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humanistisch! Das Magazin #15 - 4/2021

Humanistische Seelsorge – Was sie ist und wofür man sie braucht

Humanistische Seelsorge – Was sie ist und wofür man sie braucht

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<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

Humanistische<br />

Seelsorge<br />

Was sie ist und wofür man sie braucht<br />

11 Jugendfeier überall:<br />

Die Humanistische<br />

Vereinigung will große<br />

Lücken schließen<br />

14 Splitterfasernackt:<br />

Zwei <strong>humanistisch</strong>e<br />

Podcasterinnen im<br />

Interview<br />

18 HV-Vorstand Michael<br />

Bauer blickt zurück auf<br />

ein herausforderndes Jahr


<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

INHALT<br />

editorial<br />

03<br />

Editorial<br />

04<br />

Kurznachrichten<br />

06<br />

Humanistische Seelsorge<br />

11<br />

Nah am Puls –<br />

Neues aus der HV<br />

13<br />

Buch- und Filmtipps<br />

14<br />

splitterfasernackt<br />

Endlich von zuhause<br />

einziehen.<br />

Die Wohnung für Dein Studium in Nürnberg<br />

16<br />

Nachwuchs in<br />

der HV-Familie:<br />

Der Kleiderladen kids<br />

18<br />

„Da sind wir auf die Probe<br />

gestellt worden“ – Interview mit<br />

HV-Vorstand Michael Bauer<br />

19<br />

Impressum<br />

Geh deinen WG:<br />

□ Eigenes Zimmer in 5er-,<br />

6er- oder 7er- WG<br />

□ Möbliert<br />

□ Schnelle Internet-Leitung<br />

mit WLAN<br />

□ Gemeinschafts-Dachterrasse<br />

□ Waschküche<br />

□ Fahrradstellplatz<br />

□ Ab 489€ im Monat inklusive<br />

Nebenkosten und Reinigungsservice<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

wie wichtig ist uns Deutschen unser Bier? Diese Frage stellte<br />

sich mir kürzlich ausgerechnet inmitten der Berichterstattung<br />

über die Eskalation in Afghanistan. In einer ARTE-Reportage hörte<br />

ich, was erst nach einem schlechten Witz klang: Die Bundeswehr<br />

hatte Männer, Frauen und Maschinen sowie 22.000 Liter Bier bereits<br />

Ende Juni aus Afghanistan ausgeflogen und in Sicherheit gebracht. Hochgefährdete<br />

afghanische Ortskräfte jedoch blieben bis zu diesem Zeitpunkt sich selbst überlassen.<br />

Skandalös, oder einfach konsequent, bedenkt man, dass zehn Tage vor dem<br />

Fall Kabuls bei uns in Deutschland noch immer Abschiebeflüge nach Afghanistan<br />

geplant wurden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber mit meinem <strong>humanistisch</strong>en<br />

Weltbild war das nicht zu vereinbaren.<br />

Der August ging vorüber, die mediale Aufmerksamkeit für das Land am Hindukusch,<br />

für ein kollektiv traumatisiertes Volk, kam und ging. Trotzdem wissen auch<br />

wir hier nur zu gut, wie sich kollektives Trauma in einer Gesellschaft niederschlägt.<br />

Wunden müssen heilen, Seelen Stück für Stück wiederbelebt werden.<br />

Unser Redakteur Martin Bühner beschreibt in seinem Artikel, wie wichtig Seelsorge<br />

für Menschen auch in unserer sozialen Landschaft ist und wo <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorge ansetzt, nämlich beim Blick auf Werte und Würde des Einzelnen. Ob<br />

telefonische Seelsorge, die Begleitung sterbender Menschen im geplanten Hospiz<br />

oder die neu etablierte Beratungsstelle für Seeleute, als <strong>humanistisch</strong>e Organisation<br />

verstehen wir unseren gesellschaftlichen Beitrag auch darin, uns im Bereich<br />

Seelsorge zu engagieren und Angebote zur Förderung von psychischer Gesundheit<br />

zu machen.<br />

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre unserer neuen Ausgabe und passen<br />

Sie gut auf sich auf.<br />

Ihre<br />

Nina Abassi<br />

Redakteurin von <strong>humanistisch</strong>! <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />

WohnGut Max | Georg-Hennch-Str. 17 u. 33<br />

| 90431 Nürnberg | www.wohngut-max.de |<br />

mail@wohngut-max.de<br />

Träger: Humanistische Vereinigung K.d.ö.R.<br />

www.<strong>humanistisch</strong>e-vereinigung.de<br />

3


<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Humanistische<br />

Kernforderungen<br />

Anlässlich der Verhandlungen<br />

zu einem<br />

Koalitionsvertrag nach den<br />

Bundestagswahlen <strong>2021</strong> hat<br />

die Humanistische Vereinigung<br />

(HV) Ende September<br />

sieben Kernforderungen an<br />

die Koalitionspartner*innen<br />

einer künftigen Bundesregierung<br />

gestellt. Die faktische<br />

Anerkennung von Weltanschauungsgemeinschaften,<br />

deren echte Gleichberechtigung<br />

und Gleichbehandlung<br />

sowie gleiche Mitspracherechte<br />

stehen im Zentrum der<br />

Forderungen.<br />

Die neue Bundesregierung<br />

sollte nicht nur ausdrücklich<br />

feststellen, dass Religionsund<br />

Weltanschauungsgemeinschaften<br />

gleichermaßen<br />

wichtige soziale und gesellschaftliche<br />

Arbeit leisten.<br />

Dies muss auch politisch<br />

verwirklicht werden, u. a.<br />

Foto: ©Tim Hufner/unsplash.com<br />

durch einen regelmäßigen<br />

Dialog mit allen weltanschaulichen<br />

Gemeinschaften,<br />

die Öffnung der staatlichen<br />

Begabtenförderung für<br />

<strong>humanistisch</strong>e Studierende<br />

und die Einrichtung und<br />

öffentliche Refinanzierung<br />

von Seelsorgediensten für<br />

Humanist*innen bzw. Nichtreligiöse.<br />

Ebenso wichtig ist<br />

eine weltanschaulich neutrale<br />

Entwicklungszusammenarbeit<br />

und Katastrophenhilfe<br />

nebst allen erforderlichen<br />

Vorkehrungen zum Schutz<br />

und Asyl für bedrohte Humanist*innen<br />

und Atheist*innen<br />

aus anderen Ländern, die<br />

denen von Verfolgten aufgrund<br />

ihrer Religion nicht<br />

nachstehen.<br />

Den vollständigen Text<br />

der sieben Kernforderungen<br />

finden Sie online: <strong>humanistisch</strong>.net/7kernforderungen<br />

D<br />

er christlich-fundamentalistische Kampf gegen die reproduktive<br />

Selbstbestimmung von Frauen hat seinen Zenit überschritten.<br />

<strong>Das</strong> wurde im September bei seiner deutschlandweit<br />

bisher PR-wirksamsten Tour durch Berlin deutlich. Bei der jährlichen<br />

Demonstration mit hunderten Holzkreuzen durch das Zentrum<br />

der Stadt mussten die Veranstalter*innen des sog. „Marsch<br />

für das Leben“ erneut eine stagnierende Teilnehmendenzahl verzeichnen.<br />

Gefordert wurde u. a. ein europaweites, striktes Verbot<br />

des rechtzeitigen Abbruchs ungewollter Schwangerschaften. Zu<br />

den Unterstützer*innen gehörten wie zuvor rechtskonservative<br />

Abgeordnete des Bundestags, die Deutsche Bischofskonferenz<br />

sowie evangelikale und serbisch-orthodoxe Priester.<br />

Den radikalen Abtreibungsgegner*innen stellten sich erneut<br />

zahlreiche Protestierende entgegen. Laut Eigenangaben des<br />

Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung forderten rund 3.000<br />

Teilnehmende die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch<br />

(StGB) und die Entkriminalisierung von ungewollt Schwangeren<br />

und Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und<br />

dazu im Internet Informationen anbieten. Unterstützt wurden die<br />

Proteste von Abgeordneten aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und<br />

Linkspartei sowie zahlreichen feministischen Organisationen.<br />

Ein Entschließungsantrag der Länder Berlin, Brandenburg,<br />

Hamburg, Thüringen und Bremen zur Streichung des ebenso<br />

umstrittenen § 219a StGB zum Informationsverbot zum Abbruch<br />

ungewollter Schwangerschaften scheiterte jedoch am Vortag im<br />

Bundesrat an einer Mehrheit der Bundesländer.<br />

Frauen haben im Durchschnitt<br />

weiterhin deutlich<br />

geringere Einkommen<br />

als Männer. Darauf hat der<br />

Paritätische Gesamtverband<br />

im aktuellen Jahresgutachten<br />

hingewiesen. Die Große<br />

Koalition hatte zwar das<br />

Ziel formuliert, bis 2020 die<br />

Lohnlücke auf 10 Prozent zu<br />

reduzieren.<br />

Frauen erhielten jedoch<br />

im Jahr 2020 um 18 Prozent<br />

Foto: ©Sascha J. Bachmann / Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung<br />

Ende der Fahnenstange<br />

Was am Ende bleibt<br />

niedrigere Bruttostundenlöhne.<br />

Im Alter sind die<br />

geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede,<br />

das<br />

so genannte Gender Pension<br />

Gap, sogar noch deutlich<br />

größer: 2019 lag dieser bei 49<br />

Prozent. Frauen hatten ein<br />

Alterssicherungseinkommen<br />

von im Schnitt 970 Euro pro<br />

Monat, Männer bezogen mit<br />

monatlich 1.920 Euro fast<br />

doppelt so viel.<br />

Weniger<br />

Gläubige,<br />

mehr Geld<br />

Insgesamt rund 884.000 weniger<br />

Gläubige als im Vorjahr<br />

zählten die Evangelische Kirche<br />

in Deutschland (EKD) und die<br />

Deutsche Bischofskonferenz<br />

(DBK) Ende 2020. <strong>Das</strong> zeigen<br />

die im Juli veröffentlichten Kirchenstatistiken.<br />

Zusammengerechnet<br />

gehören der EKD und<br />

der römisch-katholischen Kirche<br />

demnach noch rund 51 Prozent<br />

der Einwohner*innen Deutschlands<br />

an. Hält der Trend weiter<br />

an, wird voraussichtlich schon<br />

2022 weniger als die Hälfte aller<br />

Deutschen einer dieser beiden<br />

Kirchen angehören.<br />

Ungeachtet des anhaltenden<br />

Schwunds an Gläubigen<br />

haben die Staatsleistungen<br />

zugunsten der Kirchen einen<br />

neuen Höchststand erreicht.<br />

Diese belaufen sich aktuell auf<br />

Mehr als zwei<br />

Drittel der<br />

Jugendlichen unter<br />

25 Jahren weltweit<br />

halten die Regierungen in deren Verhalten<br />

gegenüber der Klimakrise für<br />

nicht vertrauenswürdig. Drei Viertel<br />

stimmen mit Blick auf die Klimakrise<br />

der Aussage zu: „Die Zukunft ist beängstigend“.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt die<br />

Auswertung einer Anfang September<br />

veröffentlichen Befragung von 10.000<br />

Kindern und Jugendlichen aus zehn<br />

Foto: ©Esther Stosch / pixelio.de<br />

bundesweit 581 Millionen Euro,<br />

das sind über zwölf Millionen<br />

Euro mehr als im Vorjahr. Allein<br />

in Bayern belaufen sich die<br />

Zuwendungen an die Evangelisch-Lutherische<br />

Landeskirche<br />

und die katholischen Bistümer<br />

auf über 100 Millionen Euro.<br />

Die Humanistische Vereinigung<br />

(HV) erhält im Gegensatz dazu<br />

eine verschwindend geringe<br />

Summe von wenigen tausend<br />

Euro.<br />

Der Vorstand der Humanistischen<br />

Vereinigung Michael<br />

Bauer kritisierte die extreme<br />

Schieflage: „Humanist*innen<br />

sind zwar als Steuerzahler*innen<br />

gleichverpflichtet, sie<br />

werden als Menschen mit<br />

nichtreligiöser Weltanschauung<br />

jedoch offenkundig schlechter<br />

behandelt.”<br />

verschiedenen Ländern in Europa,<br />

Süd- und Nordamerika und Australien.<br />

Die Befragung wurde im Rahmen einer<br />

Studie der britischen University of Bath<br />

durchgeführt.<br />

64 Prozent der Befragten erklärten,<br />

sich von den Regierungen hinsichtlich<br />

der Klimakrise belogen zu führen.<br />

58 Prozent meinten, ihre Regierungen<br />

würden sie und künftige Generationen<br />

verraten. Nur 33 Prozent gaben<br />

an, dass sie das Gefühl haben, dass<br />

der Planet und ihre Zukunft durch das<br />

<strong>humanistisch</strong>!net<br />

Ehrung für<br />

Mubarak Bala<br />

Der Präsident der Humanistischen Vereinigung Nigerias, Mubarak<br />

Bala, ist Mitte August mit dem Freedom-of-Thought-<br />

Award der Humanists International geehrt worden. Bala konnte<br />

die Auszeichnung nicht persönlich in Empfang nehmen, da er<br />

sich weiterhin in Haft der nordnigerianischen Justiz befindet.<br />

Der 37-jährige Chemieingenieur und Vater eines Kleinkinds wurde<br />

Ende April 2020 im mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Kano<br />

festgenommen, nachdem er sich abfällig über einen Propheten<br />

und Gründer der islamischen Religion bei Facebook geäußert<br />

haben soll. Ein Bundesgericht im (christlich geprägten) Süden<br />

Nigerias stellte nach internationalen Protesten zwar fest, dass die<br />

Inhaftierung und die monatelange Verweigerung des Zugangs zu<br />

einer juristischen Vertretung illegal war, jedoch bislang ohne große<br />

Wirkung. Für Balas Entlassung aus der Inhaftierung ausgesprochen<br />

hatte sich u. a. der Literaturnobelpreisträger und Landsmann<br />

Wole Soyinka.<br />

„Mubarak Bala ist ein ehrenwerter Humanist, der bei der<br />

Verwirklichung eines Lebens, das seinen Werten entspricht,<br />

große Entbehrungen und Verfolgung erfahren hat. Heute ist er<br />

ein Gefangener des Gewissens, dessen Gedanken freier sind als<br />

er selbst“, betonte der Präsident der Humanists International<br />

Andrew Copson bei der Ehrung Balas in London.<br />

KLIMAKRISE MACHT WELTWEIT ANGST<br />

Regierungshandeln beschützt wird.<br />

„Die Studie zeigt unmissverständlich,<br />

dass die Klimakrise weltweit junge<br />

Menschen psychisch stark belastet<br />

und massive Zukunftsängste schürt“,<br />

kommentierte Stephan Heinzel, Professor<br />

für Klinische Psychologie und<br />

Psychotherapie gegenüber dem ZDF die<br />

Studienergebnisse. Ohne angemessenes<br />

politisches Handeln stünde die psychische<br />

Gesundheit einer ganzen Generation<br />

auf dem Spiel, so Heinzel.<br />

Quelle: dx.doi.org/10.2139/ssrn.3918955<br />

Wir sind auch online!<br />

News, Interviews, Kommentare.<br />

4<br />

5


<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Huma nistische<br />

Seel sorge<br />

Afghanistan-Fiasko<br />

und Seelsorge<br />

in der Bundeswehr<br />

Als vor wenigen Wochen der internationale<br />

Einsatz in Afghanistan in<br />

genauso dramatischer wie deprimierender<br />

Art und Weise zu Ende ging,<br />

wurde in der medialen Öffentlichkeit in<br />

erster Linie über Entscheidungen und<br />

Fehler der politischen Akteur*innen<br />

diskutiert. Diese Fragen nach Verantwortung<br />

und Versäumnissen sind<br />

WAS SIE IST<br />

UND WOFÜR<br />

MAN SIE BRAUCHT<br />

durchaus berechtigt, denn es ist davon<br />

auszugehen, dass die handstreichartige<br />

Machtübernahme der Taliban die<br />

zarten Triebe eines gesellschaftlichen<br />

und demokratischen Wandels des Landes<br />

quasi über Nacht zerstört haben.<br />

Zudem hatten auch die deutschen Entscheidungsträger*innen,<br />

allen voran<br />

das Bundeskanzleramt und die zuständigen<br />

Ministerien, zahlreiche Warnungen<br />

in den Wind geschlagen und sogar<br />

parlamentarische Anläufe, zumindest<br />

besonders bedrohte Menschen<br />

möglichst frühzeitig in Sicherheit zu<br />

bringen, abgelehnt.<br />

Es ist also nur allzu verständlich,<br />

dass sich Gedanken und Sorgen in<br />

dieser tragischen Zeit zunächst an die<br />

Rettungsmissionen und alle von den<br />

selbst ernannten Gotteskriegern bedrohten<br />

Menschen richten. Besonders<br />

Nicht-Muslime/a, Frauen, politisch<br />

Engagierte, Menschenrechtler*innen,<br />

Humanist*innen, Mitarbeiter*innen<br />

von Hilfsorganisationen und NGOs und<br />

gesellschaftliche Minderheiten müssen<br />

Fotos: ©adobestock.com; © Cody O'Loughlin<br />

um ihre Freiheit, Gesundheit oder gar<br />

um ihr Leben fürchten.<br />

Dennoch überdecken diese Fragen<br />

ein Thema, bei dem insbesondere durch<br />

solche Auslandseinsätze der deutschen<br />

Bundeswehr schon länger dringender<br />

Handlungsbedarf besteht: ein seelsorgerisches<br />

Angebot für alle Soldat*innen<br />

der Bundeswehr.<br />

<strong>Das</strong>s die Anzahl belasteter und<br />

traumatisierter Soldat*innen stark und<br />

kontinuierlich wächst, zeigte kürzlich<br />

eine Anfrage an das Verteidigungsministerium.<br />

Wurden im Jahr 2013 noch<br />

602 Soldat*innen und Soldaten wegen<br />

einsatzbedingter psychischer Störungen<br />

in psychiatrischen Kliniken behandelt,<br />

so waren es 2020 bereits 1116, in<br />

den ersten fünf Monaten dieses Jahres<br />

werden bereits 762 Fälle in dem Bericht<br />

gemeldet. Es ist jedoch davon auszugehen,<br />

dass dies nur die Spitze des<br />

Eisbergs ist und dass ein großer Teil<br />

psychischer und seelischer Belastungen<br />

in diesem Bericht nicht auftaucht.<br />

Einerseits, weil die Soldat*innen eine<br />

Stigmatisierung fürchten und andererseits<br />

weil die Schwelle, einen medizinisch-psychologischen<br />

Dienst anzunehmen,<br />

doch ungleich höher ist als ein<br />

Gespräch unter vier Augen zu suchen,<br />

das eine weiterführende Behandlung<br />

sogar womöglich verhindern könnte.<br />

Zudem geht es oft um eine Sinnkrise<br />

oder ethische Dilemmata, die nicht<br />

weltanschaulich neutral gelöst werden<br />

können, da jeder Mensch Entscheidungen,<br />

Wertungen und Schlussfolgerungen<br />

auf der Grundlage seiner Überzeugungen<br />

trifft.<br />

Der Bedarf eines niederschwelligen<br />

Betreuungs- und Gesprächsangebots<br />

ist also groß, allerdings sind bei der<br />

Bundeswehr bis heute ausschließlich<br />

religiöse Seelsorger*innen aktiv. Und<br />

dies vor dem Hintergrund, dass etwa<br />

die Hälfte ihrer Soldat*innen gar nicht<br />

religiös ist. Genaue Zahlen gibt es zwar<br />

nicht, da die Religionszugehörigkeit<br />

nur auf freiwilliger Basis erfasst wird.<br />

Schätzungen gingen zuletzt aber von<br />

rund 90.000 Christ*innen unter den<br />

insgesamt rund 180.000 Soldat*innen<br />

aus, die Zahl der Muslim*innen dürfte<br />

bei etwa 3000, die der Jud*innen bei<br />

ungefähr 300 liegen. <strong>Das</strong>s es für deren<br />

Anliegen zwar katholische, evangelische<br />

und jüdische Seelsorger*innen,<br />

aber eben keinerlei Alternativen gibt,<br />

kritisiert unlängst auch Michael<br />

Bauer, Vorstand der Humanistischen<br />

‚Es reicht nicht aus,<br />

den Sinn des Lebens zu<br />

„entdecken‘. Worauf es<br />

wirklich ankommt, ist,<br />

ob wir nach unseren<br />

Werten leben, und das<br />

erfordert harte Arbeit<br />

und hundert harte<br />

Entscheidungen jeden<br />

Tag.“<br />

Greg M. Epstein, Präsident der Harvard<br />

Chaplains Organization und <strong>humanistisch</strong>er<br />

Seelsorger an der Harvard University und<br />

dem Massachusetts Institute of Technology<br />

Vereinigung (HV), in einem Interview<br />

im Deutschlandfunk: „Eine nicht-religiöse<br />

Ethik und Weltsicht oder der<br />

Humanismus als Lebenseinstellung ist<br />

bislang überhaupt nicht repräsentiert.<br />

(…) Religiöse Seelsorger*innen können<br />

die Anliegen dieser großen Gruppe an<br />

Menschen nicht einfach mit übernehmen,<br />

denn eine <strong>humanistisch</strong>e Weltanschauung<br />

ist – wie die religiösen<br />

auch – jeweils eine höchst spezifische.<br />

Bei der geht es um zutiefst persönliche<br />

Fragen der eigenen Identität, um Sinnfragen<br />

oder gar Sinnkrisen. Und diese<br />

können nur mit einem Menschen diskutiert<br />

werden, der auf einer ähnlichen<br />

Wellenlänge funkt, einer authentischen<br />

Person, die so ähnlich tickt wie der<br />

oder die Hilfesuchende selbst und der<br />

sie oder er vertrauen kann. Andere<br />

europäische Staaten haben diesem Fakt<br />

schon Rechnung getragen, Deutschland<br />

bislang nicht.“<br />

Was ist Seelsorge?<br />

Wer braucht sie wann?<br />

Der Begriff Seelsorge wird bis heute oft<br />

christlich-religiös interpretiert, was<br />

Humanist*innen bisweilen irritiert.<br />

Denn er ist ursprünglich weder ein<br />

biblischer Begriff noch eine Errungenschaft<br />

des christlich geprägten Westens,<br />

vielmehr lässt er sich auf die griechische<br />

Antike zurückführen.<br />

Bereits Sokrates betrieb Seelsorge,<br />

die so genannte „psyches therapeia“,<br />

und zwar auf dem Marktplatz, wo er<br />

mit Menschen Gespräche über ein<br />

gutes Leben, Glück, Sinn und Gerechtigkeit<br />

führt und sie aufruft, „für ihre<br />

eigene Seele zu sorgen“. Platon wollte<br />

sie gar zur Pflicht aller Bürger*innen<br />

machen. Dabei bezieht sich die antike<br />

Seelsorge vor allem auf die Ausbildung<br />

eines tugendhaften Verhaltens, auf die<br />

Gemeinschaft, auf Lebensbedingungen<br />

und Moral. Sie suchte nach praktischen<br />

Lebensweisheiten, allerdings nicht<br />

durch unreflektierte Traditionsvermittlung,<br />

sondern eher in philosophischem<br />

Kontext, also hinterfragend,<br />

erforschend und begründend. Der Philosoph<br />

wird quasi zum Arzt für nichtphysische<br />

Leiden. <strong>Das</strong> Seelenheil nach<br />

dem Tod war von eher untergeordneter<br />

Bedeutung, trotz des damaligen Glaubens<br />

an eine Unsterblichkeit der Seele.<br />

Die antike Seelsorge kann also als eine<br />

weltliche bezeichnet werden, die erst<br />

später, mit dem Erstarken des Christentums<br />

spezifisch religiös besetzt<br />

wird und über Jahrhunderte dazu diente,<br />

die kirchliche Ordnung und Lehre<br />

sicherzustellen, sowie die Frömmigkeit<br />

und den Glauben zu erhalten. Seelsorge<br />

sollte helfen, den richtigen Umgang mit<br />

den eigenen Sünden zu finden, denn die<br />

seien eine Gefahr für das Seelenheil.<br />

Deshalb war die Seelsorge auch eng<br />

mit dem Bußsakrament verbunden und<br />

wurde primär als Beichte praktiziert,<br />

zu der ein reuevolles Schuldbekenntnis,<br />

Wiedergutmachung und Vergebung<br />

durch den Priester gehörten. Der dazu<br />

gehörige Leitfaden war die Bibel, deren<br />

Texte, Bilder und Erzählungen den<br />

Seelsorger*innen und den Menschen<br />

Vergleiche und Deutungen der Sorgen<br />

und Nöte ermöglichen und Hilfestellung<br />

geben sollten.<br />

Mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust<br />

der Religionen, neuen Lebensentwürfen<br />

und einer Pluralisierung der<br />

Gesellschaft entstand zunehmend auch<br />

7


<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Bedarf nach vertraulichen Gesprächsangeboten<br />

und seelischer Betreuung<br />

für nichtgläubige Menschen. Exemplarisch<br />

sei hier Wilhelm Börners Arbeit<br />

erwähnt mit seiner grundlegenden<br />

Veröffentlichung aus dem Jahr 1912<br />

„Weltliche Seelsorge – Grundlegende<br />

und kritische Betrachtungen“ und<br />

die von ihm 1928 in Wien gegründete<br />

„Lebensmüdenberatungsstelle“. Dieser<br />

neuen, säkularen oder <strong>humanistisch</strong>en<br />

Seelsorge geht es weniger ums Jenseits,<br />

als vielmehr um Unsicherheiten, Ängste<br />

und Probleme im Leben vor dem Tod.<br />

Und diese haben in einer komplexeren,<br />

industrialisierten und globalisierten<br />

Welt wie auch die Möglichkeiten zur<br />

Selbstreflexion der Menschen, zugenommen.<br />

Fragen nach Sinn und Zukunft<br />

können dann besonders zu schaffen<br />

machen oder entstehen vielleicht<br />

zum ersten Mal. Es kann um ein Gefühl<br />

der Entfremdung gehen, womöglich<br />

fern des vertrauten Alltags, oder der<br />

Verunsicherung, weil das Schicksal<br />

nicht mehr in den eigenen Händen zu<br />

liegen scheint. Dem*der einen oder<br />

anderen fällt es einfach nicht leicht, die<br />

eigenen Gedanken zu ordnen oder Gefühle<br />

zu artikulieren. Wenn in solchen<br />

Momenten selbst die eigenen Angehörigen<br />

oder Freunde keine geeigneten<br />

Ansprechpartner*innen sind, kann<br />

womöglich ein persönliches und vertrauliches<br />

Gespräch mit einem*einer<br />

unbelasteten Dritten helfen. Hier setzt<br />

die Humanistische Seelsorge an, als<br />

religionsfreie, aber wertegebundene<br />

Gespräche unter Menschen, die sich auf<br />

Augenhöhe begegnen. Humanistische<br />

Seelsorger*innen bringen idealerweise<br />

Erfahrungen und das moralische Rüstzeug<br />

mit, das sich an den Interessen,<br />

den Werten und der Würde des einzelnen<br />

Menschen orientiert. Sie verstehen<br />

unter Seelsorge etwas, was den Menschen<br />

in seiner Gesamtheit betrachtet<br />

und ihn so akzeptiert, wie er ist. Die<br />

also seine persönliche Haltung ernst<br />

nimmt und dann mit ihm diskutiert,<br />

Sinn- und Lebensfragen bespricht und<br />

eben Lösungen zu erarbeiten versucht.<br />

Dies läuft ohne theoretisch-therapeutischen<br />

Ansatz, ohne Bedingungen an<br />

die Inanspruchnahme der Seelsorge zu<br />

knüpfen und ohne drohende Berichterstattung<br />

an andere Disziplinen. Es<br />

sind dagegen <strong>humanistisch</strong>e Prinzipien<br />

wie Gewissensfreiheit, Vernunft,<br />

Selbstbestimmung, Anerkennung<br />

der gesellschaftlichen Pluralität und<br />

‚Gerade die Coronavirus-<br />

Pandemie und die damit<br />

verbundenen monatelangen<br />

Kita-Lockdowns haben für<br />

Eltern mit minderjährigen<br />

Kindern enorme Belastungen<br />

gebracht – und sie daher auch<br />

vielfach an die Grenzen ihrer<br />

psychischen Belastbarkeit.<br />

Die Mehrheit der Eltern<br />

ist nicht austrainiert und<br />

tiefenerholt in die Pandemie<br />

gestartet, nicht wenige<br />

waren schon vor dem ersten,<br />

kürzeren Lockdown bereit für<br />

einen Urlaub. Ein niedrigschwelliges,<br />

qualifiziertes<br />

Beratungsangebot zum Umgang<br />

mit den besonderen Problemen<br />

in der Coronakrise außerhalb<br />

des engsten Familien- und<br />

Freundeskreises – und ohne<br />

einen religiösen Kontext –<br />

hätten sicherlich zahlreiche<br />

Eltern in Anspruch genommen,<br />

wenn es das nur gegeben hätte.<br />

Und sicher nicht nur diese.<br />

Humanistische Seelsorge kann<br />

insofern auch vielfach der<br />

Prävention dienen, damit<br />

medizinisch indizierte<br />

Befunde, wo dann z. B. eine<br />

echte Therapie notwendig wird,<br />

gar nicht erst entstehen.“<br />

Arik Platzek, Redakteur<br />

Gewaltfreiheit, die das moralische<br />

Fundament bilden, wobei die Beratung<br />

konfessionsfreien wie religiösen Menschen<br />

gleichermaßen offensteht.<br />

Nun lässt sich natürlich ausgiebig<br />

darüber streiten, ob denn der Begriff<br />

der Seelsorge auch für Nichtgläubige<br />

und Humanist*innen der richtige ist.<br />

Immerhin war er lange Primat der<br />

Kirchen, dennoch erfasst heute damit<br />

jeder*jede, was darunter zu verstehen<br />

ist. Und da die Seele als Begriff für<br />

das psychisch-moralische Innenleben<br />

eine Bezeichnung ist, die keineswegs<br />

automatisch religiös ausgelegt werden<br />

muss, ist er auch für alle geeignet.<br />

Wie unterscheiden sich<br />

psychologische, religiöse und<br />

<strong>humanistisch</strong>e Seelsorge<br />

Im Unterschied zur psychologischen<br />

Betreuung oder Therapie, in der versucht<br />

wird, eine Erkrankung oder<br />

„geistige Fehlstellung“ zu korrigieren,<br />

geht es in der <strong>humanistisch</strong>en Seelsorge<br />

um Probleme in einer Sinnkrise<br />

oder einem ethischen Dilemma, die<br />

weltanschaulich nicht neutral gelöst<br />

werden können. Jede Entscheidung<br />

muss auf der Grundlage persönlicher<br />

Überzeugungen und im Rahmen des<br />

gültigen Rechts getroffen werden,<br />

was Seelsorge zu einer eigenständigen<br />

Aufgabe macht, die sich auch im Laufe<br />

der Jahrzehnte stets weiterentwickelt<br />

und an neue Problemlagen und Bedürfnisse<br />

der Menschen angepasst hat.<br />

Jüngstes Beispiel sind die belastenden<br />

Situationen, die durch die Corona-Pandemie<br />

und den damit verbundenen<br />

Einschränkungen entstanden sind. Für<br />

viele Kinder, Jugendliche und Familien<br />

waren die vergangenen eineinhalb Jahre<br />

frustrierend, nervlich und körperlich<br />

sehr belastend, wofür ein seelsorgerisches<br />

Gespräch ein gutes Ventil sein<br />

kann. Zusätzlich sind psychologische<br />

Beratungsstellen seither chronisch<br />

überlaufen, auch Familienberatungen<br />

waren für Betroffene nur sehr schwer<br />

zu bekommen.<br />

Eine <strong>humanistisch</strong>e Seelsorge setzt<br />

im Vergleich zur religiösen Seelsorge<br />

ganz anders an, weil ein unterschiedliches<br />

Bild vom Menschen und seinen<br />

Bedürfnissen besteht.<br />

Es mag durchaus Überschneidungen<br />

geben, weshalb das vorhandene<br />

Angebot ergänzt und nicht ersetzt<br />

Fotos: privat; ©Trond Enger<br />

werden sollte. Doch jeder Mensch muss<br />

ein adäquates Angebot bekommen, so<br />

wie es im Einzelfall gebraucht wird.<br />

Der entscheidende Punkt ist aber der<br />

Umgang mit den Fragen und Problemen<br />

der Betroffenen – und da sind<br />

Humanist*innen der Meinung, dass<br />

dieser miteinander erarbeitet werden<br />

muss. Hier liegt ein fundamentaler<br />

Unterschied zur religiösen Seelsorge:<br />

Es gibt keine heiligen Bücher, keine<br />

Autoritäten mit allgemein gültigen<br />

oder interpretierbaren Lehren, auf die<br />

sich Humanist*innen stützen können.<br />

<strong>Das</strong> ist als Gerüst eines Glaubens oder<br />

einer Lehre im Humanismus eben nicht<br />

vorhanden, denn der versucht ja stets,<br />

auf den einzelnen Menschen zurückzugehen<br />

und für ihn ganz individuelle<br />

Lösungen und so eine Erleichterung der<br />

Situation zu finden.<br />

Internationale Pioniere<br />

<strong>humanistisch</strong>er Seelsorge<br />

Schon bei einer ersten Bestandsaufnahme<br />

fällt schnell ins Auge, dass<br />

<strong>humanistisch</strong>e Seelsorge in Deutschland<br />

zwar vertreten, aber nicht flächendeckend,<br />

geschweige denn obligatorisch<br />

zur Verfügung steht. Aber es ist<br />

eine sukzessive Entwicklung von unten<br />

im Gange, denn bislang fehlten den<br />

Regierungen Mut und politischer Wille,<br />

am bisherigen, religiös ausgerichteten<br />

System zu rütteln. Dementsprechend<br />

sind andere Nationen, die ihre konservativen<br />

Scheuklappen schon früher<br />

abgelegt haben, teils mehrere Schritte<br />

voraus:<br />

Als sich 2018 Humanist*innen<br />

aus den Niederlanden, Belgien und<br />

Deutschland in Utrecht zu einer internationalen<br />

Konferenz trafen, stand<br />

neben einer grundsätzlichen Debatte<br />

über gegenwärtige Herausforderungen<br />

und Entwicklungen des organisierten<br />

Humanismus vor allem die Diskussion<br />

um <strong>humanistisch</strong>e Seelsorge- und Beratungspraxis<br />

im Vordergrund. Während<br />

in den Niederlanden und Belgien <strong>humanistisch</strong>e<br />

Begleitung eine fest verankerte,<br />

nicht-konfessionelle Alternative<br />

zu religiösen Seelsorgeangeboten ist,<br />

existieren in Deutschland vergleichbare<br />

Angebote bislang nur sehr punktuell.<br />

In den Niederlanden ist die <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorgepraxis weit verbreitet.<br />

Sie setzt überall dort an, wo Seelsorge<br />

oder Beratung an verschiedenen<br />

Noch unterrepräsentiert, aber staatlich voll<br />

anerkannt: Trond Enger (Präsident HEF) freut<br />

sich mit der erste <strong>humanistisch</strong>en Beraterin<br />

für die Streitkräfte, Ida Helene Henriksenn,<br />

über die ersten Erfolge.<br />

Stellen in öffentlichen Institutionen<br />

benötigt werden, vor allem im Gesundheitswesen<br />

(z. B. in Krankenhäusern,<br />

Pflegeheimen, Psychiatrie), in Gefängnissen<br />

und beim Militär. Abhängig<br />

davon, in welchem Bereich die Seelsorge<br />

angesiedelt ist, wird sie dann<br />

über unterschiedliche öffentliche oder<br />

private Kanäle finanziert.<br />

<strong>Das</strong> Angebot steht allen offen, spricht<br />

aber schon in erster Linie nicht-gläubige<br />

Menschen an, die in den Gesprächen<br />

nicht mit Ideen konfrontiert werden<br />

möchten, die sich nicht mit ihrer<br />

eigenen Weltanschauung vereinbaren<br />

lassen.<br />

Nicht ohne Grund war Utrecht Ort<br />

der Tagung, gibt es doch im Zentrum<br />

der Stadt seit 1989 die Universität<br />

für Humanistik, an der ein wissenschaftliches<br />

und staatlich anerkanntes<br />

Humanismusstudium möglich ist. Auf<br />

Grundlage <strong>humanistisch</strong>er Werte werden<br />

theoretische, aber auch praktische<br />

Kompetenzen vermittelt. Dazu zählen<br />

die Bereiche Gruppendynamik, (Selbst-)<br />

Reflexion, Gesprächsführung, sowie<br />

Präsentations- und Argumentationsfähigkeiten.<br />

Absolvent*innen können<br />

anschließend beispielsweise als Humanistische<br />

Berater*innen oder Seelsorger*innen,<br />

Lebenskundelehrer*innen,<br />

Coaches oder Unternehmensberater*innen<br />

arbeiten.<br />

Mit den „Huis van de Mens“ bietet<br />

Belgien ebenfalls eine breite <strong>humanistisch</strong>e<br />

Beratungspraxis, die von<br />

staatlicher Seite finanziert und als<br />

„Allround-Angebot“ organisiert ist.<br />

Unter diesen Einrichtungen sind offene<br />

Häuser zu verstehen, in denen jeder zu<br />

den unterschiedlichsten Themen Rat<br />

und Begleitung finden kann. <strong>Das</strong> Spektrum<br />

ist groß, vom Planen und Abhalten<br />

<strong>humanistisch</strong>er Lebensfeiern bis hin<br />

zur Betreuung in Lebenskrisen.<br />

Aber es gibt seit über zwei Jahrzehnten<br />

auch eine <strong>humanistisch</strong>e<br />

Soldatenbetreuung für die 35.000 Angehörigen<br />

der belgischen Armee, die<br />

mehr als 1000 Konsultationen jährlich<br />

durchführt, mit den unterschiedlichsten<br />

Themen: Einsamkeit, Beziehungsprobleme,<br />

Konflikte mit Vorgesetzten,<br />

Burn-out, Sucht, Scheidung, finanzielle<br />

Probleme – viele davon sind häufig auf<br />

längere Missionen zurückzuführen. Die<br />

Berater*innen sind studierte Therapeut*innen,<br />

Psycholog*innen oder Lehrer*innen.<br />

Bei Fällen, in denen schwere<br />

Traumatisierungen und Probleme vorliegen,<br />

vermitteln sie die Soldat*innen<br />

an Fachleute. Diese <strong>humanistisch</strong>e Alternative<br />

musste allerdings vor über 20<br />

Jahren auch erst mühevoll gerichtlich<br />

eingeklagt werden, vor allem gegen den<br />

Willen der dominierenden katholischen<br />

Kirche.<br />

In Norwegen existiert eine der<br />

größten <strong>humanistisch</strong>en Gemeinschaften<br />

weltweit. Dem 1956 gegründeten<br />

„Human-Etisk Forbund“ (HEF) gehören<br />

mehr als 100.000 Mitglieder an. Da ist<br />

es fast schon verwunderlich, dass die<br />

erste HEF-Studierendenberaterin, ein<br />

Lebensberater in Tønsberg und die<br />

ersten <strong>humanistisch</strong>en Berater*innen<br />

für die Streitkräfte Norwegens ihre<br />

Tätigkeiten erst vor wenigen Jahren<br />

aufgenommen haben. Sie organisieren<br />

zusätzlich zu ihren seelsorgerischen<br />

und beratenden Tätigkeiten in der<br />

Armee für die gesamte Bevölkerung<br />

philosophische Gesprächsgruppen, in<br />

denen sich alle Menschen mit ethischen<br />

und existenziellen Themen auseinandersetzen<br />

können. Trotzdem verkörpert<br />

die weltanschauliche Aufteilung der<br />

Seelsorger*innen noch lange nicht die<br />

Lebenswirklichkeit der Soldat*innen:<br />

8<br />

9


<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Nur etwa ein Viertel von ihnen bezeichnet<br />

sich in einer Umfrage als gläubig,<br />

der deutlich größere Rest dagegen als<br />

gar nicht oder nur sehr wenig religiös.<br />

Immerhin wird der HEF in Norwegen<br />

von staatlicher Seite ähnlich behandelt<br />

wie Religionsgemeinschaften,<br />

was deutliche Auswirkungen für die<br />

Rechtssicherheit und die staatliche<br />

Unterstützung dort hat.<br />

In Großbritannien organisiert das<br />

„Nonreligious Pastoral Support Network“<br />

die nichtreligiöse Seelsorge in<br />

Trägerschaft der Humanists UK, dem<br />

Verband der britischen Humanist*innen.<br />

Drei hauptamtliche, <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorger*innen koordinieren<br />

dabei die Arbeit einer beachtlichen<br />

Zahl Ehrenamtlicher in diesem Seelsorge-Netzwerk.<br />

<strong>Das</strong>s in Buckinghamshire<br />

kürzlich eine diplomierte Humanistin<br />

zur Leiterin des örtlichen Seelsorge-<br />

Teams für die Kliniken in der Region<br />

ernannt wurde, ist ein deutliches<br />

Signal und trägt der Notwendigkeit<br />

Rechnung, dass auch die Bedürfnisse<br />

nichtreligiöser Patienten berücksichtigt<br />

werden müssen. Es war eine<br />

Premiere im Vereinigten Königreich,<br />

zuvor wurden die Seelsorge-Teams<br />

hauptsächlich von Pfarrern geleitet.<br />

Eine Umfrage hatte gezeigt, dass eine<br />

deutliche Mehrheit der englischen<br />

Bevölkerung qualifizierte <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorge befürwortet. Sieben von<br />

zehn Befragten sprachen sich dafür<br />

aus, wohl nicht zuletzt, weil sich mehr<br />

als die Hälfte der Bevölkerung laut<br />

„British Social Attitudes Survey“ keiner<br />

Religion verbunden fühlt.<br />

Durch die Corona-Pandemie ist die<br />

Arbeit aller Seelsorger*innen weiter<br />

ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. In<br />

besonderem Maße in den USA, die von<br />

Covid-19 schlimmer getroffen wurden<br />

als der Rest der Welt. Dort ist die Nachfrage<br />

nach kirchlichen und konfessionell<br />

unabhängigen Seelsorgern deutlich<br />

angestiegen, laut einer Umfrage des<br />

Pew-Instituts um 20 Prozent in den<br />

vergangenen zwei Jahren. Die American<br />

Humanist Association beziffert die<br />

Zahl der zertifizierten, <strong>humanistisch</strong>en<br />

Seelsorger*innen in den USA auf etwa<br />

100. Der Großteil dieser „Humanist<br />

Chaplains“ arbeiten in Krankenhäusern,<br />

andere an Universitäten oder in<br />

Gefängnissen. Der Startschuss an den<br />

Hochschulen ist in Harvard schon in<br />

den 1970ern gefallen, heute haben zehn<br />

Universitäten in den USA einen*eine<br />

<strong>humanistisch</strong>e*n Seelsorger*in im<br />

Team. Dabei spiegelt diese Entwicklung<br />

einen klaren Trend in den USA<br />

wieder. Immer größere Teile der Bevölkerung<br />

fühlen sich keiner Religion<br />

mehr zugehörig oder kommen aus religiös<br />

gemischten Familien. <strong>Das</strong>s die USA<br />

dennoch nach wie vor eine religiös geprägte<br />

Gesellschaft seien, unterstrich<br />

der Historiker Gary Laderman kürzlich<br />

im Interview mit dem Deutschlandfunk.<br />

Der Wahlkampf um das Weiße<br />

Haus habe zudem die Glaubenskriege<br />

zwischen konservativen Christ*innen<br />

und (progressiven) Säkularen weiter<br />

angeheizt. „Viele konservative, religiöse<br />

Gruppen sehen <strong>humanistisch</strong>e Seelsorger*innen<br />

in einem finsteren Licht:<br />

nicht nur als Symptom der Säkularisierung,<br />

sondern geradezu als Abgesandte<br />

des Teufels, die die amerikanische<br />

Gesellschaft infiltrieren und korrumpieren<br />

– und von Gott entfremden.“<br />

Allerdings ticke die Uhr zugunsten<br />

der Humanist*innen, denn vor allem<br />

die jüngere Generation würde sich<br />

zunehmend an <strong>humanistisch</strong>e Seelsorger*innen<br />

wenden. Denen kommt dabei<br />

auch zugute, dass sie, anders als die<br />

etablierten Glaubensgemeinschaften,<br />

keine festen Rituale und Orte brauchen,<br />

sondern ihre Erfahrung aus vielen verschiedenen<br />

Quellen schöpfen, etwa in<br />

der Musik oder in anderen weltlichen<br />

Bereichen oder Tätigkeiten. Deshalb<br />

könne die <strong>humanistisch</strong>e Seelsorge<br />

flexibler agieren und arrangiere sich<br />

leichter mit heutigen Sozialgemeinschaften<br />

wie Online-Communities.<br />

Engagement der<br />

Humanistischen Vereinigung<br />

für <strong>humanistisch</strong>e Seelsorge<br />

Schon seit Jahren setzt sich die Humanistische<br />

Vereinigung für eine Gleichbehandlung<br />

und Gleichberechtigung<br />

nicht-religiöser und/oder <strong>humanistisch</strong><br />

eingestellter Menschen ein. Dazu<br />

gehört selbstverständlich auch ein<br />

entsprechendes seelsorgerisches Angebot<br />

für alle, die eben keinen religiös<br />

gestrickten Gesprächsfaden wünschen.<br />

Um den Bogen zur eingangs besprochenen<br />

militärischen Seelsorge zu<br />

spannen, sind dies klare Forderungen<br />

an Parteien, Regierung und Verteidigungsministerium,<br />

zumindest in einem<br />

Pilotprojekt ein Angebot für <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorge in der Bundeswehr zu<br />

erproben und herauszufinden, wie groß<br />

die Nachfrage tatsächlich ist. Dazu<br />

müssten nicht gleich hunderte <strong>humanistisch</strong>e<br />

Seelsorger*innen eingestellt<br />

werden, um gleich die richtige Proportionalität<br />

herzustellen. Es geht vielmehr<br />

darum, einen Anfang zu finden<br />

und die Problematik ernst zu nehmen,<br />

dass das vorhandene, seelsorgerische<br />

Angebot für die Hälfte der deutschen<br />

Soldat*innen schlicht nicht passt.<br />

Aber auch in anderen Bereichen,<br />

in denen kein gesetzlicher Rahmen<br />

oder Auftrag besteht, engagiert sich<br />

die HV. Sei es die persönliche oder<br />

telefonische Seelsorge, die die verschiedenen<br />

HV-Landesgeschäftsstellen<br />

für alle Menschen anbieten, sei es die<br />

würdevolle Begleitung sterbender und<br />

schwerkranker Menschen im gerade<br />

entstehenden Hospiz in Fürth oder<br />

die Anfang dieses Jahres begonnene<br />

Beratung von Seeleuten. Der Seafarer’s<br />

Social Service Oldenburg (SSSO) ist<br />

die erste <strong>humanistisch</strong>e Einrichtung<br />

dieser Art in Europa und richtet sich<br />

an Seeleute, unabhängig von Herkunft,<br />

Religion oder Weltanschauung. Angesichts<br />

der Bundestagswahl und eines<br />

möglichen Regierungswechsel setzt<br />

HV auch auf einen politischen Paradigmenwechsel,<br />

denn neue Ansätze<br />

zur Zukunft der Seelsorge sind stark<br />

vom politischen Willen abhängig,<br />

die Schieflage zu erkennen und ernst<br />

zu nehmen. Da etwa die Hälfte der<br />

deutschen Bevölkerung keiner Religion<br />

mehr anhängt, müssten daraus auch<br />

entsprechende Veränderungen resultieren,<br />

so HV-Vorstand Michael Bauer.<br />

„Diese Veränderungen müssen von der<br />

deutschen Regierung auch irgendwann<br />

mal angegangen werden, wenn die<br />

Politik nicht riskieren will, dass sie in<br />

solchen Fragen nicht irgendwann ganz<br />

ohne Volk dasteht, weil sie nur noch für<br />

eine kleine Minderheit etwas zur Verfügung<br />

stellt. Wenn wir Glück haben,<br />

dann wird die neue Regierung sehr<br />

anders als die alte und dann haben<br />

wir mit neuen Gesprächspartnern und<br />

einer neuen politischen Mehrheit auch<br />

andere Möglichkeiten.“<br />

Martin Bühner<br />

Jugendfeiern<br />

überall<br />

Die Corona-Pandemie als Entwicklungsmotor, nicht nur im Berufsalltag:<br />

Die behördlichen Vorgaben zur Kontaktbeschränkung<br />

haben im vergangenen Jahr bei vielen Menschen dafür gesorgt,<br />

gewohnte Routinen oder Veranstaltungsformate zu überdenken<br />

und neue Lösungen zu (er-)finden. Auch für die Humanistische<br />

Vereinigung gab das Pandemiejahr 2020 den Anstoß, über ein<br />

neues, modernes Format zur Durchführung von Jugendfeiern<br />

nachzudenken. <strong>Das</strong> Jugendfeierprogramm des vergangenen<br />

Jahres wurde darum im November 2020 mit der ersten Online-Jugendfeier<br />

der Geschichte beendet. Zur Vorbereitung hatte unter<br />

anderem der Ludwig-Feuerbach-Saal im Humanistischen Zentrum<br />

Nürnberg zwei Tage lang einem TV-Studio geglichen, um die<br />

würdige und gelungene Jugendfeier-Abschlussveranstaltung für<br />

die Jugendlichen und ihre Familien vorzubereiten.<br />

An diese Erfahrungen knüpft die Humanistische Vereinigung<br />

an und wird im kommenden Jahr Heranwachsenden aus ganz<br />

Deutschland im Rahmen ihres neuen Veranstaltungsformats<br />

Jugendfeier überall die Teilnahme an der <strong>humanistisch</strong>en Alternative<br />

zur Konfirmation ermöglichen. Denn hoffentlich wird sich<br />

im Frühsommer 2022 das gesellschaftliche Leben weitgehend normalisiert<br />

haben – doch auch dann werden viele Jugendliche und<br />

ihre Familien in vielen Teilen Deutschlands nicht ohne Weiteres<br />

an einer der traditionellen Jugendfeiern teilnehmen können. Der<br />

Grund: In Orten abseits großer Metropolen bzw. größerer Städte<br />

gibt es dafür häufiger keinen Anbieter. <strong>Das</strong> Jugendfeier-Team der<br />

Humanistischen Vereinigung hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit<br />

der Jugendfeier überall diese Lücken zu schließen.<br />

Fotos: ©Karin Stöhr<br />

Jugendfeiern<br />

traditionell<br />

<strong>Das</strong> traditionelle Jugendfeier-Format soll dabei aber nicht vernachlässigt<br />

werden, ganz im Gegenteil. Denn Jugendfeiern unter<br />

dem Dach der Humanistischen Vereinigung soll es ab dem kommenden<br />

Jahr auch endlich für Interessierte in der Metropolregion<br />

Hamburg und Schleswig-Holstein geben.<br />

Und allen Hindernissen auch des nun ausklingenden Jahres zum<br />

Trotz konnten schließlich am 10. Juli erneut Jugendliche aus ganz<br />

Bayern im großen Saal der Nürnberger Meistersingerhalle den<br />

symbolischen Schritt ins Erwachsenenleben vor ihren Familien und<br />

Freund*innen gehen.<br />

Schon am frühen Samstagmorgen hatten sich alle Jugendlichen<br />

in den imposanten Räumlichkeiten in vier Teams zusammengefunden:<br />

Team Online, die Gummibären-Bande, sowie das<br />

Team Jugendfeier und die Jungen Humanist*innen. Etwas später<br />

öffneten sich die Türen für Eltern, Gäste und Familien. Auch für<br />

die Jugendlichen galt natürlich der Mindestabstand, als sie in<br />

alphabetischer Reihenfolge und unter tosendem Applaus vom<br />

Foyer aus in die Halle einzogen. Nach der charmanten und würdigen<br />

Eröffnung durch die Moderatorinnen Mira Illy und Lara Mai<br />

wandte sich im Anschluss Regine Steib, die Vizepräsidentin der<br />

Humanistischen Vereinigung, mit ihrer Festrede an die künftigen<br />

Erwachsenen. Sie beschrieb die Herausforderungen durch aktuelle<br />

und kommende Krisen, sprach über den manchmal schwierigen<br />

Weg zum Erwachsenwerden und natürlich über die Jugendlichen<br />

selbst, welche nun den Kinderschuhen entwachsen seien. Wunderbar<br />

musikalisch umrahmt wurde das Fest von Maike Meinhold<br />

am E-Piano. Nach den weiteren Programmpunkten des Festakts<br />

wurde jede*r Teilnehmer*in, auf der Leinwand begleitet mit Foto,<br />

Spruch und Namen, einzeln aufgerufen und bekam Glückwünsche,<br />

Urkunde, eine Jugendfeierzeitung und natürlich traditionell<br />

die Rose überreicht – ein unvergesslicher Moment für alle.<br />

Am 10. September fand außerdem die große Abschlussfahrt<br />

nach Berlin statt. Nachdem die 37 jugendlichen Teilnehmer*innen<br />

ihr Quartier im Schullandheim am Großen Wannsee bezogen hatten,<br />

folgten drei abwechslungsreiche Tage, an denen sie gemeinsam<br />

oder in Gruppen die vielen Highlights der Bundeshauptstadt<br />

erkundeten.<br />

Ausführliche Berichte zur HV-Jugendfeier <strong>2021</strong> und zur<br />

Abschlussfahrt sowie alle Informationen zu den Jugendfeier-<br />

Angeboten der Humanistischen Vereinigung und Möglichkeiten<br />

zur Anmeldung gibt es natürlich online: jugendfeier.de<br />

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<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Freies WLAN<br />

für Seeleute<br />

Zusammen mit zwei Projektpartnern hat der Seafarer’s Social Service<br />

Oldenburg (SSSO) eine Freifunkanlage am Oldenburger Hafen<br />

installiert. Seeleute haben nun freien Internetzugang und können<br />

so deutlich leichter Kontakt zur fernen Heimat halten. Denn wer<br />

zur See fährt, ist oft monatelang von Freund*innen und Familie<br />

getrennt. Soziale Kontakte sind an Bord spärlich und beschränken<br />

sich meist auf die Crew des jeweiligen Schiffes. Nicht erst seit der<br />

Corona-Pandemie gilt deshalb das Internet als „Schlüssel zum<br />

Glück der Seeleute“ – und mit einigem Stolz können die Mitarbeitenden<br />

des SSSO nun von sich sagen, ein wenig zu diesem Glück<br />

beigetragen zu haben. Die Einrichtung der leistungsfähigen Hotspots<br />

wurde in Zusammenarbeit mit dem Verein Freifunk e. V. und<br />

mit freundlicher Unterstützung der Firma Agravis umgesetzt.<br />

Skeptischer Denker –<br />

engagierter Intellektueller<br />

Am 6. November widmet die Humanistische Akademie zusammen<br />

mit der Gesellschaft für kritische Philosophie dem Philosophen<br />

Bertrand Russell ein Symposium im Marmorsaal des Presseclubs<br />

Nürnberg. Russell (1872–1970) war einer der einflussreichsten<br />

Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, eine „Leitfigur des Humanismus“<br />

(Joachim Kahl) und für Karl Popper schlichtweg der<br />

„größte Philosoph seit Kant“. Der breiten Öffentlichkeit wurde<br />

er jedoch weniger als Mitbegründer der Analytischen Philosophie<br />

bekannt als vielmehr durch sein gesellschaftlich-politisches<br />

Engagement für Frieden, Freiheit und Menschenrechte. Zweimal<br />

ging der Literaturnobelpreisträger von 1950 für seine pazifistischen<br />

Überzeugungen ins Gefängnis, blieb dabei aber immer ein<br />

undogmatischer Skeptiker, was vermeintliche philosophische und<br />

politische Gewissheiten betrifft. Anlässlich seines 50. Todesjahres<br />

werden die Referent*innen – pandemiebedingt nun ein Jahr später<br />

– Werk und Wirken Russells kritisch würdigen. Programm und<br />

Anmeldung unter: russell-symposium.de<br />

Erster<br />

Kleiderladen<br />

kids<br />

Am 1. Oktober ist direkt am Fürther Löwenplatz der erste Kleiderladen<br />

kids eröffnet worden. Er ergänzt die bestehenden drei<br />

Kleiderläden für alle der Humanistischen Vereinigung mit einer<br />

großen Auswahl an guter und günstiger Kleidung sowie Schuhen,<br />

Spielzeug und Schwangerschaftsbedarf zu einem günstigen Preis.<br />

Lesen Sie mehr dazu auf den Seiten 16 und 17.<br />

Faszinierend<br />

ekelig<br />

Seit bald einem Jahr hat das DISGUSTING FOOD MUSEUM BERLIN<br />

der HV-Tochter philoscience seine Türen geöffnet und lockte seitdem<br />

zahlreiche Besucher*innen an. Lesen Sie einige Stimmen aus<br />

den bisherigen Bewertungen bei Google.<br />

„Es war spannend, sehr interessant und einiges verursachte<br />

einfach nur Gänsehaut beim genaueren Hinsehen. Die Neugier<br />

war größer als der Ekel. Vieles regte zum Nachdenken an und<br />

löste ein trauriges Gefühl in mir aus. Es ist auf jeden Fall einen<br />

Besuch wert und sehr zu empfehlen, für die, die es etwas gewagter<br />

mögen. Tolles Team, interessante Infos und rundum stimmig.<br />

Danke für den etwas anderen Museumsbesuch.“ – Nutzer „Viva<br />

Vanilla“<br />

„Eine wirklich gelungene Ausstellung, die das Thema ‚Ekel‘,<br />

‚eklige Nahrung‘ und ungewöhnliche Lebensmittel beleuchtet<br />

ohne mit dem erhobenen Zeigefinger eine Wertung vorzunehmen!<br />

Die Ausstellung hilft auch die eigene Ernährung bzw.<br />

alltägliche Produkte besser zu reflektieren. Abgerundet wird die<br />

Ausstellung durch die Möglichkeit ‚eklige‘ bzw. ‚ungewöhnliche‘<br />

Nahrungsmittel zu probieren! <strong>Das</strong> Digusting Food Museum ist<br />

wirklich eine empfehlenswerte Alternative zu den bekannten<br />

Museen/Ausstellungen und wirklich einen Besuch wert!“ – Nutzer<br />

„S K“<br />

„Wenn der Mensch ist, was er isst, ist er ganz schön grausam.<br />

Gänse in Käfigen werden für Stopfleber zwangsgefüttert,<br />

Tintenfische zerhackt lebendig serviert, Vögel in Brandy ertränkt,<br />

Babymäuse sollen Wein Aroma verleihen und Robben werden mit<br />

Vögeln vollgestopft und zum Fermentieren vergraben. <strong>Das</strong> erfährt<br />

man alles in diesem kurzweiligen Museum, außerdem kann<br />

man an verschiedenen Käsen riechen oder auch Insekten probieren.<br />

Ein Besuch lohnt sich!“ – Nutzer „K. K.“<br />

Fotos: ©HV; privat; adobestock.com<br />

Michael Bauer, Laura Deinzer (Hrsg.)<br />

Zwischen Wahn und Wahrheit:<br />

Wie Verschwörungstheorien<br />

und Fake News die Gesellschaft<br />

spalten<br />

Im medialen Zeitalter sieht sich jeder<br />

Einzelne tagtäglich mit einer Flut an<br />

Informationen konfrontiert. Neben<br />

Nachrichten, die im Minutentakt unsere<br />

Bildschirme füllen, prasseln Kommentare,<br />

Verschwörungsmythen und Fake News auf uns ein. Zwischen wahnhaften,<br />

aufgehetzten Diskursen und verlässlichen Informationen zu<br />

unterscheiden, ist eine der Herausforderungen im sogenannten postfaktischen<br />

Zeitalter. Der Wahrheitsbegriff scheint aufgeweicht:<br />

Es zählen Meinungen statt Fakten, Gefühle statt Evidenz, Gerüchte<br />

statt Beweise. Die Herausforderungen, die sich durch die Verbreitung<br />

von Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien für die Wissenschaftskommunikation<br />

– nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie –<br />

ergeben, stehen Im Mittelpunkt dieses Buches.<br />

Beiträge verschiedener Fachgebiete von Psychologie und Gesundheitswissenschaften<br />

über Philosophie und Geschichte bis hin zu Naturwissenschaften<br />

beleuchten, wie sich Mythen im Alltag manifestieren,<br />

wie sich Verschwörungserzählungen ausbreiten und welche Kontroversen<br />

zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu Problemen für die<br />

öffentliche Kommunikation führen.<br />

Mit Beiträgen von Sebastian Bartoschek, Anna Beniermann, Fabian<br />

Chmielewski, Katrin Götz-Votteler, Simone Hespers, Uwe P. Kanning,<br />

Sina Klaß, Claus Oberhauser, Jan Skudlarek, Meinald T. Thielsch<br />

und Ines Welzenbach-Vogel.<br />

Springer-Verlag, <strong>2021</strong>, Paperback, 209 Seiten, 19,99 Euro, eBook<br />

14,99 Euro.<br />

Khaled Hosseini<br />

Am Abend vor dem Meer:<br />

Eine illustrierte Erzählung<br />

„‚Am Abend vor dem Meer‘ ist der<br />

Versuch, die Millionen von Familien zu<br />

ehren, die auseinandergerissen und<br />

gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen.“<br />

– Khaled Hosseini.<br />

Khaled Hosseini hat eine Erzählung<br />

geschaffen, die auf wenigen Seiten die berührende<br />

Geschichte einer Flüchtlingsfamilie<br />

aus Syrien umreißt. Am 2. September<br />

2015 ertrank Alan Kurdi bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach<br />

Europa in Sicherheit zu kommen. Er war drei Jahre alt und stammte<br />

aus Syrien. Khaled Hosseini war selbst ein Flüchtlingsjunge, der fern<br />

von seinem Heimatland Afghanistan aufwuchs. Diese Erfahrung von<br />

Trennung und Heimweh prägt die einzigartige emotionale Kraft seiner<br />

Bücher und wurde für ihn schriftstellerischer Antrieb wie gesellschaftspolitischer<br />

Auftrag: Seit vielen Jahren unterhält er eine eigene<br />

Stiftung und ist Sonderbotschafter des UNHCR.<br />

In „Am Abend vor dem Meer“ soll beides zusammenkommen.<br />

Die atmosphärisch dichte Erzählung, eindringlich farbig illustriert von<br />

Dan Williams, erzählt in einem Brief eines Vaters an seinen Sohn vom<br />

Abschied von zu Hause und der Gefahr der Überfahrt auf der Flucht.<br />

Die Einnahmen des Autors aus diesem Buch gehen an die Khaled<br />

Hosseini Foundation (khaledhosseinifoundation.org) und den UNHCR,<br />

das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, um lebensrettende<br />

Nothilfemaßnahmen zu finanzieren und dadurch Flüchtlingen überall<br />

auf der Welt eine bessere Zukunft zu ermöglichen<br />

S. Fischer Verlag, 2018, 48 Seiten, gebunden, 12 Euro.<br />

Emran Feroz<br />

Der längste Krieg:<br />

20 Jahre War on Terror<br />

Mit der Operation Enduring Freedom<br />

begann am 7. Oktober 2001 der „Krieg<br />

gegen den Terror“ in Afghanistan, der bis<br />

heute zum längsten Krieg der USA und<br />

ihrer Verbündeten geworden ist, mit Tausenden<br />

Toten und Verletzen, auch unter<br />

den deutschen Soldaten. Dieser neokoloniale<br />

„Kreuzzug“ hat Wunden hinterlassen,<br />

die womöglich niemals heilen<br />

werden. Emran Feroz beschreibt zum 20. Jahrestag diesen Krieg nun<br />

erstmals aus afghanischer Perspektive. Er hat mit vielen Menschen vor<br />

Ort gesprochen: von Hamid Karzai über Taliban-Offizielle bis zu betroffenen<br />

Bürgern, die vor allem unter diesem Krieg gelitten haben.<br />

Emran Feroz, geboren 1991, arbeitet als freier Journalist mit Fokus<br />

auf Nahost und Zentralasien, unter anderem für Die Zeit, taz, Al Jazeera<br />

und die New York Times. Er berichtet regelmäßig aus und über<br />

Afghanistan und den US-amerikanischen Drohnenkrieg und hat mit<br />

"Tod per Knopfdruck" (2017) ein Buch darüber geschrieben. Feroz ist<br />

Gründer von „Drone Memorial“ (dronememorial.com), einer virtuellen<br />

Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer.<br />

Westend Verlag, <strong>2021</strong>, 176 Seiten, Taschenbuch, 18 Euro, eBook<br />

14,99 Euro.<br />

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<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

Interview mit Jutta Nagel und<br />

Lea-Sophie Rau – Podcasterinnen<br />

und Stipendiatinnen des<br />

Humanistischen Studienwerks<br />

Zivile Seenotrettung, Sexismus, Drag –<br />

In ihrem Podcast „splitterfasernackt“<br />

beschäftigen sich zwei Stipendiat*innen<br />

des Humanistischen Studienwerks<br />

mit den unterschiedlichsten Themen. Es sind<br />

Themen, die ihnen persönlich wichtig sind.<br />

<strong>Das</strong> Besondere daran: Jutta Nagel und Lea-Sophie<br />

Rau treffen die Gäste ihres Podcasts zum<br />

Gespräch in der Sauna. Wir haben die Podcasterinnen<br />

zum Interview getroffen, um – wenn<br />

auch nur via Zoom und nicht splitterfasernackt<br />

– mehr über sie und ihr soziales Engagement zu<br />

erfahren.<br />

splitter<br />

faser<br />

nackt<br />

Sie produzieren einen Podcast mit dem Titel<br />

„splitterfasernackt“, der während eines<br />

Saunabesuchs mit Ihren Gästen aufgenommen<br />

wird. Warum podcastet es sich besser<br />

unbedeckt?<br />

Jutta: Gute Frage, vielleicht hat man auf<br />

einer emotionalen Ebene schneller Vertrauen<br />

zu Gesprächpartner*innen. Außerdem sorgt<br />

die Saunasituation auch dafür, dass man,<br />

zumindest körperlich, entspannter ist. Aber<br />

klar, kognitiv ist man schon etwas nervös.<br />

Ob sich das auch auf die Inhalte auswirkt,<br />

da bin ich mir nicht sicher.<br />

Lea-Sophie: Nachdem man seine Kleidung<br />

ablegt, fühlt man sich eigentlich<br />

schnell sehr vertraut und das schafft<br />

auch gleich eine schöne Gesprächsatmosphäre.<br />

Und sobald man im<br />

Thema ist, vergisst man eigentlich<br />

auch das Nacktsein. Wir wollen<br />

Illustrationen: ©Martin Rollmann<br />

mit dem Podcast auch dazu beitragen, dass<br />

Nacktheit als etwas Normales angesehen wird –<br />

obwohl uns auch klar ist, dass unser Nacktsein<br />

als junge Frauen in den seltensten Fällen komplett<br />

ohne sexualisierten Kontext wahrgenommen<br />

wird. In diesem Fall wissen die Zuhörer*innen<br />

zwar, dass wir nackt sind, sie wissen aber<br />

auch, dass wir uns in der Sauna, also einem<br />

nicht-sexuellen Kontext, befinden.<br />

Lea-Sophie, Sie sind Mitgründerin des<br />

Projekts „unmute reclaim“, das sich für<br />

Sichtbarkeit von Sexismus im Alltag engagiert.<br />

Wo genau liegt der Fokus von „unmute<br />

reclaim“?<br />

Lea-Sophie: Die Idee ist aus der #metoo-Bewegung<br />

entstanden. Zwei Freundinnen entwickelten<br />

gemeinsam mit mir das Konzept, auch<br />

als Reaktion darauf, dass Frauen sich innerhalb<br />

der #Metoo-Bewegung wie so oft in ihrer<br />

Opferrolle zeigen mussten. Natürlich war diese<br />

Bewegung sehr wichtig, vor allem, um die so<br />

weit verbreitete weibliche Unterdrückung zu<br />

zeigen. Bei unserem Projekt liegt der Fokus aber<br />

woanders, nämlich auf der Gegenwehr von Frauen.<br />

Konkret heißt das, wir teilen Situationen,<br />

in denen Frauen Sexismus erfahren und sich<br />

dagegen zur Wehr gesetzt haben, sei es durch<br />

ein klares „Nein!“, einen Wutausbruch oder eine<br />

Anzeige – genauso vielfältig, wie die Formen<br />

sexueller Belästigung, sind auch die Reaktionen<br />

darauf. Dabei geht es auch darum, die Botschaft<br />

zu verbreiten, dass wir Frauen in solchen Erfahrungen<br />

nicht alleine sind, und, dass wir auch<br />

als Kollektiv darauf reagieren können – proaktiv<br />

und handelnd.<br />

Habt ihr für euch eine Strategie oder Taktik<br />

entwickelt, wie ihr auf Alltagssexismus<br />

reagiert oder ist das immer situationsbedingt?<br />

Jutta: Der erste Schritt für mich ist immer<br />

zu schauen, ob ich sicher bin. Und wenn nicht,<br />

wie ich mich in Sicherheit begeben kann. Seitdem<br />

es „unmute reclaim“ gibt, habe ich noch<br />

mal viel mehr Motivation und kreativen Input,<br />

um auch tatsächlich auf Situationen zu reagieren.<br />

Ich sage mir dann, ein Moment, in dem ich<br />

nicht reagiere, wenn einem zum Beispiel etwas<br />

hinterhergerufen wird, ist eine stille Legitimation.<br />

Was natürlich total in Ordnung ist, wenn<br />

ich mich nicht sicher fühle oder gerade die Energie<br />

nicht habe, denn, um es noch mal deutlich<br />

zu sagen, es ist nicht unsere Verantwortung als<br />

Frauen, zu handeln. „Unmute reclaim“ ermutigt<br />

aber dazu. Es ist nicht immer einfach, die<br />

Person zu konfrontieren, die einem sexistisch<br />

begegnet ist. Zumindest aber kann man sich<br />

vornehmen, sich als Beobachter*in einer derartigen<br />

Situation mit der betroffenen Person zu<br />

verbünden und Hilfe anzubieten.<br />

60 Grad, zwei Freundinnen<br />

aus Berlin, faszinierende<br />

Gäst*innen – wir sind splitterfasernackt<br />

(und) in der<br />

Sauna! Lea-Sophie Rau und<br />

Jutta Nagel schwitzen jeden<br />

zweiten Donnerstag mit euch,<br />

um, entgegen jeder Etikette<br />

über spannende Themen zu<br />

sprechen und Nacktheit zu<br />

normalisieren.<br />

Online:<br />

podcast.de/<br />

podcast/891481<br />

Instagram:<br />

@un.mute.re.claim<br />

Über das Humanistische<br />

Studienwerk<br />

<strong>Das</strong> Humanistische Studienwerk<br />

ist den Werten des<br />

Humanismus verpflichtet.<br />

Tätige Mitmenschlichkeit,<br />

freies Denken und ein<br />

säkulares Weltverständnis<br />

gehören ebenso dazu wie die<br />

Bereitschaft, Verantwortung<br />

zu übernehmen. Die Aufgabe<br />

des Studienwerks ist es, besonders<br />

begabte Studierende,<br />

die diese Werte teilen, ideell<br />

und teilweise auch finanziell<br />

beim Studium zu unterstützen.<br />

<strong>humanistisch</strong>esstudienwerk.de<br />

Jutta, Sie waren auf einer einmonatigen<br />

Mission mit der Sea-Watch 3 unterwegs und<br />

haben an Bord des Schiffes als interkulturelle<br />

Mediatorin übersetzt, beruhigt und<br />

gerettet. Wie waren Ihre Eindrücke und<br />

Erfahrungen?<br />

Jutta: Als wir unterwegs waren, wurden<br />

wir zwar informiert, wenn es einen Rettungsfall<br />

gab, aber eigentlich nicht dazu beauftragt, zu<br />

retten. Der Tenor war eher, dass man die lybische<br />

Küstenwache hinschickt, um die Rettung<br />

zu vollziehen. Mittlerweile werden wir eigentlich<br />

fast gar nicht mehr informiert, sondern<br />

andere Schiffe werden beauftragt, Menschen<br />

nach Libyen zurückzuschieben, was natürlich<br />

illegal ist. In diese Pushbacks ist auch die europäische<br />

Grenzschutzagentur Frontex verwickelt.<br />

Als Abschreckungsmaßnahme ist es da eher gewünscht,<br />

Menschen ertrinken zu lassen, als sie<br />

zu retten und an einen sicheren, europäischen<br />

Hafen zu bringen. <strong>Das</strong> würde den Menschen<br />

aber zustehen, wenn sie Seenotrettungsfälle<br />

sind.<br />

Wie kann man sich den Alltag an Bord vorstellen?<br />

Jutta: In den drei Wochen gab es zwei<br />

Rettungen, eine ganz am Anfang, eine ganz am<br />

Ende. Die Zeit dazwischen verbringt man mit<br />

Deckschrubben, sich gegenseitig aus Büchern<br />

vorlesen, die Crew kennenlernen und Ausschau<br />

halten, ob irgendwo Seenotrettungsfälle sind.<br />

Meine persönliche Gefühlslage hat in den drei<br />

Wochen stark variiert, je nachdem, was gerade<br />

los war. Während einer Rettung war alles sehr<br />

turbulent, emotionale Überforderung eigentlich,<br />

und die Zeit dazwischen war sehr, sehr ruhig.<br />

Mit welchem Gefühl haben Sie Sea-Watch 3<br />

verlassen?<br />

Jutta: Ich finde es unerträglich, dass Menschen<br />

überhaupt gezwungen werden, in einem<br />

Schlauchboot das Mittelmeer zu überqueren.<br />

Ganz abgesehen davon, dass viele es gar nicht<br />

schaffen, nach Libyen zurückgebracht werden<br />

oder ertrinken. Der Grund, warum diese verzweifelten<br />

Menschen in ein solches Schlauchboot<br />

steigen, ist doch das System: Sie müssen<br />

erst einmal in dem Land, in dem sie Asyl beantragen<br />

wollen, ankommen, um überhaupt Asyl<br />

beantragen zu können. Es gibt keine Möglichkeit,<br />

durch humanitäre Visa beispielsweise,<br />

sicher einzureisen. Wir zwingen Menschen<br />

dadurch dazu, ihr Leben zu riskieren. Und das<br />

stimmt nicht mehr mit unserer Idee von Menschenrechten<br />

überein.<br />

Nina Abassi<br />

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<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

<strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong> <strong>humanistisch</strong>!<br />

WEITERER<br />

NACHWUCHS IN<br />

DER HV-FAMILIE!<br />

Foto & Text: Martin Bühner<br />

Selten war die Metapher passender, denn<br />

mit dem Kleiderladen „kids“ hat die Humanistische<br />

Vereinigung ein neues Angebot<br />

für Kinder und Familien geschaffen: Direkt<br />

neben der Humanistischen Kinderkrippe am Fürther<br />

Löwenplatz gibt es seit dem 1. Oktober einen<br />

sympathischen Treffpunkt und Kinderbedarf zu<br />

fairen Preisen.<br />

„Unser Second-Hand-Laden liegt zentral in der<br />

Stadt und wir bieten eigentlich alles für Kinder:<br />

Von gut erhaltener Kinderkleidung über Schuhe,<br />

Spielwaren und Schwangerschaftsbedarf, aber<br />

auch Sportartikel, Instrumente und viele andere,<br />

praktische Dinge.“ <strong>Das</strong> erzählen Alexandra<br />

Munsch und Jacqueline von Schumann, während<br />

sie voller Vorfreude die Regale für die ersten<br />

Kund*innen bestücken. „kids“ soll, so wie die anderen<br />

Kleiderläden der Humanistischen Vereinigung,<br />

viel mehr sein als einfach nur ein Geschäft:<br />

Eine Anlaufstelle im Viertel, wo persönliche Kontakte,<br />

ein soziales Ziel und eine nachhaltige, umweltbewusste<br />

Lebensweise zusammen kommen.<br />

Schließlich unterstützt der Kauf von Kleidung<br />

aus zweiter Hand die nachhaltige Kreislaufwirtschaft<br />

und ist ein deutliches Signal gegen die Konsum-<br />

und Wegwerfmentalität großer Filialketten<br />

und unfair in Entwicklungsländern produzierter<br />

Mode.<br />

Mit den Verkaufserlösen werden die Kleiderläden<br />

refinanziert, etwaige Überschüsse kommen<br />

den übrigen sozialen Angeboten der Humanistischen<br />

Vereinigung zugute. Nach den drei 2020<br />

eröffneten Kleiderläden in der Nürnberger Nordstadt,<br />

in Langwasser und Röthenbach ist dies nun<br />

der vierte, der sich besonders an Kinder und Familien<br />

in Fürth und Umgebung richtet.<br />

Gut erhaltene Dinge und gebrauchte Kleidung<br />

bekommen hier eine zweite Chance – die Kleiderläden<br />

freuen sich jederzeit über Sachspenden!<br />

KLEIDERLADEN kids - FÜRTH<br />

Geleitsgasse 6 • 90762 Fürth<br />

Tel.: 0911 410 191 84<br />

U1 Haltestelle Rathaus oder Stadthalle<br />

ÖFFNUNGSZEITEN:<br />

Di.-Fr.: 11-16 Uhr und 10-14 Uhr<br />

Sa.: 10-14 Uhr<br />

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<strong>humanistisch</strong>! <strong>#15</strong> / Oktober <strong>2021</strong><br />

„DA SIND WIR AUF<br />

DIE PROBE GESTELLT<br />

WORDEN“<br />

Jetzt buchen!<br />

DER VORSTAND DER HUMANISTISCHEN<br />

VEREINIGUNG, MICHAEL BAUER,<br />

WARF IM SOMMER EINEN BLICK ZURÜCK<br />

AUF DAS VERGANGENE JAHR – EINES VOLL<br />

GROSSER KRISEN, HOFFNUNGEN UND<br />

ZUKUNFTSENTSCHEIDUNGEN. LESEN SIE<br />

HIER EINEN AUSZUG DES INTERVIEWS.<br />

Herr Bauer, das letzte Jahr war für uns alle ungewöhnlich<br />

und herausfordernd. Wie blicken Sie auf die Corona-Krise<br />

bisher zurück?<br />

Michael Bauer: Viele Menschen haben schwerste Erkrankungen<br />

durchgemacht, haben ihr Leben verloren, Angehörige<br />

trauern um ihre Liebsten. Fast alle kennen wir jemanden,<br />

der oder die betroffen ist, oder sind es sogar selbst.<br />

Furchtbare und erschütternde Tragödien haben sich abgespielt,<br />

direkt in unserer Mitte. Doch bei all dem Leid hat es<br />

auch etwas gegeben, was Hoffnung machen kann. Der Zusammenhalt<br />

der Gesellschaft, die große Solidarität, der gemeinsame<br />

Wille, diese größte Herausforderung unserer Zeit<br />

zu bestehen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Und natürlich<br />

die Menschen, die mit immensem Einsatz Erkrankte<br />

versorgt, gepflegt, behandelt haben. Ihnen gebührt unsere<br />

Dankbarkeit und unser echter Respekt. <strong>Das</strong> gilt auch für<br />

unsere Kolleg*innen bei der Humanistischen Vereinigung.<br />

Sie haben trotz der für sie alltäglichen, auch ganz persönlichen<br />

Gefahr und unter schwierigsten Umständen ihr Bestes<br />

für die Kinder und Familien gegeben. Da wurde Großartiges<br />

geleistet.<br />

Und vor welche Herausforderungen stellte die Pandemie<br />

die Humanistische Vereinigung?<br />

MB: Als <strong>humanistisch</strong>e Organisation haben wir mit Menschen<br />

zu tun, da waren wir in allen Bereichen herausgefordert.<br />

Es freut mich sehr, dass dabei unsere Kolleg*innen mit<br />

so viel Geschlossenheit zusammenstanden. Solche Krisen<br />

bedeuten immer Veränderung und Anpassung. Deshalb ist<br />

während und wegen der Corona-Krise bei uns viel Neues entstanden,<br />

es sind neue Perspektiven entwickelt worden. Es<br />

hat bei uns einen Modernisierungsschub gegeben, wobei uns<br />

zugutekam, dass wir ohnehin schon auf dem Weg zu mehr<br />

Digitalisierung waren. Mit unseren seelsorgerischen und anderen<br />

Unterstützungsangeboten konnten wir ein wenig dazu<br />

beitragen, dass Hilfesuchende besser durch die Krise gekommen<br />

sind. Da sind wir auf die Probe gestellt worden und wir<br />

haben dazugelernt.<br />

Welcher Beitrag in dieser Krise konnte denn aus einer<br />

konkret <strong>humanistisch</strong>en Perspektive geleistet werden?<br />

MB: Wir haben gezeigt, dass unsere <strong>humanistisch</strong>en<br />

Werte in solchen schwierigen und schlimmen Situationen<br />

ebenso bei der Bewältigung solcher Herausforderungen helfen,<br />

wie es auch Religionen tun können. Es kommt eben darauf<br />

an, dass es für den*die Einzelne*n passt. Als Humanist*innen<br />

stehen wir für die menschliche Zuwendung, aber<br />

auch für ein bestimmtes Weltbild, in dem die Wissenschaften<br />

eine besondere Rolle spielen. In unserem Online-Kurs<br />

„So geht Humanismus" haben wir das unlängst ausführlich<br />

dargelegt.<br />

Ich finde, man darf nicht einfach darüber hinweggehen,<br />

dass es die moderne Wissenschaft war, die einen ganz wesentlichen<br />

Beitrag dazu geleistet hat, dass wir aus dieser<br />

Pandemie wieder herausfinden, sei es bei den Impfstoffen,<br />

der medizinischen Behandlung oder auch bei den Vorhersagen<br />

und Handlungsleitungen. <strong>Das</strong>s das gelungen ist, macht<br />

Hoffnung und Mut auch für die Lösung der anderen globalen<br />

Krisen, die ja nicht verschwunden sind. Ich finde es beruhigend,<br />

dass selbst in einer solchen Katastrophe wie der<br />

Covid19-Pandemie die Politik – bei aller Kritik an einzelnen<br />

Maßnahmen – immerhin soweit einen kühlen Kopf bewahrt<br />

hat, dass sie rationale Entscheidungen getroffen hat<br />

oder sich zumindest darum bemühte. Für uns Humanist*innen<br />

ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Politik die<br />

Erkenntnisse der Wissenschaft in ihre Entscheidungen miteinbezieht,<br />

um die Probleme unserer Zeit zu lösen und das<br />

menschliche Wohlergehen zu fördern.<br />

Die Bundestagswahlen, die anhaltende Privilegierung der Kirchen, das<br />

Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende – Diese und mehr Themen<br />

sind Teil des komplettes Sommerinterviews, das Sie unter diesen Link<br />

finden: <strong>humanistisch</strong>.net/si<strong>2021</strong><br />

Foto ©HV<br />

Impressum<br />

<strong>humanistisch</strong>! <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong> wird herausgegeben von<br />

Humanistische Medien (Anstalt des öffentlichen Rechts),<br />

Sitz: Nürnberg. <strong>humanistisch</strong>e-medien.de<br />

ISSN 2570-0030<br />

REDAKTIONSANSCHRIFT Kinkelstraße 12, 90482 Nürnberg<br />

Tel: 0911 43104-0, E-Mail: magazin@<strong>humanistisch</strong>.net<br />

HERAUSGEBER, VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT<br />

Michael C. Bauer (V.i.S.d.P.)<br />

REDAKTIONSLEITUNG Arik Platzek (arik.platzek@<br />

<strong>humanistisch</strong>.net), Tizia Labahn (tizia.labahn@<br />

<strong>humanistisch</strong>.net)<br />

online<br />

kurse<br />

Rund um das Thema Wahrnehmung —<br />

mit monatlich wechselnden<br />

Schwerpunkten:<br />

Unbewusste Vorurteile +++ Lernen und<br />

Gedächtnis +++ Verschwörungsmythen<br />

Teilnahmegebühr: 25 Euro<br />

Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt.<br />

Termine: monatlich jeden letzten Donnerstag<br />

Dauer: 2,5 Stunden<br />

Buchung und Kontakt: mobil@philoscience.de<br />

www.philoscience.de<br />

AN DIESER AUSGABE HABEN EBENFALLS MITGEWIRKT<br />

Nina Abassi & Martin Bühner<br />

ABONNENTENSERVICE Stefan Dietrich, abo@<strong>humanistisch</strong>.net<br />

GESTALTUNG & ILLUSTRATIONEN<br />

Martin Rollmann – martinrollmann.de<br />

DRUCK Mang + co – mangdruck.de<br />

ERSCHEINUNGSWEISE <strong>humanistisch</strong>! <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />

erscheint vierteljährlich im Januar, April, Juli und<br />

Oktober. Beiträge von Autor*innen entsprechen nicht<br />

zwangsläufig der Meinung des Herausgebers.<br />

Geschlechtergerechtigkeit will <strong>humanistisch</strong>! <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />

vor allem inhaltlich verwirklichen. Wir orientieren uns<br />

außerdem an den DJV-Empfehlungen für eine diskriminierungsfreie<br />

Sprache. Bei Fragen oder Anmerkungen dazu<br />

schreiben Sie uns an redaktion@<strong>humanistisch</strong>.net.<br />

ANZEIGENSCHLUSS Jeweils einen Monat vor Erscheinen der<br />

Ausgabe.<br />

BILDNACHWEISE Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber<br />

von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Herausgeber<br />

gegenüber dennoch der Nachweis der Rechtsinhaberschaft<br />

geführt werden, wird das branchenübliche<br />

Honorar nachträglich gezahlt.<br />

Bildnachweis: pixabay holdentrils<br />

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unt<br />

offen<br />

realistisch WISSENSCHAFT<br />

Hier und Jetzt<br />

Menschlichkeit<br />

H u m a n i t ä t<br />

Menschenrechte<br />

solidarisch<br />

Selbstbestimmung<br />

tolerant<br />

Gleichberechtigung<br />

Mitgefühl<br />

rational<br />

vielfältig<br />

Idealismus<br />

Humanismus<br />

2022<br />

Der Humanistische<br />

Kalender<br />

„Ab und zu ist es gut, in unserem Streben nach<br />

Glück anzuhalten und einfach nur glücklich zu sein.“<br />

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