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RADAR Magazin Nr. 14: Macht mir ein Buch!

Das Buch macht keinen Lärm. Lesen auch nicht. Das Buch liebt die Stille. Es ist wortreich stumm. Es trotzt der Vergänglichkeit und bleibt. Im Büchergestell für immer, auf dem Nachttisch für den Verzehr oder als Vorwurf. Diese RADAR-Ausgabe soll den Werdegang eines Buches aufzeigen und zugleich, gespiegelt von Beteiligten und Komplizen, Einblick in die Arbeit eines Verlages geben. Natürlich nicht irgendeines Verlages, sondern des Christoph Merian Verlags, Botschafter und Kulturakteur der Christoph Merian Stiftung, der seit seiner Gründung 1976 wunderbare Bücher zu Architektur und Kunst, Kultur und Gesellschaft und zu Basel und seiner Geschichte herausgibt.

Das Buch macht keinen Lärm. Lesen auch nicht. Das Buch liebt die Stille. Es ist wortreich stumm. Es trotzt der Vergänglichkeit und bleibt. Im Büchergestell für immer, auf dem Nachttisch für den Verzehr oder als Vorwurf.
Diese RADAR-Ausgabe soll den Werdegang eines Buches aufzeigen und zugleich, gespiegelt von Beteiligten und Komplizen, Einblick in die Arbeit eines Verlages geben. Natürlich nicht irgendeines
Verlages, sondern des Christoph Merian Verlags, Botschafter und Kulturakteur der Christoph Merian Stiftung, der seit seiner Gründung 1976 wunderbare Bücher zu Architektur und Kunst, Kultur und Gesellschaft und zu Basel und seiner Geschichte herausgibt.

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Diversität und Teilhabe

Zugang zu Kultur –

(k)eine Selbstverständlichkeit

Die Begriffe Diversität und Teilhabe sind in den letzten Jahren zu Schlüsselbegriffen

in der Kulturförderung geworden. Dort bezeichnen sie das

Anliegen, dass alle Menschen nicht nur Zugang zu Kultur haben, sondern

gleichberechtigt und aktiv am kulturellen Leben teilnehmen und es mitgestalten.

Die Christoph Merian Stiftung (CMS) hat diese Grundsätze in

ihrem Leitbild und in ihrer Strategie 2021–2024 festgehalten und richtet

ihre Fördertätigkeit verstärkt danach aus.

Ein bedeutender Teil unserer Gesellschaft nimmt nicht

oder nur unter erschwerten Bedingungen an Kultur teil.

Das kann physische Gründe haben, weil bauliche Hindernisse

bestehen. Oder es fehlen Informationen zum

hindernisfreien Zugang. Ein weiterer Grund kann sein,

dass die Angebote zu bestimmten Tageszeiten stattfinden,

die beispielsweise für ältere oder in Institutionen

lebende Menschen schwierig in den Tagesablauf

zu integrieren sind. Auch sprachliche Barrieren können

die Ursache sein, weil nur in einer Sprache kommuniziert

wird, oder wenn die Inhalte in einer schwer

verständlichen Komplexität präsentiert werden. Die

Gründe sind vielfältig. Dass nicht immer alles für alle

gleich interessant und zugänglich ist, liegt in der Natur

der Sache und ist im Einzelfall kein Problem. Aber sobald

über längere Zeit und regelmässig dieselben Zielgruppen

keinen Zugang finden, liegt eine strukturelle

Schwelle vor, die hinterfragt werden sollte – gerade,

wenn öffentliche oder gemeinnützige Fördergelder im

Spiel sind.

Anspruch und Realität in der Kulturförderung

In der Kulturpolitik des Bundes ist die Stärkung der kulturellen Teilhabe

seit 2016 eines von drei strategischen Handlungsfeldern. In der

aktuellen Kulturbotschaft 2021–2024 werden diese Handlungsfelder

beibehalten und weiterentwickelt, zum Beispiel hinsichtlich grösserer

Chancengleichheit der Geschlechter in allen relevanten Bereichen

des Kulturbetriebes. Massgebend ist aktuell die Publikation «Kulturelle

Teilhabe» des Nationalen Kulturdialoges, die konkrete praktische

Handlungsansätze für die Kulturförderung vorstellt.

Auch der Kanton Basel-Stadt hält in der kulturpolitischen

Strategie für die Jahre 2020–2025 in seinen

Leitsätzen den wesentlichen Auftrag fest, «die kulturelle

Vielfalt der Bevölkerung» zu berücksichtigen und

«sich für die Zugänglichkeit des Kulturangebots und

die aktive Teilhabe der gesamten Bevölkerung am Kulturleben»

einzusetzen. Insbesondere in der Kultur sollte

es eine Selbstverständlichkeit sein, dass möglichst

viele Menschen daran teilnehmen können, unabhängig

davon, ob sie wenig oder viel verdienen, immer

schon da waren oder neu zugezogen sind, mit oder

ohne Behinderung leben, eine akademische Ausbildung

oder eine Lehre absolviert haben.

Die Realität ist eine andere, und hier kommt

die Kulturförderung ins Spiel. Gerade kulturelle Teilhabeprojekte

haben oftmals Mühe, Fördergelder zu

erhalten, weil sie weder als kulturelles noch als soziales

Anliegen in die Bereiche vieler Förderstiftungen

passen.

Die CMS engagiert sich für die Teilhabe und Entfaltung

aller Menschen und hält dies im Leitbild und

in der Strategie 2021–2024 fest. Was bedeutet das für

die Kulturförderung der Stiftung und was für das Veranstalten

von Kulturanlässen?

Pilotprojekt mit dem Verein Wildwuchs

Seit 20 Jahren setzt sich der Verein Wildwuchs intensiv mit Teilhabe

und Diversität auseinander. Das erste Wildwuchs Festival zeigte

künstlerische Produktionen von Menschen mit Beeinträchtigungen

und ermöglichte neue Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderungen.

Damals gab es in der Schweiz in Theater, Tanz und Musik

kaum professionelle Kompanien, die inklusiv arbeiteten. Mittlerweile

stehen Menschen aus verschiedenen benachteiligten sozialen

Zusammenhängen im Fokus von Wildwuchs und immer mehr auch

von anderen Kulturakteuren. Für diese Projekte ist es aber immer

noch schwer, die Unterstützung von Kulturförderern zu bekommen,

da sie als gesellschaftskritische und -motivierende

Kunst am Rande eines klassischen Kunstverständnisses

agieren. Auch haben viele Kulturfördernde oftmals

wenig Erfahrung mit der Lebensrealität dieser Menschen.

Vor zwei Jahren hat die CMS mit Unterstützung

von Wildwuchs das Projekt «Zugang zu

Kultur» ins Leben gerufen. Im Rahmen

dieses Projekts arbeitet sie mit geförderten

Kulturveranstaltern und mit anderen

Förderinstitutionen zusammen.

Zudem überprüft die CMS ihre eigene

Förderarbeit.

Sieben Projekte und Veranstalter

wurden ausgewählt, um neue Zugänge

zu Kultur und zur Kulturförderung

zu schaffen. Ziel ist, sich intensiv mit

Zugangsfragen zu Kulturangeboten für

unterschiedliche Zielgruppen auseinanderzusetzen

und Aktivitäten zu planen, damit Zugangsfragen bei

jedem künstlerischen Projekt von Beginn an mitgedacht

werden. Bereits das Suchen und Führen des Dialogs

führte zu spannenden Lerneffekten für alle Beteiligten.

Im Dialog mit Geförderten wurde evaluiert,

was die Kulturveranstalter hinsichtlich Zugänglichkeit

bereits tun und in welchen Handlungsfeldern Neues

umgesetzt werden könnte. Konkrete Massnahmen

wurden in Vereinbarungen festgehalten.

Ein Beispiel ist der Verein für die Förderung der

Begeisterung am bewegten Bild (VFBbB), Veranstalter

des Gässli Film Festivals in Basel. Zu den konkreten

Massnahmen zählt die Prüfung auf Teilzugänglichkeit

des Filmhauses und des Festivalgeländes, die Teildeskription

der Filme, die Überarbeitung der Webseite

(z.B. die Integration einer Vorlesefunktion) oder die

Anpassung ihres Aufrufes für freiwillige Helfer mit direkter

Ansprache von Menschen mit Behinderungen.

Ein anderes Beispiel: Die Blasphemic Reading

Soirées veranstalten eine Reihe von Lese- und Diskussionsveranstaltungen

zu queer-feministischen Themen

und haben für das Programm 2021/22 den Fokus

auf Zugänglichkeit und Diversität gelegt,

um inklusiver zu agieren und mehr

Menschen anzusprechen. Dazu hat sich

die Organisation neu aufgestellt und

übergibt die inhaltliche Gestaltung an

ein neues, divers aufgestelltes Gremium.

Die vielen Erfahrungen teilte

die CMS mit anderen Kulturförderern

und veranstaltete im März 2021

gemeinsam mit Wildwuchs und in

Koordination mit IntegrART_21 (Migros-Kulturprozent)

die Webinar-Reihe

«Zugang zu Kultur». An vier Tagen

diskutierten über 50 Vertreterinnen und Vertreter

der Kulturförderung aus der ganzen Schweiz, warum

es wichtig ist, kulturelle Teilhabe bewusst zu fördern,

für wen und wie Zugang geschaffen werden

muss, wie Projektausschreibungen und -eingaben

angepasst werden müssen und was die Förderung

von Teilhabe für die Schnittstelle Kultur und Soziales

bedeutet. Expert:innen aus den Bereichen Stiftungsmanagement,

Diversity, Gleichstellung und Kulturmanagement

gaben wertvolle und praxisorientierte

Einblicke in ihre Strategien und Tätigkeiten.

Die CMS möchte mit diesem Vernetzungsangebot

zur Verbesserung der Kulturförderung, zur Auseinandersetzung

mit der gesellschaftlichen Realität und

zur Öffnung für die vielfältigen, ungenutzten Potenziale

beitragen. Auf der Webseite der Webinare (www.

zugangzukultur.online) sind Protokolle, Projektideen

und Blogbeiträge zu finden.

Im Herbst wird es ein weiteres Arbeitstreffen geben.

Ziel ist der Aufbau kleiner Netzwerke, die sich zu

Themen rund um den Zugang zu Kultur austauschen,

Neues ausprobieren, entwickeln und dokumentieren.

Für die CMS steht eine Überprüfung der eigenen

Arbeitsweise an. Wie fördert sie Kultur? Was braucht

es, damit die Informationen lesbar und verständlich

sind? Wie beurteilt sie die Qualitäten von inklusivem

Kulturschaffen? Wie motiviert und unterstützt sie die

geförderten Partner dabei, für die Zielgruppen neue

Zugänge zu schaffen? Es sind wichtige Fragen, denn

es geht um eine Öffnung des Kulturschaffens für Menschen,

die auf verschiedenste Weise benachteiligt sind.

Und in Aussicht steht ein vielfältiges kulturelles Angebot

mit neuen Begegnungen, prägenden Erlebnissen

und exzellenten künstlerischen Leistungen.

Theresa Gehringer, Projektleiterin Kultur CMS

Christoph Meneghetti, Projektleiter Kultur CMS

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