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Wolfgang Sander: Europäische Identität (Leseprobe)

Was verbindet die Europäer? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Zukunft der europäischen Einigung ab. Historisch ist Europa wesentlich durch die christliche Tradition geprägt. Zwar ist diese Tradition blasser geworden. Aber noch immer liegen hier entscheidende Ressourcen für eine ganz Europa verbindende europäische Identität. Europa braucht eine christliche Renaissance, die die christliche Tradition wiederentdeckt, um sie für heute weiterzudenken: Wie verhält sich der christliche Glaube zu den Wissenschaften, wie zu den sogenannten europäischen Werten, wie zu Diversität in modernen Gesellschaften? Wie lässt sich Freiheit anders denken denn als Narzissmus und Egoismus, wie ein Weltbezug jenseits des bloßen Verfügbarmachens? Und wie müssen die christlichen Kirchen sich selbst erneuern?

Was verbindet die Europäer? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Zukunft der europäischen Einigung ab. Historisch ist Europa wesentlich durch die christliche Tradition geprägt. Zwar ist diese Tradition blasser geworden. Aber noch immer liegen hier entscheidende Ressourcen für eine ganz Europa verbindende europäische Identität. Europa braucht eine christliche Renaissance, die die christliche Tradition wiederentdeckt, um sie für heute weiterzudenken: Wie verhält sich der christliche Glaube zu den Wissenschaften, wie zu den sogenannten europäischen Werten, wie zu Diversität in modernen Gesellschaften? Wie lässt sich Freiheit anders denken denn als Narzissmus und Egoismus, wie ein Weltbezug jenseits des bloßen Verfügbarmachens? Und wie müssen die christlichen Kirchen sich selbst erneuern?

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Die Gefahren der <strong>Identität</strong>spolitik<br />

de vom Diskurs zwischen Menschen mit unterschiedlichen<br />

Sichtweisen und Interessen lebt und in dem verallgemeinerungsfähige<br />

Argumente zählen, die <strong>Identität</strong>sgrenzen überbrücken.<br />

»Gerade diese Fähigkeit, im öffentlichen Raum das eigene,<br />

vermeintlich authentische Selbst hintanzustellen, war die<br />

entscheidende Tugend mündiger Bürgerlichkeit. Respekt verdiente<br />

man für diese Leistung (das Hintanstellen des Selbst) –<br />

und eben nicht, wie die Postmoderne zu suggerieren begann,<br />

für dieses Selbst in seiner vermeintlichen <strong>Identität</strong>skostbarkeit<br />

oder Verletzlichkeit.« 30 Dagegen läuft das Pochen darauf, eine<br />

bestimmte Frage sei eine der Anerkennung oder Nichtanerkennung<br />

von <strong>Identität</strong>, am Ende auf die Verweigerung diskursiver<br />

Verständigung hinaus. Denn in diesem Verständnis von <strong>Identität</strong>spolitik<br />

sind »<strong>Identität</strong>en […] unverträglich mit Kompromissen,<br />

sie werden durch sie geradezu kompromittiert«. 31 Die Suche<br />

nach Kompromissen ist aber ein zentrales Element von guter<br />

Regierung wie von demokratischer Politik.<br />

Bevorzugtes Aktionsfeld für diese neue linke <strong>Identität</strong>spolitik<br />

sind Schulen, Hochschulen, Wissenschaften (vor allem Geistes-,<br />

Kultur- und Sozialwissenschaften), kulturelle Einrichtungen<br />

sowie Medien. In diesen sozialen Feldern wird ein Deutungsund<br />

Machtkampf ausgetragen, der vorrangig auf Dominanz in<br />

diesen Teilöffentlichkeiten abzielt, um von dort aus Wirkungen<br />

in die breitere Gesellschaft hinein zu entfalten. Dies geschieht<br />

in der Auseinandersetzung um Sprach- und Schreibregelungen<br />

(vor allem um ›gendergerechte Sprache‹), um ›Bereinigung‹ von<br />

Texten, auch historischen, von unerwünschten Begriffen und<br />

Sprechweisen (z. B. ›Mohr‹), Verdammung von Autoren oder<br />

Künstlern aus früheren Epochen wegen selektiv ausgewählter<br />

Äußerungen (›Kant war ein Rassist‹), Versuche der Verhinderung<br />

von Vorträgen Andersdenkender und Beseitigung unerwünschter<br />

kultureller Artefakte (z. B. bestimmte Denkmäler).<br />

Spätestens hier wird diese <strong>Identität</strong>spolitik zu einer konkreten<br />

Bedrohung für die Freiheit.<br />

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