13.10.2021 Aufrufe

Kaddisch für einen Freund

Meine Freundschaft mit Peter hatte ungewöhnlich tiefe Wurzeln. Beide waren wir Kinder von jüdischen Kommunisten, die aus Hitler-Deutschland nach Belgien geflohen waren. In kommunistischen Kreisen in Antwerpen haben sich unsere Eltern kennengelernt. Nach dem Krieg beschlossen sie, sich am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen, Peters Eltern in der DDR, meine Eltern in Polen. Doch 1957 übersiedelte unsere Familie in die DDR. Mein Vater nahm Kontakt zu seinen alten Freunden aus Antwerpen auf. Ich lernte Peter kennen und freundete mich mit ihm an. Beide waren wir atheistisch orientiert und in jüdischen religiösen Riten völlig unbewandert. Und doch hatten wir ein tief empfundenes Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk. Ich ging 1977 in den Westen den Peter erst kurz vor dem Fall der Mauer. Wir blieben bis zu seinem Tod einander freundschaftlich verbunden. Er hatte nicht als Jude gelebt, wurde aber als als Jude bestattet. Ich sprach für ihn das Kaddisch.

Meine Freundschaft mit Peter hatte ungewöhnlich tiefe Wurzeln. Beide waren wir Kinder von jüdischen Kommunisten, die aus Hitler-Deutschland nach Belgien geflohen waren. In kommunistischen Kreisen in Antwerpen haben sich unsere Eltern kennengelernt. Nach dem Krieg beschlossen sie, sich am Aufbau des Sozialismus zu beteiligen, Peters Eltern in der DDR, meine Eltern in Polen. Doch 1957 übersiedelte unsere Familie in die DDR. Mein Vater nahm Kontakt zu seinen alten Freunden aus Antwerpen auf. Ich lernte Peter kennen und freundete mich mit ihm an. Beide waren wir atheistisch orientiert und in jüdischen religiösen Riten völlig unbewandert. Und doch hatten wir ein
tief empfundenes Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk. Ich ging 1977 in den Westen den Peter erst kurz vor dem Fall der Mauer. Wir blieben bis zu seinem Tod einander freundschaftlich verbunden. Er hatte nicht als Jude gelebt, wurde aber als als Jude bestattet. Ich sprach für ihn das Kaddisch.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Übermacht, die zudem von der mächtigen Sowjetunion

mit Waffen und Militärberatern unterstützt wurde.

Ganz anders sah mein Vater die Lage. In einem Brief

an seinen in Israel lebenden jüngeren Bruder Ephraim

richtete er an ihn die rhetorische Frage: „Wie fühlt

man sich in einem Land, das seine Nachbarn heimtückisch

überfällt?“ Kein Wunder, dass mein Vater mit

Juden keinen Kontakt mehr haben wollte, nun aber

ebenso sein Bruder Ephraim mit ihm. Doch auch mir,

seinem Sohn, konnte er seinen radikal ablehnenden

Standpunkt zu Israel nicht vermitteln. Denn, wie bei

vielen Juden in der DDR, erwachten in mir nach dem

Sechstagekrieg Stolz und Trotz.

Wie in allen Betrieben und Institutionen der DDR

fanden auch an der Technischen Universität Dresden

Veranstaltungen statt, bei denen die „imperialistische

Aggression Israels gegen die friedliebenden arabischen

Nachbarvölker“ scharf verurteilt wurde. Und alle anwesenden

Studenten sollten der Protestresolution

gegen die „israelische Aggression“ mit erhobener

Hand zustimmen. Anlässlich einer solchen Propagandaveranstaltung

im großen Physik-Hörsaal meldete

ich mich zu Wort und sagte: „Als Jude solidarisiere ich

mich mit dem Kampf Israels gegen seine Feinde, deren

22

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!