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Wolfgang Sander: Europäische Identität (Leseprobe)

Was verbindet die Europäer? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Zukunft der europäischen Einigung ab. Historisch ist Europa wesentlich durch die christliche Tradition geprägt. Zwar ist diese Tradition blasser geworden. Aber noch immer liegen hier entscheidende Ressourcen für eine ganz Europa verbindende europäische Identität. Europa braucht eine christliche Renaissance, die die christliche Tradition wiederentdeckt, um sie für heute weiterzudenken: Wie verhält sich der christliche Glaube zu den Wissenschaften, wie zu den sogenannten europäischen Werten, wie zu Diversität in modernen Gesellschaften? Wie lässt sich Freiheit anders denken denn als Narzissmus und Egoismus, wie ein Weltbezug jenseits des bloßen Verfügbarmachens? Und wie müssen die christlichen Kirchen sich selbst erneuern?

Was verbindet die Europäer? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Zukunft der europäischen Einigung ab. Historisch ist Europa wesentlich durch die christliche Tradition geprägt. Zwar ist diese Tradition blasser geworden. Aber noch immer liegen hier entscheidende Ressourcen für eine ganz Europa verbindende europäische Identität. Europa braucht eine christliche Renaissance, die die christliche Tradition wiederentdeckt, um sie für heute weiterzudenken: Wie verhält sich der christliche Glaube zu den Wissenschaften, wie zu den sogenannten europäischen Werten, wie zu Diversität in modernen Gesellschaften? Wie lässt sich Freiheit anders denken denn als Narzissmus und Egoismus, wie ein Weltbezug jenseits des bloßen Verfügbarmachens? Und wie müssen die christlichen Kirchen sich selbst erneuern?

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1. Wir Europäer: Europäische <strong>Identität</strong> als Aufgabe und Problem<br />

anderen Facetten von Zugehörigkeit verwoben. Keinesfalls lässt<br />

sie sich auf die Ebene der europäischen Integrationspolitik nach<br />

1945 und deren Effekte beschränken. Dies wird schon deutlich,<br />

wenn man in historischen Rückblicken zunächst nur auf einer<br />

beschreibenden Ebene nach Besonderheiten der europäischen<br />

Kultur im globalen Vergleich sucht. Max Weber hat schon 1920<br />

eine Aufzählung dieser Besonderheiten in zehn Punkten vorgelegt,<br />

Richard Schröder hat diese Liste aufgenommen und um<br />

weitere Aspekte ergänzt. 19 Viele von ihnen haben sich im Verlauf<br />

der Neuzeit von Europa aus in der Welt verbreitet, bleiben<br />

aber gleichwohl auch für das heutige Europa prägend. Zu<br />

ihnen gehören unter anderem die modernen Wissenschaften,<br />

die analytische, also nicht einfach nur als Hofberichterstattung<br />

angelegte Geschichtsschreibung seit Thukydides, die politische<br />

Theorie seit Platon und Aristoteles, das nicht-religiöse Recht als<br />

Grundlage des Staates seit dem Römischen Reich, die Dualität<br />

zwischen Kirche und Staat, die Erfindung der Nationen, Kapitalismus<br />

und Sozialismus, der christliche Individualismus und<br />

sein Niederschlag in kodifizierten Grund- und Menschenrechten.<br />

Unschwer lässt sich bei den meisten dieser Stichworte sofort<br />

die Verbindung zu den eingangs genannten drei metaphorischen<br />

Städtenamen Athen, Rom und Jerusalem herstellen.<br />

Die Gefahren der <strong>Identität</strong>spolitik<br />

Der amerikanische Philosoph Michael Walzer hat am Beispiel<br />

seines eigenen Lebens die Vielfalt möglicher Facetten von <strong>Identität</strong><br />

als Chance für ein friedliches Zusammenleben beschrieben:<br />

»Wenn ich mich sicher fühlen kann, werde ich eine komplexere<br />

<strong>Identität</strong> erwerben. […] Ich werde mich mit mehr als<br />

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