RA 12/2021 - Entscheidung des Monats
Der BGH erörtert im vorliegenden Urteil die Möglichkeit eines Versuchs der Erfolgsqualifikation im Rahmen des § 306c StGB.
Der BGH erörtert im vorliegenden Urteil die Möglichkeit eines Versuchs der Erfolgsqualifikation im Rahmen des § 306c StGB.
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666 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>12</strong>/<strong>2021</strong><br />
Problem: Versuch der Erfolgsqualifikation<br />
Einordnung: Strafrecht AT II, Versuch<br />
BGH, Urteil vom <strong>12</strong>.08.<strong>2021</strong><br />
3 StR 415/20<br />
LEITSÄTZE DER REDAKTION<br />
1. Beim Versuch <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten<br />
Delikts wird regelmäßig<br />
zwischen zwei Konstellationen<br />
unterschieden: Der sogenannte<br />
erfolgsqualifizierte Versuch<br />
ist dadurch gekennzeichnet,<br />
dass das Grunddelikt im Versuchsstadium<br />
steckenbleibt, während<br />
der qualifizierende Erfolg eintritt;<br />
die sogenannte versuchte<br />
Erfolgsqualifikation liegt vor,<br />
wenn der Täter das Grunddelikt<br />
verwirklicht, der von ihm in Kauf<br />
genommene oder sogar beabsichtigte<br />
qualifizierte Erfolg aber<br />
nicht eintritt.<br />
2. Der Versuch <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten<br />
Delikts ist auch möglich<br />
durch bloßes unmittelbares<br />
Ansetzen zum Grunddelikt mit<br />
dem Vorsatz der Herbeiführung<br />
der schweren Folge; bleibt<br />
diese aus, handelt es sich um<br />
einen Unterfall der versuchten<br />
Erfolgsqualifikation.<br />
EINLEITUNG<br />
Der BGH erörtert im vorliegenden Urteil die Möglichkeit eines Versuchs der<br />
Erfolgsqualifikation im Rahmen <strong>des</strong> § 306c StGB.<br />
SACHVERHALT<br />
Der Angeklagte C hegte einen Groll gegen den Vater einer ihm bekannten<br />
Familie. Er entschloss sich dazu, nachts zum Wohnhaus der Familie zu gehen,<br />
um einen Brandanschlag auf dieses zu verüben. In Umsetzung <strong>des</strong> Tatplans<br />
befüllte er eine Glasflasche mit Wasser und eine weitere mit Benzin. Mit der<br />
einen wollte er das Schlafzimmerfenster der Eheleute einwerfen, mit der<br />
anderen einen sogenannten Molotow-Cocktail bauen und diesen hinterherwerfen.<br />
C hielt es für möglich und nahm billigend in Kauf, hierdurch einen<br />
Brand auszulösen, der wesentliche Gebäudeteile erfasst und die schlafenden,<br />
arg- und wehrlosen Familienmitglieder und/oder andere Bewohner <strong>des</strong> Mehrfamilienhauses<br />
zu Tode bringt.<br />
Am Tatort angekommen, schleuderte C plangemäß zunächst die Wasserflasche<br />
gegen das Fenster der Eheleute und durchbrach hierdurch die Scheibe. Unmittelbar<br />
anschließend entzündete er die Lunte der mit Benzin gefüllten Flasche<br />
und warf diese brennend hinterher. C wusste und billigte, dass die Kräfte <strong>des</strong><br />
Brandsatzes in ihrer Wirkung von nun an für ihn nicht mehr beherrschbar<br />
waren, und rannte davon. Aus unerklärlichen Gründen zündete der Brandsatz<br />
jedoch nicht durch und erlosch, sodass sich die mit Benzin gefüllte Flasche<br />
über den Boden ergoss, ohne dass es zu einem Feuer kam. Die Eheleute, die<br />
schlafend in ihren Betten lagen, als die Flaschen nacheinander in ihr Schlafzimmer<br />
flogen, erwachten ebenso wie die zahlreichen anderen Bewohner <strong>des</strong><br />
Hauses durch den lauten Krach, der beim Zerbersten der Scheibe entstand.<br />
Hat C sich wegen versuchter Brandstiftung mit To<strong>des</strong>folge, §§ 306a I Nr. 1,<br />
306c, 22, 23 I StGB, strafbar gemacht?<br />
PRÜFUNGSSCHEMA:<br />
B<strong>RA</strong>NDSTIFTUNG MIT TODESFOLGE, § 306c StGB<br />
A. Tatbestand<br />
I. Grunddelikt: §§ 306 I, 306a oder 306b StGB<br />
II. Qualifikation: § 306c StGB<br />
1. Eintritt der schweren Folge: Tod eines anderen Menschen<br />
2. Kausalität Grunddelikt – schwere Folge<br />
3. Unmittelbarkeitszusammenhang<br />
4. Wenigstens Leichtfertigkeit bzgl. 1.<br />
B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
LÖSUNG<br />
Durch das Werfen der Flaschen könnte C sich wegen versuchter Brandstiftung<br />
mit To<strong>des</strong>folge, §§ 306a I Nr. 1, 306c, 22, 23 I StGB, strafbar gemacht haben.<br />
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<strong>RA</strong> <strong>12</strong>/<strong>2021</strong><br />
Strafrecht<br />
667<br />
A. Vorprüfung<br />
Da niemand gestorben ist, ist keine Strafbarkeit wegen vollendeter Brandstiftung<br />
mit To<strong>des</strong>folge gegeben. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus<br />
dem Verbrechenscharakter, vgl. §§ 306c, <strong>12</strong> I StGB, in Verbindung mit § 23 I<br />
StGB.<br />
Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Versuchsregelung auch den Versuch<br />
einer Erfolgsqualifikation unter Strafe stellt.<br />
„[8] a) Beim Versuch <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten Delikts wird regelmäßig<br />
zwischen zwei Konstellationen unterschieden:<br />
[9] Der sogenannte erfolgsqualifizierte Versuch ist dadurch gekennzeichnet,<br />
dass das Grunddelikt im Versuchsstadium steckenbleibt,<br />
während der qualifizierende Erfolg eintritt, wobei dem Täter insoweit<br />
wenigstens ein Fahrlässigkeits- (etwa § 227 Abs. 1 i.V.m. § 18 StGB)<br />
oder Leichtfertigkeitsvorwurf (etwa § 251 StGB) zur Last liegt. Die<br />
sogenannte versuchte Erfolgsqualifikation liegt vor, wenn der Täter<br />
das Grunddelikt verwirklicht, der von ihm in Kauf genommene oder<br />
sogar beabsichtigte qualifizierte Erfolg aber nicht eintritt. Die Variante<br />
ist <strong>des</strong>halb anzuerkennen, weil die schwere Folge zwar ‚wenigstens‘<br />
fahrlässig oder leichtfertig verursacht werden muss, erst recht aber<br />
vorsätzlich herbeigeführt werden kann.<br />
[10] Diese begriffliche Differenzierung, die der Bun<strong>des</strong>gerichtshof […]<br />
aufgegriffen hat, darf jedoch den Blick nicht dafür verstellen, dass der<br />
Versuch <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten Delikts auch möglich ist durch<br />
bloßes unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt mit dem Vorsatz der<br />
Herbeiführung der schweren Folge. Bleibt diese aus, handelt es sich<br />
um einen Unterfall der versuchten Erfolgsqualifikation.<br />
[11] b) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut <strong>des</strong> § 22 StGB in Verbindung<br />
mit den jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikten. Wer die Ausführung<br />
<strong>des</strong> Grunddelikts versucht und dabei zudem Vorsatz in Bezug auf<br />
die Herbeiführung der schweren Folge hat, setzt nach seiner Vorstellung<br />
von der Tat sowohl unmittelbar zum Grunddelikt als auch zur Verursachung<br />
der schweren Folge an.<br />
[<strong>12</strong>] Hierfür sprechen ebenfalls systematische Erwägungen. Nach § 11<br />
Abs. 2 StGB ist das ‚Zwittergebilde‘ erfolgsqualifiziertes Delikt insgesamt<br />
als vorsätzliche Tat anzusehen. Damit gelten die allgemeinen Versuchsbestimmungen.<br />
Diese setzen nicht voraus, dass der Täter ein Tatbestandsmerkmal<br />
objektiv verwirklicht, sondern nur, dass er nach seiner Vorstellung<br />
von der Tat hierzu unmittelbar ansetzt. Vor diesem Hintergrund ist<br />
es nicht gerechtfertigt, für den Versuch <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten<br />
Delikts die Vollendung <strong>des</strong> Grundtatbestands oder den Eintritt der<br />
schweren Folge zu verlangen.<br />
[13] Für das genannte Ergebnis streiten schließlich Sinn und Zweck <strong>des</strong><br />
hier relevanten Normengefüges. Der Grund für die Versuchsstrafbarkeit ist<br />
- wie der untaugliche Versuch zeigt - die in den Vorstellungen <strong>des</strong> Täters<br />
liegende Gefährlichkeit seines Tuns (sog. subjektive Versuchstheorie).<br />
Dieser subjektive Handlungsunwert tritt bei demjenigen, der mit seinem<br />
Verhalten die Verwirklichung <strong>des</strong> Grunddelikts und den Eintritt der hierin<br />
angelegten schweren Folge anstrebt, unabhängig davon zutage, ob er das<br />
Grunddelikt im Ergebnis nur versucht oder vollendet. Auf einen wie auch<br />
BGH, Beschluss vom 05.06.2019,<br />
1 StR 34/19, NJW 2019, 3659; Schönke/<br />
Schröder, StGB, § 18 Rn 9 ff.<br />
BGH, Beschluss vom 20.10.1992,<br />
GSSt 1/92, NJW 1993, 1662<br />
BGH, Beschluss vom 29.11.20<strong>12</strong>,<br />
3 StR 293/<strong>12</strong>, NStZ-RR 2013, 137;<br />
Beschluss vom 31.08.2004, 1 StR<br />
347/04, NStZ-RR 2004, 367<br />
BGH, Beschluss vom 10.03.<strong>2021</strong>,<br />
3 StR 13/21<br />
BGH, Urteil vom 14.03.1995,<br />
1 StR 846/94, NJW 1995, 2176<br />
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immer gearteten objektiven Erfolgsunwert kommt es beim Versuch nicht<br />
an und <strong>des</strong>halb ebenso wenig darauf, dass Teilabschnitte <strong>des</strong> erfolgsqualifizierten<br />
Delikts verwirklicht sind. Die erfolgsqualifizierten Delikte sollen<br />
vielmehr den besonderen (To<strong>des</strong>-)Gefahren entgegenwirken, die von ihren<br />
Grundtatbeständen ausgehen. Es entspricht daher der ratio legis, auch<br />
denjenigen Täter zu ahnden, der Grunddelikt und Qualifikation intendiert<br />
und an beiden Zielen scheitert. […]“<br />
Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung<br />
der objektiven Tatumstände<br />
bei gleichzeitigem Vorliegen<br />
eventuell erforderlicher besonderer<br />
subjektiver Tatbestandsmerkmale.<br />
Ein Inbrandsetzen liegt vor, wenn<br />
ein für den bestimmungsgemäßen<br />
Gebrauch <strong>des</strong> Tatobjekts wesentlicher<br />
Bestandteil so vom Feuer<br />
erfasst wird, dass er auch nach<br />
Entfernen oder Erlöschen <strong>des</strong> Zündstoffs<br />
selbstständig weiter brennen<br />
kann.<br />
Unmittelbares Ansetzen ist gegeben,<br />
wenn der Täter die Schwelle<br />
zum „jetzt geht es los“ überschreitet,<br />
was der Fall ist, wenn er Handlungen<br />
vornimmt, die in die Tatbestandsverwirklichung<br />
unmittelbar einmünden<br />
sollen und <strong>des</strong>halb das geschützte<br />
Rechtsgut aus Sicht <strong>des</strong> Täters<br />
bereits konkret gefährdet ist.<br />
B. Tatentschluss<br />
I. Bzgl. der Grunddelikts: § 306a I Nr. 1 StGB<br />
C wusste, dass es sich beim dem Wohnhaus um ein Gebäude handelte, das<br />
der Wohnung von Menschen dient. Er wollte dies auch in Brand setzen<br />
und hatte somit Tatentschluss zu Begehung <strong>des</strong> Grunddelikts gem. § 306a<br />
I Nr. 1 StGB.<br />
II. Bzgl. der Qualifikation: § 306c StGB<br />
C könnte auch Tatentschluss zur Begehung der Qualifikation gem. § 306c<br />
StGB gehabt haben.<br />
C hat den Tod der Bewohner <strong>des</strong> Hauses, also die schwere Folge <strong>des</strong> § 306c<br />
StGB, billigend in Kauf genommen, hatte also einen entsprechenden Vorsatz<br />
und somit Tatentschluss.<br />
C hatte sich auch vorgestellt, die schwere Folge durch das Grunddelikt<br />
kausal herbeizuführen.<br />
C hatte sich auch Umstände vorgestellt, nach denen die Tötung der<br />
Bewohner Folge einer typischen Gefahr <strong>des</strong> geplanten Grunddeliktes<br />
wäre, hatte also Tatentschluss bzgl. <strong>des</strong> i.R.v. § 306c StGB erforderlichen<br />
Unmittelbarkeitszusammenhangs.<br />
C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB<br />
Durch das Werfen der Flaschen hat C auch gem. § 22 StGB unmittelbar zur<br />
Tatbestandsverwirklichung angesetzt.<br />
D. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
C handelte rechtswidrig und schuldhaft.<br />
E. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB<br />
Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt gem. § 24 StGB sind<br />
nicht ersichtlich.<br />
F. Ergebnis<br />
C ist strafbar gem. §§ 306a I Nr. 1, 306c, 22, 23 I StGB.<br />
FAZIT<br />
Der BGH stellt hier sehr gut nachvollziehbar, fast schon lehrbuchmäßig, die<br />
verschiedenen Konstellationen der Kombination von Versuch und Erfolgsqualifikation<br />
dar: erfolgsqualifizierter Versuch (also versuchtes Grunddelikt<br />
bei eingetretener schwerer Folge) und Versuch der Erfolgsqualifikation in<br />
den Varianten <strong>des</strong> vollendeten Grunddelikts bei versuchter Herbeiführung<br />
der schweren Folge und <strong>des</strong> versuchten Grunddelikts bei versuchter Herbeiführung<br />
der schweren Folge. Auch seine Argumentation bzgl. der Strafwürdigkeit<br />
der letztgenannten Konstellation ist überzeugend.<br />
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