Getränke! Technologie & Marketing 2/2021
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BRANCHEN REPORT | Maschinensicherheit<br />
Prüfung von Sicherheitsfunktionen<br />
und der Eignung von<br />
Sicherheitskomponenten.<br />
Foto: TÜV SÜD<br />
„Normalerweise müsste die Maschinenrichtlinie<br />
jedem Ingenieur bekannt<br />
sein, aber wir haben in diesem<br />
Bereich ein starkes Ausbildungsproblem“,<br />
bestätigt auch Thomas<br />
Kraus. Der Eins-zu-Eins-Austausch<br />
von Komponenten und Systemen<br />
ist im Regelfall unkritisch. Trotzdem<br />
sollte vor jedem Umbau und jeder<br />
Modernisierung geprüft werden, ob<br />
für den Umbau eine neue Konformitätsbescheinigung<br />
erstellt werden<br />
muss. „Wenn dann die Zuständigkeiten<br />
noch nicht klar geregelt sind,<br />
kann die ganze Umbauaktion zum<br />
Rohrkrepierer werden. Meist wird in<br />
diesem Fall nur das reine Budget für<br />
den Umbau geplant, aber das Geld<br />
für die sicherheitstechnische Ausrüstung<br />
nach dem aktuellen Stand der<br />
Technik vergessen“, so Kraus weiter.<br />
Deshalb auch hier der Tipp der Experten:<br />
Wer Aufträge zum Umbau<br />
oder Modernisierung annimmt, sollte<br />
vorher das Risiko bewerten – also<br />
Gefährdung hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten<br />
und der Schadensschwere<br />
– und entsprechende<br />
Schutzmaßnahmen einplanen. Dies<br />
ist immer dann der Fall, wenn es<br />
neue Risiken gibt, die vorher nicht da<br />
waren oder wenn sich Risiken nach<br />
dem Umbau in signifikanter Weise<br />
erhöht haben, beispielweise durch<br />
eine höhere Performance, größere<br />
Kräfte oder Geschwindigkeiten.<br />
Die Kriterien zur wesentlichen Veränderung<br />
haben immer ein risikobasierter<br />
Ansatz. Das heißt, sie beantworten<br />
die Frage, ob es nach dem<br />
Umbau neue Risiken gibt, die vorher<br />
nicht da waren oder die sich nach<br />
dem Umbau in signifikanter Weise erhöht<br />
haben. Eine wichtige Entscheidungshilfe<br />
ist der Blue Guide (Leitfaden<br />
zum Rechtsrahmen zur CE-<br />
Kennzeichnung), der seit dem Jahr<br />
2000 Konsens in der Kommission<br />
und in den Mitgliedsstaaten ist. Hierin<br />
ist auch die Pflicht zur Durchführung<br />
und Dokumentation des Konformitätsbewertungsverfahrens<br />
und die<br />
Aufrüstung der gesamten umgebauten<br />
Maschine auf den Stand der Technik<br />
zum Zeitpunkt des Umbaus beschrieben.<br />
Deshalb sollten in jedem<br />
Fall die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten<br />
klar verteilt sein, bevor<br />
die Retrofit-Maßnahmen umgesetzt<br />
werden. Sind sich Hersteller oder Betreiber<br />
bei Details unsicher, sollten sie<br />
frühzeitig externe Fachleute wie den<br />
TÜV zu Rate ziehen.<br />
Risikobeurteilung<br />
über den gesamten<br />
Maschinenlebenszyklus<br />
An das Thema „Retrofit“ sollte<br />
grundsätzlich mit Bedacht und Weitblick<br />
herangegangen werden. Es ist<br />
ratsam, die geplanten Umbauten<br />
im Vorfeld sorgsam zu prüfen, ob<br />
es sich beim geplanten Umbau um<br />
eine wesentliche Änderung handelt.<br />
Zur Beantwortung dieser Frage hat<br />
das Bundesministerium für Arbeit<br />
und Soziales (BMAS) das Interpretationspapier<br />
„Wesentliche Veränderung<br />
von Maschinen“ veröffentlicht.<br />
Als wesentlich wird eine Veränderung<br />
angesehen, wenn die Maschine<br />
nach der Veränderung ohne zusätzliche<br />
Schutzmaßnahmen nicht<br />
mehr sicher ist und eine ausreichende<br />
Risikominderung nicht durch einfache<br />
Schutzeinrichtungen erreicht<br />
werden kann. „Eine nach diesen Kriterien<br />
wesentlich veränderte Maschine<br />
ist hinsichtlich Produktsicherheitsanforderungen<br />
wie eine neue<br />
Maschine zu behandeln. Das heißt,<br />
dass sämtliche Bestimmungen des<br />
ProdSG (Produktsicherheitsgesetz)<br />
und der 9. ProdSV (Produktsicherheitsverordnung)<br />
anzuwenden sind<br />
und eine Konformitätsbewertung<br />
vorzunehmen ist“, erklärt Hans-<br />
Joachim Ostermann. „Dies ist eventuell<br />
mit erheblichen Mehrkosten<br />
verbunden, da das Konformitätsbewertungsverfahren<br />
gemäß MRL erneut<br />
durchgeführt werden muss.“<br />
Die Risikobeurteilung ist dabei<br />
kein Prozess, der erst nach dem Bau<br />
einer Maschine stattfindet, indem<br />
man die Risiken der bereits konstruierten<br />
Maschine austestet. Vielmehr<br />
müssen schon bei der Planung und<br />
Konstruktion über sämtliche Lebenszyklen<br />
der Maschine wie Montage,<br />
Inbetriebsetzung, Einrichtbetrieb und<br />
Normalbetrieb, Wartung, Auße r inbetriebnahme<br />
und Demontage alle Gefährdungen<br />
ermittelt und vorrangig<br />
durch konstruktive Maßnahmen beseitigt<br />
werden. Nur wenn dies nicht<br />
möglich ist, darf versucht werden,<br />
über eine Minimierung der Gefährdungen<br />
und Schutzmaßnahmen das<br />
Risiko weiter zu verringern. Über danach<br />
noch verbleibende Restgefahren<br />
ist der Benutzer zu unterrichten.<br />
Diese Rangfolge der sicherheitstechnischen<br />
Maßnahmen ist mit der<br />
Maschinenrichtlinie rechtsverbindlich<br />
vorgegeben. Nur wenn die mit den<br />
Gefährdungen verbundenen Risiken<br />
ein vertretbares Maß nicht überschreiten,<br />
darf die Maschine in Verkehr<br />
gebracht werden.<br />
Wendet ein Maschinenhersteller<br />
Normen an, die im Amtsblatt der<br />
euro päischen Union zur Maschinenrichtlinie<br />
gelistet sind, so gilt die Vermutungswirkung.<br />
Das heißt, dass bei<br />
Einhaltung der Norm auch die Mindestanforderungen<br />
der Maschinenrichtlinie<br />
erfüllt werden. Da sich die<br />
beiden Normen mit der funk tionalen<br />
Sicherheit beschäftigen, kann der<br />
Maschinenhersteller steuerungstechnische<br />
Lösungen, basierend auf den<br />
Vorgaben der Norm, erarbeiten.<br />
Durch die Validierung zum Beispiel<br />
nach EN ISO 13849 wird die Übereinstimmung<br />
zwischen dem erforderlichen<br />
und dem tatsäch lichen Performance<br />
Level (PL) bestätigt. Dadurch<br />
ist sichergestellt, dass nur Bauteile<br />
eingesetzt werden, für die entsprechende<br />
Sicherheitskenndaten vorliegen<br />
und die für die jeweilige Sicherheitsfunktion<br />
geeignet sind.<br />
Mit Sicherheit bedarf es eines gewissen<br />
Aufwandes, um die erforderlichen<br />
Schritte beziehungsweise<br />
Maßnahmen zur Einhaltung der<br />
Mindestanforderungen zu definieren<br />
und die entsprechenden Dokumente<br />
zu erstellen. Umso wichtiger<br />
ist es, dass der verantwortliche Personenkreis<br />
zur Durchführung des<br />
Konformitätsbewertungsverfahrens<br />
über entsprechende Kenntnisse verfügt.<br />
So können bereits im Konstruktionsprozess<br />
Kosten durch frühzeitiges<br />
Einleiten von Maßnahmen zur<br />
Risiko minderung eingespart werden.<br />
Diese Kenntnisse können beispielsweise<br />
im Rahmen der Qualifika tion<br />
zum CMSE (Certified Machinery<br />
Safety Expert) erlangt werden. Dies<br />
ist praktisch ein „Führerschein“ für<br />
die Maschinensicherheit, den Pilz<br />
weltweit anbietet. R. H.<br />
10 | Getränke! 02 | <strong>2021</strong>