändert<br />
sich. Doch wenn wir zurückblicken,<br />
ist alles anders.<br />
So vergehen Stunden, Tage, Jahre. Jahre, in<br />
denen wir zwar gelebt haben, doch nicht<br />
viel bewegten. So vergeht die Zeit, ohne<br />
dass wir dabei achten darauf, wohin sie<br />
geht. Früher, da war ich noch ein Kind.<br />
Doch bitte: Wer kam dazwischen, dass ich<br />
heute fast schon erwachsen bin? Was passierte<br />
dazwischen?<br />
Sich frei fühlen, dennoch Sicherheit haben.<br />
traut, ehrlich zu sein. Sich verlassen können, dabei flexibel blei-<br />
SEITE 22 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
en? Wir bilden uns unsere Identität, ohne<br />
dabei hinzuschauen.<br />
Aber wir lernen doch so viel zwischendrin.<br />
In Momenten, in denen Gedanken ausgesprochen<br />
werden, entstehen große Worte.<br />
Große Worte finden zwischen Tür und Angel<br />
statt. Gesetze verändern sich nicht auf<br />
Blättern Papier, sondern in grauen Plattenbauten.<br />
Auf Schulbänken, auf denen Kaugummis<br />
kleben und heimlich Tränen tropfen.<br />
Fäuste, die sich unter weißen Tischen<br />
ballen. Herzklopfen, kurz bevor man aus<br />
der Tram aussteigt. Kurz bevor man nicht<br />
mehr weiter weiß, passiert es oft, dass wir<br />
mal ehrlich sind. Ehrlich zu uns selbst.<br />
Und wir fragen uns: Wann ist das passiert?<br />
Wie schnell verstrich die Zeit? Jetzt bin ich<br />
schon so alt. Wo sind die alten Tage hin?<br />
Und das, was alles passierte, war nie wirklich<br />
geplant. Wo will ich überhaupt noch<br />
hin? Es ist eben einfach so passiert. Wie<br />
Tomaten, sagst du. Dabei schaust du mich<br />
an, lächelst verschwiegen, aber es ist doch<br />
auch schön, dass es alles zwischen drin passiert,<br />
oder nicht? Solange du dabei glücklich<br />
bist, hast du doch nichts falsch gemacht?<br />
Solange du immer ehrlich zu dir bist, ist<br />
doch alles gut.<br />
Doch ich sage: Wann bin ich mal ehrlich?<br />
Ich bin so selten ehrlich. Verändern, ohne<br />
dabei Ansprüche zu stellen. Gehen, ohne<br />
vergessen zu werden. Hoffen, ohne dabei zu<br />
erwarten. Fallen, ohne danach wieder aufzustehen.<br />
Stehen, ohne dabei stehen zu bleiben.<br />
Das Leben passieren zu lassen, während wir<br />
dabei sind, Pläne zu schmieden, gelingt uns<br />
nur, wenn wir ehrlich sind, denn sonst wa-<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Bild: SuJo<br />
chen wir eines Tages auf, zählen die Tage und stellen fest,<br />
dass wir das alles gar nicht so wollten. Stellen fest, dass<br />
unser Herz nicht mehr singt, unser Verlangen nicht mehr<br />
stimmt, unsere Sehnsüchte verglimmen. Wie Feuer zu<br />
Asche ging es vorüber. Und wer den Feuervogel noch gesehen<br />
hat …<br />
Zwischen drin mal ehrlich sein, lassen unserem Herz<br />
auch mal Sonnenstrahlen rein, anstatt nicht immer nur zu<br />
leben, um zu gefallen in einer Kultur, wo alle schönen<br />
Frauen 1,77 Meter groß sind, alle starken Männer Muskeln<br />
haben und alle intelligenten Menschen studieren. In einer<br />
Kultur, wo du nach außen entweder gut oder schlecht<br />
bist. Du wirst dabei, zwischen drin, so viel lernen. Sonst<br />
lässt du bald keinen mehr an deiner Ehrlichkeit teilnehmen,<br />
sonst strahlt hier bald keiner mehr, und die Gesetze,<br />
die in grauen Plattenbauten herrschen und geschehen,<br />
sind dann einfach passiert. Wie Tomaten eben. ⓿<br />
SEITE 23
SEITE 24 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Foto: Willgruber
Foto: Willgruber<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Foto: A.P.Tauser (11)<br />
Seite 25
GESPRÄCH<br />
DAS 11. GEBOT:<br />
DU SOLLST<br />
NICHT SCHWUL<br />
SEIN<br />
Andreas P. Tauser im<br />
Gespräch mit Harald<br />
Schober (6677) über<br />
Gott und einen Teil<br />
der Welt.<br />
T<br />
auser: Menschen treten<br />
seit jeher für die eigene<br />
und die Freiheit anderer ein, sie kämpfen<br />
für die Freiheit von Minderheiten,<br />
für Religionsfreiheit, für Meinungs-<br />
und Redefreiheit, auch für Freiheit in<br />
der Liebe. Herr Schober, Sie leben<br />
streng nach der Bibel. Ist die Forderung<br />
nach Gleichstellung von Schwulen,<br />
Lesben und Transgendermenschen<br />
für Sie in Ordnung?<br />
Schober: Bei der Meinungs- und Redefreiheit<br />
gibt es meiner Ansicht nach ein<br />
großes Verbesserungspotential auch bei<br />
uns in Österreich. Viele Menschen bezeichnen<br />
sich als sehr tolerant. Aber<br />
wenn man in einem ´sensiblen´ Bereich<br />
Seite 26 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
anderer Meinung ist, verurteilen viele Menschen<br />
dies sehr scharf und oft sogar verletzend.<br />
Das finde ich traurig.<br />
Der S o u f f l e u r hat für diese <strong>Ausgabe</strong><br />
Gespräche mit verschiedenen Menschen<br />
geführt. Einerseits mit einer Klosterschwester,<br />
andererseits mit dem Betreiber<br />
eines Kinolabyrinths, eines Erotiktreffpunkts<br />
für Schwule, oder mit Bi-Menschen<br />
und Swingern. Gehören diese beiden entgegengesetzten<br />
Lebensmodelle in ein und<br />
dieselbe <strong>Ausgabe</strong>?<br />
sehr gefallen hat. Es hieß: „Das Fernsehpublikum ist einer<br />
Unmenge an Sendungen ausgesetzt, in denen der homosexuelle<br />
Lebensstil positiv porträtiert wird.“ Das Fernsehen<br />
ist jedoch nur eines von vielen Medien, die heutzutage<br />
Homosexualität propagieren. Auch von Altersgenossen<br />
und Lehrern, in Filmen, Büchern und Zeitschriften und in<br />
den sozialen Medien wird pro-homosexuelle Propaganda<br />
gemacht.<br />
Sie meinen also, dass Werbung für Homosexualität gemacht<br />
wird?<br />
Paulus schrieb gemäß 1. Korinther 66:99, 10: „Was? Wisst<br />
Ich denke, die Meinungs-<br />
bzw. Pressefreiheit<br />
ist ein wertvolles<br />
Gut. Warum<br />
sollte nicht über unterschiedliche<br />
Lebenseinstellung<br />
offen<br />
und fair berichtet<br />
werden?<br />
„Wo die Liebe hinfällt,<br />
da bleibt sie<br />
liegen“, sagt ein altes<br />
Sprichwort. Spricht für Sie etwas dagegen,<br />
dass ein Mann einen Mann liebt,<br />
eine Frau eine Frau?<br />
Vor ein paar Jahren teilte mir ein sehr junger<br />
Arbeitskollege mit, dass er meine Einstellung<br />
zur Bibel sehr schätzt. Er sagte:<br />
"Du musst aber Deine Einstellung zur Homosexualität<br />
korrigieren bzw. richtigstellen."<br />
Ich frage mich: Warum ist seine Meinung<br />
so weit verbreitet und so populär?<br />
„Das Fernsehen versucht, Kindern Homosexualität<br />
schmackhaft zu machen“, so<br />
der Titel eines Zeitungsartikels, der mir<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Foto: A.P.Tauser<br />
ihr nicht, dass Ungerechte das Königreich Gottes nicht<br />
erben werden? Lasst euch nicht irreführen. Weder Hurer<br />
noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Männer, die<br />
für unnatürliche Zwecke gehalten werden, noch Männer,<br />
die bei männlichen Personen liegen, noch Diebe, noch<br />
Habgierige, noch Trunkenbolde, noch Schmäher, noch Erpresser<br />
werden Gottes Königreich erben.“ Beachte, dass<br />
Paulus sowohl diejenigen erwähnt, die in unmoralischen<br />
Beziehungen offensichtlich eine passive Rolle übernehmen,<br />
als auch diejenigen, die die aktivere „männliche“<br />
Rolle einnehmen. Er machte somit deutlich, dass Gott jede<br />
Form homosexueller Betätigung missfällt.<br />
Ist es nicht so, dass gleichgeschlechtliche Liebe in den<br />
Seite 27
Medien, im Schulunterricht oder in der Kunst deshalb Ist Ihr Standpunkt, jemand sei deswegen<br />
thematisiert wird, um allen und vor allem betroffenen homosexuell, weil er das so w i l l, im Angesichte<br />
der Tatsache, dass weltweit im-<br />
Menschen zu zeigen, dass die Zeit, in der Homosexualität<br />
als Krankheit fehlinterpretiert wurde, vorbei ist mer noch Menschen aufgrund ihrer sexuellen<br />
Neigung diskriminiert, ausgegrenzt,<br />
bzw. vorbei zu sein hat? Ist die mediale Präsenz von<br />
Homosexualität also nicht weniger Propaganda und benachteiligt und ermordet werden, nicht<br />
Werbung für ein Lebensmodell, als vielmehr der längst eine Verhöhnung all der vielen Menschen,<br />
überfällige Versuch, menschenfeindliche Ausgrenzung die sich Zeit ihres Lebens nur eines wünschen,<br />
nämlich, dass auch ihre Art des<br />
von Minderheiten zu stoppen?<br />
Seins als „normal“ gesehen wird?<br />
Es handelt sich ohne Zweifel um eine Kombination mehrerer<br />
Faktoren, durch die ein Mensch dazu gebracht wird, Im Jahre 199770 sagte Dr. Charles W. Socarides<br />
vom Albert Einstein College of Medicine<br />
homosexuelle statt normale heterosexuelle Beziehungen<br />
zu pflegen. Schließlich muss man aber noch eine weitere (New York) warnend, dass sich die Homosexualität<br />
ausbreitet wie eine Seuche,<br />
Tatsache im Sinn behalten: Homosexuelle haben sich ihre<br />
Lebensweise selbst gewählt. schneller als die vier häufigsten Krankheiten.<br />
Gewählte Politiker geben offen zu, ho-<br />
Warren Blumenfeld, Koordinator des nationalen Gay Students<br />
Center, einer US-Studentenorganisation für Homosexuelle,<br />
vergleicht die Auswahl zwischen mehreren sexugen,<br />
politische Klubs und Partnervermittmosexuell<br />
zu sein. Es gibt Kirchen, Synagoellen<br />
Verhaltensweisen sogar mit dem Kauf eines Autos. lungen für Homosexuelle. Die Christen des<br />
Er sagt: „Der eine fährt eben lieber einen Cadillac und der ersten Jahrhunderts betrachteten die Homosexualität<br />
jedoch nicht als etwas Normales<br />
andere einen Sportwagen.“ Jemand ist also deswegen homosexuell,<br />
weil er das so will. wie blaue Augen oder eine dunkle Haut. In<br />
ihren Augen war es eine Befriedigung<br />
Der Schriftsteller Blumenfeld sieht Homophobie sehr schändlicher sexueller Gelüste, wenn weibliche<br />
Homosexuelle den natürlichen Ge-<br />
kritisch und sagt über sie: Sie (die Homophobie) bindet<br />
Menschen in starre geschlechtsspezifische Rollen, die brauch von sich selbst mit dem widernatürlichen<br />
vertauschten und männliche Homo-<br />
Kreativität hemmen, sie verhindert, dass Schwule eine<br />
authentische Selbstidentität entwickeln, sie hemmt die sexuelle unzüchtige Dinge miteinander trieben<br />
(Römer 1:2266, 2277).<br />
Wertschätzung von Vielfalt, sie hemmt die Fähigkeit<br />
von Menschen, intime Freundschaften zu Mitgliedern<br />
ihres eigenen Geschlechts aufzubauen, aus Angst, als (Anm.d.Red: Socarides Thesen sind heute<br />
schwul wahrgenommen zu werden, sie erhöht den Heiratsdruck,<br />
was wiederum unangemessenen Stress und maßgeblichen psychologischen und psychi-<br />
überholt, zum Teil widerlegt, die wirklich<br />
oftmals ein Trauma für Ehepartner und ihre Kinder bedeutet.<br />
Blumenfelds Vergleich (Cadillac oder Sportwagical<br />
Association und American Psychiatric<br />
atrischen Fachverbände American Psychologen)<br />
wird von Ihnen, verzeihen Sie, nicht nur verkehrt Association bekunden, dass Socarides Ansichten<br />
wissenschaftlich nicht haltbar sind.<br />
interpretiert, diese Interpretation ist, so glaube ich, für<br />
Schwule, die unter ihrem Anderssein oft bis zur Depression<br />
oder gar bis zum Selbstmord leiden, wohl ein Jahren aus der Liste der psychischen Krank-<br />
Homosexualität wurde bereits vor fast 330<br />
Schlag ins Gesicht. heiten gestrichen.)<br />
Seite 28 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Humanismus hin, Religion her – der im<br />
Sinne der Aufklärung strukturierte und<br />
auf rationales Denken ausgerichtete<br />
Mensch weiß heute: Die Erde ist eine Kugel,<br />
Alchemisten können kein Gold herstellen<br />
und ein gewisser Prozentsatz an Menschen<br />
wird homosexuell. Kann Ihr Gott<br />
gegen Vielfalt sein?<br />
an, die homosexuell, Diebe, Habgierige, Erpresser, Trunkenbolde,<br />
Ehebrecher oder Götzendiener gewesen waren.<br />
Aber sie hatten sich geändert. Sie waren „reingewaschen,<br />
geheiligt und gerecht gesprochen worden“ (1. Korinther<br />
66:99-11; Kolosser 33:55-11). Nicht nur im 1. Jahrhundert, sondern<br />
auch heute ist es möglich, homosexuelle Neigungen<br />
zu überwinden, wenn jemand dies persönlich möchte und<br />
wirklich ernsthaft will.<br />
Es ist, wie die Bibel sagt: „Entsprechend<br />
den Begierden ihrer Herzen“. Darum ist es<br />
gerechtfertigt, wenn die Bibel diese Handlungsweise<br />
verurteilt<br />
und sagt,<br />
sowohl männliche<br />
als auch<br />
weibliche Homosexuelle<br />
empfingen „an<br />
sich selbst die<br />
volle Vergeltung,<br />
die ihnen<br />
für ihre Verirrung<br />
gebührte“.<br />
Ich tu mir schwer, die Grenze zu finden<br />
zwischen ihrer persönlichen Meinung und<br />
einer von der Bibel vorgegebenen Lehre.<br />
Ich frage einmal andersrum: Kann der<br />
Verzicht auf das Ausgrenzen von Homosexuellen<br />
Ihrer Ansicht nach tatsächlich zur<br />
Folge haben, dass im Jahr 2050 mehr<br />
Schwule geboren werden als etwa im Jahr<br />
1550?<br />
Wie andere unreine Gelüste und schädliche<br />
Begierden, so können auch homosexuelle<br />
Neigungen beherrscht und sogar überwunden<br />
werden; sie können als Bestandteil der<br />
alten Persönlichkeit abgestreift werden. Der<br />
Versammlung in Korinth gehörten Christen<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Foto: A.P.Tauser<br />
Wohl wahr: Alle drei Abrahamitischen Welt- und Wüstenreligionen<br />
haben ihre Probleme mit nicht eine Mehrheit<br />
betreffenden Geschlechtsidentitäten. Aber lassen<br />
Sie mich<br />
laut denken:<br />
Gott hat mit<br />
Glauben zu<br />
tun. Glaube<br />
ist per Definition<br />
eine<br />
Grundhaltung<br />
des<br />
Vertrauens,<br />
Glaube ist<br />
das Überzeugtsein<br />
von einer Lehre, einer These. Einer Theorie! Mit Wissen<br />
hat das also wenig zu tun. So ist Glaube daher etwas,<br />
das von Menschen, Kulturen und Religionen seit jeher<br />
denkbar falsch gelebt wurde, nämlich nicht als philosophische<br />
Theorie, nicht als Möglichkeit, sondern fatalerweise<br />
als Gebot. Ja, sogar als Erlass, als Befehl, als<br />
Grundbedingung dafür, überhaupt respektiert oder,<br />
nicht selten, am Leben gelassen zu werden. Falsch ist<br />
das zudem auch deshalb, weil Glaube auch abseits aller<br />
politischen und extremen Strömungen nie mehr sein<br />
kann, als Anschauung, Konzept, Plan, Idee, Vermutung<br />
oder Hoffnung. Es mag deshalb also in Ordnung sein,<br />
das e i g e n e Handeln, das e i g e n e Denken einer<br />
solchen Theorie nach auszurichten. Von a n d e r e n<br />
Menschen dieselbe religiöse, philosophische Herangehensweise<br />
zu fordern, steht aber auch dem streng<br />
Seite 29
Ich habe in meinen Antworten nur auf die Aussage der<br />
Bibel verwiesen.<br />
Es drängt sich genau deshalb die Frage auf: Entsprechen<br />
die Bibelzitate Ihrer persönlichen Meinung?<br />
das ist von Menschengeist erschaffen, alles<br />
das sind Früchte von Fantasie und<br />
(nicht selten) Kalkül. Für die einen heilsamer<br />
Weg, für andere aber eben nicht mehr<br />
als Ideen. Nicht belegbare Theorien.<br />
Ich habe, wie Sie sagen, mehrmals auf Bibelstellen Bezug<br />
genommen, dazu auch meine private Meinung geäußert.<br />
Kann der eine Mensch sich wirklich nach den esoterischen<br />
oder philosophischen privaten Welterklärungsmodellen<br />
des anderen richten? Ist nicht jeder Glaube,<br />
der die Grenzen Anders- oder Nichtgläubiger überschreitet,<br />
eine Beschneidung von Freiheit per se?<br />
Liebe baut auf, gemäß 1. Korinther 88:1. Sie reißt niemals<br />
nieder. Noch tötet sie einen Menschen. Irgendetwas<br />
"Esoterisches" habe ich nicht angeführt.<br />
Nun, dort, wo Aufklärung und Glaube einfach nicht in<br />
einen Topf passen, will ich jede Religion einfach einmal<br />
als eines der Kapitel im Esoterikkatalog sehen.<br />
Was ist Ihrer persönlichen Meinung nach, und ohne den<br />
Blick in die Bibel, schlecht und teuflisch an der Welt, in<br />
der jeder Mensch Liebe, Partnerschaft frei und nicht<br />
von anderen bevormundet lebt? Welchen Schaden richtet<br />
Homosexualität auf der Welt an?<br />
Der Apostel Paulus legte Christen ans Herz: „Fahrt daher<br />
fort, einander zu trösten und einander zu erbauen, so wie<br />
ihr es ja tut“ (1. Thessalonicher 55:11). Meiner Meinung<br />
nach sollten alle Christen der Aufforderung nachkommen:<br />
„Redet bekümmerten Seelen tröstend zu, steht den<br />
Schwachen bei, seid langmütig gegen alle“, wie es in 1.<br />
Thessalonicher 55:144 zu lesen steht.<br />
Da war sie ja doch wieder, die Bibel. Ich versuche es<br />
noch einmal: Ganz gleich, ob Sindone di Torino<br />
(Turiner Grabtuch) und Santo Cáliz (Heiliger Kelch)<br />
oder eben von Geistern, und Erzengeln empfangene Botschaften,<br />
ganz gleich, ob Evangelium oder Sure - alles<br />
Ihre Ansicht ist weit verbreitet. Haben Sie<br />
eine Bibel? Hebräer, Kapitel 11, Vers 1. Was<br />
sagt Ihnen dieser Vers? Wozu regt er Sie<br />
an?<br />
Ich zitiere die genannte Bibelstelle:<br />
„Glaube aber ist, Feststehen in dem, was<br />
man erhofft, überzeugt sein von Dingen,<br />
die man nicht sieht.“ Dass eine Bibelstelle<br />
nun nicht der Bibel selbst widerspricht,<br />
überrascht wenig.<br />
Darf dieses Erhoffte, ganz gleich, ob wir<br />
es Himmelreich nennen oder Erlösung<br />
durch die Waldelfe, über Freiheit oder Unfreiheit<br />
anderer richten? Im Namen des<br />
Glaubens wurden und werden Menschen<br />
diskriminiert und getötet. Kann und soll<br />
das Erhoffte der einen Menschen die Orientierungshilfe<br />
für andere sein?<br />
Ich finde, die Bibel kann uns Menschen eine<br />
gute Anleitung für ein sinnvolles und glückliches<br />
Leben geben. Ich persönlich habe nie<br />
auf einen Menschen Druck ausgeübt, dass<br />
er nach den Grundsätzen der Bibel leben<br />
muss. Ich kann es aus eigener Erfahrung<br />
nur jeder Person empfehlen. Das Leben<br />
wird dadurch einfacher.<br />
Ihr Wort in Gottes Ohr, wenn ich das so<br />
sagen darf. Vielen Dank für das Gespräch!<br />
⓿<br />
Harald Schober ist Pensionist. Er lebt als<br />
praktizierender Zeuge Jehovas und Bibel-<br />
Lehrer im steirischen Weiz.<br />
Seite 30 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
FLORIAN RANDACHER alias FLOW BRADLEY<br />
GEDICHTE<br />
Karin<br />
So ich liebe diesen Namen<br />
So rinnt Klang und Sinn<br />
Gut und Böse – Auf- und Unter-<br />
Gang der Leben Fänge, Schwingung, Stamm<br />
Center Of Market And Trade<br />
Vom Humor überrascht<br />
Terror als Regie<br />
Wir verwenden Wörter<br />
Und Gott ist das Genie<br />
Namen geben vor, doch nichts<br />
Bleibt der Erde Wiederkehr<br />
Namenlose Ritter<br />
Göttin aller Freud´<br />
Das Leid holt lachend, warm<br />
Kältestau der Saat<br />
Weiter mein Mysterium<br />
Wenn ich Karin höre<br />
Karin<br />
Karin<br />
Karin<br />
Karin<br />
Foto: Flow Bradley<br />
Verwendet wird der Glaube<br />
Als Lösung die Natur<br />
Gesetz bleibt ewig Frieden<br />
Wie machen wir das nur?<br />
Der Dichter und die Dramen<br />
Der Sex, der Tod, das All<br />
Im Sinn sind wir verborgen<br />
Bestimmt ist der Verfall<br />
Das Datum nun als Wette<br />
Wer ist schneller da<br />
Der Zug oder das Auto<br />
Flugzeug, „sonderbar“<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Spinne im Regenbogen<br />
Sie bemerkt mich<br />
wenn ich schweige<br />
doch selbst ihr Drang<br />
ist ihr zu nah<br />
sie verschwendet<br />
sich im Sinne<br />
kunterbunt<br />
und wunderbar<br />
sie muss das alles tragen<br />
weil kein Geheimnis von ihr weicht<br />
nur die Stille kann es sagen<br />
ihre Sendung –<br />
butterweich<br />
Manchmal zornt die Droge<br />
und der Ausgleich scheint nicht nah<br />
lass es sein ihr nachzufolgen<br />
kunterbunt und wunderbar<br />
Reichensport<br />
Der Funke springt über das Wasser<br />
Pfeil und Bogen unter Tag<br />
Längst geschachtet<br />
Brot und Spiele<br />
Oft verletzt und ausgelacht<br />
Doch der Kämpfer<br />
Rote Erde<br />
Ziegelsteine und Beschwerde<br />
Ausgehoben aus dem Schritt<br />
Bleibt das Sein ein Teufelsritt<br />
Notiz<br />
Du håst ma ålles gnommen<br />
I hån da ålles geb´m<br />
Mia håb´m uns nix g´schenkt<br />
Mia san uns nix schuldig bliebm<br />
Seite 31
INTERVIEW<br />
POLYAMORIE:<br />
ZWEI MAL ZWEI<br />
IST (AUCH) LIEBE<br />
Der Souffeur im Gespräch<br />
mit Menschen, die mehr<br />
als einen Menschen lieben.<br />
G<br />
eschätzter Bernhard Reicher,<br />
Du bist Autor und Magier. Du<br />
lebst „angewandte Polyamorie“?<br />
Reicher: Ja. Und ich mache Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Coachings im Bereich Polyamorie.<br />
Polyamorie ist eine Form der Lebens-, Liebes-<br />
und Beziehungsgestaltung, die für viele<br />
von uns nicht gewöhnlich ist. Was steckt hinter<br />
dem Begriff?<br />
Reicher: Polyamorie ist ein Neologismus, der<br />
sich aus "poly" für "viele" und "amor" für<br />
"Liebe" zusammensetzt. Dahinter verbirgt sich<br />
ein Hinterfragen: Ist das Modell einer Zweierbeziehung<br />
die einzig mögliche oder erstrebenswerte<br />
Form des Zusammenseins? Es ist<br />
aber weit mehr als nur ein philosophisches<br />
Konzept; es ist auch eine gelebte Praxis, die es<br />
ermöglicht, mehr als eine Liebesbeziehung zur<br />
Foto: Dainis Graveris/unsplash.com<br />
selben Zeit führen zu können, im vollen<br />
Seite SEITE 00 32 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Wissen und der Zustimmung aller Beteiligten.<br />
Das ist nicht notwendigerweise ein besseres<br />
Modell als das übliche monogame.<br />
Aber es ist eine gleichwertige Alternative.<br />
Es ist auch keine sexuelle Orientierung,<br />
sondern eine Entscheidung: In welcher<br />
Form möchte ich Liebe leben?<br />
Gewissermaßen also ein Weg, der Möglichkeiten<br />
bereithält? Nämlich: Befinde<br />
ich mich in einer Liebesbeziehung und<br />
verliebe ich mich neu, habe ich die Möglichkeit,<br />
beide Lieben zu leben, ohne mich<br />
für eine entscheiden zu müssen?<br />
Reicher: Exakt – sofern auch alle anderen<br />
in jeder Hinsicht damit einverstanden sind.<br />
Konsens spielt eine zentrale Rolle! Die Situation,<br />
die du ansprichst, taucht ja nicht selten<br />
auf. Polyamorie wäre eine Möglichkeit,<br />
damit in einer Sowohl-Als auch-Haltung<br />
umzugehen.<br />
Viele werden hier nun den Standpunkt<br />
vertreten: Wenn ich in einer Partnerschaft<br />
lebe und mich in einen Menschen verliebe,<br />
liebe ich meinen Partner/meine Partnerin<br />
nicht richtig.<br />
Reicher: Das ist eine häufige Sichtweise, ja<br />
– und bezieht sich darauf, was einzelne<br />
Menschen unter Liebe verstehen. Exklusivität<br />
ist durchaus ein legitimer Wert; mir<br />
persönlich ist er aber zu klein für die Liebe.<br />
Ich erlebe sie nicht als etwas Quantitatives,<br />
dem etwas genommen werden könnte,<br />
wenn ich es auch für jemand anders empfinde.<br />
Die Vorstellung, Liebe könne<br />
schrumpfen oder dürfe nur einem einzigen<br />
Menschen zustehen, kommt, glaube ich, von<br />
einer Idee, die Liebe als Mangelware<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
betrachtet: Es sei nur so und so viel von ihr da und deshalb<br />
müsse man ängstlich darauf bedacht sein, dass sie<br />
einem nicht entgleitet. Das ist ein Weltbild, dem wir in<br />
unserer Kultur stark anhängen. Dem widerspricht meine<br />
persönliche Erfahrung: Liebe ist für mich etwas Unendliches,<br />
das nicht kleiner werden kann, wenn es geteilt wird.<br />
Liebe kann ich genauso wenig besitzen wie einen Menschen,<br />
ich kann sie aber zulassen – für viele. Dazu habe<br />
ich einmal ein Märchen geschrieben, in dem eine Kerze<br />
auf dem Dachboden eines Schlosses und eine Flamme in<br />
seinem Ofen voneinander träumen und überglücklich<br />
sind, als sie sich finden, weil ein Fest gefeiert wird und<br />
der Kienspan sie miteinander verbindet. Kurz darauf sind<br />
sie entsetzt, als die Kerze aus ihrem Halter genommen<br />
wird, weil auch andere Kerzen mit ihrer Flamme entzündet<br />
werden sollen. Beinahe lässt die Kerze ihre Flamme<br />
ausgehen: Wenn sie sie schon nicht für sich allein haben<br />
kann, soll sie auch keine andere Kerze zum Leuchten bringen!<br />
Doch sie bringt es nicht übers Herz, ihre geliebte<br />
Flamme sterben zu lassen und auch die anderen Kerzen<br />
im Festsaal erstrahlen durch sie. Zu ihrem großen Erstaunen<br />
wird ihre Flamme dadurch aber nicht kleiner, im Gegenteil:<br />
Alles um sie herum wird heller und schöner.<br />
Was für eine wunderschöne Antwort. Vielen Dank für<br />
das Gespräch!<br />
M it drei jungen Menschen aus Berlin, die Polyamorie<br />
praktisch leben, hat der Souffeur via Video-<br />
Konferenz ein Interview geführt. Marvin, 2299, Konrad, 331,<br />
und Britt, 3388, leben gemeinsam mit Tochter Hannah in<br />
einer Wohnung in der Nähe von Hannover.<br />
Souffeur: In welcher Form gehört Ihr vier zusammen?<br />
Marvin: Eigentlich sind wir fünf.<br />
Britt: Seit fünf Jahren gehören Marvin und ich zusammen,<br />
seit zwei Jahren sind wir verheiratet.<br />
Seite 33
Liebe und Frieden innerhalb einer Familie<br />
sind wesentlich wichtiger für eine gute Entwicklung<br />
des Kindes als genormte Verhältnisse.<br />
Was bringt das System "Vater, Mutter,<br />
Kind", wenn entweder Vater und Mutter<br />
nur streiten, oder einer der Elternteile<br />
nicht kommuniziert mit dem Kind?<br />
Wir leben in einer gemeinsamen Wohnung. Mit Konrad,<br />
den ich vor drei Jahren kennen und lieben gelernt habe,<br />
habe ich unsere Tochter Hannah, die im November 2 Jahre<br />
alt wird. Hannah ist immer bei mir, Konrad f a s t immer,<br />
er hat eine eigene kleine Wohnung, in der er hin und<br />
wieder einige Tage ist, hin und wieder auch gemeinsam<br />
mit Hannah und mir. Und Marvin führt nun seit zwei Jahren<br />
eine Liebesbeziehung mit Vera, die aber nicht in<br />
unserer Wohnung lebt.<br />
Konrad: Auch ich würde Britt gerne heiraten, das ist aber<br />
leider bei uns in Deutschland nicht möglich.<br />
Konrad: Marvin und ich wissen, dass Hannah<br />
meine leibliche Tochter ist, aber andererseits:<br />
Wozu Etiketten?<br />
Es muss nicht alles betitelt werden?<br />
Konrad: Ja, genau. Wir haben<br />
festgestellt, dass wir für uns<br />
bestimmte Schablonen, wie zum<br />
Beispiel "Weil wir verheiratet<br />
sind, müssen wir uns an diese<br />
und jene Grenzen halten" nicht<br />
brauchen.<br />
Eine Liebesbeziehung besteht zwischen Britt und Marvin<br />
und Marvin und Vera und zwischen Britt und Konrad<br />
...<br />
Marvin: (unterbricht) Genau. Konrad und ich – ich glaube,<br />
Du wolltest darauf hinaus – pflegen eine sehr innige,<br />
freundschaftliche Beziehung, und ich finde es schade,<br />
dass Konrad in mancherlei Hinsicht benachteiligt ist.<br />
Inwiefern?<br />
Britt: Bin ich zum Beispiel im Krankenhaus, darf zuerst<br />
einmal nur Marvin zu mir, obwohl auch Konrad mein Lebenspartner<br />
ist.<br />
Was sind Marvin und Konrad für Hannah?<br />
Leiblicher Vater ist ja Konrad.<br />
Marvin: Stimmt, so sehe ich das auch. Vielleicht<br />
sind manche Menschen glücklicher,<br />
wenn sie nach Vorgaben leben. Zum Beispiel:<br />
"Du musst mit deiner Ehefrau im selben<br />
Zimmer schlafen, und wenn du dich in<br />
eine andere Frau verliebst, musst du entweder<br />
diese Verliebtheit unterdrücken, oder<br />
du musst dich scheiden lassen, um dann mit<br />
der neuen Frau immer im selben Zimmer<br />
schlafen zu müssen …" Ich will mich da gar<br />
nicht lustig machen darüber, aber wir für<br />
uns brauchen diese Schablonen nicht´. Wer<br />
weiß, vielleicht will ich in ein paar Jahren<br />
monogam leben.<br />
Wie sieht es bei Euch mit Eifersucht aus?<br />
Britt: Hannah spricht beide Männer mit ihren Vornamen Britt: (lacht) Ja, kommt vor. So, wie in anderen<br />
an. Beide Männer sind gewissermaßen Vaterfiguren.<br />
Partnerschaften vielleicht auch.<br />
Seite 34 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Aber wir vier – Hannah zähle ich da jetzt erst mal<br />
nicht dazu – sind in einem kontinuierlichen Austausch.<br />
Kommunikation ist das Um und Auf, ganz<br />
gleich, ob man zu zweit oder zu viert zusammenlebt.<br />
Ich habe das gerade eben ja schon kurz angesprochen:<br />
Es gibt leider sehr viele Menschen, und<br />
oft sind das leider Männer, die nicht reden und damit<br />
die Seelen ihrer Kinder oder Partnerinnen zerstören.<br />
Wir vier kommunizieren auf jeden Fall noch<br />
mehr als gewöhnliche Paare. Das denke ich<br />
zumindest.<br />
Wer in Eurem Umfeld weiß von Eurer Form der<br />
Partnerschaft? Wie gehen Menschen damit um,<br />
wenn sie erfahren, wie Ihr lebt?<br />
Konrad: An sich wissen alle Familienmitglieder,<br />
wie wir leben. Meine Mutter war anfangs skeptisch:<br />
"Was? Ein Kind mit einer verheirateten<br />
Frau?" Aber mittlerweile sind Britt und Marvin so<br />
etwas wie Schwiegerkinder für sie.<br />
Britt: Ich bin sehr frei aufgewachsen, meine Eltern<br />
hatten nie ein Problem mit Polyamorie. Aber letztlich<br />
ist unsere Liebe, ob sie nun akzeptiert wird<br />
oder nicht, unser Leben, die nur wir zu leben haben.<br />
Marvin: Ich sehe das auch so. Mein Vater etwa vertritt<br />
ein sehr erzkonservatives, chauvinistisches<br />
Weltbild. Er sagt: "Was ist das für eine Ehe, wenn<br />
die Frau ein Kind mit einem anderen hat?" Aber es<br />
ist letztlich mein eigener Liebesalltag, und der<br />
muss ja meinem Vater nicht gefallen.<br />
Britt: Das wäre ein schönes Schlusswort, oder?<br />
(lacht) Lebt Eure eigenen Lieben, denn es sind ja<br />
auch Eure eigenen Leben, die Ihr lebt, und am Ende<br />
Eure eigenen Tode, die Ihr sterbt.<br />
Keine weiteren Fragen … ⓿<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1 Seite SEITE 0035
GASTBEITRAG<br />
D<br />
er Autor des Textes auf der nächsten Seite ist<br />
ein Mann Mitte 20, der seit seiner Jugend von<br />
seiner pädophilen Neigung weiß. Nachstehender Text findet<br />
sich auf der Homepage von „Kinder im Herzen“ (www.kinderim-herzen.net),<br />
einem kollaborativen Blogportal zum Thema<br />
Pädophilie. Die Seitenbetreiber schreiben:<br />
„Wir sind eine Gruppe von pädophil empfindenden Menschen,<br />
die den Versuch wagen möchten, ein breiteres Bild zum Thema<br />
Pädophilie in die Öffentlichkeit zu tragen.<br />
Der Umgang mit dem Thema Pädophilie in der Öffentlichkeit<br />
wird oft von Fachleuten, Wissenschaftlern, Therapeuten und<br />
Journalisten bestimmt. Es ist kaum möglich, als pädophil empfindender<br />
Mensch eine Stimme zu bekommen und ungefiltert die<br />
eigenen Ansichten darlegen zu können. Unserer Ansicht nach<br />
scheint es vor allem einen Dialog über uns, aber kaum Austausch<br />
mit uns zu geben.<br />
Mit ´Kinder im Herzen´ (KiH) möchten wir versuchen, denjenigen<br />
Stimmen zu geben, die ansonsten selten Gehör finden. Wir<br />
möchten mit diesem Blog pädophilen Menschen, Angehörigen,<br />
Freunden und anderen, die mit dem Thema in Berührung gekommen<br />
sind, eine Bühne geben, um ihre Erfahrungen, Meinungen<br />
und Perspektiven zu dem Thema darzustellen.<br />
Unsere Grundsätze: Wir sind der Meinung, dass jegliche Form<br />
von sexuellen Kontakten zwischen Kindern und Erwachsenen<br />
inakzeptabel ist, da das Risiko, dem Kind dabei Leid zuzufügen,<br />
nicht vertretbar ist. Das gilt ohne Einschränkung in jeder Situation,<br />
unabhängig davon, ob der Kontakt von dem Erwachsenen<br />
ausgeht oder scheinbar von dem Kind gewollt ist.<br />
Eine ähnliche Haltung vertreten wir auch beim Thema Kinderpornographie.<br />
Abbildungen, die den Missbrauch von Kindern<br />
dokumentieren, sind unserer Meinung nach moralisch nicht zu<br />
rechtfertigen und deren Produktion, Vertrieb und Besitz damit<br />
zu Recht strafbar.“<br />
SEITE Seite 00 36 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
SIRIUS<br />
DIE GRAUSAMKEIT DES SCHWEIGENS<br />
Wisst Ihr, was für mich das Schwierigste daran ist, pädophil<br />
zu sein? Es ist nicht, meinen Trieb ständig kontrollieren<br />
zu müssen. Es fällt mir grundsätzlich nicht<br />
schwer, ein Kind nicht zu missbrauchen, so, wie es einem<br />
"normalen" heterosexuellen Mann wohl auch nicht<br />
schwerfällt, eine Frau nicht zu vergewaltigen.<br />
Es ist auch nicht so, dass ein Teil meiner Sexualität für<br />
immer unerfüllt bleiben muss, was aber nicht bedeutet,<br />
dass dies nicht manchmal verdammt frustrierend sein<br />
kann. Dennoch habe ich inzwischen Wege gefunden, mit<br />
meiner Sexualität umzugehen, sie gewissermaßen auf<br />
anderen Wegen auszuleben, ohne dass dabei ein Kind zu<br />
Schaden kommt. Jedenfalls ist das Thema „Sex mit Kindern“<br />
keines, das für mich stark belastend ist oder mich<br />
in tiefe Depressionen und Lebenskrisen versinken lässt.<br />
Es ist noch nicht einmal das das Schwierigste, dass es da<br />
draußen viele Menschen gibt, die alleine aufgrund meiner<br />
Sexualität eine schlechte Meinung von mir haben,<br />
mich am liebsten wegsperren oder sogar foltern und ermorden<br />
würden. Damit könnte ich umgehen, wenn ich<br />
zumindest etwas darauf erwidern könnte.<br />
Nein, das Schwierigste für mich ist es, damit umzugehen,<br />
permanent zum Schweigen verdammt zu sein.<br />
Aufgrund einer drohenden Stigmatisierung ist es immer<br />
noch sehr gefährlich, sich als pädophil zu outen. Die Folgen<br />
könnten der Verlust von Freunden, Familie, Arbeitsplatz<br />
oder Wohnung und sogar körperliche Angriffe sein.<br />
Entsprechend vorsichtig muss ich vorgehen bei der Überlegung,<br />
wem ich im sogenannten „echten Leben“ von<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
meiner Pädophilie erzähle. Und Online, wie<br />
etwa hier in diesem Blog, kann ich deshalb<br />
nur unter einem Pseudonym auftreten. Die<br />
Konsequenz: In vielen Alltagssituationen<br />
bin ich stark eingeschränkt und muss genau<br />
aufpassen, was ich sage, um mich nicht unnötig<br />
in Gefahr zu bringen. Zum Schweigen<br />
verdammt. Und das ist äußerst belastend.<br />
Vor Kurzem erst war ich in ein Gespräch<br />
verwickelt, in dem man irgendwann auf das<br />
Thema LGBT (Anm.d.Red.: Abkürzung für<br />
Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) kam.<br />
Im Laufe des Gesprächs dann die Aussage<br />
eines Bekannten: „Also, ich hab kein Problem<br />
mit dem, worauf jemand steht, ganz<br />
gleich, was immer das auch ist. Bis auf Pädophilie,<br />
das ist krank und geht gar nicht!"<br />
Wie gerne hätte ich mich an dieser Stelle<br />
als pädophil zu erkennen gegeben und geäußert,<br />
wie sehr mich solche Aussagen verletzen.<br />
Den Spruch des Bekannten selbst hätte ich<br />
als weniger schlimm empfunden, wenn ich<br />
meinem Ärger in dieser Situation Ausdruck<br />
verleihen hätte können. Wer weiß, vielleicht<br />
wäre sogar ein konstruktiver Austausch<br />
möglich gewesen. Aber aufgrund der<br />
besagten Gefahren ist ein Outing auch in<br />
solchen Situationen nicht möglich. Und so<br />
bleibt nur eines: Schweigen. Im öffentlichen<br />
Seite 37
Diskurs zum Thema Pädophilie hat es sich zudem eingebürgert,<br />
dass wie selbstverständlich nur über uns Pädophile<br />
geredet wird, aber die Leute fast schon in Panik<br />
verfallen, wenn wir auch mitreden wollen. Für die meisten<br />
Menschen scheint der Gedanke fast schon absurd zu<br />
sein, auch mal mit uns zu reden.<br />
NICHT<br />
TÄTER<br />
WERDEN<br />
In Online-Diskussionen zum Thema Pädophilie bin ich oft<br />
auf Erstaunen und Empörung gestoßen, wenn ich mich<br />
offen zu meiner Neigung bekannt und zu Wort gemeldet<br />
habe. Nicht selten wurde ich auf Internetseiten alleine<br />
dafür gesperrt. In der Öffentlichkeit haben Pädophile<br />
kaum eine eigene Stimme.<br />
Therapieprogramme wie „Kein Täter Werden“<br />
übernehmen Öffentlichkeits-, Aufklärungs- und Informationsarbeit<br />
für uns. In den meisten Medienberichten<br />
über Pädophilie wird mindestens ein Therapeut zu<br />
Rate gezogen, selten wird es akzeptiert, dass persönlich<br />
Betroffene zu Wort kommen. Es scheint fast so, als würde<br />
man uns nicht zutrauen, für uns selber zu sprechen.<br />
Für Menschen mit Behinderung gibt es die von der Bundesregierung<br />
unterstützte Devise „Nicht ohne uns über<br />
uns“. Bei Pädophilen hingegen ist es Normalität, dass<br />
ohne uns über uns geredet und entschieden wird.<br />
Bei vielen Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen<br />
können Betroffene sich anonym<br />
melden. Es wird unbürokratisch Hilfe angeboten,<br />
Fragen werden ohne Vorverurteilung<br />
beantwortet.<br />
www.maenner.at<br />
www.nicht-taeter-werden.at<br />
www.courage-beratung.at<br />
www.psyonline.at<br />
www.psychologen.at<br />
www.promenteplus.at<br />
www.gewaltinfo.at<br />
www.kinder-im-herzen.net<br />
www.schicksal-und-herausforderung.de<br />
www.kein-taeter-werden.de<br />
Bild: PantherMedia/Karsten Ehlers<br />
Genau das macht die Stigmatisierung, die Ablehnung und<br />
den Hass gegen uns noch viel schwerer ertragbar: Dazu<br />
verdammt zu sein, schweigend daneben zu stehen, ohne<br />
etwas sagen zu können. Ärger, Frust, Wut, aber auch<br />
Traurigkeit bleiben unausgesprochen und stauen sich<br />
innerlich an, bis sie sich irgendwann gegen einen selber<br />
richten und zu Selbsthass und -zerstörung werden.<br />
Ich hoffe, dass es irgendwann möglich sein wird, offen<br />
als pädophil aufzutreten und sich gegen die Stigmatisierung<br />
und Diskriminierung zu wehren. Der Blog ist vielleicht<br />
ein erster Schritt in diese Richtung, zumindest hier<br />
kann ich das äußern, was ich anderswo nicht loswerden<br />
Seite 38<br />
kann. ⓿<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
PAUL WIESINGER<br />
Jahrgang 1930<br />
ZUM HOCHZEITSTÅG<br />
ÅLLS GUATE<br />
SUJO<br />
Schau in Spiagl, ålt samma wårn und gånz schen grau<br />
Zum Hochzeitståg ålls Guate! Is wirklich wåhr?<br />
Neunzehnfuchzg håmma gheirat, des san heanz genau<br />
A wånns net zum Glaubm is, gråd siebzig Jåhr!<br />
Viel Årbeit håmma ghåbt. Am Hof und a miteinånd<br />
Von Liebe wår am Ånfang koa Red<br />
Durchhålten håts ghoaßn, wår gråd da Kriag aus im Lånd<br />
Wir håms probiert, nåchm Motto ´Was geht, des geht´<br />
Wiast mi as easchte Mål gsehn håst, håb i dir net gfålln<br />
Då wolltest mi nit amål griaßn<br />
Du wårst für mi åber die Schönste von ålln<br />
Und so hab i um dei Hånd ånhålten miassn<br />
WIR<br />
Legenden der Wahrheit<br />
im Flüstern der Worte.<br />
Wissen der Alten,<br />
Keim der Welt,<br />
im Gestern des Morgen.<br />
Im Kampfe gewahrt,<br />
für Blut vergossen,<br />
mächtig beschworen.<br />
Gewollt, besessen, genossen<br />
und doch verloren.<br />
Bild: A. P. Tauser<br />
Liebe? De håmma erst lernen miassn wir zwoa<br />
Nåch und nåch und Stück für Stück<br />
Wennst Zweisåmkeit ehrst und Respekt håst davor<br />
Dann ist des Ziel a gånz besonderes Glück.<br />
Und so sågn wir zwoa heut aus voller Überzeugung:<br />
Wir håm uns jeden Tåg füreinånder entschieden<br />
Vor Rücksicht und Åchtung a tiefe Verneigung<br />
Ma muass a wås tuan für Einklång und Frieden<br />
Vielleicht heat ma wer zua, wånn i heute såg:<br />
Håltets zåmm, dånn kommts durchs tiafste Tål!<br />
Und dir, mei Braut, zu unserem Ehrentåg:<br />
Wennst wüllst, i heirat di´ gern glei no amål!<br />
Mit Inbrunst beweint,<br />
in Tränen versunken.<br />
Die Einstigen<br />
der alten Zeit,<br />
die Sterblichen der Ewigkeit.<br />
Wir sind es,<br />
die sie waren.<br />
Blind liebend,<br />
im Traum berührt,<br />
mit ahnenden Herzen<br />
im Puls der Lebendigkeit<br />
versprochen.<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Seite 39
BEN LEANDER WILLGRUBER<br />
EIN EINHORN IM PFERDESTALL<br />
Man muss kein Hengst sein, um Mann zu sein<br />
I<br />
revolutionär gefeiert, wovon sich Schwule<br />
seit den Achtzigern erzählen: dunkle Lokale<br />
mmer im Juni startet die Gay Pride-Saison. Diese und laute Musik, gepaart mit Sex.<br />
Zeit erinnert an die berühmten Stonewall-<br />
Die Sexualität offener auszuleben als Gesellschaft<br />
oder Kirche es uns vorschreiben<br />
Aufstände in New York, die sich gegen die Polizeigewalt<br />
innerhalb der LGBT-Gemeinschaft richteten. Regenbogenparaden<br />
wollen auf Länder und Orte aufmerksam machen,<br />
mögen, ist dabei eigentlich nur eine weitere<br />
Facette des schwulen Lebens, die sich langsam<br />
aber sicher in ein heteronormatives<br />
wo Homosexualität auch heute noch strafbar ist oder<br />
nicht akzeptiert wird. Mit Paradezügen wird gefeiert,<br />
Bild einfügt. Ich erinnere an David Beckham,<br />
der vor einigen Jahren stolz verkünde-<br />
dass wir uns in der westlichen Welt nicht mehr verstecken<br />
müssen, sondern Sichtbarkeit in der Gesellschaft, in<br />
te, ähnlich wie manch schwuler Mann sein<br />
den Medien und in der Politik erlangt haben. Und dass<br />
Aussehen zu pflegen. Der metrosexuelle<br />
Aussagen wie die vom Grazer Bürgermeister Siegfried<br />
Mann, der sich um sein Äußeres kümmert<br />
Nagl, der sich 2003 weigerte, „Homosexualität zur Normalität<br />
in unserer Gesellschaft zu erklären“ (Die Presse,<br />
und „manscaping“, also das Trimmen von<br />
Körperhaaren, betreibt, war geboren. Mit<br />
2003), heute auf massiven Gegenwind stoßen würden.<br />
der Betonung, dass dieser nicht schwul ist.<br />
Schwule Männer brauchen hierzulande keine Angst mehr Geschlechterrollen waren zu dieser Zeit<br />
vor gewalttätigen Übergriffen haben, wenn sie sich in wohl noch um einiges starrer, als sie es<br />
Wäldern, auf Parkplätzen oder in öffentlichen Toiletten auch heute noch sind. Nach wie vor halten<br />
treffen. Heutzutage müssen wir aber auch gar nicht mehr nämlich viele Menschen an Vorstellungen<br />
an fragwürdige Orte gehen, um anonymen Sex zu haben. darüber fest, was es heißt, ein Mann zu<br />
Wir können unsere Sexualität frei und offen ausleben, so sein. Dabei sollte Männlichkeit (und Weiblichkeit<br />
gleichermaßen) vielleicht weniger<br />
wie wir es wollen.<br />
über Aussehen und Verhalten definiert werden,<br />
sondern einfach nur darüber, wie man<br />
Sexuelle Befreiung<br />
sich fühlt.<br />
Fast schon ironisch, dass nun an vielen Stellen die sexpositive<br />
Szene zur sexuellen Befreiung durch Partys und<br />
Unerwartete Freiheit<br />
Clubs aufruft. Das Kitkat oder das Lab.oratory in Berlin,<br />
zeitverzögert gefolgt von der Schwelle und dem Zusammen<br />
Kommen in Wien. Dort wird das als dass meine Art zu leben nie ganz akzeptiert<br />
Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen,<br />
Seite 40 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
sein würde. Wie viele andere Schwule<br />
habe ich mich vor Eltern, Freunden und<br />
Mitschülern verstellt und ein heterosexuelles<br />
Leben vorgespielt. Ich fühlte mich<br />
nicht wie ein richtiger Mann und habe<br />
erst Jahre später zu mir und meiner Sexualität<br />
gestanden. Dann erst habe ich aussortiert,<br />
welche Verhaltensweisen meiner<br />
Jugend wirklich zu mir und meiner Persönlichkeit<br />
gehörten und was nur geschauspielert<br />
war.<br />
Früher dachte ich, dass mir unüberwindbare<br />
Hürden im Wege stehen würden. Zu<br />
heiraten oder Kinder zu bekommen,<br />
schien für mich absolut unmöglich. Aber<br />
der gesetzliche Fortschritt ist, gleich wie<br />
der gesellschaftliche, nicht stehengeblieben.<br />
Ich kann mich glücklich schätzen,<br />
heutzutage fast die gleichen Rechte wie<br />
alle anderen zu haben, selbst wenn ich<br />
gedanklich schon damit abgeschlossen<br />
hatte, jemals in der Lage zu sein, eine eigene<br />
Familie zu gründen.<br />
Heute ernte ich weniger missachtende<br />
Blicke als noch vor einigen Jahren, wenn<br />
ich Händchen haltend mit meinem Freund<br />
spazieren gehe. Letztens ist uns ein junger<br />
Mann gefolgt, nur um uns zu unserem<br />
Mut zu gratulieren, eng umschlungen<br />
durch die Stadt zu gehen. Ich wunderte<br />
mich über diese bestimmt nett gemeinte<br />
Aussage. So mache ich doch nichts anderes<br />
als ich selbst zu sein, ohne die Filter<br />
meiner Jugend. Ich will nur das tun, wofür<br />
Generationen schwuler Männer vor<br />
mir gekämpft haben. Dafür will ich keine<br />
Trophäe und keinen Applaus, sondern<br />
einfach nur das Gefühl, endlich in einer<br />
Welt angekommen zu sein, die Homosexualität<br />
zur Normalität erklärt. ⓿<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Seite 41
MUSIK<br />
„NACKTHEIT<br />
IN IHRER<br />
REINSTEN<br />
FORM“<br />
Der Souffeur<br />
spricht mit dem<br />
Poeten und Musiker<br />
Salò über das<br />
Video zum Song<br />
„Tränen zu Wein“.<br />
I<br />
n einem Lied, einem Song<br />
treffen sich immer gleich<br />
mehrere Kunstformen. Der unendlich<br />
weite Raum der Musik nimmt<br />
das Universum der Dichtkunst in<br />
sich auf. In einem Musikvideo entsteht<br />
um das Werk herum zusätzlich<br />
Bild: Mario Hainzl<br />
Seite 42<br />
ein Kokon aus bewegten Bildern, befruchtet<br />
das Ursprungswerk im besten<br />
Fall.<br />
Kunst existiert abseits konventioneller<br />
Definitionen – abseits des<br />
Beuys`schen „erweiterten Kunstbegriffs“.<br />
Abseits von Ready-made,<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
dem Objet Trouvé, einem Alltagsgegenstand<br />
oder Abfall, der wie ein Kunstwerk behandelt<br />
wird, abseits von klassischen bildenden<br />
Formen wie Plastik und Malerei. Also<br />
selbstverständlich nicht nur im Zusammenhang<br />
mit den Wortbedeutungen Können und<br />
Geschicklichkeit. Aktionskunst hat sich bereits<br />
vor vielen Jahrzehnten als Schnittmenge<br />
von Kunst und Politik entwickelt. Ist ein<br />
Musikvideo mehr als ein simpler Clip?<br />
Souffeur: Über YouTube und Co. kann<br />
das Video zu Deinem Song „Tränen<br />
zu Wein“ gefunden und mit Augen und<br />
Ohren entdeckt und erlebt werden. Wie<br />
viel Arbeit steckt hinter einem Musikvideo?<br />
Mit dem kreativen Prozess des Songwritings<br />
ist es hier ja nicht getan, oder?<br />
talentierten Braut (Mia Feline), dem mega geilen Schnitt<br />
von David Gesslbauer, dem Colour-Grading (Manuel Portschy),<br />
den Special Fx (Flo Flake), dem Make-Up (Stefanie<br />
Pieper) und nicht zuletzt jeder einzelnen Seele des im Video<br />
zu sehenden Menschenmeeres.<br />
Wir alle kennen Menschen, die, wenn sie ein Musikvideo<br />
sehen, in denen sich nackte Menschen tummeln,<br />
von Sittenlosigkeit sprechen, von Verworfenheit und<br />
davon, dass derartige Werke erstens keine Kunst und<br />
zweitens „krankhaft“ seien. Was sagst Du dazu?<br />
Da das Video mit einer entsexualisierten Form von Nackt<br />
heit spielt, würden mich solche Werturteile nur peripher<br />
tangieren, um es gut bürgerlich zu formulieren. Ich stehe<br />
zu meinen Lastern, wie ich zu meinen Tugenden stehe.<br />
Außerdem hat ein bisschen Verworfenheit noch keinem<br />
geschadet.<br />
Salò: Da „Tränen zu Wein“ mein erstes Musikvideo<br />
war – und auch meine erste Erfahrung<br />
mit der Videoproduktion allgemein –,<br />
war ich sehr überrascht, wie viel Zeit und<br />
Arbeit so ein Video von "nur" ein paar Minuten<br />
in Anspruch nehmen kann. Da war<br />
das Schreiben des Songs noch die kleinste<br />
Arbeit. Das Stichwort ist Teamwork.<br />
Das Video wäre nie möglich<br />
gewesen, ohne ein so großartiges Team<br />
am Start zu haben, beginnend bei der extraordinären<br />
Regie (Mario Hainzl) und Kamera<br />
(Gerfried Guggi), der Koordination der Performer*Innen<br />
(Christina Fritz), Kamera-<br />
Assistenten und Best-Boys (Manuel<br />
Schaffernak, Kevin Wendler), der<br />
wunderschönen und<br />
super<br />
Die einen Kunstkonsumenten halten alles Unkonventionelle<br />
für schlichte Inszenierung, die anderen erkennen<br />
in jedem Kunstwerk eine politische Manifestation. Wo<br />
stehen Dein Song „Tränen zu Wein“ und vor allem die<br />
Absicht hinter dem Video im Spannungsfeld dieser verschiedenen<br />
Perspektiven?<br />
Ich schreibe meine Musik oder plane Videos und die Live-<br />
Performance nicht aus einer Doktrin heraus, sondern<br />
handle eigentlich auf Basis von Intuition und Gefühl.<br />
Nacktheit in der Kunst gibt es, seit es Kunst gibt. Ich<br />
trenne einmal plakativ und stelle auf die eine Seite die<br />
heroische, also idealisierende<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Seite 43
Nacktheit, und auf die andere eine<br />
bewusst mit Ästhetik spielende<br />
skandalorientierte. Griechische Komödie<br />
versus Pussy-Riot also gewissermaßen.<br />
Mit welcher Seite<br />
siehst Du Dein Video lieber<br />
verglichen?<br />
Wir hatten nie vor, mit Tränen zu<br />
Wein zu provozieren, ganz im Gegen<br />
teil: Vielmehr wollten wir Nacktheit<br />
in ihrer reinsten Form zeigen, frei<br />
von Werten und Moral, aber auch<br />
frei von Sexualisierung. Trotzdem<br />
steht für uns die Ästhetik im<br />
Vordergrund.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
⓿<br />
Szene aus dem Musikvideo zu Tränen zu Wein<br />
Tränen zu Wein<br />
Mein Körper<br />
Deine Regeln<br />
Ich tanz nach deiner Diktatur<br />
Ich bin nur ein<br />
Opfer<br />
Dargebracht auf deim Altar<br />
Ich schlachte mich aus<br />
Ich schlachte mich ab<br />
Nur für dich<br />
Gib mir ein Schluck vom Chlor mit Fanta<br />
Drück mir die Nadel in die Seele<br />
Dein Körper<br />
Meine Religion<br />
Macht meine Tränen zu Wein<br />
Tränen zu Wein<br />
Tränen zu Wein<br />
Ich habe keinerlei Prinzipien<br />
Ich hab dafür meinen Verstand<br />
Längst verloren<br />
Denn wann immer deine Reize mich berühren,<br />
Sterbe ich einen kleinen Tod nur für mich<br />
Sag, kommst du mit ans andere Ufer, Baby<br />
Ich geh ins Wasser nur für dich<br />
Dich dort mit einem andren Mann zu sehen<br />
Macht meine Tränen zu Wein<br />
Macht meine Tränen zu Dom Perignon<br />
Tränen zu Wein<br />
Tränen zu Wein<br />
Ich verstehe all den Terz nicht, sagen alle, die den Schmerz nicht kennen<br />
Ich verstehe all den Terz nicht, sagen alle, die den Schmerz nicht kennen<br />
Ich verstehe all den Terz nicht, sagen alle, die den Schmerz nicht kennen<br />
Ich verstehe all den Terz nicht, sagen alle die den Schmerz nicht<br />
Die ihr Herz nicht<br />
Die sich nicht kennen<br />
Seite 44<br />
Ich fühl mich neugeboren<br />
Ich fühl mich neugeboren ohne dich<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
ANDREA SCHIMEK-FISCHER<br />
GEDICHTE<br />
Ein Genuss<br />
Wenn er genüsslich aufbegehrt,<br />
sie aufspürt<br />
er, der führt,<br />
sich dann ergibt,<br />
spielerisch es liebt.<br />
Drei Herzen<br />
„Vergeblich!“,<br />
sagte das erste zum dritten Herzen.<br />
„Meins schlägt schon für Zwei.“<br />
„Dein Herz ist stark, es hat die Kraft<br />
des Meeres!“, sagte das dritte Herz.<br />
„Und was ist mit dem Verstand?“,<br />
fragte das Erste.<br />
„Ich schätze ihn, aber er hat nichts mit mir zu tun.“<br />
„Und das schlechte Gewissen?“<br />
„Frauensache!“<br />
„Und deine Eroberungsstrategie?<br />
Männersache?!“<br />
„Meine Liebste, gerade du<br />
müsstest es wissen,<br />
dass es unter uns<br />
keine Strategie gibt.<br />
Herzenssache!<br />
Es ist doch wie der Lockruf<br />
eines geheimnisvollen Vogels,<br />
dem wir folgen,<br />
und gegen dessen Magie<br />
wir machtlos sind!<br />
Ich wünschte nur,<br />
dass du dir eingestehst,<br />
wofür du schon so lange schlägst …“<br />
„Und das zweite Herz?“,<br />
fragt das Erste besorgt.<br />
„Es schlägt für dich, so wie du für es schlägst.<br />
Das Meer trägt auch mehrere Schiffe auf seinen Wogen.“<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Aus nippenden Küsschen<br />
einen einzigen Kuss küssen.<br />
Heißgelaufene Wüstenblume<br />
ist des Nippens satt!<br />
Wissend um wissend,<br />
das Etwas …<br />
trunken, trinken,<br />
im süßen Trunk<br />
versinken.<br />
Was dann kommt?<br />
Wenn sich trennt was eins,<br />
wenn aus zwei Lippen vier,<br />
wenn wieder Mensch statt Tier.<br />
Wenn der Kuss zum<br />
Lebenselixier,<br />
das Küssen<br />
zum Müssen wird ...<br />
Wissend um wissend,<br />
das Etwas…<br />
trunken, trinken<br />
im süßen Trunk<br />
versinken.<br />
… ist es an der Zeit<br />
es wieder zu tun …<br />
Meine Wogen<br />
Du hast meine Wogen gebogen.<br />
So wie du es willst.<br />
Mein wird zu Dein – Mannes Ego gestillt.<br />
Du hast mich belogen – betrogen<br />
um mein Leben mit mir.<br />
Alles dreht sich um dich,<br />
ich tanze nach dir.<br />
Ich habe verloren, unverfroren<br />
hast du meine Wogen gebogen.<br />
Seite 45
INTERVIEW<br />
SONDERANGEBOT<br />
Der Souffeur im Gespräch<br />
mit Menschen,<br />
die Sex zur Quelle eines<br />
Nebeneinkommens gemacht<br />
haben.<br />
V<br />
iktoria (551) aus Wien ist eine<br />
erfolgreiche Geschäftsfrau,<br />
Aron (3399) aus Graz, ein gut verdienender<br />
selbständiger Musiklehrer. Beide leben in<br />
festen Partnerschaften und beide haben eine<br />
ungewöhnliche Leidenschaft: Sex gegen<br />
Geld. Über sogenannte Taschengeld-Profile<br />
auf einschlägigen Internetseiten werden sie<br />
von Menschen gesucht und gefunden, die<br />
bereit sind, für körperliche Nähe und Sex zu<br />
bezahlen. Der Souffeur fragt, Viktoria und<br />
Aaron antworten.<br />
Foto: A.P.Tauser<br />
SEITE 46<br />
Souffeur: Du bist nicht Sexarbeiter/in n<br />
in jenem Sinne, dass Du Deinen Lebensunterhalt<br />
mit der Lust verdienst. Wie oft<br />
hast Du Treffen mit Menschen, die mit Dir<br />
Sex wollen? Wie läuft so ein Treffen ab?<br />
Nur Männer oder auch Frauen?<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Viktoria: Neben meinem recht gut bezahlten<br />
440- bis 550-Stunden-Job bin ich in der<br />
privilegierten Lage, dieser „Passion“ nachgehen<br />
zu können, wann immer ich Lust dazu<br />
verspüre und mögliche „Anwärter“ für<br />
passend befinde. In der Regel plane ich einen<br />
Termin pro Woche ein, der sich mit<br />
meinen durch Dienstreisen bedingten Aufenthalten<br />
irgendwo in Österreich deckt. Ich<br />
werde über eines meiner Profile auf einschlägigen<br />
Plattformen angeschrieben.<br />
Aus dem jeweiligen<br />
Kontaktmail<br />
kann ich<br />
mittlerweile<br />
schon ganz gut herauslesen, wie jemand<br />
tickt. Ein Telefonat im Vorfeld gibt dann<br />
noch weiteren Aufschluss, ob jemand in<br />
Frage kommt oder nicht.<br />
Ich bevorzuge Treffen im Hotel, Hausbesuche<br />
mache ich selten, und wenn, bei Herren,<br />
die ich bereits kenne und die ein entsprechendes<br />
Ambiente bieten können. Begleitungen<br />
zum Dinner mit anschließendem<br />
Ausklang im Hotel sind auch immer wieder<br />
gefragt.<br />
Jeder Mensch ist einzigartig, was Vorlieben<br />
und Bedürfnisse anbelangt, und genauso<br />
verschieden laufen Treffen ab. Die Herausforderung<br />
für mich ist, es für alle Beteiligten<br />
angenehm zu gestalten. Ich treffe Männer,<br />
Frauen haben mich noch nie<br />
kontaktiert.<br />
Aron: In manchen Zeiten zweimal in der<br />
Woche, manchmal ein halbes Jahr gar nicht.<br />
Fast ausschließlich bei mir in der Privatwohnung.<br />
Ich bin Klavier- und Gesangslehrer<br />
für Erwachsene, und wenn ich tagsüber<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Erotiktreffen bei mir im Musikraum habe, dann ist ein<br />
solches für meine Mitbewohner – Ehefrau und Teenager-<br />
Kinder – offziell ein Kunden-Termin. Bei vielen Treffen<br />
ist meine Frau aber auch dabei. Sie liebt es, mir beim<br />
Spielen mit anderen Männern zuzusehen. Ich muss anmerken:<br />
Ich habe mit Männern keinen Verkehr, sondern<br />
verwöhne sie auf Basis von Safer Sex mit Händen und<br />
Mund.<br />
Warum Taschengeld? Was reizt Dich daran?<br />
Viktoria: Zurechtgemacht nur auf „Aufriss“ zu gehen, ist<br />
mir eindeutig zu wenig. Ich liebe das knisternde Spiel von<br />
Geben und Nehmen in der Erotik, und es macht mich ganz<br />
besonders an, wenn mich jemand so reizvoll und interessant<br />
findet, dass diese Person meine Zeit sogar mit einem<br />
entsprechenden hohen Betrag wertschätzt und dann ein<br />
Treffen in den meisten Fällen wiederholen möchte.<br />
Aron: Ich habe heute nur mehr drei Männer, mit denen<br />
ich mich ab und zu treffe. Und die Minuten, in denen ich<br />
auf meine Besucher warte, mich und das Zimmer schön<br />
mache, bedeuten mir eine ganz besondere Form der Aufregung.<br />
Es ist keine Lüge, wenn ich sage, dass ich noch<br />
nie etwas mit meinen Taschengelderotikpartnern gemacht<br />
habe, was ich nicht auch ohne Geld gemacht hätte. Der<br />
letztlich eher symbolisch bezahlte Geldbetrag vereinfacht<br />
alles ungemein, unterstreicht die Basis der Treffen, nämlich,<br />
dass ich über den Verlauf bestimme. Alles unnötig<br />
Persönliche fällt weg, weil beide das Gefühl haben können:<br />
Alles geregelt.<br />
Ich habe ähnliche Treffen schon in meiner Studentenzeit<br />
gehabt. 77550 Treffen. Da musste ich jedes Mal schmunzeln,<br />
wenn ein Typ um 10 Uhr vormittags für 155 Minuten mit<br />
mir einen oft gar nicht einmal so kleinen<br />
Seite 47
Geldbetrag bezahlt hat. Viele von denen sind mit schlechtem<br />
Gewissen heim, ich hab das Geld gemeinsam mit meinen<br />
WG-Kollegen zum Partybudget gemacht.<br />
Würde ich heute so viele „Kunden“ haben und so viel Geld<br />
bekommen wie damals, würde ich ein entsprechendes Gewerbe<br />
anmelden. Diese Art des Einkommens ist, das darf<br />
man nicht vergessen, gewerberechtlich und finanzbehördlich<br />
verboten. Es gibt sehr viele Kontrollen in diese Richtung.<br />
die letztlich nie kommt. Für mich persönlich<br />
ist das eine viel traurigere Art des Ausverkaufs<br />
der Seele!<br />
Könntest Du Dir vorstellen, hauptberuflich<br />
als Sexarbeiter/in tätig zu sein?<br />
Viktoria: Mit meinem Wissen und den bisherigen<br />
Erfahrungen könnte ich mir durchaus<br />
vorstellen, meine Passion zum Hauptberuf<br />
zu machen.<br />
Aron: Auf<br />
keinen Fall!<br />
Was, wenn<br />
da immer<br />
wieder Männer<br />
dabei<br />
sind, die mir<br />
Hast Du eine/n Partner/in? Wenn ja, was sagt er/sie zu nicht gefallen, die mich nicht sexuell anziehen?<br />
Ich würde verhungern als professio-<br />
Deinem Hobby? Wissen andere Menschen in Deinem<br />
Umfeld davon? Wenn ja, musst Du Dir negative Kritik nelle Hure. Die Vorstellung, Männer zu berühren,<br />
die ich abstoßend finde, die ich<br />
gefallen lassen? Wirst Du als unmoralisch, als Hure abgewertet?<br />
nicht riechen kann, die mir zuwider sind …<br />
Ich möchte gar nicht daran denken. Ein bedingungsloses<br />
Grundeinkommen wäre in<br />
Viktoria: Mein Partner, mit dem ich seit 10 Jahren zusammenlebe,<br />
weiß von meinem zweiten Leben und schöpft diesem Zusammenhang vor allem für viele<br />
beim gemeinsamen Sex sogar Erregung daraus, dass so Profi-Huren eine Basis, loszukommen von<br />
viele Männer „seine Frau“ begehren und ihn beneiden. In einer halblegalen Form der Sklaverei.<br />
meinem privaten Umfeld weiß kaum jemand davon, die<br />
wenigsten hätten dafür Verständnis. Verlieben sich Männer in Dich? Hast Du<br />
Dich schon einmal in einen „Kunden“ verliebt?<br />
Wie gehst Du damit um?<br />
Aron: Hure bin ich in gewisser Hinsicht in gewissen Bereichen<br />
meiner Persönlichkeit ja auch. Für mich ist das<br />
aber nichts moralisch Verwerfliches. Ich kenne Menschen,<br />
Viktoria: Ohne überheblich wirken zu wollen,<br />
meine ich schon, dass sich der eine o-<br />
die wochenlang, jahrelang tagtäglich Dinge für Geld tun,<br />
die sie hassen, die sie krank machen. Am Montag auf den<br />
der andere Gast verliebt hat. Ich trenne dies<br />
Freitag warten, am Ersten des Monats auf den Ersten des<br />
jedoch so rigoros von meinem Privatleben,<br />
nächsten Monats, im Winter auf den Urlaub im Sommer,<br />
dass ich mit keinem meiner Gäste über einen<br />
sehr oberflächlichen Mailkontakt für<br />
mit 2255 darauf, dass man endlich 6655 und in Rente ist. Das<br />
ganze Leben wird zur Wartezeit. Warten auf eine Freiheit,<br />
Terminvereinbarungen hinaus<br />
Seite 48 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
kommuniziere.<br />
Umgekehrt gibt es auch einige wenige Herren,<br />
auf die ich mich schon immer sehr<br />
freue, wo beim Treffen fast romantisch verliebte<br />
Stimmung aufkommt. Aber ich<br />
schaffe es trotz all der liebevollen Geschenke,<br />
der tollen Musik, die bei Treffen im Hintergrund<br />
läuft, und dem sinnlich erfüllenden<br />
Kuschelsex dann doch, gefühlsmäßig<br />
nicht zu sehr reinzurutschen. Das funktioniert<br />
meiner Meinung nach nur, weil<br />
ich in einer emotional gefestigten<br />
und glücklichen Beziehung lebe.<br />
90 Prozent der Herren, die ich treffe, in festen Beziehungen.<br />
Männer, die über ihr Tun niemandem Rechenschaft<br />
ablegen müssen, sind eindeutig die Minderheit. Bei einigen<br />
meiner „Wiederholungstäter“ habe ich durchaus den<br />
Status einer Geliebten. Sie schätzen die Tatsache, dass sie<br />
für Erotik bezahlen, damit sie ihre Verpflichtungen erfüllt<br />
haben und von mir keine weitere Gefahr für ihr Privatleben<br />
ausgeht.<br />
Aron: Alle meine männlichen Besucher sind verheiratet.<br />
Aron: Ich habe mich selbstverständlich<br />
noch in keines meiner Dates verliebt,<br />
meine Bisexualität beschränkt<br />
sich auf die erotische Ebene. Meine<br />
Frau und ich haben hin und wieder<br />
auch Treffen mit Paaren, ohne Taschengeld<br />
selbstverständlich. Sind da<br />
Gefühle mit im Spiel, ist das kein<br />
Problem. Verliebtsein ist schön, mit<br />
der Liebe zwischen mir und meiner<br />
Frau hat das nichts zu tun. Menschen theatralisieren<br />
dieses Thema viel zu sehr. Ich<br />
kann einen Menschen lieben und zugleich in<br />
einen anderen verliebt sein. Umgekehrt haben<br />
sich Männer bereits in mich verliebt.<br />
Damit umgehen? Pragmatisch: Ich kann darauf<br />
hinweisen, dass die jeweiligen Treffen<br />
auf monetärer Basis stattfinden. Wie gesagt:<br />
Alles geregelt.<br />
Wie viele Deiner Dates haben feste PartnerInnen?<br />
Bist Du für manche Deiner Lover<br />
eine Art Geliebte/r? Wie ist es zu wissen,<br />
dass Du der Seitensprung bzw. das Erotikabenteuer<br />
für einen verheirateten Mann<br />
bist?<br />
Viktoria: Meiner Erfahrung nach leben gut<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Zu mir kommen übrigens auch Damen, auch die sind alle<br />
verheiratet. Einige meiner Bekanntschaften befinden sich<br />
in längst schon belastenden Beziehungskonstellationen.<br />
Ich verheimliche den Empfängern meiner Berührungen<br />
nicht, dass ihr Verhalten für mich eine Flucht vor klaren<br />
Entscheidungen ist. In der Vergangenheit, als ich noch<br />
mehr Treffen hatte, wurden viele Männer zuerst von der<br />
Lust auf ein Abenteuer zu mir und danach von dem<br />
schlechten Gewissen wieder heim getrieben. Trieb ist hier<br />
ein passendes Wort. Die haben mich besucht und waren 2<br />
Minuten nach dem „Kommen“ bereits wieder auf der Autobahn.<br />
Wahrscheinlich fiebrig auf der Suche nach einer<br />
Ausrede für das späte Heimkommen, angeekelt von ihrem<br />
eigenen Handeln. Aber das muss jeder meiner Besucher<br />
mit sich selber ausmachen, ich bin keine Moralinstanz.<br />
Bei Treffen nur klassischer Sex oder auch ausgefalle<br />
Seite 49
Spiele? Was hast Du schon alles erlebt? vorkommen, treffe ich nicht. Die Anonymität<br />
auf digitalen Plattformen bringt immer<br />
Viktoria: Diese Frage muss ich mit einer Gegenfrage beantworten:<br />
Was ist klassischer Sex, was ist ausgefallen? Unding, mit dem ich nicht so gut zurecht-<br />
wieder zwielichtige Gestalten hervor. Ein<br />
Was für den einen durchaus als Standard gilt, empfindet komme, ist die allgegenwärtige<br />
ein anderer vielleicht schon als arge, unvorstellbare „Unverbindlichkeit“ unserer Tage. Ohne<br />
Schweinerei. Aber so viel sei verraten: mein Potpourri ist Absage nicht erscheinen, geht für mich gar<br />
sehr breitgefächert. Was passiert, hängt jedoch vom Potential<br />
meines Gegenübers ab. Beispiel: Nur, weil jemand qualität, die meine Zeit entsprechend wert-<br />
nicht. Ich mag Menschen mit Handschlag-<br />
„Fifty Shades Of Grey“ gesehen hat, ist er noch lange kein schätzen.<br />
erstzunehmender dominanter Sexualpartner. Bei vielen<br />
Herren ist halt oft auch der Wunsch Vater des Gedankens, Aron: Fixe Treffen vereinbaren, dann nicht<br />
und das war’s dann aber schon. auftauchen. Das sind die, die sich nicht<br />
trauen, die ihr Bi-Interesse dann einhändig<br />
Aron: Ich bin ohnehin ein an vielem interessierter vor dem Monitor ausmachen. Oder ich bringe<br />
so viel Unglück, dass bei vielen Männern<br />
Mensch. Ich habe schon so einige Fetische und Spielvarianten<br />
kennengelernt, habe Männer ans Bett gefesselt, geknebelt<br />
und mit Dildos penetriert, habe für weibliche Be-<br />
haben, Wasserrohrleitungen platzen, Rehe<br />
gerade dann, wenn sie mit mir vereinbart<br />
sucher den Frauenarzt gespielt, sie mit den Füßen befriedigt,<br />
habe 22 Meter große und 1880 Kilo schwere Männer an dauern, Reifenpannen passieren …<br />
vors Auto laufen, Außentermine doch länger<br />
der Leine geführt, habe auf Gesichter und in Münder uriniert.<br />
Aber was ist schon ausgefallen? ges erlebt. Männer, die 220 Kilometer mit<br />
In Punkto Körperpflege habe ich schon eini-<br />
dem Fahrrad zu mir fahren, wollen sich<br />
Bekommt man mit zunehmender Zahl an Bekanntschaften<br />
eine bessere Menschen- bzw. Männerkenntnis? legen. Andere könnten ihre Schuhe um zwei<br />
dann ohne Dusche auf den Massagetisch<br />
Nummern kleiner kaufen, wenn sie Zehennägel<br />
und Fersenhornhaut abarbeiten wür-<br />
Viktoria: Ja, wenn man ein offener Mensch ist, lernt man<br />
grundsätzlich nie aus und sammelt laufend Erfahrungen. den. Solchen Männern sage ich offen, dass<br />
Mit der Zeit kann ich sagen, es gibt nichts, was es nicht ich sie nicht berühren und auch nie wieder<br />
gibt. Ich muss immer wieder staunen. sehen möchte. Einmal hat mir ein Mann –<br />
wohlgemerkt nach dem sexuellen Höhepunkt<br />
– einen Brieföffner an den Hals ge-<br />
Aron: Ja und nein. Manche Männertypen lernt man tatsächlich<br />
zu durchschauen mit der Zeit. Und manche Herren<br />
überraschen einen wieder vollkommen, sind dann we-<br />
Kniestoß in die Weichteile, auf meine Hilfehalten<br />
und Geld von mir gefordert. Ein<br />
sentlich versauter oder viel unterwürfiger, als man vermuten<br />
würde. der Hinweis darauf, dass er derjenige mit<br />
rufe in den Raum eilende WG-Kollegen und<br />
dem Geld ist, haben die Situation aber<br />
Welche negativen Erfahrungen hast Du gemacht? Gibt schnell geklärt.<br />
es negative Aspekte an Deiner Leidenschaft?<br />
Vielen Dank für die ehrlichen Antworten!<br />
Viktoria: Personen, die mir im Vorfeld nicht ganz astrein<br />
⓿<br />
Seite 50 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
du håst ma schene augn gmocht, madam<br />
und a jeda, der augn hot, der hot des gsehn<br />
und ih, ih hob jetzt waache knia<br />
i kumm ned weg vo dir, wö i kann jå ned gehen<br />
bei dir bleib ih daham<br />
BENNY RUPRECHT<br />
IH MÅG<br />
kånn mih vor lauter gspian ned mehr gspian<br />
nix is mehr, wias gestern wår<br />
i håb nix mehr unter kontrolle<br />
i waß ned: soll ich ångst håm davor?<br />
nur ned die nerven verliern<br />
geht’s dir a so, wia mir<br />
gpsiast unser zukunft, de neiche?<br />
aha! du bist da ned sicha<br />
dann schleich dih, is eh immer as gleiche<br />
ih kånn går nix dafia<br />
ih måg kane hund, und mein voda, den måg ih scho går ned<br />
und wer mih um an fuchzger anschnorrt, kriagt an vurtråg vo mir<br />
auf meine kostn frei sein? des is jå ned wåhr ned<br />
wo kämen ma hin, wenn ih an åndern sein lenz finanzier?<br />
und jå, du håst recht: ih håb so wås, wia a freindin oder a frau<br />
und ih bin so wås wia glücklich mit ihr, oder dånkbår. zwår net immer gånz frei<br />
åber wås is scho liebe? wås is scho glick? des waß kana genau<br />
ois kånn ma ned håm. Ih werd ernster und schweigsam, åber ih muaß zfriedn sein dabei<br />
åber na! mit dir! då wär ålles so leicht<br />
kumm! wia brauchn doch nix, außer uns zwaa<br />
und wånn du a kind wullast vo mir<br />
jå! bei dir såg ih ned naa<br />
hamma den himmü erreicht<br />
bei dir, då gspür ih a brennen<br />
kumm! laaf mit mir auf und davon<br />
vielleicht lebm ma wia kaiser oder vom betteln<br />
aber wuascht! des sehn ma dann schon<br />
jetzt haßts amål rennen<br />
und wånn du an hund wüst, fia dih måg ih den a<br />
ih nimm dih! ohne misstraun, jå, ohne zweifl<br />
wås sågst? du zweifelst schon?<br />
ah! dann geh doch zan teifl<br />
låss mi zruck, mi klans heifl<br />
ih måg kane hund, und mein voda, den måg ih scho går ned<br />
und wer mih um an fuchzger anschnorrt, kriagt an vurtråg vo mir<br />
auf meine kostn frei sein? des is jå ned wåhr ned<br />
wo kämen ma hin, wenn ih an åndern sein lenz finanzier?<br />
und jå, du håst recht: ih håb so wås, wia a freindin oder a frau<br />
und ih bin so wås wia glücklich mit ihr, oder dånkbår. zwår net immer gånz frei<br />
åber wås is scho liebe? wås is scho glick? des waß kana genau<br />
ois kånn ma ned håm. Ich werd ernster und schweigsam, åber ih muaß zfriedn sein dabei<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
SEITE 51
MANUEL M.<br />
(Name von der Redaktion geändert.)<br />
POSITIV TROTZ POSITIV<br />
Mein Leben mit HIV<br />
I<br />
ch bin 2266, komme aus Graz; bin seit nunmehr vier<br />
Jahren HIV-positiv.<br />
Im Jahr 22<strong>01</strong>66 kam ich mit Fieber und Darmbeschwerden<br />
ins Krankenhaus. Nach fünf Tagen Aufenthalt durfte ich<br />
mit der Diagnose „Proktitis“ (Darmentzündung;<br />
Anm.d.Red.) wieder raus, musste aber noch auf den abschließenden<br />
Arztbrief warten. In dieser Zeit hat mir eine<br />
Krankenschwester Blut abgenommen. Auf einem der Befundzettel<br />
stand: „HIV und Syphilis ausständig“. Ich<br />
schenkte dieser Anmerkung anfangs keine Beachtung.<br />
und möglichen Folgen wusste und keine<br />
Informationen hatte. Außer den Sachen, die<br />
man mal kurz in der Schule im Sexualunterricht<br />
anschneidet, oder nebenbei in den Medien<br />
hört. Mein damaliger Freund, der angehender<br />
Medizinstudent und bei der Rettung<br />
tätig ist, versuchte, mich mit aufmunternden<br />
Worten zu trösten. Er kannte HIV-<br />
Positive, die in Therapien waren und so gut<br />
wie keine Nebenwirkungen hatten. Für ihn<br />
war es von Tag eins an überhaupt kein<br />
Problem.<br />
Eine Woche später wurde ich in einem Telefonat mit den<br />
Ärzten gebeten, doch bitte am nächsten Tag dringend ins<br />
Krankenhaus zu kommen, weil im Befund „etwas unklar“<br />
sei, wie sie sagten. Wie verlangt, bin ich mit meinem damaligen<br />
Freund ins Spital und bekam dort dann die Diagnose:<br />
„HIV-positiv“.<br />
Treatment as Prevention<br />
Am nächsten Morgen, auf der Spezialambulanz,<br />
wurde mir der Großteil meiner Ängste<br />
genommen:<br />
Die versprochene, umfangreiche und komplette<br />
Information folgte. Psychologische<br />
Gefangen im Schock, bekam ich eine kurze, knappe, wenig<br />
professionelle Aufklärung und die Information: „Alle weiteren<br />
Fragen beantworten morgen die Kollegen auf der<br />
Spezialambulanz, wo bereits ein Termin für Sie vereinbart<br />
ist.“ Zusätzlich wurde mir mitgeteilt, dass ich ab sofort<br />
im Krankenstand sei.<br />
Ganz plötzlich dachte ich, meine Welt bricht zusammen,<br />
Seite 52<br />
da ich nichts vom Umgang mit der Krankheit<br />
Betreuung wurde mir angeboten und eine<br />
Therapie, mit der ich natürlich sofort begonnen<br />
habe und mit der es bis heute keine<br />
Probleme gibt. Sechs Monate nach der Diagnose<br />
durfte ich das erste Mal offziell sagen,<br />
ich bin „unter der Nachweisgrenze“. Ich<br />
werde weiterhin einmal im Quartal getestet,<br />
in meinem Blut können keine HIV-Viren<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
mehr gefunden werden, die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ich jemanden mit der Krankheit<br />
anstecken könnte, ist demnach so gut<br />
wie null. Dennoch ist es Pflicht, Sexualpartner<br />
darauf hinzuweisen, dass ich HIVpositiv<br />
bin. Ich bin seit einem Jahr wieder<br />
in einer glücklichen Beziehung. Mein<br />
Freund ist HIV-negativ, meine Krankheit<br />
war für ihn nie ein Problem. Ein paar Mal<br />
hab ich bereits darüber nachgedacht, wo<br />
und wie ich mich infiziert haben könnte. Ich<br />
vermute, dass es während einer Sexparty<br />
passiert ist. Bei einem meiner Spielpartner<br />
platzte wegen seines Prinz-Albert (Piercing<br />
am Eichelkranz des Penis; Anm.d.Red.) das<br />
Kondom. Der Typ meinte nur, dass nichts<br />
passieren könne, weil er gesund sei und ist<br />
abgehauen.<br />
PreP – Die Pillen davor<br />
Ich denke, dass Aufklärung im Zusammenhang<br />
mit HIV das Wichtigste ist – und das<br />
nicht nur in der Phase einer entstehenden,<br />
wachsenden Partnerschaft. Trotz dessen ich<br />
HIV-positv war, hatte ich als Single Abenteuer<br />
und meinen Spaß. Oft bekam ich Abweisungen,<br />
weil jemand Angst hatte, sich<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
bei mir anzustecken, obwohl ich auf die erfolgreiche Therapie<br />
hinwies und Kondome ohnehin ein unverzichtbarer<br />
Schutz sein müssen. Viele Reaktionen, meine ich, sind auf<br />
mangelnde oder falsche Informationen zurückzuführen.<br />
Was mir auffällt, ist, dass in den letzten Jahren die PreP<br />
(*) bei vielen Menschen immer mehr zu einem Thema<br />
wird. Eine Ansteckung mit HIV kann dadurch zwar verhindert<br />
werden, die Prophylaxe schützt allerdings nicht<br />
vor anderen Geschlechtskrankheiten.<br />
⓿<br />
* PrEP: Prä-Expositions-Prophylaxe. HIV-Medikamente<br />
für HIV-negative Personen zum Schutz vor einer Infektion.<br />
Die PrEP ist seit Anfang 2<strong>01</strong>8 auf Privatrezept bei HIV-<br />
Behandlungszentren bzw. niedergelassenen HIV-<br />
ExpertInnen beziehbar. Voraussetzung ist ein HIV-Test.<br />
Die PrEP ist eine Ergänzung für Personen, die sich nicht<br />
mit anderen Methoden wie etwa durch Kondome schützen<br />
können und kein Ersatz der bestehenden Präventionsangebote.<br />
Informationen erhältlich bei einem Arzt/einer Ärztin<br />
mit Spezialisierung auf queere Gesundheit sowie bei BeraterInnen<br />
der Aids-Hilfe.<br />
Seite 53
INTERVIEW<br />
Körperabformung und Foto: Robert Stadler www.yoniversum.art<br />
Die Körperabformung zeigt den Torso von Helena Löffer<br />
ICD-10:<br />
PSYCHISCHE<br />
STÖRUNG MIT<br />
DEM CODE F6644<br />
Transgender? Transsexualität?<br />
Wühlen wir<br />
uns in einem Gespräch<br />
von Begriffichkeiten.<br />
mit Helena Löffer<br />
durch die Vielzahl<br />
A<br />
us einem Leserbrief<br />
in einer österreichischen<br />
Tageszeitung: Vereinzelt sind an öffentlichen Orten nicht nur Toiletten für Damen und<br />
Herren, sondern auch Räume mit der Türaufschrift „Anderes“ bzw. „Unisex“ zu finden.<br />
Was soll das? Gibt es denn mehr als zwei Geschlechter? Die Antwort darauf ist einfach: Ja.<br />
SEITE Seite 00 54 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Laut einer Studie, die ursprünglich in den<br />
USA durchgeführt und in den Niederlanden<br />
wiederholt wurde, erklärt einer von hundert<br />
Menschen, sich nicht eindeutig als<br />
Mann oder als Frau zu fühlen. In rund 220<br />
Staaten der Welt (darunter Deutschland,<br />
Österreich, Dänemark, Neuseeland, Kanada,<br />
Australien und mehrere Bundesstaaten der<br />
USA) wird mittlerweile ein unbestimmtes<br />
Geschlecht anerkannt, in Reisepässen etwa<br />
wird in diesen Fällen als Geschlechtsbezeichnung<br />
ein „X“ vermerkt.<br />
H<br />
elena, Du bist 21, Dein<br />
Geschlecht wurde nach<br />
Deiner Geburt als männlich festgelegt.<br />
Seit wann bist Du Helena?<br />
Helena: Ich lebe seit meinem 188. Lebensjahr<br />
als Transfrau.<br />
Zitat ICD-10, „Internationale statistische<br />
Klassifikation der Krankheiten“:<br />
„Störungen der Geschlechtsidentität.<br />
F64.0: Transsexualismus. Der Wunsch, als<br />
Angehöriger des anderen Geschlechtes zu<br />
leben und anerkannt zu werden. Dieser<br />
geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl<br />
der Nichtzugehörigkeit zum eigenen<br />
anatomischen Geschlecht einher. Es besteht<br />
der Wunsch nach chirurgischer und<br />
hormoneller Behandlung, um den eigenen<br />
Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit<br />
wie möglich anzugleichen. F64.1:<br />
Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung,<br />
um die zeitweilige Erfahrung der Zugehörigkeit<br />
zum anderen Geschlecht zu erleben.<br />
Der Wunsch nach dauerhafter Geschlechtsumwandlung<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
oder chirurgischer Korrektur besteht nicht; der Kleiderwechsel<br />
ist nicht von sexueller Erregung begleitet.“<br />
Empfindest du dich als krank?<br />
Helena: Als krank empfinde ich mich definitiv nicht.<br />
Nicht mehr. Einen einzigen alleinigen Grund für Transidentität<br />
gibt es nicht. Die Gene spielen hier eine entscheidende<br />
Rolle. Hat man lange Zeit angenommen, dass das X-<br />
und das Y-Chromosom für Frau (XX) und Mann (XY) zuständig<br />
sind, weiß man inzwischen, dass lediglich ein<br />
kleiner Baustein des Y-Chromosoms für die Entwicklung<br />
verantwortlich ist. Bis zur 88. Schwangerschaftswoche gibt<br />
es einheitliche „Geschlechtsmerkmale“, aus denen sich<br />
dann später entweder Eierstöcke und Gebärmutter oder<br />
Hoden, Prostata und Penis entwickeln. Ist das sogenannte<br />
SRY-Gen vorhanden, entwickeln sich männliche Geschlechtsmerkmale,<br />
fehlt es, entwickeln sich weibliche.<br />
Bei der Befruchtung werden bei der Frau die XX-<br />
Chromosomenpaare geteilt, so dass jedes Ei ein X Chromosom<br />
enthält. Bei dem Mann wird das XY-Paar geteilt,<br />
so dass jeweils ein Spermium mit X und eines mit Y Chromosom<br />
vorhanden ist. Trifft ein Spermium auf ein Ei, vereinigen<br />
sich die Chromosomen wieder zu XX oder XY. Soweit<br />
so gut. Bei der Teilung beim Mann kann es aber dazu<br />
kommen, dass das SRY-Gen auf das X-Chromosom wandert.<br />
Das Ergebnis: Es entwickelt sich eine Frau (XX-<br />
Chromosomen), durch den Einfluss des SRY-Gens entstehen<br />
allerdings männliche Geschlechtsmerkmale. Und das<br />
ist nur ein einziger Grund für Transsexualität. Einer von<br />
vielen. Transidente können für ihre Transidentität genau<br />
so viel wie ein 22 Meter großer Mann etwas für seine Größe<br />
kann. Nichts! Daraus erklärt sich auch, dass es nicht<br />
möglich ist, Transidentität zu heilen.<br />
Ich empfinde mich selbst als „besonders“ im positiven<br />
Sinne. Ich hatte aber mit 177 ganz schön mit mir selbst zu<br />
kämpfen. Damals empfand ich mich selbst schon als<br />
krank! Mein Stiefvater war nicht unbedingt LGBTfreundlich<br />
und ich hab heute noch Phrasen im Kopf, in<br />
denen er transidente Menschen als krank abstempelte.<br />
Heute hab ich zum Glück eine sehr positive Körperwahrnehmung<br />
und ich fühle mich wohl, so leben zu können,<br />
Seite 55
wie ich bin.<br />
Zur internationalen Krankheitsdefinition: Eine solche<br />
beträfe wohl viele Menschen in irgendeiner Form. Nach<br />
ICD-10-GM F65.0 etwa wird der „Gebrauch toter Objekte<br />
als Stimuli für die sexuelle Erregung und Befriedigung“<br />
als sexueller Fetischismus definiert. Fetischistische<br />
Störung. Von medizinischer Seite betrachtet ist<br />
auch Fetischismus eine Form der Paraphilie. Sexuelle<br />
Erregung durch Schuhe, Latex- oder Lederobjekte, und<br />
Damen- oder Reizwäsche, Dildos, Strumpfhosen, Piercings<br />
… Nach DSM-IV, Diagnostik und Klassifikation<br />
psychischer Störungen, gehören da auch Fuß-, Brustund<br />
alle anderen Körperteilfetische dazu. Nicht alles,<br />
was per Klassifizierung pathologisch ist, muss also<br />
auch im Alltag dementsprechend krankhaft sein. Seit<br />
wann weißt Du, dass Deine Identität nicht männlich<br />
ist?<br />
Helena: Ich habe so mit 166 angefangen zu realisieren,<br />
dass ich als Frau leben möchte. Ich hab damals angefangen,<br />
mich zu schminken und in der Frauenabteilung einkaufen<br />
zu gehen. Sprach mich allerdings jemand darauf<br />
an, ob ich nicht lieber eine Frau sein wolle, war meine<br />
Antwort immer Nein. Als ich das erste Mal mit einer<br />
Freundin über meine Identitätskrise gesprochen habe,<br />
war ich fast 188.<br />
Planst Du eine geschlechtsanpassende Operation?<br />
mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, wie<br />
schön mein Körper ist. Diese Menschen helfen<br />
mir auch, meine männliche Sexualität<br />
ausleben zu können.<br />
Du bist heute bereits in der präoperativen<br />
Hormontherapie?<br />
Helena: Also in Hormonbehandlung bin ich<br />
seit gut einem Jahr. Am Anfang war das eine<br />
sehr turbulente Zeit, beinahe so, als würde<br />
ich noch einmal pubertieren. Gefühlsschwankungen<br />
und Hitzewallungen waren<br />
meine ständigen Begleiter. Mittlerweile hat<br />
sich das aber zum Glück alles eingependelt.<br />
Es gibt zur Geschlechtsanpassung eine<br />
Reihe ergänzender Korrekturen: Brustvergrößerung,<br />
Stimmbandoperation, Verkleinerung<br />
des Adamsapfels. Planst Du Eingriffe<br />
dieser Art?<br />
Helena: An eine Brustvergrößerung dachte<br />
ich vor der Hormontherapie schon, allerdings<br />
bin ich mit dem Ergebnis der Hormonbehandlung<br />
zufrieden. Ich denke mir,<br />
jede Operation könnte auch nach hinten<br />
losgehen, und ich will für so etwas wie Perfektion<br />
nicht mein Leben riskieren.<br />
Helena: Ja, die nötigen Vorkehrungen dafür hab ich schon Fühlst Du Dich in emotionaler, partnerschaftlicher<br />
und in sexueller Hinsicht zu<br />
getroffen. Allerdings fühle ich mich zurzeit einfach noch<br />
nicht bereit dazu. Ich will mich zuerst noch sexuell ausleben<br />
und Erfahrungen sammeln, die ich nach der OP nicht gezogen?<br />
Frauen und Männern gleichermaßen hin-<br />
mehr machen kann.<br />
Helena: Mir war, glaube ich, mit 122 bewusst,<br />
dass ich auf Männer stehe und für<br />
Meinst Du damit Erfahrungen im Zusammenhang mit<br />
männlicher Erotik, männlichen Geschlechtsteilen? mich kamen Frauen nie in Frage. Darüber<br />
habe ich einfach nie nachgedacht. Als ich<br />
Helena: Ja. Ich durfte letztes Jahr eine Handvoll Menschen<br />
kennenlernen, die polyamor leben, und die haben nenlernte, entdeckte ich, dass ich auch<br />
dann im März meine neuen Freunde ken-<br />
Seite 56 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Frauen sexuell sehr anziehend finde, und seitdem schließe<br />
ich nicht aus, dass ich mich auch in eine Frau verlieben<br />
könnte. Geschlechtliche Identität ist zudem zu trennen<br />
von sexueller Identität. Die erotischen Ausrichtungen von<br />
nichtbinären Menschen sind genauso unterschiedlich und<br />
vielfältig wie die von binären.<br />
Wie hat Dein nahes Umfeld auf Deine Metamorphose<br />
reagiert?<br />
Helena: Mein Umfeld war ganz locker und ich glaube, die<br />
meisten haben schon auf den Tag meines Outings gewartet.<br />
Sogar mein<br />
Opa meinte schon, als ich im Kindergarten war, dass mit<br />
mir ein Mädchen verloren gegangen sei. Meine Onkel, die<br />
mir nach meiner Verwandlung zur Frau am Anfang noch<br />
recht zögerlich Küsschen beim Begrüßen auf die Wange<br />
drückten, sehen mich mittlerweile als ihre Nichte an. Ich<br />
muss sagen, dass ich ein wahnsinniges Glück habe, von all<br />
meinen Freunden und von der ganzen Familie unterstützt<br />
zu werden. Ab und zu komme ich in Situationen, in denen<br />
ich mich dennoch unwohl fühle. Meine Oma ist schon<br />
ziemlich dement, und sie kann sich an keine Helena erinnern.<br />
Kürzlich hat meine Mama versucht, Oma dabei zu<br />
helfen, sich zu erinnern, und gesagt: Das ist mein Sohn!<br />
Obwohl ich weiß, dass meine Mama es nicht böse gemeint<br />
hat, fühlte ich mich trotzdem verunsichert.<br />
Es gibt junge Menschen, die in ähnlicher Situation sind,<br />
wie Du vor einigen Jahren, die aber vielleicht ein wesentlich<br />
unfreieres Umfeld haben. Was kannst Du ihnen<br />
raten? Gibt es Hotlines, Anlaufstellen?<br />
Helena: Seid ihr selbst! Viele Jugendliche outen sich bei<br />
ihren Eltern und werden verstoßen, geschlagen oder gar<br />
tot geprügelt. Leben ist so wertvoll. Wer Angst hat, suche<br />
jemanden, der helfen kann. In Graz gibt es die Beratungsstelle<br />
„Courage“ für transidente Jugendliche. Dort kann<br />
man neben Einzelberatungen auch bei Gruppen-Meetings<br />
mit anderen Transgender-Veranstaltungen mitmachen.<br />
Liebe Helena, vielen Dank für das Interview!<br />
⓿<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Eine Deutung der Begrifflichkeiten.<br />
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.<br />
Gender: Soziales Geschlecht. Transgender bzw.<br />
Transidente, Transgeschlechtlichkeit,<br />
Transidentität oder Trans*: Menschen,<br />
deren geschlechtliche Identität nicht mit ihrer<br />
meist schon direkt nach der Geburt anhand von<br />
äußeren Merkmalen erfolgten Zuordnung zu einem<br />
bestimmten Geschlecht übereinstimmt.<br />
Transsexualität: Dieser Begriff wird im allgemeinen<br />
Sprachgebrauch in zunehmendem Maße vermieden,<br />
zu sehr steht er in einem pathologischen<br />
Kontext und in Verbindung mit einer sogenannten<br />
Heteronormativität, wonach Heterosexualität<br />
die soziale Norm und alles andere Symptom einer<br />
Krankheit ist.<br />
Genderfluid: Das Geschlecht kann zwischen verschiedenen<br />
Geschlechtern wechseln. Bigender: In<br />
der sozialen Identität Weiblichkeit und Männlichkeit<br />
in sich vereint. Pangender: Identifikation mit<br />
allen möglichen Geschlechtsidentitäten. Gender<br />
neutral oder Agender: Ohne Genderidentität.<br />
Queer: Genderidentität „quer“ zur vorherrschenden<br />
Norm der binären Heterosexualität. Ebenso<br />
Schlagwort für politische Bewegungen und Gruppen.<br />
FLTI*: Frauen, Lesben, Trans-Menschen mit Sexismuserfahrung.<br />
Nichtbinär: Geschlechtsidentitäten,<br />
die weder ausschließlich männlich<br />
noch weiblich sind, somit außerhalb einer<br />
binären Einteilung. Androgyn: Mischung o-<br />
der Kombination aus männlich und weiblich, zum<br />
Teil auch nur bezogen auf Kleidung und Verhalten.<br />
Intersexualität: Überbegriff für verschiedene<br />
klinische Phänomene, deren Ursache etwa bedingt<br />
ist durch Geschlechtschromosomen, Genetik<br />
oder hormonelle Entwicklung. Questioning:<br />
Das Hinterfragen und Entdecken der eigenen<br />
Identität und sexuellen Orientierung.<br />
Begriffe, die im Umfeld von Transgender zu finden<br />
sind: Transvestitismus (von lateinisch trans<br />
„hinüber, auf die andere Seite“, und lateinisch<br />
vestire „kleiden“) bezeichnet das Tragen von Kleidung,<br />
die einem anderen Gender zuzuordnen ist.<br />
(Eng verwandt mit dem meist erotischen Kontekt<br />
gebräuchlichen Crossdresser.) Damenwäscheträger<br />
(DWT): Unter der Alltagskleidung wird<br />
unsichtbar Wäsche des anderen Genders getragen.<br />
Auch als erotischer Fetisch gelebt. Drag,<br />
Dragqueen, Dragking: Menschen, die das jeweils<br />
andere Gender in übertriebener Weise darstellen.<br />
Travestie: Transvestitismus in künstlerischer<br />
Darstellung auf Bühnen.<br />
Seite 57
ALEXANDER A.<br />
EINSAMKEIT IST EINE ZELLE ...<br />
Eifersucht, Strafvollzug und Selbsterkenntnis<br />
E<br />
insamkeit ist eine Zelle, die sich nur von innen<br />
öffnen lässt. Ich habe diesen Spruch einmal irgendwo<br />
gehört. Und ich habe ihn sozusagen praktisch gelebt.<br />
Ich kenne die Einsamkeit, die von einem schwachen<br />
Ich verordnete und die von außen vorgegebene. Ich kenne<br />
das Gefangensein in den eigenen Unzulänglichkeiten, ich<br />
kenne die Zelle aus Beton und Stahl. Und ich kenne das<br />
Öffnen, das Sprengen der Ketten, das immer im innersten<br />
Inneren beginnt.<br />
Die Vorboten<br />
Als ich sechzehn war, hatte ich meine erste richtige<br />
Freundin. Die Sache ging damals nur über drei Monate,<br />
aber ich war unglaublich verliebt. Alles in meinem Leben<br />
war plötzlich nebensächlich: Meine Clique, die Schule,<br />
sogar mein Moped. Ich hatte das Gefühl, alles in meinem<br />
Leben nur auf das neu entdeckte Gefühl der Verliebtheit<br />
ausrichten zu müssen.<br />
Weil meine Freundin von heute auf morgen mein einziger<br />
Inhalt zu sein schien, kam nach wenigen Wochen schon<br />
immer mehr das Gefühl der Angst auf, ich könne dieses<br />
Geschenk wieder verlieren.<br />
Ich glaube, bis hierhin waren mein Fühlen und Denken in<br />
dieser Zeit nichts Ungewöhnliches. Die erste große Liebe<br />
lenkt ab von all den Zweifeln am eigenen pubertären Ich<br />
und von den Unstimmigkeiten im Elternhaus. Die Freundin<br />
wird vergöttert, idealisiert, an ihrem Leben ist alles<br />
besser als am eigenen.<br />
Mir ist damals sehr bald aufgefallen, dass ich ein wenig<br />
mehr konzentriert war auf das Thema Verlust als meine<br />
andauernden Zweifelns und des nahezu ununterbrochenen<br />
Streitens.<br />
Irgendwann war die Liebe vorbei. Und ich glaube heute,<br />
dass meine Eifersucht das Ende durchaus beschleunigt<br />
hat.<br />
Es folgten weitere kürzere und längere Liebeleien, meine<br />
Angst, betrogen zu werden, wurde immer größer, dominierte<br />
meine Beziehungen und meinen Alltag immer<br />
mehr.<br />
Öl im Feuer<br />
Vor knapp dreißig Jahren lernte ich dann eine Frau kennen,<br />
mit der mich eine von beiden Seiten getroffene<br />
Entscheidung für ein gemeinsames Leben<br />
verbinden sollte. Sie und ich hatten vom ersten<br />
Moment an das Gefühl, für eine gemeinsame<br />
Zukunft bestimmt zu sein. Wir sahen<br />
uns als Seelenverwandte: Auf allen Ebenen<br />
blindes Verstehen. Eifersucht war kein Thema,<br />
wir waren wie füreinander bestimmt.<br />
Doch schon ein paar Monate später die ersten<br />
Spannungen. Der Grund dafür ein altbekannter:<br />
Ich war mir sicher, meine Freundin flirte<br />
beim Unterwegssein mit anderen Männern.<br />
Sie bestritt von Anfang an alles, was ich ihr<br />
unterstellte. Zu Beginn schmeichelten ihr<br />
meine Gedanken noch: Etwas Eifersucht zeigt<br />
doch auch, dass man einen Menschen liebt.<br />
(So spricht der Volksmund, und der irrt sich<br />
hier gewaltig! Das weiß ich heute.) Als ich<br />
aber immer öfter eine gewisse Form der Untreue<br />
zu entdecken glaubte, wurde mein Verhalten<br />
für meine Freundin zunehmend unangenehm.<br />
“Hier ist nichts, was dich beunruhigen<br />
könnte”, sagte sie immer wieder. Aber<br />
dieses Bestreiten minderte meine Wut und<br />
mein Misstrauen nicht, es war wie Öl ins Feuer.<br />
"Ich würde es vielleicht ja sogar verstehen,<br />
wenn du flirtest", sagte ich. "Ich hätte<br />
vielleicht ja gar nichts dagegen. Aber gib es<br />
doch wenigstens zu!" Meine Freundin war<br />
ratlos ob meiner Anschuldigungen, für sie<br />
war ihr Verhalten fair und ehrlich wie immer.<br />
Ich aber glaubte, überall Unehrlichkeit<br />
zu erkennen.<br />
Unternehmungen mit meiner Partnerin endeten<br />
nun immer öfter im Streit. Es waren fortan<br />
kein normales Abendessen, kein Ausflug,<br />
kein Treffen mit Freunden mehr möglich.<br />
Überall und immer glaubte ich, meine Freundin<br />
bei Flirts mit anderen Männern zu ertappen.<br />
Selbst bei Spaziergängen in Fußgängerzonen<br />
warf ich mit Vorwürfen um mich: "Ich<br />
habe es doch genau gesehen, wie du diesem<br />
Mann zugelächelt hast!"<br />
Ich habe damals den größten Teil meiner<br />
Energie dafür verbraucht, Anschuldigungen<br />
Seite 58 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
und Vorwürfe, Wutausbrüche und Verzweiflung<br />
so lange wie möglich zurückzuhalten.<br />
Das Leben meiner Freundin bestand<br />
bald nur noch daraus, sich zu konzentrieren<br />
darauf, sich ja nicht "falsch" zu verhalten,<br />
mir ja keinen Anlass für Eifersucht zu<br />
geben.<br />
Dürsten nach Anerkennung<br />
Durch diesen meinen Wahnsinn am<br />
Ende unserer Kräfte fingen meine<br />
Freundin und ich in dieser Zeit an,<br />
uns tatsächlich gegenseitig Sachen zu<br />
verheimlichen. Meine Partnerin hat<br />
damit begonnen, regelmäßig ausführlich<br />
mit Freundinnen über mein Verhalten<br />
und ihre Probleme damit zu<br />
sprechen, hat nicht nur einmal – das<br />
habe ich erst viel später erfahren –<br />
auch oft darüber nachgedacht, die<br />
Beziehung mit mir sogar zu beenden.<br />
Ich meinerseits war derart besessen<br />
vom Gedanken betrogen zu werden,<br />
dass ich begonnen habe, Mäntel und<br />
Taschen meiner Freundin nach möglichen<br />
Indizien für eine Affäre zu<br />
durchsuchen und ihr hinterherzufahren,<br />
wenn sie ins Fitnessstudio oder<br />
auf einen Kaffee mit Freundinnen<br />
ging.<br />
Das Verrückte daran: Ich selbst war<br />
so überzeugt, dass meine Eifersucht<br />
begründet, also eine sogenannte reaktive<br />
Eifersucht war, wie das der Psychologe<br />
nennt, dass ich mich dazu<br />
berechtigt fühlte, selber Kontakt mit<br />
fremden Frauen zu suchen. Ja, oft war<br />
es jetzt sogar umgekehrt: Dadurch<br />
dass ich, wie jeder andere unter<br />
krankhafter Eifersucht leidende<br />
Mensch, im Grunde unter einem grob<br />
gestörten Selbstwertgefühl litt, war<br />
ich überdurchschnittlich empfänglich<br />
für Komplimente, für Zuspruch, für<br />
Verständnis von Frauen. So hat es<br />
sich selbst in jenen Zeiten, in denen<br />
ich in der Beziehung mit meiner<br />
Freundin und in dieser Beziehung<br />
eben maßlos eifersüchtig war, ergeben,<br />
dass ich selbst verzaubert war<br />
von einer anderen Frau. Das, wie ich<br />
erst heute weiß, nur deshalb, weildiese<br />
fremden Frauen mit Schmeicheleien<br />
und mit vorgeblichem Verständnis<br />
für meine Situation (ich ach so armer<br />
Betrogener) meine Aufmerksamkeit<br />
erregt hatten. Meine Seele, die so<br />
sehr nach Anerkennung schrie, ließ<br />
sich leider immer wieder blenden von<br />
letztlich oberflächlicher Zuneigung.<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
So war dann innerhalb der Beziehung mit meiner Freundin<br />
also jedes Mal ich derjenige, der fremdgegangen ist.<br />
Gleichzeitig aber habe ich meiner Partnerin Untreue unterstellt.<br />
Klar: Weil ich in manchen Momenten wohl meine<br />
eigene Art auf andere projizierte und instinktiv annahm,<br />
andere seien so wie ich.<br />
Aggression<br />
Als ob dieses Verhalten von mir nicht schon genug gewesen<br />
wäre, ist dann vor fünfundzwanzig Jahren passiert,<br />
was wohl passieren hat müssen. Meine Freundin war damals<br />
zwei Wochen alleine auf Urlaub in Italien gewesen.<br />
Als sie zurückkam, verhielt sie sich meiner Wahrnehmung<br />
nach verändert, etwas seltsam. Klar: Sie war zwei Wochen<br />
weg, zwei Wochen auf Abstand zu meiner Eifersucht,<br />
hat zwei Wochen lang mit Freundinnen über ihre<br />
Situation gesprochen, ist nach zwei Wochen bestimmt<br />
auch zum Entschluss gekommen, dass sich etwas ändern<br />
muss in dieser Hinsicht. Wie ich später erfahren habe,<br />
hatte meine Freundin damals bereits Kontakt mit einer<br />
Paartherapeutin aufgenommen, sie war also fest entschlossen,<br />
mein Problem mit Minderwertigkeit und Eifersucht<br />
mit mir gemeinsam anzugehen. Aber sie wusste<br />
wohl noch nicht, wie sie mich in ihren Plan einweihen<br />
wollte.<br />
Für mich allerdings gab es nur einen einzigen Grund für<br />
ihr verändertes Verhalten, und diesen habe ich ihr immer<br />
lauter, immer intensiver, immer aggressiver an den Kopf<br />
geworfen: “Du hast im Urlaub einen anderen Mann kennengelernt!”<br />
Als mir meine Freundin schließlich von der geplanten<br />
Paartherapie erzählte, empfand ich ihr Bemühen mir zu<br />
helfen als brutalen Angriff. “Ich bin also krank?! Lass du<br />
dich doch behandeln!“, warf ich ihr vor. "Du vögelst überall<br />
mit jedem herum!” Und als ich erfuhr, dass meine<br />
Partnerin auch bereits mit einigen meiner Freunde über<br />
mich und meine Krankheit gesprochen hatte, konnte ich<br />
mit dieser Situation nicht mehr umgehen, meine Nerven<br />
waren am Ende.<br />
Die unausweichliche Katastrophe<br />
An einem Sonntag – meine Freundin und ich<br />
*1<br />
SEITE 59
hatten zum ich weiß nicht wievielten Male versucht, das<br />
gemeinsame Wochenende so problemfrei wie möglich zu<br />
halten – kam, wie so oft an Sonntagen, mehr und mehr<br />
die Angst vorm Montag auf, wo meine Freundin wieder in<br />
der Arbeit, von vielen anderen Männern umgeben und mir<br />
schon alleine aufgrund der geografischen Entfernung<br />
nicht nahe sein würde. Alle beide haben wir an diesem<br />
Abend Rotwein getrunken. Nebenbei,<br />
aber letztlich doch recht viel.<br />
Nicht zufällig kam dann ein gemeinsamer Freund zu Besuch:<br />
Man wollte mit mir reden. In meiner gestörten<br />
Wahrnehmung der Situation sah ich den Versuch, sich mit<br />
mir über meine Probleme unterhalten zu wollen, als Tribunal.<br />
Damit nicht genug: Meine Phantasie konstruierte<br />
sehr schnell meine eigene alternative Wahrheit: Die beiden,<br />
meine Partnerin und unser gemeinsamer Freund,<br />
sind im Geheimen ein Paar! Ich fühlte mich in die Enge<br />
getrieben, und als mein Kumpel mich in beruhigender Absicht<br />
mit einem Griff an meine Schulter dazu bringen<br />
wollte, durchzuatmen und runterzukommen, die Explosion:<br />
Ich stieß meinen Kumpel von mir weg, ballte vor dem<br />
Gesicht meiner Freundin die Faust, hielt aber kurz inne<br />
und verließ dann fluchtartig die Wohnung. Rein in mein<br />
Auto und - nur vierhundert Meter weiter die Katastrophe:<br />
In einer unübersichtlichen Kurve ist ein über achtzigjähriger<br />
Herr aus meinem damaligen Wohnort zu Fuß unterwegs<br />
gewesen. Er war schwarz gekleidet, war auf dem<br />
Heimweg vom Wirtshaus. Ich habe den Fußgänger übersehen<br />
und mit meinem Auto erfasst. Es war bereits dunkel<br />
damals, ich war viel zu schnell unterwegs, und hatte –<br />
das hat der Test beim Amtsarzt ergeben – 1,22 Promille<br />
Alkohol im Blut. Nur zwei Tage nach dem Unfall ist der<br />
alte Mann seinen Verletzungen erlegen, wie es im Zeitungsdeutsch<br />
heißt.<br />
Rache vor Recht<br />
Ab dem Tag der Inhaftierung bestimmen<br />
andere Menschen über jede kleinste Bewegung,<br />
die du tust. Ebenso ab dem ersten Tag<br />
gibt es keine Form der Nähe, keine Freundlichkeit,<br />
kein Geborgensein. Es wird dir jede<br />
Möglichkeit genommen, Bedürfnisse nach<br />
persönlichem Austausch, nach Kontakt, Berührung,<br />
Bindung und Ansprache auszuleben.<br />
Sorgen, Ängste, Einsamkeit, Wut, Trauer<br />
kannst du entweder wegstecken, oder du<br />
verreckst innerlich daran. Der Alltag im Gefängnis:<br />
Entweder tötest du dich selbst, o-<br />
der du leidest lange Zeit an zum Teil schweren<br />
psychischen Störungen. Wie stark es<br />
dich erwischt, hängt von deiner Persönlichkeit<br />
und der Dauer der Haftstrafe<br />
ab. Während meiner Zeit in Haft habe ich<br />
festgestellt: Unser Rechtssystem ist bis zu<br />
einem gewissen Grad ein Rachesystem. Viele<br />
Strafen laufen auch heute noch nach dem<br />
Prinzip: Du hast dies und das getan, deshalb<br />
tun wir dies und das mit dir, damit wir Satisfaktion<br />
erlangen. Wie es dir damit ergeht und<br />
ob unser Handeln auf lange Sicht der Gesellschaft<br />
etwas bringt, ist unwichtig. Hauptsache<br />
Rache!<br />
Als Alkolenker habe ich die sechs Monate,<br />
die ich am Ende “absitzen” musste, mit den<br />
sogenannten wirklich schweren Jungs verbracht.<br />
Männer, die bewusst und mit Kalkül<br />
gemordet, andere verletzt und beraubt hatten.<br />
Das, was im Strafvollzug zu den<br />
schlimmsten und am schwersten ertragbaren<br />
Sachen gehört, teilten wir alle: Den Entzug<br />
von Nähe und Liebe.<br />
Ich kam nicht in Untersuchungshaft, bekam für meine Tat<br />
aber trotz Unbescholtenheit eine neunmonatige<br />
unbedingte Haftstrafe.<br />
Unser Rechtssystem hat mir meine Gefängnisstrafe zugeteilt,<br />
und ich stehe heute wie damals voll und ganz zu einer<br />
Rechtsstaatlichkeit. Das, was ich an Strafe verbüßen<br />
musste, empfand ich persönlich als richtig und angemessen.<br />
Die Frage, ob diese Strafen gerecht sind oder nicht,<br />
kann ich bis heute nicht klar beantworten. Einerseits sind<br />
neun Monate Leben auf Staatskosten nichts im Vergleich<br />
zu einem Menschenleben, das ich durch meine Fahrlässigkeit<br />
genommen hatte. Andererseits können neun Monate<br />
Haft das Leben eines Verurteilten für immer verändern,<br />
ja, zerstören – das durch eine begangene Tat genommene<br />
Leben jedoch nicht mehr wiederbringen.<br />
Von der Eifersucht zum Liebesentzug<br />
Neben meiner Eifersucht und meiner Wut, die mich gewissermaßen<br />
ins Gefängnis gebracht hat, habe ich dort<br />
erfahren, dass Strafvollzug bedeutet: Entzug der Selbstbestimmung<br />
und Entzug der Liebe.<br />
Folter<br />
Ich habe keine wirkliche Lösung dafür, aber<br />
das Problem besteht zweifellos: Seelische<br />
Grausamkeit gegenüber Straffälligen hilft<br />
der Allgemeinheit nicht, sie schadet ihr.<br />
Seit meiner Zeit als Strafgefangener, also<br />
seit mehr als 2233 Jahren, bin ich in verschiedenen<br />
Vereinen und Gruppen in regem Austausch<br />
mit Straffälligen und Sozialarbeitern.<br />
Und ganz gleich, ob Bankräuber oder Gewaltverbrecher,<br />
ganz gleich, ob ehemaliger<br />
Strafgefangener oder Bewährungshelfer,<br />
alle sind wir uns einig: Strafe auf Basis von<br />
Rache ist kontraproduktiv.<br />
Es mag richtig und wichtig sein, Menschen<br />
wegzusperren, sie von der Gesellschaft zu<br />
trennen. Es mag richtig sein, Menschen für<br />
die Zeit ihres Aufenthaltes in einer Vollzugsanstalt<br />
jedes privaten Bereichs und jeglicher<br />
Form der Selbstbestimmung zu berauben.<br />
Aber es ist nicht richtig, Menschen mit dem<br />
Seite 60 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Entzug von Nähe zu malträtieren.<br />
Den eindimensionalen Standpunkt, selber schuld, wärst<br />
du halt nicht kriminell geworden, kann ich zum einen Teil<br />
verstehen, zum anderen Teil spricht aus ihm maßlose<br />
Überheblichkeit. Und es geht auch gar nicht darum, ob<br />
man die Meinung teilt, jeder von uns kann in diese Lage<br />
kommen, straffällig geworden zu sein. Nein, es geht darum,<br />
dass es straffällig Gewordene nun eben einmal gibt!<br />
Es geht darum, dass es sie immer geben wird, dass sie<br />
für bestimmte Vergehen aber nicht getötet oder ewig<br />
lange weggesperrt werden können. Und es geht darum,<br />
dass der Strafvollzug, wie er heute ist, nämlich eine zum<br />
Teil fahrlässige, zum Teil bewusste Folter auf emotionaler<br />
Ebene, schlichtweg schädlich ist für eine gesamte<br />
Gesellschaft.<br />
Die Zeit danach<br />
In einem Satz zusammengefasst: Mein Problem mit Eifersucht<br />
habe ich Gott sei Dank überwunden. Die Beziehung<br />
mit der Frau, die zum Zeitpunkt der Katastrophe<br />
meine Freundin war, blieb bis zum Antritt meiner Haftstrafe<br />
aufrecht. Danach ist der Abstand immer größer<br />
geworden, bis schließlich ich von mir aus den Kontakt<br />
abgebrochen habe.<br />
Die Zeit in Haft und die Jahre danach waren gekennzeichnet<br />
von einer unendlichen Einsamkeit. Eine Einsamkeit,<br />
die im Gefängnis zu einer massiven Angststörung<br />
geworden ist, die aber auch nach meiner Entlassung<br />
nicht von heute auf morgen weg war.<br />
Und ja: Einsamkeit war wohl immer, nämlich auch schon<br />
vor meiner Zeit im Bau, ein unbewusstes Thema. Ein gestörtes<br />
Selbstwertgefühl hat in mir schon sehr früh eine<br />
innere Leere erzeugt, eine Form der Einsamkeit. Daraus<br />
ist meine so zerstörerische Form der Eifersucht<br />
entstanden.<br />
Sehr, sehr viele Menschen, auch die stärksten und härtesten<br />
Kerle, stecken eine Haftstrafe nicht einfach so<br />
weg. Nach meiner Zeit in der Karlau (Anm.d.Red.: Justizvollzugsanstalt<br />
in Graz) bin ich freiwillig für drei Monate<br />
instationären Aufenthalt in eine Nervenklinik gegangen.<br />
Danach war ich für zwei Jahre in Behandlung bei einer<br />
guten Psychologin. Durch die jahrelange Arbeit an mir<br />
habe ich immer mehr zu einer inneren Freiheit finden<br />
können. Nach und nach wurde dieses Gefühl der Ruhe<br />
größer und stärker.<br />
All-Einigkeit<br />
Es hat sich der Blick auf mich selbst geändert. Ich habe<br />
das erste Mal in meinem Leben ein Bewusstsein für mich<br />
selber entwickelt, mich irgendwann nicht mehr mit anderen<br />
verglichen. Endlich, muss ich heute sagen, hatte<br />
ich in meinem Leben eine Zeit ganz mit mir allein. Alleinigkeit,<br />
aber ganz und gar keine Einsamkeit. All-<br />
Einigkeit gewissermaßen.<br />
Ich begann jeden Tag zu genießen! Meine Wohnung nur<br />
für mich allein, ohne, dass ich mich wie früher<br />
durchgehend beschäftigen musste, nur, um<br />
mich von meiner Einsamkeit abzulenken. Ich<br />
genoss meine Spaziergänge durch Fußgängerzonen<br />
und Buchenwälder, ich genoss das Beobachten<br />
von alten Ehepaaren im Park, ohne<br />
mich dabei einsam zu fühlen. Mir fehlte nichts.<br />
Meine ehemalige Freundin wollte in dieser Zeit<br />
Kontakt mit mir aufnehmen, wollte Annäherung,<br />
ich aber entschied mich bewusst dagegen.<br />
Ich war nun in einer Zeit mit mir alleine<br />
angekommen.<br />
Und ich genoss all das umso mehr, weil ich nie<br />
zuvor dieses Bewusstsein hatte für mein eigenes<br />
Leben, meine eigene Freiheit. Zu sehr war<br />
ich immer beschäftigt damit, etwas tun, etwas<br />
erreichen, etwas schaffen zu müssen.<br />
Mein Verhältnis zu Frauen änderte sich<br />
dadurch von Grund auf. Ich hatte (und habe)<br />
nun mein eigenes, erfülltes, ja, vollkommenes<br />
Leben. Wenn ich fortan Damenbekanntschaften<br />
machte, kam nun nicht immer sofort das<br />
Gefühl auf, gleich eine Beziehung eingehen zu<br />
müssen, gleich alles in meinem Leben der entsprechenden<br />
Frau nach auszurichten. Ganz im<br />
Gegenteil: Bekanntschaft ja, Liebe ja, aber<br />
meine Freiheit sollte von nun an immer Platz<br />
haben. Lange Zeit war ich mir sogar sicher:<br />
Bekanntschaften, Liebeleien gern, aber klassische<br />
Beziehung nie mehr. Zu sehr liebte ich<br />
mein Alleinsein, das nun ja kein Einsamsein<br />
mehr war.<br />
Täter-Opfer-Umkehr<br />
Oft kommt unverhofft, und so lernte ich vor<br />
acht Jahren meine heutige Frau kennen. Die<br />
Annäherung geschah langsam, wir hatten und<br />
haben beide unsere Leben, unsere Geschichte<br />
und Eigenheiten. Es gibt zwei emanzipierte<br />
Ichs, dadurch ein sehr wertvolles Wir. Eifersucht?<br />
So wie vor dreißig Jahren habe ich Eifersucht<br />
nie wieder erlebt.<br />
In den Jahren nach Haft und Nervenklinik wurde<br />
mir immer klarer: Übermäßige Eifersucht,<br />
die einem Partner gegenüber ausgelebt wird,<br />
ist eine Form der Gewalt. Ganz besonders<br />
schlimm ist Gewalt, wenn eine Täter-Opfer-<br />
Umkehr geschieht. Im Falle von sexueller Belästigung<br />
funktioniert dieses Verdrehen der<br />
Tatsachen, diese Verzerrung der Wirklichkeit<br />
mit Schutzbehauptungen: "Du hast doch nicht<br />
nein gesagt" oder "Du hast mit Deiner Kleidung<br />
provoziert". Wenn es um Eifersucht geht,<br />
wollen Vorwürfe wie "Du hast Dich nur für<br />
andere so zurecht gemacht" oder "Du hast<br />
dem/der Fremden schöne Augen gemacht"<br />
dem anderen Menschen eine Mitschuld, eine<br />
Schuld am eigenen irrationalen und<br />
Seite 61
ungerechtfertigten Verhalten zuweisen. Und das ist<br />
eine latente Form der Gewalt.<br />
Veränderung ist möglich<br />
Ich kann heute sagen: Veränderung ist möglich, Entwicklung<br />
ist möglich. Ich wünsche natürlich jedem<br />
Menschen, der etwas an seinem Verhalten ändern<br />
möchte, dass er dafür nicht sosehr durch die Hölle<br />
gehen muss wie ich. Ich bin heute kein anderer<br />
Mensch als vor dreißig Jahren. Viele Narben an Körper<br />
und Seele, wie man so schön sagt, aber die Wunden<br />
von damals sind verheilt. Aus Überzeugung und<br />
Erfahrung sage ich heute: Liebe kann ich nicht verlieren.<br />
Liebe entsteht und lebt in mir. Liebe für andere<br />
Menschen, Liebe für mich selbst. Und fühle ich<br />
Angst in mir, fühle ich die Angst, etwas oder jemanden<br />
zu verlieren, dann rede ich! Erst durch meine<br />
Erfahrungen mit Psychologen habe ich gelernt, dass<br />
alleine das Sprechen die Sicht auf Probleme<br />
verändern kann.<br />
Mein Rat für Dich!<br />
Ich möchte in den letzten Zeilen dieses Textes im<br />
Stillen zu jenen sprechen, die mit Problemen<br />
kämpfen. Zwei Sachen: Zuallererst: Gestehe Dir<br />
das Problem ein. Probleme machen Menschen zu<br />
Menschen. Ob Dein Problem mit anderen zu tun<br />
hat oder nur mit Dir persönlich, entscheidend ist<br />
die Tatsache, dass Probleme zu uns Menschen gehören<br />
wie Träume und Freude. Und zweitens: Rede!<br />
Hast Du niemanden zum Reden? Das alleine<br />
kann schon ein Problem sein, gewiss. Aber es gibt<br />
da draußen jede Menge Psycholog*innen und Anlaufstellen,<br />
an die Du Dich wenden kannst, und<br />
die Dir kostenlos und ohne jede Form der Verurteilung<br />
helfen. Und glaub mir: Psychologen erklären<br />
Dich nicht für krank, wenn Du über Deine<br />
Probleme sprichst. Sieh es eher so: All die interessanten<br />
Menschen dieser Welt haben ihre ganz eigenen<br />
Narben. Und alle diese Narben waren irgendwann<br />
einmal schmerzende Wunden. Jeder<br />
Marathon beginnt mit dem ersten Schritt. ⓿<br />
JAKOB GEORG HATZ<br />
BEIDE GLEICH<br />
M<br />
ama, ich muss dich was fragen! Es ist<br />
ein bisschen blöd. Du musst mir zuerst<br />
nur zuhören, ok? Also es ist so: Weißt du noch, als ich<br />
euch gefragt hab, wen von uns beiden ihr lieber habt?<br />
Draußen, im Wald? Es war im Herbst und ich habe<br />
Schularbeit gehabt und die Iris war ja immer so gescheit.<br />
Und da wollte ich wissen, wen von uns beiden<br />
habt ihr lieber. Mich oder die Iris? Und der Papa hat<br />
gelacht und gesagt: „Wie viele Fehler hast du denn<br />
leicht?“ Und du hast ihn angeschaut und hast dich zu<br />
mir runter gebeugt und gesagt: „Frag uns doch sowas<br />
nicht! Wir haben euch beide genau gleich lieb.“ „Aber<br />
die Iris ist so groß wie der Papa und meine Haare sind<br />
ganz anders.“ Das habe ich gesagt, und ihr wart euch<br />
auf einmal ganz einig, und der Papa hat gesagt: „Schau<br />
her, ihr seid beide genau richtig, wie ihr seid. Du bist<br />
genau so, wie wir uns dich immer gewünscht haben,<br />
und die Iris ist genau so. Ich kann mir keine Kinder<br />
vorstellen, die ich lieber haben könnte, als euch beide,<br />
und deswegen haben wir euch beide gleich lieb, und<br />
zwar sehr! Außer, du hast jetzt ganz viele Fehler gemacht!“<br />
Ich habe jedenfalls verstanden, was ihr gemeint<br />
habt, und eigentlich habe ich nachher einfach<br />
nicht mehr danach gefragt. Aber jetzt ist es wichtig!<br />
Bitte, Mama! Kann man zwei Menschen genau gleich<br />
lieb haben? Geht das? Weißt, ich frage dich nur, weil<br />
bei Serien und so, da muss die Frau sich entscheiden:<br />
Ist jetzt der der Richtige, oder der andere? Also beide<br />
findet sie irgendwie gut, und es geht dann immer darum,<br />
wer jetzt der Richtige ist von beiden, den sie<br />
dann doch lieber hat, wenn nicht einer sowieso ein<br />
Arsch ist.<br />
Eigentlich ist immer einer ein Arsch zum Schluss,<br />
kommt mir gerade, und deswegen hilft mir das<br />
alles nicht! Also, ich mag den einen Typen und er<br />
ist total lieb und würde mir nie etwas tun oder so<br />
und jetzt habe ich einen getroffen, der ist genauso<br />
toll. Nicht, dass beide ganz gleich wären oder so,<br />
aber ich kriege das gleiche Herzklopfen, wenn ich<br />
mit dem einen schreibe, wie mit dem anderen.<br />
Und mir geht’s voll gut dabei, ja? Ich habe jetzt<br />
nicht das Gefühl, dass das eine jetzt irgendwie<br />
besser wäre als das andere Gefühl. Und ich frage<br />
mich: Wieso soll ich mich jetzt entscheiden müssen?<br />
Und den einen abservieren, obwohl ich gar<br />
keine Lust darauf hab und einfach die Zeit genießen<br />
will mit ihm? Kann es jetzt sein, dass ich einfach<br />
beide gleich gern hab, so wie ihr das damals<br />
gesagt habt? Geht das wirklich, Mama? Und wäre<br />
es so schlimm, wenn ich draufkommen würd, den<br />
einen finde ich halt doch ein bisschen cooler, aber<br />
der andere ist halt trotzdem super nice? Warum<br />
soll das dann nicht auch gehen? Kinder fragst du<br />
ja auch nicht: Wen magst du lieber, die Mama o-<br />
der den Papa? Oder? Weil es dumm ist, sich so<br />
entscheiden zu müssen, oder nicht? Wenn ich beide<br />
echt gern habe, ist es nicht auch egal, wenn ich<br />
jetzt einen ein ganz bisschen mehr gern habe? Ist<br />
das Andere deswegen weniger gut? Als Kind versteht<br />
man den Unterschied ja nicht, aber jetzt<br />
kannst du es mir ja erklären, bitte. Geht das, dass<br />
man zwei genau gleich gern hat? Muss man sich<br />
sonst entscheiden zwischen beiden? Weil ihr habt<br />
uns ja auch beide lieb als eure Kinder, oder? ⓿<br />
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SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
EPILOG<br />
SENDEN SIE UNS IHRE ...<br />
EINSENDESCHLUSS<br />
AUSGABE <strong>02</strong>2: 155. März 22<strong>02</strong>21<br />
Thema: „Du! Krank!“<br />
Infos unter<br />
www.kunstarbeit.org<br />
Ein Loblied auf den gepflegten Austausch<br />
Geschätzte Leser*innen!<br />
U<br />
nter meinen tausenden Social-Media-<br />
Kontakten finden sich sehr viele humanistisch<br />
und formal Gebildete, universitär AUSgebildete zumindest,<br />
intellektuell Orientierte und sprachlich Versierte,<br />
die, so will ich es nennen, im weiten Ozean der Ahnungslosigkeit<br />
viele, viele Inseln des Wissens bewohnen.<br />
Untergriffgkeiten<br />
Und trotzdem werde ich in meinen Internetaufenthalten<br />
immer öfter unfreiwillig Zeuge peinlicher Vorfälle. Da<br />
lese ich in Diskussions- und Kommentarverläufen vermehrt<br />
Untergriffgkeiten, sogar boshaft emotionale Äußerungen.<br />
Hier reagieren an sich Vernünftige auf simple<br />
Text- oder Bildmel-<br />
dungen beleidigt und<br />
gekränkt, dort empfindet<br />
der eine als persönlichen<br />
Angriff, was einer of-<br />
fensichtlichen Unlust<br />
zu gemäßigter Formulie-<br />
rung des andere<br />
Die eine Seite tut<br />
eine Meinung<br />
kund, die andere<br />
ist gelähmt<br />
vor<br />
Wut darüber.<br />
Wo, so frage ich als Wortarbeiter mich,<br />
bleiben die Liebe zum Austausch und die<br />
Leidenschaft für Dia- und Multilog? Wo die<br />
Begeisterung für gepflegte, heitere Uneinigkeit<br />
im Sinne einer positiven Reibung?<br />
Kriegserklärung<br />
Und ich meine damit nicht den Anspruch<br />
auf Wahrheit und Richtigkeit der eigenen<br />
Erkenntnisse, nicht das Diskreditieren des<br />
jeweiligen Gegenübers. Nichts entlarvt<br />
schwache Nerven und Dialogunfähigkeit so<br />
sehr wie ein Argumentum ad hominem!<br />
(Mehr zum Thema<br />
Scheinargument etwas später.)<br />
Ein Hoch auf Eintracht und Harmonie! Und<br />
in diesem Miteinander ist es ein Geschenk,<br />
wenn jemand den eigenen Standpunkt (und<br />
im Internet das eigene Posting, den eigenen<br />
Kommentar, die eigene Nachricht) auf kluge<br />
und sachliche Weise zerlegt, weil dieses<br />
„Dagegenargumentieren“ bedeutet, sich zurücklehnen<br />
zu können in Dankbarkeit für<br />
die Aussicht auf Diskurs und Disput.<br />
Wo an sich also Genuss und Freude zu empfinden<br />
sind ob neuer Perspektiven und Erfahrungen,<br />
scheint es für viele eine Kriegserklärung<br />
zu sein, wenn Zuhörer oder Leser<br />
ihrer Sozial-Media-Beiträge die sprachlich<br />
oder schriftlich dargebrachte Argumentationskette<br />
als falsch empfinden und diesen<br />
Standpunkt – no na – auch unmissverständlich<br />
deponieren.<br />
Perspektiven<br />
Austausche sind inspirierend und<br />
fruchtbar, wenn ohne Grenzen<br />
SEITE 64 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
philosophiert und sinniert werden darf,<br />
Kommunikation ist anregend, interessant<br />
und gewinnbringend aber auch, wenn Uneinigkeit<br />
zu einem Thema herrscht, wenn<br />
zwei Parteien eine Sache aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven betrachten! Denn wozu<br />
überhaupt reden, wenn man im Gegenüber<br />
lediglich die Richtigkeit der eigenen Meinung<br />
bestätigt haben will?<br />
Paradies<br />
Nicht einmal ein bewusst geführter rhetorischer<br />
Anschlag auf die eigene Position ist<br />
Grund für heiße Ohren. Oder bin ich etwa<br />
zu schwach und zu zart für offenen Austausch?<br />
Fühle ich mich von Wortgeschützen<br />
und Antagonisten meiner Position argumentativ<br />
lahmgelegt, in die Enge getrieben?<br />
Will ich justament dann nicht glauben an<br />
meine sprachliche Kreativität, mein Denkvermögen,<br />
meine Idee? Oder freue ich mich<br />
über jede Reaktion auf eine Meldung, vor<br />
allem über die kontroverse, ganz gleich, wie<br />
ehrlich und direkt sie auch immer formuliert<br />
sein mag? Freue ich mich darauf, sie,<br />
wenn nötig, Punkt für Punkt, Satz für Satz<br />
und Wort für Wort zu sezieren und entweder<br />
emotionslos oder eben rotbäckig und<br />
leidenschaftlich zu beantworten, im gegebenen<br />
Falle zu berichtigen (auf dass mein Gegenüber<br />
mich wieder berichtige …)? Letzteres<br />
bedeutet doch das Paradies des Wahrnehmens,<br />
des Begreifens, des<br />
Lebendigseins!<br />
Geschenk<br />
Interpretieren Sie es in Zukunft also als Geschenk,<br />
wenn Ihnen wieder einmal jemand<br />
den Kommentarverlauf im Netzwerk oder<br />
im Forum oder den mutig vorgebrachten<br />
Standpunkt am Stammtisch oder im Büro<br />
mit Kritik verhauen und aber für Ihr Gegenwort<br />
offen sein will. Und nehmen Sie es<br />
durchaus auch als Geschenk, wenn jemand<br />
nicht bereit sein will für einen fruchtbaren<br />
Austausch und sich in diesem Falle selber<br />
als Fremder im Land der Kommunikation zu<br />
erkennen gibt.<br />
Partizipation<br />
Die Beweggründe hinter den Texten indiesem<br />
Souffeur sind unterschiedlich wie ihre<br />
Verfasser. Und das ist gut so! Der Souffeur<br />
soll Manege sein für Wortakrobaten,<br />
Sprungbrett für Theorien und Thesen,<br />
Hauptplatz für Polemiken und Diskurse,<br />
Hinterhof für Spott und Kontroversen,<br />
Spielwiese für das Miteinander, Durcheinander<br />
und Gegeneinander unterschiedlicher<br />
Weltanschauungen, Blumenwiese für<br />
Poeten, Träumer und Einhornjäger,<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Universum für I-Tüpferl- und Prinzipienreiter, gemähte<br />
Wiese für all jene, die ihren eigenen Standpunkt bereitwillig<br />
hergeben als Basis für Lob oder Tadel, für Würdigung<br />
oder Opposition.<br />
Schicken Sie uns Ihre Texte!<br />
Jeder Souffeur wird einige Seiten für die Reaktionen auf<br />
Textbeiträge der letzten <strong>Ausgabe</strong> freihalten! Was haben Sie<br />
zu sagen zu den Interviews, Lyrik- und Prosabeiträgen in<br />
der <strong>Ausgabe</strong>, die Sie gerade in Händen halten? Schreiben<br />
Sie uns!<br />
Und schicken Sie uns gerne auch Texte, Fotos, Interviewvorschläge,<br />
Grafiken und allerlei anderes Material zum<br />
Thema der nächsten <strong>Ausgabe</strong>: „DU! KRANK!“<br />
E-Mail an offce@kunstarbeit.org.<br />
(Das Abdrucken von eingesandten Leserbriefen und Beitragstexten<br />
kann nicht garantiert werden.)<br />
Verzicht auf Scheinargumente<br />
Verzichten wir im Sinne eines fruchtbaren Austauschs auf<br />
Untergriffgkeiten und Scheinargumente.<br />
Scheinargument 1: Das Argumentum ad hominem – das<br />
Argument auf die Person. Beim Thema des Austauschs bleiben.<br />
Vermeintliche Schwächen des jeweiligen Gegenübers<br />
sollen also nicht ins Spiel gebracht werden.<br />
Scheinargument 22: Das Argumentum ad verecundiam –<br />
das Argument der Autorität. Personen des öffentlichen Lebens,<br />
deren Meinungen besondere Gewichtung haben, sollen<br />
nicht der Untermauerung des eigenen Standpunktes<br />
dienen.<br />
Scheinargument 33: Argumentum ad ignorantiam – das<br />
Argument der Ignoranz. Kein Rollentausch in der Beweispflicht:<br />
Wir selber sollen unsere eigene These belegen und<br />
nicht vom Gegenüber verlangen, dass es unsere These widerlegt.<br />
Scheinargument 44: Fallacia compositionis –<br />
das Kompositionsargument. Nicht von einzelnen Einzelereignissen<br />
auf generelle Sachverhalte schließen. Das Verhalten<br />
des Einzelnen ist nicht repräsentativ für eine<br />
Gruppe.<br />
Scheinargument 55: Argumentum ad antiquiatem – das<br />
Argument der Tradition. Was früher einmal (gut oder<br />
schlecht) war, bildet nicht die Grundlage für ein solides<br />
Argument.<br />
Scheinargument 66: Argumentum ad novitatem – das Innovationsargument.<br />
Alles, was „neuer“ ist, ist nicht zwangsläufig<br />
„richtiger“.<br />
Scheinargument 77: Circulus vitiosus – das Zirkelschlussargument.<br />
Das Argument für eine Meinung kann seine ursprüngliche<br />
Berechtigung nicht im ersten Argument haben.<br />
Meinungen können sich nicht selbst begründen.<br />
Scheinargument 88: Straw man fallacy – das Strohmannargument.<br />
Das Argument des Gegenübers nicht absichtlich<br />
falsch interpretieren, absichtlich falsch gezogene Schlüsse<br />
nicht gegen das Gegenüber verwenden.<br />
Scheinargument 99: Whataboutism – das Argument des<br />
Vergleichs. Mein eigenes falsches Verhalten wird nicht legitimer<br />
dadurch, dass ich es in Relation setze mit einem vermeintlich<br />
noch falscheren Verhalten einer anderen Person.<br />
Das Souffeur-Team freut sich auf Ihre Nachricht<br />
⓿n<br />
SEITE 65
SASCHA MICHAELA STEBEGG<br />
HERZENSDIEB<br />
Autoren/Mitwirkende<br />
Gedichte der Liebe<br />
Es gibt sie in Massen<br />
Ich sucht eins für dich<br />
Es wollt keines passen<br />
Ich nahm mich zusammen<br />
So schwer es auch ist<br />
Versuchte Gedanken zu quetschen<br />
In Vers und Reimen mit List<br />
Du hast mich zum Leben erweckt<br />
Mein Licht leuchtet nun heller<br />
Meine Liebe ist nicht versteckt<br />
Mein Herz schlägt viel schneller<br />
In deinen Armen bin ich ich<br />
Da fühl ich mich geborgen<br />
Du bist da, ich seh dich<br />
Nun hab ich keine Sorgen<br />
War ich früher oft zu Tode betrübt<br />
Jetzt, wie Dornröschen, völlig bewusst<br />
Von dir, meinem Prinzen, geküsst<br />
Prall gefüllt mit menschlicher Lust<br />
Mit deinen Küssen bringst du mich klein<br />
Du bist unbeschreiblich lieb<br />
Ich möchte immer bei dir sein<br />
Oh, du mein Herzensdieb<br />
Mit deiner Zärtlichkeit machst du mich schwach<br />
Mit deinen wunderschönen Augen verträumt<br />
Ich träume, ja, jedoch bin wach<br />
Ohne dich hätte ich viel versäumt<br />
Samira Joy Frauwallner/Joy Visual Artistry; Graz<br />
Journalistin, Fotografin, Reisende<br />
Mario Auer; Wien<br />
Autor, Weltreisender, Philosoph<br />
Tanja M. Stern; Graz<br />
Theologin, Schriftstellerin<br />
Lisa Weltzin; Zürich<br />
Künstlerin im Bereich Theater und<br />
Spoken-Word, Erzieherin<br />
Florian Randacher/Flow Bradley; Bad Aussee, Graz<br />
Poet, Schauspieler, Liedermacher, Musiker,<br />
ehemaliger Frontman<br />
der „Ausseer Hardbradler“<br />
und der „B-Funk Family“<br />
Bernhard Reicher; Graz<br />
Schriftsteller, Magier, Seminarleiter<br />
Paul Wiesinger; Lavamünd<br />
Lyriker, pensionierter Landwirt<br />
Ben Leander Willgruber; Graz<br />
Journalist, Visual Designer, Psychologe<br />
Salò; Graz<br />
Songwriter, Musiker, Poet<br />
SuJo; Frankfurt<br />
Künstlerin<br />
Jakob Goldberg; Wien, Graz<br />
Theologe, Philosoph, Künstler<br />
Andrea Schimek-Fischer; Wien<br />
Lyrikerin, Genussexpertin<br />
Benny Ruprecht; Salzburg<br />
Autor, Lehrer<br />
Jakob Georg Hatz; Wien<br />
Autor, Lehrer<br />
Dominik Förtsch; Wien<br />
Schauspieler, Komponist<br />
Sascha Michaela Stebegg; Passail<br />
Autorin, Künstlerin<br />
Du bist das Beste, was mir je passierte<br />
Es gibt nichts Schöneres, als bei dir zu sein<br />
Gefühle – verwirrte<br />
Lass mich nie mehr allein<br />
Ich brauche dich, es ist sehr wichtig<br />
Ich denke nicht nur an mich<br />
Versteh mich bitte richtig<br />
Ich liebe dich!<br />
Kevin Wolf alias Ventus Bitterblossom; Bielefeld<br />
Schriftsteller, Künstler, Schamane<br />
Anna Maria Tauser-Fürpass, Weiz<br />
Malerin, Grafikerin, Masseurin<br />
Andreas P. Tauser; Weiz<br />
Autor, Freelance Journalist,<br />
Musiker, Handwerker<br />
Seite 66 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
Blattlinie<br />
Der Souffeur ist ein Medium, das unabhängig<br />
ist von politischen Parteien,<br />
Institutionen, Wirtschaftsbetrieben und<br />
Interessengruppen.<br />
Keine geistige Bequemlichkeit<br />
Als <strong>Magazin</strong>, Anthologie und Plattform für<br />
unterschiedliche Weltanschauungen tritt<br />
das Medium ein für Meinungsvielfalt,<br />
Meinungsfreiheit und die Schaffung eines<br />
Raumes, in dem unterschiedliche Zugänge<br />
zu verschiedenen Themenbereichen nebeneinander<br />
existieren können. Der<br />
Souffeur steht für Toleranz gegenüber<br />
allen ethnischen und religiösen Gemeinschaften,<br />
für Respekt vor der Verschiedenheit<br />
von Positionen, der Souffeur tritt<br />
auf gegen geistige Bequemlichkeit, gegen<br />
intellektuelle Unbeweglichkeit, gegen jede<br />
Form der Ausgrenzung und Diskriminierung<br />
und gegen jene weit verbreitete<br />
Form der Ablehnung, die passiert auf der<br />
Basis von "Das war schon immer so" und<br />
"Das hat es noch nie gegeben".<br />
Keine Tu-quoque-Argumente<br />
Beitragstexte von Redakteur*innen und<br />
Gastautor*innen dürfen polarisieren, dürfen<br />
unbequem sein, dürfen aber nicht<br />
Sprachrohr sein von politischem<br />
Extremismus und Totalitarismus.<br />
Argumente und inhaltliche Positionen Andersdenkender<br />
dürfen (möglichst sachlich)<br />
angegriffen und zerlegt werden,<br />
Personen selbst aber nicht.<br />
Autor*innen sollen sich an die Vorgabe<br />
halten, Texte und Aussagen nicht auf<br />
Scheinargumente aufzubauen.<br />
(Argumenta ad hominem,<br />
Tu-quoque-Argumente etc.) Literarische<br />
Stilmittel ausgenommen.<br />
Auf diesem Fundament findet im Souffeur<br />
beispielsweise ein Manifest für die Farbe<br />
Weiß seinen Platz neben der schriftlichen<br />
Verneigung vor der FarbeSchwarz oder<br />
Liebeserklärungen für die vielen Grautöne<br />
dazwischen.<br />
Pluralismus<br />
Kritiker des Konzeptes werden sagen:<br />
"Verschiedene Wertemodelle in einem <strong>Magazin</strong><br />
führen dazu, dass Vertreter*innen einer bestimmten<br />
Haltung die jeweils andere Position verurteilen<br />
und das Medium somit als Sprachrohr der Gegenposition<br />
ablehnen werden.<br />
Liberalismus und Konservatismus in einem Blatt<br />
sind nicht möglich, weil die eine Seite ob der anderen<br />
empört und entrüstet sein wird."<br />
Chefredakteur Andreas P. Tauser sagt:<br />
"Leser*innen, die ein Medium ausschließlich deshalb<br />
verurteilen und ablehnen, weil es neben ihrer<br />
eigenen Weltanschauung auch diametral ´<br />
zur eigenen Haltung stehende Inhalte<br />
veröffentlicht, laufen Gefahr, sich<br />
Erkenntnisse entgehen zu lassen, die durch die<br />
Konfrontation mit Fremdem und durch geeignete<br />
Diskurse generierbar wären.“<br />
Entrüstung über eine nicht der eigenen Perspektive<br />
entsprechende Betrachtungsweise für sich ist<br />
nichts Verwerfliches. Die Ablehnung einer Position,<br />
die nicht<br />
die eigene ist, ist nichts Negatives, eine<br />
tendenziöse Beurteilung von Umständen und Zusammenhängen<br />
ist nicht zwangsläufig verwerflich.<br />
Das Verteufeln und kategorische Ignorieren von<br />
Medien aber, die neben der eigenen Wahrheit auch<br />
die anderer Menschen publizieren, ist ein Merkmal<br />
jener Zeitgenossen, die ihre eigene Haltung nur<br />
über die Diskreditierung oder das Ignorieren einer<br />
anderen definieren. Selbstdefinition per Feindmarkierung<br />
also gewissermaßen.<br />
Sapere aude!<br />
Der Souffeur verwechselt bei aller Offenheit für<br />
unterschiedliche Weltanschauungen nicht das hohe<br />
Gut der Meinungsvielfalt mit der Verbreitung von<br />
stereotypen und monokausalen Vorstellungen und<br />
populistischem Nonsens.<br />
Richtschnur aller Aktivitäten des Souffeurs sind<br />
das Bewusstsein für Aufklärung und ein humanistisches<br />
Regelsystem.<br />
Als Teil einer Texthandlung oder einer These dürfen<br />
– beispielsweise – Elvis am Leben, Viren und<br />
Holocaust Lügen und die Erde eine Scheibe sein.<br />
Als ernsthaft dargebrachte Behauptung mit Gültigkeitsanspruch<br />
oder als religiöse und politische Lehren<br />
aber widersprechen Theorien der genannten<br />
Gattung dem Wissenskanon des weltoffenen und<br />
geistig regen Menschen und somit der Blattlinie<br />
des Souffeurs.<br />
⓿<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Seite 67
Ich glaube,<br />
Neugierde ist der Motor allen Lebens.<br />
Die Blumen drängen aus der Erde, um das Gerücht<br />
von einem strahlend warmen Feuerball am Himmel zu prüfen.<br />
Und die Herzen in unser aller Brust schlagen, um immer und immer wieder zu überprüfen,<br />
ob sie es noch können.<br />
Ronald Lilleg<br />
Impressum | Angaben gemäß § 55 E-Commerce-Gesetz (ECG)<br />
Medieninhaber, Herausgeber: Kunstarbeit Veranstaltungsverein zur Förderung zwischenmenschlicher<br />
Kommunikation e.V. | Poniglstraße 5544 881660 Thannhausen bei Weiz | offce@kunstarbeit.org | +±4433 (0)331 7722<br />
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Dominik Förtsch | Jakob Georg Hatz |<br />
<strong>Ausgabe</strong> <strong>01</strong>: Auflage <strong>02</strong>2: 5500 Exemplare | Erscheinungsort: 881660 Thannhausen<br />
Für den Inhalt der Beiträge zeichnen die Autoren verantwortlich. Bearbeitung des Titels, Umfangskürzungen<br />
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*1) „Zitatenschatz der Weltliteratur“, © 22<strong>01</strong>0 Anaconda Verlag GmbH, Köln.<br />
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Seite 68 SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1
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Didi Bleck:<br />
„Luki Luna und sein neues Leben“<br />
Erschienen im PRIMÄR-Verlag.<br />
Erhältlich im Buchhandel und im Internet<br />
als Hardcover, Taschenbuch und E-Book.<br />
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Seite 69
SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/2<strong>02</strong>1<br />
Bild: Anna Maria Tauser-Fürpaß