FINDORFF GLEICH NEBENAN Nr. 20
FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Stadtteilmagazin für Findorff und Bremen für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik
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PROFILE<br />
q DAS BREMER ORIGINAL LEBT PRIVAT ZIEMLICH UNERKANNT IN <strong>FINDORFF</strong><br />
» Hauptsache ›bunt und bewegt sich‹ reicht nicht mehr. «<br />
TRAVESTIE<br />
KÜNSTLERIN<br />
<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 06<br />
SALLY WILLIAMS<br />
S<br />
ally, sagen wir, wie es ist: Cher konnte nicht,<br />
Madonna wollte nicht – und dann kam es<br />
ganz dicke für <strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> NEBEN-<br />
AN: Du hattest Zeit! Jetzt schmückst du unsere<br />
aktuelle Titelseite im Engelskostüm und<br />
wir müssen sagen: Eleganter geht es nicht!<br />
Wie hast du unser Covershooting erlebt ?<br />
Vermutlich hatte ich auch den kürzesten Weg<br />
(lacht) ! Das Shooting selbst hat unglaublichen<br />
Spaß gemacht. Es war eine großartige Erfahrung und ich bin<br />
schon sehr auf das Endergebnis gespannt. Das habe ich nämlich<br />
noch nicht gesehen.<br />
Inwiefern ist so ein Covershooting nach mittlerweile 39 Jahren<br />
Bühnenerfahrung für dich noch etwas Besonderes ?<br />
Naja, auch nach 39 Jahren auf der Bühne wird man nicht ständig<br />
für ein Cover abgelichtet. Vor allem in Bremen durfte ich<br />
bisher erst einmal die Titelseite eines Magazins schmücken,<br />
weshalb das Shooting mit <strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong><br />
auch etwas ganz Besonderes war.<br />
Besonders war auch die Wahl deines Outfits. Wie viele<br />
Unikate hast du inzwischen in deinem Kleiderschrank<br />
hängen ? Das müssen ja unzählige sein …<br />
Ja, der Fundus wird im Laufe der Zeit immer größer, wobei ich<br />
mich erfreulicherweise vor vier, fünf Jahren wirklich einmal<br />
durchringen konnte und die Abteilung »vielleicht passe ich ja<br />
doch wieder rein« aussortiert habe. Es gab jedoch auch mal<br />
dieses Horror-Erlebnis in Nürnberg, wo mir ganz fantastische<br />
Outfits gestohlen worden sind. Da hat mir das Herz wirklich<br />
geblutet ! Letztlich war es jedoch eine schöne Motivation, um<br />
neue atemberaubende Kleider zu shoppen.<br />
Jetzt bist du jedoch nicht nur schön auf Zeitschriftencovern<br />
anzuschauen, sondern begeisterst vor allem als vielseitige Travestiekünstlerin.<br />
Wie fühlt es sich während der Pandemie an,<br />
wenn statt Theatervorhang nur noch der Duschvorhang fällt ?<br />
Für uns KünstlerInnen ist die Pandemie natürlich ein echter<br />
Fauxpas. Man wird von heute auf morgen mit Dingen konfrontiert,<br />
die man sich so nie hätte vorstellen können. Und dennoch<br />
nehme ich viel Positives aus dieser Zeit mit. Ich engagiere mich<br />
seither zum Beispiel für die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und betreue<br />
hilfsbedürftige Menschen. Einmal die Woche gehe ich mit<br />
einem älteren Herren spazieren, der sonst niemanden mehr hat:<br />
Das erfüllt mich auch auf eine gewisse Art und Weise. Ich habe<br />
ja aktuell die Zeit und weshalb die dann nicht sinnvoll nutzen ! ?<br />
Lass uns jetzt einmal an den Anfang deiner Karriere springen.<br />
Dafür war nämlich ein absolutes Bremer Original verantwortlich:<br />
Madame Lothár.<br />
Jein. Also die Kunstfigur »Madame Lothár« gab es damals ja<br />
noch nicht. Das war einfach Lothar. Er war Wirt eines ganz<br />
kleinen schwulen Lokals in Bremen. Aufgebrezelt wie Liza Minnelli<br />
bin ich zu einer Freimarktsparty gegangen, habe zu »New<br />
York, New York« die Hüften schwingen lassen und mein Idol<br />
gemimt. Lothar hat mich gesehen und direkt gefragt, ob ich<br />
nicht Lust hätte, Silvester einen kleinen Auftritt zu geben – und<br />
so nahm meine Karriere dann ihren Lauf. Erst waren es fünf,<br />
sechs kleine Shows bei ihm und anschließend auch außerhalb<br />
seines Lokals deutschlandweit.<br />
Was Lothar dir lange krumm genommen hat …<br />
Das hat er ! Lothar war immer sehr einnehmend und konnte<br />
recht knauserig werden, wenn es nicht nach ihm ging. Als ich<br />
gegangen bin, unter anderem wegen dieser Eigenschaften, hat<br />
es viele Jahre gedauert, bis wir uns wieder in die Augen sehen<br />
konnten. Es war der »Denver Clan« live, könnte man sagen<br />
(lacht). Jedoch wäre »Madame Lothár« niemals geboren, wenn<br />
ich ihn damals nicht verlassen hätte. An seinem 80. Geburtstag<br />
habe ich ihm nochmal sagen können, wie dankbar ich ihm bin<br />
und dass seine Unterstützung mich sehr glücklich gemacht hat.<br />
In einem Interview hast du gesagt, dass du damals einfach<br />
nur zur rechten Zeit am rechten Ort warst. Glaubst du, dass<br />
es in der Travestiewelt heutzutage schwieriger ist, diesen Ort<br />
zu finden ?<br />
Definitiv ! Wir sprechen ja von 1985, und da war die Travestie<br />
ein gänzlich neues Gebiet. »Mary und Gordy«, ein Duo, das im<br />
deutschen Fernsehen sehr bekannt werden sollte, hatte gerade<br />
seinen Durchbruch erlebt, so dass die Neugierde auf uns KünstlerInnen<br />
dementsprechend hoch war. Heute ist diese Form<br />
der Unterhaltung längst etabliert. In den großen Städten wie<br />
Hamburg oder Berlin kann man ohne großen Namen mit der<br />
Travestie auch kein Geld mehr verdienen. Wenn du versuchst,<br />
für eine Party gebucht zu werden, wirst du mit der Gage sofort<br />
um mindestens die Hälfte von anderen KünstlerInnen unterboten.<br />
So läuft das ab. Hauptsache »bunt und bewegt sich« reicht<br />
nicht mehr für eine Karriere. Das reicht für eine Weile als Drag<br />
Queen. Aber für eine Karriere in der Branche musst du was<br />
Besonderes, was Eigenes haben und doppelt so hart arbeiten.<br />
Das »Schnürschuh Theater Bremen«, in welchem du mit<br />
deiner Kollegin Joline Ready erst Ende Oktober auf der Bühne<br />
standest, glaubt an deine künstlerische Arbeit. Es ist ein ganz<br />
besonderes Theater für dich, richtig ?<br />
Ja, weil dieses Haus sehr viel Vertrauen in mich setzt. Seit <strong>20</strong>13<br />
gibt es eine wunderbare Zusammenarbeit zwischen uns. Damals<br />
habe ich dort mein erstes Musical auf die Bretter gebracht<br />
und das Haus hat mir die Bühne dafür gegeben. Seither habe<br />
ich also immer wieder ein Heimspiel, wenn ich dort auftrete.<br />
Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass du in Bremen<br />
und umzu bereits auf allen Bühnen gestanden hast, die deine<br />
High Heels tragen konnten: Gibt es dennoch Bühnen, auf<br />
denen du gerne mal spielen würdest ? u<br />
<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 07