Udo Schnelle: Einführung in die Evangelische Theologie Leseprobe

Dieses Buch des international anerkannten Exegeten Udo Schnelle führt in die Grundfragen, die Grundlagen und in die Fächer der Evangelischen Theologie ein: Warum Theologie an der Universität? Weshalb Theologie und nicht Religion? Welche Bedeutung hat die Bibel? Was verbindet die einzelnen Fächer der Theologie und gibt es ein gemeinsames Zentrum? Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Ort und der Leistungsfähigkeit von Theologie im Kontext neuzeitlichen Denkens. Es zeigt sich, dass Vernunft sowie Offenbarung, Glaube und Mythos keine Gegensätze darstellen, sondern unterschiedliche Bereiche der Wirklichkeit erfassen. Dieses Buch des international anerkannten Exegeten Udo Schnelle führt in die Grundfragen, die Grundlagen und in die Fächer der Evangelischen Theologie ein: Warum Theologie an der Universität? Weshalb Theologie und nicht Religion? Welche Bedeutung hat die Bibel? Was verbindet die einzelnen Fächer der Theologie und gibt es ein gemeinsames Zentrum? Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Ort und der Leistungsfähigkeit von Theologie im Kontext neuzeitlichen Denkens. Es zeigt sich, dass Vernunft sowie Offenbarung, Glaube und Mythos keine Gegensätze darstellen, sondern unterschiedliche Bereiche der Wirklichkeit erfassen.

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54 3. Die Grundlagen: Die Schrift als lebendiges Zeugnis nis der Auferstehung Jesu Christi von den Toten wird die Schrift richtig ,verstanden‘ (Joh 20,9). Das Verständnis der Schrift als Christuszeugnis dominiert auch in Mk 12,10.24; 14,49; Mt 21,42; 22,29; 26,54.56; Lk 24, 27.32.45 und wird bei der Antrittspredigt Jesu in Kapernaum in Lk 4,21 so zusammengefasst: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ Die Bibel ist somit mehr als ein bloßes Buch; sie wird zur Schrift, wo sie auf das Christusgeschehen verweist und es bezeugt, von ihm her gelesen und verstanden wird. Dabei bedingen sich Gebrauch und Inhalt gegenseitig; wenn sie das Evangelium ansagen, bekommen Texte eine Erschließungsfunktion und werden im Leben der Kirche hervorgehoben. Dieses Verständnis wurde in der Kirchengeschichte ausgebaut und bei Martin Luther zum Zentrum seiner Hermeneutik. Der Schriftbegriff meint somit ein theologisch qualifiziertes Verständnis der Bibel: Die Schrift ist die auf das Evangelium Jesu Christi und das Wort Gottes hin sprechende Bibel. 95 Die inhaltliche Differenzierung zwischen ,Bibel‘ und ,Schrift‘ ist von grundlegender Bedeutung für das christliche Verständnis des Alten Testaments. Zunächst ist festzuhalten: Das Alte Testament gehört zu Recht zum historischen und theologischen Bestandteil des christlichen Bibel-Kanons, weil es von Anfang an selbst ein Teil dieses Kanons war. Dies auf zwei Ebenen: 1) Im Neuen Testament finden sich ca. 320 di - rekte AT-Zitate mit Einleitungswendungen und weitaus mehr Anspielungen und Bezugnahmen auf alttestamentliche Texte, 96 d. h. schon auf der Textebene ist das Alte Testament auch ein Teil des Neuen Testaments. 2) Bereits in der vorpaulinischen Tradition 1Kor 15,3 f. sind die atl. Schriften der theologische Deutungsraum des Christusgeschehens, denn Tod, Begräbnis und Auferstehung ,am dritten Tag‘ als In halt des Evangeliums ereigneten sich nach dem Zeugnis ,der Schriften‘ (κατὰ τὰς γραφάς). Die ntl. Autoren integrierten die Schriften des Alten Testaments und machten sie so zu einem Bestandteil der eigenen Schriftbildung. Nicht das Alte Testament als Ganzes, sondern nur einzelne Schriften bzw. einzelne Verse ausgewählter Autoren, repräsentieren diesen Prozess. Diese innerbiblische Schriftauslegung ist jedoch höchst tendenziell, was sich exemplarisch an Paulus verdeutlichen lässt: 97 95 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Wirkendes Wort, 73: „Zur Schrift wird die Bibel nur, wenn man sie nicht nur liest, sondern im Licht des Credo auf das Evangelium hin liest, also so, wie sie im Gottesdienst zu Gehör gebracht wird.“ 96 Die Zahlen schwanken hier; je nachdem, was als Zitat, Anspielung, Bezugnahme oder Echo definiert wird. The Greek New Testament, hrsg. v. Barbara Aland u. a., Stuttgart 4 1993, 887–890.891–901, zählt 318 Zitate und ca. 1800 Anspielungen. Einen Überblick vermittelt Steve Moyise, The Old Testament in the New. An Introduction, London/New York 2001.

3.1 Begriffsbestimmung: Bibel, Schrift, Evangelium, Wort Gottes 55 Bei ihm finden sich 89 Zitate aus dem Alten Testament, allerdings aus einer sehr be - grenzten Anzahl von Schriften, insbesondere stehen Jesaja, die Psalmen und Einzelverse aus dem Pentateuch im Vordergrund. Faktisch sind es zwei Zitate, mit denen Paulus das Alte Testament radikal reduziert und seine eigene Theologie be gründet: Hab 2,4 (,der Gerechte wird aus Glauben leben‘) und Genesis 15,6 (,Abraham glaubte Gott und dies wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet‘). Theologisch ist für Paulus die Schrift Zeuge des Evangeliums, denn die Verheißungen Gottes (vgl. ἐπαγγελία in Gal 3 und Röm 4) erfahren im Evangelium von Jesus Christus ihre Be stäti - gung (vgl. 2Kor 1,20; Röm 15,8). Daraus folgt: Nicht das Alte Testament als solches, sondern allein das vom Christusgeschehen her interpretierte Alte Testament als Schrift ist Bestandteil der christlichen Kanonsbildung. 98 Das Alte Testament als Ganzes Das Alte Testament im Neuen kann gar nicht in gleicher Weise wie das Neue Testament Quelle des christlichen Glaubens sein, weil es seinen Eigenaussagen nach von Jesus Christus schweigt. 99 Die frühchristliche christologische Relecture des Alten Testaments als Schrift leistet zweierlei: Sie stellt die atl. Referenztexte in einen neuen Sinnhorizont und legitimiert zugleich die theologische Position der ntl. Autoren. Dabei bildet nicht das Eigengewicht der atl. Texte, sondern Gottes endzeitliches Heilshandeln in Jesus Christus die sachliche Mitte ihres Denkens. Zentrale Inhalte jüdischer Theologie (Tora, Erwählung, Land, Tempel, Sabbat) werden neu bedacht und der Text des Alten Testaments in einen produktiven intertextuellen Interpretationsprozess hineingenommen, der ihn dann als Schrift ausweist. 100 97 Vgl. dazu Dietrich-Alex Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, 11–24. 98 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Wirkendes Wort, 193: „Die Unterscheidung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament ist daher eine Unterscheidung, die den christlichen Gebrauch der biblischen Texte zur Kommunikation des Evangeliums und zur Gestaltung des christlichen Lebens in der Orientierung am Evangelium betrifft.“ 99 Dieses Schweigen im Sinne einer historisch oder theologisch verifizierbaren Ankündigung/Voraussage schließt natürlich nicht ein vielgestaltiges Reden im Rückblick aus, wie wir es im Neuen Testament finden. Auch der Versuch von Markus Witte, Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments, in: Jens Schröter (Hrsg.), Jesus Christus, Tübingen 2014, (13–70) 22, eine „christo-transparente“ Auslegung des Alten Testaments vorzunehmen, „und dabei exemplarisch auf strukturelle Entsprechungen, konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verbindungen in der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament hinzuweisen“ (a. a. O., 21 f.), ist in Wahrheit eine neutestamentliche und nicht eine alttestamentliche Perspektive. Eine Biblische Theologie ist und bleibt im strikten Sinn ein neutestamentliches Phänomen, das aufzeigt, wie und in welchem Umfang ntl. Autoren das Alte Testament bei ihrer Interpretation des Christusgeschehens heranzogen. 100 Zur Hermeneutik des Alten Testaments vgl. Antonius H. Gunneweg, Vom

3.1 Begriffsbestimmung: Bibel, Schrift, Evangelium, Wort Gottes 55<br />

Bei ihm f<strong>in</strong>den sich 89 Zitate aus dem Alten Testament, allerd<strong>in</strong>gs aus e<strong>in</strong>er sehr be -<br />

grenzten Anzahl von Schriften, <strong>in</strong>sbesondere stehen Jesaja, <strong>die</strong> Psalmen und E<strong>in</strong>zelverse<br />

aus dem Pentateuch im Vordergrund. Faktisch s<strong>in</strong>d es zwei Zitate, mit denen<br />

Paulus das Alte Testament radikal reduziert und se<strong>in</strong>e eigene <strong>Theologie</strong> be gründet:<br />

Hab 2,4 (,der Gerechte wird aus Glauben leben‘) und Genesis 15,6 (,Abraham glaubte<br />

Gott und <strong>die</strong>s wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet‘). Theologisch ist für Paulus<br />

<strong>die</strong> Schrift Zeuge des Evangeliums, denn <strong>die</strong> Verheißungen Gottes (vgl. ἐπαγγελία<br />

<strong>in</strong> Gal 3 und Röm 4) erfahren im Evangelium von Jesus Christus ihre Be stäti -<br />

gung (vgl. 2Kor 1,20; Röm 15,8). Daraus folgt: Nicht<br />

das Alte Testament als solches, sondern alle<strong>in</strong> das<br />

vom Christusgeschehen her <strong>in</strong>terpretierte Alte Testament<br />

als Schrift ist Bestandteil der christlichen<br />

Kanonsbildung. 98 Das Alte Testament als Ganzes<br />

Das Alte Testament<br />

im Neuen<br />

kann gar nicht <strong>in</strong> gleicher Weise wie das Neue Testament Quelle des christlichen<br />

Glaubens se<strong>in</strong>, weil es se<strong>in</strong>en Eigenaussagen nach von Jesus Christus schweigt. 99<br />

Die frühchristliche christologische Relecture des Alten Testaments als Schrift<br />

leistet zweierlei: Sie stellt <strong>die</strong> atl. Referenztexte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en neuen S<strong>in</strong>nhorizont und<br />

legitimiert zugleich <strong>die</strong> theologische Position der ntl. Autoren. Dabei bildet nicht<br />

das Eigengewicht der atl. Texte, sondern Gottes endzeitliches Heilshandeln <strong>in</strong> Jesus<br />

Christus <strong>die</strong> sachliche Mitte ihres Denkens. Zentrale Inhalte jüdischer <strong>Theologie</strong><br />

(Tora, Erwählung, Land, Tempel, Sabbat) werden neu bedacht und der Text des<br />

Alten Testaments <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en produktiven <strong>in</strong>tertextuellen Interpretationsprozess h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen,<br />

der ihn dann als Schrift ausweist. 100<br />

97 Vgl. dazu Dietrich-Alex Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, 11–24.<br />

98 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Wirkendes Wort, 193: „Die Unterscheidung zwischen<br />

dem Alten und dem Neuen Testament ist daher e<strong>in</strong>e Unterscheidung, <strong>die</strong> den<br />

christlichen Gebrauch der biblischen Texte zur Kommunikation des Evangeliums<br />

und zur Gestaltung des christlichen Lebens <strong>in</strong> der Orientierung am Evangelium<br />

betrifft.“<br />

99 Dieses Schweigen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er historisch oder theologisch verifizierbaren Ankündigung/Voraussage<br />

schließt natürlich nicht e<strong>in</strong> vielgestaltiges Reden im Rückblick<br />

aus, wie wir es im Neuen Testament f<strong>in</strong>den. Auch der Versuch von Markus Witte,<br />

Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments, <strong>in</strong>: Jens Schröter (Hrsg.), Jesus Christus,<br />

Tüb<strong>in</strong>gen 2014, (13–70) 22, e<strong>in</strong>e „christo-transparente“ Auslegung des Alten<br />

Testaments vorzunehmen, „und dabei exemplarisch auf strukturelle Entsprechungen,<br />

konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verb<strong>in</strong>dungen<br />

<strong>in</strong> der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament h<strong>in</strong>zuweisen“<br />

(a. a. O., 21 f.), ist <strong>in</strong> Wahrheit e<strong>in</strong>e neutestamentliche und nicht e<strong>in</strong>e alttestamentliche<br />

Perspektive. E<strong>in</strong>e Biblische <strong>Theologie</strong> ist und bleibt im strikten S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> neutestamentliches<br />

Phänomen, das aufzeigt, wie und <strong>in</strong> welchem Umfang ntl. Autoren das<br />

Alte Testament bei ihrer Interpretation des Christusgeschehens heranzogen.<br />

100 Zur Hermeneutik des Alten Testaments vgl. Antonius H. Gunneweg, Vom

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