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Dokumentation der Fachkonferenz "Kultursensible Altenhilfe"

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32<br />

• garantiert muslimische Kostformen im Angebot: Die<br />

Mahlzeiten werden von einem türkischen Restaurant geliefert.<br />

• Gebete in einem eigens dafür eingerichteten Raum<br />

möglich<br />

Als Disziplinen werden in <strong>der</strong> DRK-Bertaklinik durch Belegärzte<br />

abgedeckt: Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie,<br />

Gynäkologie und Urologie. Die ethno¬medizinische<br />

Betreuung übernehmen eine türkische Assistenzärztin und<br />

ein türkischer Allgemeinmediziner als beraten<strong>der</strong> Arzt.<br />

Die enge Kooperation mit dem ambulant-ärztlichen Bereich<br />

sowie transkulturellen Pflegediensten optimiert die medizinische<br />

Versorgung im Sinne eines Netzwerkes.<br />

Erste Erfahrungen<br />

Die ethnomedizinisch-muslimische Station arbeitet seit<br />

nunmehr 10 Monaten mit diesem speziellen Patientenkollektiv.<br />

Das „multikulturelle“ medizinisch-pflegerische<br />

Behandlungsteam hat seine ersten Bewährungsproben<br />

bestanden, das Essen schmeckt den Patienten, Sprachbarrieren<br />

sind abgebaut, die Rückmeldungen durch entlassene<br />

Patienten und Hausärzte sind durchweg positiv.<br />

Elementare Erfahrung ist, dass für die Patienten weniger<br />

wichtig formale Rahmen-bedingungen sind als vielmehr<br />

das Gefühl, in ihrer Individualität und An<strong>der</strong>sartigkeit<br />

akzeptiert zu werden. Auch mit streng religiösen Patienten<br />

sind im täglichen Ablauf je<strong>der</strong>zeit Kompromisse<br />

möglich, solange sie das Gefühl haben, als gleichwertiger<br />

Gesprächspartner angesehen zu werden.<br />

So haben wir in <strong>der</strong> Bertaklinik kein muslimisches Krankenhaus<br />

son<strong>der</strong>n eine Station für Muslime errichtet.<br />

Vorteile in <strong>der</strong> medizinisch-stationären Versorgung<br />

3 Problemfel<strong>der</strong> sind hervorzuheben, die durch unser Konzept<br />

in <strong>der</strong> Bertaklinik besser als in an<strong>der</strong>en Kliniken gelöst<br />

wurden:<br />

Kommunikation<br />

Durch Kommunikationsdefizite infolge von Sprachbarrieren<br />

und unterschiedlichem Krankheitsverständnis ergeben sich<br />

in <strong>der</strong> stationären Diagnostik und Therapie häufig unbefriedigende<br />

Ergebnisse bei chronischen Erkrankungen:<br />

• Symptomarmut (Diabtes mellitus, Hypertonus, ...)<br />

macht eine befriedigende medikamentöse Einstellung<br />

wegen mangeln<strong>der</strong> Einsicht oft unmöglich.<br />

• Für Mitteleuropäer unverständliche Symptomdarstellung<br />

(nicht nur ein Teil, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> ganze Mensch ist<br />

krank) führt zur „Überdiagnostik“ und rezidivierenden<br />

Krankenhausaufenthalten. (unendliche Serie von Magen-<br />

und Darmspiegelungen, CTs, ...)<br />

• Die Vernachlässigung psychosomatischer o<strong>der</strong> psychiatrischer<br />

Ursachen von Erkrankungen in <strong>der</strong> islamischen<br />

Kultur verhin<strong>der</strong>t oft eine adäquate Therapie.<br />

Soziale Einbindung in einen großen Familienverband<br />

Der Erfolg einer stationären Therapie hängt ganz beson<strong>der</strong>s<br />

bei den muslimischen Patienten davon ab, ob die Angehörigen<br />

durch Informationen, Unterweisungen und Schulungen<br />

z. B. hinsichtlich Diätetik und Verhaltensän<strong>der</strong>ungen<br />

(Diabetes mellitus, Nikotinkarenz,...) o<strong>der</strong> unterstützenden<br />

Massnahmen (Verbände, Mobilisation, ....) intensiv einbezogen<br />

werden.<br />

Wohlfühlen als Voraussetzung <strong>der</strong> Genesung<br />

Für muslimische Migranten kommt zur Aufnahme in ein<br />

Krankenhaus, die schon für Deutsche eine Belastung<br />

darstellt, <strong>der</strong> Wechsel in eine fremde soziokulturelle<br />

Um¬gebung hinzu, oft mit <strong>der</strong> starken For<strong>der</strong>ung, sich<br />

anzupassen. Unter diesen Stress¬be¬dingungen wird die<br />

Genesung von einer Krankheit unmöglich o<strong>der</strong> zumindest<br />

erschwert.<br />

Wirtschaftliche Aspekte<br />

Unsere ethnomedizinische Station ist nicht teurer o<strong>der</strong><br />

preiswerter als an<strong>der</strong>e Stationen auch. Die Patienten<br />

werden nur dann stationär behandelt, wenn dafür eine<br />

eindeutige Indikation vorliegt. Die stationären Aufenthalte<br />

werden wie üblich über DRGs abgerechnet und unterliegen<br />

den gleichen Prüfkriterien wie an<strong>der</strong>e Fälle auch.<br />

Wirtschaftlich interessant ist die Ethnomedizin für Krankenhäuser<br />

in Ballungsge-bieten mit einem hohen muslimischen<br />

Anteil. Durch intensive Zusammenarbeit mit den betroffenen<br />

nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten kann mit überschaubarem<br />

Aufwand ein neues Patientenklientel erschlossen werden,<br />

das nicht unerheblich zum wirtschaft-lichen Erfolg <strong>der</strong><br />

Klinik beiträgt.<br />

Visionen – weitere Planung<br />

Bis jetzt haben wir einen Beitrag geleistet, die Lücke <strong>der</strong><br />

ethnomedizinischen stationären Versorgung für muslimische<br />

Patienten zu schliessen. Zukünftig soll ein Netzwerk<br />

aus ambulanter, stationärer und REHA-Behandlung<br />

unter Einbeziehung <strong>der</strong> Altenpflege geknüpft werden.<br />

Weitere Kooperationspartnern sind bereits im Gespräch,<br />

die Gründung eines ambulanten „Ethnomedizinischen<br />

Versorgungs¬zentrums“ mit Lotsenfunktion im Zentrum<br />

Hannovers ist in Planung.<br />

Hannover, 05-11-21<br />

Axel Düsenberg

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