30.09.2021 Aufrufe

Neue Szene_21-10_Epaper

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

28

Zoom

Familie

in Italien eine super Gelegenheit,

um an die begehrten Labels heranzukommen.

Und anstatt Marlboro und Stuyvesant wurden Marken wie Benson &

Hedges oder Dunhill gepafft ...

Klar, man liebte es auch da etwas elitärer, bestimmte Zigarettenmarken

waren zu der Zeit noch ein echtes Statussymbol. Ich selber habe damals

zwar Camel geraucht, aber beliebte Marken bei uns Poppern waren eigentlich

John Player Special und Davidoff.

Die Popperszene in Augsburg war sehr Italo-geprägt, was sich auch bei

den fahrbaren Untersätzen bemerkbar machte.

Viele fuhren entweder ein Ciao-Mofa oder eine 80er PX Vespa, natürlich

aufgemotzt mit Tuningsätzen von Polini, Malossi DR oder Pinasco, original

ging gar nicht. Am Wochenende standen entlang der Friedhofsmauer in der

Hermannstraße dutzende weiße und rote Ciao-Mofas und 80er Roller in einer

Reihe, das war immer ein imposantes Szenario. Ein Hercules-Mofa oder eine

Yamaha DT waren absolut verpönt, damit fuhr die Kundschaft vom Land.

Italien war definitiv die große Inspirationsquelle, dort war man in Sachen

Mode führend und alles, was dort angesagt war, schwappte spätestens ein Jahr

später zu uns nach Deutschland. Es gab im Life sogar das Italiener-Eck. Die

Italo-Jungs standen natürlich bei den Mädels hoch im Kurs, was gelegentlich

manchmal auch zu Reibereien führte. DJ im Life war damals übrigens Heinzi,

also Heinz Stinglwagner, der heute bei Augsburg Marketing arbeitet.

Auch aus seiner Radiozeit kennt man ihn heute hier noch bestens. Was

war denn damals für ein Sound angesagt?

Das lässt sich nicht so leicht eingrenzen wie bei anderen Jugendbewegungen.

Im Prinzip war es Pop, aber sehr breitgefächert. Angefangen von

Italo-Pop bis hin zu Synthie-Zeugs wie Depeche Mode, Spandau Ballett,

OMD oder ABC, aber auch Funk, Reggae und Neue Deutsche Welle. Echte

Hymnen im Life waren „Hey little girl“ von Icehouse oder „Hast du Angst

vor dieser Nacht“ von Angela Werner. Neben uns Poppern waren aber auch

immer einige Rockabillies im Life am Start.

Wie war denn das Verhältnis Mädels und Jungs?

Paradiesisch, würde ich sagen. Es gab in ganz Augsburg keinen besseren

Ort, um Mädchen kennenzulernen als das Life. Unsere ersten Freundinnen

haben wir alle dort getroffen.

Aus welcher Schicht stammten die lokalen Popper?

Der Impuls zu teuren Klamotten ging anfangs schon von Leuten aus,

deren Eltern Kohle hatten. Aber später zur Life-Zeit kamen die Kids aus

allen möglichen Schichten und Stadtteilen, also auch aus Lechhausen,

„Popper in Augsburg waren völlig

unpolitisch und rein spaßorientiert“

Oberhausen oder aus dem Hochfeld. In Augsburg war die Szene bei Weitem

nicht so elitär wie in den Großstädten wie etwa in Hamburg.

Gab es sonst noch Locations?

In Augsburg selber nicht, deswegen kam es schon mal vor, dass man am

Wochenende im Konvoi ins Morning Star nach Kissing oder ins Tropicana

nach Friedberg düste. Aber diese Trips endeten dann schon gerne mal

in leichten Auseinandersetzungen. Ein echtes Highlight und Treffpunkt

während der Plärrerzeit war der Diebold-Autoscooter, dort hingen wirklich

alle Leute ab, die man so kannte. Später gab es das Neondatschi, das Jerome,

das Christians oder Rudi´s Slip, aber da war dieses Popper-Dings eigentlich

schon wieder gelaufen.

Dieses Phänomen dauerte also nur zwei bis drei Jahre?

Ja, die Szene hat sich dann weitestgehend in drei Lager aufgespalten.

Viele sprangen auf die neue Afro- und Cosmic-Welle auf, die ebenfalls aus

Italien nach Deutschland schwappte. Die meisten fanden aber im Christians

am Zeugplatz ihre neue Heimat und wurden New Romantics oder Ratzis,

wie wir damals dazu sagten. Die dritte und kleinste Gruppe hat sich den

Mods angeschlossen und ist am Rollerkö gelandet, der sich ab Ende 1984

dort etabliert hat.

„Hey, du Poppersau!“ war damals eine gängige Formulierung. Gab es

öfter Anfeindungen?

Ja, das musste man sich immer wieder mal anhören. Punks gegen Popper

wie in anderen Städten gab es aber in Augsburg nie, Stress gab es eher

mal mit der Landjugend (lacht).

Viele Jugendbewegungen stehen für Rebellion, Auflehnung, Protesthaltung,

Provokation, aber auch für eine gewisse Weltanschauung. Um

was ging es den Poppern?

Die Popper in Augsburg waren völlig unpolitisch, also rein spaßorientiert

und nichts anderes. Hippies mit ihrer „Atomkraft? Nein danke!“-Ideologie

waren für uns Idioten, aber wir hatten kein wirkliches Feindbild, wir wollten

nur Party machen. Poppersein war keine Jugendbewegung, eher ein Zeitgeist,

eine Modeerscheinung, aber eine mit großem Zusammengehörigkeitsgefühl.

Es gibt immer noch viele Leute von damals, die sich heute, also über 30 Jahre

später, immer noch treffen. Es gibt heute auch noch regelmäßig die „Life-

Remember-Partys“. Wir waren sogenannte Popper, aber für uns war es Punk,

fernab von der Aufsicht der Eltern unbeschwert feiern zu können! (ws)

Ein großer Dank geht an Willi Ferner und Günther Thun für das Fotomaterial.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!