GI 2021 2 De

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Galápagos für ein halbes Jahr – ein Reiseberichtvon Veronika HueblWenn man zum zehnjährigen Dienstjubiläum dieMöglichkeit bekommt, sechs Monate lang ortsunabhängigein relativ frei definierbares Projekt zu realisieren,bei voller Lohnfortzahlung – was plant manda? Als Linguistin und Dozentin für Kommunikationmit zwei Kindern und viel internationaler Erfahrungsollte das Projekt inhaltlich Kommunikation und Wissensvermittlungin einem anderen kulturellen Kontextthematisieren und geografisch so angelegt sein, dassein Neunjähriger und eine Sechsjährige dabei auchmöglichst viel erleben können, aber dabei möglichstwenig Gefahren ausgesetzt sind. Unsere Wahl fiel aufein halbes Jahr Galápagos: eine atemberaubendeTierwelt auf vulkanischem Inselboden mit hochinteressantergesellschaftlicher Konstellation sollte genugAnknüpfungspotenzial für uns alle bieten – und sowar es auch. Von August 2019 bis Januar 2020 lerntenwir die Inseln und ihre Bewohner kennen.Schutz und Probleme des einzigartigen ArchipelsWiewohl wir ohne spezielles biologisch motiviertes Interesseund bar entsprechender Vorbildung angereistwaren, haben uns doch am meisten die überall sichtundspürbaren Anstrengungen geprägt, diese einzigartigeFauna und Flora zu schützen und die Schäden,die die grösste und gefährlichste aller invasiven Arten,der Mensch, über Jahrhunderte angerichtet hat, zumindestin Ansätzen rückgängig zu machen. Dennletztlich ist alles, was die endemischen und nativenInselbewohner bedroht, irgendwann von Menscheneingeschleppt worden, von ausgewilderten Nutztierenüber sich schnell vermehrende Pflanzen undSchädlinge wie Brombeere, Guava oder Ratten undMäuse bis hin zu akzentuierten Klimaphänomenen.In vielen Gesprächen mit Nationalpark-Rangern erfuhrenwir über die Wochen und Monate hinweg immermehr Details über die Projekte von Nationalparkund Charles Darwin Research Station. Wir lernten dasSchildkröten-Männchen Diego kennen, den Retterder Española Schildkröten, und freuen uns umsomehr, dass er und seine Freunde ihren Lebensabendjetzt wieder auf Española geniessen dürfen. Wir erfuhren,wieso die Floreana Schildkröten zwar als ausgestorbengalten, es aber jetzt doch wieder welche gibt,und dass es nun, bald zehn Jahre nach dem Tod vonLonesome George, offenbar auch für die Pinta Schildkrötenwieder Hoffnung gibt. Gleichzeitig erlebtenwir den Kampf gegen Ratten und wilde Hauskatzenmit, lasen viel über die Erfolgsgeschichte der Ausrottungder Ziegen und hofften, dass man bald ein Mittelgegen die Philornis downsi findet, eine Fliege, die ihreEier in Vogelnester legt und deren frisch geschlüpfteLarven sich dann vom Blut der frisch geschlüpftenVögel ernähren und diese somit häufig umbringen.Auf diese Weise haben sie beispielsweise den Rubintyrannauf Santa Cruz bereits fast ausgerottet.Darüber, dass der Mensch zur Gänze die Schuld daranträgt, dass das biologische Gleichgewicht auf demArchipel aus den Fugen gerät, besteht zwar weithinKonsens; daraus abgeleitet das Leben auf den Inselnentsprechend zu verändern, bedarf es aber enormerAnstrengungen – das bestätigten uns sowohl dieEinheimischen als auch unsere eigenen Erfahrungenund Beobachtungen. Entsprechende Regelungenund Gesetze traten zwar bereits vor Jahren in Kraft,werden jedoch erst jetzt langsam umgesetzt.Diego, der Retter der Española-Schildkröten, © Veronika HueblDie Bevölkerung wuchs bis vor Kurzem recht unkontrolliert.Restriktive Einreisebestimmungen für internationaleTouristen wie auch Festland-Ecuadorianersollten das Bevölkerungswachstum eindämmen. Esgibt aber nach wie vor zahlreiche Bewohner ohnegültige Aufenthaltserlaubnis. Mit wachsender Bevölkerunggibt es auch mehr und mehr Verkehr. Für einPrivatauto muss man ein begründetes Ansuchen stellen,die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge aufden Inseln sind Taxis. Während kürzerer Wartezeitenvon unter 15 Minuten stehen sie üblicherweise mitlaufendem Motor herum. Das Benzin ist ob massiverstaatlicher Subventionen spottbillig und damit keinAnreiz, sparsam damit umzugehen. Auch Haustiere10 Galápagos Intern

Blick vom Muro de las Lágrimas in Richtung Puerto Villamil (Isabela) im August (frühe Garúa-Zeit), November (späte Garúa-Zeit) undJanuar (Beginn der Regenzeit), © Veronika Hueblsind nicht unproblematisch – nämlich dann, wennsie sich ungewollt und unkontrolliert vermehren,die Jungtiere dann in den Weiten des Nationalparksverschwinden und sich beispielsweise von Leguan-und Schildkröteneiern ernähren. Ein weiteresProblem ist der Müll, der nur zu einem kleinen Teilauf den Inseln aufbereitet wird und ansonsten aufsFestland transportiert werden muss. Einwegplastikist zwar seit Mai 2018 verboten, aber findet sich nachwie vor vielfach, von Verpackungen über Getränkeflaschenbis hin zu den Müllsäcken. Sperrmüll korrektzu entsorgen ist teuer und wird daher nicht seltenabseits der Touristenwege in den hinteren Stadtviertelnneben der Strasse deponiert. Ich habe eine ganzeFotosammlung von Kloschüsseln im Kakteen- undBalsambaumdickicht. Die Schule in Floreana hat eineReihe von ausrangierten Kloschüsseln zu Blumentöpfenumfunktioniert, recht dekorativ und womöglichein Trendsetter – es wäre zumindest wünschenswert.Positive SignaleIm Inselalltag haben wir zahlreiche NachmittagsundWochenend-Initiativen kennengelernt, die sichdarum bemühen, den Kindern und Jugendlichen,die in Galápagos aufwachsen, ihre so besondereUmgebung und die dringliche Notwendigkeit, sie zuschützen, näherzubringen. Wir haben zum Beispieleiner Gruppe, die sich dem Schutz der grünen Meeresschildkröteverschrieben hat, geholfen, Nistplätzezu markieren und abzusperren, haben bei einemFotoclub geschnuppert, der die Nationalpark-Rangerbei der Arbeit begleitet, haben am Strand Plastikgesammelt und die Skulpturen und anderen kleinenKunstwerke bewundert, zu denen mancher Fund verarbeitetwird, und Hai-Botschaftern erklärten uns, wiesie von der Charles Darwin Research Station in diverseHai-Projekte mit eingebunden werden.Die Tomás de Berlanga SchuleEinen grossen Beitrag zu dieser Bewusstseinsbildungleistet auch die Unidad Educativa Tomás de Berlanga.Bereits in den 1990er Jahren als Privatinitiativegegründet mit dem Anspruch, umweltbewusste zukünftigeVerantwortungstragende für Galápagosauszubilden, bietet sie vom Kindergarten bis zurReifeprüfung Unterricht in 14 Klassen. Der Unterrichtläuft projektbasiert ab, die Projekte orientieren sichnach Möglichkeit an den alltäglichen Herausforderungendes Archipels und finden gelegentlich auchin Zusammenarbeit mit Nationalpark und CharlesDarwin Research Station statt. Am Ende eines jedenProjektes steht ein Produkt, das vor Publikum präsentiertwird, entweder innerhalb der Schule oderauch für eine breitere Öffentlichkeit auf dem freitagabendsfür Autos gesperrten Malecón vor dem Rathaus.Zweimal pro Jahr organisiert die «Tomás» eineWeiterbildungswoche für das gesamte Lehrpersonalder Inseln. Als wegen Corona die Touristen, damitzahlreiche Einkommen und mithin auch Schüler,deren Eltern sich das Schulgeld nicht mehr leistenkonnten, ausblieben, drohte das Ende. Aber dankinternationaler Spenden, so auch des Vereins derFreunde der Galápagos-Inseln, konnte der Betriebdieser wichtigen Institution aufrechterhalten werden.Das Gleichgewicht in der Koexistenz von Mensch undNatur ist fragil, das kann man wohl nirgends auf derWelt so eindrücklich beobachten wie in Galápagos.Dank internationaler Zusammenarbeit von höchsterpolitischer Ebene bis hin zu kleinsten Privatinitiativenscheint das Ökosystem der Inseln derzeit gewahrt.Wir träumen davon, in ein paar Jahren noch einmalhinzufahren, um zu sehen, wie sich das Leben für dieMenschen und die Tiere dort weiter gestaltet.Kreatives Recycling in Floreana, © Veronika HueblGalápagos Intern11

Galápagos für ein halbes Jahr – ein Reisebericht

von Veronika Huebl

Wenn man zum zehnjährigen Dienstjubiläum die

Möglichkeit bekommt, sechs Monate lang ortsunabhängig

ein relativ frei definierbares Projekt zu realisieren,

bei voller Lohnfortzahlung – was plant man

da? Als Linguistin und Dozentin für Kommunikation

mit zwei Kindern und viel internationaler Erfahrung

sollte das Projekt inhaltlich Kommunikation und Wissensvermittlung

in einem anderen kulturellen Kontext

thematisieren und geografisch so angelegt sein, dass

ein Neunjähriger und eine Sechsjährige dabei auch

möglichst viel erleben können, aber dabei möglichst

wenig Gefahren ausgesetzt sind. Unsere Wahl fiel auf

ein halbes Jahr Galápagos: eine atemberaubende

Tierwelt auf vulkanischem Inselboden mit hochinteressanter

gesellschaftlicher Konstellation sollte genug

Anknüpfungspotenzial für uns alle bieten – und so

war es auch. Von August 2019 bis Januar 2020 lernten

wir die Inseln und ihre Bewohner kennen.

Schutz und Probleme des einzigartigen Archipels

Wiewohl wir ohne spezielles biologisch motiviertes Interesse

und bar entsprechender Vorbildung angereist

waren, haben uns doch am meisten die überall sichtund

spürbaren Anstrengungen geprägt, diese einzigartige

Fauna und Flora zu schützen und die Schäden,

die die grösste und gefährlichste aller invasiven Arten,

der Mensch, über Jahrhunderte angerichtet hat, zumindest

in Ansätzen rückgängig zu machen. Denn

letztlich ist alles, was die endemischen und nativen

Inselbewohner bedroht, irgendwann von Menschen

eingeschleppt worden, von ausgewilderten Nutztieren

über sich schnell vermehrende Pflanzen und

Schädlinge wie Brombeere, Guava oder Ratten und

Mäuse bis hin zu akzentuierten Klimaphänomenen.

In vielen Gesprächen mit Nationalpark-Rangern erfuhren

wir über die Wochen und Monate hinweg immer

mehr Details über die Projekte von Nationalpark

und Charles Darwin Research Station. Wir lernten das

Schildkröten-Männchen Diego kennen, den Retter

der Española Schildkröten, und freuen uns umso

mehr, dass er und seine Freunde ihren Lebensabend

jetzt wieder auf Española geniessen dürfen. Wir erfuhren,

wieso die Floreana Schildkröten zwar als ausgestorben

galten, es aber jetzt doch wieder welche gibt,

und dass es nun, bald zehn Jahre nach dem Tod von

Lonesome George, offenbar auch für die Pinta Schildkröten

wieder Hoffnung gibt. Gleichzeitig erlebten

wir den Kampf gegen Ratten und wilde Hauskatzen

mit, lasen viel über die Erfolgsgeschichte der Ausrottung

der Ziegen und hofften, dass man bald ein Mittel

gegen die Philornis downsi findet, eine Fliege, die ihre

Eier in Vogelnester legt und deren frisch geschlüpfte

Larven sich dann vom Blut der frisch geschlüpften

Vögel ernähren und diese somit häufig umbringen.

Auf diese Weise haben sie beispielsweise den Rubintyrann

auf Santa Cruz bereits fast ausgerottet.

Darüber, dass der Mensch zur Gänze die Schuld daran

trägt, dass das biologische Gleichgewicht auf dem

Archipel aus den Fugen gerät, besteht zwar weithin

Konsens; daraus abgeleitet das Leben auf den Inseln

entsprechend zu verändern, bedarf es aber enormer

Anstrengungen – das bestätigten uns sowohl die

Einheimischen als auch unsere eigenen Erfahrungen

und Beobachtungen. Entsprechende Regelungen

und Gesetze traten zwar bereits vor Jahren in Kraft,

werden jedoch erst jetzt langsam umgesetzt.

Diego, der Retter der Española-Schildkröten, © Veronika Huebl

Die Bevölkerung wuchs bis vor Kurzem recht unkontrolliert.

Restriktive Einreisebestimmungen für internationale

Touristen wie auch Festland-Ecuadorianer

sollten das Bevölkerungswachstum eindämmen. Es

gibt aber nach wie vor zahlreiche Bewohner ohne

gültige Aufenthaltserlaubnis. Mit wachsender Bevölkerung

gibt es auch mehr und mehr Verkehr. Für ein

Privatauto muss man ein begründetes Ansuchen stellen,

die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge auf

den Inseln sind Taxis. Während kürzerer Wartezeiten

von unter 15 Minuten stehen sie üblicherweise mit

laufendem Motor herum. Das Benzin ist ob massiver

staatlicher Subventionen spottbillig und damit kein

Anreiz, sparsam damit umzugehen. Auch Haustiere

10 Galápagos Intern

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