ZAS MAGAZIN, 309. Ausgabe, Dezember 2021
Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.
Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
habe ich Oscar Wilde verschlungen, der ja auch
viel zu Utopia gesagt hat. Oder Dostojewski.
Den Gedanken dieser herrschaftsfreien Welt,
den findet man schon in der Odyssee, auch
wenn er sich dort nicht Utopia oder anarchisch
nennt. Wenn ich früher Dostojewski gelesen
habe, war ich anschließend für ein paar Wochen
ein besserer Mensch. Leider nur für ein paar
Wochen (lacht).
Sie haben mal gesagt, Sie führen den Wahnsinn,
der die Menschen umtreibt, zurück aufs
Patriarchat. Sie haben es den `Narzissmus der
Herrschenden` genannt. Ist der Gehorsam die
Bedingung für Patriarchat und Narzissmus?
Konstantin Wecker: Darum war es auch eine
Frau, nämlich Hannah Arendt, die den schönen
Satz „Es gibt kein Recht auf Gehorsam“ geprägt
hat. Ich meine damit diesen strukturellen Gehorsam,
der vor allem immer durchs Militär geprägt
wurde, dieser bedingungslose Gehorsam. Ich
hatte einen wunderbaren Vater, der wirklich
antiautoritär war. Ein kleines Wunder, denn er
wurde 1914 geboren, in der Zeit der schwarzen
Pädagogik. Ich habe bis zu seinem Tod nicht
erfahren, was in seinem Leben passiert ist, dass
er so ein sanfter und antiautoritärer Mann war
und mich eigentlich zum Ungehorsam erzogen
hat (lacht). Mein Vater hat den Kriegsdienst
in der Nazizeit verweigert und wie durch ein
Wunder überlebt.
Wie ist ihm das gelungen? Kriegsdienstverweigerer
erwartete bei den Nazis die Todesstrafe.
Konstantin Wecker: Er ist zum Glück, in die
Klapsmühle gesteckt worden und kam nicht
aufs Schafott. Er kam aus der Klinik bald wieder
raus und er sagte zu mir: „Konstantin, ich
war eingezogen, dann bin ich desertiert, denn
ich hätte auf jemanden schießen sollen, den
ich gar nicht kenne. So etwas tue ich nicht.“
(Lacht.) Übrigens habe ich den gleichen Satz
später bei Oskar Maria Graf gelesen. Ich glaube
ohne diese schwarze Pädagogik, ohne diese
Dreckspädagogik hätte sich der Faschismus gar
nicht installieren können. Die Leute waren so
getrimmt auf diesen bedingungslosen Gehorsam.
So etwas darf nie mehr wieder passieren.
Ich komme aus einer echten Macho-Generation,
das ist überhaupt keine Frage. Wir wurden insgesamt
so geprägt, auch wenn ich von meinen
Eltern anders erzogen wurde. Ich sehe da einen
riesigen Unterschied zur heutigen Generation.
Für sehr viele dieser jungen Menschen heute ist
die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine
Selbstverständlichkeit.
Sind diese Erkenntnisse der Grund, warum
Sie mit der Frau, mit der Sie früher verheiratet
waren, jetzt ohne Trauschein zusammen leben?
Konstantin Wecker: Wir haben uns ja nie
geschieden. Wir hatten uns nur mal getrennt.
Aber klar könnten wir auch ohne Trauschein
zusammen sein, keine Frage. Männer meiner
Generation müssen schon versuchen, das,
was wir intellektuell erkennen, auch tief in
uns selbst zu verankern. Als ich den SS-Mann
spielte in dem Film „Wunderkinder“, hat dieser
Dreh mein Leben nochmal verändert. Ein wunderbarer,
antifaschistischer Film und ich habe
die Drecksau gespielt. Da habe ich viele Mails
bekommen, in denen ich beschimpft wurde:
Wie kannst du als Antifaschist einen Faschisten
spielen? Und einer schrieb (lacht): Wie können
Sie als Antifaschist einen Faschisten spielen
und auch noch so gut? Aber das Erschütternde
für mich war, als ich merkte, ich muss das
nicht spielen. Ich war in dieser Uniform für den
Moment der Dreharbeiten dieser SS-Mann. Da
hat sich etwas in mir gezeigt. Es gibt diesen
Satz, „Niemand darf sich Antifaschist nennen,
wenn er nicht den Faschisten in sich entdeckt
hat“. Das ist ganz wichtig. Denn es wohnt alles
in uns. Alles. Und wir müssen immer wieder
aufpassen. Wie Hannes Wader zu mir auf einer
gemeinsamen Tournee sagte: „Ich denke jeden
Tag an den Holocaust“. Es ist wichtig, diese Kultur
des Erinnerns weiter zu bewahren. Gerade
auch für junge Menschen, die keine Ahnung
haben, wie schrecklich eine Diktatur ist, was
für Grausamkeiten da geschehen. Das merkt
man auch an solchen geschichtsvergessenen
Menschen, wenn die sich bei Demonstrationen
gegen das Maskentragen mit Sophie Scholl vergleichen.
Das ist eine unglaubliche Geschichtsvergessenheit,
sonst würde man so etwas nicht
wagen. Denn was mussten diese Menschen
damals ertragen und was für einen unendlichen
Mut hatten sie, wie großartig war das, was sie
damals getan haben. Es ist so wichtig, immer
wieder daran zu erinnern. Ich hatte das Glück,
dass ich mit Esther Bejarano befreundet war,
der Holocaust-Überlebenden aus dem Mädchenorchester
in Auschwitz. Sie war mit über
90 noch mit mir auf der Bühne und hat „Sage
nein!“ mit mir gesungen. Eine unglaublich tolle
Frau. Sie hat immer wieder gesagt: „Faschismus
ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.
Diese Worte sind zur Zeit so sehr wichtig. Wenn
man sieht, was die Trumpisten in Amerika
anstellen, und von Erdogan über Orbán – mal
ehrlich, das sind alles alte Machos! (Lacht.) Das
geht ja seit Jahrtausenden so. Die männlichen
Herrscher, die ja zu 99 Prozent Psychopathen
oder Soziopathen waren und sind, von Caligula
bis Trump, waren alle der gleiche Typus. Schon
im deutschen Wort „Herrschaft“ stecken ja die
Herren.
Kann es sein, dass Sie sich auf Ihrem Album
„Utopia“ erstmals mit dem Alter beschäftigen?
Konstantin Wecker: Ja, es ist mir auch gar
nicht so angenehm gewesen, rein rational,
dass sich viele meiner Gedichte mit dem Alter
beschäftigen. Ich wollte es anfangs gar nicht so
wissen. Mein Faust-Monolog – den ich übrigens
auch mal vertont habe, aber er klingt einfach
gesprochen besser – war eine schwere Geburt.
Ich hatte Angst davor zu erkennen, was dabei
heraus kommt. Man möchte sich ja im Alter
irgendwann einmal angekommen sehen und
nicht immer weiter fragen, wer bin ich.
Glauben Sie denn, dass man irgendwann so
angekommen ist, dass man sich diese Frage als
kreativer Mensch nicht mehr stellt?
Konstantin Wecker: Ich glaube, dann ist man
auch nicht mehr kreativ. Ich habe mir das oft
überlegt. So wirklich weise Menschen, die monatelang
auf irgend einem Berg meditieren, die
schreiben auch nicht mehr.
Einer Ihrer aktuellen Songs heißt „Schäm dich
Europa!“. Wie sieht für Sie ein utopisches Europa
aus?
Konstantin Wecker: Grenzenlos. Der europäische
Gedanke war ja wunderschön, geboren aus
den Schrecken des Krieges und des Faschismus.
Es war ein guter und wichtiger Weg. Auch der
von mir sehr geschätzte Jean Ziegler, dem ich
auch ein paar mal persönlich begegnet bin, hat
ja ein Buch geschrieben, „Die Schande Europas“,
in dem es darum geht, wie die Geflüchteten
behandelt werden. Das ist eine Katastrophe. Wir
hätten das Geld, alle die leiden, die von den Waffen,
die bei uns in Europa hergestellt wurden,
kaputt geschossen oder verletzt werden, aufzunehmen.
Was da an den Grenzen passiert, wie
Menschen, die schon in Europa waren, wieder
zurück gedrängt werden, obwohl sie nach Gesetz
aufgenommen werden müssten, ist entsetzlich.
Können solche Zustände durch künstlerisches
Engagement verändert werden? Oder eben doch
nur auf politischer Ebene?
Konstantin Wecker: Ja wahrscheinlich. Aber ich
bin Künstler. Ich habe oftmals die Möglichkeit
gehabt in die Politik zu gehen, und ich habe mich
immer geweigert. Genau aus dem Grund. Aber
es gab ja schon immer schöne Ansätze. Zum
Beispiel gab es sechs Tage in Deutschland, in der
Bayerischen Rätepolitik, wo wirkliche Anarchos
(lacht) am arbeiten waren. Ich habe übrigens
auf meinem Album zwei Gedichte von Erich
Mühsam vertont: „Sich fügen heißt lügen“ und
„Der Gefangene“. Dass diese Rätepolitik damals
kaputt ging, heißt nicht, dass die Idee schlecht
war. Ich als Künstler versuche halt alles über die
Kunst weiter zu tragen. Ich bin der Meinung,
diese anarchische Sehnsucht nach einem herrschaftsfreien,
liebevollen Miteinander, die darf
als Idee einfach nicht verloren gehen. In der
Kunst kann diese Idee weiter getragen werden,
muss sie weiter getragen werden.
Das komplette, ausführliche Interview können
Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.
Konstantin Wecker „Eine Konzertreise nach
Utopia“, 16. Dezember 2021, Konzerthaus
Freiburg
ZASMAGAZIN
Interview
5