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Gedenkschrift zur siebenten Stolpersteinverlegung in Bruchsal am 8. Juni 2021

In dieser Gedenkschrift sind Opferbiographien der folgenden Bruchsaler Familien enthalten: Schloßberger, Katz, Straus, Baer, Hahn, Tuteur und Kann.

In dieser Gedenkschrift sind Opferbiographien der folgenden Bruchsaler Familien enthalten: Schloßberger, Katz, Straus, Baer, Hahn, Tuteur und Kann.

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Gedenkschrift

zur siebenten

Stolpersteinverlegung

in Bruchsal

am 8.6.2021

Stolpersteine

in Bruchsal


Inhaltsverzeichnis

1 Grußwort der Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick

2 Einführung in das Schülerprojekt Florian Jung

Die Opferbiographien

3 Mathilde Schloßberger geb. Neter (1868-1943) Florian Jung

5 Max Schloßberger (1890-1940) Collin Anielack, 9s

8 Hilde Schloßberger (1894-1976) Sophie Dannenmaier, 9v

10 Übersicht Familie Schloßberger Florian Jung

12 Hugo Katz (1872-1940) Florian Jung

14 Friedolina Katz geb. Reiß (1860-1943) Annika Wormer, Alicia Degen, 9t

16 Ernst Katz (1884-1943) Annika Wormer, Chanuvi Chandrapalan, 9t

18 Übersicht Familie Katz Florian Jung

21 Johanna Straus geb. Weil (1874-1948) Tafreed Ahmad, Luca Hauth, 9s

25 Kakteen namens Straus Florian Jung

27 Übersicht Familie Straus Florian Jung

32 Alfred Baer (1864-1940) und Malte Willmann, 9v, Jonas de Bortoli, 9s

Rosa Baer geb. Schönmann (1869-1941)

36 Leo Hahn (1896-1971) und Florian Jung

Anny Hahn geb. Baer (1904-1987)

39 Eric Hahn (* 1933) Florian Jung

41 Ida Tuteur geb. Bär (1874-1967) Sean Urban, Josip Kujundzic, 9v

44 Übersicht Familie Bär/Baer Florian Jung

47 Siegbert Kann (1903-1942) Aaron Kammerer, 10u

48 Elisabeth Kann geb. Rau (1903-1985) Florian Jung

50 Werner Kann (1929-2017) Theo Fraißl, Noah Wagner, 10v

51 Gisela Kann (1932-2009) Theo Fraißl, Noah Wagner, 10v

53 Eleonore Kann (1934-2010) Theo Fraißl, Noah Wagner, 10v

54 Übersicht Familie Kann Florian Jung

Anhang

55 Rückblick auf die fünfte Bruchsaler Florian Jung

Stolpersteinverlegung am 27.3.2019

56 Rückblick auf die sechste Bruchsaler Florian Jung

Stolpersteinverlegung am 11.2.2020

Die Druckkosten dieser Broschüre wurden dankenswerterweise von der BürgerStiftung Bruchsal übernommen.


Grußwort

der Oberbürgermeisterin

Als am 8. Juni 2021 zum mittlerweile siebten

Mal in Bruchsal Stolpersteine verlegt wurden,

war vieles anders als in den vorigen Jahren.

Nach Monaten des Lockdowns war diese Veranstaltung

eine der ersten, die dank gewisser

Lockerungen in den vorangegangenen Wochen

mit einem größeren Publikum hat durchgeführt

werden können. Dennoch musste der Kreis

der Eingeladenen auf einen engeren Rahmen

begrenzt bleiben, und erstmals erschien die begleitende

Gedenkschrift nicht zum Verlegungstermin

selbst. Denn Archive waren nicht zugänglich,

was die entsprechenden Forschungen

erschwert hat. Und da die Schrift ausgearbeitet

wurde von einer Projektgruppe aus Schülern

der 8. Klasse unter Leitung von Florian Jung,

Lehrer am Justus-Knecht-Gymnasium, verzögerten

auch Schulschließungen und Homeschooling

die Fertigstellung.

Diese Veränderung gegenüber früheren Stolperstein-Verlegungen bietet aber nun zugleich

Gelegenheit, die Veranstaltung dieses Jahres rückblickend zu betrachten und

einmal mehr zu erkennen, welche große Bedeutung diese Aktion und der Tag der

Verlegung vor allem für die Familien der Betroffenen besitzt – als ein Beitrag zur Aussöhnung

mit der Geburtsstadt ihrer Vorfahren. In den Grußworten, die am 8. Juni von

anwesenden Nachfahren und Verwandten der NS-Opfer gesprochen wurden, kam

dies in sehr deutlicher Weise zum Ausdruck. Gleichzeitig fällt die Verlegung 2021 in

eine Zeit, in der jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland gegenwärtig

wieder stark gefährdet sind. So durfte die Aktion zugleich auch als ein Zeichen der

Solidarität, als ein Signal gegen Antisemitismus und Rassismus verstanden werden.

Ich danke allen, die durch ihre Anwesenheit bei der Stolperstein-Verlegung am

8. Juni 2021 in diesem Sinne ein solches Zeichen gesetzt haben.

Cornelia Petzold-Schick

1


Einführung in das Schülerprojekt

von Florian Jung, OStR am Justus-Knecht-Gymnasium Bruchsal

Eigentlich waren die Schüler der 8. Klassen gerade dabei, in Kleingruppen ins Karlsruher

Generallandesarchiv zu fahren, um in den Wiedergutmachungsakten über die

Biografien der ehemaligen jüdischen Mitbürger zu recherchieren. Eigentlich war die

Kontaktaufnahme zu Nachkommen, immer wieder vorbereitet durch Rolf Schmitt, in

vollem Gange. Man hoffte, ähnlich der Stolpersteinverlegung 2019, wieder viele Angehörige

nach Bruchsal einladen zu können: Im März 2019 war es gelungen, insgesamt

35 Angehörige der Familien Lindauer, Westheimer, Majerowitz und Bravmann

in Bruchsal zu begrüßen. Sie waren angereist aus Israel, Kanada, den USA, den Niederlanden,

Ungarn, aus der Schweiz und aus verschiedenen Regionen Deutschlands.

Doch aufgrund der Corona-Pandemie schlossen die Archive. Gunter Demnig konnte

seine Reisen zu den Verlegungsorten nicht durchführen. Ein Treffen mit der Schülergruppe

war bis zum Schuljahresende aufgrund der Kontaktbeschränkungen verboten.

Eine Veranstaltung mit hundert oder mehr Besuchern war undenkbar. Die für den

7. Juli 2020 geplante Stolpersteinverlegung in Bruchsal musste verschoben werden.

Für die Schülergruppe war es daher umso wichtiger, dass sie die Verlegung von Stolpersteinen

in Heidelsheim und Helmsheim am 11. Februar 2020, wenige Wochen vor

Beginn des Lockdowns, miterleben konnten.

Ebenfalls herausfordernd war es für alle Beteiligten, ein Jahr später den Faden wieder

aufzunehmen und die Verlegung für den 8. Juni 2021 vorzubereiten, sodass sich die

Herausgabe der Gedenkschrift leider verzögerte. Umso mehr gilt mein großer Dank

daher Rolf Schmitt und Marlene Schlitz, die die langwierige Forschungsarbeit oft entscheidend

voranbringen. Dankbar bin ich auch Dr. Elisabeth Krimmel, Darmstadt,

und Heidemarie Leins, Bretten, für die Überlassung zahlreicher Informationen zu den

Familien Katz bzw. Lämle – und natürlich einer großen Zahl von Angehörigen der

Familien Schloßberger, Straus, Baer und Kann. Sie alle haben uns Einblick gewährt

in ihre Fotoalben und Familienunterlagen. Nur so kann diese Gedenkschrift einen

lebendigen Eindruck von unseren ehemaligen jüdischen Mitbürgern geben. Wie bedauerlich,

dass es Angehörigen, die in den USA, Israel, Australien und Südamerika

leben, auch im Juni 2021 nicht erlaubt war, nach Bruchsal zu reisen.

Angehörige und Mitglieder der Schülergruppe bei der Stolpersteinverlegung am 27. März 2019. F.: Jung.

2


Biografie von Mathilde Schloßberger geb. Neter

(1868-1943)

von Florian Jung

Mathilde Schloßberger (rechts) mit Tochter Anna und

Schwester Amalie Behr geb. Neter, 1895. Foto: Fred Strauss.

3

Mathilde Neter wurde am 23. Februar

1868 in Gernsbach geboren. Von

ihrem Vater Eli Neter (1837-1908)

wird um 1930 im Gernsbacher Tageblatt

berichtet, dass er eines der

schönsten Häuser am Gernsbacher

Marktplatz besaß: „Als Eigentum

des Eisenwarenhändlers Nether

war es lange Zeit nur das ‚Netherhaus‘.

Jener Nether zählte zu den

bekanntesten Gestalten der Stadt!

Wer denkt nicht daran, wie er an

allen katholischen Feiertagen mit

besonderer Aufmerksamkeit sein

Haus zierte und wie er einmal anlässlich

des Bischofsbesuchs folgenden

Spruch an eine Girlande heftete:

,Bin ich auch ein Israelit, so ehr‘ ich doch den Bischof mit!‘“ Mit seiner Frau Auguste

Sinauer (1843-1896) hatte er zwölf Kinder, wobei Mathilde das älteste war.

Am 19. August 1889 heiratete Mathilde Neter den am 4. April 1860 in Hollenbach bei

Bad Mergentheim geborenen Rudolf Schloßberger. Sie ließen sich in der Mitte ihrer beiden

Geburtsorte, in Bruchsal, nieder, wo Rudolf Schloßberger im Jahr 1888 die Eisenhandlung

Berg am Holzmarkt 30 gekauft hatte. Rudolf hatte eine gediegene Ausbildung

hinter sich, wie Mathilde später in seinem Lebenslauf schrieb: „Er kam mit 12 Jahren in

die Realschule nach Heilbronn, mit 15 Jahren in das Manufakturgeschäft von A. Sussmann

nach Tauberbischofsheim. Nach dreijähriger Lehrzeit und weiterer Tätigkeit in

Wertheim nahm er mit 21 Jahren eine Stellung als Reisender bei der Damenkonfektionsfirma

M. J. Meyer in Berlin an. Von 1882 bis 1888 war er im Eisengeschäfte seines

ältesten Bruders Max Schloßberger in Mergentheim tätig.“

In Bruchsal wurden dem Ehepaar drei Kinder geboren: Max im Jahr 1890, Anna 1894

und Otto 1902. Rudolf und Mathilde Schloßberger führten ihr Geschäft erfolgreich,

mehrere Angestellte wurden beschäftigt. Ein weiteres Gebäude am Holzmarkt 6, eine

Lagerhalle in der Seilersbahn 2, ein Acker und ein Weinberg konnten im Laufe der Jahre

hinzuerworben werden. Das Dienstmädchen Rosa Müller (später Veith, geb. 1897) arbeitete

bei Schlossbergers von 1922 bis 1939 und hatte ihre Kammer im Dachgeschoss.

Tochter Anna konnte bereits um 1910 eine Schule in England besuchen. Sohn Otto

machte sein Abitur 1920 am Humanistischen Gymnasium Bruchsal und studierte danach

an der Technischen Hochschule Stuttgart Elektrotechnik. Sicher traf er dort häu-


fig seine Schwester Anna, die seit 1920 in Bad Cannstatt mit dem Zigarrenfabrikanten

Ludwig Strauß verheiratet war und zwei Söhne hatte. In Bruchsal waren Rudolf und

Mathilde Schloßberger auch gesellschaftlich anerkannt: 1915 wurde Rudolf Schloßberger

zum Vorsitzenden der Israelitischen Gemeinde Bruchsals gewählt, außerdem war er

Mitglied der Israelitischen Landessynode Badens und 16 Jahre Vorstandsmitglied des

Israelitischen Waisenvereins Badens.

Nachdem Rudolf Schloßberger am 28. März 1925 nach nur fünftägigem Kranksein an

einem Hirnschlag verstarb, zeigte sich auch der Oberbürgermeister bestürzt: „Viele Jahre

hat der Heimgegangene in verschiedenen öffentlichen Ämtern, zu denen ihn das Vertrauen

seiner Mitbürger berief, und namentlich in seiner Eigenschaft als Vorsteher der

hiesigen israelitischen Gemeinde, durch unermüdliche Schaffenskraft und treue Hingabe

an die übernommenen Pflichten Ersprießliches zum Wohle der Allgemeinheit geleistet.“

Und die Bruchsaler Zeitung schrieb: „Er wird im goldenen Buch des Gedächtnisses

als Edelmensch fortdauern.“ Seine Frau Mathilde überlebte ihn 18 Jahre – und es hätten

mehr werden können, hätte man sie nicht in Theresienstadt ermordet.

Zunächst jedoch ging das Leben in geordneten Bahnen weiter. Sohn Otto spürte die

Auswirkungen vom Tod des Vaters wohl am meisten: Er musste sein Studium abbrechen,

zur Mutter zurückkehren und als Angestellter in dem nun zu 70% dem Bruder

Max gehörenden Familienbetrieb eintreten. Bis Ende 1934 liefen die Geschäfte wohl gut,

dann aber machte sich ein Umsatzeinbruch bemerkbar. Die jungen Schloßbergers sahen

keine Zukunft mehr in Bruchsal und wanderten aus: 1936 flüchtete die Tochter Anna mit

ihrer Familie in die USA, 1936 Sohn Otto und Frau Elisabeth geb. Martin über Southampton

nach Johannesburg in Südafrika. Sohn Max flüchtete 1937 mit seiner Frau Hilde

nach Luxemburg. Zu Mathilde

zog ihre jüngste Schwester,

die unverheiratete Else Neter

(1883-1941). Im März 1939

verkaufte sie alles in Bruchsal

und zog mit ihrer Schwester

nach Stuttgart in die Nähe von

Schwägerin Henriette Schloßberger

(1869-1942) – einer

wohl sehr interessanten Frau,

die ihre weiten Reisen bis in

den Orient in Reiseerinnerungen

festhielt. Es sind auch

zahlreiche Briefe Mathildes

an ihre Kinder erhalten, und

sie zeigen, dass Mathilde stark

blieb und in sich ruhte, auch

Mathilde Schloßberger (Mitte) mit Schwester Else Neter und Bruder

Dr. Eugen Neter (1876-1966), um 1935. Nach dem Kinderarzt

ist in Mannheim eine Schule benannt.Foto: Fred Strauss.

4

nach dem Tod ihres Sohnes

Max 1940. Aus dieser Zeit ist

von Otto Oppenheimer, dem


wohl bekanntesten jüdischen Mitbürger Bruchsals, ein Gedicht erhalten. Es ist, wie es

heißt, „in treuer Liebe und Verehrung“ geschrieben:

Früher war es eine Zierde, wenn an Rosch Ha-schana brav

Man zum Kübelmarkt spazierte und dort den Herrn Bravmann traf.

Immer wusste Frau Mathilde, zu erfreun das Menschenherz.

Wenn sie sprach, so klug und milde, ging die Seele himmelwärts.

Ach, die Zeiten sind vorüber, und der Kübelmarkt ist leer!

Grübeln wir nicht mehr darüber; was vorbei ist, kommt nicht mehr.

Eines aber ist geblieben. Und kann nimmermehr vergehn:

Die Verehrung unsrer lieben Frau Mathilde bleibt bestehn.

Und des guten Toten können wir gedenken auch von fern

wenn wir ihm die Ruhe gönnen, loben wir zugleich den Herrn.

Mathilde Schloßberger musste Stuttgart im September 1941 verlassen und zog zusammen

mit ihrer Schwester Else Neter nach Bad Mergentheim, der Heimat ihres Mannes Rudolf

Schloßberger. Am 22. August 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Marie, das

ehemalige Dienstmädchen von Mathildes Schwester Frieda Strauss, schrieb dieser 1946

in die USA: „[…] aber die Frau Schloßberger war eine Frau, die es nur einmal gibt, so

etwas von Gottvertrauen ist mir nur einmal begegnet. Sie sagte damals beim Abschied

(Theresienstadt): ,Marie, das Gottvertrauen nimmt mir niemand und deshalb trage ich

es auch nicht so schwer. Was mir auferlegt wird, kann ich tragen.‘“ Sie traf bei der Verladestelle

in Stuttgart mit vier weiteren älteren Verwandten zusammen: Ihren Schwägerinnen

Henriette Schloßberger und Pauline Geschmay geb. Schloßberger sowie deren Ehemann

David Geschmay. Die vierte war Mina Lämle, die Mutter ihrer Schwiegertochter

Hilde. Diese vier starben innerhalb der ersten vier Wochen. Mathilde Schloßberger lebte

noch drei Monate länger alleine dort und starb am 1. Januar 1943 im Alter von 75 Jahren.

Biografie von Max Schloßberger (1890-1940)

von Collin Anielack, Klasse 9s

Max Schlossberger wurde am 20.06.1890 in Bruchsal geboren. Als ältestes Kind des reichen

Eisenhändlers Rudolf Schloßberger und seiner Frau Mathilde mit eigener Eisenhandlung

am Holzmarkt in Bruchsal war für ihn eigentlich ein gutes Leben zu erwarten.

Er besuchte zunächst eine höhere Schule in Bruchsal und machte dann eine Ausbildung

zum Eisenhändler bei den größten deutschen Eisenfirmen, u. a. der Firma Wolff, Netter

& Jacobi, Berlin sowie I. Netter, Mannheim (Metallwarenfabrik und Verzinkerei). 1909

bis 1910 leistete er bei der berittenen Waffe seine Militärzeit ab. Ein Freund hob später

hervor, dass der „Einjährige“ damals sein Pferd selbst kaufen und unterhalten musste

und ebenso die eigene Unterbringung samt Bekleidung selbst zahlte. Im Ersten Weltkrieg

war er von Anfang an dabei und war bis April 1917 in den Stellungen der Westfront.

Nach einer leichten und einer schweren Verwundung war er im 2. Bayerischen

Trainbataillon eingesetzt und dort 1918 als Leutnant der Reserve aktiv.

Am 5. September 1922 heiratete er die aus Bretten stammende Hilde Lämle, mit der er

5


eine geräumige und elegant eingerichtete Wohnung mit der Adresse Bahnhofsplatz 1

bezog, heute Bahnhofstraße 7. Kinder hatte das Ehepaar keine. Max Schloßberger wird

aber von Otto Oppenheimers Frau Emma 1940 in einem Brief an Max‘ Schwester Anna

als äußerst kinderlieb beschrieben: „Dass [Max‘ Tod] Euren Buben sehr nahe ging, haben

wir uns gedacht, denn keiner wie Maxel hatte es doch so verstanden mit Kindern

zu spielen und auf ihre Ideen einzugehen.“ Nach mehreren Aussagen im Rahmen des

Wiedergutmachungsverfahrens war Max Schloßberger „ein sehr wohlsituierter Mann“

und „verkehrte in den besten Kreisen“, war in Bruchsal Mitglied im Offiziersverein, im

Museumsverein, im Turnverein 1846 und im Tennisclub. Auch in der Sportabteilung des

Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten war er aktiv. Seine Frau beschrieb ihn später als

begeisterten Sportler und guten Skiläufer.

Beruflich war Max Schloßberger der Weg vorgezeichnet: Er arbeitete sich erfolgreich

an der Seite seines Vaters Rudolf in die familieneigene Eisenhandlung ein. Nach dessen

überraschenden Tod im März 1925 übernahm er sofort die volle Verantwortung:

Es ist ein Schreiben an das Finanzamt vom September 1925 überliefert, in dem er um

Aufschub zur Abgabe diverser Unterlagen bittet, da er nach einer doppelseitigen Lungenentzündung

sofort zu einer längeren Nachkur nach Italien zu reisen gedenke. Das

Geschäft entwickelte sich in den Jahren bis 1930 augenscheinlich sehr gut, er hatte vier

bis fünf Angestellte, fünf Arbeiter, einen Kraftfahrer und zwei Reisende beschäftigt, darunter

seinen um 12 Jahre jüngeren Bruder Otto. Friedrich Firnkes, der von 1916 bis 1931

als Buchhalter bei Schloßberger mit teilweiser Handlungsvollmacht ausgestattet war und

vom Chef als „rechte Hand“ bezeichnet wurde, erinnerte sich später: „Die Fa. Schloßberger

führte Eisenwaren und Haushaltsartikel und zwar im Groß- und Einzelhandel.

Es waren ein Hauptgeschäft mit Laden und noch zwei Lagergebäude vorhanden, für die

damaligen Verhältnisse modern eingerichtet. Außerdem hatten wir einen gepachteten

Lagerplatz am Güterbahnhof. […] Ich kann mich noch erinnern, dass insbesondere in

den Jahren 1927/29 Umsätze

von jährlich ca. 1 Million

Reichsmark erzielt wurden.

In den folgenden Jahren bis

1931 waren die Umsätze etwas

rückläufig, wie damals

überall. […] Es wurde gut gerechnet

und die Preise waren

nicht gerade niedrig, dafür

waren wir aber gut sortiert.

Die durchschnittliche Reingewinnquote

lag bei etwa

5 – 6%. Das Ladengeschäft

war nicht so groß, es war sozusagen

unser Sorgenkind.

Wir hatten Aufträge angefangen

von der Industrie über

Militärentlassungsschein 1918. Foto: Heidemarie Leins.

6


öffentliche Verwaltungen, z. B. Zuchthaus Bruchsal,

Landesgefängnis Bruchsal mit eigenen Werkstätten

bis zu den Handwerksmeistern. Die Vertreter reisten

bis in die Pfalz, ihr Gebiet umfasste aber im Wesentlichen

den Kraichgau.“ Nach übereinstimmender

Aussage mehrerer Fachleute gehörte die Firma

Schloßberger zu den größten und angesehensten in

Baden. Max Schloßberger selbst galt als besonders

tüchtiger Kaufmann und Fachmann und begleitete

auch eine leitende Stellung im Süddeutschen Eisenhandelsverband

mit Sitz in Mannheim.

„Nach der Machtergreifung Hitlers ging unser

Geschäft sofort zurück, es wurde boykottiert. Das

Zuchthaus und die Behörden durften nicht mehr

geschäftlich mit uns arbeiten. Ich möchte annehmen,

dass bereits in den ersten Jahren das Geschäft

50% zurückging. Ab 1935 sah mein Mann ein, dass

Max Schloßberger. Foto: Carl Ohler.

er das Geschäft nicht mehr halten konnte; im Jahr

1936 wurde das Geschäft liqiudiert“, so Hilde Schloßberger später. Noch im Juni 1936

hatte Max Schloßberger die Hoffnung gehabt, das Geschäft zu einem annehmbaren

Preis zu veräußern, die Kaufinteressenten hatten aber durchweg zu wenig geboten. Max

Schloßberger selbst litt sicher auch unter dem Verlust seines gesellschaftlichen Ansehens,

und so wanderte er im März 1937 zusammen mit seiner Frau Hilde nach Luxemburg

aus. Der Mutter Mathilde überschrieben er und seine bereits 1936 ausgewanderten

Geschwister alle Immobilien, um den Lebensunterhalt zu sichern. In Luxemburg

versuchten Max und Hilde mühsam, sich ein neues Leben aufzubauen, was nicht recht

gelingen wollte.

Luxemburg wurde am ersten Tag des Westfeldzugs der Deutschen Wehrmacht, am

10. Mai 1940, besetzt. Max und Hilde flohen überhastet ins noch unbesetzte Frankreich.

Hilde Schloßberger schilderte ihren Verwandten am 18. Juli 1940: „Neben mir liegend

traf ihn die Kugel, nachdem wir bereits einen furchtbaren Tag hinter uns hatten. Wir

waren 40 km zu Fuß gelaufen, mit wunden Füßen, oft durch Stacheldraht; kriechend

wegen der Gefahr, und waren dann nachts ½ 3 mit Güterzug nach dem kleinen, hellen

Bahnhof verladen worden. Morgens, in der Frühe, als wir uns schon etwas in Sicherheit

wähnten, wurden wir ausgeladen. Max war am Tag der Flucht schon sehr deprimiert, die

geschäftlichen Aufregungen hatten ihn doch schon sehr mitgenommen, auch körperlich

litt er und sicher machte er sich große Sorgen, weil […] wir so wenig Existenzmittel mit

uns führten. Er ahnte es nicht, wie rasch sein Ende sein sollte.“ Max Schloßberger verstarb

am 12. Mai 1940, eineinhalb Tage nach dem Angriff der deutschen Jabos auf den

Bahnhof von Ancemont bei Verdun, an „der schauerlichen [Kopf-]Verletzung“, ohne

das Bewusstsein wiederzuerlangen. Hilde wich ihm in dieser Zeit nicht von der Seite

und es war tröstlich, dass ihr Mann würdig in einem kleinen Dorf bei Verdun nach

jüdischem Ritus beigesetzt werden konnte – „zwei Soldaten sagten Kaddisch. Wenige

7


Minuten nach dem Begräbnis wurde ich nach Verdun gebracht.“ Die Tatsache, dass der

Luftangriff der Gesamtgruppe der Flüchtenden gegolten hatte und keine individuell

„gegen den Juden“ Max Schloßberger gerichtete Tötungsmaßnahme war, diente dem

Landesamt für Wiedergutmachung in Karlsruhe 1954 beschämenderweise als Ablehnungsgrund

für jegliche Zahlung an die Witwe Hilde.

Biografie von Hilde Schloßberger geb. Lämle

(1894-1976)

von Sophie Dannenmaier, Klasse 9v

Hilda Lämle wurde als zweite von drei Töchtern des Fabrikanten Arnold Lämle (1864-

1927) und seiner Frau Mina geb. Maier (1870-1942) am 6. August 1894 in Bretten geboren

und „Hilde“ gerufen. Arnold Lämle gehörte als Mitinhaber der MALAG-Werke

(Machul Aron Lämle AG) und Sohn des Firmengründers zu den größten Arbeitgebern

der Stadt Bretten, die gusseisernen Öfen und Kachelofenarmaturen wurden lokal und

international gut verkauft. Schwester Klara (1892-1944) heiratete 1919 den Weinbrennereibesitzer

Wilhelm Brettheimer und wohnte in Stuttgart. Sie und ihre Tochter wurden

später in Riga ermordet. Die jüngere Schwester Elisabeth (1897-1976) studierte Chemie

und promovierte sogar, bevor sie den nichtjüdischen Chemiker Dr. Walter Herrmann

heiratete und in Höchst bei Frankfurt wohnte. Aufgrund dieser sogenannten „Mischehe“

wurden Elisabeth und die beiden Söhne vor einer Deportation bewahrt.

Hilde selbst hat sicher eine gute Ausbildung genossen. Warum sie von November 1915 bis

April 1916 in Karlsruhe wohnte, dann in Weinsberg und schließlich von April 1917 bis

Januar 1920 in München, wissen wir nicht. Endgültig von Bretten weg zog sie dann nach

ihrer Verheiratung mit Max Schloßberger am 5. September 1922. In Bruchsal bewohnte

das kinderlose Ehepaar eine großzügige und modern eingerichtete Wohnung in Bahnhofsnähe.

Das Einkommen

ihres Mannes

aus dessen

Eisenwarenhandlung

überstieg das eines

höheren Beamten um

mindestens das Doppelte,

sodass sich die

Schloßbergers auch

Arnold und Mina Lämle mit den Töchtern (v. l.) Klara, Elisabeth und Hilde. Foto:

Carl-Ulrich Herrmann.

8

ein Dienstmädchen

und einen PKW leisten

konnten. Von

März 1932 bis etwa

1935 wohnte Hildes

verwitwete Mutter


Hilde Schloßberger, um 1925 und um 1970. Fotos: Uta Herrmann, Fred Strauss.

9

Mina Lämle bei ihnen.

Die Flucht nach

Luxemburg im März

1937 brachte bedeutende

Einschränkungen

für Max und Hilde mit

sich, aber Hilde schrieb

1940 an ihre Schwägerin

Anna: „Die Zeit

hat uns in den letzten

Jahren des Neuaufbaus

auch immer enger zusammengeführt.

Wie

oft hat der Gute zu mir

gesagt: ‚Kindl, wenn ich

Dich nicht hätte‘, wenn ich ihn aufmunterte, vielleicht weißt Du es Anna, welcher gütiger,

rücksichtsvoller und lieber Ehekamerad Dein Bruder war.“ Nach dem Tod ihres

Mannes im Mai 1940 hatte Hilde das wohl schwerste Jahr ihres Lebens zu bewältigen.

Durch die dramatische Flucht aus Luxemburg blieben ihr nichts als die Kleider, die sie

auf dem Leib trug, und sie war dringend auf die Hilfe ihrer Verwandten angewiesen. Sie

war im Sommer 1940 in verschiedenen Lagern interniert, kurzzeitig auch in Gurs, bevor

sie zusammen mit anderen Flüchtlingen in St. Christan (Basses Pyrenees) eine Wohngemeinschaft

gründete und ein ärmliches Leben fristete. Zahlreiche erhaltene Briefe zeugen

von ihrer Verzweiflung, und trotzdem fuhr sie im Winter 1940/41 mehrmals zum

Lager Gurs, um die inzwischen dort internierten Verwandten mit Lebensmitteln usw. zu

unterstützen. Schließlich konnte Hilde mit Unterstützung durch die inzwischen in New

York lebende Schwägerin Anna Strauß ein Visum für die USA erhalten. Im Juli 1941 fuhr

sie dann über Madrid nach Lissabon und bestieg dort einen Dampfer nach New York.

Die Schwiegermutter Mathilde Schloßberger kommentierte im fernen Stuttgart: „Ich bin

in Gedanken viel bei Euch und so dankbar, dass Du liebe Hilde nun bei den Lieben bist.

Deiner Mutter und den Geschwistern geht’s ebenso.“

Nur mühsam konnte sich Hilde eine neue Existenz in New York aufbauen. Sie schaffte

sich in den Jahren 1949 und 1952 je eine Nähmaschine an und nähte in Heimarbeit

Schonbezüge für Sommermöbel, und ihr Jahreseinkommen lag bis 1958 durchschnittlich

bei 1500 $. Nach einer chronischen Gallenblaseninfektion musste sich Hilde im

Jahr 1954 schließlich die Gallenblase entfernen lassen. Die in der Folge auftretende

chronische Cholangitis machte sie zu 60% erwerbsunfähig. Trotzdem erinnert sich der

Großneffe Fred Strauß noch heute gerne an die Baseballspiele, zu denen er von Großtante

Hilde mitgenommen wurde. Im Dezember 1969 siedelte Hilde in ein Altersheim

in Frankfurt-Seckbach über. Im Lauf der Jahre wurde sie, wie sich ihr Großneffe Carl-

Ulrich Herrmann erinnert, etwas „tüddelich“. 82-jährig verstarb sie am 29. September

1976 In Frankfurt. In Leonberg, dem Wohnort ihres Neffen Dr. Arnold Herrmann, wurde

sie begraben.


Familie Rudolf und Mathilde Schloßberger

Rudolf Schloßberger

* 04.04.1860 Hollenbach † 28.03.1925 Bruchsal

(Sohn von Moses Baruch Moritz Schlossberger (1818-1889), und Helene Strauß (1831-1909))

Kaufmann (Eisenhandlung); seit 1888 Holzmarkt 30, Bruchsal; Vorsitzender Isr. Gemeinde Bruchsal

verh. 19.08.1889 Gernsbach

Mathilde Neter

* 23.02.1868 Gernsbach † 01.01.1943 Theresienstadt

(Tochter v. Eli Neter (1837-1908), Eisenwarenhändler in Gernsbach, und Auguste Sinauer (1843-1896))

Bruchsal, Holzmarkt 30; 03.1939 Stuttgart; 09.1941 Bad Mergentheim; 23.08.1942 Deportation

3 Kinder:

1. Max Schloßberger * 20.06.1890 Bruchsal † 12.05.1940 Ancemont bei Verdun

Leutnant im 1. Weltkrieg; Kaufmann in Bruchsal (Eisenhandlung); 05.1937 Flucht nach Luxemburg

verh. 05.09.1922 Bretten

Hilda „Hilde“ Lämle * 06.08.1894 Bretten † 29.09.1976 Frankfurt/M.

(Tochter von Arnold Lämle (1864-1927), Kaufmann in Bretten, und Mina Maier (1870-1942))

Bruchsal; 05.1937 Flucht nach Luxemburg; 1940 Gurs; 07.1941 New York; 1969 Frankfurt/M.

kinderlos

2. Anna Luisa Schloßberger * 13.06.1894 Bruchsal † 08.03.1985 Hartford/CT/USA

Schulbesuch u. a. in England; 1921-1936 in Stuttgart-Bad Cannstatt; 1936 in USA; in Hartford

verh. 06.05.1920 Bruchsal

Ludwig Strauß

* 18.11.1892 Stuttgart-Bad Cannstatt † 01.08.1967 Hartford

(Sohn von Leopold Strauß (1856-1936), Kaufmann in Stuttgart, und Bertha Grünwald (1865-1933))

Kaufmann in Stuttgart-Bad Cannstatt; Zigarrenfabrikant; 1936 in USA; Buchhalter

2 Kinder:

a) Kurt H. Strauss * 18.01.1923 Stuttgart † 30.09.2010 The Cedars/ME/USA

1936 in USA; 1949-1981 Senior Technologist bei Texaco Inc., NY; seit 1991 wohnhaft in Portland/ME

vh. 01.02.1948 New York

Florence Piperno

* 09.09.1924 New York City † 01.10.2016 Portland/ME/USA

2 Kinder: Frederick Strauss, vh. Batia, in Jerusalem; Rebecca Strauss, South Portland, USA

b) Ralph Strauss * 26.04.1926 Stuttgart † 09.04.2020 Mamaroneck/NY/USA

Kaufmann; wohnhaft in Bedford, NY

vh. Joan Petereit * 24.03.1931 † 07.10.2017 Bedford/NY/USA

1 Kind: Lisa Elizabeth Strauss (1960-2018) vh. Minishi, Stamford, Connecticut, USA; 1 Kind

3. Otto Schloßberger * 21.09.1902 Bruchsal † 28.08.1971 Johannesburg/Südafrika

Kaufmann in Bruchsal; Juni 1936 Auswanderung nach Südafrika; wohnhaft in Johannesburg

verh. 19.10.1933 Karlsruhe

Elisabeth Magdalena Sofie Martin * 26.11.1905 Bruchsal † 30.06.1995 Sydney/Australien

(Tochter von Gustav Martin (1871-1930), Hotelier in Karlsruhe, und Emilie Lister)

1933 Kontoristin; Juni 1936 Auswanderung nach Südafrika; wohnhaft in Johannesburg

1 Kind:

10


a) Percy Schloßberger * 13.11.1938 Johannesburg † 23.01.2021 Melbourne/Austr.

Südafrika; frühe 1960er für 8 Jahre in Canada, dann ~ 1970 Sydney/Australien

vh. Olive

2 Kinder: Elizabeth Schlossberger vh. Paddy; Moira Schlossberger

Rudolf Schloßberger, 1911. Foto: Boppel. Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Bruchsal. Foto: F. Jung.

Anna Strauß geb. Schloßberger; Ludwig Strauß; Kurt H. Strauß; Ralph Strauß. Fotos: Fred Strauss.

11

Otto Schloßberger;

Elisabeth Schloßberger

geb. Martin;

Percy Schloßberger.

Fotos: Elizabeth

Schlossberger.


Biografie von Hugo Katz (1872-1940)

von Florian Jung

Leider wurde für Hugo Katz von seinen weitläufigen Verwandten keine Wiedergutmachung

für „Schaden im beruflichen Fortkommen“ beantragt, sodass nirgends ein Lebenslauf

des am 1. Juni 1872 in Bruchsal geborenen jüdischen Kaufmanns dokumentiert ist.

Man kann sich aber durch die Betrachtung seiner Familie ein Bild seiner persönlichen Vita

machen. Die Judenemanzipation 1862 brachte für Juden die Erlaubnis, ihren Wohnort

innerhalb Badens frei zu wählen. Der Großvater von Hugo Katz, Wolf Katz (1815-1886),

nutzte diese Gelegenheit und zog mit seiner 7-köpfigen Familie von Untergrombach nach

Bruchsal. 1859 wurde das letzte Kind in Untergrombach geboren, und 1871 ist Wolf Katz

bereits in Bruchsal wohnhaft. Der von ihm gegründete Rohtabakhandel florierte, und er

selbst scheint schnell Anerkennung unter seinen Mitbürgern gefunden zu haben, da er

1880 als einer der ersten Juden Bruchsals Mitglied im Bürgerausschuss der Stadt war. Sein

Geschäft ernährte nicht nur ihn, sondern auch die Familien seiner drei Söhne Bernhard

(1843-1898), Nathan (1853-1918) und Ferdinand (1857-1926), und spätestens um die

Jahrhundertwende, der Blütezeit des Tabakanbaus in unserer Gegend, ist davon auszugehen,

dass die Familie Katz zu den wohlhabendsten Bruchsals gehörte. Bürgerschaftliches

Engagement haben auch alle drei Söhne gezeigt: Bernhard wird 1894 und 1897 in den

Bruchsaler Adressbüchern als Stadtverordneter genannt. Ferdinand war durchgehend von

1900 bis 1914 Stadtverordneter. Nathan war 1900, 1904 und 1907 sogar Stadtrat.

Ob Hugo Katz als ältester Enkel des Wolf Katz allerdings schon in den ersten Jahren seines

Lebens den beschriebenen Wohlstand erleben durfte, darf eher bezweifelt werden. Der

Vater Bernhard Katz heiratete kurz nach seiner Teilnahme am Krieg von 1870/71, am 19.

Juni 1871, die aus Grötzingen stammende, 22-jährige Fanny Berg. Als Hugo im Juni 1872

geboren wurde, hatte Vater Bernhard bereits

das Bürgerrecht in Bruchsal erworben. Die

jüngeren Brüder kamen bald danach zur

Welt: 1873 wurde Sally geboren, Julius 1876.

Die junge Familie scheint in den ersten Jahren

häufig umgezogen zu sein. 1880 wohnte

die Familie unter der heutigen Adresse

Huttenstraße 26 (damals Kapuzinerstr. 321),

1884 und 1888 im Eckhaus zur Seilersbahn,

heute Huttenstraße 22. Für die Jahre 1894

und 1897 ist die Adresse Kaiserstraße 22

nachgewiesen. 1897/1898 kaufte die Familie

die Villa Schillerstraße 14 (heute Franz-

Bläsi-Straße 14), die der frühere Bruchsaler

Oberbürgermeister Dr. Albert Gautier erbauen

ließ. Doch Vater Bernhard konnte Quelle: Bruchsaler Zeitung vom 28.11.1933.

das

12


Leben im großzügigen Eigenheim kaum genießen, da er wenig später, am 19. Oktober

1898, starb und somit seinem bereits 1894 verstorbenen Sohn Sally nachfolgte. Für Hugo

und seinen jüngsten Bruder Julius bedeutete dies, dass sie, nun 27-jährig und 22-jährig,

an der Seite ihrer Onkel und Mitinhaber des Rohtabakgroßhandels „Wolf Katz und Co.“

Verantwortung übernehmen mussten. Im 1. Weltkrieg wurden beide einberufen. Julius

Katz war seit August 1914 Infanterist, erreichte den Grad eines Leutnants und wurde leicht

verwundet. Hugo Katz kam im November 1915 als Landsturmmann nach Karlsruhe und

wurde im Juli 1917 zur Verleihung des Badischen Kriegsverdienstkreuzes vorgeschlagen,

weil er „mittels Kartei ein- und ausgehende Briefe mit großem Fleiß und anerkennenswertem

Eifer bearbeitet.“ Beide Brüder blieben unverheiratet und bewohnten gemeinsam

mit ihrer Mutter Fanny weiterhin die Villa in der Schillerstraße 14. Es kann davon ausgegangen

werden, dass sie von einer oder zwei Hausangestellten unterstützt wurden. In den

Adressbüchern 1930/31 und 1933/36 wird Rosa Nohlen als Haushälterin genannt.

Die Machtübernahme Hitlers fiel für Hugo Katz zusammen mit persönlichen Schicksalsschlägen:

Am 26. November 1933 verstarb Mutter Fanny fast 85-jährig, am 24. Januar

1934 Bruder Julius im Alter von 57 Jahren. Hugo Katz, nun 62-jährig und letztes Mitglied

seines Familienzweigs, musste sich Gedanken machen, was aus seinen Firmenanteilen

nach seinem Tod werden sollte. Offenbar entschied er sich dafür, dass sein Vermögen denjenigen

Verwandten zu Gute kommen sollte, die ebenfalls Anteile am Familienunternehmen

„Tabakgroßhandel Wolf Katz und Co.“ besaßen, nämlich den Nachkommen seiner

Onkel Nathan Katz und Ferdinand Katz. Hugo Katz war gemeinsam mit seinem Cousin

Ernst Katz, dem Sohn des Nathan, Geschäftsführer der Firma, und jeder besaß 40%. Die

in Darmstadt wohnende Tante Emma Katz, die Witwe Ferdinands, war mit 20% stille Teilhaberin.

Deren Enkel, Johann Friedrich Strauß, bis zu seiner Entlassung 1933 Landgerichtsrat

in Darmstadt, trat in die Firma in Bruchsal 1934 bis 1935 ein, wanderte 1936 aber

nach Palästina aus. Hugo Katz‘ Testament war 1934 demnach so verfasst, dass es nicht

diese genannten Familienzweige explizit begünstigte, sondern alle anderen ausschloss: Die

Nachkommen der beiden Tanten väterlicherseits (Karoline Altschul geb. Katz und Fanny

Simon geb. Katz) sowie die einzige Schwester der Mutter, Sofie Metzger geb. Berg, wurden

enterbt. Ob vielleicht ein schlechtes Verhältnis zu diesen Verwandten dazu den Ausschlag

gab? Zumindest für die Tante Sofie Metzger kann dies mit Bestimmtheit verneint werden:

Sie starb am 22. Juli 1937 in Bruchsal in der Villa des Hugo Katz, und er war es auch, der

ihren Tod beim Standesamt anzeigte. Wohnte die verwitwete, 85-jährige Sofie Metzger bei

ihm oder war sie nur zu Besuch? Und warum kümmerten sich nicht ihre beiden Kinder

Leo und Flora, die in Karlsruhe wohnten, um sie? Wir wissen es nicht.

Wann Hugo Katz Bruchsal und Deutschland verließ, ist ebenfalls unklar. In einer Klageschrift

von 1941 wird der Dezember 1937 genannt. Im Bruchsaler Adressbuch von 1938

ist er hingegen noch als Bewohner seiner Villa in der Schillerstraße 14 verzeichnet. Am

24. Juni 1938 verfügte das Finanzamt Bruchsal, dass etwaige Erlöse aus der „Firma Wolf

Katz und Co. Rohtabake“ oder aus dem Verkauf des Privateigentums der Beteiligten bis

zu einer Höhe von 2,6 Millionen Reichsmark zur Begleichung angeblicher Steuerschulden

gepfändet seien. Hugo Katz und sein Cousin Ernst Katz befanden sich zu diesem

13


Zeitpunkt bereits in Amsterdam. Das Firmenvermögen, das aus mehreren Immobilien,

Bauplätzen und Grundstücken, Bankkonten, sämtlichem beweglichen Besitz und einem

beachtlichen Tabaklager bestand, wurde am 2. Oktober 1938 an die Firma Kaussel und

Beckroege in Bremen für einen Preis von 1,365 Millionen Reichsmark verkauft. Die Firma

hieß in Bruchsal „Beckroege und Renner OHG“. Im Wiedergutmachungsverfahren wurde

festgestellt, dass dieser Kaufpreis weit unter dem eigentlichen Wert lag: Die Familie Katz

war offensichtlich unermesslich reich. Hugo und Ernst Katz wollten auch in diesem letzten

Moment noch für ihre langjährigen, treuen Hausangestellten sorgen und ließen Rosa

Nohlen eine Rente von 2000 RM und Maria Gsell 500 RM zufließen. Da der Fiskus sofort

die Hand auf den Verkaufserlös legte, erhielten Hugo und Ernst Katz keinen Pfennig. Als

Hugo Katz sein Haus in der Schillerstraße 14 im Juli 1939 an die Landkreisverwaltung

für 28.000 Reichsmark verkaufte und sein gesamtes zurückgelassenes Inventar versteigert

wurde, wohnte er im Carlton-Hotel in Amsterdam. Als Hugos Tanten Emma und Frieda

Katz und die beiden Cousinen Mina und Johanna am 11. August 1939 aus Darmstadt

nach Amsterdam flüchteten, hatten Hugo und Ernst Katz eine Wohnung im ersten Stock

der Corellistraat 23 gemietet. Vom 21. Oktober 1939 an sind die Verwandten dann im

zweiten Stockwerk der Zuider Amstellaan 32 gemeldet, Hugo Katz blieb in der Wohnung

wohl alleine zurück. Nachdem die deutschen Truppen im Mai 1940 in Amsterdam eingerückt

waren, wurden Hugo und Ernst Katz von deutschen Steuerbehörden beschuldigt,

160.000 Reichsmark illegal nach Amsterdam transferiert zu haben. Dieser Vorwurf scheint

nicht haltbar, da die 1925 von Hugo, Julius und Ernst Katz gegründete Firma „N. V. Tabak

Maatschapp Ambruka“ (Ambruka = Amsterdam Bruchsal Katz) den Tabakhandel rheinabwärts

unterstützen sollte und damit weit vor den durch die Nationalsozialisten 1935

erlassenen, restriktiven Devisengesetzen existierte. „Hugo Katz ist in Amsterdam während

der Ermittlungen des Devisenschutzkommandos Holland vor seiner geplanten Festnahme

verstorben,“ so heißt es in der Klageschrift der Zollfahndungszweigstelle Karlsruhe von

1941. Der Polizeibericht aus Amsterdam führt allerdings zum Tod von Hugo Katz an, dass

er durch übermäßige Einnahme von Schlafmitteln in seiner Wohnung in der Corellistraat

23 in Amsterdam am 23. November 1940 verstorben ist.

Biografie von Friedolina Katz geb. Reiß (1860-1943)

von Annika Wormer, Alicia Degen, Klasse 9t

Friedolina Reiß, die wohl auf den Namen Frieda hörte, wurde am 12. März 1860 in Mußbach

an der Weinstraße geboren. Sie hatte eine ältere Schwester, Lina Reiß (1853-1934),

die sich 1874 in Mußbach mit Siegmund Weiß (1845-1916) verheiratete und in Landau

wohnte, wo sie vier Söhne großzog. Um 1882 heiratete Frieda ihren Mann Nathan Katz,

der am 3. Februar 1853 in Untergrombach geboren wurde. Bereits in den 1880ern konnte

die junge Familie in ihr neugebautes Haus Schloßstraße 5 in Bruchsal ziehen, das Frieda

bis zu ihrer Flucht über 50 Jahre bewohnte.

Das Ehepaar Nathan und Frieda Katz hatte drei Kinder. Ihr erstes Kind hieß Johanna Katz.

14


Sie wurde am 1. Dezember 1883 in Bruchsal geboren. 1905 heiratete sie den Rechtsanwalt

Dr. Karl Simon in Bruchsal und zog mit ihm in seine Heimatstadt Darmstadt; man mietete

sich in die Heidelberger Straße 9 ein. Bis zum Tod von Dr. Simon im Jahr 1909 war die Ehe

kinderlos geblieben.

Das zweite ihrer Kinder ist Ernst Katz.

Geboren wurde er 1884, ebenfalls in

Bruchsal. Er wohnte zeitlebens bei

seiner Mutter. Über ihn wird später

noch ausführlicher berichtet werden.

Dann gab es noch das jüngste der

Kinder, Paul Katz, geboren 1892 in

Bruchsal. Paul war Rechtspraktikant,

als er im September 1914 ins Artillerieregiment

Nr. 66 eintrat. Jedoch

starb er als Unteroffizier am 2. Mai

1916 durch eine Verletzung am Kopf

durch Granatensplitter bei Larhere bei

Paul Katz. Q.: J. Münch. Bruchsal im Weltkrieg, 1920.

Dr. Karl Simon (rechts). Quelle: Hess. Staatsarchiv

Darmstadt, Bildersammlung R 4, n–11#29-1.

Verdun (Frankreich). Nathan Katz, der Ehemann von Frieda, wird in den Jahren 1900,

1904 und 1907 als Stadtrat in Bruchsal genannt und man kann annehmen, dass die Familie

ein gutes Ansehen genoss. Der Tabakgroßhändler starb allerdings am 15. August 1918 in

Bruchsal. Bereits 1920 hatte Frieda Katz einen Telefonanschluss (Nr. 277). Es ist gemäß

der Adressbucheinträge davon auszugehen, dass es im Haushalt Katz ein Dienstmädchen

gab. Die zweite Wohnung des Hauses Katz wurde an andere angesehene Mitglieder der

jüdischen Gemeinde vermietet, namentlich an Jakob Oppenheimer, Samuel Katzauer und

an Albert Reiß, von etwa 1905 bis zu seinem Tod 1928. Ob dieser allerdings verwandt war,

konnte nicht ermittelt werden. Seit 1936 wohnte die Familie von Alfred Baer (siehe S. 32)

im Hause Katz.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde es für Friedas Sohn Ernst

Katz immer schwieriger, die Geschäfte im Rohtabakhandel aufrecht zu erhalten. Im März

1938 folgte Ernst Katz seinem Cousin Hugo nach Amsterdam. In etwa dieser Zeit zog

Frieda Katz zu ihrer Tochter Johanna Simon nach Darmstadt, die dort noch immer in

der Heidelberger Straße 9 wohnte. Bezeugt ist ihre Anwesenheit unter dieser Adresse im

März 1939. Mutter Frieda und Tochter Johanna kamen der behördlichen Aufforderung

nach, Silber, Gold und Edelsteine abzuliefern. Die Aufstellung umfasst mehrere Seiten und

zeugt von einem bis dahin sehr gut und edel gefüllten Besteckschrank und Schmuckkästchen.

Auch einen Großteil ihrer Aktien musste Frieda Katz als „Judenvermögensabgabe“

abgeben. Am 11. August 1939 reisten die 79-jährige Frieda Katz, ihre 56-jährige Tochter

Johanna Simon zusammen mit Emma und Minna Katz in die Niederlande zu Ernst und

Hugo Katz. Emma Katz war die seit 1919 in Darmstadt wohnende, 77-jährige Schwägerin

von Frieda Katz, Minna deren 54-jährige Tochter. Die vier Damen wurden von ihrem

Steuerberater Dr. Warthorst bis an die Grenze begleitet und konnten nur leichtes Hand-

15


gepäck mitnehmen. Eine Bleibe fanden sie in Amsterdam in der Zuider Amstellan 32 im

2. Stock. In diesem Wohngebiet lebten viele deutsche Emigranten, unter anderem in

nächster Nachbarschaft Anne Frank.

Frieda Katz musste miterleben, dass ihr Sohn Ernst Katz 1940 verhaftet wurde und mehrere

Selbstmordversuche unternahm. Einer davon, den er am 17. Januar 1943 zusammen

mit seiner Schwester Johanna nach dem Verrat des Verstecks mit der Einnahme des

Schlafmittels Veronal durchführte, endete für Johanna Simon tödlich. Frieda Katz musste

auch von ihrem dritten Kind, dem Sohn Ernst Katz, Abschied nehmen: Er wurde im März

1943 verhaftet und nach Sobibor verschleppt. Die erhaltene Postkarte des Norbert Jeidels

an Friedas Nichte Minna Katz belegt, dass Frieda das Schicksal ihres Sohnes kannte oder

zumindest ahnte, als sie selbst, zusammen mit Schwägerin Emma und Nichte Minna, vom

Lager Westerbork aus in den Osten deportiert wurden. Der Zug verließ Westerbork am

13. Juli 1943 und erreichte Sobibor am 16. Juli. Frieda, Emma und Minna Katz wurden

noch an demselben Tag ermordet.

Biografie von Ernst Katz (1884-1943)

von Annika Wormer, Chanuvi Chandrapalan, Klasse 9t

Ernst Katz wurde am 3. November 1884 als zweites Kind der Eheleute Nathan und Frieda

Katz in Bruchsal geboren. Über seine Ausbildung zum Kaufmann wissen wir nichts,

allerdings hat er später zu Protokoll gegeben, dass er 1912 in die Firma seiner Familie,

die „Wolf Katz und Co. Rohtabakgroßhandlung“ eintrat. Nach dem Tod seines Vaters im

Jahr 1918 führte er die Firma zusammen mit seinen Cousins Julius und Hugo Katz sowie

seinem Onkel Ferdinand Katz. Nach dem Tod von Ferdinand Katz 1926 und von Julius

Katz 1934 war er gemeinsam mit seinem Cousin Hugo Geschäftsführer des großen und

florierenden Unternehmens. Ernst Katz blieb unverheiratet und lebte bis März 1938 bei

seiner Mutter Frieda im Elternhaus in der Schlossstraße 5 in Bruchsal. Dann folgte er

seinem Cousin Hugo Katz nach Amsterdam, wo die beiden seit 1925 eine Niederlassung

zur Stärkung des Überseehandels führten. Der Besitz der Firma in Bruchsal wurde im

Oktober 1938 für 1,3 Millionen Reichsmark verkauft. Dazu gehörten die Geschäfts- und

Lagerräume im Haus Durlacher Straße 136 genauso wie das Wohn- und Geschäftshaus

Durlacher Straße 139a, das Magazingebäude und Gartenland in der Büchenauer Straße

9, ein Bauplatz in der Prinz-Wilhelm-Straße, Bauland im Hagelkreuz und mehrere

Äcker in Grötzingen. Unvorstellbare Mengen an Rohtabak gehörten auch zum Firmenvermögen:

93.000 kg Inlandstabake „alte Ernten“ und über 302 Tonnen 1937er Ernte.

Dazu eine Vielzahl an Waagen und Gerätschaften - und: zwei Personenkraftwagen, ein

Opel und ein Wanderer. Der leitende Angestellte Ludwig Schroth führte den Verkauf

durch, da Hugo und Ernst Katz bereits nach Amsterdam geflüchtet waren. Eine Flucht,

die sich der deutsche Fiskus teuer bezahlen ließ: Jeder der beiden musste fast 500.000

Reichsmark an Reichsfluchtsteuer entrichten. Übrigens sahen Hugo und Ernst Katz vom

16


Verkaufserlös keinen Pfennig, da dieser vom Finanzamt wegen angeblicher Steuerschulden

gepfändet wurde. In Amsterdam drohte beiden im November 1940 die Verhaftung

wegen angeblicher Devisenschieberei. Hugo Katz nahm sich kurz vor der Verhaftung

das Leben, und zu Ernst Katz steht in den auf Dezember 1941 datierten Ermittlungsakten:

„Ernst Katz wurde im November 1940 in Amsterdam festgenommen und in Devisensicherungshaft

überführt. Das Amtsgericht Bruchsal erließ am 6.1.1941 Haftbefehl

gegen Ernst Katz, den ich dem Devisenschutzkommando Holland übersandte. Dieses

teilte daraufhin mit, Ernst Katz habe im Polizeigefängnis einen Selbstmordversuch unternommen

und sich hierbei schwer verletzt, sodass eine Überführung des Katz nach

Deutschland noch nicht in Frage komme. Katz unternahm später noch einen zweiten

Selbstmordversuch und verletzte sich wiederum schwer. Er hat außerdem ein starkes

Vorsteherdrüsenleiden. Der deutsche Polizeiarzt und der holländische Arzt haben Katz

für nicht haftfähig erklärt. Der holländische Arzt hält Katz außerdem für geisteskrank

(manisch-depressives Irresein mit Betonung der depressiven Phase bis hin zu Selbstmordversuchen).

Die Vernehmungen gestalteten sich daher auch äußerst schwierig.

Ernst Katz gab den geschilderten Ermittlungstatbestand im Wesentlichen zu. […] Nachdem

Katz nicht haftfähig ist, bitte ich, wenigstens die Einziehung bzw. die Ersatzeinziehung

der verschobenen, noch sichergestellten […] Werte […] zu beantragen.“

Ernst Katz wohnte im Januar 1943 zusammen mit seiner Mutter Frieda, seiner Schwester

Johanna, seiner Tante Emma und seiner Cousine Minna in Amsterdam in der Zuider

Amstellan 32 II, als ihr Aufenthalt verraten wurde und eine Inhaftierung in der Tulpenkaserne

drohte. Er unternahm zusammen mit seiner Schwester Johanna einen weiteren

Selbstmordversuch, den sie nicht überlebte. Sie starb an diesem Sonntag, den 17. Januar

1943 um 17.20 Uhr im Westergasthuis-Krankenhaus in Amsterdam an einer Veronalvergiftung.

Nach seiner körperlichen Wiederherstellung wurde Ernst Katz im Durchgangslager

Vught-Hertogenbosch inhaftiert. Am 11. März kam er ins Lager Westerbork.

Ernst Katz wurde dann am 17. März 1943 in das Konzentrationslager Sobibor deportiert

und dort drei Tage später, am 20. März 1943, ermordet.

Die den Devisenschmuggel betreffenden Akten scheinen 1942, im weiteren Verlauf des

Verfahrens, beim Oberfinanzpräsidenten in Berlin verloren gegangen zu sein. Im August

1943, als alle Mitglieder

der Familie Katz

nach Selbstmord oder

Mord nicht mehr belangt

werden konnten,

suchte der Karlsruher

Oberstaatsanwalt noch

immer nach diesen

Ermittlungsakten, um

den Fall ordnungsgemäß

abzuschließen.

Postkarte von Norbert Jeidels an Mina Katz. Q.: Irene Linssen-Jeidels, Delft.

17


Familie Wolf Katz

Wolf Katz

* 01.12.1815 Untergrombach † 31.10.1886 Bruchsal

(Sohn v. Seligmann Bär Katz (1772-1820), Handelsmann in Ugb., u. Mina Bär/Mindel Nathan (1773-1820))

1871 in Bruchsal wohnh.; 1876 Kaufmann, Durlacher Straße 198, Br.; 1880 Mitgl. im Bürgerausschuss

verh. 05.02.1840 Untergrombach

Regina „Rechele“ Kahn * 12.07.1819 Jöhlingen † 08.01.1893 Bruchsal

(Tochter v. Moses Kahn (~1784-1864), Handelsmann in Jöhlingen, und Minkele Schrak (~1784-1846))

9 Kinder:

1. Mina Katz * 18.11.1841 Untergrombach † 28.12.1850 Untergrombach

2. Bernhard Katz * 21.05.1843 Untergrombach † 19.10.1898 Bruchsal

Kriegsteilnehmer; 1872 Bürger in Br.; Tabakhändler; 1876 Kübelmarkt 199; 1898 Schillerstr. 14

verh. 19.06.1871 Bruchsal

Fanny Berg * 03.03.1849 Grötzingen † 26.11.1933 Bruchsal

(Tochter von Hayum Berg (1797-1890), Handelsmann in Grötzingen, und Therese Veit (1818-1885))

3 Kinder:

a) Hugo Katz * 01.06.1872 Bruchsal † 23.11.1940 Amsterdam

1894 Kaufmann; 1933 Großkaufmann für Rohtabake; 1937/1938 Flucht nach Amsterdam, unverh.

b) Sally Katz * 01.12.1873 Bruchsal † 24.08.1894 Bruchsal

1894 Kaufmann, unverheiratet

c) Julius Katz * 10.04.1876 Bruchsal † 24.01.1934 Bruchsal

1934 Kaufmann, unverheiratet

3. Leopold Katz * 22.07.1846 Untergrombach † 13.12.1847 Untergrombach

4. Jonas Katz * 16.08.1848 Untergrombach † 21.06.1852 Untergrombach

5. Karoline Katz * 25.11.1850 Untergrombach † 09.09.1908 Karlsruhe

verh. 13.01.1873 Rastatt

Simon Altschul * 26.07.1847 Rastatt † 23.05.1916 Neckargemünd

(Sohn von Josef Altschul (1812-1892), Gastwirt in Rastatt, und Mina Külsheimer (~1815-1887))

Kaufmann, lebte in Weinheim und bis 1911 in Karlsruhe; 1911-1916 in Weinheim

5 Kinder:

a) Melanie Altschul * 14.01.1874 Rastatt † nach 1939

vh. Siegmund Schnurmann, Straßburg? Kinder?

Sohn evtl. Friedrich Schnurmann (1902 Str. – 1947 NY), Kaufm. in Offenbach; Auswand. 1940, led.

b) Flora Altschul * 09.02.1875 Rastatt † .01.1952 Milwaukee/USA

1938 wohnhaft in Rastatt; 01.01.1939 nach Lissabon/Portugal

18


vh.12.07.1897 Rastatt Max Hirsch * 23.02.1871 Weinheim † 01.11.1950 Milwaukee/USA

Leder-Fabrikant in Weinheim; Gemeinderatsmitglied 1912-1919; 01.01.1939 nach Lissabon

4 Ki.: Arthur (1898-1980), Elisabeth May (1900-?), Erna Hertz (1902-?), Marianne Fuchs (1905-1980)

c) Oskar Ludwig Altschul * 22.06.1876 Rastatt † .05.1942 Chelmno

wohnhaft in Köln; 22.10.1941 ins Ghetto Lodz, 12.05.1942 nach Chelmno

vh. evtl. Karoline Nelly Heymann * 08.01.1886 Köln + .05.1942 Chelmno; 22.10.1941 Lodz

Kind evtl. Marianne Altschul * 22.09.1924 Köln † .05.1942 Chelmno; 22.10.1941 Lodz

d) Emil Altschul * 26.09.1877 Rastatt †

verheiratet, 2 Kinder. E. A. wurde 1918 mit Ehefrau und 2 Kindern in Offenbach aufgenommen

e) Frieda Altschul * 08.12.1883 Rastatt † 1946 Basel

vh. 03.09.1906 Rastatt Ludwig „Louis“ Epstein * 20.05.1875 Kreuzlingen † 1940 Basel

Kaufmann in Basel

1 Kind: Walter Epstein (1912-?), wohnhaft in Basel – weitere Kinder?

6. Nathan Katz * 03.02.1853 Untergrombach † 15.08.1918 Bruchsal

1883 Kaufmann in Bruchsal; um 1900/1907 Stadtrat in Bruchsal; ~1885-1918 Schloßstr. 5, Bruchsal

verh. ca. 1882

Friedolina „Frieda“ Reiß * 12.03.1860 Mußbach/Pfalz † 16.07.1943 Sobibor/Polen

Schloßstr. 5, Bruchsal; Darmstadt; 11.08.1939 Emigration nach Amsterdam; Lager Westerbork

3 Kinder:

a) Johanna Katz * 01.12.1883 Bruchsal † 17.01.1943 Amsterdam

seit 1905 Darmstadt; 1939 Emigration nach Amsterdam; Selbstmord nach Verrat des Verstecks

verh. 14.09.1905 Bruchsal

Dr. iur. Karl Simon * 08.06.1872 Darmstadt † 22.06.1909 Heidelberg

(Sohn von Hermann Simon, Privatier, und Emma Langenbach)

Dr. iur.; Studium in Heidelberg; 1905 Rechtsanwalt in Darmstadt; kinderlos

b) Ernst Nathan Katz * 03.11.1884 Bruchsal † 20.03.1943 Sobibor/Polen

Großkaufmann; 03.1938 Emigration in die Niederlanden; Westerbork, unverheiratet

c) Paul Katz * 24.07.1892 Bruchsal † 02.05.1916 Verdun/Frankr.

1916 Rechtspraktikant; Unteroffizier 4. Bad. Feld Art. Reg. 66; Granatsplitterverletzung am Kopf

7. Fanny Katz * 20.11.1854 Untergrombach † 22.11.1886 Mainz

verh. 22.05.1876 Bruchsal

Daniel Simon * 30.05.1850 Bechtheim † 05.12.1921 Mannheim

(Sohn von Josef Simon, 1876 Privatmann in Worms, und Emanuele Wolf)

1876 Kaufmann; Weinhändler; 1877/1883 wohnhaft in Sterngasse 12, Worms; ~1885 nach Mainz

3 Kinder:

a) Emma Simon * 23.09.1877 Worms †

verheiratet? Kinder?

b) Marie Simon * 13.08.1879 Worms † 09.11.1939 Wiesloch

verheiratet? Kinder?

c) Josef Simon * 02.02.1883 Worms † 09.06.1960 Baden/Schweiz

verheiratet? Kinder?

19


8. Ferdinand Katz * 12.04.1857 Untergrombach † 08.03.1926 Darmstadt

Tabakgroßkaufmann; Stadtverordneter; Kaiserstr. 14, Bruchsal; seit 1919 in Darmstadt, Ohlystr. 30

verh. 22.10.1884 Bingen

Emma Marx

* 24.05.1862 Cörrenzig/Aachen † 16.07.1943 Sobibor/Polen

(Tochter von Sigmund Marx, Kaufmann, und Karoline Seligmann)

1 Kind:

a) Minna Katz * 08.08.1885 Bruchsal † 16.07.1943 Sobibor/Polen

in Bruchsal; seit 1907 in Darmstadt; 1939 Flucht nach Amsterdam; hieß seit 1929 wieder Katz

vh. 1. Ehe 31.01.1907 Bruchsal, getrennt 1917, geschieden 17.11.1920 Darmstadt

Dr. Joseph Strauß * 03.10.1875 Darmstadt † 09.02.1942 Lodz, Ghetto

seit 1901 Rechtsanwalt in Darmstadt; 11.1938 Buchenwald; von Köln nach Lodz am 30.10.1941

vh. 2. Ehe 06.08.1921 Darmstadt, geschieden 03.09.1928

Loni Bendheim * um 1883 Frankfurt/M. †

Rechtsanwalt, Syndikus, hatte seit 1901 ein Büro in Darmstadt; Wegzug 1928 nach Gießen

3 Ki.: Johann Friedrich Strauß (1907-?), Wilhelm Alfred Strauß (1910-56), Viktor Ferd. Strauß (1917-56)

9. Amalie Katz * 23.03.1859 Untergrombach † 07.05.1859 Untergrombach

Franz-Bläsi-

Straße 14,

früher Schillerstraße

14.

Foto: F. Jung.

Grabsteine von Julius Katz (links) sowie Bernhard und

Fanny Katz. Jüd. Friedhof in Bruchsal. Fotos: Rolf Schmitt.

20


Biografie von Johanna Straus geb. Weil (1874-1948)

von Tafreed Ahmad und Luca Hauth, Klasse 9s

Johanna Weil wurde am 26. Oktober 1874 in Speyer als älteste Tochter des Hopfenhändlers

Adalbert Weil (1842-1907) und dessen Ehefrau Karolina Scharff (~1852- vor 1893)

geboren. Sie entstammte einer alteingesessenen Speyerer jüdischen Familie, und ihr Großvater

Abraham Weil (1805-1887), ebenfalls Hopfenhändler in Speyer, wurde als Zeuge ihrer

Geburt eingetragen. Sie wuchs mit vier jüngeren Schwestern auf: Bertha (1876-~1916,

später Lewy), Frieda (1878-1943, später Wertheimer), Alice (1879-~1944, später Emsheimer)

und Hermine (1885-?). Im Jahr 1888 wurde den Eltern „endlich“ ein Sohn geschenkt,

Alfred Weil. Ob er eine Zeit lang in Bruchsal wohnte? Jedenfalls heiratete er am 14.05.1919

in Bruchsal die in Strasburg geborene Martha Rosa Haas.

Johanna Weil heiratete in Speyer bereits im Alter von 19 Jahren, am 6. Juli 1893, den

aus Bruchsal stammenden, damals 31-jährigen Kaufmann und Hopfenhändler Lazarus

Straus. Er war der älteste Sohn des Hopfenhändlers Gutmann Straus (1835-1916), und es

spricht einiges dafür, dass die Ehe, wie in damaliger Zeit üblich, von den Familien arrangiert

wurde. Ihre erste gemeinsame Wohnung ist im Bruchsaler Adressbuch von 1894 in

der Schillerstraße 4 (heute Franz-Bläsi-Straße 4) bezeugt, im selben Häuserblock gelegen

wie das Elternhaus des Lazarus Straus. Es ist davon auszugehen, dass sich Johanna Straus

von Anfang an stark in die familiären Strukturen der Großfamilie ihres Mannes einfügen

durfte – oder musste: Der Schwiegervater Gutmann Straus hatte aus seiner ersten Ehe mit

Sara geb. Stadecker (1842-1874) zehn Kinder, geboren zwischen 1862 und 1874, und aus

zweiter Ehe mit Hannchen geb. Münzesheimer (1854-1913) nochmals elf Kinder, geboren

zwischen 1876 und 1890.

Praktisch nahtlos fügten sich

die drei Töchter von Lazarus

und Johanna Straus an: Else

wurde am 22. April 1894

geboren, Grete am 25. April

1896 und Alice am 10. April

1899.

Zwischen 1897 und 1900

gaben Lazarus und Johanna

Straus ihre Wohnung in der

Schillerstraße 4 an seinen

jüngeren Bruder Max weiter.

Da dieser im Jahr 1900

heiratete, ist wahrscheinlich,

Neben dem eingeschossigen Gebäude einer Gartenwirtschaft folgen

in der Bildmitte die beiden zweigeschossigen weißen Gebäude

Schlossstraße 1 und 3, Postkarte 1913. Q.: Sammlung Rolf Schmitt.

21

dass der Umzug in die Mietwohnung

in der Schloßstraße

6 in diesem Jahr stattfand.


Gutmann Straus, 1860, und Hannchen Straus geb. Münzesheimer,

um 1880. Fotos: Susan Vidmar und Ulrike Schüler.

22

Johanna Straus wohnte jetzt direkt

gegenüber von den Schwiegereltern,

die seit 1880 das Haus

Schloßstraße 3 besaßen und bewohnten

– für Lazarus war das

sicher günstig, da sich in diesem

Haus auch die Geschäftsräume

der Hopfengroßhandlung befanden.

Ein Indiz für Größe und

Bedeutung des Geschäfts mag

sein, dass man bereits 1907 einen

Telefonanschluss hatte (mit der

Nummer 38!). In den Jahren 1913

und 1916 starben die Schwiegereltern,

und es muss wohl 1916

gewesen sein, als Lazarus und

Johanna Straus mit ihren drei Töchtern in das Haus der Schwiegereltern umzogen. Als

ältester Sohn übernahm Lazarus nicht nur das Elternhaus, sondern auch – zusammen mit

dem zweitältesten Sohn Max – die Hopfengroßhandlung, die den Namen „Staadecker &

Straus“ trug – ein Hinweis darauf, dass die Firma eine lange Tradition hatte: Sta(a)decker

war der Geburtsname der bereits 1874 verstorbenen leiblichen Mutter von Lazarus und

Max. Dieser Schwager von Johanna, Max Straus, spielte in Bruchsal eine bedeutende Rolle:

Von 1925 bis zu seinem Tod 1935 war er Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bruchsals,

außerdem Mitglied im Sommertags-Komitee und Unterstützer zahlreicher weiterer Vereine.

Dass Max sehr wohlhabend war, kann man bis heute sehen: Er ließ sich von seinem

Freund, dem Bruchsaler Ehrenbürger Prof. Dr. Fritz Hirsch, 1905 in der Schillerstraße 18

(heute Franz-Bläsi-Straße 18) ein Wohnhaus bauen, das durch seine Fassadenmalereien

ans Bruchsaler Schloss erinnert.

Wir wissen nicht, welchen Charakter Johanna Straus hatte, welche Rolle Johanna in ihrer

Familie spielte. Lazarus Straus widmete sich neben der Geschäftsführung der Hopfengroßhandlung

einem seltenen und teuren Hobby: Er züchtete Kakteen. Bereits 1892, noch

vor der Hochzeit, zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Kakteen-Gesellschaft,

und seine Sammlung soll die größte eines Privatsammlers in ganz Deutschland

gewesen sein. Ob Johanna sich freute, als 1901 und 1907 Kakteenarten nach ihrem Mann

benannt wurden? Oder war dieses Hobby für sie eher lästig?

Wir wissen auch nicht, wie Johanna Straus die unterschiedlichen Lebensläufe ihrer drei

Töchter bewertete: Jede für sich brach mit den damals üblichen Konventionen. Bekamen

sie Unterstützung von der Mutter – oder versuchte sie, es den Töchtern auszureden, es zu

verbieten oder schwer zu machen? Alle drei Töchter besuchten zunächst die „Höhere Mädchenschule

Bruchsal“ am Friedrichsplatz. Die Älteste, Else, heiratete 1919 den Münchner

Spediteur Heinrich Otto Frank. Dieser war katholisch – oft bei jüdischen Familien nicht

gern gesehen. Sicher war die Familie Straus religiös: 1925 wurde Onkel Max Straus, wie


bereits erwähnt, Vorsteher

der Israelitischen

Gemeinde. Die zweite

Tochter, Grete, wechselte

nach dem Besuch der

Else Frank geb. Straus und Heinrich Frank, 1951. Q.: www.family-search.com.

„Höheren Mädchenschule“

auf die Oberrealschule

und machte

dort 1915 ihr Abitur.

Sie war damit eine der

ersten Abiturientinnen

in Bruchsal. Danach

studierte sie in Freiburg

Medizin und promovierte

sogar – um dann

1923 Dr. Hans Prausnitz,

einen jüdischen Zahnarzt aus München, zu heiraten. In der damaligen Zeit kam eine

Verheiratung fast einem Berufsverbot gleich. Wir wissen aber nicht, wie diese kinderlose

Ehe geführt wurde: Waren vielleicht doch beide berufstätig? Jedenfalls wurde die Ehe 1933

geschieden – ein weiterer Tabubruch in jenen Jahren. Über die dritte Tochter, Alice, wird

in schulischen Unterlagen vermerkt, sie störe den Unterricht, und auch: „eigenmächtiges

Umstellen der Bänke.“ Mit 23 Jahren heiratete Alice den Diplom-Ingenieur Friedrich

Ehrmann aus Wien. Für die beiden und deren 1924 in Wien geborenen Sohn Hans bauten

Lazarus und Johanna Straus eine Villa in der Söternstraße 8 in Bruchsal, wo die junge

Familie 1926/27 wohnte. Die Ehe wurde 1928 in

Wien geschieden und Friedrich Ehrmann wanderte

1929 nach Chile aus. Hans, der einzige Enkel von Lazarus

und Johanna Straus, wurde von den Großeltern

väterlicherseits erzogen. 1930 wurde festgelegt, dass

Alice ihren Sohn nur montags für wenige Stunden

sehen durfte, in den Sommerferien konnte sie Hans

allerdings für sechs Wochen mit zu ihren Eltern nach

Bruchsal nehmen.

Am 20. Februar 1934 verstarb Lazarus Straus im Alter

von 72 Jahren. Johanna Straus musste in den Folgejahren

erleben, wie ihre Familie weiter auseinanderbrach:

Die Tochter Alice, die 1933/36 bei ihr in der

Schloßstraße 3 gewohnt hatte, verheiratete sich 1938

nach Wien mit einem Dr. Lederer, dann verliert sich

ihre Spur. Der einzige Enkel Hans Ehrmann übersiedelte

1939 zum Vater nach Chile. Die Tochter Dr. Grete

Prausnitz wanderte 1939 nach New York aus und

23

Alice Ehrmann geb. Straus und Hans Ehrmann,

um 1935. Foto: Karin Ehrmann.


arbeitete als Ärztin. Lediglich die in sogenannter „Mischehe“ lebende Tochter Else Frank

blieb in München wohnhaft. Alle anderen Mitglieder der umfangreichen Familie Straus

verließen Bruchsal und Deutschland nach und nach. Den in der Schweiz wohnhaften Verwandten

ist es gelungen, mehrere Dutzend Angehörige der großen Sippe Straus über die

Schweiz ins Ausland, meist nach Südamerika, zu schleusen. Unter ihnen ist auch Dr. Moritz

Straus (1882-1959), einer der jüngeren Brüder von Lazarus und Max. Er war Besitzer

der Argus Motorengesellschaft und Anteilseigner der Horch AG. Lediglich Johanna Straus

blieb. Warum verließ sie Deutschland nicht? Verkannte sie die Gefahr? Hatte sie Angst vor

einem Neuanfang? Im Alter von 65 Jahren sicher keine Kleinigkeit.

Am 22. Oktober 1940 wurde Johanna Straus zusammen mit nahezu allen Juden aus Baden

und der Pfalz ins südfranzösische Lager Gurs deportiert. Am 6. Januar 1941 war sie in

der Krankenstation („Infirmerie“) des Ilot K und beantragte aufgrund ihres Gesundheitszustands

ihre Entlassung, die ihr auch am Folgetag gewährt wurde. Dieser Vorgang ist

sehr ungewöhnlich, da in diesem ersten, harten Winter etwa 1000 der 6500 Deportierten

starben, und sicher hätten diese nahezu alle einen Grund gehabt, „aufgrund des Gesundheitszustands“

das Lager zu verlassen. Man kann daher vermuten, dass Einfluss und finanzielle

Mittel der Großfamilie Straus einen Beitrag dazu leisteten, dass Johanna Straus am

07.01.1941 nach Fontana bei Pau kam, dann nach Billère (bis April 1941). Von Dezember

1941 bis März 1942 war sie in Izeste (Bas-Pyrénées), vom 15.07.1942 bis 15.10.1942 in

Morláas, dann wieder in Gurs. Am 21.06.1943 wurde sie aus Gurs nach Saint-Sébastien

(Creuse) entlassen – davon zeugt ein an

diesem Tag vom Direktor des Lagers

Gurs mit offiziellem Siegel des französischen

Innenministers ausgefertigtes

„certificat de liberation“. Auch dies

äußerst ungewöhnlich: Eigentlich wurden

in den Jahren 1942/43 nahezu alle

in französischen Lagern befindlichen

Juden nach Auschwitz verbracht und

ermordet.

Johanna Straus konnte nach Kriegsende

zu ihrer Tochter Else Frank und ihrem

Schwiegersohn Heinrich Frank nach

München übersiedeln, wo sie am 1. Januar

1948 starb. Ungeklärt ist, warum

ihre Beisetzung in Bruchsal erst für den

25. April 1949 protokolliert wurde. Auf

jeden Fall trägt der gemeinsame, prachtvolle

Grabstein auf dem Jüdischen

Grabstein von Lazarus und Johanna Straus auf dem

Jüdischen Friedhof Bruchsal. Foto: Rolf Schmitt.

24

Friedhof Bruchsal bis heute die Namen

von Lazarus und Johanna Straus.


Kakteen namens Straus

von Florian Jung

Sicher – oder zumindest sehr wahrscheinlich

– ist Lazarus Straus der einzige

Bruchsaler, nach dem Pflanzen benannt

sind: Die Kakteen Cleistocactus strausii

und Eriosyce strausiana tragen heute den

Namen des Bruchsaler Kakteensammlers

und -züchters.

Schon in jungen Jahren hat sich Lazaraus

Straus (1862-1934) mit den damals in

Europa wohl sehr selten anzutreffenden

Pflanzen intensiv beschäftigt: 1892, im

Jahr vor seiner Eheschließung mit der zuvor

genannten Johanna Weil, gehörte er

zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen

Kakteen-Gesellschaft. Dort erwarb

er sich mit seiner Sammlung große Anerkennung,

es sei die „wohl artenreichste

im Besitze eines Zimmerkultivateurs“ gewesen.

Lazarus Straus selbst wird in einer

Veröffentlichung als „unser eifriges, liebenswürdiges

Mitglied und Freund“ bezeichnet, an anderer Stelle, 1921, als „alter, gediegener

Kenner.“ Scheinbar reiste Lazarus Straus auch regelmäßig zu den Treffen der Kakteengesellschaft

nach Berlin, da 1901 in der Monatsschrift für Kakteenkunde hervorgehoben

wurde: „Leider müssen wir in diesem Jahre auf seine Anwesenheit bei der Hauptversammlung

verzichten.“

Es muss in den Jahren

kurz vor 1900

gewesen sein, als ein

gewisser Leonardo

Hammerbacher auf

einer Reise durch

Argentinien eine

bisher unbekannte

Kakteenart sammelte,

die dann von

Friedrich Adolf Haage

jun. nach Europa

eingeführt und dem Beide Abb. aus: Monatsschrift für Kakteenkunde 1901, Seite 112 - 113.

25


Vermutlich Lazarus Straus mit seinem Enkel Hans Ehrmann, vor dessen

Wohnhaus Söternstraße 8, Bruchsal, um 1927. Q: Karin Ehrmann.

Sammler und Züchter Lazarus

Straus übergeben

wurde. Dieser wiederum

sandte sie mit anderen

Pflanzen an den Vorsitzenden

der Deutschen

Kakteengesellschaft, den

in Fachkreisen berühmten

Karl Moritz Schumann.

Schumann veröffentlichte

1901 in der Monatsschrift

für Kakteenkunde die

Erstbeschreibung dieser

neuentdeckten Kakteenart

und nannte sie nach Lazarus

Straus „Echinocactus

strausianus“. Schumann

befand, das sei „eine Ehrung,

welche ihm durchaus

gebührt.“ Der Veröffentlichung wurde auch eine von Lazarus Straus angefertigte Fotografie

beigefügt. 1994 wurde die Pflanze von Fred Kattermann in eine andere Gattung

gestellt und in Eriosyce strausiana umbenannt.

Wesentlich bekannter ist der 1907 durch Emil Heese erstbeschriebene

Pilocerus strausii. Der 1934 durch Curt Backeberg in

eine andere Gattung gestellte und somit in Cleistocactus strausii

umbenannte bolivianische Silberkerzenkaktus entwickelte sich

nach einem Zitat von Prof. Dr. Wilhelm Barthlott zum „weitverbreitetsten

Kaktus in deutschen Blumenfenstern“ und wurde im

Jahr 2013 von den Kakteengesellschaften aus Deutschland, Österreich

und der Schweiz zum „Kaktus des Jahres“ gewählt.

Es ist ein Bericht eines Herrn Richter aus dem Jahr 1921 überliefert,

aus dem hervorgeht, dass Lazarus Straus einen Großteil

seiner sehr umfangreichen Sammlung in Gewächshäusern einer

Gärtnerei untergebracht hatte, „weil eine neue Wohnung keine

Möglichkeit zur sachgerechten Unterbringung mehr bot“, und

dass 1918 etwa 80% der Sammlung erfroren war. Lapidar heißt

es an anderer Stelle: „Danach beschäftigte er sich v. a. mit Rosen.“

Am Wohnhaus des Lazarus Straus, Schlossstraße 3, Bruchsal,

wurde am 8. Juni 2021 im Beisein von Familienmitgliedern eine

Gedenktafel für Lazarus Straus und „seine“ Kakteen enthüllt.

26

Cleistocactus strausii.

Q: www.exotenherz.de.


Familie Gutmann Straus

(Eltern von Lazarus Straus)

Gutmann Straus (bis ~1900 auch: Strauß) * 14.03.1835 Diedelsheim † 02.11.1916 Bruchsal

(Sohn v. Hirsch Straus (1793 Thairnbach-1873 Bruchsal) u. Helene (Hefele) Kaufmann († 1854 Diedelsh.)

1862 Bürger in Diedelsheim; 1872 Kaufmann, 1893 Hopfenhändler, 1916 Privatier; Schloßstr. 3, Br.

verh. 1. Ehe 21.11.1860 Diedelsheim (Kinder 1-10 aus dieser Ehe)

Sara Stadecker (auch Staadecker) * 30.01.1842 Walldorf † 18.04.1874 Bruchsal

(Tochter v. Lazarus Stadecker (~1807-1843), Lehrer u. Handelsmann in Walldorf, u. Blümchen Bär († nach 1850))

verh. 2. Ehe 08.04.1875 Bruchsal (Kinder 11-21 aus dieser Ehe)

Hannchen Münzesheimer * 25.02.1854 Stebbach † 22.07.1913 Bruchsal

(Tochter v. Lazarus Münzesheimer (~1813 Stebbach-1888 Bruchsal) u. Sophie Stein (~1819 Freudental-1897 Br.))

21 Kinder:

1. Lazarus Straus * 17.07.1862 Bruchsal † 20.02.1934 Bruchsal

Kaufmann/Hopfenhändler in Bruchsal, Schloßstr. 3; Kakteensammler, nach ihm 2 Kakteen benannt

verh. 06.07.1893 Speyer

Johanna Weil * 26.10.1874 Speyer † 01.01.1948 München

(Tochter v. Adalbert Weil (1842-1907), Hopfenhändler in Speyer, u. Karolina Scharff (*~1852 + vor 1893)

22.10.1940 deportiert nach Gurs; verschiedene Lager in Südfrankreich; 1945 befreit; Grab Bruchsal

3 Kinder:

a) Else Straus * 22.04.1894 Bruchsal † 11.03.1976 München

vh. 09.12.1919 Bruchsal Heinrich Otto Frank * 30.01.1894 München † 20.08.1958 München

Spediteur, Kaufmann in München-Solln, (röm.-kath.), kinderlos

b) Dr. med. Grete Straus * 25.04.1896 Bruchsal † 14.10.1961 Flushing/NY/USA

Ärztin, Promotion vor 1923; 1939 in USA; Ärztin in versch. Kliniken in NY; kinderlos

vh. 19.05.1923 Br. Hans Ferdinand Prausnitz * 06.06.1891 München † 31.12.1974 Wash. D.C.

Dr. med. dent., 1923 Zahnarzt in München; gesch. 01.06.1933 München; 1940 USA; 2. Ehe: Ilse Meyer

c) Alice Straus * 10.04.1899 Bruchsal † nach 1939

1933/36: Schloßstr. 3, Bruchsal

vh. 02.11.1922 Br. Friedrich Erhard Christoph Ehrmann * 22.07.1894 Wien † 1958 Chile

Dipl.-Ing., Chemiker, 1922 in Wien; 1926/27 Bruchsal; gesch. 03.12.1928 Wien; in Chile seit 1929

vh. 2. Ehe 1933/1938 Dr. Lederer, Rechtsanwalt in Wien

1 Ki.: Hans Ehrmann-Ewart * 16.08.1924 Wien † 30.08.1999 Chile, vh. Judith Blumberg (*1930), 1 To.

2. „Unbenannter Junge“ Straus * 04.01.1864 Bruchsal † 08.01.1864 Bruchsal

verstorben an „trismus neonatorum“, beerdigt auf jüd. Friedhof Obergrombach

3. Max Straus * 10.03.1865 Bruchsal † 26.11.1935 Karlsruhe

Großkaufmann in Bruchsal, 1901: Schillerstr. 4; 1922: Schillerstr. 18; Friedhof Bruchsal, Grab 207

verh. 29.03.1900 Karlsruhe

27


Regina Machol

* 09.11.1873 Edesheim/RP † 14.12.1958 New York/USA

(Tochter v. Jakob Machol (1840-1892), Kaufmann in München, u. Elka Schulhöfer (*1850 † vor 1879))

bis 1933/36 in Bruchsal, Schillerstr. 18; 08.1938 mit To. und Fam. über Rotterdam nach New York

2 Kinder:

a) Margaretha „Margaret“ Straus * 11.10.1901 Bruchsal † 01.07.2001 Jamaica, NY/USA

vh. 20.12.1922 Bruchsal Dr. jur. Bernhard Friedrich Kurt Ettinghausen

* 07.12.1892 Frankfurt/M.-Höchst † 28.04.1982 Jamaica, NY/USA

1922: Rechtsanwalt in Frankfurt/M.-Höchst, 08.1938 in USA

1 Tochter: Ruth Ettinghausen (1925-2020), 1938 in USA, vh. Prof. Paul Keller (1921-2012), 3 Ki.

b) Werner Straus * 14.11.1902 Bruchsal † 14.11.1902 Bruchsal

4. Leopold Straus * 02.09.1866 Bruchsal † 12.07.1867 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Oberöwisheim, Grab 34

5. Adolf (Abraham) Straus * 15.11.1867 Bruchsal † 10.12.1879 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Bruchsal, Grab 226

6. Hermine („Mina“) Straus * 19.11.1868 Bruchsal † 01.02.1953 Rio de Janeiro

Auswanderung 1941 von Zürich nach Brasilien

verh. 19.02.1891 Bruchsal

Bernhard (Baruch) Bodenheimer * 02.09.1854 Wiesloch † 06.06.1926 Wiesloch

(Sohn v. Lazarus B. Bodenheimer (~1817-1892), Kaufmann in Wiesloch, u. Auguste Hirsch (~1824-1880))

Kaufmann in Wiesloch

4 Kinder:

a) Siegfried Simon Bodenheimer * 05.01.1892 Wiesloch † 31.05.1915 Aachen (gefallen)

Kaufmann, unverheiratet

b) Sara Anna Bodenheimer * 30.10.1893 Wiesloch † 15.02.1974 Rio de Janeiro

vh. 15.06.1921 Wiesloch Josef Kahn * 28.11.1884 Freiburg † nach 1939 / vor 1974

Zigarrenfabrikant in Freiburg; Familie 1939 nach Buenos Aires

1 Tochter: Doris Stefanie Kahn (1922-?), 1939 Auswanderung nach Brasilien

c) Ludwig Lazarus Bodenheimer * 26.04.1895 Wiesloch † nach 1963 Zürich (?) Sevilla (?)

1930 Kaufmann in Berlin-Schöneberg, Auswanderung nach Brasilien; wohnhaft in Sevilla/Span.

vh. 19.03.1930 Kassel Lieselotte Berta Lieberg * 03.11.1906 Kassel † nach 1978 Sevilla (?)

2 Tö.: Leonore (1931-2014) vh. Horst Oppenheim, B. Aires; Erika (*1934) vh. Gerardo Sichel, B. Aires

d) Auguste Bodenheimer * 10.09.1899 Wiesloch † 17.05.1906 Wiesloch

7. Rosalie („Rosa“) Straus * 05.01.1870 Bruchsal † 02.05.1961 Sao Paulo, Brasilien

1938/39 von Karlsruhe in die Schweiz; 1941 Auswanderung nach Brasilien

verh. 12.05.1892 Bruchsal

Max Odenheimer

* 22.12.1859 Heidelsheim † 04.12.1922 Karlsruhe

(Sohn von David Odenheimer (1828-1908), Heidelsheim, und Bertha Ottenheimer (~1835-1887))

Kaufmann in Bruchsal

4 Kinder:

28


a) Ernst Josef Odenheimer * 10.03.1893 Bruchsal † 20.06.1966 Recife, Brasilien

Kaufmann; Auswanderung 1931 nach Brasilien

vh. Sybilla de Aquino * 1901/02 † 17.05.1987 Recife, Brasilien

3 Ki.: Beatriz (†) vh. Costa; Marion O. (1925-2012) vh. Bandeira de Melo; Max Walter O. (1932-2004)

b) Alfred „Fred“ Odenheimer „Oden“ * 05.10.1894 Br. † 18.05.1966 San Francisco/USA

Auswanderung in USA, kinderlos

vh. Nellie Marx

* 14.07.1900 Bettingen/RP † 18.03.2002 Miami/FL/USA

c) Anneliese Bertha Odenheimer * 10.09.1897 Bruchsal † 19.03.1983 Basel/Schweiz

vh. Dr. iur. Erich Altgenug * 24.04.1894 Essen † 01.05.1969 Basel/Schweiz

1 Tochter: Hanna Eva Altgenug (*1926), vh. Fritz Abrahamson (1919-2017), Australien, 2 Kinder

d) Fritz Odenheimer * 09.12.1898 Bruchsal † 08.07.1976 Basel/Schweiz

Kaufmann in Basel

vh. Erika Fuchs

* 21.07.1907 Karlsr. † 11.10.1987 Campos de Jordao/Bras.

4 Ki.: Jörg O. (1930-2015); Werner O. (*1935), Sao Paulo; Eva O. (1940-1960); Peter O. (*1945), Basel

8. Julius Straus * 13.01.1872 Bruchsal † 14.12.1872 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Oberöwisheim, Grab 68

9. Josef Straus * 24.02.1873 Bruchsal † 01.06.1874 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Oberöwisheim, Grab 74

10. Hugo Straus * 09.03.1874 Bruchsal † 28.10.1954 Rio de Janeiro, Bras.

Kaufmann; Inhaber v. Bijouteriefabrik Pforzheim zusammen mit (20); Auswanderung nach Bras.

verh. 12.04.1907 Worms

Rosa („Rosl“) Guggenheim * 25.05.1883 Worms † 03.04.1965 New York City, USA

(Tochter von Samuel Guggenheim (1840-1930), Worms, und Bertha Merzbach (1851-1907))

3 Kinder:

a) Franz Straus * 25.03.1908 Pforzheim † 1958 (?) Familie?

b) Fritz Straus * 12.07.1912 Pforzheim † Brasilien (?)

vh. Clara von Mentz * † Kinder?

c) Peter Straus * 10.07.1918 Pforzheim † 16.06.1979 Brasilien

vh. Ellen Frank

* 25.10.1921 Köln (?) † 25.11.2020 Rio de Janeiro, Bras.

3 Kinder: Ruth Straus (1944-2020), Eva vh. Gomez, Vera Straus

11. Ferdinand Straus * 21.01.1876 Bruchsal † 05.08.1885 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Bruchsal, Grab 268

12. Bertha Straus * 15.02.1877 Bruchsal † 20.02.1878 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Bruchsal (Ort unbekannt)

13. Emil Straus * 09.08.1878 Bruchsal † 16.12.1880 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Bruchsal, Grab 233a

14. Jakob Straus * 17.10.1879 Bruchsal † 25.09.1880 Bruchsal

beerdigt auf jüd. Friedhof Bruchsal, Grab 233b

29


15. Arthur Straus * 15.04.1881 Bruchsal †

weiterer Lebensweg unbekannt (auch im Straus-Stammbaum von 1938 keine weiteren Angaben)

16. Dr. phil. Dr. h. c. Moritz Straus * 18.03.1882 Bruchsal † 19.01.1959 Zürich

1912 Kaufmann; Inhaber Argus Motorengesellschaft; wohnh. in Berlin und Zürich; 1939 nach Bras.

vh. 20.01.1921 Karlsr. Leonore Beate Schnurmann * 15.07.1896 Karlsr. † 27.11.1978 Zürich

(Tochter v. Jakob Schnurmann (1861-1908), Fabrikant in Karlsruhe, u. Alice Auerbacher (1869-1915))

2 Kinder:

a) Dr. phil. Hannah-Alice Straus * 29.12.1922 Berlin

wohnhaft in Basel; gründete 1999 die Moritz-Straus-Stiftung

vh. Dr. phil. Alfred Katz (vgl. Nr. 19c) * 09.08.1916 Basel † 24.12.2004 Basel

Apotheker, Besitzer der Holbein-Apotheke Basel; Mitglied der New York Acad. of Sciences 1996

2 Kinder: Dr. med. Georg Katz, Basel; Dr. Katharina Katz, Basel

b) Dr. phil. Juliane Dorothea Straus * 09.12.1926 Berlin † 03.05.1984

vh. Müller

3 Töchter

17. Dr. iur. Heinrich Straus * 22.07.1883 Bruchsal † 31.07.1960 Sao Paulo/Bras.

Rechtsanwalt in Karlsruhe; 11.1938 Dachau; 03.1939 mit Ehefrau u. Söhnen nach Brasilien

außerehel. Beziehung

Luise Johanna Emilie Pissowotzki * 31.07.1898 Rastatt † 14.11.1978 Trittau

1 Kind:

a) Ruth Pissowotzki * 26.06.1925 Freiburg/Breisgau † 11.09.2018 Reinbek

vh. 03.04.1948 Wentorf Johannes Grüschow * 02.02.1926 Hamburg

3 Kinder: Ulrike Grüschow (*1953) vh. Schüler; Axel Grüschow (*1955); Felix Grüschow (*1963)

(Heinrich Straus) verh. 23.07.1925 Berlin-Friedenau

Wilhelmine Käte Stern * 27.01.1901 Peckelsheim † 18.09.1992 Sao Paulo/Bras.

(Tochter von Paul Stern und Bertha Stern)

2 Kinder:

b) Walter Heinrich Straus * 20.06.1926 Karlsruhe † 23.04.2014 Sao Paulo/Bras.

Unternehmer (Zement) in Brasilien

vh. Valdeci * 1 Kind: Alexandre do Carmo Straus (*1987)

vh. 08.11.2013 Leonis Ribeiro Cardoso * 06.08.1961

c) Hans Paul Straus * 27.05.1929 Karlsruhe † 08.09.2008 Cuiaba/Brasilien

Pilot, Unternehmer (Kühlanlagen, Möbel) in Brasilien

vh. Camila * 1 Kind: Henrique Straus

18. Dr. Wilhelm Straus * 11.07.1884 Bruchsal † 24.07.1955 Rio de Janeiro

Dr. iur. et rer. pol., vor 1938 nach Rio de Janeiro

verh. 15.06.1941 Rio de Janeiro

Gertrud Kahn * 04.08.1914 München † London (?)

(Tochter v. Julius Kahn (1878-1937), Oberingenieur in München u. Elsa Rosenfelder (1891-1925))

wohnhaft in München; ausgewandert Frühjahr 1938 nach Brasilien

Kinder? (eher wohl nicht)

30


19. Klara Straus * 20.02.1886 Bruchsal †

verh. 02.12.1910 Bruchsal

Dr. phil. Georg Ernst Katz * 05.04.1874 Basel/Schweiz † 1957

(Sohn von Paul Katz, Kaufmann (* 1835 † vor 1910) und Justine Haas (1847-?))

1910 Apotheker in Basel

3 Kinder:

a) Dr. Helene Katz * 06.10.1911 Basel †

vh. Dr. Alfred „Fred“ Singeisen * 1909 Kinder?

b) Paul Katz * 27.04.1913 Basel †

3 Kinder: Marianne Katz (*1962), vh. Werner Niederberger, Basel, Schweiz; 2 weitere Kinder

c) Dr. phil. Alfred Katz * 09.08.1916 Basel (vh. Hannah-Alice Straus, s. Nr. 16.a)

20. Otto Straus * 12.03.1887 Bruchsal † 03.08.1947 Rio de Janeiro

Inhaber v. Bijouteriefabrik Pforzheim zus. mit (10); 1936 Ausw. nach Rio de Janeiro; Juwelier

vh. 22.03.1929 Elisabeth „Liesel“ Kahn * 22.11.1909 Pforzheim †

1 Kind:

a) Brigitte (oder Anna?) Straus * 10.06.1930 Pforzheim Familie?

21. Suse (Liese?) Straus * 15.07.1890 Bruchsal †

verh. 04.03.1914 Bruchsal, geschieden 25.11.1925 Basel

Bruno Fabian * 11.02.1897 Basel † 31.05.1955 London/GB

(Sohn von Levin Fabian, Kaufmann (+ vor 1914) und Margula Olga Hurwitz)

1914 Kaufmann in Berlin, Familie lebte seit ca. 1919 in Basel; 1952 Rohwollhandel in Basel

1 Kind:

a) Hanna Fabian * 17.12.1914 Berlin Familie?

Violinistin (1948); wohnt bis 1948 in Basel; Auswanderung nach New York; 1948 unverheiratet

Gutmann und Sara Straus geb. Stadecker,

um 1860 (Eltern). Foto: Susan Vidmar.

Max Straus, Hermine Bodenheimer, Rosa Odenheimer,

Hugo Straus, Heinrich Straus, Moritz Straus (Geschwister).

31


Biografien von Alfred Baer (1864-1940) und

Rosa Baer geb. Schönmann (1869-1941)

von Malte Willmann, Klasse 9v, und Jonas de Bortoli, Klasse 9s

Rosa Baer geb. Schönmann und Alfred Baer, um 1930 in Bruchsal. Foto: Eric Hahn.

Alfred Baer wurde am 3. November 1864 in Bruchsal als Sohn von Jesaias Machol Bär

und Babette Bär geb. Weil geboren. Außer ihm hatten sie noch zehn weitere Kinder.

Alfred Baer besuchte das Gymnasium in Bruchsal vermutlich bis zur Mittleren Reife

und trat als Lehrling in ein Weißwarengeschäft in Mannheim ein. Nach Beendigung

seiner Lehrzeit arbeitete er in einem Geschäft der gleichen Branche in Neuwied als

Handlungsgehilfe. Der 2. Juli 1890 ist als Gründungsdatum seines Weißwarengeschäfts

im Handelsregister Bruchsal eingetragen. Zunächst befand sich das Geschäft

in der Kaiserstraße 45. 1896 kaufte Alfred Baer das Anwesen Friedrichstraße 29, ein

1789 erbautes Haus mit nur 71 qm Grundfläche für 13.000 Reichsmark. Es hatte einen

Keller, im Erdgeschoss einen kleinen Laden, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss

führte. Dort befanden sich Wohnräume und Küche – diese bewohnte Alfred

Baer zusammen mit seiner Familie 40 Jahre lang.

Alfred Baer heiratete am 17. November 1892 in Bruchsal Rosa Schönmann, die am

16. Dezember 1869 in Neu-Isenburg/Hessen geborene Tochter von Elias Schönmann

(1836-1896) und Mariam Fürth (1839-1908). Elias Schönmann stammte

aus Obertshausen/Kreis Offenbach und war Kaufmann in Neu-Isenburg, und das

32


Ehepaar hatte neben Rosa mindestens

sieben weitere Kinder: Pauline Fürth

geb. Schönmann (1864-1904), Ludwig

Schönmann (1865-1938), Julius Schönmann

(1871-1928), Berta Brumlik geb.

Schönmann (1873-1916), Jenny Cahn

geb. Schönmann (1874-1944), Helene

Oppenheimer geb. Schönmann (1876-

1937) und Kathinka Schönmann (1879-

?). Pauline und Ludwig lebten mit ihren

Familien in Wien, Berta in Mannheim,

Jenny und Helene in Frankfurt/M. Kathinka

(oder eine weitere, namentlich

nicht bekannte Schwester) lebte mit

zwei Töchtern in Brüssel – dort konnte

sie der Großneffe Eric Hahn in den

1950ern kennen lernen. Ludwig Schönmann

blieb als Kaufmann in Neu-

Isenburg und kam nach dem Tod seiner

Frau Flora nach Bruchsal. Er starb

im Haus seiner Schwester Rosa Baer,

Friedrichstr. 29, am 13. August 1928.

Anny u. Ernst Baer, 1906 in Bruchsal. F.: Jeanne Baer.

Blick vom Schönbornplatz durch die Friedrichstr.

zum Friedrichsplatz. Q.: Stadtarchiv Bruchsal.

Leider wissen wir aus dem persönlichen Leben

von Rosa und Alfred Baer wenig, und

so geben nur die Lebensdaten der Kinder

einen spärlichen Einblick: Am 22.8.1894

kam ihr erstes Kind zur Welt. Sie nannten

es nach seiner Mutter: Erna Babette. Am

3.12.1896 starb Erna, und ihr Kindergrab

ist bis heute auf dem Bruchsaler Jüdischen

Friedhof erhalten. Am 5.7.1899 wurde

Ernst Bär, das zweite Kind der Familie, geboren,

und fünf Jahre später, am 1.7.1904,

Anna, genannt Anny.

Zu etwa dieser Zeit begann Bruchsals wirtschaftlicher

Aufschwung, in dessen Zuge

Alfred Bär sein Geschäft stark ausbaute.

Sicher hatte dabei die zentrale Lage seines

Geschäfts in unmittelbarer Nähe der Kreuzung

der beiden Hauptgeschäftsstraßen

33


Werbeanzeige. Quelle: Adressbuch Bruchsal, 1925.

Bruchsals einen Anteil.

Allerdings war auch die

Konkurrenz nicht weit:

Genau gegenüber in der

Friedrichstraße hatten

zwei ebenfalls jüdische

Geschäfte des gleichen

Geschäftszweigs ihren

Sitz (Maier und Dreifuß),

und um die Ecke,

in der Kaiserstraße, war

das Weißwarengeschäft

Bärtig. In etwa die Hälfte

seines Umsatzes machte

Alfred Baer im Ladengeschäft.

Außerdem war

Alfred Baer viel unterwegs

und besuchte seine

Kundschaft während dieser Reisen. Dabei war Baer hauptsächlich auf Brautausstattungen

spezialisiert. „Man unterhielt Lager in Damenwäsche, Leinen, Tischwäsche,

Bettwäsche, Bettfedern, Barchent, Wolldecken, Kissenbezügen, Handtüchern, Vorhängen,

Kinderwäsche, Kinderkleidern, Herrenunterwäsche, Herrenstrümpfen,

Krawatten, Wollwesten, Arbeitshemden und -schürzen, Daunendecken u. ä.“ – so

schrieb Schwiegersohn Leo Hahn später. „Dann möchte ich noch aufführen, dass

wir Arbeitshemden angefertigt haben. Wir hatten einige Frauen, die für uns Heimarbeit

machten und wir waren weit und breit für diese Spezialarbeit bekannt. Wir

waren spezialisiert in der einfachsten wie zur feinsten Ausstattung, da unsere Kundschaft

aus gut bürgerlichen bis zu den feinsten Kreisen bestand.“

Der einzige Sohn, Ernst Baer, war im Ersten Weltkrieg bei der Fußartillerie-Brigade

in Straßburg und danach Kaufmann bzw. Bankbeamter in Essen. Somit blieb nur

die Tochter Anny bei den Eltern in Bruchsal. Als sie 1929 den aus dem hessischen

Auerbach stammenden Kaufmann Leo Hahn heiratete, wandelte Alfred Baer sein

Geschäft in eine OHG um und der Schwiegersohn konnte 50%-iger Teilhaber werden.

Alfred Baer zog sich danach aber, immerhin 66-jährig, nicht aus dem Geschäft

zurück, sondern soll bis zur Geschäftsaufgabe und dem Alter von 74 Jahren noch

täglich im Laden gestanden haben. Auch führte er bis zuletzt die Geschäftsbücher.

Immerhin stellte ein Buchrevisor die Bilanzen auf und fertigte die Steuererklärungen

an.

Kurze Jahre nach dem Geschäftseintritt des Schwiegersohns Leo Hahn verschlechterte

sich das Verhältnis zwischen den Juden und der restlichen Bevölkerung. Die

Einnahmen der Baers verringerten sich in den 1930ern stark, von etwa 15.000 RM

pro Jahr in der Zeit vor Hitlers Machtergreifung bis auf 0 im Jahre 1938, als das Ge-

34


schäft von offizieller Stelle geschlossen wurde. Man lebte von den Rücklagen früherer

Jahre. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde der

Laden verwüstet und geplündert und die Scheiben eingeschlagen. Das Warenlager

im Wert von ca. 45.000 RM zu normalen Zeiten wurde durch einen Treuhänder an

„Nichtjuden“ verkauft. Alfred Baer bekam dafür nur eine minimale Summe, auf

die er jedoch nicht zugreifen konnte: Das Geld wurde gesperrt. Im Dezember 1938

musste er schließlich sein Haus in der Friedrichstraße 29 verkaufen, die Käuferfamilie

Bohn führte ein Geschäft in derselben Branche. Das Haus wurde beim Angriff

auf Bruchsal vollständig zerstört, heute befindet sich dort ein Schmuckgeschäft.

Bereits 1936 waren Rosa und Alfred Baer aus ihrer Wohnung im eigenen Haus ausgezogen,

vermieteten ihre Wohnung und kamen in der Schlossstraße 5 bei der Familie

Katz, die ebenfalls jüdisch war, gemeinsam mit Anny und Leo Hahn und dem

3-jährigen Enkelsohn Erich unter. Im November 1938 kam Alfreds Schwester Ida

Tuteur nach ihrer Flucht aus Kaiserslautern dazu.

Im März 1939 flohen Anna und Leopold Hahn dann mit ihrem Sohn Erich nach

Amerika. Schon früh schlugen Anna und Leopold Hahn dem Ehepaar Baer eine

Flucht vor, seine Heimat wollte Alfred Baer jedoch nicht verlassen. Zwischen Mai

1939 und Oktober 1940 zogen sie noch einmal um, da die Familie Katz inzwischen

nach Holland geflüchtet war und das Haus verkauft hatte. Alfred und Rosa Baer und

Ida Tuteur mussten in die Bismarckstraße 3 ziehen, eines der „Judenghettohäuser“

Bruchsals. Alfred Baer wurde schließlich am 22. Oktober 1940 zusammen mit seiner

Frau Rosa, seiner Schwester Ida und den anderen badischen Juden nach Gurs

deportiert. Kurz darauf starb er dort am 15. Dezember 1940 im Alter von 76 Jahren.

Seine Ehefrau Rosa Baer starb wenig später, am 19. Januar 1941. Sie waren unter

den ersten Bruchsaler Todesopfern in Gurs. Die Kinder Ernst Baer und Anny Hahn

erhielten im Entschädigungsverfahren

1957 für den Tod

des Vaters DM 150 und für den

Tod der Mutter DM 300 ausbezahlt,

da nach bundesdeutschem

Recht nicht der Tod aus

Entkräftung, sondern nur die

Haftzeit entschädigungswürdig

war. Für jeden vollendeten

Monat Haftzeit bezahlte das

sogenannte „Amt für Wiedergutmachung“

DM 150: Alfred

Baer war einen Monat und 17

Tage interniert, Rosa Baer zwei

Monate und 28 Tage.

Lagerfriedhof in Gurs. Foto: Cornelia Petzold-Schick.

35


Biografien von Leo Hahn (1896-1970) und

Anny Hahn geb. Baer (1904-1987)

von Florian Jung

Leopold Hahn wurde am 16. Oktober 1896 in

Auerbach an der Bergstraße geboren. Seine Eltern,

der Kaufmann Zodick Hahn (1858-1937)

und seine Ehefrau Hanchen geb. Bentheim

(1854-1914), entstammten beide alteingesessenen

jüdischen Familien und betrieben in

Auerbach ein Geschäft; 1910 wird in der Bachgasse

11 (heute Bachgasse 13) in Auerbach

eine Immobilienagentur unter dem Namen

Zodick Hahn genannt. Zur Familie gehörten

zwei ältere Schwestern: Ida (1887-1942) war

die ältere, sie war seit 1909 mit Arthur Haas

(1880-1942) verheiratet. Beide blieben kinderlos

und lebten viele Jahre in Darmstadt,

bevor sie 1942 nach Piaski-Lublin deportiert

und ermordet wurden. Da sie von 1937 bis

1939 in Auerbach lebten, erinnern dort seit

2011 Stolpersteine an sie. Die zweite Schwester,

Bella (1890-1983), war seit 1913 mit Berthold

Anny und Leo Hahn, um 1930. F.: Jeanne Baer.

Frank (1884-1973), Kaufmann in Auerbach

und letzter Vorsteher der dortigen jüdischen Gemeinde, verheiratet und konnte 1939 in

die USA fliehen. Das ebenfalls kinderlose Ehepaar ist in Paramus (New Jersey) bestattet.

Leopold Hahn, der sich auch in offiziellen Dokumenten später durchgängig Leo nannte,

besuchte nach der Volksschule das Gymnasium in Bensheim und verließ es nach Abschluss

der Untersekunda (Mittlere Reife), um eine kaufmännische Lehre zu absolvieren.

In Darmstadt und Neubrandenburg war Leo Hahn dann in großen und angesehenen Firmen

tätig. Am 15. Oktober 1915, einen Tag vor seinem 19. Geburtstag, musste er ins Heer

eintreten und diente an der West- und Ostfront. Nach seiner Entlassung war er zunächst

wieder Angestellter bei größeren Firmen, übernahm dann aber das väterliche Geschäft in

Auerbach.

Am 12. September 1929 heirateten Leo Hahn und Anny Baer in Bruchsal. Anny Hahn war

am 1. Juli 1904 in Bruchsal als Tochter von Alfred Baer und Rosa Baer geb. Schönmann geboren

und wuchs im Haus Kaiserstraße 29 auf, wo der Vater Alfred Baer ein Ausstattungsgeschäft

betrieb. Leo Hahn trat im Januar 1930 mit einer Beteiligung von 50% in die Firma

ein und nahm die Reisetätigkeit wieder auf, die sein damals 66-jähriger Schwiegervater

nicht mehr so umfangreich wie früher auszuüben im Stande war. Leo Hahn beschrieb

36


seine Reisetätigkeit später so: „Wir hatten für Jahre und Jahre die gleiche Kundschaft, die

von Zeit zu Zeit mit Mustern besucht wurde, ihre Aufträge gaben, die dann per Post geliefert

wurden. Wie oft hatten wir Briefe von Kunden, wenn eine Tochter heiraten wollte,

mit unseren Mustern zu kommen und bekamen Aufträge für die ganze Ausstattung. Niemals

verkauften wir von Haus zu Haus, sondern wie ich Ihnen gerade erklärt habe, hatten

wir unsere Stammkundschaft, die durch Empfehlungen immer größer wurde.“ Etwa

60% des Umsatzes wurden in den Jahren 1930 bis 1933 durch das Ladengeschäft und 40%

durch die Reisetätigkeit erzielt. Leo Hahn konnte das Geschäft insgesamt somit wieder in

Schwung bringen. Es handelte sich dabei um ein typisches Familienunternehmen, in dem

neben Alfred Baer und Leo Hahn auch Anny Hahn geb. Baer mitarbeitete.

Anny und Leo Hahn bezogen nach ihrer Verheiratung eine Drei-Zimmer-Wohnung mit

Küche im damals sicher imposanten Neubau Amalienstraße 5, dem sogenannten Odenwaldbau

an der Ecke zum Bahnhofsplatz. Als das einzige Kind, Erich, am 27. Juni 1933 in

Karlsruhe geboren wurde, mag es bei den Eltern schon Sorgen um seine Zukunft gegeben

haben. Sehr bald nach der Machtübernahme spürte das Ladengeschäft den Boykott, und

zur Reisetätigkeit schrieb Leo Hahn später: „Der Umsatz, den ich durch meine Reisetätigkeit

erzielen konnte, wurde immer geringer. Es war mir besonders auf den kleinen Plätzen,

die ich aufsuchte, kaum mehr möglich, Zutritt zu den alten Kunden zu erhalten, da diese

sich fürchteten, einen Juden in die Wohnung hereinzulassen.“ – und an anderer Stelle:

„Der Rückgang des Geschäftes zwang mich, meine Wohnung in dem teuren Neubau

aufzugeben. Wir mieteten eine andere Wohnung, welche wir gemeinschaftlich mit den

Schwiegereltern bewohnten.“ Diese Wohnung lag im Haus der jüdischen Familie Katz,

Schlossstraße 5. „Die Schwiegereltern selbst, die bisher im eigenen Hause, Friedrichstraße

29, gewohnt hatten, vermieteten diese Wohnung“, so Hahn weiter. Andernorts ist überliefert,

dass Ludwig und Ida Geismar im April 1936 genau diese Vier-Zimmer-Wohnung in

Anny und Leo Hahn. um 1939. Fotos: Einbürgerungsanträge USA, www.family-search.com.

37


der Friedrichstraße 29 von Rosa und Alfred Baer bezogen. Im Bruchsaler Adressbuch des

Jahres 1933/36 wird noch die Amalienstraße 5 als Adresse der Familie Hahn angegeben,

im Adressbuch 1938 dann die Schlossstraße 5. Somit spricht einiges dafür, dass dieser Umzug

in die dann sicher sehr beengten Verhältnisse im Frühjahr 1936 stattfand.

Zur Katastrophe kam es für die Familien Baer und Hahn im November 1938. Am Tag

nach der Reichspogromnacht, am 10. November 1938, musste das Geschäft verfolgungsbedingt

schließen. Leo Hahn wurde verhaftet und zusammen mit 40 weiteren Bruchsaler

Männern nach Dachau verschleppt. Alfred Baers Schwester, Ida Tuteur geb. Baer, kam

völlig überraschend in Bruchsal an und suchte Asyl bei ihrem Bruder, weil ihre Wohnung

in Kaiserslautern im Zuge des Pogroms verwüstet worden war.

Wann sich Leo und Anny Hahn entschlossen, Deutschland zu verlassen, ist nicht bekannt.

Schon Monate oder Jahre vor November 1938? Oder erst, als Leo Hahn Ende 1938 aus der

Haft im Konzentrationslager Dachau zurückkehrte? Ende März 1939 reisten Leo, Anny

und der mittlerweile sechsjährige Erich Hahn mit dem Zug bis Cuxhafen und dann weiter

mit den Dampfer „SS Hamburg“ auf der Hamburg-Amerika-Linie nach New York, wo sie

am 31. März 1939 ankamen. Dort konnten sie bei Ernst Baer, Annys Bruder, unterkommen,

der 1937 nach New York ausgewandert war und mit seiner Frau Julia im Mai 1939

mit dem Sohn Leslie Familienzuwachs bekam. Noch im April 1940 lebte Familie Hahn

dort als Untermieter in sehr beengten Verhältnissen, da sich Leo Hahn in den ersten Jahren

in New York lediglich mit Gelegenheitsarbeiten notdürftig über Wasser halten konnte.

Erst 1942, nach dem Kriegseintritt der USA, konnte Leo Hahn eine reguläre Arbeitsstelle

finden, und in den 1950ern lebte Familie

Hahn in New York, 600, West 161 Street. Der

Bezirk Washington Heights war von vielen

deutschen Emigranten bewohnt. Bis zum

Renteneintritt 1959 arbeitete Leo Hahn dann

bei der Peter Pan MFG Corp.; 1955 gab er seinen

Beruf mit „Fabrikaufseher“ an.

Etwa im Jahr 1958 zogen Anny und Leo Hahn

nach Fairlawn in New Jersey (23-13 Ellington

Road), und Anny Hahn eröffnete in Paterson

NJ (95, Van Houten St.) ein Geschäft für Korsetts

und Büstenhalter, den „Hahn’s Corset

Shop“. Leo Hahn wurde Teilhaber, und bei

seinem Tod am 5. September 1970 wurde sein

Beruf mit „Store Manager“ angegeben. Leo

Hahn hatte bereits jahrelang eine Herz-Kreislauf-Erkrankung,

und ein Herzinfarkt ereilte

ihn in seiner Wohnung; er wurde 74 Jahre

alt. Sehr lange wird Anny Hahn ihr Geschäft

nicht weiter betrieben haben, da sie zwischen Anny Hahn geb. Baer, 1966. Foto: Jeanne Baer.

38


Juni 1973 und Juni 1974 nach Westwood NJ in das Valley Nursing Home (300, Old Hook

Road) umzog. Anny Hahn verstarb am 11. Dezember 1987 in Bergen NJ im Alter von 83

Jahren.

Leo und Anny Hahn blickten mit Verbitterung auf ihre Erfahrungen in Bruchsal während

des Nationalsozialismus zurück und sprachen auch mit ihrem Sohn Eric selten über diese

Zeit – ein Verhalten, das sich bei vielen überlebenden Opfern beobachten lässt. 1964

schrieben sie an das Landesamt für Wiedergutmachung in Karlsruhe, dass sie keinerlei

Kontakte nach Bruchsal unterhielten – und es ist überliefert, dass Anny Hahn eine Einladung

ehemaliger Bruchsaler Klassenkameradinnen ohne Zögern zerriss und im Papierkorb

entsorgte. Trotzdem blieben die deutsche Sprache, Kultur und Lebensweise von zentraler

Bedeutung im Hause Hahn, und deutsch blieb für Sohn Eric „Muttersprache“ im

wörtlichen Sinn.

Biografie von Eric Hahn (geb. 1933)

von Florian Jung

Als Eric Hahn unter dem Namen Erich Hahn am 27. Juni 1933 in Karlsruhe geboren wurde,

waren für seine Eltern Leo Hahn und Anny geb. Baer durch die Machtübernahme

Hitlers bereits dunkle Wolken am Horizont aufgezogen. Sehr bald bekamen die Eltern, die

zusammen mit den Großeltern Alfred und Rosa Baer in Bruchsals Zentrum ein Ausstattungsgeschäft

führten, einen rassistisch begründeten Umsatzrückgang zu spüren. Familie

Hahn musste die moderne Drei-Zimmer-Wohnung in der Amalienstraße 5 in Bruchsal im

Frühjahr 1936 verlassen und wohnte zusammen mit den Großeltern und einer Großtante

in einer beengten Wohnung

in der Schloßstraße

5. Im März 1939 konnte

Familie Hahn in die USA

auswandern und kam bei

Anny Hahns Bruder, Ernst

Baer, in New York unter.

Der Vater konnte in der

fremden Umgebung beruflich

nur schwer Fuß fassen.

„His early years were full of

struggle and uncertainty“,

schrieb Eric Hahns Frau

Hannie kürzlich in ihrer

Biografie – „Seine frühen

Jahre waren voller Kampf

Alfred und Rosa Baer mit ihrem Enkel Eric Hahn, 1939. F.: Jeanne Baer. und Unsicherheit.“

39


Erich, der von seinen Eltern seit der Einreise in die USA 1939 als „Eric“ geführt wurde,

besuchte nach seinem Schulabschluss die Universität von New York (NYU) und studierte

Mathematik und Physik. Dort lernte er Hannelore Strassner, genannt Hannie, kennen –

genauer beim Skifahren in Vermont. Sie war die Tochter des deutschen Widerstandskämpfers

Adolf Strassner, der nach einigen Jahren im Nürnberger Stadtgefängnis von Dezember

1935 bis April 1938 in Dachau inhaftiert war. Adolf Strassner machte nach fünfjährigem

Kriegsdienst dann die Erfahrung, dass sich im Nachkriegsdeutschland niemand für die

Schicksale der von Hitler Verfolgten interessierte, und spielte daher sogar mit dem Gedanken,

nach Argentinien auszuwandern. Tochter Hannie kam nach einem Jahr in London

1964 nach New York, um ihre Sprachstudien fortzusetzen.

Für Erics Eltern war von großer Bedeutung, dass die christliche deutsche Hannie nicht

aus einer Nazi-Familie stammte, was sich zufälligerweise verifizieren ließ: Erics Tante Bella

Frank hatte mit einer Dame in New York zusammengearbeitet, die früher mit Adolf

Strassner in Nürnberg befreundet war und die ganze Geschichte bestätigen konnte. 1966

wurden Hannelore und Eric Hahn im Haus von Erics Eltern in Fairlawn NJ vom Bürgermeister

der Stadt getraut.

Eric Hahn war zunächst bei Bendix (heute Honeywell) angestellt und kam in Verbindung

mit der NASA in Huntsville (Alabama), wo das junge Paar dann eine Weile lebte. Daran

schloss sich bei Lockheed in San Jose (Kalifornien) eine interessante Stellung in der

„Guidance and Control“-Abteilung an. Dort war Eric befasst mit wichtigen Weltraumprogrammen

(Skylab, Space Shuttle, Space Teleskop und der Space Station). Er arbeitete auch

mit ehemaligen Pennemünder Wissenschaftlern und der zweiten Generation junger deutscher

Ingenieure zur Unterstützung des amerikanischen Weltraumprogramms zusammen.

Nicht mit den ehemaligen Pennemünder Wissenschaftlern, wohl aber mit den jungen

Deutschen gleichen Alters

bauten Eric und Hannie

Hahn freundschaftliche

Beziehungen auf. Das Thema

NS-Zeit wurde jedoch

gemieden. In den späteren

Jahren kehrte das Ehepaar

Hahn nach New Jersey zurück

und lebte in Teaneck

und Woodcliff Lake.

Da die Ehe der Hahns

kinderlos blieb, konnte

sich Hannie Hahn eine eigene

Karriere aufbauen.

Zunächst arbeitete sie in

Huntsville und später in

Hannelore und Eric Hahn, 2020 in Lumberton/USA. F.: E. Hahn. San Jose als Lehrerin für

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Spanisch und Musik. Nach der Rückkehr nach New Jersey unterrichtete sie Deutsch und

Spanisch nicht nur an der High School, sondern auch am College (William Patterson University).

Sie promovierte über lateinamerikanische Literatur an der Columbia University.

Die langen Jahre als Lehrstuhlinhaberin und Professorin für Deutsch und Spanisch am

College of Saint Elizabeth bezeichnet sie heute als Erfüllung eines Lebenstraums. Für Hannie

Hahn war es auch wichtig, am dortigen Zentrum für Holocaustforschung mehrmals

jährlich Vorträge zum Leben in Nazi-Deutschland zu halten.

Heute lebt das Ehepaar Hahn in einer ausgedehnten Seniorenwohnanlage in Lumberton

in New Jersey unweit von Philadelphia. Sie besuchten auch in den letzten Jahren immer

wieder Deutschland und die noch hier lebenden Verwandten von Hannie Hahn. Zur Stolpersteinverlegung

nach Bruchsal am 8. Juni 2021 konnten Eric und Hannie Hahn aufgrund

der Coronapandemie bedauerlicherweise nicht reisen, aber es ist zu hoffen, dass der

Besuch bald nachgeholt werden kann.

Biografie von Ida Tuteur geb. Bär (1874-1967)

Von Sean Urban und Josip Kujundzic, Klasse 9v

Ida Tuteur kam am 29. November 1874 als Ida Bär in Mannheim auf die Welt. Sie

war die jüngste Tochter von Babette Weil und Jessaias Machol Bär (ihr Vater starb

mit 66 Jahren an unbekannter Ursache, ihre Mutter mit 54 Jahren an Lungenentzündung)

und die Schwester von Auguste Bär, Max Moses Bär, Michael Myrtill Bär,

Hugo Bär, Henriette Bär, Alfred Baer und Jenny Bär.

Sie besuchte die Schule in Mannheim und in Bruchsal, wo sie nach der Schule im

Haushalt ihres Bruders tätig war. Ida Bär und Max Tuteur (1858-1931) heirateten

am 3. April 1906 in Heidelberg. 1906 zog sie daher nach Kaiserslautern, wo sie bis

1938 ihren eigenen Haushalt führte. Max Tuteur hatte die Volksschule in Winnweiler/Pfalz

besucht und dann die Realschule in Kaiserslautern bis zum Einjährigen.

Max Tuteur war erfolgreich als Pferdehändler und Kaufmann. Unter anderem war

Max Tuteur im ersten Weltkrieg Heereslieferant. In erster Ehe war Max Tuteur verheiratet

mit Amalie Wolf (1857-1905), mit der er zwischen 1886 und 1899 sieben

Kinder hatte. Zusammen waren Max und Ida Tuteur Vermieter eines Mehrfamilienhauses,

in dem Ida Tuteur Hausfrau war. Gleichzeitig wohnten sie auch in dem

Haus und ihr Einkommen betrug 4200 RM. Die Adresse war die Mainzer Straße 6

in Kaiserslautern. Am 1. Juni 1909 erblickte Helmut Julius als einziges Kind aus der

Ehe von Max und Ida Tuteur das Licht der Welt. Gerufen wurde er Herbert.

Frau Tuteur wohnte mit Familie Buhrke, Untermieter von ihr, auf derselben Etage

und im selben Flur. Die ganze Wohnung bestand aus zehn Zimmern, von denen

sie selbst die Hälfte bewohnte, die andere Hälfte stand Familie Buhrke zur Verfügung.

Zusätzlich nutzte Frau Tuteur noch eine Mansarde, die auch als Gastzimmer

diente. Familie Buhrke pflegte mit Frau Tuteur keinen gesellschaftlichen Umgang,

41


Sohn Helmut Tuteur, Einbürgerungsantrag, 1937.

Quelle: www.family-search.com.

42

Frau Buhrke: „Das brachten die damaligen

Zeitumstände mit sich“. Frau Tuteur

ließ sich allerdings von Herrn und Frau

Buhrke in manchen Dingen helfen, da

Herr Buhrke Gruppenleiter einer Organisation

für Inflationsgeschädigte war

und ihr in manchen Belangen Ratschläge

erteilen konnte. Frau Buhrke schrieb für

sie auf der Maschine Klagen für säumige

Mieter. Mit Frau Moser, einer Mieterin

aus dem Hintergebäude, hatte sie in den

letzten Jahren in der Mainzer Straße ein

fast freundschaftliches Verhältnis. Frau

Moser half ihr ab 1936 im Haushalt und

putzte ihre Wohnung. Ab diesem Zeitpunkt

durften Juden keine Dienstmädchen

mehr haben. Später übte sie diese

Tätigkeit heimlich aus, da sie deswegen bei der NSV-Dienststelle vorsprechen musste

und man ihr dort Vorhaltungen machte. Frau Tuteur wird als gebildete Frau beschrieben,

gut situiert, dennoch war sie äußerst sparsam - wobei sie auch am Essen

sparte -, da sie nicht immer die Miete bekam. In der Reichspogromnacht kam ein

uniformierter Mann zur Familie Buhrke und sagte: „sie würden jetzt diese Sachen

der Frau Tuteur zusammenschlagen.“ Frau Buhrke sagte, dass Frau Tuteur immer

eine vorbildliche Vermieterin gewesen sei und dass dazu kein Grund bestehe. Der

Mann ging weg und wollte davon Abstand nehmen, er teilte dies auch den Wartenden

unten an der Straße mit. Daraufhin sagte ein anderer Mann, dass Frau Tuteur

ihm gekündigt hatte. Daraufhin stürmten Leute in die Wohnung und zerstörten

oder beschädigten Möbelstücke und Inventar wie Teppiche und ähnliches, sogar Türen

und Fenster wurden zum Teil herausgerissen. Die Mansarde wurde verschont,

da niemand hinaufging – dort versteckte sich zum Zeitpunkt des Überfalls auch

Ida Tuteur. Ida Tuteur trug den Überfall mit Fassung und sagte zu Familie Buhrke:

„Das ist Judenschicksal“. Frau und Tochter Buhrke halfen Ida Tuteur in den herausgerissenen

Schubladen des Sekretärs dann die Brillantohrringe zu finden, worüber

Ida Tuteur sehr erleichtert war. Unmittelbar danach forderte man sie auf, Kaiserslautern

zu verlassen. Sie zog am nächsten Tag zu ihrem Bruder Alfred Baer nach

Bruchsal, in die Schlossstraße 5 und später in die Bismarckstraße. In die Mainzer

Straße in Kaiserslautern kehrte sie noch zwei oder drei Mal zurück und verschenkte

Teile der Wohnzimmer- und Küchenmöbel sowie Möbel aus der Mansarde an Frau

Moser, als Ausgleich für die Kaution. Möbel, die sonst noch einigermaßen erhalten

waren oder wieder repariert werden konnten, holte sie nach Bruchsal und auch

einzelne Wertgegenstände konnte sie noch mitnehmen. Sie wollte schon 1939 aus-


wandern und ließ sich beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart unter Nummer

43700 registrieren. Ihr Sohn Herbert war schon 1937 in die USA ausgewandert. Die

Wartezeit war damals sehr lang und bevor das Visum erteilt werden konnte, fand

die Deportation statt. Ida Tuteur wurde am 22. Oktober 1940 verhaftet und nach

Frankreich abgeschoben.

Im Zeitraum vom 22. Oktober 1940 bis zum 16. März 1946 war sie in 5 Lagern:

22.10.1940-29.11.1941 Camp de Gurs, Frankreich

30.11.1941-14.11.1942 Camp de Levant, Marseille, Frankreich

(Hotel de Levant und Hotel Terminus des Portes)

15.11.1942-30.03.1943 Camp de Nexon, Frankreich

30.03.1943-15.05.1945 Camp de Masseube, Frankreich

15.05.1945-16.03.1946 Camp de Lacaune, Frankreich

Ida erkrankte im Lager Gurs an Ruhr und litt dort an allgemeiner Schwäche und

Nervenerregtheit, mit der Folge: Verschlechterung der Sehkraft. Bei einer Behandlung

in Toulouse sagte man ihr, sie solle mit der Behandlung bis zur Ankunft in den

USA warten. Auch bei zwei vorherigen Arztuntersuchungen teilte man ihr mit, man

könne nichts machen. Noch ein Versuch: es wurde alles Nötige getan, um ihr die

Auswanderung im August 1942 auf dem Schiff „Serpa Pinto“ zu ermöglichen, doch

war zu diesem Zeitpunkt die Ausreise aus Frankreich nicht mehr möglich. Ida reiste

erst am 22. April 1946 aus Frankreich aus, über Spanien nach Lissabon in Portugal,

von wo sie mit dem Flugzeug in die USA flog.

Sie wanderte in Chicago, Illinois ein. Dort lebte sie wohl erst in der Familie ihres

Sohnes, bis sie 1950 im jüdischen Altersheim aufgenommen wurde (Altersheim

Adresse: Drexel Home of Aged Jews, 6140 South Drexel Avenue, Chicago 37 Illinois).

Seit ihrer Befreiung sorgte ihr Sohn in Chicago für sie. In Chicago traf sie

auch eine alte Freundin wieder, Paula Metzger, die sie seit 1909 kannte und mit der

sie sich in Deutschland persönlich traf und schriftlich verkehrte. Auch Ella Schweitzer,

die sie seit 1928 kannte und mit der sie sich in Deutschland entweder in Kaiserslautern

oder in Essen (Frau Schweitzers Wohnort) sehr oft traf, traf sie in Chicago

wieder. Zu beiden Frauen

hatte sie schon 1946, nach

ihrer Ankunft in den USA,

wieder Kontakt. Ida war

US-Bürgerin seit dem

9. November 1951 (Citizenship

Nr. 338611) und starb

am 18. September 1967 in

Chicago im Alter von 93

Jahren.

43

Aus: Aufbau, Ausgabe vom 29.09.1967.


Familie von Jesaias Machol Bär

(Eltern von Alfred Baer und Ida Tuteur)

Jesaias Machol (Isaias Moses) Bär * 06.04.1827 Untergrombach † um 1893

(Sohn v. Machol Bär (1788-1852), Handelsmann in Untergrombach, u. Gella Dürnheimer (1794-1854))

1855 Handelsmann und Schutzbürger in Untergrombach, 1858 Weinhändler und Bürger in Bruchsal,

1875 in Mannheim (1875 Bankrott, 2 Jahre Haft), 1879 in Untergrombach wohnhaft

verh. 15.08.1855 Bruchsal

Babette Weil

* 01.08.1834 Emmendingen † 20.08.1888 Bruchsal

(Tochter v. Moses Weil, Bürger und Handelsmann in Emmendingen, u. Henriette Nelson († vor 1855))

11 Kinder:

1. „Auguste“ Karoline Bär * 07. oder 08.07.1856 Bruchsal † 24.11.1942 Theresienstadt

1899/1902 Spezereihändlerin in Mannh., 1926/42 in Offenbach a.M., Deportation 27.09.1942, unverh.

1 Kind:

a) Emma Bär * 28.05.1882 Untergrombach † 27.05.1940 Offenbach a. M.

1902 Dienstmädchen in Mannheim

vh. 21.06.1902 Höchst Theodor Abow * 15.08.1872 Schwerin † 25.07.1952 Offenbach a. M.

1902 Kellner in Höchst, 1940 in Belgien, 1940 und 1952 in Offenbach wohnhaft

mind. 1 Kind: Max Abow (1904 Ffm.-1966 Offenbach) vh. 1930 Hedwig Kraft (1910 Wiesbaden-?)

2. Max (Moses?) Bär * 01.12.1857 Bruchsal † 27.09.1911 Mannheim

1873 in Karlsruhe, später in Mannheim

verh. 31.01.1884 Karlsruhe

Henriette Straus * 05.02.1862 Diedelsheim † 22.07.1940 Mannheim

5 Kinder:

a) Jenny Bär * 04.11.1884 Mannheim † 1972 Tel Aviv/Israel

vh. 31.10.1907 Mannheim Albert Kissinger * 20.03.1881 Bad Kissingen † 1941 Israel

2 Kinder: Max Kissinger (1908-1976), Jerusalem; Ernst Kissinger (1910-1994), Tel Aviv

b) Hilda Bär * 30.10.1885 Mannheim † 05.09.1925 Mannheim (?)

beerdigt in Mannheim, unverheiratet

c) Moritz Richard Bär * 29.09.1886 Mannheim † 09.03.1943 Majdanek, KZ

Kaufmann in Mannheim u. Karlsruhe; 04.1937 in Niederlande emigriert; über Drancy nach Majdanek

vh. 24.11.1920 Berlin Gertrud Maria Rohde * 04.10.1890 Dortmund † 1977 USA

1 Kind: Margarete Ellen Bär * 30.09.1917 Mannheim † ?? (1938 Emigration 1938 in USA mit Mutter)

d) Bertha Bär * 29.03.1888 Mannheim † 16.10.1942 Camp de Noe/F

wohnhaft in Bad Kissingen und Mannheim; 22.10.1940 Deportation nach Gurs; unverheiratet

e) Hellmuth Bär * 18.06.1890 Mannheim † 19.05.1946 Shanghai/China

vh. Hedwig Wolf * 06.04.1902 Rastatt † 02.09.1942 Auschwitz; 2 Ki.

3. Michael Myrtill Bär * 22.02.1859 Bruchsal † 25.01.1941 Mainz

seit 1888 Fruchthändler in Worms; 1937-1941 im jüd. Krankenhaus Mainz, beerdigt in Worms

vh. 1. Ehe: Johanna Haas * 1870 Eich bei Worms † 02.06.1915 Worms

44


vh. 2. Ehe: 12.07.1922 Berta Rothschild * 05.08.1860 Neustadt/Odw. † 10.12.1926 Worms

vh. 3. Ehe: 19.05.1927 Lina Weil * 04.03.1868 Gailingen † 25.09.1935 Bad Homburg v.d.H.

1 Kind (aus 1. Ehe):

a) Albert Bär * 30.03.1896 Worms † 28.10.1915 (vermisst 1. WK)

Kaufmann in Worms

4. Hugo Bär * 04.04.1860 Bruchsal † 29.12.1922 Bruchsal

1893 Kaufmann; 1897: Württemberger Str. 9; 1922: Moltkestr. 15 (Grab in Bruchsal erhalten)

verh. 08.01.1893 DA-Arheilgen

Julie (Julchen) Kahn * 10.09.1865 in DA-Arheilgen † 20.10.1922 Bruchsal

2 Kinder:

a) Betty Bär * 14.12.1893 Bruchsal † 1941/1945

wohnhaft in Bruchsal und Frankfurt/Main; Deportation am 11./12.11.1941 ins Ghetto Minsk

b) Paula Bär * 19.07.1897 Bruchsal † 1941/1945

Kaufhausbesitzerin „Zum wahren Jakob“ Hufnagelstr. 22, Frankfurt; 11.11.1941 Deportation Minsk

vh. Sally Stern * Friedberg bei Ffm. † 15.03.1930 Frankfurt/M.

1 Kind: Hildegard Stern * 21.05.1928 Frankfurt/M., Deportation 11.11.1941 nach Minsk, † 1941/1945

5. Henriette „(Hedwig)“ Bär * 02.07.1861 Bruchsal † nach 1877

1877 Kleidermacherin in Mannheim {keine weiteren Angaben}

6. Oscar Bär * 18.11.1862 Bruchsal † 25.11.1862 Bruchsal

gestorben an „Kieferklemme“, begraben auf dem jüdischen Friedhof in Obergrombach

7. Alfred Baer * 03.11.1864 Bruchsal † 15.12.1940 Gurs/Frankreich

1892 Kaufmann, Weißwarengeschäft Friedrichstraße 29, Bruchsal, Deportation 22.10.1940 Gurs

verh. 17.11.1892 Bruchsal

Rosa Schönmann * 16.12.1869 Neu-Isenburg/Hessen † 19.01.1941 Gurs/Frankreich

(Tochter v. Elias Schönmann (1836-1896), Kaufmann in Neu-Isenburg, u. Mariam Fürth (1839-1908))

3 Kinder:

a) Erna Babette Baer * 22.08.1894 Bruchsal † 03.12.1896 Bruchsal

Grab in Bruchsal erhalten (Nr. 305)

b) Ernst Baer * 05.07.1899 Bruchsal † 23.04.1959 New York/USA

Kriegsteilnehmer 1914/18; vor 1937 Kaufmann in Essen; 03.09.1937 Emigration USA, wohnhaft NY

vh. 07.09.1937 Lawrence/NY Julia de Vries * 16.08.1914 Essen † 01.03.1981 Closter/NJ

13.01.1937 in USA eingewandert

1 Ki.: Dr. Leslie Baer * 09.05.1939 NY † 26.11.2002, vh. Dr. Jeanne Willner (3 Ki: Oliver, Nicholas, Naomi)

c) Anna „Anny“ Baer * 01.07.1904 Bruchsal † 11.12.1987 Bergen/NJ

vh. 12.09.1929 Bruchsal Leopold Hahn * 16.10.1896 Auerbach † 05.09.1970 Fairlawn/NJ

Kaufmann in Br.; 1939 in USA; 1940 zus. m. Fam. Ernst Bär in NY; ~ 1958 – 1973/74 in Fairlawn/NJ

1 Kind: Erich „Eric“ Hahn * 27.06.1933 Karlsruhe vh. 1966 Hannelore Strassner; in Lumberton/NJ

8. Jenny Bär * 21.03.1867 Bruchsal † 21.05.1940 Grafeneck, Tötungsanstalt

Putzmacherin, bis 1885 in USA; seit 1896 in versch. Anstalten: Heidelberg, Wiesloch, Pforzheim, Hub

1 Kind:

a) Berta Bär vh. Reis * 12.12.1895 Frankfurt (?) † nach 1938

seit 12.1938 in Anstalt Weilmünster bei Frankfurt {keine weiteren Angaben}

45


9. Bernhard Bär * 30.07.1868 Bruchsal † 15.08.1868 Bruchsal

beerdigt in Obergrombach

10. Frida Bär * errech. 1869 Bruchsal † 29.12.1871 Bruchsal

11. Ida Bär * 29.11.1874 Mannheim † 18.09.1967 Chicago/IL

1906-1938 Kaiserslautern; seit 11.1938 Bruchsal, Schloßstr. 5; Deportation 1940 Gurs; 1946 USA

verh. 03.04.1906 Heidelberg

Max Tuteur * 05.04.1858 Winnweiler † 15.10.1931 Kaiserslautern

Pferdehändler in Kaiserslautern (1. Ehe mit Amalie Wolf (1857-1905), 7 Kinder)

1 Kind:

a) Herbert (Helmut Julius) Tuteur * 01.06.1909 Kaisersl. † 13.01.1995 San Diego/CA

Emigration 04.1937 in USA; kinderlos

vh. 25.05.1948 Cook/IL

Gertrude Schweitzer * 25.01.1910 Gelsenkirchen † 19.06.1994 San Diego/CA

Ernst Baer mit Erich Hahn, um 1935

im Bruchsaler Schlossgarten. F.: J. Baer.

Grabsteine von Babette Bär (1834-1888), Erna Bär (1894-1896)

sowie Hugo und Julie Bär. Jüd. Friedhof Bruchsal. Fotos: F. Jung.

46

Leslie, Julia und Ernst Baer, um 1960

in den USA. Foto: Jeanne Baer.


Biografie von Siegbert Kann (1903-1942)

von Aaron Kammerer, Klasse 10u

Siegbert Kann kam am 15. Juli 1903 in Ehringhausen im Kreis Wetzlar zur Welt. Er hatte

noch einen jüngeren Bruder, Ludwig Kann (†1951). Dieser wohnte 1939 in Köln und half

Siegbert und seiner Familie bei der Flucht. Ob es noch weitere Geschwister gab, ist unbekannt.

Die Eltern waren Leopold und Julie geb. Cahn. Der Vater Leopold Kann war in

Ruttershausen geboren und lebte in Ehringhausen, Düren und Wetzlar. Am 11. Juni 1942

wurde er von Frankfurt aus nach Sobibor deportiert.

Bei der Firma Stern, May und Cie. in Frankfurt/Main vollendete Siegbert Kann im März

1922 seine Lehre, wobei ihm ein Jahr infolge guter Leistungen erlassen wurde. Danach

unterstand ihm zeitweise die Expedition der Firma, die er – laut Zeugnis von 1925 – mit

Geschick und Umsicht leitete. Später war er am Lager und im Verkauf beschäftigt und mit

dem Besuch der Stadtkundschaft betraut, und es wird ihm Fleiß, Tüchtigkeit und Arbeitswilligkeit

attestiert. 1925 schied er dort aus, um sich vermehrt der Reisetätigkeit widmen

zu können.

Nach der Hochzeit mit der evangelischen

Elisabeth Rau am 17. März 1929

in Frankfurt und der Geburt des Sohnes

Werner zog die Familie am 15. September

1929 nach Bruchsal, zunächst in

den Bannweideweg 2a. 1932 und 1934

kamen die Töchter Gisela und Eleonore

in Bruchsal zur Welt. Seit 1933 wohnte

Familie Kann in der Kaiserstraße 78 in

Bruchsal im 2. Obergeschoss. Ein Nachbar

erinnerte sich später: „Er war ein ruhiger,

feiner Mann.“

Für die „Erste Bruchsaler Herdfabrik“

Elise und Siegbert Kann mit Eleonore, Gisela und

Werner, 1935/36 in Mannheim. Foto: Heinrich Weller.

übte Siegbert Kann als Vertreter eine Reisetätigkeit in der gesamten Pfalz aus, in einem

Gebiet, das sich von Germersheim bis Saarbrücken und Alzey erstreckte. Das brachte es

mit sich, dass er unter der Woche häufig unterwegs übernachten musste. Vom Geschäftsführer

der ersten Bruchsaler Herdfabrik wurden die beruflichen Schwierigkeiten 1950 so

beschrieben: „Herr Kann war bei uns als Reisender beschäftigt und ab dem Jahr 1933 hatte

er auf Grund der damaligen politischen Verhältnisse bei der Kundschaft mit Schwierigkeiten

zu rechnen. Wir hatten aber mit Herrn Kann vereinbart, dass wir ihn solange beschäftigen

werden als er in der Lage ist, den Posten als Reisender auszufüllen. Im Jahr 1937 hat

sich Herr Kann von der Unmöglichkeit, weiterhin für uns tätig zu sein, selbst überzeugt

und sich entschlossen, nach Argentinien auszuwandern.“ Siegbert Kann gab seine Anstellung

bei der Ersten Bruchsaler Herdfabrik am 1. November 1937 auf und plante mit seiner

Familie dann, nach Bolivien auszuwandern um sich mit seiner Familie dort als Landwirt

47


eine neue Existenz aufzubauen. Dazu absolvierte er vom 1. Juni 1938 an eine dreimonatige

Eignungsprüfung als landwirtschaftlicher Arbeiter im Landwerk Neuendorf bei Berlin.

Die Auswanderung scheiterte zunächst an den fehlenden finanziellen Mitteln.

Am 11. November 1938 wurde Siegbert Kann das erste Mal verhaftet. Er verbrachte fünf

Wochen im Konzentrationslager Dachau. Nach seiner Entlassung aus Dachau wurde der

Alltag für Siegbert Kann und seine Familie immer unerträglicher. Siegbert emigrierte am

6. Juli 1939 illegal nach Belgien, um in Brüssel das Geld für die Auswanderung nach Südamerika

zu organisieren. Elisabeth und die drei Kinder folgten ihm auf einer Schmugglerroute

über die belgisch-deutsche Grenze Mitte August 1939.

Unerwartet wurde Siegbert Kann am 10. Mai 1940 auf dem Weg zum Zollamt in Brüssel

verhaftet. Siegbert kam in das Internierungslager St. Cyprienne in Südfrankreich und

am 10. September 1940 weiter in das Internierungslager Gurs. Am 6. August 1942 wurde

Siegbert Kann über Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Hier wurde

Siegbert Kann am 29. September 1942 umgebracht.

Biografie von Elisabeth Kann geb. Rau (1903-1985)

von Florian Jung

Elisabeth Babette Rau wurde am 6. Juli 1903 in Diedesheim bei Mosbach als Tochter des

evangelischen Bahnarbeiters Andreas Rau und seiner Frau Karoline geb. Wielandt geboren.

Elisabeth, genannt „Elies“, wuchs mit den Brüdern Ernst, Georg, Karl und Wilhelm

und den Schwestern Lina, Käthe, Hedwig und Paula auf. In Diedesheim besuchte sie die

Volksschule.

Nach der standesamtlichen Trauung mit Siegbert Kann am 17. März 1929 erfolgte am

24. November 1929 die Trauung nach jüdischem Ritus in der Hauptsynagoge Frankfurt,

wobei Rabbi Salzberger bescheinigte, dass „Frau Kann nach gehöriger Vorbereitung von

mir ins Judentum aufgenommen“ wurde. Zwischen beiden Trauungen lag die Geburt des

Sohnes Werner und der Umzug nach Bruchsal. Dort wurden 1932 bzw. 1934 die beiden

Töchter Gisela und Eleonore geboren. Der Umzug in die geräumige Wohnung im Hause

des jüdischen Metzgermeisters Hagenauer erfolgte 1933. Dort musste Elisabeth Kann

erleben, wie sie und ihre Kinder vermehrt antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt wurden.

Eine besondere Belastung ging von einem Metzger aus, der die Metzgerei seit 1935

gepachtet hatte, „alter Kämpfer“ der NSDAP war und gemeinsam mit seiner Familie auch

im Haus wohnte. Besonders die Frau des Metzgers war „eine aktive und aggressive und

gehässige Frauenschaftlerin und Judenhetzerin, und es ist nicht zu beschreiben, welchen

heimtückischen, boshaften und aggressiven Verleumdungen und Schikanen und Denunziationen

ich und Frau Hagenauer ausgesetzt waren.“ Einmal beobachtete Elisabeth Kann,

wie diese Frau ihrer Tochter Gisela im Hof auf den Finger trat. „Als ich dies sah und die

Kinder heulten, während ihre Töchter auf meine Kinder spuckten, konnte ich mich nicht

mehr beherrschen und verwehrte ihnen die Anpöbeleien, worauf sie in Hohngelächter

48


ausbrach.“ Am folgenden Tag erhielt Elisabeth Kann daraufhin durch den Metzgermeister

im Keller Schläge ins Gesicht, „bis ich zusammenbrach. Währenddessen stand seine Frau

mit gespreizten Füßen am Kellerausgang und wollte mich nicht herauslassen.“ Für mehrere

Tage war Elisabeth Kann bettlägerig und in der Folge gallenkrank, was eine Operation

und einen vierwöchigen Aufenthalt im Bruchsaler Krankenhaus nach sich zog. Zeitlebens

hatte Elisabeth Kann von diesem Überfall enorme Einschränkungen der Sehfähigkeit des

linken Auges. Siegbert Kann hatte am Tag nach seiner Rückkehr Anzeige gegen den Metzgermeister

erstattet. Beim Gerichtsverfahren sagte der junge Gerichtsassessor, sie müsse

die Klage zurückziehen, „andernfalls bestellten sie 100 SS- und SA-Männer.“

Auf Anraten ihres Arztes Dr. Mai

zog die Familie im folgenden Jahr,

1937, in die Bismarckstraße 3, in

das Haus des Fabrikanten Julius

Weil. Da Siegbert Kann inzwischen

arbeitslos geworden war, wurden

zwei der fünf Zimmer an jüdische

Mitbürger vermietet, zum Beispiel

die Lehrerin der Judenklasse. Durch

Flick- und Näharbeiten und andere

Hausarbeiten konnte Elisabeth

Elisabeth Kann (re.) mit Tochter Gisela. Foto: M. Carrancejie.

Kann viel zur Ernährung ihrer Familie

beitragen. Da eine Auswanderung

nicht so schnell möglich war, flüchtete ihr Mann im Juli 1939 nach Brüssel, und sie

folgte mit den Kindern nach. In Brüssel fanden sie eine möblierte, aber feuchte Wohnung.

Da Siegbert und Elisabeth Kann als illegale Einwanderer keine Arbeitserlaubnis erhielten,

schlugen sie sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und überlebten mit Unterstützung

des jüdischen Hilfskomitees und Päckchen von Elisabeths Verwandten aus Deutschland.

Nach der plötzlichen Verhaftung ihres Mannes und einer eintägigen Internierung von

sich und den Kindern flüchtete Elisabeth mit den drei Kleinen für sechs Wochen quer

durch Nordfrankreich. Schließlich mussten sie nach Brüssel zurückkehren. Als Putz- und

Waschfrau verdiente sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder. Auf dem deutschen

Konsulat fand sie schließlich unerwartet Hilfe vor drohenden Deportationen in den Osten:

Man stellte ihr illegal einen Pass ohne „J“ aus und organisierte ihre Rückkehr nach

Deutschland. Am 30. November 1941 konnte sie daher mit dem Zug in ihren Heimatort

Diedesheim zurückkehren und wurde von ihrem Vater und ihren Geschwistern aufgenommen.

„Abgemagert und krank wie ich war, schlugen Bekannte vor Schreck die Hände

zusammen, als sie mich wieder sahen.“ Im August 1942 wurde ihr ein kleines Häuschen

in Diedesheim vermietet, in das sie zusammen mit ihren Kindern und ihrem Vater gegen

den Widerstand der politischen Leiter einzog. Da sie keine Lebensmittelmarken bekamen,

musste Elisabeth bis Kriegsende hart auf Bauernhöfen und in einer Konservenfabrik

arbeiten. Am Kriegsende, aber auch immer wieder im Laufe der Jahre seit 1936, war

49


Elisabeth physisch und psychisch derart ruiniert, dass sie kaum noch Kraft hatte, weiterzumachen.

Der elfseitige Bericht, den sie 1960 verfasste, gibt detailliert Auskunft über das

unvorstellbar harte Los dieser doch starken Frau, immer getrieben von der Sorge um ihre

drei Kinder. Im Juli 1946 zog sie mit ihren Kindern nach Bruchsal zurück. Ihnen wurde

eine Wohnung im Schubertweg 10 zugewiesen. Dort erholte sie sich nur langsam. 1949

wanderten ihre beiden ältesten Kinder aus, und im November 1951 emigrierte sie völlig

mittellos zusammen mit ihrer jüngsten Tochter nach New York. 1960 und dann nochmals

in den 70er Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück, um ihre Geschwister und

Verwandten zu besuchen. 1967 zog sie nach Newburgh/NY zu ihrem Sohn Werner. Am

28. März 1985 starb Elisabeth Kann. Beerdigt wurde sie in Gardner Town/NY. Auf ihren

Grabstein ließ sie auch den Namen ihres Mannes Siegbert eingravieren.

Biografie von Werner Kann (1929-2017)

von Theo Fraißl und Noah Wagner, Klasse 10v

Werner Emil Kann wurde am 3. Juni 1929 in Frankfurt/M. geboren und zog als Säugling

mit seinen Eltern Siegbert und Elisabeth Kann nach Bruchsal, wo 1932 und 1934 die jüngeren

Schwestern Gisela und Eleonore geboren wurden. Als Werner Kann schulpflichtig

wurde, besuchte er die jüdische Schule in Bruchsal: Eine reguläre Schule war für jüdische

Kinder zu diesem Zeitpunkt bereits verboten. Die Schule wurde 1938 geschlossen und

Werner musste zusammen mit seiner kleinen Schwester Gisela täglich zur jüdischen Schule

nach Karlsruhe mit dem Zug fahren. Auf der Zugfahrt und auf den Bruchsaler Straßen

wurden Werner und seine Schwestern bespuckt, beschimpft und tyrannisiert. „Mein Sohn

Werner bekam durch alle diese Verfolgungen nachts Alpträume und Angstzustände“, berichtete

Mutter Elisabeth Kann später. Im August 1939 flüchtete die Familie nach Brüssel,

wo die Kinder die Prinz-Albert-Schule besuchten. Nach der Verhaftung des Vaters im

Mai 1940 und einer sechswöchigen Flucht durch Frankreich kam Elisabeth Kann mit den

drei Kindern wieder nach Brüssel zurück, wo Werner wieder dieselbe Schule besuchte. Da

den Kindern die Verhaftung in Belgien drohte, übersiedelten sie im November 1941 nach

Neckarelz zu Elisabeths Vater und Geschwistern. Werner kam zunächst bei seiner Tante

Hedwig Bock in Diedesheim unter.

Elisabeth Kann: „Hauptlehrer

Max Braun als rassisch-politischer

Leiter und seine Obernazis duldeten

auch keine Juden in der

Schule. So habe ich einen Kampf

geführt mit diesen politischen

Dummköpfen, welche mit mir

auf der Schulbank in Diedesheim

Werner und Joyce Kann, um 1965. Foto: Margo Carrancejie. saßen und von mir ihre Hausauf-

50


gaben abschrieben. […] Nach längerem Hin und Her

duldete [Lehrer Gefäller in Neckarelz] die Kinder in

der Schule.“ In den Schulferien arbeiteten die Kinder

in einer Konservenfabrik mit, um den Lebensunterhalt

zu verdienen. Nach den Herbstferien 1942 und

einem Lehrerwechsel konnten die Kinder die Volksschule

in Diedesheim besuchen, „doch schlimm waren

die Misshandlungen der Kinder in Diedesheim

auf dem Schulweg durch die anderen Kinder. […] Als

1945 alle Mischlinge und Juden nach Theresienstadt

kamen, versteckte ich meinen Sohn bei Freunden in

Neckarelz, da man mir erneut mit Exportation und

Werner Kann, um 2015. F.: Ellen Kann.

Gaskammer drohte.“

Bereits am 1. Juni 1945 begann Werner Kann eine Lehre zum Werkzeugmacher bei der

Siemens & Halske AG in Bruchsal. Nach deren Abschluss drei Jahre später arbeitete er

dort weiter bis zu seiner Auswanderung nach New York Ende Mai 1949. Dort arbeitete er

als Schlosser bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst im Januar 1951. Nach zweijähriger

Dienstzeit arbeitete Werner Kann weiter als Schlosser, besuchte aber nebenher abends

die Universität von New York und belegte mathematische und technische Fächer, um seine

Ausbildung zu vervollständigen. 1958 heiratete er Joyce Laird, die Tochter Ellen wurde

geboren. 1983 kam Werner Kann als IBM-Mitarbeiter der Versuchs- und Einzelfertigung

zu Leitz und Leica in Wetzlar und besuchte auch seine Verwandten im Schwäbischen.

Ihren Lebensabend verbrachten Joyce und Werner Kann in Florida.

Biografie von Gisela Michtavy/Carrancejie

geb. Kann (1932-2009)

von Theo Fraißl und Noah Wagner, Klasse 10v

Gisela Kann. F.: M. Carrancejie.

Gisela Juliane Kann wurde am 31. März 1932 als zweites

Kind von Elisabeth und Siegbert Kann in Bruchsal geboren.

Sie erkrankte im Oktober 1934 schwer an Kinderlähmung,

musste im Kinderklinikum Karlsruhe behandelt werden und

schwebte vier Wochen in Lebensgefahr. Da Siegbert Kann

ständig auf Reisen war, kam Paula Rau, die 14-jährige jüngste

Schwester von Elisabeth Kann, nach Bruchsal, um die beiden

anderen Kinder zu versorgen. Der Aufenthalt Paulas „bei Juden“

wurde allerdings angezeigt, sodass sie bei der Gestapo

vorsprechen musste. Bei Gisela blieb infolge der Kinderlähmung

eine Behinderung zurück. Zu ihrem weiteren Lebens-

51


lauf schrieb Gisela Kann: „Bei Beginn meiner Schulpflicht

Ostern 1938 wurde ich als Jüdin von der Volksschule in

Bruchsal nicht mehr aufgenommen. Von Ostern 1939 an

fuhr ich mit meinem Bruder Werner Kann nach Karlsruhe

um die dortige jüdische Volksschule zu besuchen. Als wir

von anderen Kindern im Zug verhöhnt und misshandelt

wurden, nahmen mich meine Eltern von der Schule heraus,

weil ich die Strapazen und Misshandlungen im Zug nicht

mehr ertragen konnte. […] Im September 1939 wurde ich

in Brüssel in die erste Volksschulklasse der „Prinz Albert

School“, Chaussee de Anvers, aufgenommen. Mit Unterbrechungen

durch Kriegseinfluss besuchte ich diese Schule bis

Ende November 1941. […] Von Januar 1942 bis Juli 1946

besuchte ich die Volksschule in Neckarelz und Diedesheim.

Im August 1946 zogen wir […] in meine Geburtsstadt zurück.“ Im August 1947 erhielt sie

an der Freiherr-vom-Stein-Schule ihr Abschlusszeugnis der 8. Klasse. „Durch diese vielen

Unterbrechungen als rassisch Verfolgte hatte ich eine sehr mangelhafte Volksschulausbildung,

welche es mir unmöglich machte, einen Beruf zu erlernen.“ Schulleiter Palm aus

Diedesheim berichtete später, dass er Gisela und auch ihren Bruder Werner als fleißig und

begabt in Erinnerung hatte, „eine in jeder Hinsicht überdurchschnittliche Schülerin, die

gerne eine höhere Schule besucht hätte, wenn dieses damals möglich gewesen wäre. Beide

talentierten Kinder taten mir oft in der Seele leid, wenn sie von anderen Kindern infolge

ihrer Abstammung als minderwertig angesehen wurden, und ich musste sie öfters gegen

alle möglichen Arten von heimtückischen Übergriffen schützen.“

Wie aus den Wiedergutmachungsakten hervorgeht, war Gisela wegen Entwicklungsstörungen

im Jahr 1948 einige Monate im Hospital Bergen-Belsen, dann zum Jahreswechsel

1948/49 in Mergentheim, Diagnose: körperliche und nervliche Erschöpfung, Neurasthenie

(heute: Burn-out-Syndrom), Sprachfehler. Dort wurde sie für eine Ansiedlung in Israel

angeworben und bereitete sich im Anschluss im Warburg Kinderheim in Blankenese auf

ihre Auswanderung im Dezember 1949 vor (Operation Exodus). Am Tag nach ihrer Ankunft

trat sie in den Kibbuz Maos-Chajim bei Beth-Schean ein. Rasch trat eine körperliche

und seelische Erholung ein, und sie konnte dort als Krankenschwester arbeiten und später

Soldatin in der israelischen Armee werden. Nach ihrer Heirat im Januar 1954 wurden

die Söhne Zion Michtavy und Shlomo Michtavy in den Jahren 1954 und 1955 geboren.

1957 siedelte Gisela mit ihren Söhnen nach New York über und heiratete in zweiter Ehe

den Marinecorporal Frank Carrancejie. Die Tochter Margo wurde 1962 geboren, Sohn

Frank jr. schließlich 1968. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes 1994 siedelte sie für ihren

letzten Lebensabschnitt von New York nach Anderson in Indiana zu ihrer Tochter Margo

über, wo sie als mehrfache Großmutter und Urgroßmutter am 8. März 2009 starb. Beerdigt

wurde sie an der Seite ihres Mannes auf dem Calverton National Cemetery in New York,

einem Soldatenfriedhof.

52

Gisela Carrancejie geb. Kann.

Foto: Margo Carrancejie.


Biografie von Eleonore Kramer geb. Kann

(1934-2010)

von Theo Fraißl und Noah Wagner, Klasse 10v

Am 18. Mai 1934 wurde Eleonore Karola Kann als jüngstes Kind von Siegbert und Elisabeth

Kann in Bruchsal geboren. Über ihre Kindergartenzeit schrieb Mutter Elisabeth

später: „Ich schickte [die Kinder] in den katholischen Kindergarten, damit sie tagsüber

wenigstens etwas spielen konnten und vor den Verfolgungen der Nazis Ruhe hatten.“ Als

Eleonore Bruchsal im Juli 1939 verließ, war sie gerade fünf Jahre alt, und sicher war die

Flucht eine große Strapaze für sie. Nach dreitägigem Aufenthalt bei Onkel Ludwig Kann in

Köln wurde die Mutter Elisabeth mit den drei Kindern von Schleusern innerhalb von drei

Nächten über die belgische Grenze gebracht, wobei die Gruppe in einer der Nächte über

Wiesen und Felder marschieren musste und auch Bäche durchquerte. „In der 3. Nacht

kamen wir alle wohlbehalten, doch durchnässt, todmüde und zerrüttet in Brüssel auf dem

Jüdischen Hilfskomitee an, wo mein Mann auf uns wartete.“

Die zweite Flucht nach der Verhaftung des Vaters im Mai

1940 war noch wesentlich dramatischer: „Aus Angst gegen

erneute Verfolgungen durch die deutschen Dienststellen und

die Gestapo floh ich mit meinen Kindern und zwei anderen

deutschen verfolgten Frauen im großen Flüchtlingsstrom nach

Frankreich. Nach wochenlangem Fußmarsch kreuz und quer

durch Belgien und Frankreich zwischen den Fronten wurden

wir auf den Wegen nach Paris von der deutschen Wehrmacht

überholt. Wir kehrten nach drei Verhaftungen und großen

Strapazen mit blutunterlaufenen Fußsohlen, fußkrank, elend

und erschöpft nach Brüssel zurück.“

In Brüssel wurde Eleonore 1940 an der Prinz-Albert-Schule

eingeschult. Nach der Rückkehr nach Deutschland besuchte sie in Neckarelz und Diedesheim

die Volksschule und, ab 1946, in Bruchsal. „Nach meiner Volksschulentlassung in

Bruchsal Ostern 1948 war meine Schulbildung infolge Emigration und Flucht so mangelhaft,

dass ich nicht in eine Oberschule oder Berufsschule aufgenommen wurde“, schrieb

sie später. Von Juni 1950 bis Juli 1951 arbeitete Eleonore als Büroangestellte beim Wellpappenwerk

in Bruchsal. Mit ihrer Mutter reiste sie vom 24. November bis 2. Dezember

1951 mit dem Schiff von Bremerhaven nach New York. Dort arbeitete sie zunächst als

Fabrikarbeiterin, bildete sich seit Oktober 1952 an der George-Washington-Highschool

in Abendkursen in Englisch, Stenographie und Buchhaltung fort und konnte ab Oktober

1953 als Büroangestellte bei Franklin Stores Inc. arbeiten. Sie wohnte bei ihrer Mutter bis

zu ihrer Verheiratung mit Karl Kramer im November 1960 in 36 Sickles St., New York.

Die Kinder Audrey und Dean wurden 1962 und 1964 geboren. Später wohnte Eleonore

Kramer auch in Boynton Beach in Florida. In Hicksville/NY starb sie am 24. Mai 2010.

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Eleonore Kramer geb. Kann.

Foto: Margo Carrancejie.


Familie Siegbert und Elisabeth Kann

Siegbert Kann

* 15.07.1903 Ehringhausen/Wetzlar † 29.09.1942 Auschwitz

(Sohn von Leopold Kann (1876-1942) und Julie Cahn)

Kaufmann, Reisender; wh. in Frankfurt; 1929-1939 Bruchsal; Belgien; 1940-1942 Gurs; 08.1942 Auschwitz

verh. 17.03.1929 Standesamt Frankfurt/M.; 24.11.1929 Hauptsynagoge Frankfurt/M.

Elisabeth Babette Rau * 06.07.1903 Diedesheim/Mosbach † 28.03.1985 Boca Raton, FL

(To. v. Andreas Rau (1874-1961), Bahnbeamter in Neckarelz, u. Karoline Wielandt (1876-1933), beide evgl.)

1929-1939 Bruchsal; Belgien; 11.1941 Neckarelz; 1946-1951 Schubertweg 10, Br.; 11.1950 nach NY

3 Kinder:

1. Werner Emil Kann * 03.06.1929 Frankfurt/Main † 22.11.2017 Boca Raton, FL

1945-1948 Werkzeugmacherlehre in Bruchsal, 1949 nach USA; wh. in New York und Florida

verh. 07.09.1958 Newburgh, NY

Joyce Marie Laird * 31.07.1937 † 03.04.2013 Pompano Beach, FL

1 Kind: Ellen Kann (*1965), New York

2. Gisela Juliane Kann * 31.03.1932 Bruchsal † 08.03.2009 Anderson, Indiana

1932-1939 sowie 1946-1949 Bruchsal; 12.1949 Auwanderung nach Israel; 1957 nach New York

verh. 1. Ehe 14.01.1954 Israel

Michtavy

verh. 2. Ehe

Frank A. Carrancejie * 04.02.1924 San Juan/ Puerto Rico † 29.01.1994 Jamaica, NY

Corporal im US Marine Corps während des 2. Weltkriegs; wh. in New York

4 Kinder: Zion Michtavy (*1954), Shlomo Michtavy (*1955), Margo Carrancejie (*1962),

Frank Carrancejie jr. (*1968)

3. Eleonore Karola Kann * 18.05.1934 Bruchsal † 24.05.2010 Hicksville, NY

Büroangestellte; 1934-1939 sowie 1946-1951 Bruchsal; 11.1951 Auswanderung in USA

verh. 20.11.1960 New York

Karl Charles Raymond Kramer * 22.07.1930

2 Kinder: Audrey L. Kramer (*1962); Dean C. Kramer (*1964)

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Grabstein von

Elisabeth Kann

mit der Nennung

ihres in Auschwitz

ermordeten

Mannes.

Grabstein von

Gisela Carrancejie. F‘s.:

www.findagrave.com.


Rückblick auf die fünfte Bruchsaler

Stolpersteinverlegung am 27. März 2019

Die Schüler stellten in der gut besuchten Aula des Justus-Knecht-Gymnasiums Bruchsal

die Biografien einer Familie in Wort und Bild vor, gefolgt von der Ansprache eines Angehörigen.

Für die Familien sprachen Gerhard Lorch, Meike Westheimer und Nitza

Perlman. Von großer Symbolkraft war eine Bemerkung der Bravmann-Enkelin Mirjam

Chitman: Während der Gedenkveranstaltung erhielt sie eine SMS aus Israel. Sie war just

in diesem Moment erstmals Uroma geworden.

Bismarckstr. 12 (Lindauer): Großneffe Gerhard Lorch (Bildmitte), Familie

Robert Levinson sowie Angehörige von Hans Lindauers holländischen Pflegeeltern:

Die Familien van Meekren, van Dijk und Justitz. Fotos: Florian Jung.

Schwimmbadstr. 27 (Westheimer):

Kerstin, Sonja und

Meike Westheimer.

Orbinstr. 7 (Majerowitz): Die Enkelkinder Yael Oren (2.v.l.), Neora

Eden (3.v.l.), David Maor (7.v.l.), Nitza Perlman (8.v.l.), Nechama

Oron (9.v.l.) und Ruthi Almog (11.v.l.) mit Angehörigen.

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Friedrichstr. 76 (Bravmann): Orly Bravmann,

Rolf Schmitt, Mirjam Chitman

mit Kindern Sharon, Orit und Gadi.


Rückblick auf die sechste Bruchsaler

Stolpersteinverlegung am 11. Februar 2020

Erstmals wurden in den

Ortsteilen Bruchsals Stolpersteine

verlegt: Auf Initiative

von Inge Schmidt,

Monika und Rüdiger Czolk

und Steffen Maisch in Heidelsheim

für Ida und Emanuel

Maier. Arye Nitzan,

der 83-jährige Großneffe,

war mit seiner Familie von

Israel nach Bruchsal gereist.

Auf dem Jüdischen Friedhof

in Waibstadt konnten

tags darauf Grabsteine der

Vorfahren gefunden werden,

der älteste aus dem

Jahr 1792.

Arye und Bilha Nitzan (Mitte) mit den Töchtern Chani Fisher (2.v.l.),

Noa Fisher (3.v.l.), Efrat Weizman (2.v.r.), Schwiegersohn Shimi

Weizman (r.) und Enkelin Nitzan Fisher Conforti (l.). Foto: F. Jung.

Irene Zeh u. Angehörige mit Günter Demnig. F.: Karl-Heinz Malzer.

In Helmsheim setzte sich Bernhard

Schührer für die Verlegung

von Stolpersteinen für den polnischen

Zwangsarbeiter Josef

Makuch und die Helmsheimerin

Hilda Eissler ein. Anlässlich der

Stolpersteinverlegung konnte

deren Tochter Irene in Kontakt

mit ihrem Halbbruder in Polen

kommen. Bei der würdig gestalteten

Gedenkfeier in der bis auf

den letzten Platz besetzten Alten

Kelter in Helmsheim beindruckten

Historiker und Angehörige

mit ihren Schilderungen der Lebensläufe.

56


Die am 8.6.2021 verlegten Stolpersteine wurden gespendet

von: für: Ort:

Brigitte Olsen, Bruchsal Mathilde Schloßberger Holzmarkt 30

Cornelia Wild, Jutta Aschendorf-Müller, Br., u. a. Max Schloßberger Bahnhofstr. 7

Elisabeth Rieger, Simone Staron, Bruchsal, u. a. Hilde Schloßberger Bahnhofstr. 7

Anke und Marco Hänßler, Bruchsal Hugo Katz Franz-Bläsi-Str. 14

Ulrike Schüler, Wohltorf Friedolina Katz Schlossstr. 5

Spenden f. Broschüren in Buchhandlungen Ernst Katz Schlossstr. 5

Ulrike Schüler, Wohltorf Johanna Straus Schlossstr. 3

Erika Dürr, Bruchsal Alfred Baer Friedrichstr. 29

Dr. Rolf Uebe, Helmut Merkle, Bruchsal, u. a. Rosa Baer Friedrichstr. 29

Dr. Franz u. Dr. Rosel Kaeppler, Bruchsal Leo Hahn Schlossstr. 5

Anja Nellinger, Ute Amend, Bruchsal Anny Hahn Schlossstr. 5

Hans Westheimer, Wiesbaden Eric Hahn Schlossstr. 5

Bürgerstiftung Bruchsal Ida Tuteur Schlossstr. 5

Kollekte Ökumenischer Gottesdienst Siegbert Kann Kaiserstr. 78

Kollekte Ökumenischer Gottesdienst Elisabeth Kann Kaiserstr. 78

Marieluise Gallinat-Schneider, Jutta Mader, u. a. Werner Kann Kaiserstr. 78

Ella u. Ludwig Müller, Marco Hänßler, Br., u. a. Gisela Kann Kaiserstr. 78

Frieda Amend, M. u. I. Kletzendorf, u. a. Eleonore Kann Kaiserstr. 78

Die BürgerStiftung Bruchsal hat die wichtige Aufgabe übernommen,

auch künftig Mittel für weitere Stolpersteine einzuwerben.

Jeder Stein kostet 120 Euro – dieser Betrag kann

jederzeit zweckgebunden an die BürgerStiftung Bruchsal gespendet

werden und wird in vollem Umfang für dieses Projekt

eingesetzt. Jeder Spender erhält eine Einladung zur nächsten

Stolpersteinverlegung, daher bitte auch die postalische Adresse

beim Verwendungszweck vermerken.

Sparkasse Kraichgau, IBAN DE 7566 3500 3600 0777 7777

Volksbank Bruchsal-Bretten, IBAN DE 5666 3912 0000 0080 0600

Impressum

Herausgeber: Stadtverwaltung Bruchsal

Auflage: 500 Stück, 1. Auflage August 2021

Redaktion: Florian Jung, Rolf Schmitt, Bruchsal

Layout & Druck: KAROLUS Media, Bruchsal

Die Rechte für die Beiträge liegen bei den jeweiligen Autoren.


David Maor (Majerowitz) aus Israel betete zusammen mit

Verwandten und Schülern des Justus-Knecht-Gymnasiums

für seine Großeltern Helena und David Majerowitz.

Für sie und deren vier Kinder wurden vor dem früheren

Wohnhaus Orbinstraße 7 am 27.3.2019 Stolpersteine

verlegt.

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