einsatzbelastung, verantwortung - Katholische Militärseelsorge
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Thema<br />
MAGAZIN ZUM LEBENSKUNDLICHEN UNTERRICHT<br />
zum<br />
Wenn ich die falsche<br />
Entscheidung getroffen habe<br />
Über das Risiko,<br />
im Einsatz schuldig<br />
zu werden<br />
Alles wird gut!<br />
Wenn man das Gefühl hat,<br />
es geht zu Ende<br />
EINSATZBELASTUNG,<br />
VERANTWORTUNG<br />
und SCHULD<br />
„Jetzt steht er fest – mein Einsatztermin“<br />
AUSGABE 2.2012<br />
Schuld kann<br />
jeden treffen<br />
Die Rolle der Schuld<br />
im menschlichen<br />
Leben<br />
Im Einsatzland<br />
angekommen
Auslandseinsätze bringen<br />
hohe Belastungen mit sich<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser!<br />
Auslandseinsätze bringen – wem erzähle ich das? – hohe Belastungen mit<br />
sich. In der Vorbereitungszeit sind diese wohl vor allem seelischer Art. Wer<br />
macht sich da nicht Sorgen um seine Partnerschaft oder Ehe? Wer fragt sich<br />
nicht, ob nach dem Einsatz wohl noch alles so sein wird wie vorher oder ob<br />
die Kinder die lange Abwesenheit wohl ohne negative Auswirkungen<br />
überstehen werden? Und wer fragt sich nicht zuletzt, ob er/sie wohl heil<br />
wieder heimkehren wird?<br />
Im Ausland schließlich kommen dann weitere psychische Belastungen hinzu,<br />
z. B. durch die Erfahrung ständiger Bedrohung, durch das Erleben von Armut,<br />
Leid und Not, durch die spezifischen Bedingungen des Lagerlebens oder<br />
durch die Anspannung und auch Angst in Kampfsituationen. Manche Erlebnisse<br />
sind so extrem belastend, dass sie den Einzelnen auch überfordern<br />
können; posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind dann die Folge.<br />
Aber auch physische Belastungen, vor allem in Afghanistan, müssen bewältigt<br />
werden, so z. B. die Umstellung auf ein anderes Klima, auf die Hitze, den<br />
Staub und anderes mehr. Als wäre das nicht alles schon genug, bringen Auslandseinsätze<br />
auch noch moralische Belastungen mit sich. Menschen – in<br />
welcher Situation auch immer – zu töten, wirft immer moralische Fragen auf:<br />
Darf ich das bzw. habe ich das gedurft? War es gerechtfertigt oder hätte es<br />
auch eine Alternative gegeben? Darf ich als Vorgesetzte/r den Befehl dazu<br />
geben und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Welchen Befehlen ist<br />
Folge zu leisten – und welchen unter keinen Umständen?<br />
Allein um diese moralischen Belastungen soll es in diesem Heft gehen. Es will<br />
sensibilisieren und zum Nachdenken anregen, indem es den Zusammenhang<br />
aufzeigt von militärischem Handeln, verantwortlichem Entscheiden und möglichem<br />
schuldhaftem Verhalten. Damit verbinden sich die Hoffnung und der<br />
Wunsch, dass Sie als Soldat/Soldatin – in welcher Funktion auch immer –<br />
stets in der Lage sein mögen, <strong>verantwortung</strong>sbewusst zu handeln und<br />
schuldhaftes Versagen zu vermeiden.<br />
Ihr Manfred Suermann<br />
Foto: Mike Zimmermann; Titelfoto: Lucie Holloway/istockphoto.com<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
Thema<br />
Themenmagazin für Soldatinnen und Soldaten<br />
zum<br />
zum Lebenskundlichen Unterricht<br />
Ausgabe 2.2012<br />
2 Editorial<br />
4 „Jetzt steht er fest – mein Einsatztermin“<br />
Der bevorstehende Einsatz wirft seine Schatten voraus<br />
6 Mein Partner muss in den Einsatz<br />
Betroffene erzählen<br />
8 Verantwortung – was ist das?<br />
Nachdenken über einen häufig gebrauchten,<br />
nicht immer gelebten Begriff<br />
10 Schuld kann jeden treffen<br />
Über die Rolle der Schuld im menschlichen Leben<br />
14 Viele Fragen – schwere Entscheidungen<br />
Verantwortung zu tragen kann ganz schön schwer sein<br />
16 Eine Erzählung<br />
Walter Back: Mein Kriegseinsatz als Soldat. – „Meine Schuld!“<br />
18 Im Einsatzland angekommen<br />
Nicht einfach, mit allem Neuen zurechtzukommen<br />
22 Verantwortung im militärischen Einsatz<br />
„Führen nach Auftrag“ und das Problem<br />
der richtigen Entscheidung<br />
24 Wenn ich die falsche Entscheidung getroffen habe<br />
Über das Risiko, im Einsatz schuldig zu werden<br />
26 Alles wird gut!<br />
Wenn man das Gefühl hat, es geht zu Ende<br />
30 Unterrichtsmaterial<br />
36 Sudoku, Vorschau, Impressum<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
6<br />
8<br />
22<br />
26<br />
Fotos: Herbert Orth/TIME & LIFE Images/gettyimages.com; AFP/gettyimages.com; Alain Jocard/gettyimages.com; glendali/sxc.hu<br />
3
Für die einen ist es fast schon Routine, weil<br />
sie zum wiederholten Male in den Einsatz<br />
gehen. Für andere aber ist es das erste<br />
Mal. Da gilt es, sich mit vielem auseinan-<br />
derzusetzen, Absprachen zu treffen, Ent-<br />
scheidungen zu fällen, den Abschied von<br />
denen, die einem am nächsten stehen,<br />
vorzubereiten und sich mit seinen Ängsten<br />
und Sorgen zu beschäftigen. Für manchen<br />
beginnt hier bereits die Einsatzbelastung.<br />
Foto: Cultura/Spark Photographic/gettyimages.com<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
„Jetzt steht er<br />
fest – mein<br />
Einsatztermin“<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
DER BEVORSTEHENDE EINSATZ<br />
Von Manfred Suermann WIRFT SEINE SCHATTEN VORAUS<br />
Eigentlich war es absehbar“, dachte er bei sich, „alle Anzeichen<br />
hatten dafür gesprochen und es war ja auch in meiner Einheit<br />
deutlich genug angekündigt worden.“ Nur einen Termin für den<br />
Auslandseinsatz hatte es noch nicht gegeben. Und so hatte er<br />
das Ganze nicht recht wahrhaben wollen, den Gedanken verdrängt.<br />
Auch mit seiner langjährigen Freundin hatte er nur einmal<br />
kurz darüber gesprochen, dass da was auf sie zukommen könnte; aber<br />
dann hatten sie das Thema einfach totgeschwiegen. Hatten sie beide Angst davor,<br />
weil sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten? Doch jetzt war die Sache<br />
auf dem Tisch: der Einsatz des nächsten Kontingents – und er war dabei. Jetzt half<br />
nichts mehr, kein Kopf-in-den-Sand-Stecken, kein Davonlaufen. Jetzt musste er<br />
der Realität ins Auge sehen, und seine Freundin mit ihm. „Was kommt da auf uns<br />
zu? Wie wollen wir das bewältigen? Wird die Beziehung halten?“ Solcherlei Fragen<br />
schossen ihm durch den Kopf. Er musste an seinen Kameraden denken, der<br />
verheiratet war, Familie hatte. Und obwohl er bei sich dachte, dass ein Auslandseinsatz<br />
für Frau und Kinder auch nicht leicht sein dürfte, beneidete er ihn<br />
fast ein wenig: „Bieten Ehe und Familie nicht doch eine größere Sicherheit?“,<br />
fragte er sich.<br />
Mit der Zeit kam er mit vielen Kameraden ins Gespräch, fast alle trieben die<br />
gleichen Gedanken und Sorgen um. Und man kann gar nicht sagen, was überwog:<br />
die Unsicherheit, was sie wohl da im Ausland erwarten würde, das mulmige<br />
Gefühl bei der Vorstellung, in militärische Auseinandersetzungen zu geraten, oder<br />
doch eher die Sorge um das Persönliche, dass man nach der Rückkehr vor dem<br />
Nichts stehen könnte, weil Beziehungen doch nicht gehalten haben, die Liebe<br />
nicht stark genug war. Es war ihm nicht verborgen geblieben, dass alles möglich<br />
war, schließlich kannte er einige, die bereits im Auslandseinsatz gewesen waren,<br />
manche sogar mehrmals. Einer von ihnen, mit dem er sich ganz gut verstand und<br />
mit dem er auch schon mal außerhalb des Dienstes etwas unternahm, sagte ihm<br />
ganz deutlich: „Da kommt jetzt eine Verantwortung auf dich zu, da hilft kein<br />
Weglaufen! Und ich meine jetzt nicht deine Verantwortung als Soldat im Ausland,<br />
sondern gegenüber den Menschen, die hier sind, die dir was bedeuten, die du<br />
liebst und nicht verlieren willst …“ Das waren klare Worte für ihn. Und je mehr<br />
er sich mit der Zeit in Gedanken auf das Bevorstehende einließ, desto stärker<br />
wurde sein Gefühl dafür, was Verantwortung heißen könnte. In diesem Zusammenhang<br />
fiel ihm ein, was ihm ein schon einsatzerfahrener Soldat mal erzählt<br />
hatte: Ein junger Hauptmann habe sich für die Zeit seines Auslandseinsatzes<br />
eine „Zweitfrau“ gemietet und mit ihr – außerhalb des Camps – in einer eheähnlichen<br />
Beziehung in einer angemieteten Wohnung gelebt; zu Hause habe<br />
der Soldat Frau und Kinder gehabt. – Damals schon hatte er verstanden, dass<br />
so ein Auslandseinsatz offensichtlich auch mit „Angeboten“ verbunden sein<br />
kann, die ganz schön in Versuchung führen können – und wo man sich dann<br />
entscheiden muss. Es lag zwar schon eine Zeit lang zurück, aber er erinnerte<br />
sich plötzlich ganz genau daran, was in seiner Einheit die Runde machte: dass<br />
die Frau eines Kameraden ausgezogen war, mit Sack und Pack, mit dem Kind<br />
und allem, was ihr gehörte, weil sie erfahren hatte, dass ihr Mann im Ausland<br />
mit einer Kameradin was angefangen hatte. „So kann’s gehen“, dachte er<br />
damals, „aber natürlich nicht bei mir“, da war er sich sicher. Doch jetzt, wo sein<br />
Einsatz bevorstand, fing er an zu grübeln, was er tun könne, damit ihm nicht<br />
Gleiches widerfahren würde.<br />
Und obwohl es ihm mehr als schwerfiel, begann er, sich sehr selbstkritisch zu<br />
prüfen und zu fragen, wie viel ihm an seiner Freundin lag, wie tief seine Gefühle<br />
für sie waren und wie viel Liebe er für sie empfand. Und er forderte auch seine<br />
Freundin auf, Gleiches zu tun. Schließlich wollten sie ehrlich zueinander sein<br />
und sich keinen Illusionen hingeben. Denn in ihm war die Überzeugung<br />
gewachsen, dass ihre Beziehung nur dann eine Chance haben würde, wenn sie<br />
sich jetzt klarmachten, was sie einander bedeuteten. Erst wenn sie hier Sicherheit<br />
hätten, so ahnte er, könnten sie sich daranmachen, zu überlegen, wie sie<br />
Versuchungen widerstehen und die lange Zeit gut überbrücken könnten.<br />
Doch während er das Glück hatte, mit seiner Freundin in ein wirklich gutes<br />
Gespräch zu kommen, stellte er fest, dass sich bei manchen Kameraden –<br />
selbst bei jenen, die schon länger verheiratet waren – nicht unerhebliche<br />
Probleme auftaten. „Offenbar“, so dachte er bei sich, „hat hier die<br />
Gewohnheit die Beziehung alltäglich werden lassen und so manche Probleme<br />
zugedeckt.“ Aber er hoffte, dass alle zu dem zurückfinden würden,<br />
was sie einmal verbunden hatte. <br />
5
Mein Partner muss in den Einsatz<br />
Eine Betroffene erzählt:<br />
Hallo,<br />
mein Freund, mit dem ich seit fünf Jahren zusammenlebe,<br />
ist Zeitsoldat bei der Bundeswehr.<br />
Ich hatte damit schon immer ein Problem, weil er schon oft für längere Zeit<br />
auf Lehrgänge musste und wir auch drei Jahre lang eine Wochenendbeziehung<br />
hatten. Die längste Zeit, die er weg war, waren vier Wochen am Stück.<br />
Ich will ganz ehrlich sein: Ich HASSE die Bundeswehr und alles, was damit zu<br />
tun hat. Sie macht mir mein Leben zur Hölle.<br />
Er weiß das auch und hört auch damit auf, weil es ihm selbst keinen Spaß<br />
mehr macht und er auch sieht, wie ich leide.<br />
Jetzt soll er bald für mindestens vier Monate in den Auslandseinsatz gehen,<br />
und ich habe das Gefühl, dass ich das nicht überlebe. Für mich kommt das<br />
einem Weltuntergang gleich.<br />
Ich muss dazusagen, dass ich an einer Panikstörung leide und es mir grundsätzlich<br />
psychisch schon nicht so gut geht, was ich aber in letzter Zeit wieder<br />
relativ gut im Griff hatte. Ich fühle mich dann zu Hause einfach so einsam,<br />
dass ich durchdrehen könnte. Klar gehe ich arbeiten und mache auch sonst<br />
alles, was ein normaler Mensch tut, aber das Problem ist einfach, dass, wenn<br />
ich abends nach Hause komme, niemand da ist! Und das nicht nur vier Wochen,<br />
sondern eine Ewigkeit.<br />
Das so lange durchzuhalten, schaffe ich einfach nicht. Ich bin schon jetzt<br />
total fertig und heule nur noch.<br />
Mein Freund sagt zwar, dass er mich versteht, aber ich glaube nicht,<br />
dass er sich wirklich vorstellen kann, wie das ist, da er ja noch<br />
nie alleine war. Ich habe auch schon über Trennung nachgedacht,<br />
da ich diese ewige Ungewissheit und dieses Alleinsein einfach<br />
nicht mehr ertrage.<br />
Habt ihr einen Rat für mich?<br />
Aber bitte sagt mir nicht, dass ich das ja vorher gewusst habe.<br />
Das ist nämlich nicht so. Ich hätte mir nie gedacht, dass es SO schlimm<br />
wird, sonst hätte ich mir das zweimal überlegt. Außerdem war damals<br />
die ganze Situation mit Afghanistan usw. noch nicht so wie jetzt.<br />
Hannah<br />
Und eine ebenfalls Betroffene antwortet:<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
Hallo Hannah,<br />
ich weiß genau, wie es dir geht. Ich bin auch mit einem mittlerweile Exbundeswehrsoldaten<br />
zusammen. Als ich ihn vor vier Jahren kennengelernt habe und er mir gesagt hat,<br />
dass er bei der Bundeswehr ist, hatte ich auch nicht gewusst, was noch alles auf mich<br />
zukommen würde. Ich wusste zwar, dass wir uns hauptsächlich am Wochenende sehen<br />
würden und manchmal auch zwei, drei Wochen gar nicht, aber den Afghanistan-Einsatz<br />
hab ich auch nicht vorausgesehen. Eines Tages hat er mich in den Arm genommen, angefangen<br />
zu weinen und mir gesagt, dass er so glücklich mit mir ist, ihn aber die Bundeswehr<br />
in ein paar Monaten nach Afghanistan schicke, für damals auch vier Monate!<br />
Ich wusste nicht, wie ich das überstehen sollte, hatte mir damals auch viele Gedanken<br />
gemacht, wie es weitergehen soll, ob ich glücklicher wäre, wenn ich mich von ihm trennen<br />
würde. Darauf fand ich aber nur eine Antwort (die auch für dich gilt!): Eine Trennung<br />
wäre keine Lösung. Das Problem war ja nicht, dass die Liebe nicht mehr da war, sondern<br />
dass eine schwierige Zeit auf uns zukommen sollte. Und mal ganz ehrlich: Was ist eine<br />
Beziehung schon wert, wenn man diese wegen einer „schwierigen Situation“ aufgeben will?<br />
Ich weiß, wie du dich fühlst, es ist der Schmerz, die Einsamkeit, die man verdrängen und<br />
am liebsten loswerden möchte, und man weiß nicht, wie! Aber glaub mir, diese<br />
„Trennung“ macht eure Liebe stärker, ich weiß, dass es schwer ist, es war mit eine der<br />
schwierigsten Zeiten in meinem Leben, aber das geht vorbei! Und auch die vier Monate<br />
gehen rum, du wirst sehen. Ich konnte es erst auch nicht glauben, aber es kommt der<br />
Tag, da fängst du an, die Wochen zu zählen! Und bald ist dein Schatz wieder da!<br />
Wir haben uns damals Briefe geschrieben (das war ne Freude, darauf zu warten,<br />
dass der nächste Brief kommt!) und er hat angerufen, wenn er konnte. Aber das<br />
Wichtigste ist, dass du in dieser Zeit Freunde hast, die dir zur Seite stehen, für dich da<br />
sind und dich ablenken! Ich bin damals jedes Wochenende weggegangen, musste<br />
einfach raus, zu Hause verfällt man in Selbstmitleid! Schlaf doch auch mal bei<br />
Freunden oder lade welche zu dir ein, wenn du einsam bist. Die Zeit am Anfang ist die<br />
schwerste, danach wird`s immer besser und dann ist er wieder da. Ich hoffe, ich konnte<br />
dir ein bisschen Mut machen und dich etwas trösten. Denk dran, du bist nicht allein,<br />
vielen Frauen geht es so wie dir und ihre Männer müssen auch nach Afghanistan!<br />
Denk dran, dass alles gut wird, denk nicht negativ, das macht dich nur unnötig fertig!<br />
Ich hoffe, ich konnte dir helfen,<br />
und wenn du in Zukunft einen Rat zu dem Thema brauchst<br />
oder auch nur reden willst, schreib mir!<br />
Liebe Grüße<br />
7<br />
Foto: Juan Estey/istockphoto.com
Verantwortung ist ein zentraler ethischer Begriff und<br />
fordert den Menschen permanent heraus, sowohl<br />
im beruflichen wie im privaten Leben. Jeder trägt<br />
Verantwortung an dem Ort, an den er in seinem<br />
Leben gestellt ist, unabhängig davon, welchen Rang<br />
oder welche Position er innehat.<br />
Foto: Alain Jocard/gettyimages.com<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
Verantwortung<br />
– was ist das?<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
NACHDENKEN ÜBER EINEN HÄUFIG<br />
GEBRAUCHTEN, NICHT IMMER GELEBTEN BEGRIFF<br />
Von Manfred Suermann<br />
Ich habe die Verantwortung …!“, „Du bist<br />
<strong>verantwortung</strong>slos!“, „Ich mache dich dafür<br />
verantwortlich!“, „Du hast kein Verantwortungsbewusstsein!“<br />
– Diese und ähnliche<br />
Sätze hat jeder schon einmal gehört. Sie zeigen,<br />
welch wichtige Rolle Verantwortung im<br />
menschlichen Leben spielt. Da werden Menschen<br />
für ihr Handeln verantwortlich gemacht – der Fußballtrainer,<br />
der Firmenchef, der Lehrer und natürlich<br />
auch der Kommandeur.<br />
Obwohl der Begriff „Verantwortung“ noch nicht<br />
sonderlich lange unserem Wortschatz angehört, so<br />
ist das, was er meint, uralt. Denn immer schon hatten<br />
Menschen Verantwortung für andere und immer<br />
schon wurden sie zur Verantwortung gezogen. Dennoch<br />
ist Verantwortung erst in den letzten Jahrzehnten<br />
zu einem Schlüsselbegriff geworden, sodass<br />
man heute gar von einer Verantwortungsethik<br />
spricht. Das dürfte seinen Grund in Folgendem<br />
haben: Durch den ungeheuren Fortschritt der Wissenschaften<br />
haben wir Heutigen auf allen Gebieten<br />
Erkenntnisse, die in früheren Jahrhunderten den<br />
Menschen nicht zur Verfügung standen. Dies bezieht<br />
sich nicht nur auf die Vergangenheit und Gegenwart,<br />
sondern unser Wissen reicht in vielen Bereichen auch<br />
weit in die Zukunft. Wir können heute die zukünftigen<br />
Folgen unseres Handelns – oder auch Nichthandelns<br />
– viel besser abschätzen als früher. Um es<br />
an einem Beispiel deutlich zu machen: Wir kennen<br />
sehr genau die Ursachen der globalen Klimaveränderung,<br />
wir wissen sozusagen um die „Sünden“ der<br />
Vergangenheit; wir wissen aber auch, was sich verändern<br />
wird, wenn die Welt so weitermacht wie bisher,<br />
und was getan werden müsste, um diese<br />
Veränderung abzuwenden oder zumindest abzumildern.<br />
Und genau hier beginnt dann Verantwortung:<br />
Handeln wie auch Nichthandeln haben für die<br />
Zukunft positive oder negative Folgen, die verantwortet<br />
werden müssen. Und von wem? In diesem<br />
Fall: von allen, denn mehr oder weniger jeder auf der<br />
Welt trägt zu den Ursachen der Klimaveränderung<br />
bei, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise und<br />
in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Deswegen sind<br />
hier alle in die Verantwortung gerufen. Denn jeder<br />
hat sich die Frage gefallen zu lassen und sie zu<br />
beantworten, welche Welt wir den nachfolgenden<br />
Generationen hinterlassen wollen. Deshalb spricht<br />
man auch z. B. von einer Schöpfungs<strong>verantwortung</strong><br />
oder von der Verantwortung gegenüber der nachwachsenden<br />
Generation.<br />
Verantwortung ist etwas typisch Menschliches. Niemand<br />
käme auf den Gedanken, einen Löwen, der ein<br />
Tier reißt, zur Verantwortung zu ziehen. Und keiner<br />
würde einer Katze, die ihre Jungen liebevoll umsorgt, ein<br />
<strong>verantwortung</strong>svolles Verhalten zuschreiben, obwohl<br />
der äußere Anschein Ähnlichkeit damit hat. Aber beide<br />
Tiere folgen allein ihrem Trieb und können nicht anders.<br />
Nicht so beim Menschen – in der Regel kann er<br />
anders. Gewiss, er muss essen, aber er kann wählen,<br />
ob er sich z. B. gesund ernähren will oder eben nicht.<br />
Er kann sich entscheiden, ob er auf eine Beleidigung<br />
mit Gewalt reagieren oder die Aussprache suchen<br />
will. Und er kann sich aussuchen, ob er seinem/seiner<br />
Lebenspartner/in treu bleiben oder die sich bietende<br />
Gelegenheit zum Seitensprung „nutzen“ möchte.<br />
Nimmt er das Auto oder fährt er mit öffentlichen<br />
Nahverkehrsmitteln? Möchte er eine Familie gründen<br />
oder bleibt er doch besser Single? Die Beispiele lassen<br />
sich endlos weiterführen. Immer zeigt sich: Im<br />
Gegensatz zum Tier ist der Mensch nicht festgelegt,<br />
er hat eine Wahl, er muss und kann sich entscheiden.<br />
Und er entscheidet sich auch – bewusst oder unbewusst.<br />
Wie oft müssen wir zugeben, in einer<br />
bestimmten Situation nicht nachgedacht und uns<br />
unsere Wahlmöglichkeiten nicht bewusst gemacht,<br />
sondern spontan, „aus dem Bauch heraus“, gehandelt<br />
zu haben! Manchmal mögen wir dabei richtig<br />
gehandelt haben, manchmal bereuen wir aber auch,<br />
etwas falsch gemacht zu haben. Und dann überlegen<br />
wir, suchen nach den Gründen und entdecken dabei<br />
manchmal, dass wir von etwas geleitet wurden, was<br />
uns nicht bewusst war.<br />
Was auch immer der Mensch wählt, wie auch immer<br />
er sich entscheidet, er kann – und sollte – immer auch<br />
an die Folgen denken. Aber tun wir das auch? Machen<br />
wir nicht stattdessen immer wieder die Erfahrung, von<br />
den Folgen überrascht zu werden? „Ach, hätte ich das<br />
doch geahnt“, denken wir dann nicht selten. Dabei<br />
hätten wir es – zumindest in manchen Fällen – wissen<br />
können, wenn, ja wenn wir uns z. B. nicht dem Augenblick<br />
hingegeben und uns blind gestellt hätten.<br />
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich: Der Mensch<br />
kann wählen und sich entscheiden, und das macht<br />
seine Freiheit aus. Da aber alles Handeln des Menschen<br />
– auch sein Nichthandeln – Folgen hat, für ihn<br />
wie für andere, muss er sein Handeln begründen, es<br />
rechtfertigen, also Rechenschaft ablegen und damit<br />
verantworten. Das geschieht natürlich nicht immer.<br />
Wir handeln ja ständig, ohne dass wir uns immer<br />
rechtfertigen müssten. Besonders wenn wir etwas<br />
Richtiges oder Gutes tun, käme niemand auf die<br />
Idee, uns zur Rechenschaft zu ziehen. Erst wenn wir<br />
etwas falsch gemacht, Schaden angerichtet haben,<br />
kommt dies zum Tragen, müssen wir uns rechtfertigen,<br />
manchmal nur vor uns selber, dann aber auch<br />
vor anderen. Und es liegt dann an uns selbst, ob wir<br />
zu dem, was wir getan haben, stehen oder anfangen,<br />
Ausreden zu suchen, anderen die Schuld in die<br />
Schuhe zu schieben, uns zu entschuldigen.<br />
9
Schuld ist ein Beziehungsbegriff und tritt in erster<br />
Linie in Beziehungen auf, die Menschen miteinander<br />
eingehen. Schuld bedeutet dann, dass jemand den<br />
berechtigten Anforderungen oder Ansprüchen eines<br />
anderen, z. B. auf körperliche Unversehrtheit, auf<br />
Wahrheit oder Treue, nicht gerecht geworden ist. Sie<br />
entsteht, wenn Menschen in ihren Handlungen nicht<br />
das Richtige, das Notwendige, das Gute gewählt<br />
haben, wenn sie z. B. um des eigenen Vorteils willen<br />
gelogen und damit ihre Freiheit, verantwortlich zu<br />
handeln, missbraucht haben.<br />
Foto: mediaphotos/istockphoto.com<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
Schuld<br />
kann jeden<br />
treffen<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
ÜBER DIE ROLLE DER SCHULD<br />
Von Manfred Suermann<br />
IM MENSCHLICHEN LEBEN<br />
Du bist schuld!“ Je nachdem,<br />
worum es sich handelt, kann dies<br />
ein schwerer und belastender Vorwurf<br />
sein. Wirkliche Schuld ist<br />
eine niederdrückende Last, die<br />
das Leben eines Menschen nachhaltig<br />
prägen kann. Sie ist deshalb so schwer, weil sie<br />
sich auf etwas bezieht, was in der Vergangenheit<br />
liegt und nicht rückgängig gemacht werden kann.<br />
„Du bist schuld“ kann aber auch heißen: Du bist<br />
z. B. schuld, dass wir zu spät kommen. Mit solcher<br />
Schuld lässt sich ganz gut leben, und es<br />
stellt sich die Frage, ob es überhaupt angebracht<br />
ist, in solchen Fällen von Schuld zu reden. Im<br />
Grunde handelt es sich ja um eine Bagatelle, die<br />
allerdings – je nach Situation – mitunter zu Streit<br />
und Missstimmung führen kann. Wenn es aber<br />
dazu kommt, stellt sich schon wieder die Frage:<br />
Wer ist denn nun schuld an dem Streit? Bei<br />
näherem Hinsehen zeigt sich dann meist, dass<br />
die Bagatelle vielleicht der Auslöser war, dass<br />
aber an dem Streit ganz andere Dinge schuld<br />
sind – dass der Streit z. B. auf eine tiefer liegende<br />
Beziehungsstörung hinweist.<br />
Sind immer die anderen schuld?<br />
„Du bist schuld!“ Damit ist die Sache klar: Der<br />
andere ist’s, daran gibt es nicht zu deuteln! Ich bin<br />
dagegen „aus dem Schneider“. Ich habe mir<br />
nichts vorzuwerfen. Mir kann man nichts in die<br />
Schuhe schieben. Und wenn es dann auch noch<br />
zum Streit kommt, bleibt es meistens dabei: „Du<br />
bist schuld!“ Diese nur allzu menschliche Haltung<br />
verhindert dann allerdings, dass ich auch einmal<br />
über mich selbst nachdenke und meinen eigenen<br />
Anteil, meine eigene Beteiligung an der Streitentwicklung<br />
erkenne, letztlich also meine Schuld<br />
sehen lerne.<br />
Damit kommen wir langsam dem auf die Spur, was<br />
vielleicht wirkliche Schuld sein könnte. Spontan<br />
denken da wohl die meisten an all das, was Menschen<br />
Schaden zufügt, also an Mord und Totschlag,<br />
Diebstahl, Betrug, Gewalt, sexuellen<br />
Missbrauch und Ähnliches. All dies beinhaltet<br />
wirkliche Schuld und braucht nicht näher erläutert<br />
zu werden. Hier soll es eher um Fälle von Schuld<br />
gehen, die schwerer zu erkennen sind. Nehmen<br />
wir dazu einmal den Fall an, dass jemand erleben<br />
muss, in einer Beziehung nicht verstanden, mit der<br />
Zeit immer mehr vernachlässigt, oft auch abgewertet,<br />
in Wahrheit gar nicht geliebt, stattdessen<br />
mit Gleichgültigkeit behandelt, ausgenutzt oder<br />
gar betrogen zu werden – hätte dieser (oder<br />
diese) nicht wirklich allen Grund zu sagen: „Du<br />
bist schuld!“? Sicher, jetzt kann man schnell einwenden:<br />
Warum haben sich die beiden überhaupt<br />
zusammengetan oder warum haben sie sich nicht<br />
längst getrennt? Und kann es denn überhaupt<br />
sein, dass Schuld so einseitig verteilt ist? So<br />
berechtigt diese Fragen sind, sie bleiben jetzt mal<br />
außen vor. Denn allein dies sollte deutlich werden:<br />
dass es Schuld gibt, von der in keinem Strafgesetzbuch<br />
die Rede ist, und dass diese Schuld viele<br />
Gesichter hat. Man spricht dann von moralischer<br />
11
12 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
Schuld; sie ist schwieriger zu erkennen und zu<br />
identifizieren, deshalb wird über sie auch häufiger<br />
gestritten.<br />
Schuldgefühle können trügerisch sein<br />
Etwas anderes dagegen sind Schuldgefühle. Wer<br />
kennt das nicht, das schlechte Gewissen, wenn man<br />
z. B. als Kind der Mutter mal einen Euro aus dem<br />
Portemonnaie genommen oder jemandem etwas<br />
verheimlicht hat, was er eigentlich wissen sollte,<br />
aber nicht wissen darf? Schuldgefühle regen sich,<br />
wenn man etwas getan hat, das nicht in Ordnung<br />
ist – egal ob jemand davon erfährt oder nicht. Sie<br />
können belasten, quälen und nicht in Ruhe lassen.<br />
Allerdings gibt es auch den umgekehrten Fall: Man<br />
hat etwas getan, das nicht in Ordnung ist – und<br />
empfindet dabei keine Schuldgefühle. Denn man<br />
meint, gute Gründe zu haben, zieht alle Register,<br />
um sein Tun zu rechtfertigen, und sucht nicht selten<br />
die Schuld bei anderen; man will sich so entschuldigen,<br />
also von Schuld befreien.<br />
Doch Schuldgefühle sind tückisch. Wo jemand<br />
wirklich Schuld auf sich geladen hat, sind entsprechende<br />
Schuldgefühle ganz richtig. Doch<br />
Schuldgefühle können Menschen auch quälen,<br />
obwohl noch gar nicht ausgemacht ist, ob sie<br />
wirklich schuldig sind, und obwohl sie selber gar<br />
nicht richtig sagen können, worin denn ihre<br />
Schuld besteht. Ja, Menschen haben sogar Schuldgefühle,<br />
wenn sie gar keine Schuld trifft.<br />
Ein Beispiel<br />
Nicht wenige Einsatzsoldaten haben Kinder zu<br />
Hause. Diese tragen mitunter schwer an der<br />
Abwesenheit des Vaters – oder der Mutter, wenn<br />
diese Soldatin ist. Die Belastung für das Kind kann<br />
so schwer sein, dass es schulische Probleme<br />
bekommt. Und manche Soldatinnen oder Soldaten<br />
fühlen sich dafür schuldig. – Aber das nur allzu<br />
verständliche Gefühl trügt. Trifft sie denn wirklich<br />
eine Schuld? Worin sollte diese bestehen?<br />
Gewiss, Eltern haben eine hohe Verantwortung<br />
und Verpflichtung gegenüber ihren Kindern. Das<br />
Kindeswohl stellt einen hohen Wert dar, für das<br />
Eltern alles in ihrer Macht Stehende tun müssen.<br />
Und wer es vernachlässigt, handelt <strong>verantwortung</strong>slos<br />
und macht sich schuldig. Aber: Haben die<br />
Soldatin bzw. der Soldat das Wohl ihres Kindes<br />
bewusst oder fahrlässig vernachlässigt? Hatten sie<br />
die Wahl und haben sie sich freiwillig gegen das<br />
Kind entschieden? Wohl kaum! – Schuld hat hier<br />
oder, besser gesagt, Ursache hierfür ist der Auslandseinsatz<br />
der Bundeswehr.<br />
Nur das Individuum ist Träger von Schuld<br />
In unserem Kulturkreis hat sich die Überzeugung<br />
herausgebildet, dass nur das einzelne Individuum<br />
schuldig werden kann. Wenn z. B. eine Gruppe<br />
gemeinsam ein Verbrechen begangen hat, so wird<br />
vor Gericht nach der Schuld jedes Einzelnen<br />
gefragt; da gibt es dann den Haupttäter und die<br />
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Mitschuldigen. Schuld ist etwas typisch Menschliches<br />
und kommt allein dem Menschen zu. Auch<br />
wenn z. B. ein Hund manchmal schuldbewusst<br />
dreinschaut und mit eingezogenem Schwanz<br />
abzieht, weil er etwas angestellt hat, kann man<br />
dennoch nicht von Schuld sprechen. Denn der Hund<br />
ist durch Erziehung konditioniert, er weiß nicht aus<br />
Einsicht, dass er etwas Falsches oder Böses getan<br />
hat; er hat nicht die Freiheit, zwischen verschiedenen<br />
Möglichkeiten zu wählen. Der Mensch dagegen<br />
hat Freiheit. Er hat immer eine Wahl, auch<br />
wenn ihm dies längst nicht immer bewusst ist. Und<br />
weil er wählt, muss er mitunter das, was er gewählt<br />
hat, verantworten, besonders dann, wenn er das<br />
Falsche gewählt und dadurch sich selbst oder anderen<br />
Schaden zugefügt hat. Und dann steht er vor<br />
der Frage nach seiner Schuld.<br />
Freiheit, Verantwortung und Schuld gehören<br />
untrennbar zusammen. Bleibt nur noch eine Frage:<br />
Kann denn auch eine unbewusste Wahl, eine unbewusste<br />
Entscheidung Schuld bedeuten? Wer kennt<br />
nicht den Ausruf: „Ach, hätte ich doch damals …!“<br />
Oder: „Wenn ich damals gewusst hätte …!“ Auch<br />
wenn man längst nicht immer die Folgen einer<br />
bestimmten (Lebens-)Entscheidung absehen kann,<br />
so kommt man dennoch im Nachhinein manchmal<br />
nicht um die Einsicht herum, damals etwas falsch<br />
gemacht zu haben. Aber auch das gehört zum Menschen:<br />
Er ist nicht bis ins Letzte Herr über sein<br />
Leben. „Es kommt oft anders, als man denkt!“ mediaphotos/istockphoto.com<br />
Das ist so etwas wie der Preis der Freiheit. Foto:
Die Bundeswehr kümmert sich um die<br />
militärische Einsatzvorbereitung und<br />
sorgt dafür, dass der Soldat auf alles,<br />
was ihm im Ausland als Soldat begegnet,<br />
bestens vorbereitet ist. Für die Regelung<br />
aller Angelegenheiten, die mit dem<br />
Privatleben des Soldaten zu tun haben,<br />
ist jeder Einzelne selbst verantwortlich.<br />
Viele Fragen – schwere<br />
Entscheidungen<br />
Verantwortung zu tragen kann ganz schön schwer sein<br />
Foto: sorcerer11/fotolia.com<br />
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ÜBER DIE VERANTWORTUNG<br />
BEI DER EINSATZVORBEREITUNG<br />
Von Manfred Suermann<br />
Hast du schon mal daran gedacht,<br />
dass dir was passieren könnte?“,<br />
wurde er von einem bereits einsatzerfahrenen<br />
Kameraden gefragt,<br />
„und hast du vorgesorgt?“<br />
Ein mulmiges Gefühl ergriff ihn.<br />
Ihm fielen Bilder aus dem Fernsehen ein, Bilder<br />
von einer Trauerfeier gefallener Soldaten. Nein,<br />
daran hatte er noch nicht gedacht. „Mir passiert<br />
schon nichts“, davon war er bisher überzeugt. Nur<br />
unwillig machte er sich mit der Möglichkeit vertraut.<br />
„Was gibt es denn da zu regeln?“, fragte er<br />
sich. Und während er darüber nachdachte, wurde<br />
ihm klar, dass er darüber mit anderen sprechen<br />
sollte, mit seiner Partnerin, mit seinen Eltern, vielleicht<br />
auch mit seinen Geschwistern. Und ihm fiel<br />
das Wort eines Kameraden wieder ein: „Da kommt<br />
jetzt eine Verantwortung auf dich zu …“<br />
Er hörte sich in seinem Kameradenkreis um. Einer,<br />
der verheiratet war und Familie hatte, schilderte ihm,<br />
was er alles erledigt hatte. „Ich habe Vollmachten<br />
erteilt, nicht nur fürs Konto, sondern auch dafür, dass<br />
meine Frau in meinem Namen handeln kann – für<br />
den Fall, dass ich mal eine Zeit lang nicht handlungsfähig<br />
sein sollte. Und ich habe ihr nicht nur alle<br />
meine Passwörter gegeben, sondern ihr auch gezeigt,<br />
wo alle wichtigen Unterlagen zu finden sind, z. B.<br />
über meine Versicherungen, Kredite usw. Natürlich<br />
setzt das Vertrauen voraus“, betonte er und fügte<br />
hinzu: „Such dir also jemanden, dem du uneingeschränkt<br />
vertrauen kannst!“ Ihm schwirrte der Kopf.<br />
„An was alles zu denken ist!“, sagte er sich. Auch<br />
wenn es ihm einsichtig war, dass dies alles zu erledigen<br />
sei, tauchte für ihn eine noch viel schwierigere<br />
Frage auf: Wem konnte er so uneingeschränkt vertrauen<br />
– seiner Partnerin, seinen Eltern, seinem<br />
besten Freund? Was wäre, wenn er seiner Partnerin<br />
dieses Vertrauen schenkte, ihre Beziehung aber die<br />
Einsatzzeit – aus welchen Gründen auch immer –<br />
nicht überstünde? Nicht auszudenken, welches Risiko<br />
des Missbrauchs seines Vertrauens er da einginge.<br />
Mit seinen Eltern hatte er nicht gerade das beste<br />
Verhältnis, konnte er ihnen dennoch vertrauen?<br />
Immerhin waren es ja die Eltern. Wie aber sollte er<br />
das seiner Partnerin erklären? Oder doch besser seinem<br />
Freund alles übergeben? Das aber würde seiner<br />
Partnerin ja noch deutlicher zeigen, dass er ihr nicht<br />
vertraute. Wie auch immer er es drehte und wendete,<br />
es wurde nicht einfacher.<br />
„Hast du schon dein Testament gemacht?“, fragte<br />
ihn dann zum Überfluss auch noch ein Kamerad,<br />
der mit ihm in den Einsatz musste. „Auch das<br />
noch“, entfuhr es ihm. Seit noch nicht einmal zwei<br />
Jahren wohnte er jetzt mit seiner Partnerin zusammen.<br />
Sie hatten sich vieles gemeinsam angeschafft.<br />
Wie sollte er jetzt entscheiden, was wem<br />
zu vermachen ist? Er spürte, es würden ernste<br />
Gespräche auf seine Partnerin und ihn zukommen,<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
und er hatte schon ein wenig Angst davor. Wie<br />
würde sie mit all dem umgehen? Klar, sie wusste<br />
von Anfang an, dass er Soldat war, auch, dass er<br />
versetzt werden könnte, und auch, dass irgendwann<br />
ein Auslandseinsatz wahrscheinlich war. Aber<br />
denkt man, wenn man verliebt ist, an all das und<br />
daran, was das wirklich bedeutet? Doch als er nach<br />
und nach all die anstehenden Themen ansprach,<br />
war er positiv überrascht, wie ernsthaft und <strong>verantwortung</strong>sbewusst<br />
sie auf alles einging, ja sogar<br />
selbst noch manches ansprach, was er vergessen<br />
oder woran er selber gar nicht gedacht hatte. Er<br />
spürte, wie viel ihr an ihrer Partnerschaft lag,<br />
und so reifte in ihm der Entschluss, es zu wagen<br />
und ihr all seine persönlichen Dinge anzuvertrauen.<br />
Und eines Tages traf ihn fast der Schlag: Als er nach<br />
Hause kam, war sie schon da und legte ihm mehrere<br />
DIN-A4-Bögen vor. Darauf stand: Patientenverfügung.<br />
Erst wusste er gar nicht, was das bedeutete,<br />
aber er erinnerte sich, das Wort schon mal von<br />
Kameraden gehört zu haben. „Da führt kein Weg<br />
dran vorbei“, meinte sie liebevoll, „darüber müssen<br />
wir uns auch verständigen, auch wenn ich mit dir<br />
hoffe, dass wir das nie brauchen werden.“ Auch<br />
wenn er am liebsten manchmal den Kopf in den<br />
Sand gesteckt hätte oder fortgelaufen wäre, die konstruktive<br />
Art, mit der seine Partnerin die Themen<br />
anging, gab ihm Sicherheit, förderte sein Vertrauen<br />
und stärkte ihre Beziehung.<br />
15
Eine Erzählung<br />
Walter Back, geb. 1924:<br />
Mein Kriegseinsatz als Soldat.<br />
– „Meine Schuld!“<br />
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als Oberjäger und Bataillonsfunktruppführer der Fallschirmtruppe eingesetzt.<br />
Wir ruhten nach dem langen Nachtmarsch im Straßengraben<br />
etwas aus, um im Morgengrauen zum Angriff auf eine russische Stellung<br />
anzutreten. Der „Iwan“, wie wir die Russen nannten, hatte vor Kurzem<br />
eine Waldhöhe eingenommen, die wir jetzt wieder zurückerobern sollten.<br />
Eine Vierlingsflak (4,7-cm-Flugabwehrkanone) gab uns Schützenhilfe, während wir<br />
den Hang hinunter und dann wieder hinauf in den Wald stürmten. Als Funktruppführer<br />
hatte ich das Funkgerät mit etwa 20 kg Gewicht auf dem Rücken und konnte kaum<br />
Schritt halten. Vor dem Wald wuchsen dichte Büsche. Da wir nur etwa 20 Mann waren,<br />
rannten wir in einer aufgelösten Front durch diese Büsche in den Wald hinein. Wir sahen<br />
die Russen auf der anderen Seite den Hang hinunterrennen, zurück in ihre alte Stellung.<br />
Wir waren froh, dass uns ihre zuvor gebuddelten Schützenlöcher jetzt Schutz gaben vor<br />
dem Geschützhagel. Und der kam! Der Leutnant gab mir einen Befehl, den ich aber<br />
mitten im Wald nicht senden konnte, die Bäume schirmten alles ab. Ich musste zurück<br />
an den Waldrand und sprang aus meinem Loch, rannte an den Waldrand, um hier in ein<br />
anderes Loch zu springen, zögerte aber einen Augenblick, weil darin ein Toter lag. Das<br />
war genau der Augenblick zu lang.<br />
Ein Granatsplitter schmiss mich auf den Boden. Die rechte Schulter hat’s<br />
erwischt! Ich nahm das Gewehr von meinem Kameraden, der jetzt das<br />
Funkgerät zu tragen hatte, und rannte zurück durch die Büsche. In der<br />
Hand am schlaffen Arm hielt ich meine Pistole. Es war jetzt schon etwas<br />
dunkler geworden. Vor dem Wald brannte ein Heuhaufen und beleuchtete<br />
alles. Als ich so dachte, da könnte noch ein Russe im<br />
Gebüsch sein, stand der schon wirklich vor mir – mit erhobenen<br />
Händen! Ich drückte ab und der Soldat fiel in sich zusammen. Ich<br />
habe zu schnell reagiert! Habe ich ihn verwundet oder getötet?<br />
Ich weiß es nicht. Wie alt war er? Hatte er Frau und Kind? Ich<br />
weiß nichts von ihm. Nach einem kurzen Marsch kam ich in<br />
einem leeren Haus an und konnte auf einem Sofa schlafen. Es<br />
war die dunkelste und schrecklichste Nacht meines Lebens. Es<br />
war nicht der brennende Schmerz der Schulter, der mich<br />
nicht schlafen ließ. Es war der Schmerz des Bildes des Soldaten,<br />
der immer wieder aufstand, um gleich wieder in sich<br />
zusammenzufallen, und der auch später in vielen Nächten<br />
„auftauchte“! Und ich konnte doch nichts rückgängig<br />
machen. – Das war mein Krieg. Dieser verfluchte Krieg!<br />
In den Jahren danach hatte ich dieses außerordentliche Erlebnis<br />
„verdrängt“. Ich versuchte, nicht mehr dran zu denken. Doch auch<br />
über 60 Jahre danach „stand“ der Soldat immer wieder<br />
da und forderte mich auf zu bekennen, meine Schuld<br />
„herauszuarbeiten“.<br />
So reifte der Entschluss zu dieser Figur …<br />
Eine weitere Arbeit kam mir beim Schnitzen in den<br />
Sinn: „Die Vergebung“. Wie könnte ich „Vergebung“<br />
darstellen? Ich zeichnete den gleichen Soldaten als<br />
Toten, der mir zur Vergebung beide Hände entgegenstreckt.<br />
Auch diese Figur werde ich bald fertig geschnitzt<br />
haben.<br />
Foto: katkaak/sxc.hu Erst am 3. März 1945, also kurz vor Kriegsende, wurde ich an der Ostfront<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
aus: Manfred Häußler/Albrecht Rieder, Schuldig sein – frei werden<br />
von Schuld. Materialien ab Jahrgangsstufe 7 [= Deutscher Katecheten-Verein<br />
e.V. (Hg.), Materialbrief RU – Sekundarstufe, 1-09,<br />
Praxisbeilage der Katechetischen Blätter 2-09]. München: Kösel<br />
2009, S. 12-13<br />
17
18 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld www.katholische-militaerseelsorge.de www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld 19<br />
IM EINSATZLAND<br />
ANGEKOMMEN<br />
Nicht einfach, mit allem Neuen zurechtzukommen<br />
Foto: Mie Ahmt/istockphoto.com<br />
Einsatzsoldaten stehen vor großen Herausforderun-<br />
gen. Mit dem in der Vorbereitung Gelerntem, aber<br />
auch mit manchen privaten Sorgen „im Gepäck“<br />
müssen sie sich in kürzester Zeit auf ganz neue<br />
Lebensumstände einlassen und sich auf militärische<br />
Einsätze einstellen.<br />
Von Manfred Suermann<br />
Die Wochen der Einsatzvorbereitung<br />
lagen hinter ihm. Sie waren<br />
anstrengend. Mit was hatte er sich<br />
nicht alles auseinandersetzen müssen!<br />
Afghanistan, eine fremde Kultur,<br />
und dann der Islam. Mit<br />
Religion hatte er es ja bisher nicht so. Und dann die<br />
ganze militärische Vorbereitung. Seine Partnerin<br />
hatte er in dieser Zeit auch kaum gesehen, was<br />
allein schon schwer genug war. Der Kontakt zu seinen<br />
Freunden war mehr oder weniger ganz eingeschlafen,<br />
das setzte ihm zu. Ihm fehlte etwas.<br />
Aber jetzt war er seit ein paar Tagen angekommen.<br />
Die Welt zu Hause musste er jetzt hinter sich lassen,<br />
seine ganze Konzentration war jetzt hier erforderlich.<br />
Schnell stellte er fest, dass Handy und Internet<br />
bestens funktionierten, und so war er beruhigt, dass<br />
er problemlos Kontakt nach Hause halten konnte.<br />
Vieles hatte man ihm erzählt über das fremde Land,<br />
die karge Landschaft, das ungewohnte Klima, die<br />
Armut der Bevölkerung, das Leben im Lager, mit<br />
den Kameraden Tag und Nacht auf engstem Raum<br />
zusammen, die ständige Gefahr. Aber das alles nun<br />
am eigenen Leib zu erleben und mit eigenen Augen<br />
zu sehen, war doch noch mal was anderes. Die<br />
Wirklichkeit sieht dann eben doch anders aus, als<br />
sich dies vorab in der sicheren heimischen Umgebung<br />
erahnen lässt. Fremd waren die Eindrücke, die<br />
den Weg in die Unterkünfte säumten: zerschossene<br />
Gebäude, Kriegsschrott, in öden Landschaften einfach<br />
stehen gelassen, in Lumpen gekleidete Kinder,<br />
die verloren am Straßenrand spielten. Und eines<br />
musste er schnell begreifen: Jeder beladene Esel,<br />
jedes am Straßenrand geparkte Fahrzeug, jeder<br />
abgestellte Kanister kann die Deponie für einen<br />
Sprengsatz sein. Die Bedrohung ist immer da, jede<br />
Minute, rund um die Uhr, jeden Tag. Es gilt, seinen<br />
eigenen Weg zu finden, die Konfrontation mit Entbehrung,<br />
Verwüstung, Gewalt, Verletzung und auch<br />
Tod zu bewältigen.<br />
Gleich bei seinem Eintreffen bekam er mit, dass erst<br />
zwei Tage zuvor eine Patrouille aus deutschen und<br />
afghanischen Soldaten angegriffen und in einen<br />
Schusswechsel verwickelt worden war. Ein afghanischer<br />
Soldat wurde dabei verletzt. Was aber für<br />
besonderen Gesprächsstoff sorgte, war die Tatsache,<br />
dass die afghanischen Soldaten flohen, während die<br />
deutschen Soldaten unter Einsatz ihres Lebens dem<br />
afghanischen Soldaten das Leben retteten. So bekam<br />
er gleich einen Vorgeschmack darauf, was auf ihn<br />
zukommen könnte; schließlich war er Zugführer. Wie<br />
würden wohl seine ihm unterstellten Soldaten mit<br />
solch einer Situation umgehen?<br />
Er spürte, wie die stete Gefahrenlage ihn langsam<br />
unter Stress setzte, und er lernte, mit der Angst als<br />
ständigem Begleiter zu leben. Seine tägliche Ausrüstung<br />
wies ihn darauf hin: Splitterschutzweste,<br />
Gefechtshelm, eine Waffe stets griff- und schussbereit.<br />
Er ahnte, dass es notwendig, ja überlebensnotwendig<br />
sei, eine Portion Angst zu haben, sonst<br />
könnte ihm Leichtsinn schnell zum Verhängnis werden.<br />
Dazwischen immer wieder Telefonate mit seiner<br />
Partnerin zu Hause. Nach und nach wurde ihm<br />
schmerzlich bewusst, dass sie alles, was sie unternahm,<br />
ohne ihn tat. Das verunsicherte ihn, machte<br />
ihm Angst. Spielte er in ihrem Leben überhaupt
20 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
noch eine Rolle? Andererseits, sie hatte beruflichen<br />
Stress und wollte seinen Rat. Das beruhigte ihn<br />
wiederum. „So ganz unwichtig bin ich also doch<br />
nicht für sie“, dachte er bei sich.<br />
Irgendwann bekam sein Zug den Auftrag „Minesweep“.<br />
Ein EOD-Trupp („Explosive Ordnance Disposal“<br />
= Kampfmittelräumdienst) klärte zwei<br />
Kilometer vor Pol-e Khomri auf. Der Zug hatte den<br />
Auftrag, die Kräfte zu sichern. Plötzlich knallte es,<br />
die EOD-Kräfte gerieten unter Beschuss. Der MG-<br />
Schütze, Hauptgefreiter Schulze, identifizierte durch<br />
seine Zieloptik drei Angreifer, die er sofort<br />
bekämpfte. Die Feuerstöße lagen gut im Ziel; er sah,<br />
wie zwei zusammenbrachen, einer sprang gerade<br />
noch in Deckung. – „Zum Glück“, sagte er sich<br />
nachher, „wurde keiner meiner Männer verletzt.“<br />
Doch am Tag darauf bemerkte er, dass der MG-<br />
Schütze ungewohnt und auffällig schweigsam in<br />
sich versunken war. Nach einigem Zögern sprach er<br />
ihn an und erfuhr, dass dieser sich mit Schuldgefühlen<br />
herumquälte. Für den Abend, nach Dienstschluss,<br />
verabredete er sich mit ihm zum Gespräch.<br />
Es wurde ein langes Gespräch.<br />
Von einem Kameraden erfuhr er, dass sich dessen<br />
Frau von ihm getrennt hatte und mit den Kindern aus<br />
der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Ohn-<br />
mächtig hatte dieser es nur zur Kenntnis nehmen<br />
können. Bestürzt nahm er wahr, dass sich bei dem<br />
Kameraden in seine Trauer und Verzweiflung auch<br />
Wut über den Auslandseinsatz mischte. „Und wenn<br />
mir Gleiches widerfährt?“, schoss es ihm durch den<br />
Kopf. Es war ihm nicht wohl, als er wie verabredet am<br />
nächsten Tag das Handy in die Hand nahm. Aber<br />
schon nach den ersten Sätzen war er beruhigt.<br />
Er und seine Männer hatten reichlich zu tun. Langeweile?<br />
Fehlanzeige. Sie hatten sich, soweit es eben<br />
ging, gut eingelebt und an fast alles gewöhnt.<br />
Schließlich waren ja inzwischen auch etliche<br />
Wochen ins Land gegangen. Mehr als die Hälfte der<br />
Zeit war vorbei. Das Ende kam in Sichtweite.<br />
Eines Morgens erreichte sie ein neuer Auftrag: wieder<br />
mal Patrouillenfahrt zur Polizeistation im Distrikt.<br />
Kurz vor der Stadt kam der Trupp an den ersten<br />
Gehöften vorbei. Plötzlich knallte es. MG-Feuer!<br />
Unverzüglich befahl er: „Durchstoßen!“ Der Dingo<br />
beschleunigte, das Feuer wurde sofort erwidert. „Gut<br />
gemacht, Männer! Noch mal Glück gehabt“, sagte<br />
er, als sie wenig später ihr Ziel erreicht hatten und<br />
abgesessen waren. – Doch ein paar Stunden später<br />
erreichte sie die Nachricht, dass bei diesem Gefecht<br />
zwei Kinder getötet worden waren. Der Schock saß<br />
tief. Wie konnte das geschehen? Hatte die keiner<br />
gesehen? Oder war es etwa einem seiner Männer<br />
Foto: GYI NSEA/istockphoto.com<br />
Freund oder Feind?<br />
Angreifer mischen sich gern<br />
unter die Zivilbevölkerung.<br />
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egal gewesen? Das konnte er sich nicht vorstellen.<br />
Kinder sind ja nun wirklich nicht schuld an diesem<br />
Krieg! Hatte er etwas falsch gemacht? Er wusste,<br />
dass sich die Angreifer gerne unter die Zivilbevölkerung<br />
mischen, weil sie wussten, dass sie da nicht<br />
angegriffen würden; aber war das hier auch der Fall<br />
gewesen? Jetzt war er es, der sich mit heftigen<br />
Schuldgefühlen herumschlug. „Ich hatte doch gar<br />
keine Zeit, die Lage zu sondieren“, versuchte er sich<br />
zu rechtfertigen. Aber das beruhigte ihn nicht. Und<br />
jeden Augenblick konnte er zwecks Berichterstattung<br />
zum Kommandeur gerufen werden. Er spürte,<br />
dass er jetzt ein Problem hatte, zumindest ein<br />
moralisches, vielleicht aber auch ein juristisches.<br />
Die Tage vergingen. Viel Zeit zum Nachdenken blieb<br />
nicht. Nur nachts lag er jetzt häufiger wach in seinem<br />
Bett und kam dann aus dem Grübeln kaum<br />
mehr heraus. Sein Kontingent rüstete sich zum<br />
Rückflug. Endlich! Seine Gedanken wanderten jetzt<br />
öfter wieder nach Hause. War dort alles beim Alten<br />
geblieben? Konnte alles so weitergehen wie bisher?<br />
War seine Partnerin noch „die Alte“? War er<br />
selber noch „der Alte“? Er war sich unsicher. Er<br />
hatte während des Einsatzes neue Freunde gewonnen,<br />
was bedeuteten ihm nun noch die alten? Als<br />
er schließlich in die Maschine stieg, mischte sich in<br />
seine Vorfreude auch ziemlich viel Skepsis.<br />
Foto: Terry Moore/Stocktrek Images/gettyimages.com
VERANTWORTUNG<br />
IM MILITÄRISCHEN<br />
EINSATZ Auslandseinsätze<br />
bringen – besonders<br />
bei Kampfeinsätzen – nicht nur eine<br />
Gefährdung für Leib und Leben mit<br />
sich. Soldaten werden immer wieder<br />
auch mit Extremsituationen konfron-<br />
tiert, die von ihnen eine verantwor-<br />
tungsvolle Entscheidung* verlangen.<br />
Foto: AFP/gettyimages.com<br />
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Verantwortung hat immer einen<br />
Bezug zu einer Lebenssituation<br />
bzw. zu einem oder mehreren<br />
Menschen. „Verantwortung ist<br />
immer konkret“, schrieb der Philosoph<br />
Karl Jaspers, „sie hat einen<br />
Namen, eine Adresse und eine Hausnummer.“<br />
Verantwortung ist somit kein abstrakter Begriff.<br />
Sie hat vielmehr ein Gesicht.<br />
Dem ursprünglichen Wortsinn nach verweist Verantwortung<br />
auf die Situation vor Gericht: Der<br />
Angeklagte wird hier zur Verantwortung gezogen,<br />
er muss Rechenschaft ablegen über sein Handeln,<br />
eine Straftat wie Diebstahl z. B., die er an einem<br />
anderen begangen hat. Und er ist angeklagt, weil<br />
das Gesetz Diebstahl verbietet und ahndet und<br />
weil gegen die moralische Norm „Du sollst nicht<br />
stehlen!“ verstoßen wurde.<br />
Verantwortung ist also eine Beziehungsgröße. Zu<br />
fragen ist deshalb: Wer (= Täter) ist für was (= Tat)<br />
gegenüber wem (= Opfer oder Geschädigter) oder<br />
für wen (= z. B. Untergebener) vor welcher Instanz<br />
(= Gericht, Gewissen) im Blick auf welches Normensystem<br />
(= Gesetz, Moral) verantwortlich? Verantwortung<br />
hat also viele verschiedene<br />
Beziehungsebenen.<br />
Vor Gericht muss sich jemand für eine Tat bzw. für<br />
ein Handeln in der Vergangenheit verantworten.<br />
Da ist aber das Kind schon in den Brunnen gefallen<br />
– die Tat ist nicht mehr rückgängig zu machen.<br />
Das ist die eine Seite der Verantwortung. Die<br />
andere ist: Jemand soll sich in dieser oder jener<br />
Lebenssituation seiner Verantwortung stellen, verantwortlich<br />
handeln. Das betrifft die Gegenwart<br />
oder Zukunft. Und dies richtet sich vor allem an<br />
den Einsatzsoldaten.<br />
*siehe die Beispiele im Unterrichtsmaterial<br />
Das klingt alles sehr abstrakt, soll aber im Folgenden<br />
konkretisiert werden. Bereits in der langen<br />
Zeit einer Einsatzvorbereitung gilt es, Verantwortung<br />
zu erkennen und sie wahrzunehmen: Wer erledigt<br />
während meiner Abwesenheit meine<br />
Angelegenheiten? Braucht jemand meine Kontovollmacht?<br />
Was sollte ich mit den mir Nahestehenden<br />
regeln? Wer öffnet meine Post? Wem kann ich<br />
den Aufbewahrungsort meiner persönlichen Dokumente<br />
anvertrauen? Wer all dies ungeregelt lässt,<br />
kommt zwar nicht vor Gericht, um sich dort zu verantworten,<br />
aber verantwortliches Handeln schaut<br />
trotzdem anders aus.<br />
Im Einsatzland selber hat der Einzelne zunächst<br />
einmal eine Verantwortung für sich selber, indem<br />
er gut für sich zu sorgen lernt: Was hilft mir zu<br />
entspannen, das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten?<br />
Welche Erwartungen habe ich an mich,<br />
mit der neuen Situation und den auf mich zukommenden<br />
Belastungen fertig zu werden, und erwarte<br />
ich von mir nicht zu viel? Tun mir Rückzugsorte<br />
gut, um auch mal allein zu sein, z. B. in der Kapelle<br />
der <strong>Militärseelsorge</strong>? Bringe ich den Mut auf,<br />
mich jemandem anzuvertrauen, wenn mir etwas<br />
über den Kopf wächst?<br />
Zur Verantwortung gehört aber auch, ein Auge für<br />
seine Kameraden zu haben, um zu erkennen,<br />
wenn jemand in Schwierigkeiten ist. Wohl jeder<br />
kennt den Spruch: „Was du nicht willst, das man<br />
dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Oder man<br />
kann es auch positiv ausdrücken: „Behandle<br />
andere so, wie du von ihnen behandelt werden<br />
möchtest!“ Möchte man nicht, wenn es einem<br />
selber „dreckig“ geht, dass jemand für einen da<br />
ist? Wenn sich alle nach dieser „goldenen Regel“<br />
richten würden, wäre vieles leichter.<br />
Besonders relevant wird Verantwortung bei<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
„FÜHREN NACH AUFTRAG“ UND DAS PROBLEM DER<br />
RICHTIGEN ENTSCHEIDUNG<br />
Von Manfred Suermann<br />
Kampfhandlungen. Da muss mitunter in Sekundenschnelle<br />
entschieden werden, und das ist oft<br />
eine Entscheidung über Leben und Tod, nicht nur<br />
über das eigene Leben oder das Leben der untergebenen<br />
Soldaten, sondern auch der Angreifer<br />
oder gar unschuldiger Zivilisten. Ob Mannschaftsdienstgrad<br />
oder Zugführer, ob Kommandeur oder<br />
Hubschrauberpilot – jeder hat an seinem Platz<br />
eine je eigene Verantwortung, von der er sich<br />
nicht freimachen kann. Verantwortliches Handeln<br />
in militärischen Konfliktsituationen setzt Reflexionsvermögen<br />
voraus und orientiert sich an ethischen<br />
Standards. Zu diesen zählt z. B.<br />
die Pflicht, das Leben der untergebenen Soldaten<br />
nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen,<br />
die Pflicht, die Zivilbevölkerung in höchstmöglichem<br />
Maße zu schonen und keine „Unschuldigen“<br />
zu töten,<br />
die Pflicht, Gefangene nach den Maßstäben der<br />
Genfer Konvention zu behandeln und somit vor<br />
allem nicht zu töten,<br />
die Pflicht, jeglichem Machtmissbrauch sowohl<br />
gegenüber Untergebenen wie auch gegenüber der<br />
Zivilbevölkerung oder gefangenen Kämpfern zu<br />
widerstehen.<br />
Diese Normen haben unmittelbare Auswirkungen<br />
auf bestimmte militärische Möglichkeiten. So würden<br />
z. B. Streubomben gegen sie verstoßen und<br />
sind somit verboten.<br />
Konflikt- und Kampfsituationen, ob im Kosovo,<br />
Afghanistan oder anderswo, sind nicht immer<br />
gleich und fordern so immer wieder neu zu richtigem<br />
Entscheiden und verantwortlichem Handeln<br />
auf. Es bleibt dann nicht aus, dass manchmal auch<br />
falsch entschieden wird, sodass z. B. doch<br />
Unschuldige ums Leben kommen. Und dann steht<br />
die Frage nach der Schuld unmittelbar im Raum.<br />
<br />
23
24 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld www.katholische-militaerseelsorge.de www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld 25<br />
Manchmal muss man – auch, aber nicht nur<br />
in Kampfeinsätzen – binnen Sekunden weit-<br />
reichende Entscheidungenfällen. Wie schnell<br />
kann es da passieren – vielleicht aus Angst um<br />
das eigene Leben –, genau das Falsche zu tun?<br />
Mettelsiefen/gettyimages.com<br />
J.<br />
Kinder schenken Vertrauen – und<br />
Marcel<br />
haben Anspruch auf Schutz. Foto:<br />
Wenn ich die<br />
falsche Entscheidung<br />
getroffen habe<br />
ÜBER DAS RISIKO, IM EINSATZ SCHULDIG ZU WERDEN<br />
Von Manfred Suermann<br />
Wie schnell ein/e Soldat/in in Schuld – moralisch und<br />
manchmal sogar juristisch – geraten kann, soll an<br />
einem Beispiel verdeutlicht werden.<br />
Dem Zugang zum Lager Warehouse in Kabul<br />
nähert sich ein junger Afghane, der eine<br />
Handgranate hält. Der Posten auf dem danebenstehenden<br />
Wachturm bringt seine Waffe in Anschlag …<br />
Die Sachlage ist klar: Neben seinem Auftrag sieht der Wachsoldat sich auch<br />
einer ganz persönlichen Gefährdung gegenüber. Diese Gefährdung tritt in der<br />
Person eines Kindes auf ihn zu. Der Soldat stellt sich nun möglicherweise vor,<br />
dass Kinder – wie in anderen Fällen Frauen oder alte Leute – vorgeschickt<br />
werden, weil die Angreifer erwarten, dass dann nicht geschossen werde: Sie<br />
setzen also Menschen als Mittel zum Zweck ein, weil menschliches Leben bei<br />
ihnen weniger Wert hat, als es unseren Überzeugungen entspricht. Also<br />
bleibt der Soldat auf alles gefasst.<br />
… Der Posten gibt keinen Schuss ab. Es wird bald deutlich, dass<br />
die Handgranate gegen Lebensmittel eingetauscht werden soll.<br />
Der Posten verweigert dies, schließlich legt der Junge die Handgranate<br />
neben dem Lagerzugang ab und verschwindet. Die Handgranate<br />
wird später vom EOD-Trupp („Explosive Ordnance<br />
Disposal“ = Kampfmittelräumdienst) gesprengt.<br />
Noch mal Glück gehabt, möchte man sagen. Denn wie hätte sich die Situation<br />
wohl entwickelt, wenn der Soldat nicht die wirklichen Absichten des<br />
Jungen erkannt hätte oder – noch schlimmer – wenn der Junge die Handgra-<br />
nate ins Lager oder auf den Wachsoldaten geworfen hätte? Hätte der Wachsoldat<br />
geschossen, zuerst den Warnschuss, aber dann …? Schuld wächst<br />
dann, wenn ich jemandem etwas schulde oder etwas schuldig bleibe, etwas,<br />
was ihm zusteht, worauf er einen berechtigten Anspruch hat. Wachsoldaten<br />
schulden ihren Kameraden, die im Lager oder einer Kaserne leben, dass sie<br />
geschützt werden; zugleich haben Wachsoldaten für die Sicherheit des militärischen<br />
Bereiches einschließlich des Materials zu sorgen. Das schulden sie<br />
ihrem Dienstherrn. Der Wachsoldat in unserem Fall schuldet aber dem jungen<br />
Afghanen, dass er ihm sein Leben lässt, einfach weil er Mensch ist und einen<br />
berechtigten Anspruch auf sein Leben hat. Das gilt aber nicht absolut, wie<br />
folgendes Beispiel zeigt:<br />
Die zur Bewachung eines Lagers in Afghanistan eingesetzten<br />
Sicherungssoldaten haben den Auftrag, Eindringversuche in das<br />
Lager in Übereinstimmung mit den „rules of engagement“ notfalls<br />
unter Anwendung von Waffengewalt abzuwehren. In der Nacht<br />
versuchen zwei Afghanen, nahe dem Betriebsstoffdepot in das<br />
Lager einzudringen. Nach Abgabe von Warnschüssen zieht sich<br />
ein Afghane zurück. Der zweite Afghane setzt seinen Eindringversuch<br />
fort. Weitere Schüsse werden abgegeben, dabei wird der<br />
Afghane tödlich getroffen. In der Folge gibt es keine weiteren<br />
Eindringversuche in das Lager.<br />
Dem Wachsoldaten ist keine Schuld zuzuweisen. Das gilt es, objektiv festzuhalten.<br />
Er hat im Bewusstsein seiner hohen Verantwortung richtig gehandelt, ihm<br />
ist kein Vorwurf zu machen. Dennoch ist ein Mensch ums Leben gekommen,<br />
was trotz aller Objektivität Schuldgefühle hervorrufen kann.
Alles wird<br />
gut!<br />
Foto: Mike Zimmermann<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld<br />
ES SIND DIE KLEINEN DINGE, AN DIE MAN SICH<br />
KLAMMERT, WENN MAN DAS GEFÜHL HAT,<br />
DASS ES ZU ENDE GEHT.<br />
Von Mike Zimmermann<br />
„Wir vertrauen dir, wir folgen dir,<br />
aber bitte hol uns hier raus“<br />
Feuer, Feuer, Feuer, Stellungen halten<br />
und Feind vernichten. Alles wird gut.“<br />
Immer wieder gebe ich diesen Befehl.<br />
Sage ihn persönlich oder gebe ihn per<br />
Funk weiter, damit alle Soldaten und<br />
Führer wissen, dass ihr Kompaniechef<br />
noch da ist. Alle können mich nicht sehen, da wir<br />
auf einer Länge von über 500 Metern in<br />
einen Hinterhalt der Taliban geraten sind.<br />
Aber die, die mich sehen können, schauen<br />
mich immer wieder an. Es sind diese Blicke,<br />
die einem sagen: „Wir vertrauen<br />
dir, wir folgen dir, aber bitte<br />
hol uns hier raus.“ Diese Blicke,<br />
diese Angst, diese Hoffnung und dieser<br />
Mut meiner Männer und Frauen<br />
zeigen mir, dass ich bei klarem Verstand<br />
sein muss, um die richtigen<br />
Entscheidungen zu treffen. Nur, was<br />
ist richtig? Was ist gut oder schlecht?<br />
Sollen wir weiter verteidigen? Sollen wir angreifen<br />
oder sollen wir, sobald die Lage es wieder hergibt,<br />
so schnell wie möglich ausweichen?<br />
Gedanken, Nachdenken, Funken, Mut machen,<br />
Hoffnung geben und immer wieder Nachdenken<br />
– dies beschäftigt mich pausenlos. Ich gebe an<br />
diesem Tag, so wie während meines ganzen Einsatzes,<br />
nicht einen Schuss mit meinem Gewehr ab,<br />
aber ich führe, koordiniere, plane, organisiere,<br />
melde und funke von links nach rechts und von<br />
oben nach unten. Alles muss gleichzeitig und<br />
schnell gehen. So hatte ich es gelernt. Ist es doch<br />
das, was von mir verlangt wird. Ist es doch das,<br />
was in der Aufgabenbeschreibung eines Kompaniechefs<br />
steht: seine Kompanie im Gefecht zu führen.<br />
Wir befanden uns mittlerweile seit mehr als<br />
zwei Stunden im Feuerkampf und es sollte mindestens<br />
noch einmal doppelt so lange gehen. Im<br />
„Ein Plan ist nur so lange gut, bis<br />
der erste Schuss fällt“<br />
Nachhinein titelte die Bildzeitung, dass es das<br />
schwerste Feuergefecht seit Monaten war. Kaufen<br />
kann man sich davon nichts. Lag es doch an mir,<br />
dies eigentlich zu verhindern. Hatte ich doch wie<br />
immer alles versucht, vorauszuplanen, jede Kleinigkeit<br />
einzuberechnen, jede Individualität zu<br />
berücksichtigen, hatte meine Spezialisten befragt,<br />
ob das so funktionieren könnte, ob sie Ideen hätten<br />
oder Anmerkungen, meine Männer eingewiesen<br />
und wieder gefragt, ob das so ginge. Heute<br />
weiß ich: Man könnte Wochen damit verbringen<br />
und es würde doch alles anders kommen.<br />
Wie heißt es doch so schön: „Ein Plan ist nur so<br />
lange gut, bis der erste Schuss fällt“, aber ich<br />
wollte das Bestmögliche für meine Männer tun.<br />
Ich bin kein Heißsporn, kein Rambotyp, welcher<br />
nach Ruhm, Ehre und Orden strebt. Ich bin Famili-<br />
27
envater und habe Verantwortung und diese ist<br />
stellenweise so groß, dass keiner es sich vorstellen<br />
kann, was dies heißt. Verantwortung ist unteilbar.<br />
Ich will sie gar nicht teilen. Nur macht Verantwortung<br />
auch einsam und die Luft wird stellenweise<br />
sehr dünn. Wer motiviert<br />
eigentlich den Motivator?<br />
Wohin kann er gehen? Woher<br />
bekommt er seine Kraft?<br />
Ich liege mittlerweile hinter<br />
meinen vorderen Fahrzeugreifen, um etwas<br />
Deckung zu bekommen. Ins Fahrzeug hinein<br />
komme ich schon seit Stunden nicht, da dieses<br />
ununterbrochen beschossen wird. Also lasse ich<br />
mir die beiden Funkgeräte durch die Fahrertür<br />
nach unten reichen und da ist plötzlich diese Meldung:<br />
„Delta 1, Munition bei 80 Prozent und ein<br />
Verwundeter.“ „Scheiße“, sage ich zu meinem<br />
Funker, welcher seit Beginn des Feuergefechtes<br />
nicht von meiner Seite gewichen ist und pausenlos<br />
das Feuer des Feindes erwidert. Ich frage nach,<br />
wer der Verwundete sei, welche Verletzung er<br />
habe und wie wir ihn bergen könnten. Aus dem<br />
Augenwinkel sehe ich, wie der Doc bereits alles<br />
vorbereitet. Ich frage beim Zugführer nach, aber<br />
auch dieser weiß noch nicht so genau, was passiert<br />
ist. Chaos macht sich langsam in meinem<br />
Kopf breit, und dann kommt dieser erlösende<br />
Funkspruch: „Delta 1, Munition bei 80 Prozent,<br />
keine Verwundeten, ich wiederhole, keine Verwundeten.“<br />
Ich schaue zum Himmel und sage:<br />
„Danke.“<br />
Seit diesem Tag meldeten alle nur noch den Verbrauch<br />
der Munition und dabei sollte es auch bleiben.<br />
Ich habe alle Soldaten mit nach Hause<br />
gebracht. Wir hatten keine Verwundeten oder<br />
Gefallenen. Nur leider ist nicht jeder so zurückgekehrt,<br />
wie er nach Afghanistan gegangen ist. Wir<br />
haben alle etwas von uns da gelassen und einige<br />
kämpfen heute noch damit. Wir sind alt geworden.<br />
Ich bin mit 21-jährigen Jungs in den Krieg<br />
gegangen und mit 21-jährigen Männern nach<br />
„Hilf uns!“<br />
Wer motiviert eigentlich<br />
den Motivator?<br />
Hause gekommen. Viele sind zu schnell gealtert.<br />
Die Kompanie befindet sich immer noch im Hinterhalt<br />
und der Feind greift mittlerweile von allen<br />
Seiten an. Dabei ist dieser zeitweise – unerkennbar,<br />
weil gut gedeckt – schon bis auf drei Meter<br />
an uns herangekommen und<br />
schießt mit allem, was er hat.<br />
Erst versucht er es mit<br />
Gewehrschüssen und Panzerfäusten<br />
und am Ende schlägt<br />
15 Meter hinter uns noch eine<br />
BM-1-Rakete ein. Pausenlos werden wir beschossen<br />
und endlos scheint die Munition des Feindes<br />
zu sein. Endlos sind auch meine Gedanken an diesem<br />
Tag und noch lange danach, stellenweise<br />
auch heute noch. Ich ertappe mich bei dem<br />
Gedanken, dass ich doch in fünf Tagen Geburtstag<br />
habe und dass ich Angst habe zu sterben. Aber es<br />
ist nur ein kurzer Augenblick. Ich habe keine Zeit,<br />
jetzt über so etwas nachzudenken. Was sollte es<br />
auch nützen. Ich schaue wieder in den Himmel,<br />
sage nur noch „Hilf uns!“ und mache weiter, im<br />
Vertrauen darauf, dass alles gut werden wird.<br />
Es war nicht das erste Feuergefecht, in dem wir<br />
standen. Meine Kompanie hatte sich schon in den<br />
unterschiedlichsten<br />
Regionen und<br />
„Warum nicht, Herr Hauptmann,<br />
sollen lieber wir sterben?“<br />
Situationen<br />
bewährt. Es war<br />
auch nicht das<br />
längste oder heftigsteFeuergefecht<br />
in unserem Zeitraum.Es waren dieser Wille<br />
des Feindes und diese ausweglose Situation, die<br />
dieses Gefecht für mich an diesem Tag so einzigartig<br />
machten. Wir konnten nach einiger Zeit die<br />
Hauptkampfstellung des Feindes ausmachen und<br />
ich ließ den Mörser grob in diese Richtung die<br />
Bodenplatte festschießen, sodass ich schnellstmöglich<br />
reagieren konnte. Kurze Zeit darauf sah<br />
ich auch schon die Leucht- und Rauchsignale am<br />
Himmel und ich wusste, dass der Mörser nun<br />
bereit sein musste. Die Stellung lag circa 900 bis<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de www.katholische-militaerseelsorge.de zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld 29<br />
1200 Meter ostwärts von uns, am anderen Flussufer.<br />
Aus dieser Stellung konnte uns der Feind auch<br />
komplett einsehen und jede Bewegung an die<br />
anderen Gruppen melden. Mit dem Mörser wollte<br />
ich auf die feindliche Stellung schießen, um mich<br />
vom Feind lösen zu können.<br />
Plötzlich meldet der Beobachtungsoffizier, welcher<br />
sich auf der anderen Seite des Flusses auf einem<br />
Hügel befindet, dass sich Frauen und Kinder in der<br />
Nähe der Kämpfer aufhielten. Ich frage ihn, ob er<br />
genau einsehen könne, ob sie sich aktiv beteiligten<br />
oder vom Feind benutzt würden, damit wir<br />
nicht auf ihn schössen. Beides war uns seit Längerem<br />
bekannt und der Feind kannte unsere Einsatzgrundsätze.<br />
Doch er kann es nicht mit<br />
hundertprozentiger Sicherheit sagen und so entschließe<br />
ich mich, erst einmal nicht zu feuern.<br />
Ich blicke in die Gesichter meiner Männer, welche<br />
mich fragend ansehen ... „Warum nicht, Herr<br />
Hauptmann, sollen lieber wir sterben?“ Ich versuche<br />
ihnen zu versichern, dass ich alles tun<br />
werde, was in meiner Macht stünde, uns alle<br />
lebend hier rauszubekommen, dass aber auch<br />
andere dieses Recht hätten. Das Recht zu leben.<br />
Auch wenn ich<br />
stellenweise selbst<br />
nicht mehr daran<br />
geglaubt habe,<br />
aber sie verstehen<br />
es, auch wenn es<br />
ihnen anfangs<br />
schwerfällt. Sollte ich also Frauen und Kinder schützen<br />
und meine Männer opfern oder sollte ich Frauen<br />
und Kinder opfern, um meine Männer zu schützen?<br />
Hätte ich an diesem Tage gewusst, dass ich fast<br />
genau auf den Tag einen Monat später in meinem<br />
Fahrzeug angesprengt werden würde, und zwar vermutlich<br />
von genau denselben Männern, die uns an<br />
diesem Tag beschossen, dann hätte ich wahrscheinlich<br />
nicht gezögert. Aber wir sind, was wir sind, und<br />
treffen unsere Entscheidungen, ohne zu wissen, was<br />
die Zukunft bringen wird. Später können wir mithilfe<br />
Fotos: Mike Zimmermann; Herbert Orth/TIME & LIFE Images/gettyimages.com<br />
zweier gezielter 500-Pfund-Bomben, welche wir<br />
zwischen uns und dem Feind zum Einsatz gebracht<br />
haben, ausweichen. Ein liegen gebliebenes Fahrzeug<br />
haben wir ebenfalls durch solch eine Bombe<br />
zerstören müssen. Kurze Zeit danach stehen wir<br />
schon wieder im Feuerkampf. Der Feind hatte<br />
einen Folgehinterhalt angelegt und irgendwie<br />
scheint es, als gehe dieser Tag nicht zu Ende. Er<br />
sollte uns weit mehr als 16 Stunden mit Feuerkämpfen,<br />
Hinterhalten und Suchen nach IED<br />
(Improvised Explosive Device = unkonventionelle<br />
Spreg- und Brandvorrichtung) beschäftigen, aber<br />
auch danach ist für die meisten dieser Tag noch<br />
nicht beendet. Einige durchleben oder denken<br />
immer noch an diese Stunden. Viele feiern ihren<br />
zweiten Geburtstag an diesem Tag oder haben<br />
sich das Datum auf den Körper tätowiert, um<br />
daran erinnert zu werden, dass das Leben kostbar<br />
ist und man keine Sekunde verschenken sollte, da<br />
es schneller zu Ende sein kann, als man denkt.<br />
Kurze Zeit später hielt der Pfarrer einen Feldgottesdienst<br />
extra für uns ab und fast alle Soldaten,<br />
welche an diesem Feuergefecht beteiligt gewesen<br />
waren, nahmen daran teil und nahmen sich am<br />
Ende eine Christophorusplakette mit. Einer meiner<br />
Soldaten sagte an diesem Abend: „Es sind die<br />
kleinen Dinge, an die man sich klammert, wenn<br />
man das Gefühl hat, dass es zu Ende geht“, und<br />
steckte sich gleich zwei Plaketten ein. Eine in die<br />
linke und eine in die rechte Hosentasche; er sollte<br />
Unter dem Schutz des Heiligen<br />
Christophorus wissen gläubige<br />
Sodatinnen und Soldaten<br />
sich durch alle Untiefen ihres<br />
Einsatzes getragen.<br />
sie bis Einsatzende immer dabeihaben. Genau<br />
deshalb bin ich stolz auf meine Männer. Auch<br />
wenn sie kurzzeitig Groll hegten und sich am liebsten<br />
das eine oder andere Mal rächen wollten,<br />
kamen sie nach einer langen ruhigen Nacht und<br />
vielen Gesprächen am Tage darauf immer wieder zu<br />
derselben Erkenntnis, dass man Gleiches nicht mit<br />
Gleichem vergelten soll und dass man nach vorne<br />
blicken muss. Auch ich habe meine Plakette noch<br />
und gerade heute erscheint sie mir wichtiger denn<br />
je. Erinnert sie mich doch an diesen Tag und daran,<br />
dass das Leben endlich ist. „Alles wird gut“, sagte<br />
ich immer zu meinen Männern und Frauen, bevor<br />
wir aus dem Lager fuhren, und am Ende sollte<br />
tatsächlich alles gut werden.
30 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld | Unterrichtsmaterial<br />
Materialteil zum<br />
Lebenskundlichen Unterricht<br />
zum Thema, Ausgabe 2.2012<br />
Einsatzbelastung,<br />
Verantwortung und Schuld<br />
Pflichtenkollision (Pflicht gegen Pflicht): Risikoabwägung<br />
Die deutsche Besatzung eines in Afghanistan eingesetzten<br />
Hubschraubers erhält den Auftrag, zwei schwer verletzte<br />
deutsche Soldaten in der Nähe von Kunduz auszufliegen.<br />
Kurz nach der Landung gelingt es noch, den ersten Verletzten<br />
an Bord der Maschine zu nehmen, aber die Bergung des<br />
zweiten deutschen Soldaten gerät in Schwierigkeiten und<br />
verzögert sich. In der Zwischenzeit wird die Maschine von<br />
einer aggressiven und teilweise bewaffneten Menschenmenge<br />
massiv bedroht; der Hubschrauber wird zunächst mit Steinen<br />
beworfen und zusehends beschädigt.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Situation ist es unausweichlich,<br />
dass der Luftfahrzeugführer eine Entscheidung trifft: Entweder<br />
Notieren Sie einige Aspekte, die der Flugfahrzeugführer bei seiner<br />
Entscheidung zu berücksichtigen haben wird:<br />
er gibt sofort den Befehl zum Starten, um so der Gefahr zu<br />
entgehen, dass der Hubschrauber flugunfähig wird. Dies<br />
bedeutet, dass der zweite deutsche Soldat zurückgelassen<br />
werden müsste.<br />
Oder soll unter Inkaufnahme des Risikos für die Flugsicherheit<br />
und die Sicherheit der Besatzung noch gewartet werden?<br />
Es besteht die nicht unbegründete Gefahr, dass dabei<br />
letztlich alle Insassen ums Leben kommen könnten. Der Luftfahrzeugführer<br />
muss eine Entscheidung treffen. Was hat er<br />
zu bedenken? Wie leicht oder wie schwer wird ihm die Entscheidung<br />
fallen?<br />
Gewissenskonflikt und goldene Regel<br />
Kerstin (21) ist schwanger. Ihr Freund, der Bundeswehrsoldat<br />
ist und vor einem Auslandseinsatz steht, reagiert entsetzt, als<br />
sie es ihm sagt. Er versucht, ihr die Schuld zuzuschieben und<br />
sich aus der Affäre zu ziehen. Eine Freundin spricht aus, was<br />
viele andere denken: „Das lässt du doch wegmachen. Ist doch<br />
heute kein Problem mehr.“ Kerstin denkt an ihre berufliche<br />
Situation und fragt sich, ob und wie sie ihre Ausbildung<br />
abschließen kann. Sie denkt an ihren Freund, der nicht Vater<br />
Die sogenannte goldene Regel besagt:<br />
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“<br />
Oder positiv ausgedrückt:<br />
„Behandle andere so, wie du selber behandelt werden möchtest!“<br />
Was könnte diese Regel für jede einzelne Person in diesem Beispiel bedeuten?<br />
für die junge Frau:<br />
für den Bundeswehrsoldaten:<br />
für die Freundin:<br />
für die Eltern der jungen Frau:<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
sein will. Sie denkt an ihre Eltern, die zwar verständnisvoll<br />
sind, aber voraussichtlich durch das Kind zeitlich und finanziell<br />
sehr beansprucht werden. Sie denkt an ihre Freundinnen<br />
und Bekannten, die viel mehr Freiheit haben werden als sie<br />
selbst. Und immer wieder denkt sie an das Kind. Dann sagt<br />
sie: „Nein, ich kann das nicht tun, was so viele erwarten. Ich<br />
hätte nie mehr ein reines Gewissen. Ich behalte mein Kind.“<br />
für eine weitere wichtige Bezugsperson, auch wenn sie in diesem Beispiel nicht genannt ist:<br />
31<br />
UNTERRICHTSMATERIAL 2.2012
32 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld | Unterrichtsmaterial<br />
Wer ist schuld?<br />
Tom ist 26. Er steht vor Gericht, weil er ein Mädchen schlimm verprügelt hat. Tom<br />
ist nicht zum ersten Mal hier. Er hat schon als Jugendlicher Autos geknackt und<br />
gestohlen. Im Viertel ist er bekannt für seine Straftaten.<br />
Tom ist bei seiner Mutter aufgewachsen. Seinen Vater kennt er nicht. Seine Mutter<br />
trinkt viel zu viel Alkohol. Sie ist oft aggressiv und schreit herum. Sie konnte nicht<br />
gut für Tom sorgen. Bei der Gerichtsverhandlung sagt Toms Verteidiger deshalb:<br />
„Tom soll nicht allzu hart bestraft werden. Denn er hatte ein schlechtes Elternhaus.“<br />
Damit meint er: Tom ist nicht zufällig so, wie er ist. Seine Eltern haben ihn<br />
vernachlässigt. Deshalb konnte er sich nicht gut entwickeln.<br />
Der Staatsanwalt ist anderer Meinung. Er sagt: „Tom hatte zwar eine schwere<br />
Kindheit. Aber jetzt ist er kein Kind mehr. Irgendwann ist jeder selbst für sein Handeln<br />
verantwortlich. Seine Mutter hat zwar nicht gut für ihn gesorgt. Aber sie ist<br />
nicht schuld daran, dass Tom das Mädchen verprügelt hat.“<br />
Was denken Sie: Ist Tom schuldig? Ist er für sein Handeln verantwortlich?<br />
Hätte er das Mädchen auch in Ruhe lassen können?<br />
aus: Julia Knop, Die großen Fragen der Menschen.<br />
Ethik für Kinder, Freiburg: Herder 2009, S. 17 f.<br />
Beispiele aus dem militärischen Alltag im Auslandseinsatz<br />
„Ich habe einen Angreifer getötet.“<br />
Nach einem Gefecht bittet ein Soldat den <strong>Militärseelsorge</strong>r um ein<br />
Gespräch und erzählt, dass er heute auf einen Angreifer geschossen<br />
und ihn auch getroffen habe; er vermute, dass dieser tot sei.<br />
Jetzt plage ihn aber kein schlechtes Gewissen, wie er es eigentlich<br />
erwartet hätte. Und er fragt den Seelsorger: „Stimmt da etwas<br />
nicht mit mir?“<br />
Was mag der Soldat mit seiner Frage meinen?<br />
Auf Unbeteiligte geschossen …?<br />
Während eines Gefechts haben sich Angreifer hinter einer Lehmwand<br />
(Hauswand) verschanzt. Die angegriffenen Soldaten richten<br />
die Kanone eines „Marder“ auf die Wand, schießen und zerstören<br />
diese. Später fragen sie sich: Was aber ist, wenn sich hinter der Häuserwand<br />
vielleicht auch Unbeteiligte aufgehalten haben?<br />
In der Tat: Was ist, wenn sich später herausstellen sollte,<br />
dass sich tatsächlich auch Unbeteiligte dort aufgehalten haben?<br />
Wie ist das Verhalten der Soldaten zu bewerten?<br />
Ein <strong>Militärseelsorge</strong>r berichtet<br />
Einer der ersten Auslandseinsätze führte die<br />
Bundeswehr nach Kambodscha. Sie baute dort<br />
im Auftrag der UNO ein Feldhospital auf, das<br />
allein für verletzte UN-Soldaten zuständig sein<br />
sollte, und stellte das Sanitätspersonal. Ein <strong>Militärseelsorge</strong>r<br />
begleitete die Truppe. Auf der<br />
Intensivstation dieses UN-Feldhospitals mussten<br />
mitunter Entscheidungen über Leben und Tod<br />
getroffen werden. Einheimische Patienten, die<br />
dort aus humanitären Gründen behandelt wurden,<br />
aber eigentlich gar nicht hätten aufgenommen<br />
werden dürfen, mussten im Einzelfall von<br />
Intensivmaßnahmen getrennt werden, wenn ein<br />
verletzter oder verwundeter UN-Soldat ein-<br />
www.katholische-militaerseelsorge.de<br />
geliefert wurde, der den Intensivplatz zum<br />
eigenen Überleben benötigte. Die Entscheidung<br />
darüber, welcher Einheimische die<br />
geringste Lebenserwartung hatte und deshalb<br />
den Intensivplatz räumen sollte, wurde von<br />
einem Ärztekollegium getroffen – auf Bitten<br />
der Ärzte unter Beteiligung des vor Ort anwesenden<br />
Militärgeistlichen. Diese endgültigen<br />
Entscheidungen zu treffen war nicht nur für<br />
die betroffenen Ärzte eine hohe Belastung, die<br />
Mit<strong>verantwortung</strong> stellte auch für den <strong>Militärseelsorge</strong>r<br />
eine schwere Bürde dar. Und die<br />
Frage nach der Schuld bewegt ihn bis heute.<br />
33<br />
UNTERRICHTSMATERIAL 2.2012
34 zum Thema | Ausgabe 2.2012 | Einsatzbelastung, Verantwortung und Schuld | Unterrichtsmaterial<br />
Kameradenhilfe<br />
Ein Soldat der Bundeswehr war in Afghanistan mit afghanischen<br />
Kameraden auf Patrouille unterwegs. Unerwartet und unvorhersehbar<br />
sahen sie sich plötzlich einem Angriff gegenüber. Einer der<br />
afghanischen Soldaten wurde schwer verwundet, daraufhin flüchteten<br />
die übrigen. Der deutsche Soldat aber blieb und rettete unter<br />
Einsatz seines Lebens dem afghanischen Kameraden das Leben.<br />
Hätte man dem deutschen Soldaten einen Vorwurf machen können,<br />
wenn er mit den afghanischen Soldaten geflohen wäre?<br />
Wenn Sie meinen, ja: Unter welchen Voraussetzungen hätte man<br />
ihm eventuell keinen Vorwurf machen können?<br />
Wenn Kinder sterben …<br />
In einem Schulgebäude in einem afghanischen Dorf befinden sich<br />
Kinder. ISAF-Soldaten versuchen, den Kindern die Angst vor ihnen<br />
zu nehmen und Kontakt aufzubauen. Die Kinder trauen sich heraus,<br />
nehmen die Süßigkeiten an, die die Soldaten ihnen anbieten. Von<br />
Weitem beobachtet eine andere Einheit das Geschehen rund um<br />
das Schulgebäude. Es nähern sich Menschen mit weißen Fahnen,<br />
vorgeblich friedliche Zivilisten. In Wahrheit handelt es sich jedoch<br />
um Terroristen, im Schulgebäude haben sie ihre Waffen versteckt.<br />
Der Oberst trifft die Entscheidung schnell, das Gebäude zu beschießen.<br />
Alle Kinder sterben.<br />
Eine Verantwortungsethik fordert, auch nach den absehbaren zukünftigen<br />
Folgen eines Tuns oder Unterlassens zu fragen und diese im Urteil<br />
mitzuberücksichtigen. Wie ist im Hinblick darauf die<br />
Entscheidung des Obersts zu bewerten?<br />
„Hätte ich ihn erschießen sollen?“<br />
An einem Checkpoint an der Grenze zwischen dem Kosovo und<br />
Mazedonien haben ein deutscher und ein mazedonischer Soldat<br />
Dienst. Eines Tages geschah es, dass ein privater Pkw vom Kosovo<br />
aus auf die Grenze zufuhr. Die Vermutung lag nahe, dass es Kosovaren<br />
waren, die nach Mazedonien fliehen wollten. Und während<br />
die beiden Soldaten das Auto auf sich zufahren sahen, erhob plötzlich<br />
der mazedonische Soldat seine Maschinenpistole und schoss auf<br />
das Auto. Nach einer Schrecksekunde, weil darauf nicht vorbereitet,<br />
schlug der deutsche Soldat den Mazedonier nieder, lief zum Auto<br />
und sah, dass sich darin eine Familie mit zwei kleineren Kindern<br />
befand. Eines der beiden Kinder lebte noch, während die anderen<br />
Insassen tot waren. Schnell holte er ärztliche Hilfe, aber das Kind<br />
erlag dann doch später seinen Verletzungen. Der mazedonische Soldat<br />
wurde zunächst festgenommen. Doch der zuständige Oberst<br />
musste dem deutschen Soldaten klarmachen, dass man den mazedonischen<br />
Soldaten nicht gefangen halten dürfe. Ihn vor ein Gericht<br />
zu bringen, sei Aufgabe der mazedonischen Armee. Ihr übergab<br />
man den Gefangenen, doch sie ließ ihn sofort frei. Kosovo-Albaner<br />
waren in den Augen von Mazedoniern „Untermenschen“, sie umzubringen<br />
wurde nicht als Verbrechen angesehen. – Für den deutschen<br />
Soldaten ist dieses Erlebnis bis heute ein Trauma und er fragt<br />
sich, ob er nicht seine Pistole hätte ziehen und seinen mazedonischen<br />
Kameraden erschießen sollen.<br />
Kann man dem deutschen Soldaten einen Vorwurf machen und,<br />
wenn ja, mit welcher Begründung?<br />
Wie sind folgende zwei Szenarien zu beurteilen?<br />
1. Der deutsche Soldat erschießt den mazedonischen Soldaten, bevor dieser auf das Fahrzeug schießen kann.<br />
2. Der deutsche Soldat schafft es nicht, so schnell seine Pistole zu ziehen, und erschießt den mazedonischen<br />
Soldaten, während dieser auf das Fahrzeug schießt.<br />
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35<br />
UNTERRICHTSMATERIAL 1.2012
SUDOKU<br />
So geht's: Füllen Sie die leeren Felder des Sudokus mit Zahlen.<br />
Dabei müssen in jeder Zeile, in jeder Spalte und in jedem der<br />
quadratischen Neuner-Blocks aus 3 x 3 Kästchen alle Zahlen von<br />
1 bis 9 stehen. Keine Zahl darf also in einer Zeile, einer Spalte<br />
oder einem Block doppelt vorkommen.<br />
Viel Spaß beim Lösen!<br />
Thema<br />
zum<br />
Die nächste Ausgabe<br />
behandelt den Themenschwerpunkt<br />
„Ich habe getötet!“<br />
Impressum<br />
zum Thema – Themenmagazin für<br />
Soldatinnen und Soldaten zum<br />
Lebenskundlichen Unterricht<br />
Herausgeber<br />
<strong>Katholische</strong>s Militärbischofsamt<br />
Am Weidendamm 2<br />
D-10117 Berlin<br />
Fon: (030) 20617-0<br />
Fax: (030) 20617-199<br />
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Schlusslektorat<br />
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