MinD-Mag 145

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa. Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

07.12.2021 Aufrufe

DIE M VON NEBENAN EDV-Kauffrau gequält. Damit habe ich tatsächlich auch eine Stelle bekommen, allerdings spielte das Programmieren dabei keine Rolle, sondern ich habe kaufmännisch gearbeitet beziehungsweise im Kundendienst. Auch bei den nachfolgenden Jobs ging es in die Richtung Kundenbetreuung oder Marketing. Ich hatte nie einen Job mit einem klaren Etikett. Dazu gab es alle zwei oder drei Jahre einen Wechsel, da ich ständig rausgeflogen bin, weil irgendeine Vorgesetzte mit mir Schwierigkeiten hatte. Jedes Mal. Ich habe mir das immer selbst vorgeworfen und mich gefragt, was ich falsch mache. Irgendwann hatte ich vom Büro die Nase voll und habe eine Schreinerlehre gemacht, das hat mir sehr gut gefallen und lag mir. War aber schwierig, als Frau eine Stelle zu bekommen, ich hätte mich gerne zur Restauratorin weitergebildet. Ich habe wegen dieser Probleme und Selbstzweifel mehrmals eine Therapie gemacht. Traurigerweise hat mein erster Therapeut, und nur der, die HB erkannt, aber er drückte es in der Vergangenheit aus: „Sie waren wohl ein hochbegabtes Kind“. Mir wäre viel erspart geblieben, wenn ich damals schon das über HB gewusst hätte, was ich heute weiß. Das Bedauern über diese quasi vergeudete Lebenszeit und die Jahre voller Selbstzweifel und Selbstvorwürfe kennen ja viele Späterkannte. Mittlerweile bist du aber mit dir ins Reine gekommen. Wie hast du das geschafft? Nach der Bestätigung meiner Hochbegabung im Jahr 2016 habe ich dann endlich bei einem Mensa-Jahrestreffen die Erklärung bekommen, dass ich anscheinend mein Leben lang völlig unbewusst ein so genanntes Hochrangverhalten an den Tag gelegt habe. Dazu gehören das schnelle Sprechen, die schnelle Auffassungsgabe, das Überblicken von Zusammenhängen, Finden von Lösungen und eigenständiges Arbeiten. All diese Dinge werden von Arbeitgebern verlangt, aber wehe, du tust sie wirklich! Dann ist dein Chef oder vor allem deine Chefin schnell dabei, Panik zu schieben, dass du an ihrem Stuhl sägen könntest. Die fragwürdige Lösung ist, dass du dich als Hochbegabte an einem Arbeitsplatz, an dem du nicht das Glück hast, so akzeptiert zu werden, wie du bist, permanent verstellen und zurücknehmen und gleichzeitig das eigene Verhalten auf Hochrangverhaltensmerkmale hinterfragen musst. Den giftigen Satz meines Großvaters, der eigentlich ein total netter Mensch war, hatte ich damals im Hinterkopf: „Du fängst immer alles an und machst nichts fertig.“ Angharad und LISAR, eine rekonstruierte Frau aus der Bandkeramik-Zeit im Museum in Landau an der Isar. Und kommst du im Beruf besser zurecht, seitdem du von deiner Hochbegabung weißt? Das wird sich noch zeigen. Nach fünfjähriger Arbeitslosigkeit mit einer kurzen Unterbrechung kann ich das neue Wissen über mich selbst und meine Hochbegabung jetzt erstmals in einem Halbtagsjob anwenden, in dem ich viele Möglichkeiten zum eigenständigen Arbeiten habe. Sogar meine Arbeitszeiten teile ich mir zu großen Teilen selbst ein. Das ist sehr praktisch für meine Museumstermine hier im Residenzschloss in Mergentheim. Und natürlich für meine zukünftigen Angebote im Naturmentoring. Für viele potentielle Arbeitgeber war meine vielseitige Aufstellung leider mehr ein Grund, mich als schwer vermittelbar zu sehen: Ob ich denn überhaupt fähig sei, ein stetiges Arbeitsverhältnis einzugehen, wurde ich dauernd gefragt. Die letzten fünf Jahre habe ich mich also sehr fleißig beworben. Die Arbeit als Patientenfürsprecherin klang direkt passend: Ich habe ja selbst Therapieerfahrung, viele Freunde, bei denen irgendwas klemmt, und ein 14 | mind magazin 144/Oktober 2021

paar Jahre als Schreibkraft und Sekretärin in der Psychiatrie gearbeitet habe ich auch schon. Und durch die Wildnispädagogikausbildung, die nebenher lief, habe ich auch einige Softskills wie Gesprächsführung dazu erworben. Große Sprünge kann ich mit dieser Halbtagsstelle und dem Mini-Job nicht machen, aber es ist so toll, nichts mehr mit dem Jobcenter zu tun haben zu müssen. Generell ist der Tonfall, mit dem man dort behandelt wird, unterirdisch. Wie geht es mit deiner Wildnispädagogik weiter? Hast du schon eine Homepage, oder arbeitest du erst einmal über Mundpropaganda? Was sind deine Pläne? Ich habe angefangen, eine Webseite zu erstellen, aber es fehlt gerade das Geld, um sie professionell aufbereiten zu lassen. Die Bilder möchte ich eh selbst machen. Mit den Texten mühe ich mich auch noch etwas ab: Weil ich so begeistert von dem Thema bin, fällt es mir schwer, kurz und knackig auf den Punkt zu kommen, worum es mir bei der Wildnispädagogik, besser Naturmentoring, eigentlich geht. Beides hast du ja im Interview gemerkt. Es ist aber ohnehin schwer, einen geeigneten Ort zur Ausrichtung zu finden: Man muss zelten und Feuer machen dürfen, etwas abgelegen soll der Platz auch sein, und idealerweise gibt es einen wetterfesten Unterstand. Jetzt habe ich erst einmal eine kostengünstige Wiese am Bach gefunden. Eine Handvoll Interessierter habe ich schon über Mundpropaganda zusammen, für die ich gerne ein erstes Seminar im April anbieten würde. Wie würdest du heutzutage deinem Großvater antworten, wenn du ihn nochmal träfst und er dich fragte, was du nun eigentlich „fertig gemacht“ hast? Ich glaube, ich würde ihm erklären, dass es einfach viele Dinge gibt, die mich interessieren und in die ich reinschnuppern möchte, und dass es weniger wichtig ist, Dinge „fertig zu machen“, als neugierig zu bleiben. Schließlich verlangt niemand von mir, dass ich in irgendetwas die Meisterschaft erreiche. Ich möchte lieber die Vielseitigkeit erhalten, die ich nun endlich zu genießen gelernt habe. Die Fragen stellte Tina Zejewski mind magazin 144/dezember 2021 | 15 Jetzt mit Mensa- Baumschmuck! boutique.mensa.de

paar Jahre als Schreibkraft und Sekretärin in<br />

der Psychiatrie gearbeitet habe ich auch schon.<br />

Und durch die Wildnispädagogikausbildung,<br />

die nebenher lief, habe ich auch einige Softskills<br />

wie Gesprächsführung dazu erworben.<br />

Große Sprünge kann ich mit dieser Halbtagsstelle<br />

und dem Mini-Job nicht machen, aber<br />

es ist so toll, nichts mehr mit dem Jobcenter<br />

zu tun haben zu müssen. Generell ist der Tonfall,<br />

mit dem man dort behandelt wird, unterirdisch.<br />

Wie geht es mit deiner Wildnispädagogik weiter?<br />

Hast du schon eine Homepage, oder arbeitest du erst<br />

einmal über Mundpropaganda? Was sind deine Pläne?<br />

Ich habe angefangen, eine Webseite zu erstellen,<br />

aber es fehlt gerade das Geld, um sie<br />

professionell aufbereiten zu lassen. Die Bilder<br />

möchte ich eh selbst machen. Mit den Texten<br />

mühe ich mich auch noch etwas ab: Weil ich<br />

so begeistert von dem Thema bin, fällt es mir<br />

schwer, kurz und knackig auf den Punkt zu<br />

kommen, worum es mir bei der Wildnispädagogik,<br />

besser Naturmentoring, eigentlich geht.<br />

Beides hast du ja im Interview gemerkt.<br />

Es ist aber ohnehin schwer, einen geeigneten<br />

Ort zur Ausrichtung zu finden: Man muss<br />

zelten und Feuer machen dürfen, etwas abgelegen<br />

soll der Platz auch sein, und idealerweise<br />

gibt es einen wetterfesten Unterstand. Jetzt<br />

habe ich erst einmal eine kostengünstige Wiese<br />

am Bach gefunden. Eine Handvoll Interessierter<br />

habe ich schon über Mundpropaganda<br />

zusammen, für die ich gerne ein erstes Seminar<br />

im April anbieten würde.<br />

Wie würdest du heutzutage deinem Großvater<br />

antworten, wenn du ihn nochmal träfst und er dich<br />

fragte, was du nun eigentlich „fertig gemacht“ hast?<br />

Ich glaube, ich würde ihm erklären, dass es<br />

einfach viele Dinge gibt, die mich interessieren<br />

und in die ich reinschnuppern möchte, und<br />

dass es weniger wichtig ist, Dinge „fertig zu<br />

machen“, als neugierig zu bleiben. Schließlich<br />

verlangt niemand von mir, dass ich in irgendetwas<br />

die Meisterschaft erreiche. Ich möchte lieber<br />

die Vielseitigkeit erhalten, die ich nun endlich<br />

zu genießen gelernt habe.<br />

Die Fragen stellte Tina Zejewski<br />

mind magazin 144/dezember 2021 | 15<br />

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