MinD-Mag 145
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />
klarer Kriterien fest; hierfür gibt<br />
es auch Richtlinien.<br />
Rein qualitative Untersuchungen<br />
werden beispielsweise nicht<br />
berücksichtigt, schlichtweg,<br />
weil sie die notwendigen statistischen<br />
Angaben zur Größe von<br />
Effekten nicht erfassen. Auch<br />
muss berichtet werden, welche<br />
Datenbanken und welche Suchbegriffe<br />
und gegebenenfalls<br />
welche weiteren Quellen zum<br />
Auffinden der Originalstudien<br />
verwendet werden.<br />
Ferner werden Interventionen,<br />
die keine Wirkung hatten, seltener<br />
veröffentlicht – auch diesen<br />
sogenannten „Publikationsbias“<br />
muss man also berücksichtigen.<br />
Was untersucht<br />
wurde<br />
Die Diskrepanz zwischen Potenzial<br />
und Leistung ist zwingendes<br />
Definitionskriterium<br />
von Underachievement. Einfach<br />
nur geringe Leistungen genügen<br />
also nicht.<br />
In dieser Studie untersuchten<br />
die Forschenden Underachievement<br />
über das gesamte Fähigkeitsspektrum<br />
– denn bekanntlich<br />
können nicht nur Hochbegabte<br />
unter ihren Möglichkeiten<br />
bleiben. Möglicherweise unterscheiden<br />
sich zwar die Faktoren,<br />
die bei Hoch- und durchschnittlich<br />
Begabten zu Underachievement<br />
beitragen; an systematischen<br />
Untersuchungen, die die<br />
beiden Gruppen direkt verglichen<br />
haben, mangelt es jedoch<br />
noch. Einbezogen wurden Studien,<br />
die die Auswirkungen von<br />
Underachievement-Interventionen<br />
auf die Leistung und/oder<br />
auf sozioemotionale Variablen<br />
untersucht und eine Kontroll-<br />
Dass die Wirkung unabhängig<br />
vom Begabungsniveau<br />
der Teilnehmenden ist,<br />
könnte man auf den ersten<br />
Blick so interpretieren,<br />
dass Hochbegabte keine<br />
„Extrawurst“ brauchen.<br />
gruppe implementiert (oder zumindest<br />
einen Vorher-Nachher-<br />
Vergleich vorgenommen) hatten.<br />
In diesem Fall kamen von ursprünglich<br />
3.302 Zitationen 331<br />
Untersuchungen in die engere<br />
Wahl, von denen nach Anwendung<br />
aller Auswahlkriterien 42<br />
Studien übrig blieben, die zwischen<br />
1960 und 2016 veröffentlicht<br />
worden waren. Das klingt<br />
auf den ersten Blick nach einem<br />
ziemlichen Schwund, ist aber<br />
völlig im Rahmen.<br />
Was kam heraus?<br />
Wirken Interventionen gegen<br />
Underachievement? Ja! Die 38<br />
Studien, die sich mit den Auswirkungen<br />
auf Leistungen befassten,<br />
fanden 73 positive, 18<br />
negative und acht Nulleffekte.<br />
Im Durchschnitt verbesserte<br />
sich die Leistung um 0,45 Standardabweichungen.<br />
Bei den 33 Studien, die sich<br />
Einflüsse auf psychosoziale Variablen<br />
anschauten (in 29 Untersuchungen<br />
wurde beides berücksichtigt),<br />
fanden sich 182<br />
positive und 108 negative Effekte,<br />
im Mittel eine Verbesserung<br />
von 0,35 Standardabweichungen<br />
– und das alles, obwohl die<br />
Stichproben äußerst heterogen<br />
waren.<br />
Was fanden die Forscher noch<br />
heraus? Je früher man interveniert,<br />
desto besser die Wirkung;<br />
das passt zu früheren Befunden,<br />
dass sich Underachievement<br />
mit dem Ende der Grundschulzeit<br />
zu stabilisieren scheint. Ob<br />
jemand hochbegabt ist oder<br />
nicht, hat hingegen keine Auswirkungen.<br />
Auch der Fokus der Intervention<br />
– Aufholen der Lerndefizite<br />
versus psychosoziale Beratung –<br />
macht keinen statistisch signifikanten<br />
Unterschied. Einen kleinen<br />
Effekt hatte außerdem, wie<br />
Underachievement operationalisiert<br />
wurde – ein Hinweis darauf,<br />
wie wichtig es ist, sich über<br />
die Begrifflichkeiten im Klaren<br />
zu sein.<br />
Interessant war außerdem,<br />
dass das Entstehungsjahr einen<br />
leichten Einfluss auf die<br />
Leistungsgewinne hatte: Jüngere<br />
Studien zeigten eher größere<br />
Effekte, was zeigt, dass sich<br />
die Qualität der Interventionen<br />
langsam, aber stetig verbessert.<br />
Ein kleiner Wermutstropfen:<br />
Es gab Hinweise auf einen Publikationsbias<br />
insofern, als kleinere<br />
Studien mit negativen Effekten<br />
gar nicht erst berücksichtigt<br />
wurden. Veröffentlicht werden<br />
also eher Programme mit ausreichender<br />
Datengrundlage, die<br />
funktionieren.<br />
Was bedeutet<br />
das praktisch?<br />
Dass Interventionen im Sekundar-<br />
und Tertiärbereich<br />
nicht mehr so gut wirken, heißt<br />
nicht, dass Bemühungen in diese<br />
Richtung völlig umsonst wä-<br />
22 | mind magazin <strong>145</strong>/dezember 2021