<strong>cav</strong> TREND CIRCULAR ECONOMY Bild: lazyllama <strong>–</strong> stock.adobe.com Wie kann der weltweite Bedarf in Zukunft gedeckt werden? KOHLENSTOFF IM KREISLAUF FÜHREN Der Chemiesektor hat einen dauerhaften und steigenden Bedarf an Kohlenstoff, der in seinen Produkten gebunden ist. Heute sind insgesamt 450 Mio. t Kohlenstoff in Chemikalien und Polymeren enthalten, <strong>die</strong> meist aus fossilen Ressourcen stammen. Der Chemiesektor steckt aktuell in der größten Transformation seit der industriellen Revolution. Es gilt, den Bedarf bis 2050 durch erneuerbaren Kohlenstoff zu decken. 14 <strong>cav</strong> 09-2021
Bild: nova-Institut Bild: nova-Institut Carbon Capture, Biomasse und Recycling sind <strong>die</strong> Säulen einer nachhaltigen Zukunft der chemischen Industrie Globaler Kohlenstoffbedarf <strong>für</strong> organische Chemikalien und abgeleitete Materialien nach Art des Ausgangsmaterials (total 2021 rund 450 Mio. t, Referenz 2015<strong>–</strong>2020) Die Klimakrise beschleunigt sich in einem noch nie da gewesenen Tempo. Die globale Erwärmung, Treibhausgasemissionen und <strong>die</strong> Abholzung der Wälder führen zu Ernährungsunsicherheit, globalen Gesundheitsproblemen und dem Verlust der biologischen Vielfalt. 92 % der Auswirkungen der globalen Erwärmung werden durch kohlenstoffhaltige Treibhausgasemissionen verursacht, 80 % sind fossilen Ursprungs. Es ist offensichtlich geworden, dass wir <strong>die</strong> Folgen unserer heutigen Produktionsweisen <strong>für</strong> den Planeten nicht länger ignorieren können. Um den Energiesektor bis 2050 zu dekarbonisieren und <strong>die</strong> Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens sicherzustellen, ist es <strong>für</strong> <strong>die</strong> Industrie unerlässlich, vollständig aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen. Dekarbonisierung der kohlenstoffbasierten Chemie? Insgesamt werden 89 % des aus dem Boden gewonnenen Kohlenstoffs <strong>für</strong> Energie und Kraftstoffe genutzt, während 11 % <strong>für</strong> Zement, Chemikalien und Folgeprodukte eingesetzt werden. Der Prozess der Dekarbonisierung des Energiesektors und der Ausbau der erneuerbaren Energien ist in vielen Ländern im Gange. Es ist jedoch unmöglich, auf Kohlenstoff im Sektor der Chemikalien und Folgeprodukte zu verzichten. Diese Produkte umgeben uns in vielfältiger Weise und <strong>die</strong> meisten von ihnen enthalten Kohlenstoff. Die Menge an (gebundenem) Kohlenstoff in <strong>die</strong>sen Produkten wurde vom nova-Institut nun erstmalig berechnet. Kohlenwasserstoffe (z. B. Öl und Gas, aber auch Biomasse und Rezyklate) werden sowohl zur Energiegewinnung <strong>für</strong> Prozessenergie eingesetzt als auch als Ausgansstoff <strong>für</strong> <strong>die</strong> Produkte selbst. Letzteres wird auch „gebundener Kohlenstoff“ genannt und verursacht derzeit ca. zwei Drittel des Kohlenstoffbedarfs der <strong>Chemieindustrie</strong>. Der jährliche Bedarf an gebundenem Kohlenstoff beträgt 450 Mio. t (Mt), von denen 85 % aus fossilen Ressourcen, 10 % aus Biomasse und nur 5 % aus dem Recycling stammt. Steigende Nachfrage nach Kohlenstoff Die Nachfrage nach gebundenem Kohlenstoff wird in Zukunft noch weiter steigen. Eine Zunahme der Bevölkerung, höhere Einkommen und eine wachsende Mittelschicht werden den Bedarf an Produkten und damit auch an Kohlenstoff antreiben. Bis 2050 wird <strong>die</strong> Nachfrage nach gebundenem Kohlenstoff, der in organischen Chemikalien enthalten ist, auf 1000 Mt pro Jahr ansteigen. Um einen langfristigen und nachhaltigen Wandel zu schaffen, können nur drei Quellen von erneuerbarem Kohlenstoff <strong>die</strong> Nutzung des fossilen Kohlenstoffs ersetzen: Biomasse, Recycling und CCU (Carbon Capture and Utilisation; abgeschiedenes CO 2 aus Industrieprozessen oder der Atmosphäre). Transformation der chemischen Industrie Die chemische Industrie ist ein Schlüssel <strong>für</strong> eine Vielzahl von anderen Industrien und Produkten. Sie ist eine hochgradig vernetzte, integrierte Industrie und wurde über Jahrzehnte in vielerlei Hinsicht optimiert. Für den Ersatz von fossilen Rohstoffen gibt es zwei verschiedene Strategien, <strong>die</strong> beide <strong>für</strong> <strong>die</strong> Transformation wichtig sind und parallel entwickelt werden sollten. Strategie 1: Drop-in Die Drop-in-Strategie nutzt bestehende Strukturen der chemischen Industrie, wie z. B. Raffinerien und Chemieparks, um <strong>die</strong> Rohstofftransformation auf der Ebene der Einsatzstoffe einzuleiten. Anstelle von Naphtha, Methan, Ethan, Propan, Methanol aus fossilen Quellen wie Öl, Erdgas und Kohle können <strong>die</strong>se Rohstoffe auch aus Biomasse, CO 2 und chemischem Recycling gewonnen werden. Das Endprodukt bleibt das gleiche, während der Rohstoff erneuerbar wird und <strong>die</strong> bestehenden Prozesse und <strong>die</strong> Infrastruktur weitgehend erhalten bleiben. In <strong>die</strong>sem Fall können große Mengen an zusätzlichem, fossilem Kohlenstoff schnell ersetzt werden. Strategie 2: Dediziert Die dedizierte Strategie baut völlig neue Strukturen mit neuen Verfahren auf, um neue Rohstoffe zu erzeugen, etwa durch Biotechnologie, Holz- oder Elektrochemie. Diese Produkte nutzen oft Biomasse oder CO 2 effizienter und weisen Eigenschaften auf, <strong>die</strong> in keinem petrochemischen Pendant zu finden sind. Zu den dedizierten Strategien gehört der Ersatz von petrochemischen Kunststoffverpackungen durch Verpackungen aus Papier, Zellulose oder Naturfasern. Beide Strategien müssen verfolgt werden Beide Strategien sind notwendig, um <strong>die</strong> Transformation zu erreichen. Während <strong>die</strong> erste Strategie vor allem <strong>für</strong> Grundchemikalien geeignet ist, könnte <strong>die</strong> zweite <strong>für</strong> Spezialanwendungen mit kleineren Produktionsmengen eingesetzt werden. Um <strong>die</strong> Drop-in-Strategie umzusetzen, müssten <strong>die</strong> über Jahrzehnte optimierten Anlagen der chemischen Großindustrie, Chemieparks, integrierten Standorte und Erdölraffinerien an <strong>die</strong> neuen Rohstoffe und Zwischenprodukte des erneuerbaren Kohlenstoffs angepasst werden. Dies erfordert er- <strong>cav</strong> 09-2021 15