ZAS MAGAZIN, 309. Ausgabe, Dezember 2021
Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.
Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.
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„Fortschritt“ ausreichend Platz für alle möglichen
Interpretationen. Es ist kein stringenter Begriff.
Die SPD hält vielleicht etwas ganz anderes für
fortschrittlich als die FDP oder die Grünen. In
früheren Jahren hat ja auch die CDU den Begriff
„Fortschritt“, kombiniert mit „Stabilität“ als
Wahlwerbung benutzt. Das hieße übersetzt quasi:
Fortschritt beruhte auf der Stabilität der Braunkohle.
Wie ja der „Fortschritt“ schon immer auch
in der Kunst der deutschen Autobauer bestand,
tolle Schlitten zu bauen. Ist es jetzt im neuen
Vertrag ein Fortschritt, wenn der Diesel auch
weiterhin mit Steuergeldern subventioniert wird?
Es stellt sich daher die Frage: Fortschritt bei was?
Fortschritt für wen? Ein typisches Beispiel dafür,
wie vage Ziele zum Problem werden können,
war die erste gemeinsame Gesetzesinitiative der
Ampel, die mit ihrer Mehrheit im Bundestag ja ein
neues Infektionsschutzgesetz durchgedrückt hat.
Damit sollte ein neuerliches Lockdown im Land
ausgeschlossen werden. Ein Fortschritt oder ein
FDP-Wunschgedanke? Fortgeschritten ist in der
Folge davon lediglich die Corona-Pandemie, die
ohne Rücksicht auf politische Floskeln das Land
an den Rand des Triage-Abgrunds bringt.
Was heißt hier „Vertrag“?
Der Koalitionsvertrag, der nun erstmals in der
Bundesrepublik zwischen drei Parteien geschlossen
wurde, beruht eher auf Vertrauen denn auf
juristischer Einklagbarkeit. Er ist eine gigantische
Willenserklärung, die einerseits für die jeweils
beteiligten Parteien und deren Anhänger gedacht
ist, aber andererseits auch den Willen der Parteien
dokumentiert, wie sie es miteinander probieren
wollen. Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, ob
und welche Partei sich ständig auf den „Vertrag“
berufen muss, der doch geschlossen worden ist.
Denn diese Partei ist dann diejenige, die politisch
verloren haben wird. Im Idealfall schaffen es die
Koalitionäre tatsächlich, weiter einen Politikstil
miteinander zu entwickeln, der es überflüssig
macht, sich auf den „Vertrag“ zu berufen. Und
ja, die Art und Weise wie die Ampel überhaupt
entstanden ist, war ungewöhnlich stilvoll, auch
jenseits der inszenierten Bilder. Trotz schwieriger
Ausgangslage gab es kein Polit-Theater, wie
es bei der Union zuletzt immer der Fall war. Es
könnte sein, dass sich da tatsächlich gegenseitiges
Vertrauen gebildet hat, das dann in schwierigen
Phasen die Koalition trägt.
Was steht im Koalitionsvertrag drin?
Im Wesentlichen haben alle drei Parteien ein
paar Kernversprechen an ihre Wähler realisiert.
Der Mindestlohn wird auf zwölf Euro angehoben
(SPD), pro Jahr sollen 400.000 neue Wohnungen
gebaut werden (SPD/Grüne), eine Rentenkürzung
oder eine Anhebung des gesetzlichen
Eintrittsalters soll es nicht geben (SPD/FDP),
Steuererhöhungen soll es nicht geben (FDP), die
Schuldenbremse behält ihre Gültigkeit (FDP), bis
2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus
grünen Quellen kommen (Grüne), bis 2030 sollen
mindestens 15 Millionen vollelektrische Autos
in Deutschland zugelassen sein (Grüne). Darüber
hinaus soll es eine neues „Bürgergeld“ (statt
Hartz IV) geben sowie eine Grundischerung für
Kinder. Es soll eine Asyl- und Migrationswende
geben, sowie Neuerungen in der Integrationsund
Staatsbürgerschaftspolitik, Verbesserungen
im Adoptionsrecht, die Legalisierung von Cannabis,
die Streichung des Paragrafen 219a des
Strafgesetzbuches zur Entkriminalisierung der
Abtreibung, sowie die Senkung des allgemeinen
Wahlalters auf 16 Jahre. Viele gute Vorhaben.
Was steht zuerst an?
Alle Vorhaben der neuen Ampel-Regierung
stehen unter dem Vorbehalt, dass Deutschland
der Gesundheitskatastrophe durch die Corona-
Pandemie entgeht. Nachdem jedoch die Lage so
schlimm ist wie noch nie und darüber hinaus auch
noch die ansteckendere Omikron-Variante in Europa
und auch in Deutschland angekommen ist,
steht der erste Stresstest der Ampel im Raum, noch
bevor Olaf Scholz überhaupt zum Kanzler gewählt
ist. Die FDP will partout keinen Lockdown, das
war ja eines ihrer Kernversprechen. Tja, das wird
eine harte Prüfung. Für die Ampel, für uns alle.
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Politik und Gesellschaft
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