MinD-Mag 145
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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REZENSIONEN<br />
Leben – so viel Vielfalt<br />
Von Swen Neumann<br />
Die Aufarbeitung der<br />
eigenen Geschichte<br />
als Roman<br />
D<br />
ie Aufarbeitung der DDR-<br />
Zeit hat gerade Konjunktur.<br />
Vieles kommt in diesem Zusammenhang<br />
politisch daher, auch<br />
die Literatur. Ist individuell gestaltete<br />
Selbstreflektion, das Leben<br />
an sich vorbeiziehen lassen,<br />
auch politisch? So muss es nicht<br />
wirken und ist es doch. „Dunkeldeutschland“<br />
ist ein angenehm<br />
ruhig beschreibender Roman,<br />
der genau dadurch eine besondere<br />
– ja, auch politische – Wirkung<br />
entfaltet.<br />
Der Plot: Ein Mann (aufgewachsen<br />
in der DDR) ist mit seiner<br />
Halbschwester (aufgewachsen<br />
in der Bundesrepublik) zu<br />
einem ersten Treffen verabredet.<br />
Sie erscheint nicht. Unfall.<br />
Koma. Der Mann begleitet sie<br />
über eine lange Zeit in diesem<br />
Zustand. Seine Gedanken wandern<br />
zurück in die Zeit seiner Jugend,<br />
seiner Geschichte mit der<br />
Mutter, der Schule, der Liebe.<br />
Ein Aufwachsen in einem Staat,<br />
der so anders ist als sein jetziges<br />
Leben in einem Staat, den<br />
er sich aussuchte und der dann<br />
plötzlich für alle da ist, verfügbar<br />
ist. Seine Entwicklung, die<br />
Erlebnisse, wenn man nicht<br />
vollständig konform ist. Der<br />
Alltag der Ausbildung, der von<br />
Engpässen, von Verteilung unterm<br />
Ladentisch geprägt ist. Es<br />
entsteht ein Bild, wie es seiner<br />
Schwester fremd wäre. So überhaupt<br />
nicht in ihre Erlebniswelt<br />
passend. Und es befremdete den<br />
Protagonisten selbst, genauso<br />
wie sein aktuelles Leben.<br />
Dieser Roman hat eine unaufgeregte<br />
Erzählweise und besticht<br />
gerade dadurch. Er transportiert<br />
Eindrücke und Empfindungen<br />
schleichend und mächtig.<br />
Spannend erzählt, schafft<br />
es der Roman, einen in die Geschichte<br />
zu ziehen. Angenehm<br />
aufwendig produziert, kann<br />
man diesen Lesegenuss nur<br />
empfehlen.<br />
Udo Taubitz:<br />
Dunkeldeutschland<br />
254 Seiten, 20,00 EUR<br />
BoD – Books on Demand, 2020<br />
ISBN 978-3-75196-902-4<br />
Erinnerungen des<br />
Abiturjahrgangs 1976<br />
eines altsprachlichen<br />
Bremer Gymnasiums<br />
W<br />
arum sollte man diese Geschichten<br />
lesen? Weil sie<br />
gut und lebendig erzählt sind.<br />
Weil die Veränderungen des Lebens<br />
so spannend sind. Und weil<br />
uns vieles begegnet, was uns bewegt<br />
und die später Geborenen<br />
aus erster Hand lesen können.<br />
Da sind die verschiedenen<br />
Wahrnehmungen der 70er und<br />
der Zeit um das Abitur. Ein<br />
Stück Zeitgeschichte von Personen,<br />
die erkennbar in ihrer<br />
Vorstellung vom gesellschaftlichen<br />
Leben (oder auch politischer<br />
Gesinnung) grundverschieden<br />
sind. Da leben die Proteste<br />
wieder auf, die Streiks,<br />
die in der bremischen Schülerschaft<br />
noch bis in die 80er obligatorisch<br />
waren – und sicher<br />
auch anderweitig. Die Lebenswege<br />
sind dann in ihrer Verschiedenheit<br />
von den Interessen<br />
der einzelnen Personen geprägt,<br />
auch wenn sich diese zuweilen<br />
erst deutlich nach dem<br />
Abitur herausschälten. Es gibt<br />
viel über Bücher, Biologie, Musik,<br />
Psychologie und vieles andere<br />
mehr zu entdecken. Es wird<br />
auch von Sorgen und Nöten berichtet.<br />
Schließlich hatte einer<br />
der ersten „starken“ Geburts-<br />
42 | mind magazin <strong>145</strong>/dezember 2021