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14 UNIversalis-Zeitung Winter 2021

Fatale Kontinuitäten – „documenta. Politik

und Kunst” und die „Gottbegnadeten“

D

ie personelle Kontinuität

in allen gesellschaftlichen

Bereichen nach

1945 ist zwar ebenso

bekannt wie die Barrieren gegen

unbequeme Wahrheiten in dieser

Hinsicht; trotzdem kann erstaunen,

warum manche geschichtlichen

Vorgänge in der Bundesrepublik

noch kaum belichtet wurden,

so etwa die Zusammenhänge,

die das Deutsche Historische

Museum in Berlin (DHM) nun

durch zwei Ausstellungen aufdeckt,

mit „documenta. Politik

und Kunst” sowie „Die Liste der

Gottbegnadeten“.

„Documenta. Politik und Kunst“

geht erstmals der Frage nach, wie

mit Kunst in der Nachkriegszeit

Politik gemacht wurde. Klar ist,

dass die Moderne Kunst den Initiatoren

der documenta zur dezidierten

Abgrenzung von der NS-Vergangenheit

diente; zwar verhalfen

sie damit einem Teil des vormals

Verfemten zu Anerkennung, aber

Werke emigrierter oder ermordeter

Künstlerinnen und Künstler waren

in Kassel kaum vertreten; denn ihre

Kunst hätte an ihre Vertreibung

erinnert, vermerkt die Kunsthistorikerin

Julia Friedrich. Stattdessen

aber wurde etwa Emil Nolde zum

Vertreter der „inneren Emigration”

verklärt, obwohl er Anhänger der

Nazis war. Nicht nur diesbezüglich

lässt sich Kontinuität feststellen.

Hinzu kommt, dass fast die Hälfte

derjenigen, die an der Organisation

der ersten documenta mitwirkten,

Mitglied von NSDAP, SA oder SS

gewesen waren. Markantester Fall

ist dabei der Kunsthistoriker Werner

Haftmann, als Berater und Kurator

eine Schlüsselfigur der documenta

1-4; wie der Historiker Carlo Gentile

zeigt, war er in Kriegsverbrechen

involviert und wurde 1946

von italienischen Behörden gesucht.

Auch der an der documenta

1 mitwirkende Kunsthistoriker Kurt

Martin hatte im „Dritten Reich“

Karriere gemacht; 1934 war er von

Doppelausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin

NS-Gauleiter Robert Wagner zum

Chef der Karlsruher Kunsthalle

ernannt worden und betätigte sich

seit 1941 als Generaldirektor der

Oberrheinischen Museen - auch im

annektierten Elsass. Im Gegensatz

dazu steht allerdings Arnold Bode

(1900-1977), Initiator und wichtigster

Organisator der documenta,

er hatte Unterdrückung durch die

Nazis erlebt; seit 1930 als Dozent

am Städtischen Werklehrer-Seminar

in Berlin und Mitglied der Berliner

Secession, war er am 1. Mai 1933

wegen seiner Lehrmethoden und

politischen Überzeugung aus dem

Amt entfernt worden.

Dass nach 1945 eine offene Auseinandersetzung

mit der NS-Vergangenheit

unterblieb, hat viele Ursachen,

eine davon ist der rasch einsetzende

Kalte Krieg; die entsprechende

Blockbildung brachte mit

sich, dass sich das Deutschland der

Westbindung, während es in höchsten

Tönen der „Moderne“ huldigte,

gleichzeitig vom sozialistischen

Kunstbegriff des „Ostblocks“ distanzierte.

Auf dieser Basis wurde

dem documenta-Publikum seit

1955 eine Epoche präsentiert, die

in Deutschland zwischen 1933 und

1945 als „entartet“ gegolten hatte,

aber es wurde kaum bemerkt, dass

verfolgte und emigrierte Künstlerinnen

und Künstler ausgegrenzt

blieben, etwa Otto Freundlich,

Rudolf Levy, Felix Nussbaum und

Ludwig Meidner; aber auch weitere

Verfemte, die teils politisch und gegenständlich

orientiert waren und

innovative ästhetische Verfahren

entwickelten, wie etwa John Heartfield,

George Grosz, Hannah Höch,

Raoul Hausmann, Georg Scholz

oder Conrad Felixmüller, blieben

bis in die 1960er Jahre weitgehend

marginalisiert, da sie nicht in die

Behauptung passten, die Kunst sei

über alle Zeitgebundenheit erhaben.

Die Abstraktion galt seit der

documenta 2 (1959) als Gipfel des

Zeitgenössischen und Inbegriff

des Universellen. Nachdem die

NS-konforme Kunst nun erklärtermaßen

verpönt war, aber auch die

kritischen Tendenzen der Weimarer

Republik an den Rand gedrängt

blieben, wurde des Weiteren die

figürlich-realistische Kunst aus dem

„Osten“ und der DDR abgelehnt.

Derartige Fronten entspannten sich

erst in den 1970er Jahren, als Maler

wie Werner Tübke und Willi Sitte

auf der documenta ausstellen durften.

Die Schau im DHM Berlin verweist

mit Werken von Rudolf Levy, der

als Jude wie viele andere verfolgt

war, auf die erinnerungspolitische

Leerstelle der frühen documenta-

Jahre, Levy bildet aber nur die

Spitze des Eisbergs, zu den oben

bereits genannten Künstlern gesellen

sich viele Weitere, die ins Exil

gedrängt wurden; dies haben u.a.

Thomas B. Schuman mit seiner

Recherche „Deutsche Künstler im

Exil 1933-1945“ (Edition Memoria

2016), aber auch Gerhard Schneider

(„Verfemt – Vergessen – Wiederentdeckt“)

aufgezeigt. Die documenta

pflegte also ein Narrativ vom kulturellen

Neuanfang, ließ aber verschiedene

Opfer von Krieg, Verfolgung

und Massenmord außer Acht,

indes sie sich mit dem Bekenntnis

zur universellen Moderne auf mirakulöse

Weise unangreifbar machte.

Werner Haftmann hatte sich sogar

zu der Meinung verstiegen, „nicht

ein einziger der deutschen modernen

Maler“ sei Jude gewesen. Die

„antisemitische Vernichtungspolitik“

fand „in der Einladungspraxis“

zur documenta quasi ihre Fortführung,

so Raphael Gross, Direktor

des DHM.

Der „Mythos documenta“ war, betont

Hortensia Völckers, „von der

ersten bis zur zehnten Ausgabe immer

auch von geopolitischen Interessen

in der deutschen Nachkriegsgeschichte

geprägt.“ Seit Gründung

der internationalen Großausstellung

erhoben die Macherinnen und Macher

zwar den Anspruch, aktuelle

künstlerische Trends zu vermitteln,

blieben dabei aber von kultur- und

gesellschaftspolitischen Entwicklungen

der Bundesrepublik abhängig.

Dies änderte sich erst in den

1960er Jahren. 1977 wurden erstmals

Werke von DDR-Künstlern

gezeigt und die NS-Kunst thematisiert.

Selbstverständlich veränderte

dann der Fall der Mauer den Blick

auf das Großereignis, das stets auch

Plattform für politische Aktivitäten

war, etwa für Beuys, aber auch für

die aufklärende „Besucherschule“

von Bazon Brock, und z.B. für die

feministische Künstlerinnengruppe

Guerrilla Girls aus New York, die

1987 (d8) provokant fragte: „Warum

ist die documenta 1987 zu

95% weiß und zu 83% männlich?“

Für die d9 (1991) hat sich dann die

Künstlerin Annemarie Burckhardt

ein ironisches Objekt ausgedacht,

das „documenta-Kissen“.

© Gueriila Girls

Als internationales Ereignis mit

Festivalcharakter steigerte sich die

documenta von anfänglich 130.000

Besuchern auf mehr als eine halbe

Million. Die Schau im DHM veranschaulicht

mit Werken, Filmen, Dokumenten,

Oral-History-Interviews

und anderen Originalzeugnissen

über zwei Etagen die Verbindung

der documenta zu politisch-sozialen

Kontexten und kann mit berühmten

Exponaten aufwarten, u.a. von

Joseph Beuys, den Guerrilla Girls,

Hans Haacke, Séraphine Louis,

Wolfgang Mattheuer, Jackson Pollock,

Emy Roeder, Klaus Staeck,

Andy Warhol oder Fritz Winter. Ein

gelehrter Katalog schlüsselt zudem

die komplexen Zusammenhänge

der Ausstellung auf.

• „documenta. Politik und Kunst“.

Deutsches Historisches Museum

Berlin. Bis 9. Januar 2022. www.

dhm.de

Die Liste der „Gottbegnadeten“

Künstler des Nationalsozialismus

in der Bundesrepublik

Parallel zu „documenta. Politik

und Kunst“ setzt sich das Deutsche

Historische Museum mit einem

weiteren relevanten Aspekt der

Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts

auseinander, nämlich mit dem

Wirken der Künstler, die im August

1944 im Auftrag von Hitler und

Goebbels auf der sogenannten „Liste

der Gottbegnadeten“ erscheinen.

378 Künstlerinnen und Künstler,

darunter 114 Bildhauer und Maler,

werden hier als „unabkömmlich“

klassifiziert und damit von Frontund

Arbeitseinsatz verschont, etwa

Arno Breker, Hermann Kaspar,

Willy Meller, Paul Mathias Padua,

Richard Scheibe und Adolf Wamper.

Die Nachkriegskarrieren dieser

Akteure, die in den antisemitischen

und modernefeindlichen NS-Kunstbetrieb

verstrickt waren und in sein

Konzept passten, zeigen, dass diese

nach 1945 in der BRD sehr präsent

blieben, sie „erhielten Aufträge

von Staat, Wirtschaft und Kirche,

lehrten an Kunstakademien und waren

in Ausstellungen vertreten. Ihre

Gestaltungen von Standbildern,

Reliefs und Gobelins auf Plätzen,

an Fassaden und in Foyers prägen

bis heute das Gesicht vieler Innenstädte.

Dabei konnten sie auch von

dem antimodernistischen Klima der

ersten Nachkriegsjahrzehnte profitieren“,

so der Kurator Wolfgang

Brauneis.

Die Ausstellung zeigt – auch mittels

Karten – präzise auf, wie stark

die NS-belasteten Künstler im öffentlichen

Raum sowie in Einrichtungen

des politischen und kulturellen

Lebens salonfähig blieben.

Ihre Bildthemen, Netzwerke und

Biographien belegen, dass sie versuchten,

den Erwartungshaltungen

öffentlicher Auftraggeber und dem

neuen Kunstgeschmack gerecht zu

werden. Auf zwei Etagen zeigen

rund 300 Skulpturen, Gemälde,

Zeichnungen, Fotografien, Filmund

Tondokumente, Plakate, Originalpublikationen

sowie Presseberichte,

wie ehemals „gottbegnadete”

Maler und Bildhauer bis in die

1970er Jahre in der Bundesrepublik,

in Österreich sowie vereinzelt in der

DDR arbeiteten. Zwar konnten sie

auf der documenta nicht vertreten

sein, weil ihre Werke dem Selbstverständnis

der jungen BRD nicht

entsprachen, aber sie wirkten weiter.

So provozierte kaum kritische

Stimmen, dass z.B. das „Ehrenmal

für die Opfer des 20. Juli 1944“

(1953) im Berliner Bendlerblock

von Richard Scheibe realisiert wurde

oder Willy Mellers Skulptur „Die

Trauernde“ (1962) sich vor dem ersten

NS‐Dokumentationszentrum in

Oberhausen platzieren konnte. Besonders

frappiert hat Kurator Wolfgang

Brauneis, dass gerade er hier

eine Plastik errichten durfte, „denn

Meller war einer der erfolgreichsten

Bildhauer im Nationalsozialismus

gewesen. Er wurde unter anderem

mit der Bauplastik für NS-Ordensburgen

oder dem KdF-Seebad Prora

beauftragt (…).“ Viele weitere

Beispiele wären zu nennen; etwa

wurde im Kongresssaal des Deutschen

Museums in München ein

monumentales Wandmosaik von

Hermann Kaspar, Chefausstatter

der Reichskanzlei, 1935 begonnen

und 1955 vollendet. Viele der ehemals

Regimetreuen erhielten nach

kurzer Pause ihre Professuren an

den Akademien in Düsseldorf und

München wieder.

Die Gedächtnislücken in der deutschen

Kulturgeschichte und die

NS-Tradierung weit über die Nachkriegszeit

hinaus, weisen auf die

Selbstgerechtigkeit, mit der hierzulande

oft ein gelungener Bruch

behauptet wird. Die Erinnerungskultur

steht unbedingt vor der

Notwendigkeit, sich verstärkt auf

die Spur fataler Kontinuitäten zu

begeben und den Kanon zu hinterfragen.

Eine multimediale Präsentation

dokumentiert zum Abschluss

der Ausstellung fotografisch rund

dreihundert Arbeiten von Künstlern

der „Gottbegnadeten‐Liste“ in

Deutschland und Österreich, die in

der NS-Zeit und danach entstanden

sind. Eine interaktive Karte (www.

dhm.de/ gottbegnadete /karte), die

sich als work in progress versteht,

und eine Publikation (Die Liste der

„Gottbegnadeten“. Künstler des

Nationalsozialismus in der Bundesrepublik.

Prestel Verlag 2021) bie-

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