cav – Prozesstechnik für die Chemieindustrie 09.2021
Die Fachzeitschrift cav - Prozesstechnik für die Chemieindustrie berichtet über Verfahren, Anlagen, Apparate und Komponenten für die chemische und pharmazeutische Industrie. Weitere Themen sind IT-Technologien, Industrie 4.0, digitale Produktion, MSR- und Automatisierungstechnik und Prozessanalysentechnik. Abgerundet wird das inhaltliche Spektrum durch Ex-Schutz, Anlagensicherheit, Arbeitsschutz, Instandhaltung, Standortmanagement und Energiemanagement.
Die Fachzeitschrift cav - Prozesstechnik für die Chemieindustrie berichtet über Verfahren, Anlagen, Apparate und Komponenten für die chemische und pharmazeutische Industrie. Weitere Themen sind IT-Technologien, Industrie 4.0, digitale Produktion, MSR- und Automatisierungstechnik und Prozessanalysentechnik. Abgerundet wird das inhaltliche Spektrum durch Ex-Schutz, Anlagensicherheit, Arbeitsschutz, Instandhaltung, Standortmanagement und Energiemanagement.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bild: nova-Institut<br />
Bild: nova-Institut<br />
Carbon Capture, Biomasse und Recycling sind <strong>die</strong> Säulen einer<br />
nachhaltigen Zukunft der chemischen Industrie<br />
Globaler Kohlenstoffbedarf <strong>für</strong> organische<br />
Chemikalien und abgeleitete Materialien<br />
nach Art des Ausgangsmaterials (total 2021<br />
rund 450 Mio. t, Referenz 2015<strong>–</strong>2020)<br />
Die Klimakrise beschleunigt sich in einem noch nie da gewesenen<br />
Tempo. Die globale Erwärmung, Treibhausgasemissionen und <strong>die</strong><br />
Abholzung der Wälder führen zu Ernährungsunsicherheit, globalen<br />
Gesundheitsproblemen und dem Verlust der biologischen Vielfalt.<br />
92 % der Auswirkungen der globalen Erwärmung werden durch<br />
kohlenstoffhaltige Treibhausgasemissionen verursacht, 80 % sind<br />
fossilen Ursprungs. Es ist offensichtlich geworden, dass wir <strong>die</strong> Folgen<br />
unserer heutigen Produktionsweisen <strong>für</strong> den Planeten nicht länger<br />
ignorieren können. Um den Energiesektor bis 2050 zu dekarbonisieren<br />
und <strong>die</strong> Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens sicherzustellen,<br />
ist es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Industrie unerlässlich, vollständig aus<br />
der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen.<br />
Dekarbonisierung der kohlenstoffbasierten Chemie?<br />
Insgesamt werden 89 % des aus dem Boden gewonnenen Kohlenstoffs<br />
<strong>für</strong> Energie und Kraftstoffe genutzt, während 11 % <strong>für</strong> Zement,<br />
Chemikalien und Folgeprodukte eingesetzt werden. Der Prozess<br />
der Dekarbonisierung des Energiesektors und der Ausbau der<br />
erneuerbaren Energien ist in vielen Ländern im Gange. Es ist jedoch<br />
unmöglich, auf Kohlenstoff im Sektor der Chemikalien und Folgeprodukte<br />
zu verzichten. Diese Produkte umgeben uns in vielfältiger<br />
Weise und <strong>die</strong> meisten von ihnen enthalten Kohlenstoff.<br />
Die Menge an (gebundenem) Kohlenstoff in <strong>die</strong>sen Produkten wurde<br />
vom nova-Institut nun erstmalig berechnet. Kohlenwasserstoffe<br />
(z. B. Öl und Gas, aber auch Biomasse und Rezyklate) werden sowohl<br />
zur Energiegewinnung <strong>für</strong> Prozessenergie eingesetzt als auch<br />
als Ausgansstoff <strong>für</strong> <strong>die</strong> Produkte selbst. Letzteres wird auch „gebundener<br />
Kohlenstoff“ genannt und verursacht derzeit ca. zwei<br />
Drittel des Kohlenstoffbedarfs der <strong>Chemieindustrie</strong>. Der jährliche<br />
Bedarf an gebundenem Kohlenstoff beträgt 450 Mio. t (Mt), von<br />
denen 85 % aus fossilen Ressourcen, 10 % aus Biomasse und nur<br />
5 % aus dem Recycling stammt.<br />
Steigende Nachfrage nach Kohlenstoff<br />
Die Nachfrage nach gebundenem Kohlenstoff wird in Zukunft noch<br />
weiter steigen. Eine Zunahme der Bevölkerung, höhere Einkommen<br />
und eine wachsende Mittelschicht werden den Bedarf an Produkten<br />
und damit auch an Kohlenstoff antreiben. Bis 2050 wird <strong>die</strong> Nachfrage<br />
nach gebundenem Kohlenstoff, der in organischen Chemikalien<br />
enthalten ist, auf 1000 Mt pro Jahr ansteigen. Um einen langfristigen<br />
und nachhaltigen Wandel zu schaffen, können nur drei<br />
Quellen von erneuerbarem Kohlenstoff <strong>die</strong> Nutzung des fossilen<br />
Kohlenstoffs ersetzen: Biomasse, Recycling und CCU (Carbon Capture<br />
and Utilisation; abgeschiedenes CO 2 aus Industrieprozessen<br />
oder der Atmosphäre).<br />
Transformation der chemischen Industrie<br />
Die chemische Industrie ist ein Schlüssel <strong>für</strong> eine Vielzahl von anderen<br />
Industrien und Produkten. Sie ist eine hochgradig vernetzte, integrierte<br />
Industrie und wurde über Jahrzehnte in vielerlei Hinsicht<br />
optimiert. Für den Ersatz von fossilen Rohstoffen gibt es zwei verschiedene<br />
Strategien, <strong>die</strong> beide <strong>für</strong> <strong>die</strong> Transformation wichtig sind<br />
und parallel entwickelt werden sollten.<br />
Strategie 1: Drop-in<br />
Die Drop-in-Strategie nutzt bestehende Strukturen der chemischen<br />
Industrie, wie z. B. Raffinerien und Chemieparks, um <strong>die</strong> Rohstofftransformation<br />
auf der Ebene der Einsatzstoffe einzuleiten. Anstelle<br />
von Naphtha, Methan, Ethan, Propan, Methanol aus fossilen Quellen<br />
wie Öl, Erdgas und Kohle können <strong>die</strong>se Rohstoffe auch aus Biomasse,<br />
CO 2 und chemischem Recycling gewonnen werden. Das Endprodukt<br />
bleibt das gleiche, während der Rohstoff erneuerbar wird und<br />
<strong>die</strong> bestehenden Prozesse und <strong>die</strong> Infrastruktur weitgehend erhalten<br />
bleiben. In <strong>die</strong>sem Fall können große Mengen an zusätzlichem, fossilem<br />
Kohlenstoff schnell ersetzt werden.<br />
Strategie 2: Dediziert<br />
Die dedizierte Strategie baut völlig neue Strukturen mit neuen Verfahren<br />
auf, um neue Rohstoffe zu erzeugen, etwa durch Biotechnologie,<br />
Holz- oder Elektrochemie. Diese Produkte nutzen oft Biomasse<br />
oder CO 2 effizienter und weisen Eigenschaften auf, <strong>die</strong> in keinem<br />
petrochemischen Pendant zu finden sind. Zu den dedizierten Strategien<br />
gehört der Ersatz von petrochemischen Kunststoffverpackungen<br />
durch Verpackungen aus Papier, Zellulose oder Naturfasern.<br />
Beide Strategien müssen verfolgt werden<br />
Beide Strategien sind notwendig, um <strong>die</strong> Transformation zu erreichen.<br />
Während <strong>die</strong> erste Strategie vor allem <strong>für</strong> Grundchemikalien<br />
geeignet ist, könnte <strong>die</strong> zweite <strong>für</strong> Spezialanwendungen mit kleineren<br />
Produktionsmengen eingesetzt werden. Um <strong>die</strong> Drop-in-Strategie<br />
umzusetzen, müssten <strong>die</strong> über Jahrzehnte optimierten Anlagen<br />
der chemischen Großindustrie, Chemieparks, integrierten Standorte<br />
und Erdölraffinerien an <strong>die</strong> neuen Rohstoffe und Zwischenprodukte<br />
des erneuerbaren Kohlenstoffs angepasst werden. Dies erfordert er-<br />
<strong>cav</strong> 09-2021 15