MinD-Mag 145
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />
Was hilft hochbegabten<br />
Underachievern?<br />
Von Tanja Gabriele Baudson<br />
Weniger zu leisten, als das eigene Potenzial eigentlich hergäbe: Das ist ein Problem, das<br />
nicht nur Hochbegabte betrifft, das bei ihnen aber oft besonders schmerzlich deutlich wird.<br />
In einer leistungsorientierten Gesellschaft zählt das bloße Potenzial leider oft wenig – egal,<br />
wie hoch es ist. Daher überrascht es kaum, dass Underachievement häufig Anlass dafür ist,<br />
eine Begabungsberatung in Anspruch zu nehmen.<br />
U<br />
nderachievement hat die<br />
ungute Tendenz zur Chronifizierung;<br />
und oft genug stecken<br />
in dem Päckchen, das Underachiever<br />
mit sich herumtragen,<br />
noch eine ganze Reihe von<br />
weiteren psychosozialen Problemen.<br />
Verständlich – Leistung<br />
spielt in unserer Gesellschaft<br />
eine wichtige Rolle. Dass gerade<br />
diejenigen mit dem größten Potenzial<br />
besonders unter ihrem<br />
Underachievement leiden, verwundert<br />
daher nicht.<br />
Manche Forschende sprechen<br />
angesichts der psychischen Kollateralschäden<br />
gar von einem<br />
„Underachievement-Syndrom“.<br />
Umso wichtiger ist es also, so<br />
früh wie möglich etwas dagegen<br />
zu unternehmen. Doch das<br />
ist gar nicht so leicht. Sind die<br />
Leistungen einmal im Sinkflug,<br />
nehmen auch Motivation und<br />
die Überzeugung, etwas zu können,<br />
ab.<br />
Und von anderen hagelt es<br />
dann dezente (und manchmal<br />
auch deutlichere) Vorwürfe,<br />
weshalb man sich denn nicht<br />
einfach ein bisschen anstrengen<br />
würde – man habe es doch<br />
eigentlich drauf. Als ob das so<br />
einfach wäre!<br />
Aber nicht nur für das Individuum<br />
ist Underachievement<br />
kein schöner Zustand. Auch die<br />
Gesellschaft ist darauf angewiesen,<br />
dass Menschen ihr Potenzial<br />
entfalten und in die Gemeinschaft<br />
einbringen – mit dem<br />
netten Nebeneffekt, dass sie<br />
dann auch weniger auf soziale<br />
Unterstützung angewiesen sind<br />
und es ihnen insgesamt besser<br />
geht. All das wäre in einer vernunftbasierten<br />
und marktwirtschaftlich<br />
orientierten Politik<br />
wiederum ein gutes Argument,<br />
um nachweislich funktionierende<br />
Interventionen flächendeckend<br />
umzusetzen.<br />
Lange Zeit galt chronisches<br />
Underachievement als kaum<br />
behandelbar und für Betroffene<br />
wie für Behandelnde als gleichermaßen<br />
frustrierend. Eine<br />
frühe Übersichtsstudie kam zu<br />
dem pessimistischen Schluss,<br />
dass die untersuchten Interventionen<br />
recht konsistent erfolglos<br />
wären, das Problem Underachievement<br />
vor allem bei Hochbegabten<br />
tiefer ginge als die<br />
Versuche, es zu lösen*.<br />
Eine Übersichtsstudie ist das<br />
Thema nun erneut systematisch<br />
angegangen: Wie wirksam sind<br />
Interventionen gegen Underachievement?<br />
Und worauf wirken<br />
sie sich aus – leisten die Betroffenen<br />
nach der Intervention<br />
* „The programs we reviewed were rather consistent in reporting the ineffectiveness of interventions. The problem of underachievement<br />
with gifted seems more profound than the attempted solutions“ (Dowdall & Colangelo, 1982, S. 182).<br />
20 | mind magazin <strong>145</strong>/dezember 2021