MinD-Mag 145
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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DIE M VON NEBENAN<br />
beitet wie heute? Woher bekomme<br />
ich ein Schnittmuster? Welche<br />
Schuhe trug die Figur? Welchen<br />
Schmuck?<br />
Und wenn ich jetzt mehr als<br />
nur eine Führung im Museum<br />
mache, sondern im Lager bin,<br />
brauche ich Ausstattung: Keramik,<br />
Kochgefäße, Trinkgefäße.<br />
Wie sahen die in der jeweiligen<br />
Epoche aus? In den Neunzigern<br />
gab es vieles noch nicht zu kaufen.<br />
Heute gibt es alles zwischen<br />
Made-in-China-Niveau und<br />
wirklich super Handarbeiten.<br />
Du hast auch eine Schublade<br />
voller historisch korrekt<br />
handgefertigter Messer, von<br />
deren Herstellungsprozess du sehr<br />
leidenschaftlich berichten kannst.<br />
Wie wurde diese Begeisterung<br />
ursprünglich in dir geweckt?<br />
Eigentlich wollte ich nach<br />
dem Abi Archäologie studieren.<br />
Ich habe mich schon als Kind für<br />
diesen ganzen Geschichtskram<br />
interessiert und wie ein normales<br />
HB-Kind die halbe Bibliothek<br />
einmal quergelesen. „Mit<br />
dem Fahrstuhl in die Römerzeit“<br />
oder „Götter, Gräber und Gelehrte“<br />
sind zwei berühmte Titel.<br />
In den Siebzigerjahren kamen<br />
die Kelten langsam ins öffentliche<br />
Bewusstsein – und meins.<br />
Außerdem Germanen und Ritter.<br />
Und „Die Höhlenkinder“<br />
von Alois Theodor Sonnleitner,<br />
wo zwei Kinder in einem<br />
Alpental festsitzen und lernen<br />
müssen, sich selbst zu versorgen.<br />
Ich war sofort angefixt und<br />
wollte das auch alles ausprobieren!<br />
Das gleiche galt für die Ritter:<br />
Ich wollte in meinem Leben<br />
einmal ein Schwert in der Hand<br />
halten und mit allen Sinnen in<br />
diese Zeit eintauchen!<br />
Mir ist ein Stein, ach was, ein<br />
ganzes Gebirge vom Herzen<br />
gefallen, Schuldgefühle sind von<br />
mir abgefallen. Vor allem dieses<br />
Gefühl, nicht richtig zu sein,<br />
sich nicht anpassen zu können.<br />
Zwei Varianten merowingischer<br />
Tracht, die Puppe war eine Auftragsarbeit<br />
für das Heimatmuseum<br />
Meckenheim.<br />
Mit fünfzehn schrieb ich einen<br />
Brief an einen Historiker,<br />
woher ich denn Schnittmuster<br />
für die mittelalterliche Kleidung<br />
bekommen könnte.<br />
Zehn Jahre später, also 1988,<br />
war dann Marcus Junkelmann<br />
für einen Vortrag hier in Mergentheim,<br />
ein deutscher Historiker<br />
und Experimentalarchäologe,<br />
der dafür bekannt geworden<br />
ist, dass er anlässlich des<br />
zweitausendjährigen Bestehens<br />
der Römergründung Augsburg<br />
einen Marsch über die Alpen<br />
mit originalgetreu römischer<br />
Ausrüstung gemacht hat.<br />
Da bin ich natürlich hin als jugendliche<br />
25-Jährige und war<br />
hin und weg, denn er hatte tatsächlich<br />
sein römisches Kettenhemd<br />
und sein römisches Reiterschwert<br />
dabei! Und als er<br />
dann fragte, ob es sich jemand<br />
mal anziehen wolle, war das<br />
für mich natürlich der absolute<br />
Wahnsinn! Du merkst, ich<br />
schwärme heute noch von diesem<br />
Moment! Das war wie eine<br />
direkte Verbindung in die Vergangenheit.<br />
Kurz danach war ich dann<br />
auf meinem ersten Mittelaltermarkt,<br />
habe Leute kennengelernt,<br />
als Aushilfe bei einem<br />
Stand gearbeitet, begonnen, mir<br />
Kostüme zu nähen – eins kam<br />
zum anderen.<br />
Vor allem im Sommer war ich<br />
fast jedes Wochenende auf einem<br />
anderen Markt, und nach<br />
und nach hatte man immer<br />
mehr Ausstattung angesammelt<br />
und hat von Veranstaltern Geld<br />
bekommen, wenn man sich mit<br />
seinem Zeug präsentiert hat.<br />
Dabei war es einfach eine geile<br />
Zeit, abends ums Lagerfeuer zu<br />
sitzen, zu singen, und tagsüber<br />
mit stumpfen Schwertern aufeinander<br />
einzuhauen.<br />
Schließlich habe ich um 1999<br />
Leute kennengelernt, die das<br />
ganze authentischer machen<br />
wollten: Wir nähten unsere Klamotten<br />
nicht mehr mit der Nähmaschine,<br />
sondern mit Nadel<br />
und Faden und mit historisch<br />
korrekter Naht, und machten<br />
uns Gedanken über die Art der<br />
Wolle, welche Farben man überhaupt<br />
färben konnte und so fort.<br />
Der nächste Schritt war, dass<br />
wir auf den Märkten auch dem<br />
Publikum vermitteln wollten,<br />
10 | mind magazin <strong>145</strong>/dezember 2021