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ZAS MAGAZIN, 309. Ausgabe, Dezember 2021

Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.

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Vertrauen soft,

Prüfung hart

Die „Ampel“ hat noch vor der Wahl von

Olaf Scholz zum Kanzler ein Problem.

„Mehr Fortschritt wagen“ heißt die

Überschrift des Koalitionsvertrags. Weit

fortgeschritten ist aber derzeit nur die

Corona-Pandemie.

Von Michael Zäh

Der Auftritt der Regierungshelden war bis ins

Detail inszeniert. In breiter Reihe schritten

die glorreichen Neun auf die Fotografen zu, fast

ein bisschen in Zeitlupe, wie es sich vor einem

Showdown gehört. Und selbst die Anordnung, wer

wo in dieser Reihe ging, war keinesfalls dem Zufall

geschuldet. Von links nach rechts: Michael Kellner

(Grüne), Norbert-Walter Borjans (SPD), Annalena

Baerbock und Robert Habeck (Grüne),Olaf Scholz

(SPD), Christian Lindner und Volker Wissing

(FDP), Saskia Esken und Lars Klingbeil (SPD). Mit

dem Kanzlermann in der Mitte, mit den beiden

Grünen-Chefs rechts von sich und dem FDP-Chef

Lindner links von sich wurde sozusagen das neue

Machtzentrum abgebildet, halt an den Rändern

ergänzt durch andere Leute, die mal vielleicht

noch brauchen kann, wie etwa die kommenden

SPD-Chefs Esken und Klingbeil. Hübsch gemacht,

aber ab jetzt droht die Realität.

Man schrieb den 24. November 2021, als die

„Ampel“ ihren Koalitionsvertrag vorstellte. Nach

der bildlichen Inszenierung ging es auch mit den

Wortmeldungen ungeheuer aufbruchsmäßig zu.

Olaf Scholz sagte erwartbar, die Ampel sei „eine

Koalition auf Augenhöhe, mit drei Partnern,

die ihre Stärken einbringen zum Wohle unseres

Landes.“ Klang natürlich voll kanzlermäßig, wo

es doch auch Zeitgenossen gibt, die sich nicht so

sicher sind, ob die drei Partner womöglich auch

ihre Schwächen mit einbringen in diese neue

Regierung, die erstmals in Deutschland aus drei

Parteien gebildet wird. Ein paar Tage später hat

beispielsweise Kevin Kühnert, Vizechef beim der

SPD, gegen die FDP ausgeteilt.

Bei der Präsentation ihrer Absichten sollte das

Bild einer Gemeinschaft entstehen, die ganz neue

Kräfte entwickeln könne. So sagte Robert Habeck

über den Koalitionsvertrag, er sei „ein Dokument

des Mutes und der Zuversicht.“ Na ja, das

stimmte wohl die Grünen auf die dann folgende

Urabstimmung ein, die teilweise wirklich viel Mut

und Zuversicht von den Mitgliedern erforderte.

Annalena Baerbock erklärte (als künftige Außenministerin),

man habe sich auf eine aktive und

wertegeleitete Außenpolitik verständigt. Sprich:

bewaffnete Drohnen.

Christian Lindner, der ganz offensichtlich

heimliche Gewinner des Koalitionsvertrags,

sprach von einem gemeinsamen „Auftrag, dieses

Land zu modernisieren.“ Dabei erwähnte er „die

junge Generation“ (weil diese ja oft FDP gewählt

hatte). Da Lindner sich als neuer Finanzminister

durchgesetzt hat, sagte er süffisant, Deutschland

bleibe „Anwalt solider Finanzen.“ Hätte er gleich

sagen können, dass dieser Anwalt Lindner heißt

und die FDP die Finanzen bestimmen werde. In

diesem Lichte war Lindners kleiner Liebesgruß

an seinen Vorgänger als Finanzminister und den

künftigen Kanzler Olaf Scholz zu verstehen. Man

habe Olaf Scholz bei den Koalitionsverhandlungen

„als starke Führungspersönlichkeit“ erlebt.

Scholz könne auch Menschen repräsentieren, die

nicht die SPD gewählt hätten, und werde „ein

starker Kanzler“ sein, sagte Lindner.

Was heißt hier „Fortschritt“?

Der Koalitionsvertrag umfasst 177 Seiten und

trägt den Titel: „Mehr Fortschritt wagen - Bündnis

für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.“

Nimmt man die Leitsprüche des Wahlkampfes

hier zum Maßstab, so kommt nach dem Wort

„Bündnis“ zuerst das FDP-Motto, dann das der

SPD und schließlich das Ding, für das die Grünen

stehen sollen. Die Nachhaltigkeit als fünftes Rad

am Wagen. Apropos: Freiheit für freie Fahrer auf

deutschen Autobahnen geht vor, gell?

Vor allem aber ist es die Headline: „Mehr

Fortschritt wagen“, die quasi wie ein Kitt in dieser

Koalition wirkt. Na klar, soll das zunächst einmal

heißen, dass es in den letzten 16 Jahren unter der

Führung von Merkel und der Union nur Stillstand

gegeben habe. Das schweißt die neue Ampel zusammen.

Joa, aber wo war eigentlich die SPD in

den letzten Jahren des Stillstands? Hat nicht Olaf

Scholz gerade darauf seinen Wahlkampf gebaut,

dass er als Vizekanzler mit allen Wassern des

Regierens gewaschen ist?

Nun gut, mal von der kleinen Keule für die

Stillstands-Union abgesehen, hat aber der Begriff

8 Politik und Gesellschaft ZASMAGAZIN

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