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ZAS MAGAZIN, 309. Ausgabe, Dezember 2021

Der Mann kann Kanzler: Olaf Scholz führt eine Ampel-Koalition an, die es noch nie zuvor gab.

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Ein Eimer, ausgeschüttet

RKI-Chef Lothar Wieler hat sich zuletzt emotionaler Sprachbilder bedient. Das Problem an

dieser Rhetorik: Sie motiviert niemanden, weil fünf nach Zwölf eh zu spät ist. Von Michael Zäh

Es war für ihn nicht mehr auszuhalten,

der Papagei zu sein,

der ständig dasselbe sagt und dem

gerade deshalb keiner wirklich zuhört.

Lothar Wieler, der Präsident

des Robert-Koch-Instituts (RKI)

hat also beschlossen, in seinen

Aussagen schriller zu werden. Seine

Sprachbilder sind drastisch. Das ist

der Rede wert, weil in dem zögerlichen

bis ängstlichen Sprachverhalten

der meisten Politiker etwas

steckt, was man Feigheit vor dem

Covid-Feind nennen könnte.

Lothar Wieler wurde in den Zeiten

der Pandemie oft und gerne

von Corona-Leugnern verspottet.

Seit nun bald zwei Jahren hat er

dennoch die Ruhe bewahrt und in

den vielen Pressekonferenzen mit

Gesundheitsminister Jens Spahn

(siehe Seite 13) einfach nur die Zahlen

vorgetragen, die manche nicht

hören wollten. Sehr nüchtern war

das oft, fast schon technokratisch.

Bis ihm jetzt der Kragen platzte.

Es war bei einer Online-Schalte

mit Sachsens Ministerpräsident Michael

Kretschmer (CDU), Wieler, im

blauen Pullover, war zugeschaltet

aus seiner Wohnung. Hinter der

Zahl von 52.000 Neuinfektionen

an diesem Tag würden sich „mindestens

doppelt oder drei Mal so

viele“ verbergen. Eben weil zuletzt

viel weniger getestet wurde. Und er

betonte: „Wir haben in den letzten

Wochen eine Case-Fatality-Rate,

also eine Rate von Meldungen zu

Verstorbenen, von etwa 0,8 Prozent.

Das heißt also, von diesen 52.000

heute Infizierten werden (…) 400

etwa sterben.“

Einmal in Rage sagte Wieler:

„Und was mir wichtig ist, das müssen

alle, die jetzt zuhören, ganz klar

begreifen: Daran gibt’s nichts mehr

zu ändern. Wir können das nicht

mehr ändern. Diese Menschen sind

ja infiziert. Davon gehen dann eben

3000 ins Krankenhaus, davon gehen

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ein paar hundert auf Intensiv, davon

sterben eben so viele. (…) Niemand

von uns, der hier sitzt, kann diesen

Typen noch helfen. Das ist ein Eimer

Wasser, der ist ausgeschüttet, den

kriegen Sie nicht mehr rein. (…) Das

Kind ist in den Brunnen gefallen.“

Natürlich ist es so, dass allgemeine

Sprachbilder wie das des in

den Brunnen gefallenen Kindes

(grausig, oder?) oder des ausgeschütteten

Eimers Wasser nun gar

nicht dem wirklichen Elend auf den

Intensivstationen gerecht werden.

Die Not dort ist viel realer. Sie ist

kaum in Worte zu fassen. Aber

bemerkenswert an Wielers sprachlicher

Kehrtwende ist ja auch nicht

deren Genauigkeit, sondern deren

durchaus provozierende Spitze.

Denn genau war Prof. Dr. Lothar

Wieler ja immer, mit all den Zahlen

und den Modellierungen des RKI.

Der Adressat dieser mathematischen

Genauigkeit war zum eher kleineren

Teil die Öffentlichkeit, zum größeren

Teil aber die Politik. Und deshalb

sind die jetzt von ihm sprachlich

ausgeschütteten Eimer Leben auch

eher eine Botschaft an die verantwortlichen

Politiker, denen Wieler

zuvor all die genauen Zahlen und

Hochrechnungen immer wieder ins

Ohr geflüstert hatte, ohne damit

etwas zu bewirken.

Schon am 22. Juli (!) hat das

RKI ganz genaue Modellrechnungen

vorgelegt, was wegen der

hochansteckenden Delta-Variante

im Herbst bei welcher Impfquote

drohen könnte. Selbst bei einer

Impf-Quote von 75 Prozent könne

es demnach bis November – ohne

Kontaktreduzierungen – zu über

6000 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen

kommen. Schon

damals warnte die Bundesbehörde:

„Ein höherer Anteil an Impfdurchbrüchen

oder von Reinfektionen

könnte den Anteil schwerer Erkrankungen

erhöhen. Das RKI riet daher

am 22. Juli (!), „jetzt“ Auffrischimpfungen

insbesondere für Ältere und

Risikogruppen zu planen.

Hat aber keiner gemacht.

Schaumschläger der Politik wie

Markus Söder erdreisten sich sogar,

frech und falsch zu behaupten, dass

„die Wissenschaft“ die gefährliche

Entwicklung nicht vorausgesagt

habe, die derzeit über Deutschland

hereingebrochen ist.

„Wie viele Menschen müssen

denn noch sterben, damit wir unser

Verhalten anpassen und damit die

Krankenhäuser und das Pflegepersonal

entlasten?“, so Wieler.

Das Problem bei seiner Rhetorik:

Ein ausgeschütteter Eimer Wasser

ist schon leer, fünf nach Zwölf

ist schon zu spät, die gestorbenen

Menschen sind schon tot. Damit

motiviert Wieler niemanden.Leider.

14 Politik und Gesellschaft

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