Campus – Das Magazin für Studierende vom tipBerlin

Somersemester 2021 Somersemester 2021

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08.11.2021 Aufrufe

Sommersemester 2021 Das Magazin für Studierende in Berlin Die digitale Uni Wie Hochschulen im Lockdown virtuell werden und was der Wandel der Lehre bringt Gastronomie Der Foodporn des Fotografen René Riis Gemeinwohl Warum sich Studierende jetzt sozial engagieren Grüne Welle Eine Hochschule in Eberswalde rettet die Umwelt

Sommersemester 2021<br />

<strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Studierende</strong> in Berlin<br />

Die digitale Uni<br />

Wie Hochschulen im Lockdown virtuell werden <strong>–</strong><br />

und was der Wandel der Lehre bringt<br />

Gastronomie<br />

Der Foodporn des<br />

Fotografen René Riis<br />

Gemeinwohl<br />

Warum sich <strong>Studierende</strong><br />

jetzt sozial engagieren<br />

Grüne Welle<br />

Eine Hochschule in<br />

Eberswalde rettet die Umwelt


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INTRO / INHALT<br />

CAMPUS<br />

Liebe <strong>Studierende</strong>,<br />

fast alle sind auf Clubhouse, Instagram oder Tiktok<br />

<strong>–</strong> aber der öffentliche Sektor ist in Internet-Angelegenheiten<br />

rückständig wie eine Fernmeldeanlage.<br />

Immerhin: In Zeiten von Corona-Lockdowns und<br />

Home Office bleibt dort oft keine andere Wahl, als in<br />

die digitale Moderne aufzubrechen. Wie Hochschulen<br />

in Berlin und Brandenburg die Lehre virtualisieren,<br />

zeigen wir in unserer Titelstory. Doch wir blicken auch<br />

über Bildschirme und Apps hinaus und suchen die<br />

analoge Wirklichkeit. Etwa an einer grünen Uni in der<br />

Kleinstadt Eberswalde. Oder bei gemeinwohlorientierten<br />

Studi-Projekten in der Großstadt Berlin. So viel<br />

Leben! Viel Spaß wünscht<br />

Eure tip-<strong>Campus</strong>-Redaktion<br />

Cover: stock.adobe.com/ Bearbeitung: Oliver Mezger<br />

Inhalt<br />

Die digitale Revolution 4<br />

Wie in neuen Online-Sphären gelehrt wird <strong>–</strong> und ob das funktioniert<br />

Die grünste Uni im ganzen Land 12<br />

Eine Hochschule im kleinen Eberswalde macht große Forschung<br />

Fit wie Olympionik*innen 18<br />

Studieren und Spitzensport: ein Lagebild <strong>vom</strong> Olympiastützpunkt Berlin<br />

Die neue Solidarität 22<br />

Junge Menschen kümmern sich mit idealistischen Projekten ums Gemeinwohl<br />

Was geht? 26<br />

In Corona-Zeiten ein Sozialleben organisieren <strong>–</strong> der Essay<br />

<strong>Das</strong> Auge isst mit 30<br />

Die wundersamen Bilder des Food-Fotografen René Riis<br />

Programm32<br />

Mehr als nur Streaming: wo man jetzt Kultur erleben kann<br />

Meine erste Vorlesung 34<br />

Imran Ayata, Schriftsteller und Unternehmer<br />

SOMMERSEMESTER 2021 3


CAMPUS<br />

DIGITALES STUDIUM<br />

Wir sind<br />

dann mal<br />

online!<br />

4<br />

SOMMERSEMESTER 2021


DIGITALES STUDIUM<br />

CAMPUS<br />

Die Corona-Pandemie<br />

hat die Hochschulen<br />

zur digitalen Lehre<br />

gezwungen. Wie verändert<br />

der Wandel das<br />

Studium? Ein Streifzug<br />

durch virtuelle Räume<br />

Text: Ina Hildebrandt<br />

Foto: imago images/ Olaf Döring<br />

Unis während der Pandemie: keine <strong>Studierende</strong>n, da<strong>für</strong><br />

Aufnahmetechnik im Hörsaal. Zu sehen ist eine Online-<br />

Vorlesung an der TU Dortmund. Gehalten wird sie <strong>für</strong><br />

Erstsemester in Physik. Womöglich eine Blaupause <strong>für</strong><br />

Hochschulen in Berlin und Brandenburg?<br />

Es ist der 17. Februar 2020. Corona ist noch ein mysteriöses<br />

Virus irgendwo in China, dem hierzulande<br />

wenig Beachtung geschenkt wird. An diesem Tag bekommt<br />

die Berliner Hochschullandschaft eins auf den<br />

Deckel: In Sachen digitaler Lehre hinken die Unis der<br />

Hauptstadt im bundesweiten Vergleich hinterher, so<br />

die Analyse von Expert*innen bei einer Befragung im<br />

Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. E-<br />

Learning-Formate seien einzelne Projekte. Die Bereitschaft<br />

seitens der Unis <strong>für</strong> einen flächendeckenden<br />

Einsatz sei viel zu gering.<br />

Gerade mal gut zwei Monate später, am 20. April,<br />

passiert das Unerwartete: <strong>Das</strong> Sommersemester hat<br />

gerade begonnen, und die Lehre wird in diesem Halbjahr<br />

fast ausschließlich im digitalen Betrieb stattfinden.<br />

Ausgerechnet in Berlin, der Hochschulstadt, die<br />

so rückständig sein soll. Um die Pandemie einzudämmen,<br />

gibt es keine Alternative.<br />

„Es gab keine Möglichkeit zu überlegen, ob man<br />

das jetzt will oder nicht. Es musste auf digital umgestellt<br />

werden.“ <strong>Das</strong> sagt Karoline von Köckritz, wenn<br />

sie von dem großen Experiment spricht, in dem sich<br />

zum Beispiel die Freie Universität Berlin seit Ausbruch<br />

der Corona-Pandemie befindet. Sie koordiniert<br />

den Arbeitsbereich „Consulting & Support“ am Center<br />

<strong>für</strong> Digitale Systeme (CeDiS) der FU <strong>–</strong> einem Großlabor<br />

<strong>für</strong> die technologische und didaktische Gestaltung<br />

der Online-Lehre.<br />

Formate wie „Blended Learning“, eine Verbindung<br />

von Online-Lerneinheiten und Präsenzveranstaltungen<br />

wie Seminaren, waren bereits vorher in einzelnen<br />

Studiengängen angewandt worden. Mit dem ersten<br />

Lockdown hieß es <strong>für</strong> Köckritz und ihre Kolleg*innen,<br />

E-Learning innerhalb weniger Wochen <strong>für</strong> 180 Studiengänge<br />

zu ermöglichen. Präsenzunterricht gab es<br />

erst gegen Sommer und das stark beschränkt. Es sei<br />

ein Kraftakt gewesen, so die Expertin, der weitestgehend<br />

gelungen sei.<br />

Dabei hat die FU, wie beinahe jede Berliner Universität,<br />

auf bereits etablierte Lernplattformen und<br />

Videokonferenzsysteme zurückgreifen können. Dazu<br />

wurden Laptops und Headsets angeschafft, neue<br />

Software-Lösungen erworben und Lizenzen <strong>für</strong> die<br />

SOMMERSEMESTER 2021<br />

5


CAMPUS<br />

DIGITALES STUDIUM<br />

Benutzung zuhause erweitert. Der Senat<br />

unterstützte die Hochschulen in der Stadt<br />

mit zehn Millionen Euro aus dem Soforthilfeprogramm<br />

„Virtual <strong>Campus</strong> Berlin“.<br />

Nicht alle nutzen dabei dieselben Software-Anbieter.<br />

Da die Berliner Hochschulen<br />

keine gemeinsame Digitalstrategie<br />

haben, kocht jeder sein eigenes Süppchen.<br />

Doch die Grundzutaten der digitalen Lehre<br />

sind letztlich die gleichen: Videokonferenzen,<br />

gestreamte Vorlesungen, hochgeladene<br />

Video-Vorträge und Podcasts ,<br />

außerdem Übungen und Quiz-Formate,<br />

die über Lernplattformen wie Blackboard<br />

oder Moodle abrufbar sind.<br />

Geht da nicht mehr? Als zum ersten<br />

Lockdown die Hochschulen dicht machten,<br />

las man von <strong>Studierende</strong>n, die den<br />

<strong>Campus</strong> der University of Pennsylvania<br />

in den Welten des Computerspiels „Minecraft“<br />

nachbauten, um sich dort virtuell<br />

zu treffen. An der RWTH Aachen haben<br />

Studis und Profs mithilfe von Virtual-Reality-Technologie<br />

als Avatare Lehrszenarien<br />

durchgeführt. Im Winter schwärmte<br />

sogar die Bundesbildungsministerin Anja<br />

Karliczek, CDU, davon, wie durch Gamification<br />

Lerninhalte an Unis spielerisch<br />

vermittelt werden können.<br />

Vertonte Powerpoint-Präsentationen<br />

seien mediendidaktisch zwar nicht wahnsinnig<br />

aufregend oder gar revolutionär,<br />

sagt Köckritz, die Digitalexpertin, jedoch<br />

in der Umsetzung <strong>für</strong> die Lehrenden gut<br />

zu bewältigen, gerade zum Start des Sommersemesters<br />

im vergangenen Jahr.<br />

Auf die Frage nach innovativen digitalen<br />

Lehrkonzepten verweist sie auf die<br />

Tiermedizin. Dabei müsste <strong>für</strong> das Fach<br />

mit einem hohen Praxisanteil in Labor<br />

und Klinik, wo an toten sowie lebenden<br />

Tieren gearbeitet wird, die Digitalisierung<br />

eigentlich eine Mammutaufgabe sein.<br />

Digitale Labore<br />

„Wir hatten das Glück, mit QuerVet ein<br />

digitales Leuchtturmprojekt schon vor<br />

der Pandemie am Start gehabt zu haben“,<br />

sagt Jörg Aschenbach, Prodekan <strong>für</strong> Lehre<br />

am Fachbereich Veterinärmedizin.<br />

QuerVet wird schon seit 2016 als Blended-<br />

Learning-Format genutzt und ist eine<br />

Lernplattform, über die <strong>Studierende</strong> interdisziplinäre<br />

Fallbeispiele aus dem Arbeitsalltag<br />

von Tierärzt*innen bearbeiten<br />

können. Von zuhause aus werden virtuellen<br />

Patienten wie Pferd oder Lama untersucht,<br />

Proben entnommen, Sonografien<br />

geübt. Neu ist, dass die Besprechungen<br />

jetzt auch über das Konferenztool „Cisco<br />

Webex“ laufen.<br />

Die jahrelange Erfahrung mit E-Learning-Formaten<br />

in der Veterinärmedizin<br />

hat sich in der Pandemie ausgezahlt. Dank<br />

bereits vorhandener Programme wie virtueller<br />

Labore, Anatomielehre in 3D und<br />

Lehrvideos von Notfallsituation wie zum<br />

Beispiel einer akut kurzatmigen Katze<br />

oder einer gebärenden Kuh konnte fast<br />

die gesamte Lehre digitalisiert werden.<br />

Was sagen die <strong>Studierende</strong>n über die<br />

schöne neue Digitalwelt? „Ich kenne es<br />

ja nicht anders und finde die Online-<br />

Betreuung und Vermittlung von Lehrinhalten<br />

sehr gelungen“, sagt Pia Bohmann<br />

aus dem ersten Semester. Selbst entscheiden<br />

zu können, wann sie Übungen<br />

absolviert, empfindet sie als großen<br />

Vorteil. <strong>Das</strong> größte Problem sei <strong>für</strong> sie die<br />

Internetverbindung zuhause, die gerne<br />

mal wegbricht. Deutschland ist eben eine<br />

Internet-Wüste, und das W-LAN in der<br />

Wohngemeinschaft ist schnell überlastet,<br />

wenn mehrere Leute gleichzeitig in ihren<br />

Videoseminaren sitzen.<br />

Doch es gibt noch andere Kritikpunkte.<br />

Zum Beispiel Stefan Lindner:<br />

<strong>Das</strong> Programm Quervet macht’s möglich: Eine Ultraschalluntersuchung am digitalen Pferdeherzen<br />

Foto: TBMG; Screenshot: Fachbereich Veterinärmedizin FU Berlin<br />

6<br />

SOMMERSEMESTER 2021


DIGITALES STUDIUM<br />

CAMPUS<br />

Damit etwas Viadrina-Gefühl aufkommt, hat Jochen Koch das Gebäude als grafischen Hintergrund<br />

<strong>für</strong> die Konferenzen gestaltet<br />

Foto: TBMG; Screenshot: Universität Viadrina<br />

Da die Berliner<br />

Hochschulen keine<br />

gemeinsame Digitalstrategie<br />

haben,<br />

kocht jeder sein<br />

eigenes Süppchen<br />

Er bezweifelt, dass man sich in digitalen<br />

Veranstaltungen gut genug auf die Prüfungen<br />

vorbereiten kann und <strong>für</strong> die<br />

Praxis gewappnet ist. Die Tiermedizin sei<br />

eben auch ein Handwerk, sagt er. Tiere anfassen,<br />

aufschneiden, Bakterienkulturen<br />

auftragen, einfärben <strong>–</strong> alles Fingerfertigkeiten,<br />

die geübt werden müssen. „Sobald<br />

man das erste Mal vor dem Tier steht, bin<br />

ich der Meinung, dass man da baden geht“,<br />

sagt Stefan Lindner über die mögliche<br />

Praxisferne von jungen <strong>Studierende</strong>n,<br />

die zuvor nur in virtuellen Räumen unterwegs<br />

waren. Er ist zurzeit im siebten<br />

Semester, das aus viel Arbeit im Labor und<br />

Klinik besteht. Deshalb findet das praktische<br />

Jahr in den Kliniken nach wie vor real<br />

statt, ebenso einige Laborpraktika. Wenn<br />

auch in beschränktem Rahmen.<br />

Bisher haben die Prüfungsergebnisse<br />

am Institut gezeigt, dass die Noten im<br />

Mittelwert vergleichbar sind mit den<br />

vorherigen Jahren. Sorge bereitet dem<br />

Prodekan Jörg Aschenbach eine neue Entwicklung:<br />

„Zugleich steigt der Anteil der<br />

<strong>Studierende</strong>n an, die man total abgehängt<br />

hat.“ Woran es liegt, dass zunehmend Leute<br />

gleich durch mehrere Prüfungen rasseln,<br />

kann er nur vermuten: Überforderung<br />

mit der erhöhten Selbstorganisation<br />

oder zu wenig Kontakt zu Kommilitonen,<br />

die einen mitziehen, psychische sowie<br />

finanzielle Probleme. Aschenbach fordert,<br />

diese <strong>Studierende</strong>n zu identifizieren und<br />

wieder ins Studium mitzunehmen.<br />

Eine Frage der Finanzierung<br />

Eins ist klar: Ohne die jahrelange Erprobung<br />

von E-Learning-Formaten<br />

wie QuerVet wäre der Übergang ins fast<br />

reine Online-Veterinärstudium nicht<br />

so glimpflich verlaufen. Es braucht nun<br />

einmal Zeit, bis die Hochschulen sich modernisiert<br />

haben. Denn neue mediendidaktische<br />

Modelle und deren Umsetzung<br />

müssen in den Infrastrukturen verankert<br />

und durch Schulungs- und Beratungsmaßnahmen<br />

begleitet werden, erklärt<br />

Köckritz. Davon hängt ihr Erfolg ab, und<br />

da<strong>für</strong> wird eventuell auch mehr Personal<br />

benötigt.<br />

Es geht dabei aber nicht nur um Zeit,<br />

sondern auch um Geld. <strong>Das</strong> bestätigte<br />

kürzlich auch eine bundesweite Studie<br />

des Hochschulforums Digitalisierung.<br />

Demnach können die bisher erzielten<br />

SOMMERSEMESTER 2021 7


CAMPUS<br />

DIGITALES STUDIUM<br />

Keine Erstsemesterbegrüßung, keine Konzerte <strong>–</strong> der große Saal der UdK bleibt weiterhin leer<br />

Fortschritte nur gehalten und weiterentwickelt<br />

werden, wenn die technischen<br />

und personellen Strukturen nachhaltig<br />

finanziert werden.<br />

Kalt erwischt hat die Zwangsumstellung<br />

die Universität der Künste. An der<br />

größten Kunsthochschule Europas mit<br />

ungefähr 3500 <strong>Studierende</strong>n steht die<br />

Praxis im Vordergrund. Wie soll man also<br />

eine Lehre, die sich häufig in Ateliers, Studios<br />

und Proberäumen abspielt, in digitale<br />

Lernplattformen übersetzen? Damit<br />

beschäftigte sich die wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin Susanne Hamelberg, Beauftragte<br />

<strong>für</strong> digitale Strategie und Online-<br />

Lehre, mit <strong>Studierende</strong>n, Professor*innen<br />

und Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung<br />

in der im März 2020 gegründeten AG<br />

Online-Lehre: „Es ging um eine grundsätzliche<br />

Auseinandersetzung mit dem<br />

digitalen Format in der künstlerischen<br />

Arbeit und die Möglichkeiten der künstlerischen<br />

Lehre.“<br />

In den Fakultäten wurde vergangenes<br />

Jahr viel experimentiert, unter Beschränkungen<br />

in Innenräumen gearbeitet und<br />

die Stadt als Performance- sowie Ausstellungsfläche<br />

genutzt. Die wichtigste<br />

Aufgabe war jedoch, überhaupt eine digitale<br />

Lernplattform und Kommunikationstools<br />

zu schaffen, denn die bisherigen<br />

Strukturen waren <strong>für</strong> die neue Situation<br />

zu ungenügend.<br />

„Es gab nicht wirklich etwas, worauf<br />

wir aufbauen konnten“, sagt Robert<br />

Schnüll. Der Masterstudent aus dem<br />

Fach New Media ist maßgeblich an der<br />

Entwicklung der auf Kollaboration ausgerichteten<br />

Plattform „medienhaus/“ beteiligt.<br />

Für das kleine Team aus <strong>Studierende</strong>n,<br />

Professor*innen und wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiter*innen war das eine<br />

Herausforderung, hatte aber auch den<br />

Vorteil, eigene Vorstellungen umzusetzen.<br />

„Wir sehen digitale Werkzeuge nicht<br />

bloß als Ersatz, sondern als Erweiterung<br />

des physischen Raumes“, so Schnüll. Für<br />

den Aufbau von „medienhaus/“ haben sie<br />

nicht auf die bekannten kommerziellen<br />

Anbieter wie Webex, Zoom oder Google<br />

zurückgegriffen.<br />

Digitalisierung und Datenschutz<br />

Stattdessen betten sie Open-Source-<br />

Software in die sogenannten „classrooms“,<br />

einer Anwendung zum zeitungebundenen<br />

Austausch, wo einzelne Räume <strong>für</strong><br />

beispielsweise Kurse und Seminare eröffnet<br />

werden können. Zu den Open-Source-<br />

Programmen zählen beispielsweise das<br />

Konferenz-Werkzeug BigBlueButton, der<br />

Texteditor Etherpad <strong>für</strong> kollaboratives<br />

Schreiben sowie ein eigens weiterentwickeltes<br />

kollaboratives Whiteboard und<br />

eine Videoplattform <strong>für</strong> Livestreams und<br />

Videos inklusive Mediathek.<br />

Bei der Auswahl dieser Programme<br />

richten sich die Entwickler*innen nach<br />

den Anforderungen der künstlerischen<br />

Lehre und Praxis <strong>–</strong> alles unter dem Aspekt<br />

des Datenschutzes. Wo letztlich die gesammelten<br />

Daten der großen Tech-Konzerne<br />

landen, ist dagegen nicht öffentlich<br />

bekannt. „Wir finden, dass gerade an einer<br />

Kunst- und Designuniversität ein kritischer<br />

Umgang mit diesen Themen stattfinden<br />

muss. Wir können sagen: Deine<br />

Daten liegen hier, auf den Servern in den<br />

Räumen der UdK Berlin“, so Schnüll.<br />

Mit der Architektur von Infrastrukturen<br />

gehe eine Verantwortung <strong>für</strong><br />

Privatsphäre, Sicherheit und Unabhängigkeit<br />

von großen Unternehmen der<br />

Nutzer*innen einher, findet der Masterstudent.<br />

Zudem sei das Projekt mit öffentlichen<br />

Geldern finanziert worden und<br />

deswegen sollten auch andere Institutionen<br />

die entwickelte Plattform lizenzfrei<br />

nutzen und erweitern können. Ein<br />

weiteres Ziel ist es, die künstlerische Zusammenarbeit<br />

zwischen verschiedenen<br />

Universitäten zu fördern. Schnüll ergänzt:<br />

„Wir denken weiterhin an Bildungsinstitutionen<br />

in autoritären Ländern, wo im<br />

Zweifelsfall auch geblockt und zensiert<br />

werden kann. Bei selbstgehosteter Hardware<br />

und Software ist das zumindest<br />

schwieriger.“<br />

Allerdings kann bisher keine Software<br />

der Welt das Flair der berühmten UdK-<br />

Rundgänge virtualisieren. Neben der<br />

ausgelassenen Sommerfeier bietet die<br />

jährliche Werkschau <strong>für</strong> <strong>Studierende</strong> die<br />

Möglichkeit, ihre Arbeiten einem großen<br />

Publikum zu präsentieren und die der<br />

Kommiliton*innen zu erleben.<br />

„Es fehlt die Berührung in der Kunst.<br />

Man muss da sein und sich begegnen“,<br />

Foto: imago images/STPP<br />

8<br />

SOMMERSEMESTER 2021


DIGITALES STUDIUM<br />

CAMPUS<br />

Aylin spricht von<br />

einem „lack of<br />

skills“, wenn sie das<br />

letzte Jahr resümiert<br />

und erzählt<br />

von Performance-<br />

Übungen, die vor<br />

dem Laptop zuhause<br />

einfach nicht<br />

funktionieren<br />

sagt Aylin Derya Stahl. Sie studiert im<br />

vierten Semester Freie Kunst und hat<br />

bisher keinen Rundgang in der analogen<br />

Wirklichkeit erlebt. Noch mehr zu schaffen<br />

macht ihr, dass sie <strong>für</strong> ihre Fotoarbeiten<br />

nicht die Dunkelkammer nutzen<br />

kann und im Sommersemester keinen der<br />

stark limitierten Plätze in den Werkstätten<br />

<strong>für</strong> Siebdruck oder Töpfern ergattern<br />

konnte.<br />

Aylin spricht von einem „lack of<br />

skills“, wenn sie das letzte Jahr resümiert<br />

und erzählt von Performance-Übungen,<br />

die vor dem Laptop zuhause einfach nicht<br />

funktionieren würden. Und so richtig gut<br />

könne man über nicht-digitale Arbeiten<br />

in Video konferenzen auch nicht sprechen,<br />

weil man sie nicht genauer betrachten<br />

oder anfassen kann, findet sie. Die Situation<br />

sei zwar unbefriedigend, aber es<br />

komme darauf an, was man daraus mache.<br />

Sie hat sich umgestellt. Momentan bringt<br />

sie sich bei, ihre Fotografien zu animieren<br />

und erstellt Videos. Zudem vertont<br />

Aylin eigene Gedichte und fügt diese mit<br />

aufgenommenen Geräuschen zu Sound-<br />

Collagen zusammen. „Ich glaube, wenn<br />

man etwas lernen will, muss man es auch<br />

selbst in die Hand nehmen.“<br />

Ein Satz, der Eva Kocher gefallen könnte.<br />

Bei der Vizepräsidentin <strong>für</strong> Lehre und<br />

Studium an der Europauniversität Viadrina<br />

in Frankfurt/Oder laufen die Fäden<br />

der digitalen Lehre zusammen. „Es wird<br />

viel mehr Selbstlernen eingefordert, was<br />

eigentlich ganz gut ist, aber viel Unterstützung<br />

benötigt“, sagt sie.<br />

Fehlende Sozialisierung<br />

Die brandenburgische Universität<br />

mit den drei Fakultäten Kultur- und<br />

Wirtschaftswissenschaften sowie Jura<br />

meisterte die Digitalisierung der Lehre.<br />

Dennoch habe sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert,<br />

so Kocher, dass in einer<br />

komplett digitalen Lehre der Sozialisierungsprozess<br />

der <strong>Studierende</strong>n auf der<br />

Strecke bleibt. „Studieren ist nicht nur<br />

Lernen, sondern man wird auch Teil der<br />

akademischen Fach-Community.“<br />

Zum einen gibt es <strong>Studierende</strong>, denen<br />

das viele Selbstlernen schwerfalle. Bei<br />

anderen würde die Selbständigkeit wiederum<br />

gebremst, weil sie noch in ihren<br />

Kinderzimmern sitzen und das richtige<br />

Uni-Leben bisher nicht kennengelernt<br />

hätten. Auffällig sei auch der Mangel an<br />

digitalen Kompetenzen, erzählt die Vize-<br />

WIR STELLEN EIN!<br />

2ND / 3RD LEVEL SUPPORTER<br />

MULTIMEDIA - REDAKTEURE<br />

2019<br />

20202021<br />

An meinem Job mag ich<br />

den Kundenkontakt, die<br />

coolen Kollegen und das<br />

selbst ständige Arbeiten.<br />

Lisa: Gestern Werkstudentin,<br />

heute berufsbegleitender Master<br />

und Leitungsposition.<br />

Ich liebe meine flexiblen<br />

Arbeit szeiten und<br />

kreativen Spielräume.<br />

Alessandro: Gestern Werkstudent,<br />

heute erfolgreicher Studienabschluss<br />

und Festanstellung.<br />

projektron.de/karriere


CAMPUS<br />

DIGITALES STUDIUM<br />

„Digitalisierung<br />

schnell und<br />

mehrheitlich<br />

gut umgesetzt“<br />

Markus Lörz forscht am Deutschen<br />

Zentrum <strong>für</strong> Hochschulund<br />

Wissenschaftsforschung.<br />

Er ist Projektleiter der Studie<br />

„Studieren in Deutschland zu<br />

Zeiten der Corona-Pandemie“.<br />

Hier spricht er über soziale Auswirkungen<br />

<strong>–</strong> und den Status<br />

quo der Digitalisierung.<br />

Die Ergebnisse der PISA-Studie von<br />

2001 wurden als „heilsamer Schock“<br />

<strong>für</strong> das deutsche Bildungssystem betitelt.<br />

Ist der Home-Office-Alltag im<br />

Zuge der Corona-Krise ebenfalls ein<br />

heilsamer Schock <strong>–</strong> nämlich <strong>für</strong> deutsche<br />

Universitäten, die auf einmal ihre<br />

Rückstände in Sachen Digitalisierung<br />

können?<br />

Nun ja <strong>–</strong> wenn man etwas Positives<br />

an dieser wirklich <strong>für</strong> alle Beteiligten<br />

schwierigen Situation sehen will,<br />

dann haben die Hochschulen das Thema<br />

Digitalisierung in kürzester Zeit<br />

schnell und mehrheitlich gut umgesetzt.<br />

Digitale Lehre ist zwar kein neues<br />

Phänomen, aber es hat sich zwangsläufig<br />

von einem Semester aufs<br />

nächste durchgesetzt. Nach Auskunft<br />

der <strong>Studierende</strong>n gab es im Wintersemester<br />

2019/20 nur einen kleinen Teil<br />

an digitalen Lehrangeboten <strong>–</strong> das war<br />

im Sommersemester 2020 natürlich<br />

ganz anders.<br />

Welche Stärken und Schwächen hat<br />

die Corona-Krise an den deutschen<br />

Hochschulen offenbart?<br />

Mit Blick auf die Digitalisierung<br />

hat sich gezeigt, wie schnell sich die<br />

Hochschulen und insbesondere die<br />

<strong>Studierende</strong>n auf neue Bedingungen<br />

einstellen können. Mit Blick auf die<br />

Finanzierung des Lebensalltags hat die<br />

Corona-Krise deutlich gemacht, dass es<br />

wieder die <strong>Studierende</strong>ngruppen aus<br />

einkommensschwächeren Familien<br />

sind, die von Nachteilen betroffen sind,<br />

wie schon in den Jahren zuvor.<br />

<strong>Studierende</strong> haben verschiedene soziale<br />

Hintergründe <strong>–</strong> Arbeiter- bis Akademikerfamilie,<br />

mit oder ohne Migrationsgeschichte.<br />

Wer bleibt womöglich<br />

auf der Strecke?<br />

Auf der Strecke bleiben aktuell diejenigen,<br />

deren Wohnsituation <strong>für</strong> ein<br />

digitales Studium ungeeignet ist. Da<br />

spielen die technische Ausstattung<br />

wie ein geeigneter Rechner, stabiles<br />

Internet eine Rolle, aber auch die<br />

Wohnsituation wie zum Beispiel fehlende<br />

Rückzugsmöglichkeiten. Herausfordernd<br />

ist es auch <strong>für</strong> diejenigen,<br />

die ein Studienfach studieren, dessen<br />

Lehrinhalte schwierig digital umzusetzen<br />

sind.<br />

Als Gewinn der Digitalisierung wird<br />

das flexible, individuelle Studieren angepriesen.<br />

Zu Recht?<br />

Die Chancen liegen sehr deutlich in<br />

der Ortsunabhängigkeit und der Möglichkeit,<br />

keine Vorlesung zu verpassen.<br />

Auch die Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen<br />

bietet den <strong>Studierende</strong>n<br />

in der Nachbereitung der Vorlesung<br />

eine gute Möglichkeit, um Lehrinhalte<br />

zu verinnerlichen und sich besser auf<br />

die Prüfungssituation vorzubereiten.<br />

Der Nachteil eines rein digitalen Semesters<br />

liegt jedoch in der fehlenden<br />

direkten Interaktion, in der die Dozierenden<br />

mit Hand und Fuß auch Emotionen<br />

in die Lehre miteinfließen lassen.<br />

Auch fehlt der direkte Austausch<br />

mit anderen <strong>Studierende</strong>n.<br />

Wird die Corona-Krise und der damit<br />

einhergehende Digitalisierungsschub<br />

das Studieren in Deutschland nachhaltig<br />

verändern?<br />

Ich gehe fest davon aus, dass einige<br />

digitale Elemente bleiben. <strong>Das</strong> kann<br />

sowohl <strong>für</strong> die Dozierenden als auch<br />

<strong>für</strong> die <strong>Studierende</strong>n von Vorteil sein.<br />

Ich würde vermuten, dass weniger Veranstaltungstermine<br />

ausfallen und die<br />

<strong>Studierende</strong>n auch häufiger von zuhause<br />

aus an der Lehre partizipieren.<br />

<br />

Interview: Ina Hildebrandt<br />

präsidentin. „<strong>Studierende</strong> verfassen Hausarbeiten<br />

mit merkwürdigen Quellen aus<br />

dem Internet oder E-Mails ohne Anrede.<br />

<strong>Das</strong> klingt banal, aber Fähigkeiten in wissenschaftlicher<br />

Recherche und Kommunikation<br />

sind elementar.“ Perspektivisch<br />

müsse daran gearbeitet werden, wie die<br />

Vermittlung von Digitalkompetenz Teil<br />

des Studiums werden kann.<br />

Jochen Koch und sein Lehrstuhl-Team<br />

aus den Wirtschaftswissenschaften experimentierten<br />

schon vor der Krise mit dem<br />

Inverted-Classroom-Modell. Hier bekommen<br />

<strong>Studierende</strong> das Wissen nicht in einer<br />

Vorlesung vermittelt, sondern erarbeiten<br />

sich dieses vorab zum Beispiel durch ein<br />

Online-Video selbständig. Die Präsenzveranstaltung<br />

wird zum Diskutieren und Vertiefen<br />

genutzt. „<strong>Das</strong> klassische Format der<br />

Vorlesung wäscht sich aus, gerade in BWL“,<br />

sagt Koch, der eine Professur innehat.<br />

Seit 2019 stellt er Videos auf Youtube,<br />

in denen er betriebswirtschaftliche Theorien<br />

erklärt, während im Hintergrund<br />

Grafiken, Zitate und Zeichnungen die<br />

Inhalte veranschaulichen. Eine Vorlesung<br />

mache nur Sinn, findet der Dozent, wenn<br />

währenddessen etwas interaktiv mit den<br />

<strong>Studierende</strong>n entwickelt werde, was so<br />

noch nicht vorhanden war. <strong>Das</strong> sei beim<br />

monologischen Vortragen von Lehrbüchern<br />

nicht der Fall.<br />

Ehrgeiz und Erschöpfung<br />

Einen Masterkurs hat Jochen Koch als<br />

Online-Co-Teaching-Projekt konzipiert,<br />

bei dem er den Präsenzunterricht mit zwei<br />

wissenschaftlichen Mitarbeitern*innen<br />

über Zoom abhält. Im Team könne man<br />

sich gerade in langen Online-Sitzungen<br />

sehr gut ergänzen, so Koch. <strong>Das</strong> schnelle<br />

Aufteilen in Arbeitsgruppen über<br />

Breakout Rooms, also in einzelne Video-<br />

Konferenzräume, und die anschließende<br />

Rückkehr in die große Runde böten bereichernde<br />

Möglichkeiten bei der Unterrichtsgestaltung.<br />

Manche <strong>Studierende</strong><br />

habe Koch durch kleine Online-Diskussionsrunden<br />

sogar besser kennengelernt als<br />

zu Präsenzzeiten. Statt Referaten produzierten<br />

<strong>Studierende</strong> aufwendig gestaltete,<br />

vertonte Powerpoint-Präsentationen.<br />

Manche legten sich dabei richtig ins Zeug,<br />

arbeiteten mit Animationen und Soundeffekten.<br />

Dennoch greift seit dem Wintersemester<br />

digitale Erschöpfung um sich. Von der<br />

Sehnsucht nach Lehre und Lernen ohne<br />

Bildschirme berichtet Jochen Koch, aber<br />

auch einige seiner <strong>Studierende</strong>n. Egor<br />

Kozlov zum Beispiel ist aus finanziellen<br />

Gründen wieder zurück nach Moskau ge-<br />

Fotos: Petra Nölle/ DZHW; Heide Fest (rechte Seite)<br />

10<br />

SOMMERSEMESTER 2021


Weitere<br />

Jobs & Praktika<br />

tip-berlin.de/jobs<br />

CAMPUS<br />

Jobs und Karriere bei<br />

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was los ist in Berlin. Wir suchen immer Verstärkung<br />

und Unterstützung. Wir bieten 30 Tage Urlaub, flache<br />

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Reportagen, Hintergrundstücke, sensible Portraits<br />

schreibst? Kritische Interviews führst und Online-Beiträge<br />

verfasst, die viele Klicks bekommen? Dann ist ein Volontariat<br />

beim Exberliner das Richtige <strong>für</strong> dich.<br />

Eva Kocher setzt sich <strong>für</strong> die Förderung von digitalen<br />

Kompetenzen bei <strong>Studierende</strong>n ein<br />

gangen. Allein falle ihm das Lernen zuhause<br />

deutlich schwerer als gemeinsam mit anderen<br />

in der Uni. Die nächste Ablenkung sei nur<br />

einen neuen Tab weit entfernt, sagt Kozlov,<br />

und ihm fehle die konzentrierte Atmosphäre<br />

im Seminarraum. Sein Kommilitone Maximilian<br />

Wark vermisst neben dem gemeinsamen<br />

Abhängen auf dem <strong>Campus</strong> die gegenseitige<br />

Unterstützung bei Prüfungsvorbereitungen<br />

und klagt: „Man kommt sich etwas wie ein<br />

Einzelkämpfer vor.“<br />

Zugleich schätzen die beiden genauso wie<br />

befragten <strong>Studierende</strong>n von der FU und der<br />

Universität der Künste die Flexibilität, die gerade<br />

denjenigen mit Nebenjobs oder eigener<br />

Familie einen gewaltigen Vorteil bringt. <strong>Das</strong><br />

Studium der Zukunft? Sie wünschen sich eine<br />

Mischung aus Online und Präsenz.<br />

Wissen entsteht zudem in Zwischenräumen.<br />

Man philosophiere mal spontan zwischen<br />

Tür und Angel, wie es Markus Doherr<br />

ausdrückt, Veterinär-Dozent an der FU. Ob<br />

beim gemeinsamen Verlassen des Seminarraums<br />

oder an der Kaffeemaschine. Diese<br />

Spontanität geben digitale Tools so nicht her,<br />

findet auch Koch, der Wirtschaftswissenschaftler.<br />

Studieren bedeutet Austausch, und<br />

der braucht die Unmittelbarkeit in der realen<br />

Begegnung. Dennoch möchten viele die Vorteile<br />

der digitalen Lehre wie Unabhängigkeit<br />

von Zeit und Ort sowie neu entwickelte Formate<br />

beibehalten.<br />

Erst wenn das Leben nicht mehr von der<br />

Pandemie bestimmt sein wird, wird sich<br />

zeigen, wohin der Digitalisierungsschub die<br />

Hochschulen trägt. Einen Weg zurück scheint<br />

es allerdings nicht mehr zu geben.<br />

Exberliner, das englischsprachige Stadtmagazin seit<br />

2002 <strong>für</strong> alle, die lieber auf englisch lesen, Berlin zu ihrem<br />

Zuhause gemacht haben und up to date bleiben wollen,<br />

steht <strong>für</strong> erstklassigen Journalismus und Texte, die<br />

unseren Leser*innen die Stadt und ihre Menschen näher<br />

bringen.<br />

Du wirst unser Team ergänzen und Teil des gesamten<br />

Produktionsprozesses sein <strong>–</strong> on- und offline. Wir bringen<br />

dir bei, wie du Fakten und Quellen sammelst, Interviews<br />

führst und Texte aufbereitest, schnelle Online-Nachrichten<br />

und Social-Media-Beiträge verfasst. Wie du eine gute<br />

Reporterin oder ein guter Reporter wirst.<br />

<strong>Das</strong> solltest du mitbringen: ein wenig journalistische<br />

Erfahrung, gutes Englisch und noch besseres Deutsch.<br />

Beginn ist im März bzw. April. Für deine Arbeit (40 Std/<br />

Woche) gibt’s 1.000 € Brutto im ersten, 1.200 € im zweiten<br />

Ausbildungsjahr.<br />

Bitte bewerbe Dich mit den üblichen Unterlagen und<br />

dem Stichwort „Neustart beim Exberliner“ bei uns. Wir<br />

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Menschen. info@tip-berlin.de<br />

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Geschäftsführer: Robert Rischke<br />

SOMMERSEMESTER 2021


CAMPUS<br />

DER CAMPUS VON EBERSWALDE<br />

Grüner<br />

wird’s<br />

nicht<br />

Sie pflanzen Wälder an, retten Bienen<br />

und wollen den Tourismus neu erfinden:<br />

An der Hochschule <strong>für</strong> nachhaltige Entwicklung<br />

in Eberswalde arbeiten Profs<br />

und <strong>Studierende</strong> daran, die Welt umweltfreundlicher<br />

zu gestalten. Wie eine kleine<br />

Uni in Brandenburg große Politik macht<br />

Text: Philipp Wurm<br />

Auf diesem Foto sehen Sie ein Gebäude<br />

12<br />

SOMMERSEMESTER 2021


DER CAMPUS VON EBERSWALDE<br />

CAMPUS<br />

So vielversprechend sind die Triebe der grünsten<br />

Uni Deutschlands vielleicht nirgendwo sonst. Ein<br />

bisschen mehr als 50 Kilometer muss man sich von der<br />

Hochschule <strong>für</strong> nachhaltige Entwicklung in Eberswalde<br />

entfernen, um das Stück Land zu bestaunen. Buche<br />

und Linde wachsen dort, aber auch Kreuzdorn und<br />

Wilder Apfel. Ein Best-of der heimischen Flora in der<br />

Uckermark, noch zart, knapp über ein Meter hoch <strong>–</strong> auf<br />

einer Fläche von gerade einmal 800 Quadratmetern,<br />

etwas größer als ein Tennisplatz. Eine Idylle, die in die<br />

Zukunft weist: als eine Methode der Bodenkultivierung,<br />

die einmal die Städte retten soll. Vor Luftverschmutzung,<br />

Treibhausgasen und Beton-Monotonie.<br />

„Tiny Forest“ nennt sich dieser bunte Miniwald<br />

im Sprech der Öko-Avantgarde, und er soll so ähnlich<br />

auch einmal in der Großstadt gedeihen, zwischen<br />

Mietblöcken und Straßenkreuzungen. <strong>Das</strong> Anbaugebiet<br />

in Brandenburgs Landschaft ist ein Modellprojekt<br />

<strong>für</strong> den städtischen Raum.<br />

„Urbanisierte Diversitätshotspots“, so bezeichnet<br />

Lukas Steingässer, 29, Bachelor-Absolvent im Fach<br />

„Internationales Waldökosystemmanagement“, das<br />

Prinzip. Er hat das Biotop, das etwa 2.200 Pflanzen<br />

umfasst, mit einem Kommilitonen konzipiert. Der<br />

erste „Tiny Forest“ in Deutschland. „Wald der Vielfalt“,<br />

so nennt ihn Steingässer.<br />

So ein „Tiny Forest“, ursprünglich eine Kultivierungsmethode<br />

aus Japan, kann vieles: Er lockt Tiere<br />

und sichert damit Artenvielfalt. Zudem spendet er<br />

Schatten. Und kühlt die Umgebung <strong>–</strong> eine Klimaanlage,<br />

die Ressourcen schont. Der Anblick des archetypischen<br />

Grüns beruhigt außerdem die Nerven gestresster<br />

Großstadtmenschen.<br />

Lukas Steingässer fördert eine Idee, die zum Hit<br />

werden soll <strong>–</strong> und verkörpert damit den fortschrittlichen<br />

Geist der Hochschule <strong>für</strong> Nachhaltige Entwicklung<br />

in Eberswalde.<br />

Fotos: HNEE<br />

Ein akademisches Utopia<br />

Ganz früher war diese Bildungsstätte noch eine Forstakademie.<br />

Dort wurden zum Beispiel im 19. Jahrhundert<br />

junge Männer <strong>für</strong> die Verwaltung des Waldlands<br />

im Königreich Preußen ausgebildet.<br />

Heute, im Zeitalter des Klimawandels, schaffen<br />

Profs und <strong>Studierende</strong> in Eberswalde die Grundlagen<br />

<strong>für</strong> eine grüne Zukunft. Als ob Grünen-<br />

Politiker*innen, Fridays-for-Future-Aktivist*innen<br />

und Leute von Naturschutzverbänden ein akademisches<br />

Utopia kreiert hätten.<br />

Um Bio-Bauernhöfe rentabel zu machen, wird<br />

dort „Ökolandbau und Vermarktung“ gelehrt <strong>–</strong> oder<br />

SOMMERSEMESTER 2021 13


CAMPUS<br />

DER CAMPUS VON EBERSWALDE<br />

Tiny Forest: ein wachsendes Projekt von zwei Eberswalder Jung-Wissenschaftlern. Kleine Wälder dieser Art könnten in Großstädten <strong>für</strong> eine gesündere Umwelt sorgen<br />

der Master-Studiengang Öko-Agrarmanagement.<br />

Studienanfänger*innen können sich auch <strong>für</strong> „Landschaftsnutzung<br />

und Naturschutz“ einschreiben.<br />

Andere studieren Holztechnik. Gegenstand dieses<br />

Fachs: eine nachwachsende Ressource als Rohstoff <strong>für</strong><br />

Baubranche und andere Gewerbe. Manchmal wird in<br />

den Dimensionen internationaler Umweltpolitik gedacht,<br />

etwa im „Global Change Management“, ebenso<br />

ein Master-Fach.<br />

Seit 1992 gibt es diese Akademie, deren ökologisches<br />

Image auch ein Erbe der lokalen Geschichte<br />

ist, als in Eberswalde noch Förster alter Schule ausgebildet<br />

wurden. Rund 2.100 Jungakademiker*innen<br />

studieren heute dort, betreut von knapp 60<br />

Professor*innen. Die Hochschule prägt den Charakter<br />

von Eberswalde, einer Kleinstadt mit etwa 40.000<br />

Einwohnern. Die grüne Denkfabrik verteilt sich auf<br />

einen Stadtcampus, einen Waldcampus und einen<br />

Forstbotanischen Garten.<br />

Lukas Steingässer, der Schöpfer des „Tiny Forests“,<br />

ist seit 2016 an dieser Hochschule im Umland Berlins<br />

eingeschrieben. „Etwas Praktisches“ habe er machen<br />

wollen, sagt er über sein Baumprojekt.<br />

Inspiriert hat ihn der TED-Talk eines indischen<br />

Ingenieurs namens Shubendu Sharma, der von einer<br />

Renaturierungsmethode aus der japanischen Botanik<br />

schwärmte. Dort hat eine Biologie-Koryphäe, der<br />

mittlerweile 93-jährige Akira Miyawaki, einen Masterplan<br />

<strong>für</strong> kleine, artenreiche Mischwälder entwickelt<br />

<strong>–</strong> und unter seiner Ägide mehr als 1.000 solcher<br />

Habitate anpflanzen lassen, in seinem Heimatland,<br />

in Malaysia und anderswo. Als „Tiny Forests“ werden<br />

diese Wälder nun immer bekannter im Westen.<br />

An einem Wochenende im März vergangenen<br />

Jahres haben Lukas Steingässer und sein Kommilitone<br />

den Wald mit 20 Freiwilligen gepflanzt - auf dem<br />

Areal eines heilpraktischen Zentrums, des so genannten<br />

Seminarhauses Uckermark, das eine Bekannte<br />

betreibt. Mittels Crowdfunding haben sie das Ganze<br />

finanziert. Sein Tiny-Forest-Projekt, zunächst als<br />

Forschungsarbeit angelegt, will er nun auch in eine<br />

unternehmerische Idee münden lassen. „<strong>Das</strong> erste<br />

urbane Waldplanungsbüro Deutschlands“, sagt er.<br />

Zurzeit bewirbt er sich mit seinem Kompagnon um<br />

ein Gründerstipendium.<br />

Wo es brummt und summt<br />

Doch an der Hochschule <strong>für</strong> Nachhaltige Entwicklung<br />

gibt es noch mehr Projekte, die der Natur helfen. Darunter<br />

die Rettung von Bienen, Käfern und anderen<br />

sechsbeinigen Spezies. Die Labore: Biosphärenreservate,<br />

darunter auch Schorfheide-Chorin, das Land-<br />

Foto: HNEE/ Lukas Steingässer<br />

14<br />

SOMMERSEMESTER 2021


DER CAMPUS VON EBERSWALDE<br />

CAMPUS<br />

Wie kann man einen verträglichen Massentourismus etablieren, etwa auch während der Pandemie? In Eberswalde wird dieses Thema erforscht<br />

Fotos: imago images/ Chris Emil Janßen<br />

schaftsgebiet nördlich von Eberswalde. Dort soll das<br />

Projekt „Brommi“ summen. Hinter dem Kürzel verbirgt<br />

sich ein Terminus technicus: „Biosphärenreservate<br />

als Modelllandschaften <strong>für</strong> den Insektenschutz“<br />

<strong>–</strong> hauptverantwortlich ist der WWF. Unter anderem<br />

sollen Landwirt*innen dabei Korridore opfern, damit<br />

dort Habitate <strong>für</strong> Tierarten erblühen <strong>–</strong> genau genommen<br />

an den Rändern von Feldern. Sie sollen da<strong>für</strong><br />

einen finanziellen Ausgleich erhalten. Der Job der<br />

<strong>Studierende</strong>n, zum Beispiel: zu untersuchen, ob die<br />

Populationen wachsen.<br />

Ein anderes Projekt führt von der Fauna zu Tummelplätzen<br />

der menschlichen Zivilisation. Juliane<br />

Zimmermann heißt die Forscherin an diesen Orten.<br />

Eine 27-Jährige, die Nachhaltiges Tourismusmanagement<br />

in Eberswalde studiert. Sie widmet ihre Masterarbeit<br />

nützlichen Praktiken gegen ungesunden<br />

Massentourismus, genannt „Overtourism“. Man denkt<br />

dabei an Palma de Mallorca oder Venedig <strong>–</strong> doch Hotspots<br />

in deutschen Urlaubsregionen haben in der Vergangenheit<br />

genauso Anstürme erlebt, auch im ersten<br />

Corona-Jahr 2020. Zimmermann untersucht deshalb<br />

die Lage an hiesigen Reise-Mekkas, ob in der Lübecker<br />

Bucht oder in Oberbayern.<br />

Zuvor hat sie Ethnologie und Islamwissenschaft in<br />

Köln studiert. Fächer, die Fernweh ausdrücken. Sensibilisiert<br />

<strong>für</strong> Umweltfragen hat sie ein Trip in privatissimo:<br />

ein Island-Besuch. Dort wurde ihr erzählt von<br />

heißen Quellen, die gekippt waren und voller Bakterien.<br />

Ebenso frappierend an diesen Sehenswürdigkeiten:<br />

wilder Müll an Wegrändern <strong>–</strong> und Tourist*innen,<br />

die draußen ihre Notdurft verrichten. Jetzt will sie in<br />

ihrer Masterarbeit zeigen, wieʼs besser laufen könnte.<br />

„Identifikation von Maßnahmen zur Vermeidung<br />

von Overtourism-Szenarien“, lautet ein Teil des Arbeitstitels,<br />

im präzisen Stil eines wissenschaftlichen<br />

Papiers. Juliane Zimmermann blickt dabei auf Trends<br />

im Zuge der Pandemie. Ein Accessoire, das schon im<br />

vergangenen Sommer angewendet worden ist: eine<br />

Strand-Ampel in Schleswig-Holstein, die online darüber<br />

informiert, wie belebt Badestellen sind.<br />

„Immer noch eine Nische“, das sagt sie über ihr<br />

Metier, den nachhaltigen Tourismus. Ihr gehe es<br />

darum, Diskurse anzustoßen. Über eine Reisekultur,<br />

die Öko-Bilanzen, wirtschaftliche Interessen und<br />

Gesellschaftsfaktoren in Balance bringt. Andere<br />

Expert*innen am Zentrum <strong>für</strong> Nachhaltigen Tourismus<br />

(ZENAT), wo ihr Fach angesiedelt ist, verfolgen<br />

dasselbe Ziel. Dozent*innen würden dort Inputs <strong>für</strong><br />

den Mainstream-Tourismus geben, erzählt sie. Zum<br />

Beispiel mithilfe von Engagements <strong>für</strong> Consulting-<br />

Firmen.<br />

SOMMERSEMESTER 2021 15


CAMPUS<br />

DER CAMPUS VON EBERSWALDE<br />

Als sich eine Frage stellte<br />

Ein Heureka-Moment, der ein weiteres Forschungsprojekt<br />

an der HNEE hervorgebracht hat, ereignete<br />

sich zu einem außergewöhnlichen Zeitpunkt: während<br />

einer Fahrt mit dem Regionalzug. Es war ein<br />

Freitag im März 2020. Die Corona-Pandemie war gerade<br />

nach Deutschland übergeschwappt.<br />

Benjamin Nölting, Professor am Forschungszentrum<br />

„Nachhaltigkeit <strong>–</strong> Transformation <strong>–</strong> Transfer“,<br />

war mit ein paar Master-<strong>Studierende</strong>n mit der<br />

Bahn unterwegs. Die Rückreise von Pendler*innen<br />

gen Berlin, dem Wohnort von nicht wenigen<br />

Hochschüler*innen und Lehrenden. Zuvor hatten sie<br />

noch eine gemeinsame Lehrveranstaltung abgehalten.<br />

Nun formte sich eine Frage: Wie könnte man dieses<br />

historische Ereignis zum Material machen?<br />

In Rekordzeit entstand ein bürgerwissenschaftliches<br />

Projekt namens „Logbuch der Veränderungen“,<br />

unter Mitwirkung von weiteren<br />

Wissenschaftler*innen des Forschungszentrums. In<br />

diesem Online-Journal sollten Normalmenschen ihre<br />

Eindrücke von der Corona-Krise schildern. Bis heute<br />

haben Leute von nebenan über 1.000 Einträge notiert<br />

<strong>–</strong> eine Textsammlung, die eine Zäsur widerspiegelt.<br />

<strong>Das</strong> Team will darin „interessante Phänomene“<br />

entdecken, wie ein „Trüffelschwein“, sagt Nölting, 54.<br />

<strong>Das</strong> Bottom-up-Projekt soll dabei vor allem ein Rätsel<br />

lüften: Wie stellen sich Menschen auf große Umbrüche<br />

ein? Oder, im Jargon der Management-Psychologie,<br />

welche „Veränderungskompetenz“ entwickeln sie?<br />

Benjamin Nölting, Professor am Forschungszentrum<br />

„Nachhaltigkeit <strong>–</strong> Transformation <strong>–</strong> Transfer“<br />

Feels like Eberswalde<br />

Eberswalde ist die Kreisstadt des Landkreises<br />

Barnim. Ihr Zweitname lautet<br />

Waldstadt <strong>–</strong> weil der Ort von üppigen<br />

Baumlandschaften gesäumt ist. Nicht<br />

ohne Grund war Eberwalde auch im 19.<br />

und 20. Jahrhundert berühmt <strong>für</strong> eine<br />

Forstakademie, aus der die Hochschule<br />

<strong>für</strong> nachhaltige Entwicklung hervorgegangen<br />

ist. Durch die Stadt fließt der<br />

Finowkanal, der älteste noch schiffbare<br />

Kanal Deutschlands. Wer in Eberswalde<br />

wohnt, findet Unterschlupf im Wohnheimzimmer<br />

eines Neubau ebenso wie<br />

in der Räumlichkeit einer Altbauvilla.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Campus</strong>-Leben ist geprägt von<br />

ökologischem Bewusstsein. Es gibt ein<br />

Repair-Café, aber auch den Coworking-<br />

Space „Thinkfarm Eberswalde“. Im<br />

„Studentenclub Eberswalde“ steigen<br />

normalerweise Konzerte, Karaoke-Partys<br />

und Kickerturniere. Einem Comeback<br />

steht nur noch die Pandemie im<br />

Weg.<br />

Foto: HNEE/ Florian Reischauer; imago images / Rex Schober<br />

16<br />

SOMMERSEMESTER 2021


Zwei <strong>für</strong><br />

CAMPUS<br />

Berlin<br />

<strong>Das</strong> Projekt „Logbuch der<br />

Veränderungen“ soll ein Rätsel<br />

lüften: Wie stellen sich Menschen<br />

auf große Umbrüche ein?<br />

Oder, im Jargon der Management-<br />

Psychologie, welche „Veränderungskompetenz“<br />

entwickeln sie?<br />

Die Erkenntnisse könnten wertvoll sein <strong>für</strong> andere epochale<br />

Umwälzungen. Den Klimawandel zum Beispiel.<br />

Zurzeit wird das Konvolut ausgewertet <strong>–</strong> unter anderem<br />

mittels Master-Arbeiten von <strong>Studierende</strong>n am<br />

Forschungszentrum „Nachhaltigkeit <strong>–</strong> Transformation<br />

<strong>–</strong> Transfer“. Wer Notizen aus der ersten Jahreshälfte 2020<br />

überfliegt, erahnt Umrisse eines Bewusstseinswandels.<br />

Über das Verhältnis zum Auto heißt es: „Die gefahrenen<br />

Kilometer haben sich drastisch reduziert.“ Über Konsum:<br />

„Der Kauf modischer Kleidung ist unwichtiger geworden.“<br />

Übrigens: Vielleicht ist das kleine, beschauliche<br />

Eberswalde genau der richtige Ort, um solche Themen zu<br />

erörtern. <strong>Das</strong> Tempo, das im hektischen Berlin den Takt<br />

angibt, ist in diesem Nest heruntergefahren. Hinter den<br />

letzten Häusern erstreckt sich eine Vegetation, die den<br />

biophilen Charakter der Hochschule symbolisiert.<br />

Die Kulisse <strong>für</strong> dieses Lebensgefühl ist ein Stadtbild,<br />

das apart erscheint. Irgendwo zwischen brandenburgischer<br />

Provinz, Berlin-Kreuzberg und dem amerikanischen<br />

Portland <strong>–</strong> benetzt mit DDR-Patina. Viele Cafés<br />

und Bars in Eberswalde sind Horte eines alternativen<br />

Lebensstils, darunter ein Burger-Imbiss, der auch vegane<br />

Bratlinge anbietet, oder das Café Alte Post, wo Hafermilch-Kaffee<br />

serviert wird. Eine Boulderhalle gibtʼs auch.<br />

Kein Wunder, dass viele Hochschüler*innen in Eberswalde<br />

wohnen <strong>–</strong> und nicht morgens und abends in die<br />

Regionalzüge steigen, um zwischen Peripherie und<br />

Berlin zu pendeln. Zumal man in Eberswalde auch keine<br />

Mondpreise <strong>für</strong> Mieten berappen muss. Anders als in<br />

den Boom-Bezirken der Hauptstadt.<br />

Lukas Steingässer, der Waldfreund, wohnt in einem<br />

Zimmer in einer WG in einer alten Villa; Juliane Zimmermann,<br />

die potenzielle Erneuerin im Touristikgewerbe,<br />

in einem 11-Quadratmeter-Zimmer im Studentenwohnheim.<br />

Steingässer mag das Landleben: „Die Nähe zu Berlin<br />

feiere ich, aber ich kann auch in unserem Garten ein Lagerfeuer<br />

machen.“ Und nebenan ruft der Wald.<br />

SOMMERSEMESTER 2021<br />

Nordenfan / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0<br />

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CAMPUS<br />

SPITZENSPORT UND STUDIUM<br />

Großer<br />

Ihr Traum ist Gold: Mehr als<br />

150 <strong>Studierende</strong> aus Berlin<br />

trainieren <strong>für</strong> Olympische<br />

Spiele. Wie ergeht es den<br />

Sportler*innen in Corona-<br />

Zeiten? Ein Eiskunstlaufpaar<br />

und ein Hockey-Star geben<br />

Einblicke<br />

Text: Philipp Wurm<br />

Gute Haltung: das Eiskunstlaufpaar Annika Hocke und Robert Kunkel<br />

Foto: Vorname Nachname<br />

18<br />

SOMMERSEMESTER 2021


SPITZENSPORT UND STUDIUM<br />

CAMPUS<br />

Sport<br />

Foto: imago images/ AFLOSPORT<br />

<strong>Das</strong> Paar, das Corona mit bella figura trotzt, schnürt<br />

die Stiefel ab. Schlittschuhe, die schnieke sind. Zuvor<br />

sind beide noch über ihr Trainingsparkett gewirbelt:<br />

die alabaster-farbene, gefrorene Fläche in der Eissporthalle<br />

am Sportforum Hohenschönhausen. Dort,<br />

am Olympiastützpunkt im Osten Berlins, üben sie<br />

sechs Tage die Woche. Zwei junge Sportler*innen, die<br />

Hoffnungen tragen. Nach neuen Meriten in einem<br />

Sport, der in Deutschland nicht ohne Geschichte ist.<br />

Darin hat zum Beispiel einmal Katharina Witt ein<br />

Millionen-Publikum begeistert, mit internationalen<br />

Erfolgen, aber auch mit einer Authentizität, die sie<br />

zu einer Ikone machte. So groß, dass sie in den USA<br />

zur Sportlerin des Jahres wurde, Ende der 90er-Jahre.<br />

Diese Sportart erlebte zuletzt eine kleine Renaissance<br />

<strong>–</strong> dank eines Goldgewinns bei den Olympischen Spielen<br />

2018 in Pyeongchang. Errungen haben ihn zwei<br />

Virtuos*innen aus Oberstdorf, Bruno Massot und<br />

Aljona Savchenko.<br />

Die Rede ist <strong>vom</strong> Eiskunstlauf, allein<br />

oder als Paar. Und zwei jungen Berliner<br />

<strong>Studierende</strong>n, die auch einmal in<br />

Ruhmeshallen wollen <strong>–</strong> in einer<br />

Zeit der begrenzten Möglichkeiten.<br />

Die 20-jährige Annika<br />

Hocke aus Wilmersdorf, die<br />

Amerikanistik und Medienwissenschaft<br />

an der HU studiert. Und Robert Kunkel,<br />

21, aus Alt-Hohenschönhausen, der an der TU <strong>für</strong><br />

Wirtschaftsingenieurwesen eingeschrieben ist. In<br />

diesem Jahr will sich das Paar, das zu einem Perspektivkader<br />

gehört, <strong>für</strong> die Winterspiele 2022 in Peking<br />

qualifizieren. Und das im pandemischen Zeitalter.<br />

Damit sind die beiden Talente besonders <strong>–</strong> und<br />

zugleich ein bisschen gewöhnlich.<br />

Mehr als 150 junge Athlet*innen gibt es nämlich,<br />

die zurzeit an den Trainingsstätten des Olympiastützpunktes<br />

Berlin ihr Niveau anheben wollen, im<br />

Sportforum Hohenschönhausen, aber auch auf dem<br />

Olympiagelände im Westend oder in der Max-Schmeling-Halle.<br />

Und dabei ein Doppelleben zwischen<br />

Leistungssport und Uni-Büffelei führen. Wie ergeht<br />

es diesen Medaillenhoffnungen?<br />

„Ich bin froh, dass wir einen kleinen Ort haben,<br />

wo normale Welt ist“, sagt Annika Hocke nach der<br />

Trainingseinheit, im schmucklosen Sanitätsraum.<br />

Statt Kufen trägt sie jetzt Sneakers. Allein wochentags<br />

schieben sie und ihr Partner zwei Einheiten à zwei bis<br />

drei Stunden.<br />

Fast ein Full-time-job <strong>–</strong> in einer Umgebung,<br />

die eine Blase ist. Robert, ihr Partner auf dem Eis,<br />

sagt: „Auf dem Eis kann ich voll abschalten.“ Eine<br />

Sphäre ohne die Stressfaktoren der Pandemie, ohne<br />

Mund-Nasen-Bedeckungen, mit Berührung. Dort ist<br />

das Virus weit draußen, ein Seuchenträger in einer<br />

anderen, unberechenbaren Realität.<br />

Positives Denken<br />

Vielleicht ist die heile Welt sogar eine Chance. An<br />

diesem Schauplatz können sie ihr eigenes Profil entwickeln.<br />

Ein Eislaufpaar sind sie erst seit April 2019;<br />

sie bilden also noch ein junges Tandem. „Es dauert<br />

seine Zeit, bis man sich hochgearbeitet hat“, sagt<br />

Annika. Deshalb hat sie sich mit dem Corona-Wahnsinn<br />

arrangiert: „Wir haben viel Zeit zur Vorbereitung,<br />

können viele Programm laufen.“<br />

Robert spricht allerdings auch von einer „Enttäuschung“.<br />

Viele Wettkämpfe sind abgesagt worden. Er<br />

setzt auf positives Denken: „Wir können technische<br />

Feinheiten ausarbeiten und mehr Erfahrung als Eiskunstlaufpaar<br />

sammeln.“<br />

Überhaupt geben sie sich abgeklärt. Robert erzählt<br />

von „Höhen und Tiefen“ <strong>–</strong> wie ein beschlagener<br />

Olympionike, der seine Karriere bilanziert. Noch ein<br />

kleines Kind war er, als er den ästhetischen Sport entdeckte,<br />

bei einem Schnupperkurs in der Eissporthalle<br />

des Sportforums Hohenschönhausen, jenem Stadtteil,<br />

wo er schon damals lebte. Annika tanzt übers Eis, seit<br />

sie vier Jahre alt ist; damals hatte sie mit ihrer Mutter<br />

das Eisstadion in Wilmersdorf besucht und die Pirouetten<br />

der Vereinsläuferinnen bewundert.<br />

SOMMERSEMESTER 2021 19


CAMPUS<br />

SPITZENSPORT UND STUDIUM<br />

Jetzt wollen sie zu Stars reifen, unter der Ägide von<br />

Alexander König, dem 54-jährigen Bundestrainer,<br />

selbst ein ehemaliger Eiskunstläufer. In einer Disziplin,<br />

dessen Sprache wegen schillerndem Vokabular wie<br />

Axel, Lutz oder Rittberger viel Eigensinn verströmt.<br />

Zuhause besuchen Annika und Robert parallel<br />

Online-Vorlesungen, lernen <strong>für</strong> Klausuren. Keine Zeit<br />

<strong>für</strong> Corona-Blues. „Ich brauche die Anstrengung“, sagt<br />

Annika. Robert spricht von „einem guten Ausgleich<br />

zur sportlichen Belastung“. Außerdem sind beide<br />

Sportsoldat*innen, erhalten Geld von der Bundeswehr.<br />

Ein Fördermodell, das verbreitet ist unter den<br />

Athlet*innen am Olympiastützpunkt. Andere lassen<br />

sich von Landes- und Bundespolizei bezuschussen.<br />

„Die meisten von uns betreuten Kaderathlet*innen<br />

kommen sehr gut durch die Krise, da sie eine hohe<br />

Resilienz aufweisen“, sagt Franziska Wenhold. Die<br />

Diplom-Psychologin ist Laufbahnberaterin am<br />

Olympiastützpunkt, so wie drei weitere Kolleg*innen,<br />

darunter auch Britta Steffen, ehemalige Gala-<br />

Schwimmerin, die zweimal olympisches Gold gewonnen<br />

hat: Dieses Team kümmert sich um das Wohl<br />

der Sportler*innen zwischen Bestleistungen und<br />

Curri culum. Dabei betreuen die Berater*innen auch<br />

Nachwuchssportler*innen, die noch die Schulbank<br />

drücken.<br />

Mit mehreren Hochschulen in Berlin, darunter<br />

die Riesen TU, HU und FU, kooperieren die Leute <strong>vom</strong><br />

Olympiastützpunkt. An diesen Lernstätten gibt es<br />

Ansprechpartner, die sportliche Interessen gegenüber<br />

Profs aus den Fachbereichen vertreten <strong>–</strong> wenn<br />

Athlet*innen nach Titeln, Rekorden oder anderen Lorbeeren<br />

streben. Dann wird schon einmal eine Prüfung<br />

verschoben. Oder in einer Uni am Ort von Trainingslager<br />

oder Turnier niedergeschrieben.<br />

Über die manchmal robuste Psyche der<br />

Athlet*innen sagt Franziska Wenhold, die Insiderin:<br />

„Leistungssportler*innen müssen sich im Verlauf ihrer<br />

sportlichen Karriere immer wieder mit Rückschlägen<br />

auseinandersetzen und entwickeln dadurch mentale<br />

Ressourcen, die ihnen in Krisen helfen können.“<br />

Der Olympiastützpunkt hat trotzdem eine psychologische<br />

Beraterin; zudem empfängt eine Therapeutin<br />

zehn Stunden die Woche ehrgeizige Sportler*innen<br />

mit Sorgen. Zum Hygienekonzept heißt es aus dem<br />

Marketing-Büro des Olympiastützpunktes: „Die<br />

Betreuungsleistungen des OSP Berlin werden im Einklang<br />

mit der SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung<br />

des Berliner Senats angeboten.“<br />

Aus dem Hockey-Herzland<br />

In einem Ballsport, der in Indien und Pakistan eine<br />

nationale Angelegenheit ist, reüssiert ein anderer<br />

junger Kerl: Paul Dösch, geboren 1998. „Eine der<br />

größten Hoffnungen im Hockey“, so schwärmte die<br />

„Berliner Morgenpost“ schon 2019 über den Defensivspieler,<br />

der ein Kind des Speckgürtels ist <strong>–</strong> wie so<br />

viele Spieler*innen in dieser Leibesertüchtigung, die<br />

eine Nische und hierzulande wegen Klubs wie dem<br />

Hamburger Polo-Club, Uhlenhorst Mülheim oder<br />

Rot-Weiß Köln bekannt ist.<br />

In Berlins Hockey-Herzland, dem Südwesten der<br />

Stadt, ist Dösch aufgewachsen, genau genommen in<br />

Lichterfelde. Heute wohnt er in Friedenau. Dort sind<br />

die tonangebenden Vereine in Schlagweite: der TC<br />

Blau Weiß, der im Grunewald siedelt, den er zwischen<br />

Fotos Marius Schwarz; POP-EYE (beide imago images)<br />

Olympia-Pathos am Sportforum Hohenschönhausen<br />

Große Stille am Sportforum, einem wichtigen Trainingsort <strong>für</strong> Olympionik*innen<br />

20<br />

SOMMERSEMESTER 2021


SPITZENSPORT UND STUDIUM<br />

CAMPUS<br />

Fotos: imago images/ Andreas Gora<br />

2011 und 2019 verstärkte, und der Berliner HC aus<br />

Zehlendorf, wo er als Siebenjähriger das erste Mal den<br />

Stick geschwungen hat. Seit 2019 ist der HC erneut sein<br />

Haus- und Hofklub.<br />

Ein Objekt, das Döschs Ehrgeiz illustriert, stand<br />

eine Zeit lang auf dem Sideboard seines Wohnzimmers.<br />

Eine Trophäe, abgestaubt, von 2019. In diesem<br />

Jahr führte Paul Dösch die deutsche U21-Nationalmannschaft<br />

als Kapitän zum Sieg bei der Europameisterschaft<br />

im spanischen Valencia. <strong>Das</strong> Schmuckstück<br />

war die Erinnerung an diesen Erfolg. Irgendwann hat<br />

Dösch den Kelch dann in die Obhut des Teammanagers<br />

gegeben. Ein Jahr nach dem Triumph der Junioren<br />

führte Dösch die A-Nationalmannschaft zum Sieg der<br />

Hallenhockey-EM. Dieser Pokal steht noch heute auf<br />

dem Schrank zu Hause, in treuen Händen.<br />

Der Ort, wo er sich gerade mit ein paar anderen<br />

Nationalspielern fit hält, ist das Olympiagelände<br />

im Westend, wo es passende Anlagen gibt. <strong>Das</strong><br />

Hockeystadion, eine Arena mit Kunstrasen, außerdem<br />

die Rudolf-Harbig-Halle weiter westwärts, wo Athletik<br />

trainiert wird.<br />

Es fehle, den Fokus zu setzen, sagt Dösch in bester<br />

Coaching-Sprache. Im Winter gibt er dieses Gespräch;<br />

zu diesem Zeitpunkt hat er schon seit einigen Monaten<br />

kein Pflichtspiel mehr absolviert. Erst <strong>vom</strong> dritten<br />

März-Wochenende an, nach Redaktionsschluss dieses<br />

Hefts, soll die Liga-Saison zu Ende gespielt werden.<br />

„Die Unsicherheit hat mich ein bisschen aus dem<br />

Rhythmus geworfen“, sagt er.<br />

Andererseits startet Dösch jetzt ins sechste Semester<br />

seines Studiums in Kommunikationswissenschaft<br />

an der FU, hat auch schon ein Praktikum in einer Marketing-Agentur<br />

gemacht. „Nebenher zu studieren, das<br />

ist normalerweise eine hohe Belastung“, sagt er. Doch<br />

jetzt, wo er im flexiblen Home Office seinen Horizont<br />

erweitert, fällt ihm die Wissensarbeit „leichter“.<br />

Dösch ist auch Sportsoldat. Sein Ziel: ein Platz in<br />

der Feldhockey-Mannschaft, die 2024 bei den Olympischen<br />

Spielen in Paris um Medaillen spielen soll.<br />

Zurzeit ist er noch im Perspektivkader. „In der Verteidigung<br />

sind ältere Spieler gesetzt“, sagt er.<br />

Es ist ganz okay<br />

Beim Berliner HC spielt Paul Dösch, der Jung-Star, <strong>für</strong><br />

umme. Selbst vor der Pandemie verfolgten nur ein<br />

paar hundert Zuschauer die Liga-Partien. Die großen<br />

Fan-Massen, wie sie zurzeit die Profis der Fußball-<br />

Bundesliga entbehren, muss er nicht vermissen. Eine<br />

große Figur des deutschen Hockeys, der legendäre<br />

Moritz Fürste, mehrfacher Welt- und Europameister<br />

sowie zweimaliger Olympiasieger, brachte einmal<br />

die Melancholie dieser Randexistenz auf den Punkt:<br />

„Eine Karriere im Volleyball, Eishockey oder eben<br />

auch im Hockey, findet hierzulande unter Ausschluss<br />

der Öffentlichkeit statt.“ <strong>Das</strong> Außenseitertum hat<br />

Fürste, 36, der sich mittlerweile <strong>vom</strong> Spitzensport<br />

zurückgezogen hat, in seinem Buch „Nebenbei Weltklasse<br />

<strong>–</strong> Aus Liebe zum Sport“ (2018) verarbeitet.<br />

Einen Vorzug haben aber diese Bühnen, die im<br />

Schatten von König Fußball stehen, auch das grazile<br />

Eiskunstlaufen, das nur alle Jubeljahre wahrgenommen<br />

wird: Sie halten Körper und Geist fit und katapultieren<br />

Leistungsträger*innen, die <strong>für</strong> Olympia<br />

trainieren, in eine gut ausgestattete Parallelwelt. Dort<br />

lebt es sich in Zeiten der Pandemie ganz okay.<br />

Paul Dösch, der Jung-Star, erzielt ein Tor <strong>–</strong> im siegreichen Vorrundenspiel gegen Belgien bei der Hallenhockey-EM 2020<br />

SOMMERSEMESTER 2021 21


CAMPUS<br />

SOLIDARISCHE PROJEKTE<br />

Die eigene Psyche kennenlernen:<br />

ein Ziel des Vereins „Kopfsachen“<br />

Foto: Nils Lucas<br />

22<br />

SOMMERSEMESTER 2021


SOLIDARISCHE PROJEKTE<br />

CAMPUS<br />

Die neue Solidarität<br />

Von der Uni in die Realität:<br />

wie Hochschüler*innen sich engagieren<br />

Gute Seelen<br />

Psychologie-<strong>Studierende</strong> haben den Verein<br />

„Kopfsachen“ gegründet. Sie klären Schüler*innen<br />

über mentale Gesundheit auf, mit Workshops<br />

und demnächst auch einer App.<br />

Nervige Eltern, fordernde Lehrer*innen oder mobbende<br />

Mitschüler*innen <strong>–</strong> die Schulzeit kann ziemlich belastend<br />

sein. Wieso lernt man eigentlich nicht bereits in dieser Zeit,<br />

wie die eigene Psyche funktioniert, wie man mit Stress<br />

und Druck richtig umgehen kann? Wieso holen sich viele<br />

Menschen erst Hilfe, wenn ein Burnout sie im Studium oder<br />

Beruf lahmlegt, wenn Ängste zunehmend ihren Alltag bestimmen?<br />

Diese Fragen haben sich einige Psychologie-<strong>Studierende</strong><br />

vergangenen Winter bei einem Kaffee in der Mensa der<br />

Humboldt-Universität gestellt. Einige Woche später, im Januar<br />

2020, riefen Carolin Blanck und Leonie Müller gemeinsam<br />

mit Kommiliton*innen „Kopfsachen e.V.“ ins Leben. Ein<br />

Verein, bei dem es genau darum gehen soll: mentale Gesundheitsvorsorge<br />

<strong>für</strong> junge Menschen. Mit mehrstündigen<br />

Workshops an Schulen klären sie Schüler*innen über die<br />

Themen Selbst<strong>für</strong>sorge, Konfliktlösung sowie die psychologischen<br />

Auswirkungen von Falschinformationen oder Social<br />

Media auf.<br />

„Wir möchten psychische Gesundheit entstigmatisieren<br />

<strong>–</strong> und das mit einem wissenschaftlich fundierten Angebot“,<br />

sagt Leonie, die „Kopfsachen“ auch zum Thema ihrer<br />

Masterarbeit macht. Gerade das Internet sei mit Blogs und<br />

Youtube ein Sammelsurium <strong>für</strong> hobbypsychologisches Wissen,<br />

vieles davon fragwürdig, findet Carolin. Sie kann bei der<br />

Konzeptentwicklung <strong>für</strong> die Workshops aus ihrer aktuellen<br />

Ausbildung zur Psychotherapeutin schöpfen. Zusätzlich beraten<br />

sich die beiden mit ihren Professor*innen von der HU<br />

und erarbeiten eine Wirkungsstudie.<br />

<strong>Das</strong> Interesse seitens der Schulen an Aufklärung zu mentaler<br />

Gesundheit sei von Anfang an groß gewesen, erzählt<br />

Leonie, und die Pandemie habe den Bedarf noch verstärkt,<br />

weil die Schüler*innen zunehmend mit psychischen Belastungen<br />

zu kämpfen hätten. Ein großer Motivationsschub<br />

<strong>für</strong> das Team: „<strong>Das</strong> hat uns enorm bestärkt darin, etwas<br />

Richtiges und Wichtiges zu tun.“ Carolin findet es jedoch<br />

bedauerlich, dass viele Schulen zugleich selbst mit pandemiebedingten<br />

Schließungen und Digitalisierungen sehr<br />

herausgefordert seien, sodass momentan wenig Ressourcen<br />

<strong>für</strong> ihr Angebot vorhanden wären.<br />

Die sechsstündigen Workshops richten sich an<br />

Schüler*innen der achten bis zwölften Klasse und wurden<br />

bisher sechsmal sowohl vor Ort als auch online durchgeführt.<br />

Sie funktionieren so, dass die Teilnehmer*innen nach<br />

einem Wissens-Input seitens der Leiter*innen in kleinen<br />

Gruppen die jeweiligen Fragestellungen wie „Was bringt<br />

mein Fass zum überlaufen?“ oder „Wie gehe ich mit Wut<br />

um?“ bearbeiten. „Manche Schüler*innen öffnen sich total<br />

und schaffen so magische Momente, wenn sie über sich<br />

erzählen und dann auch Diskussionen zustande kommen“,<br />

erzählt Carolin.<br />

Ebenso wichtig seien die nachhaltigen Effekte. Laut<br />

bisheriger Rückfragen würden sich 88 Prozent der<br />

Schüler*innen in der Lage fühlen, das Gelernte in ihrem<br />

Alltag anzuwenden, sagt Carolin. An dieser Stelle wollen die<br />

„Kopfsachen“-Macher*innen jedoch nicht aufhören.<br />

Diesen Sommer soll eine eigene App rauskommen, die<br />

Schüler*innen nach den Workshops mit weiteren Übungen<br />

versorgt. Damit beschreitet der Verein den Pfad einer<br />

Entwicklung, die psychologischen Angebote zunehmend<br />

digital zugänglich macht. Dazu gehören rezeptpflichtige<br />

Therapie-Apps wie die Berliner „Selfapy“ oder der Krisenhilfe<br />

wie „Krisenchat“ über WhatsApp <strong>für</strong> Jugendliche.<br />

„Ich finde diesen Mix aus Präsenzworkshops und digitalem<br />

Angebot super. <strong>Das</strong> erleichtert den Zugang und die<br />

Schüler*innen können eher am Ball bleiben, indem sie<br />

Selbst<strong>für</strong>sorge im Alltag weiter üben“, sagt Carolin.<br />

Aus der <strong>Studierende</strong>ngruppe ist mittlerweile ein<br />

fünfzehnköpfiges Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen<br />

geworden. Die meisten studieren noch. „Kopfsachen“ wird<br />

<strong>vom</strong> Berliner Start-up-Stipendium gefördert und ist an das<br />

Gründerhaus der HU angebunden, einem Unterstützungsservice<br />

<strong>für</strong> Gründer*innen. Momentan sei es herausfordernd,<br />

Studium, Nebenjob und den Verein unter einen Hut<br />

zu bringen, erzählt Leonie. Die Begeisterung am Projekt<br />

helfe dabei und sei zugleich nicht ganz ungefährlich. Und<br />

Carolin ergänzt: „Manchmal merken wir die eigene Beanspruchung<br />

gar nicht, obwohl wir selber predigen, dass man<br />

auf sich achten muss. Da wir selbst predigen, wie wichtig<br />

das ist, greifen wir uns im Team gegenseitig unter die<br />

Arme.“ Text: Ina Hildebrandt<br />

SOMMERSEMESTER 2021 23


CAMPUS<br />

SOLIDARISCHE PROJEKTE<br />

Recht <strong>für</strong> alle<br />

Law & Legal hilft Leuten aus rechtlichen Bredouillen,<br />

darunter <strong>Studierende</strong> oder Arbeitslose. Und<br />

zwar kostenlos. Die juristischen Expert*innen<br />

studieren an rechtswissenschaftlichen Fakultäten<br />

<strong>Das</strong> eigene Knowhow<br />

In die Waagschale<br />

werfen:<br />

Jura-<strong>Studierende</strong><br />

kümmern sich <strong>für</strong><br />

andere um rechtliche<br />

Belange<br />

<strong>Das</strong> junge Team, das Menschen in Rechtssachen hilft, ist<br />

größer als viele Kanzleien. Rund 50 Leute betreuten dort<br />

allein im vergangenen Jahr Mandant*innen <strong>–</strong> und zwar kostenlos.<br />

Pro bono, wie man in der altehrwürdigen Sprache der<br />

Jurisprudenz sagt.<br />

„Law & Legal“ heißt dieses ungewöhnliche Büro <strong>für</strong><br />

Rechtsberatung. <strong>Das</strong> Besondere: Dessen Expert*innen sind<br />

keine Volljurist*innen, die schon Referendariate, vielleicht<br />

sogar einige Berufsjahre auf dem Buckel haben, ob in staatlichen<br />

Organen oder einem Anwaltskollektiv. Sondern<br />

Hochschüler*innen von rechtswissenschaftlichen Fakultäten<br />

<strong>–</strong> der HU, FU, der Potsdamer Uni und der Europa-Universität<br />

Viadrina in Frankfurt/Oder. Die meisten Berater*innen<br />

haben noch nicht einmal das erste Staatsexamen absolviert.<br />

Es handelt sich dabei um einen regionalen Ableger eines<br />

deutschlandweiten Netzwerks, das sich sonst über Knotenpunkte<br />

in Leipzig, München oder Tübingen spannt.<br />

Um rund 40 Fälle hat sich die hiesige Crew allein 2020 gekümmert.<br />

Es ging dabei um kleine Mandate aus dem Irrsinn<br />

des Alltags <strong>–</strong> nicht um die großen Verfahren auf öffentlicher<br />

Bühne, um Sammelklagen gegen Konzerne, Kapitalverbrechen<br />

oder Steuerprozesse.<br />

Da wäre zum Beispiel der Schaden in der Wohnung: Zahlt<br />

der Vermieter? Oder die stornierte Reise wegen der Corona-<br />

Pandemie, die plötzlich grassiert: Kann ich möglicherweise<br />

eine Rückzahlung erstreiten, obwohl keine Reiserücktrittsversicherung<br />

abgeschlossen worden ist?<br />

Zu den Mandant*innen zählen größtenteils Leute, die<br />

selbst studieren. Oder aber Empfänger*innen von Grundsicherung<br />

<strong>–</strong> zumal „Law & Legal“ mit der Tafel kooperiert. Dabei<br />

rücken dann Paragrafen aus dem Sozialrecht in den Blick.<br />

Etwa wenn es um die Frage geht, welche finanziellen Hilfen<br />

von den Ämtern beansprucht werden dürfen.<br />

Kristina Konschuh ist die Ally McBeal unter den jungen,<br />

engagierten <strong>Studierende</strong>n. Die 24-Jährige, die in Friedrichs-<br />

Eine Dosis Glück<br />

„Vitamin Positiv“ ist ein Newsletter, der gute<br />

Nachrichten verbreitet. Gegründet haben ihn<br />

<strong>Studierende</strong> aus Berlin<br />

Abends suchen sie Lichtblicke, manchmal bis Mitternacht.<br />

Gute Nachrichten im Wust der Hiobsbotschaften,<br />

die News-Portale so verbreiten, von Corona bis Klimakatastrophe.<br />

„Vitamin positiv“, so nennen Lara und Lukas das<br />

Präparat, das sie aus ihrer Netzlese dann<br />

herausschälen. Anderntags um 6 Uhr<br />

morgens wird es mittels eines Newsletters<br />

verabreicht, an mehr als 500<br />

Abonnent*innen.<br />

In ihrem Morgenritual verweisen<br />

die beiden <strong>Studierende</strong>n ihre<br />

Leser*innen zu ermutigenden Neuigkeiten.<br />

Über die erste Schiedsrichterin<br />

beim Superbowl, dem legendären<br />

Sportereignis in den USA, das bislang<br />

eine Männerbastion war. Oder über<br />

hygienefreundliche Pandemie-<br />

Konzerte einer Indie-Band: Die<br />

Flaming Lips ließen ihre Fans<br />

in Space-Bubbles verpacken. So<br />

blieben aggressive Viren isoliert.<br />

Oder über die Gemeinde Gindolfing,<br />

wo im Winter statt Streusalz solehaltiges Gurkenwasser<br />

aus einer örtlichen Lebensmittelfabrik über die vereisten<br />

Wege geschüttet werden, ein Recycling-Produkt.<br />

In Friedrichshain wohnt dieses Pärchen, das gemischte<br />

Tüten kredenzt, die mal Petitessen, mal weiche Politik enthalten.<br />

Denn auf diese Weise kann man die Welt verändern:<br />

mit dem Glauben daran, dass nicht alles schlecht ist. Lara<br />

Kahr, 25, studiert an der FU angewandte Literaturwissenschaft,<br />

Lukas Probst, 26, an der TU Audiokommunikation<br />

und -technologie. Ebenfalls im Team: Christina Seeck, 23, Bachelor-Studentin<br />

<strong>für</strong> Kultur und Englisch in Berlin <strong>–</strong> sie ist<br />

Social-Media-Verantwortliche. Sowie Sabrina Türschmann,<br />

25, die in Schottland Fotografie studiert<br />

und <strong>für</strong> die Bebilderung sorgt.<br />

Die Ursprungsgeschichte von „Vitamin<br />

positiv“ datiert auf den ersten<br />

Lockdown im Frühjahr 2020: Lara<br />

war bei ihren Eltern, die in einem<br />

60-Seelen-Dorf im Umland von Passau<br />

wohnen, begleitet von ihrem Freund.<br />

Sie sorgte sich um ihren Vater, der fast<br />

nonstop vor dem Fernsehgerät klebte,<br />

darauf die alarmistischen Bilder der<br />

Nachrichtenkanäle. „Immer fertiger“<br />

sei er dabei geworden.<br />

Zuerst haben sie einen Glücksbrief<br />

an Freund*innen verschickt. Süß fanden<br />

die Bekannten diesen Stimmungsaufheller.<br />

Dann weiteten sie ihre Idee<br />

aus: Ihren ersten Newsletter haben sie<br />

Illustration: Oliver Mezger<br />

24<br />

SOMMERSEMESTER 2021


SOLIDARISCHE PROJEKTE<br />

CAMPUS<br />

hafen am Bodensee aufgewachsen ist und heute in Moabit<br />

wohnt, leitet den Standort in Berlin. Seit 2017 ist sie <strong>für</strong> „Law<br />

& Legal“ im Einsatz; damals war sie im 4. Semester. Mittlerweile<br />

hat sie das erste Staatsexamen bestanden. „Ein unkompliziertes<br />

Angebot“ sei die Rechtsberatung, sagt sie.<br />

Konschuh zertrümmert Klischees von karrieregeilen<br />

Jura-<strong>Studierende</strong>n mit Segelschuhen und Polo-Hemden,<br />

die selbst ein solches Ehrenamt aus Kalkül betreiben<br />

<strong>–</strong> um zum Beispiel den Lebenslauf aufzuwerten. „Unsere<br />

Mitglieder möchten wirklich helfen“, sagt sie über ihre<br />

Mitstreiter*innen. Zugleich sammeln die Kommiliton*innen<br />

praktische Erfahrung. Ein Gegenprogramm zur grauen Theorie<br />

aus Schwarten des C. H. Beck Verlags.<br />

Die „Law & Legal“-Leute vertreten die Interessen der<br />

Mandant*innen und erledigen Korrespondenzen <strong>–</strong> alles<br />

außergerichtlich. Während der Pandemie ersetzt Zoom<br />

den persönlichen Kontakt. Höchstens 2.000 Euro darf<br />

der Streitwert betragen. Im Hintergrund schauen einige<br />

Volljurist*innen den Nachwuchskräften über die Schultern.<br />

Denn das deutsche Rechtsdienstleistungsgesetz setzt Bedingungen,<br />

damit Anfänger*innen überhaupt konsultieren<br />

dürfen.<br />

Auch Geflüchtete bilden übrigens eine Gruppe, die oft<br />

juristische Expertise benötigt. Deren Fälle verweisen die<br />

Helfer*innen von „Law & Legal“ an die „Refugee Law Clinic<br />

Berlin“ <strong>–</strong> einem studentischen Verein an der Humboldt-Uni.<br />

Die dortigen Ehrenamtler*innen sind auf Asylrecht spezialisiert.<br />

Noch so ein solidarisches Projekt. Text: Philipp Wurm<br />

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am 27. März 2020 versendet, eine eigene Website und ein Blog<br />

folgten im Dezember 2020. „Vitamin positiv“: ein Newsroom<br />

des leisen Optimismus. „Ein bisschen die Brille zurechtzurücken“,<br />

bezeichnet es Lara.<br />

Manchmal ergänzen sie ihre Presseschau auch um selbst<br />

recherchierte Storys <strong>–</strong> darunter ein Porträt über eine Frau,<br />

die an Berliner Theatern blinden Menschen das Halligalli<br />

auf der Bühne erläutert, jedenfalls dann, wenn gerade keine<br />

Anti-Corona-Maßnahmen die Schauspielhäuser leer fegen;<br />

Audiodeskriptorin ist der Fachterminus <strong>für</strong> eine solche Live-<br />

Berichterstatterin. „Vitamin positiv“ erzählt auch die Geschichte<br />

eines Chors, deren Mitglieder sich nun online durch<br />

die Notenleiter tirilieren.<br />

Die jungen Medienmacher*innen folgen mit ihrem Sichtwechsel<br />

einem Trend auf dem Nachrichtenmarkt. Im dänischen<br />

Arhus gibt es seit einigen Jahren beispielsweise das<br />

„Constructive Institute“: In diesem Thinktank wird erörtert,<br />

wie Journalismus sich aus dem Strudel von Krise und Krawall<br />

lösen kann. Hierzulande verlegen Medienschaffende das<br />

Online-<strong>Magazin</strong> „Perspective Daily“ , das jeden Wochentag<br />

einen lösungsorientierten Artikel veröffentlicht. Shiny happy<br />

people statt Hieronymus Bosch.<br />

Die Post der Leser dürfte die „Vitamin positiv“-<br />

Gründer*innen anspornen: Da ist zum Beispiel eine Frau, die<br />

dank des Newsletters offenbar psychisch unbelastet durch<br />

die Pandemie kommt. Morgens liest sie ihrem Mann den<br />

Newsletter vor. Noch betreiben die Youngster ihre Aufbau-<br />

Arbeit ehrenamtlich. Text: Philipp Wurm<br />

Studentenabo<br />

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SOMMERSEMESTER 2021 25


CAMPUS<br />

GESELLIGKEIT<br />

Raus aus<br />

der Isolation<br />

Wie hat man trotz Corona ein<br />

Sozial leben? Unser Autor, Student<br />

an der Universität der Künste,<br />

erzählt von heimlichen Partys,<br />

virtuellen Beziehungen, Brettspielen<br />

<strong>–</strong> und der Sehnsucht<br />

nach Entgrenzung<br />

Text: Ben-Robin König<br />

Illustrationen: Tobias Meyer<br />

Die Bettdecke ist wie ein wärmender Kokon, zum<br />

Glück. <strong>Das</strong> gibt das Gefühl von Sicherheit. Die Zehen<br />

fühlen eisige Temperaturen außerhalb des Bettes und<br />

ziehen sich zurück in den Schneckenbau. Der Wecker<br />

hämmert, verstummt mit dem vierten Snoozebefehl,<br />

in wenigen Minuten ist Vorlesung.<br />

Die Abwechslung des ersten Corona-Semesters<br />

ist mittlerweile dahin, der Blick ins Ensemble der<br />

verschlafenen Kommiliton*innen zeigt den Wandel<br />

im digitalen Hörsaal: Einige sitzen erkennbar im Bett,<br />

eine bereitet sich gerade ihr Frühstück zu, eine andere<br />

schaltet sich aus dem Zug zu. Fehlt noch, dass im Hintergrund<br />

jemand nackt durchs Bild läuft.<br />

Geselligkeit stellt das Seminar zu Digitalisierung<br />

im Journalismus, das ich gerade an der Universität der<br />

Künste belege, kaum her. Auch wenn Kontakt mit derart<br />

vielen Bildschirmkacheln respektive der Menschen<br />

dahinter selten geworden ist. Insgesamt ist es still geworden.<br />

Der Mitbewohner und Freund, der im letzten<br />

Jahr noch regelmäßig „Was kochst’n heute?“ fragte <strong>–</strong> er<br />

wohnt mittlerweile woanders, alleine. Und der jetzige<br />

Mitbewohner verbringt den kompletten Tag im Büro.<br />

Geselligkeit, Sozialleben? Was ist das überhaupt?<br />

In meinem Freundeskreis gab es Zoom-Besäufnisse,<br />

es wurde kurz die App Houseparty ausprobiert und,<br />

natürlich, Spaziergänge gibt es immer noch zuhauf.<br />

Mittlerweile, wenn der Landwehrkanal oder das Tempelhofer<br />

Feld allzu übervölkert sind, mit Maske.<br />

Die geschlechtsübergreifenden Mädelsabende,<br />

bei denen wir uns teils zu zwanzigst mit Bellini<br />

und Popcorn zum wöchentlichen Sendetermin von<br />

„Germany’s Next Topmodel“ verabredeten, sind erst<br />

mal passé. Der Volkssport des Flanierens ist dagegen<br />

immer noch möglich, und wir nutzen ihn.<br />

Einer dieser Spaziergänger ist Dennis, den ich im<br />

erweiterten Freundeskreis kennen und bei gemeinsamen<br />

Nebenjobs schätzen lernte. Seine Vierer-WG<br />

garantiert ihm etwas Sozialleben. Aber abseits davon?<br />

Essen, kochen, backen, damit verbringt er seine Zeit.<br />

Sonst natürlich die Uni. Dennis flüchtet sich aber<br />

auch in Spiele, online wie analog. Fast alle Freunde<br />

haben eine Konsole, treffen sich abends zum gemeinsamen<br />

Erkunden der Onlinewelten, besiedeln einsame<br />

Inseln, versuchen, digitale Burgen einzunehmen<br />

oder schießen sich gegenseitig nieder. Kommuniziert<br />

wird via Headset, über systemeigene Chatrooms oder<br />

Discord-Server. <strong>Das</strong> ist ein bisschen wie Konferenzschaltung,<br />

nur dass auf dem Bildschirm nicht das<br />

26<br />

SOMMERSEMESTER 2021


Konterfei des Gegenübers aufleuchtet, sondern die<br />

Spielwelt, die man gemeinsam erkundet. Die traditionell<br />

jugendlichste aller Berieselungsformen ist fernab<br />

von Gaming-Stühlen und Energydrinks zur etablierten<br />

Beschäftigung geworden.<br />

Aber auch Brettspiele sind wieder äußerst beliebt.<br />

Etwa alle zwei Wochen trifft sich Dennis zu dritt, zu<br />

viert, je nach Infektionsgeschehen. Die Begeisterung<br />

entfachte sich schon zu Teenager-Zeiten in seinem<br />

saarländischen Kinderzimmer, die meisten potenziellen<br />

Spielpartner wohnen immer noch da. Mit denen<br />

hat Dennis sich zu Anfang der Pandemie noch digital<br />

vernetzt, über Tabletop-Simulatoren Brettspiele online<br />

gespielt. Ein wirklicher Ersatz ist das aber nicht.<br />

Einstieg waren bei ihm allerdings nicht übliche<br />

Klassiker wie „Siedler von Catan“ oder „Monopoly“,<br />

sondern das etwas ironischere Brettspiel „Munchkin<br />

Quest“ <strong>–</strong> dabei schlüpft man in die Rolle von<br />

Comic-Figuren, die Abenteuer erleben. Heute spielt<br />

die kleine, eingeschworene Runde hauptsächlich<br />

Strategiespiele wie „Through the Ages“ oder „Scythe“,<br />

aber auch gerne Kartenspiele mit komplexerem und<br />

ernstem Setting <strong>–</strong> „Aeons End“ lässt Fantasiewesen<br />

gegeneinander antreten, „La Cosa Nostra“ begibt sich<br />

in die Tiefen der organisierten Kriminalität. Letzteres<br />

wurde übrigens per Crowdfunding von einem Berliner<br />

Grafikdesigner entwickelt.<br />

Draußen entfaltet sich entlang des Landwehrkanals<br />

bei gutem Wetter Volksfest-Atmosphäre. Dort,<br />

wo Sonne ist, bilden sich Trauben, immerhin ist sie<br />

kostenlos. Flaschen kreisen, es wird rumgekumpelt.<br />

Definitiv auch eine Form von Geselligkeit. Dazwischen<br />

laufen wir mit unseren Masken herum und<br />

fühlen uns etwas fremd.<br />

Anna ist nicht im Pulk, sie hat sich zuhause verbarrikadiert.<br />

Klar trifft sie Menschen, vornehmlich draußen.<br />

Und ein paar wenige im Innern, manchmal, zum<br />

Coworking, mittlerweile nur noch einzeln. Ansonsten<br />

hängt sie tatsächlich noch Videocalls dran, notgedrungen.<br />

Mit Freund*innen auf anderen Kontinenten.<br />

Überhaupt hängen wir alle viel mehr auf Social<br />

Media ab. Wahrscheinlich zu viel, in ungesundem Ausmaß.<br />

Dann wiederum sind soziale Medien im Moment<br />

das einzige Portal zum (zügellosen) sozialen Austausch.<br />

Wenn ich an meinen teils manischen Medienkonsum<br />

denke, muss ich dem beipflichten. Es entbehrt nicht<br />

einer gewissen Ironie, dass solche Gespräche nun ausgerechnet<br />

via Instagram stattfinden.<br />

SOMMERSEMESTER 2021 27


CAMPUS<br />

Anna spricht wahrscheinlich vielen aus der<br />

Seele, wenn sie einerseits ihre steigende Abhängigkeit<br />

bemerkt, aber auch, dass das Digitale derzeit<br />

die einzige Möglichkeit ist, nicht den Kontakt zur<br />

Außenwelt zu verlieren. Werden wir zu Inseln?<br />

Jedenfalls merke ich auch, wie schwerfällig alles<br />

zusehends wird und denke mit Sentimentalität an<br />

das letzte Frühjahr, als alles etwas temporärer und<br />

machbarer erschien. Vor allem aber, als die Isolation<br />

mehr beflügelnd als lähmend war.<br />

Wir sitzen am Schreibtisch, wir liegen auf dem Bett,<br />

wir tippen auf Bildschirmen und Tastaturen herum.<br />

Beinahe erfahren wir das Gefühl von innerer Wärme,<br />

wenn Apps vermelden, dass die Person am anderen<br />

Ende im Begriff ist zu antworten.<br />

Anna zum Beispiel ist normalerweise ein „Go-<br />

Getter“. Sie ist strukturiert, motiviert und aktiv <strong>–</strong> zumindest<br />

eigentlich. Mittlerweile jedoch hat sie schon<br />

morgens keine Lust mehr auf den Tag und schlurft<br />

nur durch ihr Zimmer, an besseren Tagen zum Coffeeshop<br />

um die Ecke.<br />

Unter ihren Freund*innen wird eine etwas schräge<br />

Selfcare-Praxis gepflegt: Sich Festivaltickets <strong>für</strong> den<br />

Sommer kaufen. Wohlwissend, dass sie nicht stattfinden<br />

werden, einfach, um wieder etwas wie Vorfreude<br />

zu empfinden. Vielleicht aus Angst davor, die<br />

„goldene“ Jugend zu vergeuden?<br />

Sich digital gegenseitig sein, ihr Leid klagen, das<br />

mag helfen, aber wirklich gesellig ist es auch nicht.<br />

Mit Johannes habe ich einen „Supper Club“ gegründet<br />

und bereits den ein oder anderen Schlemmerabend<br />

mit ihm verbracht. Knödel und Cocktails gegen die<br />

Einsamkeit.<br />

Mit ihm, diesem treuen Freund aus dem Bachelorstudium,<br />

ergab sich also ein kulinarischer Pakt <strong>–</strong><br />

gemeinsam den Magen schließen, ob nun aufwändig<br />

selbst gezaubert, Verlegenheitspasta oder Bestellorgie.<br />

<strong>Das</strong> Essen mag vielleicht der übergeordnete Anlass<br />

sein, eigentlich ist es Vehikel <strong>für</strong> Zeit zusammen.<br />

Die mitunter auch mal recht wortkarg ausfällt <strong>–</strong> beide<br />

auf dem Sofa, in ihre Endgeräte vertieft. Deppert grinsend<br />

halten wir uns hin und wieder den Bildschirm<br />

hin und kichern über den Netzfund des anderen.<br />

Selbst die passive Geselligkeit hat einen balsamierenden<br />

Effekt auf uns. Manchmal tut es einfach<br />

gut, jemanden neben sich zu wissen. In einem unse-<br />

28<br />

SOMMERSEMESTER 2021


GESELLIGKEIT<br />

CAMPUS<br />

rer endlosen Gespräche sinnieren wir über Liebe in<br />

diesen Zeiten. Johannes sieht seine Freundin meist<br />

nur an den Wochenenden, sie wohnt nach wie vor in<br />

Nordrhein-Westfalen. Wie es Fernbeziehungen über<br />

Ländergrenzen hinweg wohl gerade geht?<br />

Johannes hat einen Freund, dessen Partnerin im<br />

Ausland lebt. Schon vor der Pandemie war diese Beziehung<br />

schwierig zu händeln, jetzt, mit Quarantäne-<br />

Bestimmungen und Reisebeschränkungen, ist sie<br />

emotional fordernd. Die beiden haben sich einen<br />

digitalen Alltag gebaut. Facetime läuft mehrere<br />

Stunden täglich, allerdings im Hintergrund. Beide<br />

arbeiten,kochen, lesen vor sich hin, schauen hin und<br />

wieder in die Kamera, teilen Einfälle, versinken wieder<br />

ins eigene Leben. Mal geht eine Person aus dem<br />

Raum, kommt irgendwann polternd wieder.<br />

Trotz aller Widrigkeiten: Die digitale Fernbeziehung<br />

funktioniert erstaunlich gut. Und es klingt in<br />

unserer neuen, distanzierten Lebensform tatsächlich<br />

etwas romantisch <strong>–</strong> ist es doch im Grunde die digitale<br />

Version des Miteinanders, das Johannes und ich regelmäßig<br />

pflegen. Selbst gemeinsam Filme schauen oder<br />

Musik hören ist inzwischen auf Distanz möglich:<br />

Apps synchronisieren Spotify-Accounts. Ganz schön<br />

kompliziert, das alles.<br />

Auch ein Kater ist dieser Tage übrigens doppelt<br />

schwer, wenn das Ritual von fettigem Essen und kollektiven<br />

Seufzern entfällt. Beim Durchschauen von<br />

Instagram-Storys <strong>–</strong> mal wieder Social Media <strong>–</strong> fällt<br />

mir Linda auf. Normalerweise sehe ich Linda als<br />

Kachel mit wechselnden Tapeten im Seminar. Und in<br />

der „Freizeit“ sehe ich sie und ihre Mitbewohnerinnen<br />

dann die Choreografie zum „Ketchup Song“ nachtanzen.<br />

Diesmal allerdings als vertikale Kachel <strong>–</strong> anderes<br />

Endgerät, anderes Format. Ich sehe Alma, den niedlichen<br />

Hund der WG, ich sehe ein stilvoll eingerichtetes<br />

Wohnzimmer mit alten Möbeln. Und sonst nicht viel.<br />

Weil es tatsächlich auch nicht viel mehr gibt.<br />

Spazieren gehen, durchaus auch mit Glühwein und<br />

vielen Pulloverschichten (was sind eigentlich Winterjacken?).<br />

Kochen, arbeiten, die Wohnung zum Projekt<br />

machen. Drinnen trifft die Wohngemeinschaft niemand,<br />

bis auf die Ausnahme eines PCR-getesteten<br />

Langzeitbesuchs aus dem Freundeskreis. Um der<br />

irgendwie doch etwas belebteren Isolation zu dritt<br />

zu entfliehen, wollten sie sich nun Schnelltests<br />

anschaffen: Mehr Leben, mehr Menschen, bei relativer<br />

Sicherheit.<br />

Es ist paradox. Wir wägen Treffen mit<br />

Freund*innen genau ab, wir zählen Tage, horchen in<br />

unseren Körper, überprüfen Kontaktcluster. Während<br />

ein Teil von uns eine regelrechte Sozialphobie entwickelt<br />

und Menschenmassen plötzlich verdächtig<br />

erscheinen, gibt es andere Leute, die täglich ins Büro<br />

fahren, obwohl sie nicht müssten, und danach zu<br />

Freund*innen, tags darauf zur nächsten Verabredung.<br />

Vielleicht lernen wir<br />

gerade, uns von Maßlosigkeit<br />

zu verabschieden.<br />

Im Kleinen zumindest<br />

Die auf private Weinpartys gehen, von dort Fremde<br />

mit in die eigene Wohnung nehmen, die Nacht durchfeiern.<br />

Und das <strong>–</strong> da wäre es wieder <strong>–</strong> auf Social-Media-Kanälen<br />

posten, ganz so wie früher, wie immer.<br />

<strong>Das</strong> mag frustrieren, gar Wut schüren, wo sich<br />

ohnehin Frustration anstaut. Darüber, dass der Alltag<br />

schwindet. Die Utopie, die Idee einer besseren Gesellschaft<br />

trotz Corona, ist womöglich flöten gegangen.<br />

Zu unersättlich ist die Sehnsucht nach Berührungen,<br />

nach Ausgelassenheit, nach Entgrenzung. Etwas aber<br />

bleibt: Viele achten mehr auf ihr Gegenüber. Wir<br />

hören einander aufmerksamer zu. Es ist normaler<br />

geworden, Leuten, die Forderungen stellen, auch<br />

einmal einen ehrlichen Satz wie „das kann ich gerade<br />

nicht“ zu entgegnen.<br />

Und, aber da wären wir wieder bei der Utopie:<br />

Wollen wir wirklich alles wieder so wie „früher“?<br />

Vielleicht lernen wir gerade, uns von Maßlosigkeit zu<br />

verabschieden. Im Kleinen zumindest.<br />

DEUTSCHES<br />

THEATER<br />

/ DIGITAL<br />

deutschestheater.de/digital<br />

Streams<br />

mit englischen<br />

Untertiteln<br />

Audiowalks<br />

Videos<br />

Podcasts


CAMPUS<br />

FOOD-FOTOGRAFIE<br />

»Wir<br />

mit den<br />

Augen«<br />

essen<br />

René Riis hat schon als Junge in der<br />

dänischen Provinz gerne Kochbücher<br />

gelesen. Heute lebt er in Berlin<br />

und gehört zu den gefragtesten<br />

Food-Foto grafen Europas. Gerade<br />

hat Riis etwa das preis gekrönte<br />

Kochbuch von Sebastian Frank<br />

aus dem Kreuzberger Restaurant<br />

Horváth foto grafiert. Wir haben<br />

uns und ihn gefragt, was in einer<br />

Gegenwart, in der alle immerzu<br />

ihr Essen fotografieren, ein gutes<br />

Food-Foto auszeichnet<br />

Interview: Clemens Niedenthal<br />

René Riis, jeder fotografiert heutzutage<br />

sein Essen. Wie aber wird man professioneller<br />

Food-Fotograf?<br />

Ich hatte diese Lehrstelle bei einem sehr<br />

cholerischen Fotografen in der absoluten<br />

dänischen Provinz. Nur, dass der sich<br />

benommen hat, als sei es New York und<br />

er Richard Avedon. <strong>Das</strong> war natürlich absoluter<br />

Blödsinn. Er war<br />

ein Produktfotograf mit<br />

allen möglichen Aufträgen<br />

von Landmaschinen<br />

über Schmuck bis eben<br />

zu Lebensmitteln. Einer<br />

meiner ersten Jobs bei<br />

ihm war <strong>für</strong> einen Tiefkühlkonzern,<br />

der seine<br />

Sachen auf den deutschen<br />

Markt bringen wollte.<br />

Max Strohe, Küchenchef im Kreuzberger Restaurant Tulus Lotrek<br />

Sie haben also Fertiggerichte<br />

fotografiert. Träumt<br />

man als junger Fotograf<br />

nicht eher von spektakulären Landschaftsaufnahmen<br />

oder der großen Reportage?<br />

Bei uns auf dem Land gab es keine Buchhandlung<br />

und keine Bücherei, stattdessen<br />

war man Mitglied in einem Buchclub.<br />

Jeden Monat kam also eine Kiste voller<br />

Bücher ins Haus. Tierbücher waren schon<br />

interessant, begeistert haben mich aber<br />

schon als Kind Kochbücher, und überhaupt:<br />

Stillleben.<br />

Lachs, der beinahe wirkt<br />

wie eine Landschaftsfotografie.<br />

Ein Teller<br />

von Sebastian Frank<br />

aus dem Horváth<br />

<strong>Das</strong> Gericht „Himmel und<br />

Erde“ <strong>–</strong> aus einer Serie<br />

über deutsche Klassiker<br />

Fotos: René Riis<br />

30<br />

SOMMERSEMESTER 2021


FOOD-FOTOGRAFIE<br />

CAMPUS<br />

Sie hatten Ihr Thema früh gefunden.<br />

Entscheidend war auch meine erste wirkliche<br />

Anstellung bei einem Fotografen,<br />

den ich als meinen Mentor bezeichnen<br />

würde. Er hat etwa die jährliche Produktion<br />

von so einem Kochbuch von Arla<br />

Food gemacht, das war ein Riesenthema<br />

damals in Dänemark. Wenn man in den<br />

Neunzigern auf irgendeine Party ging,<br />

konnte man sich sicher sein, dass es<br />

garantiert etwas aus diesen Büchern gab.<br />

Diese Rezepte haben einen verfolgt.<br />

<strong>Das</strong> war noch lange, bevor die nordische<br />

Küche von Kopenhagen aus die kulinarische<br />

Welt und auch die kulinarische<br />

Ästhetik revolutionieren sollte.<br />

Ich habe später sogar <strong>für</strong> René Redzepi und<br />

das Noma gearbeitet. Zufälligerweise hatte<br />

ich mein Atelier in Kopenhagen genau<br />

gegenüber des Hafenspeichers, in den das<br />

Noma eingezogen ist. Der Hype ging dann<br />

los, aber der dänische Markt war endlich.<br />

Man wird ja auch nicht wirklich wohlhabend<br />

davon, Kochbücher zu machen.<br />

War da Deutschland so viel lukrativer?<br />

Damals hatte ich in Hamburg meine Frau<br />

kennengelernt und wir kamen auf die irre<br />

Idee, gemeinsam nach Berlin zu gehen.<br />

Nur hatte mir keiner gesagt, dass Berlin so<br />

arm ist. Ich dachte, hey, das ist die Hauptstadt,<br />

da geht schon was. Tatsächlich habe<br />

ich, außer einer Ecke in meiner Wohnung,<br />

bist heute auch kein Studio in Berlin.<br />

Einen Großteil meiner Aufträge habe ich<br />

außerhalb Berlins. Aber als Fotograf ist<br />

man eh ein Reisender.<br />

Immerhin ist das von Ihnen fotografierte<br />

Kochbuch von Sebastian Frank aus dem<br />

Kreuzberger Restaurant Horváth gerade<br />

von der Deutschen Gastronomischen Akademie<br />

mit der Goldmedaille ausgezeichnet<br />

worden. <strong>Das</strong> ist ein Berliner Buch.<br />

<strong>Das</strong> Horváth war auch das erste gute<br />

Restaurant, in dem ich damals in<br />

Berlin essen war. Meine Frau meinte<br />

dann irgendwann, ich solle mal losgehen<br />

mit meiner Mappe und mich in<br />

Berliner Restaurants vorstellen. Mit<br />

Sebastian Frank war ich gleich auf einer<br />

Wellenlänge, ich mag akribische und<br />

gleichzeitig sehr persönliche Herangehensweise.<br />

Nur meinte Sebastian auch,<br />

dass er mir keine Unsummen bezahlen<br />

kann, er würde mich erstmal zum Essen<br />

einladen. Gut, das war doch schon mal ein<br />

Anfang.<br />

Tatsächlich ist Ihr gemeinsames Buch<br />

„kuk (cook)“ sehr grafisch und auf den<br />

ersten Blick beinahe kühl geworden.<br />

Bei dem Buch <strong>für</strong> das Horváth wollte ich<br />

bewusst ganz reduziert und clean arbeiten.<br />

Wir haben nur einen einzigen Teller<br />

benutzt und alle Aufnahmen exakt von<br />

oben gemacht. Ich wollte zeigen, dass das<br />

geht: analytische Bilder, die doch eine<br />

Seele haben. Für das Tulus Lotrek in der<br />

Fichtestraße, auch ein Berliner Sternerestaurant,<br />

habe ich dann ganz anders<br />

gearbeitet.<br />

Die dortige Gastgeberin Ilona Scholl trägt<br />

auf ihrem Porträt einen Tintenfisch als<br />

Kopfbedeckung, Küchenchef Max Strohe<br />

ist über und über bestreuselt.<br />

Max und Ilona, denen das Tulus Lotrek<br />

ja auch gehört, wollten von Anfang nicht<br />

bloß Bilder von ihren Tellern. Sie sagten,<br />

dass es eigentlich ja gar nichts bringen<br />

würde, die Gerichte zu fotografieren, die<br />

wechseln doch eh jede Woche. Stattdessen<br />

wollten sie Bilder, die die tatsächlich<br />

besondere Atmosphäre in ihrem Lokal<br />

widerspiegeln. Dieses Gefühl, das den<br />

Gast empfängt.<br />

Würden Sie mir widersprechen, wenn ich<br />

nun sage, dass diese beiden Serien, das<br />

Horvàth und das Tulus Lotrek, wenigstens<br />

auf den ersten Blick nur wenig Gemeinsamkeiten<br />

haben?<br />

Ich würde schon sagen, dass man durchaus<br />

erkennen kann, hey, das ist ein René-<br />

Riis-Bild. Umgekehrt ist es aber schon so:<br />

Wenn es den typischen René-Riis-Look<br />

geben würde, wäre ich kein guter Fotograf.<br />

Die Leute sollen ja Sebastian Frank<br />

sehen, Max und Ilona oder meinetwegen<br />

Coca-Cola und nicht mich. <strong>Das</strong> war es<br />

auch, was mich an diesem ganzen Nordic-<br />

Thema irgendwann so ermüdet hatte: Die<br />

Bilder sahen alle gleich aus. Immer hatte<br />

man das Gefühl, dass es vor allem darum<br />

ging, eine bestimmte Stimmung zu behaupten.<br />

Was Saisonal-Regionales, dazu<br />

Rauch, auf einem Bett aus Moos? Diese<br />

Aufnahmen waren sehr vorhersehbar.<br />

Vermutlich sollten sie genau das auch<br />

unbedingt sein.<br />

Aber wollen Ihre Kunden nicht auch diese<br />

Erwartbarkeit?<br />

Jein. Ich bin inzwischen auch der Fotograf<br />

der Taube Tonbach in Baiersbronn. Haute<br />

Cuisine, drei Michelin-Sterne, ganz alte<br />

Schule. Natürlich habe mich gefragt,<br />

warum fragen die mich. So ein Restaurant<br />

müsste doch den allerkonservativsten<br />

Food-Fotografen Deutschlands suchen.<br />

Aber die wollten mich, weil sie, in dem<br />

ihnen möglichen Rahmen, auch Lust<br />

hatten, neue Wege zu gehen und frisch auf<br />

ihr Produkt zu gucken.<br />

Bilder <strong>vom</strong> Essen sind, spätestens in den<br />

sozialen Medien, heute omnipräsent. Kein<br />

Lunch ohne Post auf Instagram. Müssen<br />

Sie sich dazu positionieren?<br />

Natürlich muss ich mich dazu verhalten.<br />

Man sieht Food-Bilder überall. Ich muss<br />

also nachdenken und mich fragen, was<br />

mich unterscheidet. Ich muss mich<br />

fragen, was ich eigentlich sehe und was<br />

ich zeigen will. Auf den Auslöser zu<br />

drücken, ist ja immer nur der allerletzte<br />

Moment in diesem Prozess.<br />

Welche Kompetenz braucht ein Food-<br />

Fotograf also, wenn es schon nicht um den<br />

einen unverwechselbaren Bildstil geht?<br />

Ich glaube, was ich gut kann, ist, die<br />

Kunden zu differenzieren. Ich frage,<br />

was ist das <strong>für</strong> eine Welt, in der ich mich<br />

gerade bewege, um welche Erzählungen<br />

geht es? Geht es um puren Ausdruck, um<br />

Kreativität? Oder um eine, nun ja, gewisse<br />

Sicherheit und Verlässlichkeit. Wenn ich<br />

etwa <strong>für</strong> McDonald’s arbeite, würde ich<br />

meine Aufgabe eher mit der eines Controllers<br />

vergleichen.<br />

Wo Sie schon den BigMac ansprechen:<br />

Wird in der Food-Fotografie viel getrickst?<br />

Ich kann jetzt vor allem <strong>für</strong> McDonald’s<br />

sprechen. Dort fotografieren wir tatsächlich<br />

die originalen Produkte. Allenfalls<br />

wird mal ein Burger hinten ein wenig aufgeschnitten,<br />

um ihn etwas breiter wirken<br />

zu lassen.<br />

Kochen Sie selbst?<br />

Unbedingt und gerne.<br />

Wie wichtig ist Ihnen dabei der visuelle<br />

Aspekt Ihrer Gerichte?<br />

Sehr wichtig, klar. Wir essen ja immer<br />

auch mit den Augen. Aber visuell kann<br />

vieles sein. Nehmen Sie die rustikale<br />

italienische oder französische Küche,<br />

starke Farben, Texturen. Ich stehe jedenfalls<br />

nicht in der Küche und stapele<br />

irgendwelches Miniatur gemüse zu einem<br />

Türmchen oder achte darauf, dass ein<br />

Teller nur gelb ist.<br />

Gibt es denn Lebensmittel, die sich überhaupt<br />

nicht gut fotografieren lassen?<br />

Früher hätte ich gesagt: rohes Fleisch. Bis<br />

ich begriffen habe, es sehr anatomisch<br />

aufzufassen, beinahe skulptural. Was<br />

wirklich schwierig ist, ist Hackfleisch.<br />

Und da sind auf der anderen Seite viele<br />

vegane Gerichte, Sachen mit Soja oder<br />

Seitan. Da fehlen die Farben und auch<br />

jegliche Tiefe in der Textur.<br />

SOMMERSEMESTER 2021 31


CAMPUS<br />

PROGRAMM<br />

Programm<br />

Strandkorb Open Air<br />

ROCK, REGGAE UND FOLK MIT ABSTAND Die Corona-Pandemie ließ<br />

die Konzert- und Clubszene zusammenbrechen. Nach dem Schock<br />

kamen die ersten Konzert-Konzepte, die aber alle mit weitaus weniger<br />

Zuschauer*innen auskommen mussten. Hygiene- und Abstandsregeln<br />

sollen <strong>für</strong> ausreichend Distanz sorgen. Diesen Sommer soll es zwar<br />

besser werden, doch die Veranstalter*innen sind skeptisch. Auf der<br />

Radrennbahn Hoppegarten sorgen Strandkörbe <strong>für</strong> genug Abstand und<br />

auch <strong>für</strong> ein Open-Air-Erlebnis. Da auch der Tourneebetrieb eingestellt<br />

wurde, setzt man auf hiesige Bands und Musiker. Mit dabei sind rustikale<br />

Folkrocker (In Extremo, 14.8.), ein Klassikorchester (22.8.), die Berliner<br />

Element of Crime (28.8.) und der deutsche Reggae-Export Gentleman<br />

(9.9., Foto).<br />

Rennbahn Hoppegarten Rennbahnallee 1, 13.8. bis 26.9., VVK: 35 € pro Abend<br />

Der Kultur-Sommer 2021<br />

ist wegen der Corona-<br />

Pandemie reichlich unberechenbar.<br />

Falls der Kampf<br />

gegen das Virus günstig<br />

verläuft, könnten aber<br />

einige Events steigen. Die<br />

Veranstalter*innen haben<br />

jedenfalls Termine in petto<br />

alinae lumr<br />

OPEN AIR IM BRANDENBURGER<br />

UMLAND Es müssen nicht immer<br />

die ganz großen Festivals sein. <strong>Das</strong><br />

„alinae lumr“ bespielt ein August-<br />

Wochenende lang eine verschlafene<br />

Brandenburger Kleinstadt in<br />

der Mark. Egal, ob in Hinterhöfen,<br />

auf einer Burg, in leerstehenden<br />

Geschäften oder auf dem Marktplatz<br />

<strong>–</strong> die charmanten Indiepopund<br />

fluffigen Electro-Auftritte<br />

werden von Kinoaufführungen und<br />

Workshops flankiert.<br />

Storkow (Mark) 13.<strong>–</strong>15.8.,<br />

VVK: ab 84 €<br />

Chaos Royal<br />

IMPROVISATIONSTHEATER Mitten<br />

im ersten Lockdown nutzten<br />

sie die Chance. Die zwei Damen<br />

und Herren von Chaos Royal<br />

kannten sich schon aus anderen<br />

Improvisationstheatergruppen<br />

und gründeten ihr eigenes Ensemble.<br />

Ihre Heimat ist die altehrwürdige<br />

Berliner Kabarettanstalt<br />

(BKA). Und dort stellen sie jeden<br />

Montag ein Programm live auf die<br />

Beine, dass inzwischen eine feste<br />

Community hat.<br />

BKA-Theater Mehringdamm 34,<br />

Kreuzberg, Streams jeden Montag,<br />

21 Uhr, www.bka-theater.de<br />

Berlinale <strong>–</strong> Internationale<br />

Filmfestpiele Berlin<br />

ZWEITER TEIL DES FESTIVALS<br />

Wenn es etwas gegen den tristen<br />

Berliner Winter im Februar gab,<br />

dann waren das die warmen und<br />

zumeist ausverkauften Kinosäle<br />

während der Berlinale. Die fand<br />

dieses Jahr nur <strong>für</strong> ausgesuchte<br />

Jury-Mitglieder*innen und <strong>für</strong> die<br />

Presse statt, wird aber <strong>für</strong> das<br />

Publikum im Juni in den Freiluftkinos<br />

nachgeholt. Der Gewinner des<br />

„Goldenen Bären“ ist der rumänische<br />

Regisseur Radu Jude (Foto).<br />

Berlinale in diversen Freiluftkinos,<br />

Juni 2021<br />

Immergut-Festival<br />

INDIEPOP-FESTIVAL MIT HERZ<br />

Die immer stärkere Festivalisierung<br />

der Konzertsommer hat das<br />

kleine Indiepop-Festival bisher<br />

gut überstanden. Der Immergutrocken<br />

e. V. veranstaltet das<br />

Non-Profit-Konzertfest eigentlich<br />

immer im Mai, dieses Jahr aber<br />

erst im August. Warum das so ist,<br />

kann sich jeder denken. Hier spielen<br />

auch Bands <strong>für</strong> wenig Geld, die<br />

später Headliner bei den großen<br />

Live-Brocken sind.<br />

Immergut-Festival Neustrelitz,<br />

26.<strong>–</strong>28.8., VVK: ab 85 €<br />

Fotos: Promo; Pascal Buenning; Kathleen Pracht; Dirk Teuber; Silviu Ghetie; Tobi Christ<br />

32<br />

SOMMERSEMESTER 2021


PROGRAMM<br />

CAMPUS<br />

Picknick-Konzerte 2021<br />

Open Air Kinosommer<br />

Fotos: Markus Bertuzzo; Rhonda Roland Shearer, Seth Joel; Julius von Bismarck, VG Bild-Kunst, Bonn 2020/courtesy: artist and alexander levy, Berlin; 2020 We Animals Media / Britta Jaschinski; : Boris Hars-Tschachotin; Auge Altona<br />

DEUTSCHER POP UND HIPHOP<br />

IN MARIENDORF Zumindest die<br />

Picknick-Konzerte ließen vergangenes<br />

Jahr so etwas wie Open-Air-<br />

Atmoshäre aufkommen <strong>–</strong> und dann<br />

noch in Mariendorf. Die Konzertagentur<br />

Landstreicher Booking<br />

bittet diesen Sommer ab Anfang<br />

August wieder auf das Gelände am<br />

Wasserturm und am Gasometer.<br />

Die Planung läuft aber noch etwas<br />

zaghaft an. Bisher ist lediglich die<br />

Singer-Songwriterin Mine bestätigt,<br />

die Folk mit HipHop und R&B<br />

kreuzt.<br />

Marienpark Berlin<br />

Lankwitzer Str. 45<strong>–</strong>57, 6.8.<strong>–</strong>5.9.,<br />

MIne: Sa 7.8., VVK: noch nicht bekannt<br />

See-Stücke<br />

KUNST Einige Werke der Ausstellung<br />

„See-Stücke. Fakten und<br />

Fiktion“ waren bereits in den Schaufenstern<br />

der Alfred Ehrhardt Stiftung<br />

zu sehen. <strong>Das</strong> Meer gilt nach<br />

wie vor als Sehnsuchtsort <strong>für</strong> Sinnsuchende<br />

und Romantiker*innen.<br />

Doch durch die Bebauung von Küsten<br />

und die Zerstörung des Meeres<br />

als Ökosystem zerstört der Mensch<br />

auch diesen Rückzugsort.<br />

Alfred Ehrhardt Stiftung<br />

Auguststr. 75, Mitte, Di.<strong>–</strong>So. 11<strong>–</strong>18 Uhr,<br />

Tel. 20 09 53 33, bis 22.5.,<br />

Voranmeldung unter<br />

info@aestiftung.de oder telefonisch<br />

KINOSOMMER IN POTSDAM <strong>Das</strong><br />

Kulturzentrum an der Havel hat<br />

sich <strong>für</strong> diesen Sommer viel vorgenommen.<br />

Ob Open-Air-Konzerte<br />

mit Tocotronic oder das<br />

Festival Havelbeats stattfinden<br />

können, bleibt pandemiebedingt<br />

abzuwarten. Fest steht aber, dass<br />

ab Mitte Mai das Waschhaus zusammen<br />

mit dem prämierten Arthouse-Kino<br />

Thalia den „Open Air<br />

Kinosommer“ beginnen wird. Zu<br />

sehen sein werden ausgesuchte<br />

Filme jenseits des Mainstreams.<br />

Waschhaus Potsdam<br />

Schiffbauergasse, ab 15.5.<br />

Hidden<br />

FOTOGRAFIE 40 Fotografen und<br />

Fotografinnen widmen sich in der<br />

kritischen Ausstellung „Hidden <strong>–</strong><br />

Tiere im Anthropozän“ den Umgang<br />

mit Tieren. Dabei hinterfragen<br />

die Künstler wie Daniel Beltrá,<br />

Aaron Gekoski und Britta Jaschinski<br />

(Foto) auch unser Konsumverhalten<br />

und den Umgang mit den<br />

Tieren in der modernen Zeit..<br />

f³ <strong>–</strong> freiraum <strong>für</strong> fotografie<br />

Waldemarstraße 17, Tel. 63 96 11 19,<br />

bis 24.5., Mi.<strong>–</strong>So. 11<strong>–</strong>18 Uhr, Karten<br />

kosten fünf Euro pro Stunde,<br />

Eintritt nur mit Zeitfensterticket<br />

unter www.fhochdrei.org<br />

Scratching the Surface<br />

KUNST Der Mensch hat so umfassend diesen Planeten und unsere<br />

Welt verändert, dass die Wissenschaft das Zeitalter des Anthropozäns<br />

ausgerufen hat. <strong>Das</strong> hat aber auch negative Auswirkungen <strong>–</strong> Klimawandel,<br />

Artensterben, Ressourcenmangel, Umweltverschmutzung. Die<br />

Ausstellung „Scratching The Surface“ stellt Kunstwerke vor, die diese<br />

teilweise radikalen Umbrüche verarbeiten und darstellen.<br />

Hamburger Bahnhof <strong>–</strong> Museum <strong>für</strong> Gegenwart<br />

Invalidenstraße 50/51, Mitte, Di<strong>–</strong>Fr 10<strong>–</strong>18 Uhr, Do bis 20 Uhr,<br />

Sa+So 11<strong>–</strong>18 Uhr, 30.5.<strong>–</strong>7.11.<br />

Geschichte und Medien<br />

FOTOGRAFIE UND ANALYSE Neben<br />

der Ausstellung „Die Gesichter<br />

des Exils“ mit Fotografien von<br />

Fred Stein zeigt das DHM auch<br />

das ikonische Foto „Der Sprung <strong>–</strong><br />

1961“ von Peter Leibing (Foto) in<br />

einer Virtual-Reality-Installation<br />

sowie die Schau „Von Luther zu<br />

Twitter <strong>–</strong> Medien und politische<br />

Öffentlichkeit“, die die Einflussnahme<br />

von Medien auf die Meinungsbildung<br />

untersucht.<br />

Deutsches Historisches Museum<br />

im Pei-Bau: Hinter dem Gießhaus 3,<br />

Mitte, tgl. 10<strong>–</strong>18 Uhr, Karten: 8, erm. 4<br />

Euro, Zeitfenster unter www.dhm.de<br />

Deichkind<br />

OPEN AIR Auch Deichklind riefen<br />

während des zweiten Lockdowns<br />

auf, ihre Crew (Techniker und Musiker)<br />

zu unterstützen. So konnte<br />

ein Meet & Greet oder die <strong>für</strong><br />

Deichkind typischen absurden<br />

und lustigen Aktionen gebucht<br />

werden. Hoffen wir mal, dass bis<br />

August alle durchgeimpft sind <strong>–</strong><br />

dann klappt das auch mit ihrem<br />

Halligalli-Diskurs-Electropop.<br />

Parkbühne Wuhlheide Köpenick,<br />

7.8., 20 Uhr, VVK: 38 €<br />

SOMMERSEMESTER 2021 33


CAMPUS<br />

DIE LETZTE SEITE<br />

Meine erste Vorlesung<br />

Es war richtig voll, und ich konnte nur noch ganz hinten im Seminarraum<br />

stehen. In der ersten Reihe: Männer, nur Männer, die wie eine Kopie<br />

des anderen aussahen, und fast alle trugen schwarz. „Einführung in die<br />

Philosophie des 20. Jahrhunderts“ hieß die Vorlesung im Institut <strong>für</strong><br />

Sozialforschung. Dort schwebte der Geist der Frankfurter Schule über allem; ich selbst<br />

war <strong>für</strong> Politikwissenschaft eingeschrieben. Es war das Wintersemester 1989/90, und in<br />

einer meiner ersten Vorlesungen hielt Jürgen Habermas die Vorlesung. Als er den Seminarraum<br />

betrat, legte Habermas sofort los, und mir wurde viel zu schnell klar, dass ich<br />

so gar nicht mitkomme und nichts verstehe. Habermas̓ʼ hochkomplexe Ausführungen<br />

nahmen Bezug auf Philosophen, die ich nicht mal alle bei Namen kannte, einige klangen<br />

nach Fußballernamen. Mitten in seiner Vorlesung sprach Habermas den <strong>für</strong> mich<br />

erlösenden Satz: ›Ich habe den Faden verloren‹. Sofort zeigte einer aus dem Habermas-<br />

Erste-Reihe-Boys-Club auf eine Stelle im Manuskript, das auf dem Tisch vorne lag. Als<br />

der Professor zum Ende seines Vortrags kam, zog er seinen grünen Lodenmantel an,<br />

packte seine Ledertasche, verließ den Raum <strong>–</strong> und redete noch im Flur weiter. Es war wie<br />

ein Gig, ein Konzert, eine Messe. Auf dem Weg nach Hause dachte ich, dass ich anfangen<br />

musste, zu lesen, richtig zu lesen und verbrachte die kommenden Monaten oft in der<br />

Fachbereichsbibliothek im Turm, einem Hochhaus, in dem die Sozialwissenschaften<br />

untergebracht waren. Ich blieb dran, studierte und feierte fleißig, beides konnte man<br />

in Frankfurt damals sehr gut. In meiner Abschlussarbeit habe ich mich mit Reintegrations-Strategien<br />

von migrantischen Frauen in den Arbeitsmarkt beschäftigt. Mein<br />

Studium der Politikwissenschaft war ein Glücksfall, ich habe viel gelernt und profitiere<br />

heute auch als Campaigner davon. Übrigens: Die Einführungsvorlesung von Jürgen<br />

Habermas habe ich im Hauptstudium noch einmal besucht. Es war fast derselbe Vortrag.<br />

Mit einem Unterschied: In der ersten Reihe saßen zwei Frauen.« Protokoll: Philipp Wurm<br />

ZUR PERSON<br />

Imran Ayata wurde 1969 in Ulm geboren. Er ist Gründer<br />

und Geschäftsführer der Agentur „Ballhaus West“,<br />

die in Berlin-Tiergarten ihren Sitz hat. Dort entwickelt<br />

er unter anderem politische Kampagnen. Bekannt<br />

geworden ist er wegen seiner Zugehörigkeit zum<br />

„Kanak Attack“-Netzwerk, einem Zusammenschluss<br />

von jungen Intellektuellen aus Familien mit Migrationsgeschichte.<br />

Er veröffentlichte außerdem Romane wie<br />

„Hürriyet Love Express“ (2005) und „Ruhm und Ruin“<br />

(2015). Imran Ayata hat in Frankfurt/Main Politikwissenschaft<br />

studiert.<br />

Impressum<br />

tip Berlin<br />

<strong>Campus</strong><br />

Sommersemester 2021<br />

HERAUSGEBER<br />

Tip Berlin Media Group GmbH,<br />

Salzufer 11, 10587 Berlin<br />

Tel. 030-2332 69 600<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG<br />

Robert Rischke<br />

REDAKTION<br />

Stefanie Dörre (V.i.S.d.P.),<br />

Philipp Wurm (Projektleitung),<br />

Ina Hildebrandt<br />

PROGRAMM<br />

Dirk Teuber<br />

LAYOUT<br />

Oliver Mezger<br />

FOTOREDAKTION<br />

F. Anthea Schaap<br />

CHEF VOM DIENST<br />

Natalie Moritz<br />

ANZEIGENLEITUNG<br />

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Foto: Eugen Haller<br />

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SOMMERSEMESTER 2021


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