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Credit Suisse bulletin, 2011/04

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Das älteste Bankmagazin der Welt Nummer 4<br />

Ausgabe Schweiz / Deutsch Oktober/November 20<strong>11</strong><br />

<strong>Holz</strong><br />

unsichtbar Wirkung entfaltend<br />

Dendrochronologie Wenn <strong>Holz</strong> von den Pfahlbauern erzählt / Gold Die sichere Wertanlage / Leonardo da Vinci Sensation in der National<br />

Gallery in London / Bischof des Regenwalds Alternativnobelpreisträger Erwin Kräutler / Dossier Jahr der Wälder


CO2<br />

132 g/km bedeutet 13% weniger<br />

Der neue Audi A6 Avant mit<br />

Audi Leichtbautechnologie.<br />

Einer der vielen Vorteile der Audi Leichtbautechnologie besteht darin, dass ein leichteres<br />

Auto weniger Treibstoff verbraucht und somit weniger CO 2-Emissionen verursacht.<br />

Beim neuen Audi A6 Avant 2.0 TDI sind dies im Vergleich zum Vorgängermodell 13 Prozent<br />

weniger. In der gesamten Baureihe wurde zudem der Treibstoffverbrauch um bis zu<br />

21 Prozent reduziert. So können Sie länger fahren – für weniger. www.audi.ch/a6avant<br />

Audi A6 Avant 2.0 TDI, 130 kW (177 PS), 1968 cm 3 . Normverbrauch gesamt: 5,0 l/100 km.<br />

CO2-Emissionen: 132 g/km (188 g/km: Durchschnitt aller Neuwagenmodelle). Energieeffizienzkategorie A.


Editorial 1<br />

Editorial<br />

Erinnerungen an das Paradies<br />

Das Genie aus Vinci hat nur wenige Bilder gemalt. Wenn also ein<br />

jahrhundertelang verschollenes Werk wie «Salvator Mundi» wiederentdeckt<br />

und nach genauen Untersuchungen dem Meister selbst zugeordnet<br />

wird, darf man getrost von einer kulturhistorischen Sensation sprechen.<br />

Erstmals zu sehen bekommt die Öffentlichkeit den Erretter der<br />

Welt in der Ausstellung «Leonardo da Vinci: Maler am Hof von Mailand»<br />

in der National Gallery in London (S. 50). Gemalt wurde das Bild<br />

vor 500 Jahren – nicht etwa auf Leinwand, sondern auf Walnussholz.<br />

<strong>Holz</strong> ist ein universaler und universell anwendbarer Rohstoff. Ohne <strong>Holz</strong><br />

sähe die Welt anders aus. Aber wann und warum Bäume entstanden<br />

sind, war unklar. Im August 20<strong>11</strong> haben nun aber Wissenschaftler rund<br />

400 Millionen Jahre alte Fossilien aus Frankreich und Kanada<br />

untersucht und dabei die für <strong>Holz</strong> charakteristischen länglichen Strahlenzellen<br />

und Jahrringe entdeckt: Sie dienten dem Transport von Wasser<br />

in die oberen Bereiche der Pflanzen. Dass die klimatischen Schwankungen<br />

unterschiedliche Jahrringe erzeugen, macht sich die Dendrochronologie<br />

zunutze: Auf über 10 000 Jahre zurück erhellen die hölzernen<br />

Fingerabdrücke unser Wissen über die schriftlosen Ahnen, so etwa die ab<br />

4300 vor Christus im Gebiet der heutigen Schweiz lebenden Pfahlbauern<br />

(S. 26). Die unsichtbare Wirkung des <strong>Holz</strong>es und nicht zuletzt auch<br />

dessen Sinnlichkeit aufzuzeigen, ist Ziel des thematischen Schwerpunkts.<br />

Ingo Petz<br />

Der Kölner Journalist arbeitet<br />

seit 2008 für das <strong>bulletin</strong>. Diesmal<br />

zieht ihn ein spezielles <strong>Holz</strong> aus<br />

Schottland in seinen Bann. Seite 9<br />

Alberto Venzago<br />

Das faszinierende Waldbild des<br />

Fotografen Alberto Venzago<br />

besteht aus nicht weniger als<br />

50 Einzelbildern. Seite 18<br />

Die Wirtschaftsexperten der Credit Suisse beschäftigen sich mit der<br />

<strong>Holz</strong>industrie und dem <strong>Holz</strong> als Baustoff (S. 34), dem UNO-Jahr der Wälder<br />

widmen wir ein lesenswertes Dossier und das Leaderinterview mit<br />

Erwin Kräutler, dem Bishof des brasilianischen Regendwaldes (S. 68).<br />

Über <strong>Holz</strong> kann man ganze Bücher, ganze Magazine schreiben, deren<br />

Papier wiederum auf <strong>Holz</strong> zurückgeht. Dass wir das <strong>bulletin</strong><br />

klimaneutral auf FSC-Papier drucken, ist eine Selbstverständlichkeit.<br />

Und dass wir bei unserem Bestreben, noch mehr Leser mit noch<br />

mehr Inhalt zu erreichen, zunehmend auf eine Crossmedia-Strategie<br />

setzen und unseren Onlinebereich laufend ausbauen, ist es ebenfalls.<br />

Und doch stelle ich mir das Paradies als Bibliothek vor. Nach wie vor.<br />

Andreas Schiendorfer, Chefredaktor<br />

Foto: Markus Zucker | Ingo Petz | Martin Stollenwerk<br />

Cover<br />

Wer schon immer wissen wollte,<br />

was ein Baumdoktor ist, lese den<br />

Artikel über Matthias Brunner.<br />

Die Aufnahme stammt von Christian<br />

Grund. Seite <strong>11</strong><br />

Gold Winner<br />

Gold Winner<br />

Gold Winner


Mombaruzzo /Alba • Italia<br />

«CON AMORE<br />

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Dolcetto d’Alba DOC, Piemont | Gavi DOCG, Piemont<br />

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«Il Rubino» Monferrato DOC, Piemont | «Zaffiro» Cabernet Merlot<br />

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Barbera d’Asti Superiore DOC, Piemont | «Granduca» Rosso<br />

Toscana IGT, Toskana | «L’Aria» Rosso Veronese IGT, Venetien<br />

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In eigener Sache 3<br />

In eigener Sache<br />

Erlebnis Papier<br />

Fotos: Daniel Huber | Credit Suisse<br />

Daniel Huber Im digitalen Zeitalter bedrängen<br />

Internet, iPads und Smartphones immer<br />

mehr Druckerzeugnisse wie Zeitungen,<br />

Magazine oder Bücher. Doch gänzlich<br />

verdrängen lassen sich diese trotzdem<br />

nicht. Die im Sommer 2010 lancierte<br />

iPad-App des <strong>bulletin</strong> ist mit über<br />

30 000 Downloads weltweit überaus erfolgreich,<br />

doch dürfte es sich bei diesen digitalen<br />

Nutzern fast durchwegs um neue <strong>bulletin</strong> Leser<br />

handeln und nicht um «Umsteiger». Jedenfalls<br />

gab es bislang nur eine Handvoll entsprechender<br />

Abonnementkündigungen.<br />

Das Erlebnis <strong>bulletin</strong> ist in der gedruckten<br />

Form ein völlig anderes als in der digitalen<br />

App-Version. Während die Texte des <strong>bulletin</strong><br />

auf dem Bildschirm lediglich den Sehsinn<br />

ansprechen, kommen beim gedruckten Papier<br />

Tastsinn und nicht zuletzt auch der Gehörsinn<br />

dazu. Papier raschelt beim Umblättern.<br />

Um diesem haptischen Vergnügen noch<br />

mehr Rechnung zu tragen, wird das <strong>bulletin</strong> seit<br />

diesem Jahrgang auf einem neuen Papier<br />

gedruckt. Es handelt sich um das ungestrichene<br />

Munken-Papier der Firma Arctic Paper, das<br />

im <strong>bulletin</strong> in drei verschiedenen Ausführungen<br />

verwendet wird. So ist der Schwerpunkt<br />

sowie die Leader-Rubrik auf dickeres Papier<br />

gedruckt als der mittlere Teil mit den Ressorts<br />

Wirtschaft und Credit Suisse, womit die<br />

Abgrenzung auch haptisch spürbar gemacht<br />

wird. Bei der Auswahl der neuen Papiersorte<br />

standen zwei Kriterien im Vordergrund: Es<br />

sollte ein möglichst natürlich «weiches» – also<br />

kein lackiertes –, voluminöses Papier sein, das<br />

zudem höchsten Umweltstandards gerecht wird.<br />

Das Munken-Papier des <strong>bulletin</strong> wird in<br />

der 1871 gegründeten Papierfabrik Munkedal<br />

rund 100 Kilometer nördlich von Göteborg<br />

Blick in die Papierfabrik<br />

Munkedal bei Göteborg.<br />

hergestellt. Mit einem Wasserbedarf<br />

von lediglich drei Litern für ein Kilogramm<br />

Papier unterbietet das Munken-<br />

Papier den Industriestandard um mehr<br />

als 60 Prozent. Auch war Munkedal<br />

20<strong>04</strong> eine der ersten Papierfabriken,<br />

die FSC-zertifiziertes Designpapier anbot,<br />

das nur Zellstoff aus nachhaltig bewirtschaftetem<br />

<strong>Holz</strong> anbau beinhaltete. Mittlerweile sind alle<br />

Standardprodukte sowohl FSC- als auch PEFCzertifiziert,<br />

erbringen also die beiden wichtigsten<br />

Nachweise für nachhaltigen <strong>Holz</strong>anbau. Die Fabrik<br />

selber ist zudem<br />

ISO14001- und EMASzertifiziert.<br />

Mehr über<br />

das Munken-Papier<br />

und die Mühlen in Munkedal<br />

finden Sie unter<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />

Besonders mutiges Magazin<br />

An Europas grösstem Branchenwettbewerb,<br />

dem Best of<br />

Corporate Publishing, holte sich<br />

das <strong>bulletin</strong> zum zweiten Mal<br />

den goldenen BCP Award. Die<br />

Jury taxierte das <strong>bulletin</strong> als<br />

«ein ganz besonders mutiges<br />

Magazin» mit Schwerpunktsetzung<br />

und herausragender<br />

Fotografie.<br />

Das <strong>bulletin</strong> Papier<br />

Titelblatt<br />

Munken Polar, 240 g/m 2<br />

Schwerpunkt/Leader<br />

Munken Polar rough, 100 g/m 2<br />

Wirtschaft/Credit Suisse<br />

Munken Lynx rough, 80 g/m 2<br />

Chefredaktorenwechsel<br />

Mit dieser Ausgabe übernimmt<br />

neu Andreas Schiendorfer die<br />

redaktionelle Verantwortung für<br />

das <strong>bulletin</strong>. Als Leiter Publikationen<br />

haben mich andere Printprojekte<br />

immer stärker in Anspruch<br />

genommen, wodurch<br />

dieser Wechsel nach zehn Jahren<br />

Chefredaktion nur logisch war –<br />

zumal Andreas Schiendorfer<br />

schon bisher als Redaktor und<br />

Verantwortlicher des Credit<br />

Suisse Teils das Magazin massgeblich<br />

mitgeprägt hat.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


Fotos: Credit Suisse | dapd, Steffi Loos, AP Images<br />

Dr. Oliver Adler<br />

Leiter Global Economics<br />

Invest l<br />

Konjunktur<br />

Zinsen und<br />

Währungen Aktien Rohstoffe Immobilien<br />

Obligationen<br />

Die Konjunktur schwächt Die kurzfristigen Zinsen Der US-Dollar schwächt Aktien sind klar attraktiv Die konjunkturelle Abschwächung<br />

deutet sind überbewertet. Die<br />

Schweizer Wohnimmobilien<br />

sich weltweit ab. Die gelockerte<br />

Geldpolitik, Massmärkten<br />

bei oder nahe null, szenario gegenüber dem Risikoaversion und zurück-<br />

vorläufi g auf einen Seit-<br />

tiefen Zinsen halten die<br />

bleiben in den Haupt-<br />

sich in unserem Kern-<br />

bewertet. Die extreme<br />

nahmen zur Verhinderung während sie in den Schwellenländern<br />

eher sinken. überbewertete Schweizer gen stützen ebenfalls. Rohstoffen. Nach der hoch. Die starke Bautätig-<br />

Euro ab. Der weiterhin gestutzte Gewinnerwartunwärtstrend<br />

bei zyklischen Nachfrage aber vorläufi g<br />

eines Schuldenausfalls<br />

und robuste Unternehmen Obligationen mit höherem Franken verliert gegen Euro Kurzfristig dominieren Korrektur sehen wir gutes keit sollte den Preisauftrieb<br />

wirken aber stützend. Risiko bleiben volatil. und US-Dollar an Boden. Stimmungswechsel. Potenzial bei Gold. dämpfen.<br />

John Maynard Keynes hat 1919 als Reaktion<br />

auf die Versailler Verträge beschrieben, was<br />

man nicht tun sollte: einem Land, das am<br />

Boden liegt, hohe Reparationszahlungen<br />

auferlegen. Das führt nicht nur zu Rezession<br />

oder Depression, sondern kann – wie<br />

Keynes mehr als zehn Jahre im Voraus ahnte –<br />

fatale politische Folgen haben. Nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg handelten die Siegermächte<br />

unter Führung der USA im Einklang<br />

mit den Empfehlungen von Keynes ganz<br />

anders: Die Schulden Deutschlands wurden<br />

erlassen, und bald setzte das Land zu seinem<br />

erstaunlichen wirtschaftlichen Höhenfl<br />

ug an. Natürlich genügt ein Schuldenerlass<br />

alleine nicht, die sonstigen Rahmenbedingungen<br />

müssen auch stimmen und es muss<br />

verhindert werden, dass die Grosszügigkeit<br />

der Gläubiger ausgenützt wird. Das gilt auch<br />

für die Europäische Währungsunion. Aber<br />

auch hier wäre die wirtschaftlich optimale<br />

Lösung ein rascher Schuldenerlass bei gleichzeitiger<br />

Festsetzung strikter und durch setzbarer<br />

Regeln für eine disziplinierte zukünftige<br />

Finanzpolitik. Der derzeitige Prozess des<br />

«Durchwurstelns» könnte am Ende auf eine<br />

gar nicht so andere Lösung hinauslaufen.<br />

Vorläufi g sagt man das nur leise – und deshalb<br />

bleiben die Finanzmärkte volatil.<br />

Unsere Einschätzungen in Kürze<br />

Kernszenario: Die EWU-Krise kommt allmählich unter Kontrolle, eine Rezession wird vermieden.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong><br />

Inhalt 5<br />

26<br />

Schwerpunkt<br />

Abtauchen Wer etwas über die ersten<br />

Bauern in der Schweiz erfahren möchte, wird<br />

auf dem Seegrund fündig. Dort sind<br />

6000 Jahre alte hölzerne Zeugen erhalten.<br />

Schwerpunkt <strong>Holz</strong><br />

06 Whisky Auf den Spuren des hölzernen<br />

Geheimnisses des schottischen Nationalgetränks<br />

<strong>11</strong> Ultraschall Wie der Baumdoktor vorgeht,<br />

um einen kranken Baum zu kurieren<br />

14 Stradivari Pilze lassen neue Geigen schöner<br />

klingen – bald gibt es Stradivaris ab der Stange<br />

18 Surprise So nahe sind Sie dem <strong>Holz</strong>,<br />

dem Wald in einer Publikation nur ganz selten<br />

24 Parfums Ode an den Duft des <strong>Holz</strong>es,<br />

der manchmal aus dem Labor kommt<br />

26 Welterbe Der Alpenraum hat ein neues, weitgehend<br />

unsichtbares hölzernes UNESCO-Welterbe<br />

Wirtschaft<br />

34 Forstwirtschaft Die <strong>Holz</strong>industrie in der Schweiz ist<br />

so wichtig wie Autogewerbe oder Immobilienwesen<br />

38 Baustoff <strong>Holz</strong> ist wegen seiner CO2-neutralen<br />

Verbrennung ein Bau- und Brennstoff mit Zukunft<br />

40 Immobilien Im Moment ist Wohneigentum in der<br />

Schweiz billiger als eine vergleichbare Mietwohnung<br />

42<br />

Wirtschaft<br />

50<br />

Credit Suisse<br />

68<br />

Leader<br />

Goldboom In wirtschaftlich<br />

unsicheren Zeiten wie heute fällt<br />

die Anlagewelt in einen Goldrausch.<br />

Salvator Mundi Die Ausstellung<br />

«Leonardo da Vinci: Maler am Hof<br />

von Mailand» birgt Sensationen.<br />

Bischof des Regenwalds Dom<br />

Erwin erhielt 2010 den Alternativen<br />

Nobelpreis – und kämpft weiter.<br />

Credit Suisse<br />

54 Nachwuchsförderung Für Theresa <strong>Holz</strong>hauser,<br />

Olena Tokar und die Cellistin Mi Zhou<br />

56 Nahmad Collection Christoph Becker über<br />

Kunstbestand und Kunstsammlung<br />

59 Zurich Film Festival Abseits des Rampenlichts<br />

ist Dr. Nils Jent ein grosses Vorbild<br />

62 Modell Schweiz im Wandel – und optimistischer<br />

Ausblick auf das Wirtschaftsjahr 2012<br />

64 Gastkommentar Ruedi Noser, Präsident<br />

ICTswitzerland, über einen wichtigen Standortfaktor<br />

Leader<br />

65 Roger Federer Foundation Augenschein in<br />

Malawi bei einem Bildungsprojekt für 54 000 Kinder<br />

Duftig<br />

Für alle, die nicht mehr<br />

wissen, wie der Wald riecht.<br />

Als Aufforderung zur<br />

anschliessenden Recherche<br />

in der freien Natur.<br />

18<br />

Spezial<br />

neutral<br />

Drucksache<br />

No. 01-<strong>11</strong>-4<strong>11</strong>539 Ð www.myclimate.org<br />

© myclimate Ð The Climate Protection Partnership<br />

Invest<br />

Wirtschaft, Märkte und Anlagen<br />

32 | 33<br />

Invest<br />

64 | 65<br />

Dossier<br />

Wirtschaft, Märkte,<br />

Anlagen<br />

Informationen des Global<br />

Research der Credit Suisse.<br />

20<strong>11</strong> ist das UNO­Jahr<br />

der Wälder<br />

Hintergrund, damit der Wald<br />

in den Vordergrund rückt.


6 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />

¾ ist<br />

<strong>Holz</strong>sache<br />

Nicht nur seine Ingredienzien, sondern das <strong>Holz</strong>fass,<br />

in dem er gelagert wurde, prägen die Geschmacksnote<br />

eines Whiskys massgebend. Bill Lumsden, Pionier<br />

und Legende des Woodmanagements und mehrfach<br />

preis gekrönt für seine exotischen Glenmorangie­<br />

«Finishes», über die Wissenschaft vom Fass – und<br />

ihre Grenzen.<br />

Foto: Stefan Walter<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Geschmackssache <strong>Holz</strong> 7<br />

« Ich war so was wie ein Freak, der sich<br />

sehr für die technisch­wissenschaftliche<br />

Seite, also für den Produktionsprozess,<br />

interessiert hat.»<br />

~<br />

Bill Lumsden, ein gross gewachsener Mann mit einem schelmischen<br />

Lächeln, stapft voran, öffnet eine Tür. Dann steht man im Allerheiligsten<br />

des schottischen Malt-Whisky-Produzenten Glenmorangie.<br />

Im obersten Stockwerk des Firmensitzes in Edinburgh befindet sich<br />

das Labor, in dem Lumsden seine neuen Whiskykreationen testet<br />

und entwirft. In der Mitte des Raumes, der wie der Arbeitsraum eines<br />

modernen Alchemisten wirkt, steht ein halbrunder Tisch, der an die<br />

Ritter der Tafelrunde erinnert. In Regalen stehen unzählige Testflaschen,<br />

deren brauner und bernsteinfarbener Inhalt im Schein des<br />

Lichts wie Gold schimmert. Lumsden, blauer Anzug, rote Krawatte,<br />

ist Schotte durch und durch. Sein R rollt wunderschön im Englischen.<br />

Ausserdem ist Lumsden Biochemiker, seine Doktorarbeit hat er über<br />

das Verhalten von Hefen unter hohem Druck in kohlendioxidhaltigen<br />

Milieus verfasst. 1995 kam er zu Glenmorangie, ist dort heute für<br />

die Destillation und für die Kreation neuer Whiskys der Marken Glenmorangie<br />

und Ardbeg verantwortlich. Lumsden gilt auch als Pionier<br />

und Legende des so genannten Woodmanagements. Für seine<br />

exotischen Glenmorangie-«Finishes» hat er viele Preise erhalten.<br />

Lumsden packt den in Bourbonfässern gereiften Whisky in Weinfässer<br />

aus dem Burgund oder in Sherryfässer aus Spanien und gibt<br />

dem Whisky so neue, interessante Noten. Das <strong>Holz</strong>, in dem der<br />

Whisky zum Whisky wird, ist Lumsdens Arbeitsmaterial. Der Chemiker<br />

Dr. James Swan beschrieb den Reifeprozess, den der Whisky<br />

im Fass erlebt, mit diesen Worten: «Die Verwandlung, die während<br />

der Fassreife stattfindet, gleicht der Metamorphose einer Raupe in<br />

einen Schmetterling.» Das würde Lumsden sofort unterschreiben.<br />

~<br />

Doktor Lumsden. Sie haben sich mit 24 Jahren bei einem Tasting<br />

in Edinburgh in den Single Malt verliebt. Wussten Sie<br />

damals schon, dass Sie Woodmanager in einer Whiskydestillerie<br />

werden wollen?<br />

Ich machte damals meinen Doktortitel in Biochemie und habe ein<br />

sehr spezielles Interesse am Malt Whisky entwickelt. Ich war so was<br />

wie ein Freak, der sich sehr für die technisch-wissenschaftliche Seite,<br />

also für den Produktionsprozess, interessiert hat. Das Inter esse für<br />

die Seite des <strong>Holz</strong>es beim Produktionsprozess kam mit der Zeit, als<br />

ich für verschiedene Destillerien gearbeitet habe und merkte, wie<br />

wichtig das <strong>Holz</strong> für den Malt eigentlich ist. Aber als Woodmanager<br />

habe ich erst gearbeitet, als ich zu Glenmorangie kam.<br />

Sie sagen, dass der Whisky seinen Geschmack zu etwa<br />

drei Vierteln von dem <strong>Holz</strong> erhält, in dem er reift und lagert.<br />

Was macht der Woodmanager genau?<br />

Kurz gesagt: Ich sorge dafür, dass wir hochklassiges <strong>Holz</strong> für hochklassige<br />

Fässer bekommen. Fässer, deren <strong>Holz</strong> letzten Endes den<br />

Geschmack unseres Whiskys prägt. Zudem überlege ich mir, in welchen<br />

Fässern man den Whisky noch reifen lassen kann, um ihm neue<br />

Geschmacksnoten hinzuzufügen.<br />

Welche Fähigkeiten muss man als Woodmanager mitbringen?<br />

Man muss eine sehr gute wissenschaftliche Ausbildung haben, dazu<br />

einen ausgeprägten Geschmackssinn.<br />

Ist Woodmanager ein neuer Beruf?<br />

Früher wurden die Fässer vor allem von Buchhaltern ausgesucht, die<br />

sie auch bezahlt haben. Fässer sind schliesslich recht teuer. Natürlich<br />

wusste man um die Bedeutung der Fasslagerung für den Geschmack<br />

und die Qualität des Whiskys, aber die Herangehens- ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


8 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />

weise baute eher auf Erfahrung und Tradition auf als auf einem detailbasierten,<br />

technisch fundierten Professionalismus. Es gab ein,<br />

zwei Destillerien, die schon früh eine gewisse Pionierarbeit in Sachen<br />

Woodmanagement geleistet haben. Aber richtig bedeutend wurde<br />

der Beruf erst in den letzten 15 Jahren, seitdem die Wissenschaft<br />

eine immer grössere Rolle spielt. Die Industrie holt immer noch auf,<br />

was lange nicht entwickelt wurde. Den Startpunkt dafür stellen die<br />

Regeln dar, die von der Schottischen Whisky-Assoziation für die<br />

Fassreifung des Whiskys festgelegt wurden. Das war 1980. Seither<br />

muss der schottische Malt-Whisky in Eichenfässern reifen, mindestens<br />

drei Jahre lang – und zwar in Schottland. Seitdem versucht man,<br />

durch Wissenschaft und Experimente höhere Standards und Geschmäcker<br />

in der Fassreifung zu erreichen. Als ich bei Glenmorangie<br />

als Wissenschaftler anfing, hatte schon jemand ein Fundament im<br />

Woodmanagement gelegt.<br />

Wusste man nicht immer schon, was im Whiskyfass genau<br />

passiert und was das <strong>Holz</strong> mit dem Whisky macht ?<br />

Zu einem gewissen Grad schon. Man wusste, dass die Eiche das<br />

ursprüngliche Destillat abmildert, es weicher macht, dem Whisky<br />

Aromen entlockt, ihm seine braune Farbe gibt, den Alkoholgehalt<br />

reduziert. Man wusste, dass man den Whisky von einem Fass in ein<br />

anderes umfüllen kann, um den Geschmack nochmals zu verändern.<br />

Aber das war nicht so fundiert. Das Scottish Whisky Research<br />

Institute hat wichtige Arbeit geleistet. Es hat zum Beispiel herausgefunden,<br />

dass man das <strong>Holz</strong> benutzter Fässer nochmals «aktivieren»<br />

kann, indem man die Kohleschicht erneuert. Diese zwei bis vier<br />

Millimeter starke Schicht entsteht beim Ausbrennen der Fässer. Sie<br />

wirkt wie ein Aktivkohlefilter, entzieht dem Whisky unerwünschte<br />

Geschmacksstoffe und Aromen wie bestimmte Schwefelaromen zum<br />

Beispiel. Die Forschung hat das auch entwickelt, weil man Geld<br />

sparen wollte. Schotten sind ja bekanntlich geizig.<br />

Warum wird der Malt­Whisky also in einem Eichenfass gereift ?<br />

Dafür gibt es drei gute Gründe. Erstens – das habe ich schon gesagt<br />

– ist es Gesetz. Wer einen schottischen Malt-Whisky macht,<br />

muss Eiche nehmen. Zweitens, und darauf baut das Gesetz auf:<br />

Eiche ist ein dichtes und festes <strong>Holz</strong>. Zudem ist es porös und ermöglicht<br />

eine gute Atmung des Fasses, ohne dass das <strong>Holz</strong> durchlässig<br />

ist. Der dritte Grund ist der wichtigste: Die Fässer werden<br />

getoastet, das heisst, sie werden bei circa 200 Grad rund 30 Minuten<br />

erhitzt, um sie biegen zu können. Dann werden sie manchmal innen<br />

nochmals drei bis fünf Minuten lang ausgekohlt. Weinfässer werden<br />

zum Beispiel nur getoastet. Dieser Prozess öffnet die Struktur des<br />

<strong>Holz</strong>es, belebt das <strong>Holz</strong> sozusagen, stimuliert eine Reihe von chemischen<br />

Prozessen und entlässt so verschiedene, sehr attraktive<br />

Substanzen und Aromen, die für den Whisky essenziell sind: Laktone,<br />

Zuckerstoffe, Vanillearomen und so weiter. Die prägen den<br />

Geschmack. Mittlerweile ist die Wissenschaft so weit, dass man die<br />

Art und Menge der Aromenstoffe, die man für einen Whisky «aktivieren»<br />

will, durch die Art und Dauer des Toastens und die Dicke und<br />

Struktur der Kohleschicht einigermassen steuern kann.<br />

~<br />

Lumsden steht auf, schlendert gemächlich zum Labortisch und holt<br />

ein Testglas mit einer klaren, durchsichtigen Flüssigkeit. Er reicht<br />

das Glas. «Riechen Sie mal!» Es steigt einem ein komplexer fruchtiger,<br />

aber scharfer Geruch in die Nase.<br />

~<br />

Das ist das reine Destillat. Es ist sehr klar. Sie werden es gemerkt<br />

haben! Whisky ist das noch nicht. Der entsteht eben durch die Fass-<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Geschmackssache <strong>Holz</strong> 9<br />

Die geheimnisvollen Ingredienzien<br />

des Bill Lumsden: Einblick in das<br />

Labor, Geburtsort experimenteller<br />

Whiskykreationen.<br />

Fotos: Stefan Walter<br />

reifung und die Lagerung. Denn nicht zu vergessen, auch die Luft<br />

im Lagerraum hat einen Einfluss auf den Whisky. Nicht nur das <strong>Holz</strong>.<br />

~<br />

Wieder geht er zum Regal und kommt mit einem Stück Fass zurück.<br />

~<br />

Dieses Fass haben wir vier Minuten lang ausgekohlt. So ist eine<br />

extrem dicke Kohleschicht mit einer Struktur entstanden, die an<br />

die Haut eines Alligators erinnert. Entsprechend haben wir auch<br />

den Whisky getauft: Ardbeg Alligator. Der Geschmack ist durch die<br />

extreme Auskohlung beeinflusst. Der Whisky ist extrem rauchig und<br />

torfig. Für den Glenmorangie dagegen konzentriere ich mich mehr<br />

auf das Toasten des Fasses, das durch die Aufbrechung eines<br />

Stoffes, den man Lignin nennt, ein grosses Spektrum an Vanillearomen<br />

kreiert.<br />

Bevor der Malt­Whisky ins Eichenfass geht, wird das Fass<br />

zunächst mit amerikanischem Bourbon­Whiskey gefüllt. Warum?<br />

Der Bourbon nimmt die ganze explosive Frische und aggressive<br />

Heftigkeit der aktivierten Aromen auf und die <strong>Holz</strong>igkeit raus. Wir<br />

benutzen die Fässer dann nur höchstens zwei Mal für unseren Whisky.<br />

Es ist wichtig, das beste <strong>Holz</strong> und frische Fässer zu haben, um<br />

einen komplexen, intensiven Whisky zu machen. Wir produzieren<br />

dafür die Fässer und vermieten sie an Hersteller von Bourbonund<br />

Tennessee-Whiskey wie Jack Daniel's. Die lagern dann erst<br />

mal ihren Bourbon-Whiskey darin, für vier Jahre. Dann kommen die<br />

Fässer zu uns.<br />

Sie benutzen für die Herstellung des Glenmorangie­Malts<br />

vor allem Weisseiche, die aus den Ozark­Bergen im zentralen Teil<br />

der USA stammt. Warum?<br />

Die Weisseiche hat eine grössere Weichheit im Geschmack, produziert<br />

mehr Lignin als beispielsweise die europäische Eiche, die mehr<br />

Tannine hat und so unter anderem eine schärfere Würze und Geschmacksintensität<br />

im Whisky bewirkt. Die Weisseiche schafft eine<br />

grössere Süsse, mit Geschmäckern von Karamell, Kokosnuss oder<br />

Mandeln. Die ist hilfreich für einen komplexen, eleganten Whisky,<br />

den ich bei Glenmorangie machen will. ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


10 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />

« Manchmal komme ich auf eine Idee,<br />

wenn ich einen speziellen Wein probiere<br />

oder ein bestimmtes Gericht esse.»<br />

Suchen Sie auch nach einer bestimmten Qualität von Bäumen<br />

bei der Produktion von Fässern?<br />

Ja. Ich brauche Bäume, die langsam gewachsen sind, die<br />

zwischen 80 und 200 Jahre alt sind, die hoch gewachsen sind, deren<br />

Jahresringe recht eng aneinander liegen. Das ist das bessere<br />

<strong>Holz</strong>. Denn die Gefässe eines Baumes, durch die Wasser und Nährstoffe<br />

transportiert werden, machen ein Fass undicht. Die Gefässe<br />

sind kleiner, wenn der Baum langsam und gleichmässig wächst –<br />

wenn er nicht so viel Sonne und Feuchtigkeit bekommt. Dann liegen<br />

die Jahresringe dichter beieinander. So bekommen wir Fässer mit<br />

einer grösseren Porosität und komplexeren Aromen. Das <strong>Holz</strong> reift<br />

richtig, wenn die Bretter nach dem Zuschneiden etwa zwei Jahre<br />

trocknen. Dann erst werden sie zu Fässern verarbeitet. Wir haben<br />

extra einen Förster in den USA, der für uns die richtigen Bäume<br />

aussucht.<br />

Sie haben Mitte der 1990er­Jahre das so genannte Finishing<br />

für den Whisky kreiert. Wie sind Sie darauf gekommen?<br />

Historisch gesehen wurde schottischer Whisky immer schon in<br />

Sherry-, Port- oder Weinfässern gereift. An einem gewissen Punkt<br />

begann der Weingeschmack im Whisky aber zu dominieren. Glenmorangie<br />

fing deswegen schon 1947 an, Bourbonfässer zu benutzen.<br />

Ich habe einfach die Idee weiterentwickelt, dass die Reifung<br />

in anderen Fässern dem Whisky einige besonders schöne<br />

Noten und Aromen hinzufügen kann. So entstand das Finishing.<br />

Der in Bourbonfässern gereifte Whisky wandert nochmals für zwei,<br />

drei Jahre in ein Wein- oder Sherryfass. Durch Versuche und Experimente<br />

habe ich so einige neue Geschmacksnuancen für Glenmorangie<br />

kreiert.<br />

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen neuen Whisky kreieren und<br />

auf die Idee kommen, ihn in Pedro­Ximenez­Sherry­Fässern<br />

zu «finishen»? Wie beim Glenmorangie Sonnalta beispielsweise.<br />

Da gibt es kein Rezept. Ich bin ein kreativer, ziemlich chaotischer<br />

Mensch und lass mich von allerlei Dingen inspirieren. Ich lese viel,<br />

bekomme Tipps von Leuten aus der ganzen Welt. Manchmal kommt<br />

mir eine Idee, wenn ich einen speziellen Wein probiere oder ein bestimmtes<br />

Gericht esse. Bei unserem «Signet» beispielsweise hatte<br />

ich die Idee, einen Whisky zu kreieren, der einen ähnlichen Prozess<br />

durchläuft wie die Kaffeebohnen beim Rösten. Wäre es also kein<br />

Spass, die gemälzte Gerste mit Kaffeebohnen zu rösten? Also habe<br />

ich ein paar Experimente gemacht. Dafür habe ich keine Kaffeebohnen<br />

benutzt, sondern dunkel geröstete Gerste, wie sie normalerweise<br />

für dunkle Stout-Biere verwendet wird. Dieser Whisky reifte<br />

14 Jahre. Als ich ihn dann probierte, war er zu stark. Aber dann hatte<br />

ich die Idee, dieses Produkt mit meinem Wissen von verschiedenen<br />

Hölzern zu vermählen. Dazu habe ich Weisseichenfässer benutzt,<br />

Sherryfässer, einige Fässer, die neu ausgekohlt wurden, dazu zwei,<br />

drei geheime Zutaten und einen Schuss sehr alten Whisky.<br />

Klingt sehr kompliziert.<br />

Ja, das war eine komplexe Idee. Häufig gehts auch leichter.<br />

Wie weit geht die wissenschaftliche Fundierung Ihrer Arbeit?<br />

Ist ein Whisky mehr ein wissenschaftliches oder ein intuitives<br />

Produkt?<br />

Es ist definitiv mehr eine Kunst, kombiniert mit Handwerk. Dem<br />

Kunden muss mein Whisky gefallen. Am Erfolg werde ich gemessen.<br />

Fehltritte darf ich mir nicht so viele erlauben. Wenn ich eine Idee<br />

habe und mein Destilleriemanager schüttelt bereits den Kopf, wenn<br />

ich ihm davon berichte, lass ich die Finger davon. Auf meinen Geschmack<br />

und meine Intuition muss ich mich jedoch verlassen können.<br />

Sie gelten aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit als<br />

«naughty professor» unter den Whiskymachern. Sind Sie schon<br />

mal mit Ihren <strong>Holz</strong>experimenten gescheitert?<br />

Ja! Ich habe mal versucht, einen Whisky in brasilianischem Kirschholz<br />

zu machen. Aber das war nichts. Ausserdem hat das der Schottischen<br />

Whisky-Assoziation nicht gefallen. Schliesslich habe ich da<br />

nicht ausschliesslich Eiche benutzt, was man nicht darf. Der Raum<br />

für Experimente ist aufgrund der strikten Gesetze recht eng. Und<br />

das ist gut so. Sonst würden immer verrücktere Ideen auftauchen,<br />

die dem Image des schottischen Malts schaden würden.<br />

Es soll Leute geben, die Whisky in Heringfässer gefüllt<br />

haben.<br />

Das ist albern. Das hat nun wirklich nichts mit Whisky zu tun.<br />

Glauben Sie, dass die Wissenschaft irgendwann mal so<br />

weit sein wird, alle chemikalischen Vorgänge, die im <strong>Holz</strong>fass<br />

ablaufen, entschlüsselt zu haben?<br />

Nein, das glaube ich nicht. Dafür ist die Fassreifung ein zu komplexer<br />

Prozess. Und ehrlich gesagt, wäre das sehr schade. Ich staune<br />

sehr häufig über das, was das <strong>Holz</strong> mit dem Whisky macht. Es ist<br />

einfach wunderschön. Whisky ist auch Magie. Das darf nicht verloren<br />

gehen. Ingo Petz<br />

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bringen.<br />

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Foto: Christian Grund<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Fühlungnahme <strong>Holz</strong> <strong>11</strong><br />

Dr. Baum<br />

Schon seit 45 Jahren befasst<br />

sich Matthias Brunner mit dem<br />

lebendigen <strong>Holz</strong>: dem Baum.<br />

Als Bub half er seinem Grossvater,<br />

die Wälder zu bewirtschaften.<br />

Heute führt er wenn nötig mit den<br />

Bäumen einen stillen Dialog –<br />

als ihr Doktor.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


12 <strong>Holz</strong> Fühlungnahme<br />

Instrumente für die Untersuchungen<br />

am Patienten (links). Muss dieser mit<br />

Wirkstoffen behandelt werden,<br />

kommt unter anderem die Spritze<br />

für den Baum zum Zug.<br />

«Können Sie sich eine menschgemachte Maschine vorstellen,<br />

die Tag und Nacht, Sommer und Winter arbeitet ? Die Blätter, <strong>Holz</strong>,<br />

Früchte, Blüten produziert ohne Benzin, Strom oder Gas? Ein riesiges<br />

Naturwunder. Bäume sind mir sehr nahe, ich empfinde grossen<br />

Respekt für sie, sie bedeuten mir Heimat. Schon als kleiner Bub<br />

bin ich gerne auf Bäume geklettert und habe Baumhütten gebaut.<br />

Sobald ich genug alt war, half ich meinem Grossvater, die Wälder zu<br />

bewirtschaften, später lernte ich auch das Handwerk, also beispielsweise,<br />

wie man eine Motorsäge bedient. Nach meinem Forstingenieurstudium<br />

assistierte ich an der Abteilung für <strong>Holz</strong>wissenschaften<br />

der ETH. In dieser Funktion suchte ich nach einer einfachen Methode,<br />

die es ermöglichte, 100 verschiedene südamerikanische <strong>Holz</strong>arten<br />

mit einer Lupe voneinander zu unterscheiden. Dieser starke<br />

Praxisbezug und dass die Funktionalität sofort überprüfbar war,<br />

haben mich dazu bewogen, meine Firma zu gründen.<br />

Als Einzelfirma arbeitete ich zu Beginn fast ausschliesslich direkt<br />

an den Bäumen. Ich beschnitt, fällte, pflanzte sie. Aber schon bald<br />

sah ich mich immer häufiger in der Rolle des Beraters, weil die Baumbesitzer<br />

die möglichen Pflegemassnahmen wissen wollten, bevor ich<br />

sie ergriffen hatte. Meine Neugier, den Baum und seinen Zustand<br />

besser zu verstehen, hat mich dazu getrieben, weltweit nach den<br />

besten Methoden zu suchen, die mir dabei weiterhelfen können.<br />

Mittlerweile unterstützt mich ein Team, sodass ich mich auf meine<br />

Bäume konzentrieren kann.<br />

Im stillen Dialog mit dem Patienten<br />

Nachts träume ich davon, den Bäumen das Laufen beizubringen,<br />

damit sie zu mir in die Praxis kommen können. Meine Patienten sind<br />

fest verwurzelt und immobil, darum gehe ich sie besuchen. Ich werde<br />

kontaktiert von Menschen, die einen Baum pflanzen möchten<br />

oder einen besitzen, mit dem etwas nicht stimmt. Oder sie denken,<br />

etwas würde mit dem Baum nicht stimmen. Ich vereinbare dann mit<br />

ihnen einen Termin, an dem ich die erste Konsultation vornehme.<br />

Menschliche Patienten können ihrem Arzt ihr Leiden beschreiben.<br />

Meine Sprechstunde hingegen hat mehr den Charakter eines Augenscheins:<br />

Ich schaue den Baum genau an – führe mit ihm einen stillen<br />

Dialog. Über Jahre hinweg habe ich die Fähigkeit trainiert und verfeinert,<br />

die Sicherheit des Baums aus seiner Körpergestalt zu lesen.<br />

Daran erkenne ich seinen aktuellen Zustand und er gibt mir damit<br />

Hinweise, die ich mit den vom Besitzer festgestellten Symptomen<br />

abgleiche. Beispielsweise findet dieser, dass der Baum schon im<br />

Juli oder August nicht mehr richtig grün sei. Dann äussert sich das<br />

am Baum durch Blattflecken oder -pilz, vielleicht auch durch Schädlinge<br />

auf den Blättern.<br />

Mit der Gesundheit hingegen ist die Vitalität des Baums gemeint.<br />

In ihr spiegelt sich primär der Stofftransport des Baums, der zwischen<br />

Rinde und <strong>Holz</strong> im Kambium stattfindet. Liegen in diesem<br />

Bereich keine speziellen Krankheiten vor, ist der Baum in der Regel<br />

voll belaubt und blüht normal. Wenn hingegen am Stamm, an einem<br />

einzelnen Ast oder schon bereits in den Wurzeln eine Störung besteht,<br />

wirkt sich das schnell aus. Manchmal finden auch Interaktionen<br />

zwischen der Körpergestalt und der Vitalität statt. So kann es<br />

vorkommen, dass ein vollgrüner Baum von einem Tag auf den andern<br />

umfällt, weil er innerlich von einem Pilz zerfressen worden ist, was<br />

aber von aussen für einen Laien nicht sichtbar war. Ich muss also<br />

bei meiner Arbeit auf unzählige Details achten: auf Beulen im Stamm,<br />

weil sich dahinter eine Fäulnis verstecken könnte, einen Rindenwulst,<br />

der darauf hindeuten könnte, dass sich ein Stamm langsam einseitig<br />

absenkt und ein Baum immer schiefer steht.<br />

Bei meinen Patienten messe ich auch Höhe und Brusthöhendurchmesser<br />

– und errechne daraus einen Bodymassindex. Beim<br />

Menschen leiten wir davon das Übergewicht ab, beim Baum ist es<br />

die erhöhte Bruchgefährdung des Stammes. Mit Hilfe dieser optischen<br />

Beurteilung und eines Gesprächs mit dem Besitzer kann ich<br />

Fotos: Christian Grund<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Fühlungnahme <strong>Holz</strong> 13<br />

dann eine Diagnose stellen und die Untersuchung abschliessen. Oder<br />

ich komme zum Schluss, dass die Defektsymptome messtechnisch<br />

untersucht werden müssen, damit ich weiss, ob der Patient gefährlich<br />

erkrankt ist oder nicht.<br />

Um die statischen Probleme genauer zu untersuchen, stehen mir<br />

verschiedene Messgeräte zur Verfügung. Der Fractometer und der<br />

Resistograph ermöglichen Punktmessungen, das heisst, an einer<br />

bestimmten Stelle im Baum führe ich eine Messung der physikalischen<br />

Eigenschaften durch. Der Resistograph ist der Fiebermesser, mit<br />

dem ich den Bohrwiderstand im Baum überprüfe und in einer Fieberkurve<br />

aufzeige. Mit dem Fractometer – einem <strong>Holz</strong>labor in Taschenformat<br />

– lassen sich die Bruchkräfte und -winkel im Baumstamm<br />

erkennen und mit den statisch erforderlichen Werten vergleichen.<br />

Wenn ich hingegen einen Bereich, einen Querschnitt oder eine<br />

Fläche im <strong>Holz</strong> messen will, benutze ich dafür den Ultraschall (siehe<br />

Foto rechts) oder die Widerstandstomografie, die wie ein Lügendetektor<br />

funktioniert. Manchmal täuscht die Baumkrone beste<br />

Gesundheit vor, obwohl das <strong>Holz</strong> faul ist. Mit Strom- und Spannungsmessungen<br />

bis 100 Volt können Wassergehalt, Zellaufbau<br />

und eingelagerte Stoffe gemessen werden. So erhalte ich wichtige<br />

Erkenntnisse über die <strong>Holz</strong>fäulen und ob diese für den Baum gefährlich<br />

sind.<br />

Fürsprecher für den Baum<br />

Sobald ich also meine Patienten untersucht habe, erstelle ich eine<br />

Diagnose. Der Besitzer des Baums soll ja wissen, ob überhaupt<br />

die Möglichkeit auf eine Therapie besteht oder nicht. Diese kann er<br />

teilweise sogar selber durchführen oder er erhält ein Rezept dafür.<br />

Gelegentlich reicht eine einfache Behandlung wie Krone zurückschneiden,<br />

Dürrholz entfernen oder Äste sichern. Manchmal hilft<br />

aber nichts mehr und der Baum muss gefällt werden. Eine andere<br />

Therapieform ist auch das Verabreichen von Wirkstoffen: Beispielsweise<br />

besteht ein biologischer Wirkstoff, der aus dem indischen<br />

Flieder gewonnen wird und den ich gegen Schädlinge einsetzen kann.<br />

Es kommt auch vor, dass ein Baum eine Vitaminspritze, also Nährstoffelemente,<br />

braucht. Damit blüht er dann wieder richtig auf – im<br />

wahrsten Sinn des Wortes.<br />

Bei der Behandlung mit chemischen Wirkstoffen wurden grosse<br />

Fortschritte erzielt: Es ist zum Beispiel nun möglich, den Schädling,<br />

der in ganz Europa die Braunverfärbung der Rosskastanienblätter<br />

verursacht, mit der Kleinstdosis einer Injektion zu bekämpfen.<br />

Meine Firma ist beteiligt an internationalen Forschungsprojekten<br />

zur Verbesserung der Baumgesundheit. Baummikroinjektionen haben<br />

den Vorteil, dass Wirkstoffe sehr lange wirken und Folgebehandlungen<br />

oft erst nach einigen Jahren nötig sind. Mit dem weltweiten<br />

Pflanzenhandel wurden in den letzten Jahren auch gefährliche<br />

Schädlinge und Krankheiten importiert. Die Schnelllebigkeit unserer<br />

Zeit widerspiegelt sich auch in der rasanten Vermehrung solcher<br />

Schadorganismen.<br />

Ich sehe mich als Fürsprecher für den Baum: Wo immer ich noch<br />

etwas für ihn tun kann, mache ich es. Zeigen die Untersuchungsergebnisse<br />

hingegen eine so starke Schädigung, dass der Baum zu<br />

einer Gefahr für die Umwelt wird, dann betrachte ich es auch als<br />

meine Aufgabe, dem Besitzer das klar zu sagen. Einen Baum fällen<br />

zu müssen, tut immer weh. Jeder Baum wird von Förster zu Förster<br />

weitergegeben, manchmal bis zu vier Generationen lang. Nun, die<br />

Arbeit mit meinen Patienten hat mich jedenfalls eines gelehrt: in<br />

anderen Zeitdimensionen zu denken.» Regula Brechbühl<br />

Der Ultraschall: Über temporär gesetzte Stifte<br />

werden Schallwellen ins <strong>Holz</strong> übertragen.<br />

Dieses Netz von Schallgeschwindigkeiten wird<br />

von einer Software farblich ausgewertet.<br />

Erreichen die Wellen nur noch Geschwindigkeiten<br />

von wenigen hundert Metern pro Sekunde,<br />

deutet das auf eine starke Fäulnis im Baum hin.<br />

Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Matthias Brunner AG Matthias Brunner und sein Team untersuchen<br />

die Gesundheit und Sicherheit von 4000 Bäumen pro Jahr.<br />

Die Firma berät Privatpersonen, Firmen, Städte und Institutionen<br />

unabhängig. Sie ist hauptsächlich in der Schweiz, aber auch<br />

international tätig. Auf der Website finden sich Erklärungen zu den<br />

Messgeräten und Informationen zum Angebot der Firma<br />

www.mbrunnerag.ch<br />

Ultraschall am Baum Der Film, der die messtechnische<br />

Unter suchung genau erklärt<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bulletin</strong>/Baumdoktor<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


14 <strong>Holz</strong> Hörprobe<br />

Fotos: Muster Mustermann | Muster Mustermann<br />

Xylaria<br />

longipes<br />

Ein Pilz soll das <strong>Holz</strong> für den Geigenbau so verändern,<br />

dass es schöner tönt – schöner als eine Stradivari.<br />

Der Wissenschaftler Francis Schwarze entfacht mit<br />

seiner Erfindung eine Diskussion: Ist für den Wohlklang<br />

nun das Rohmaterial oder die Kunstfertigkeit des<br />

Geigenbauers entscheidend?<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Hörprobe <strong>Holz</strong> 15<br />

Als Francis Schwarze den Klang im <strong>Holz</strong> für sich entdeckte, war<br />

ihm nicht klar, dass er einen Widerstreit zwischen nach Hightech<br />

strebenden Wissenschaftlern und der Tradition verpflichteten Handwerkern<br />

befeuern würde. Es war 1992, als der angehende Forstforscher,<br />

damals noch in Freiburg, Bäume vermass: Welche waren<br />

von Pilzen dermassen geschädigt, dass sie nicht mehr sicher standen?<br />

Mit seinem Diagnosegerät schickte er Schallwellen durch die<br />

Stämme und mass die Geschwindigkeit. Kaum ein Pilz entkam dem<br />

Lauschangriff, die meisten verrieten sich, weil sie durch ihr Zerstörungswerk<br />

den Schall bremsten. «Aber einige wenige schafften es,<br />

<strong>Holz</strong> abzutragen, ohne dass sich die Schallgeschwindigkeit verringerte»,<br />

erzählt Schwarze. Eine dieser Spezies sollte 17 Jahre später<br />

ihren grossen Auftritt haben.<br />

Denn als Francis Schwarze mit einem befreundeten Geigenbauer<br />

über die nagenden Pilze plauderte, war der gleich angefressen: «Geringe<br />

Dichte, hohe Schallgeschwindigkeit – genau solches <strong>Holz</strong> brauchen<br />

wir!» Könnten nicht die flauschigen Fungi das Rohmaterial für<br />

Instrumente veredeln wie einen Käse? Womöglich liesse sich gar mit<br />

ihrer Hilfe ein <strong>Holz</strong> herstellen, das dem nahe käme, das Antonio<br />

Stradivari verwendete. Der sei nämlich nicht nur kunstfertig, sondern<br />

auch vom Klima begünstigt gewesen, glauben einige Forscher: Während<br />

der kleinen Eiszeit von 1645 bis 1715 wuchsen die Bäume langsamer<br />

und gleichmässiger und brachten damit die perfekten Eigenschaften<br />

für Klangholz mit. Was für eine Sensation, könnte man<br />

heute ähnliches <strong>Holz</strong> mittels Biotechnologie produzieren!<br />

Mit seiner Entdeckung fachte der Forstexperte eine Diskussion<br />

ums <strong>Holz</strong> an: Wie wichtig ist es für den Wohlklang eines Musikinstruments,<br />

welchen unsichtbaren Beitrag leistet es zur Wärme oder<br />

Frische, die eine Geige ausstrahlt ? Ist es der entscheidende Faktor,<br />

ein Hightech-Material, das man extrem optimieren kann, bevor es<br />

ein Geigenbauer zu einem Instrument zusammensetzt ? So sieht es<br />

der Wissenschaftler Schwarze, der inzwischen bei der Eidgenössischen<br />

Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen<br />

forscht. Oder ist es schlicht ein Naturprodukt und die rein materielle<br />

Grundlage, aus welcher der Geigenbaumeister erst mit seiner<br />

Gabe und Erfahrung einen aussergewöhnlichen Klangkörper formt ?<br />

So sehen es der Geigenbauer Michael Rhonheimer aus Baden und<br />

viele seiner Kollegen. Gerade hat er die Mitglieder des Schweizer<br />

Verbands der Geigenbauer und Bogenmacher befragt: Höchstens<br />

zehn Prozent mache das Ausgangsmaterial am Endprodukt aus, meinen<br />

sie – die Kunst also sei fast alles. So wurde aus dem Experiment,<br />

das Schwarze plante, am Ende auch eines darüber, ob Materialkunde<br />

oder Baukunst den grösseren Einfluss auf den Klang einer Violine<br />

haben: Ausgerechnet mit Rhonheimer zusammen fertigte er eine<br />

pilzbehandelte Geige, die schliesslich gegen eine Stradivari antreten<br />

sollte. Doch davon war man damals noch weit entfernt.<br />

Foto: Christian Grund (13photo)<br />

Wie Zuckerwatte legte sich der Pilz um das <strong>Holz</strong><br />

Zunächst prüfte der Baumpathologe, nachdem er 2003 nach<br />

St. Gallen gekommen war, seine Idee im Labor: In den Klimaräumen<br />

der Empa setzte er Xylaria longipes, die er bei seinem Lauschangriff<br />

Jahre zuvor entdeckt hatte, auf feine <strong>Holz</strong>plättchen an. Wie ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


16 <strong>Holz</strong> Hörprobe<br />

Die Langstielige Ahornholzkeule,<br />

Xylaria longipes, empfiehlt sich nicht auf<br />

dem Teller. Sie lebt auf abgestorbenen,<br />

berindeten Ästen von Bäumen wie Eiche,<br />

Ahorn oder Buche.<br />

Die gezüchteten Pilzsporen<br />

in der Flüssigkeit.<br />

Zuckerwatte legte sich der Pilz ums <strong>Holz</strong>, drang mit seinen fadenförmigen<br />

Zellen hinein und setzte Enzyme frei, welche die Wände<br />

der <strong>Holz</strong>zellen abtrugen. Doch Xylaria kümmert sich nur um Laubbäume<br />

wie den Ahorn, aus dem der Boden einer Geige gefertigt<br />

wird. Decke und Zargen werden dagegen aus Fichte hergestellt. Der<br />

Forscher musste nach einem weiteren Helfer fahnden. Er fand ihn<br />

bei seiner alltäglichen Arbeit. Dort setzte er einen Pilz ein, um Fichtenlatten<br />

empfänglicher für Schutzmittel zu machen. Auch dieser<br />

nagt die Wände der <strong>Holz</strong>zellen dünn – Schwarze hatte seinen Versuchskandidaten:<br />

Physisporinus vitreus. Nun begann in den Klimakammern<br />

auch Fichtenholz kontrolliert vor sich hin zu schimmeln.<br />

Traditionell besorgen sich Geigenbauer ihr <strong>Holz</strong> von Klangholzhändlern,<br />

manch einer sucht sich gar seinen eigenen Baum. Schon<br />

im Wald entscheiden viele Faktoren darüber, ob das <strong>Holz</strong> einmal<br />

schön tönt, erklärt der Forstingenieur Philippe Domont aus Zürich:<br />

«Der Baum muss regelmässig gewachsen sein, kein Drehwuchs,<br />

keine Äste auf den unteren Metern.» Domont weiss, worauf es<br />

ankommt, schliesslich war er Berufsgeiger bei der Basel Sinfonietta<br />

und spielt noch im Alumni Sinfonieorchester Zürich. Und er hat sich<br />

selbst eine Geige gebaut. «Ruhig muss das <strong>Holz</strong> sein», sagt<br />

der Ingenieur und Violinist. Solches <strong>Holz</strong> findet sich vor allem im<br />

Gebirge, wo die Bäume langsamer wachsen. Gleichzeitig lauern<br />

ausgerechnet dort Gefahren: «Steinschlag kann das <strong>Holz</strong> verletzen,<br />

und um der Belastung durch Gefälle standzuhalten, bilden Bäume<br />

spezielles Druckholz. Das eignet sich nicht.» Und dann spielt auch<br />

noch der Förster eine Rolle. Er sollte nur sanft durchforsten und<br />

verjüngen, sagt Domont: «Sonst bekommen manche Bäume plötzlich<br />

viel mehr Licht und deshalb einen Wachstumsschub.» Das ist<br />

das Aus für einen Tonbaum.<br />

Auch der Geigenbauer Michael Rhonheimer ist immer wieder im<br />

Wald unterwegs. Schon lange beobachtet er zwei vielversprechende<br />

Fichten, irgendwo in einem Bündner Bergtal. Noch dürfen sie weiterwachsen,<br />

denn das Lager über seiner Werkstatt in der alten Badener<br />

Waschmaschinenfabrik ist übervoll. «Man muss das <strong>Holz</strong> finden, das<br />

zu einem passt», sagt Rhonheimer. «Es gibt nicht das optimale Klangholz<br />

für alle Geigenbauer.»<br />

Alte Meister experimentierten mit Silikaten und Pferdeurin<br />

Und doch verlassen sich die Instrumentenfabrikanten nicht allein auf<br />

die sorgfältige Auswahl des Naturprodukts. «Schon immer haben<br />

Geigenbauer versucht, das <strong>Holz</strong> zu verbessern», erzählt Rhonheimer.<br />

«Stradivari hat ganz sicher mit Silikaten, Öl und Terpen gearbeitet.»<br />

Auch Dämpfe von Pferdeurin sollten das <strong>Holz</strong> oxidieren und so künstlich<br />

altern lassen. Heutzutage bearbeiten Rhonheimer und seine<br />

Kollegen das Rohmaterial mit Ozon oder UV-Licht. Immer gehe es<br />

darum, das Lignin kristallisieren zu lassen, sodass das <strong>Holz</strong> härter<br />

wird, erklärt er: «So hat der Musiker einen leichteren Zugang zu den<br />

Schwingungen des Instruments.»<br />

Trotz aller Tricks – als der Empa-Forscher Francis Schwarze dem<br />

Geigenbauer bei einer zufälligen Begegnung von seiner Spezialbehandlung<br />

erzählte, traute der seinen Ohren nicht: «Pilze! Da dachte<br />

ich erst: Das ist doch Blödsinn. Und ausserdem stinkt es!» Letzteren<br />

Einwand konnte der Baumpathologe schnell entkräften: «Natürlich<br />

sterilisieren wir das <strong>Holz</strong> nach der Behandlung. Da gammelt nichts<br />

mehr, und stinken tut es auch nicht.» Zudem konnte der Wissenschaftler<br />

Messwerte vorweisen: Rohdichte, Biegesteifigkeit, Schallgeschwindigkeit,<br />

Dämpfungsfaktor – das war kein Blödsinn, das<br />

waren Belege. Der Geigenbauer erklärte sich schliesslich zu einem<br />

Versuch bereit und rückte Testholz heraus.<br />

Von da an übernahmen Xylaria longipes und Physisporinus vitreus<br />

die Arbeit, für sechs bis neun Monate. Dann machte sich Rhonheimer<br />

ans Werk, fertigte drei Violinen aus dem behandelten und zwei<br />

aus unbehandeltem <strong>Holz</strong> derselben Charge. Ostern 2009 dann die<br />

erste Spielprobe im Badener Atelier: Der Wissenschaftler Schwarze<br />

war «emotional berührt», sagt er. «Sonst stellt man in der Forschung<br />

Arbeitshypothesen auf, verifiziert oder falsifiziert sie und publiziert<br />

das Ergebnis. Diesmal konnte ich es hören!» Obwohl die Violinen<br />

noch nicht lackiert waren, habe er deutlich den Unterschied wahr-<br />

Fotos: blickwinkel/H. Schmidbauer | Christian Grund | Christian Grund (13photo) | Andy Mueller/EQ Images<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Hörprobe <strong>Holz</strong> 17<br />

Die pilzbehandelte Geige der Empa (links). Geigenbauer Michael Rhonheimer<br />

(rechts) ist überzeugt: «Man muss das <strong>Holz</strong> finden, das zu einem passt.<br />

Es gibt nicht das optimale Klangholz für alle Geigenbauer.»<br />

genommen: «Die behandelte Geige klang viel wärmer und runder.»<br />

Der Geigenbauer indes war noch nicht überzeugt. Doch es standen<br />

ja noch einige Arbeitsschritte aus – und das grosse Experiment: der<br />

Blindtest Pilzholz gegen Normalholz, Rhonheimer gegen Stradivari.<br />

Im Blindtest: Geige aus Pilzholz gegen Stradivari<br />

Ein halbes Jahr später waren die Violinen einsatzbereit und der Versuchsaufbau<br />

perfekt. Der britische Stargeiger Matthew Trusler war<br />

engagiert worden, um den Klang der pilzveredelten Instrumente zu<br />

prüfen – und mithin den Streit zwischen Materialkunde und Baukunst<br />

zu entscheiden. Fünf Violinen sollte er spielen, für das Publikum nur<br />

als Schatten hinter einem Vorhang sichtbar: zwei behandelte, zwei<br />

unbehandelte und seine eigene, eine Stradivari aus dem Jahr 17<strong>11</strong>.<br />

Eine Fachjury und 180 Zuhörer sollten abstimmen. Welche Geige<br />

klingt am schönsten? Und welche ist wohl die Stradivari?<br />

Gelassen sei er in das Experiment gegangen und mit wissenschaftlicher<br />

Skepsis, erzählt Schwarze: «Ich hatte ja schon meine<br />

Hypothese verifiziert. Und Klangqualität kann man eigentlich nicht<br />

in einem Blindversuch testen, das ist sehr subjektiv.» Dann war es<br />

endlich soweit: Trusler setzte die erste Geige an, hob den Bogen,<br />

und der 2. Satz aus Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert e-Moll<br />

Opus 64 erklang. Anschliessend ein Ausschnitt aus Tschaikowskis<br />

Violinkonzert D-Dur Opus 35. Hinterher die zweite, dritte, vierte,<br />

fünfte Geige. «Bei der dritten dachte ich, das muss die Stradivari<br />

sein», erinnert sich Schwarze. Das dachten auch die meisten anderen<br />

Zuhörer.<br />

Schliesslich wurde der Vorhang und damit das Geheimnis gelüftet:<br />

Geige Nummer drei war die «Opus 58» von Michael Rhonheimer, pilzbehandelt<br />

von Francis Schwarze. 90 Zuhörer hatten ihren Klang am<br />

schönsten gefunden, nur 39 stimmten für die Stradivari. «Sprachlos»<br />

war da der Forscher, sagt er. Und er ist sich nun sicher, dass es tatsächlich<br />

entscheidend auf die <strong>Holz</strong>qualität ankommt. Der Geigenbauer<br />

Rhonheimer interpretiert das Testergebnis auf seine Weise:<br />

«Ich bin froh, dass ich da nicht ganz flach rausgekommen bin. Das<br />

zeigt, dass sich der moderne Geigenbau mit den alten Meistern messen<br />

kann.» Von der Pilzmethode ist er indes immer noch nicht überzeugt:<br />

«Es muss sich erst zeigen, wie lange diese Geigen halten.<br />

Und ob es nicht ein Zufallsresultat war.»<br />

Den Zufall möchte auch der Wissenschaftler Schwarze gern ausschliessen,<br />

reproduzierbar soll das Ergebnis sein. Deshalb plant er<br />

eine weitere, umfangreiche Testreihe, 50 Geigen sollen gebaut und<br />

genauestens vermessen, die Methode verfeinert werden. «In Zukunft<br />

können sich auch junge Musiker eine Geige mit der Klangqualität<br />

einer Stradivari leisten», hofft der Forscher. Ein Nachwuchstalent ist<br />

jedenfalls schon äusserst interessiert: Als Schwarzes Tochter eine<br />

Schülervioline von einem Geigenbauer auslieh, bot der an, dass die<br />

Eltern später bei ihm günstig eine grosse Geige kaufen könnten.<br />

«Nein», sagte da die Achtjährige bestimmt. «Dann will ich eine Pilzgeige<br />

von Papa!» Der Meister war weniger begeistert. Stefanie Schramm<br />

Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Film: Die Entstehung von «Opus 58» Ein 52-minütiger Film<br />

nimmt die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise durch<br />

die Entstehungsgeschichte der Geige von Francis Schwarze<br />

und Michael Rhonheimer. Den Trailer dazu finden Sie auf<br />

www.stradivari.tv Trailer<br />

Wettbewerb: Gewinnen Sie einen von drei Filmen!<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bulletin</strong>/stradivari<br />

Hörproben auf dem iPad: Hören Sie sich den Klangunterschied<br />

zwischen der pilzbehandelten und den anderen Geigen an.<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


Hören Sehen Riechen


Rubbeln Sie an<br />

diesem Baum.


24 <strong>Holz</strong> Duftnote<br />

Der Duft des<br />

<strong>Holz</strong> ist Materie, <strong>Holz</strong> ist Werkstoff. Es ist<br />

formbar, belastbar, brennbar. Aber nie<br />

«hölzern», denn es lebt. Es hat eine Stimme,<br />

einen reifenden Körper – und einen Geruch.<br />

<strong>Holz</strong>noten würzen Weine oder Parfums,<br />

wirken auf unser Wohlbefinden oder transportieren<br />

Erinnerungen. Und verblasst oder<br />

fehlt dieser Duft, baut man ihn künstlich nach,<br />

denn: Sinnlichkeit «sells».<br />

<strong>Holz</strong>es<br />

<strong>Holz</strong> lebt: Es knackt und knarrt. <strong>Holz</strong> arbeitet: Es verändert seine<br />

Form. <strong>Holz</strong> riecht: Es verströmt Aromen. Und diese lassen uns nicht<br />

kalt. Sie wirken auf unser Wohlbefinden, lösen Assoziationen aus,<br />

werden zur Zeitmaschine. Der Geruch von frisch geschlagenem<br />

<strong>Holz</strong> rückt uns den Herbst ins Bild, das Sägewerk, die Scheiter für<br />

den Ofen. Aber auch der Geruch alten <strong>Holz</strong>es löst Emotionen und<br />

Vorstellungen aus: In der «Ode an den Duft des <strong>Holz</strong>es» preist der<br />

chilenische Dichter Pablo Neruda die «balsamische Dunkelheit»<br />

seines Hauses in Isla Negra an der Pazifikküste bei Valparaíso:<br />

«Sichtbar war der Duft, / als / lebte noch / der Baum. / Als zuckte<br />

da sein Herz.»<br />

Man muss freilich kein Literaturnobelpreisträger sein, um mit<br />

Gerüchen bestimmte Erlebnisse und Emotionen zu assoziieren. Wir<br />

können gar nicht anders, dieser Reflex liegt in unserer Natur: Düfte<br />

gelangen in das limbische System des Gehirns, das unsere Gefühle<br />

steuert. Und sie bleiben gespeichert – dauerhaft, bildhaft. Wie der<br />

Geschmack eines in Tee getunkten Madeleine-Küchleins, der in<br />

Marcel Prousts Romanwelt ferne Kindestage wiederauferstehen<br />

lässt. Ja, auch Gerüche bringen die «verlorene Zeit» zurück. Mancher<br />

Duft hat sich gar ins kollektive Gedächtnis eingeprägt: Die komplexe<br />

Note sonnengewärmter Badekabinen beschwört Szenen sommerlicher<br />

Unbeschwertheit herauf; der Geruch von Spitzerabfall katapultiert<br />

uns zurück in die Schulbank. Erwärmtes <strong>Holz</strong> duftet intensiv,<br />

verkohltes tut das Gegenteil: Aktivkohle ist ein bewährter Geruchsbinder<br />

– in der Wundmedizin wie im Luftfilter.<br />

Gerüche eignen sich als Medium für Corporate Design<br />

Gerüche sind untrennbar verbunden mit Dingen, Orten, Ereignissen.<br />

Anders gesagt: Sie bilden ein hervorragendes Medium für emotionale<br />

Bindung und Branding. Der Marketingfachmann würde von<br />

«Corporate Air» sprechen. Selbst Religionen nutzen dieses Potenzial:<br />

Sandelholzöl würzt nicht nur Männerparfums, sondern gehört auch<br />

zu den Riten der Buddhisten wie Weihrauch zu den Liturgien der<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Duftnote <strong>Holz</strong> 25<br />

Illustration: Regina Vetter<br />

Katholiken und Orthodoxen. Der weihevolle Rauch hat zudem einen<br />

desinfizierenden Effekt: Diese Funktion erfüllte auch das kolossale<br />

Weihrauchfass (Butafumeiro) in der Kathedrale von Santiago de<br />

Compostela, als die Pilger noch im Dom assen und schliefen.<br />

Duftdesign sorgt für Wohlfühlfaktor und steigende Umsätze<br />

Menschenmassen belasten natürlich auch das Klima profaner Räume.<br />

Dank spezieller Technologien bleibt die Luft in Metros, Kaufhäusern<br />

oder Flughäfen, in Hotels oder Büros atembar. Dass man sie auch<br />

designen kann, hat die Zunft der Dufthersteller längst entdeckt.<br />

Ihr Angebot reicht von Mood- und Environ-Aromen über Air-Marketing<br />

und Scent-Branding bis zu Luftmanagement. Allein: Luftgeschäfte<br />

sind das allesamt nicht! Denn der kommerzielle Nutzen<br />

von Düften ist evident. Ihre Verbreitung über Duftsäulen, Klimaanlagen<br />

oder parfümierte Objekte ist üblich und, wie vieles im Leben,<br />

eine Frage von Mass und Qualität. Wohliger Raumgeruch hält uns<br />

länger in Konsumtempeln und steigert unsere Kaufbereitschaft, hat<br />

Anja Stöhr, Marketingprofessorin in Dresden, schon 1998 nachgewiesen<br />

(«Air-Design als Erfolgsfaktor im Handel»). Auch die Düsseldorfer<br />

Aromakologin Diotima von Kempski erforscht unsere Reaktion<br />

auf Gerüche: «Olfaktorisches Wohlbehagen», so Kempski, stellt<br />

sich ein, wenn gereinigte Luft so angereichert wird, dass sie einer<br />

«naturbelassenen Aussenluft» gleicht. Zwischen diesem puristischen<br />

Ideal und der olfaktorischen Attacke eines Auto-Duftbaums liegen<br />

allerdings Welten.<br />

Stichwort Auto: Ein luxuriöser Neuwagen verströmt auch einen<br />

edlen Duft. Jedoch: «Nach rund einem Jahr ist es damit vorbei.<br />

Im exklusiven Geländewagen riecht es dann vielleicht nach dem<br />

Jagdhund», erklärt Jens E. Reissmann, Geschäftsführer des Hannoveranischen<br />

Unternehmens «Reima AirConcept». Die Firma bietet<br />

Abhilfe: «Ein bis zwei Spritzer unseres Autoparfums auf die Fussmatte,<br />

und der Wagen riecht wieder wie neu. Nicht für Jahre, aber bestimmt<br />

für die Fahrt mit dem Geschäftspartner.» Und wie riecht das<br />

Autoparfum? «Nach Leder und Walnussholz.» Die Duftkomposition<br />

werde auch bei der «Aufbereitung von Gebrauchtwagen» eingesetzt.<br />

«<strong>Holz</strong>noten», ergänzt Jens Reissmann, «passen perfekt zu einem<br />

konservativen, traditionsreichen Unternehmen, zur holzvertäferten<br />

Chefetage.» Und der kleine Angestellte? Stimmt es, dass Piniendüfte<br />

die Leistungsfähigkeit im Büro fördern? «Mit dem harzigen<br />

Kiefernduft assoziiere ich eher ein Gesundheitsbad», winkt Reissmann<br />

ab. Peter Hampel, Geschäftsführer des Zwickauer Unternehmens<br />

The Olfactory, hat fürs Büro den <strong>Holz</strong>spanduft entwickelt: «Das<br />

Büro wird immer mehr zum Lebensmittelpunkt. Mit dem Duft von<br />

frisch geschnittenem <strong>Holz</strong> steigt das Wohlbefinden und mit ihm die<br />

Leistung.» Damit lassen sich auch versiegelte (und dadurch geruchlose)<br />

Echtholzmöbel beleben. Das versiegelte <strong>Holz</strong> edler Yachten<br />

bereite andere Probleme: Die witterungsbeständige ständige Schutzschicht<br />

verströmt einen unangenehmen Geruch. «Den neutralisieren wir<br />

durch Zedernholzduft. Wir haben ihn sogar in den Werftprospekt<br />

eingearbeitet», erläutert Peter Hampel.<br />

Der Duft des herbstlichen Bergwalds kommt aus dem Labor<br />

Das ätherische Öl der Zeder kann noch mehr, es vertreibt Motten.<br />

Namentlich jenes der Atlas-Zeder oder das Virginia-Zedernöl, präzisiert<br />

Roman Kaiser. Der renommierte Chemiker leitete bis vor Kurzem<br />

die Abteilung Natural Scents von Givaudan, dem Schweizer<br />

Weltmarktführer für Riechstoffe und Aromen. Kaiser zog mit seiner<br />

legendären Saugglocke rund um den Erdball, fing damit Tausende<br />

von Pflanzen- und <strong>Holz</strong>düften ein, analysierte sie im Labor, baute<br />

sie synthetisch nach und komponierte damit Neues. Zum Beispiel<br />

den hochkomplexen Akkord Swiss Mountain Forest. «Das ist die<br />

Rekonstitution des Umgebungsduftes, wie Sie ihn in einem aus<br />

Lärchen und Zirben (Arven) bestehenden Bergwald, zum Beispiel<br />

im Engadin, an einem sonnigen Oktobernachmittag wahrnehmen<br />

können», erklärt Roman Kaiser; die Sonne wärme das Baumharz<br />

und entlocke ihm eine Moschusnote. Swiss Mountain Forest gibt<br />

Männerparfums eine perfekte warme <strong>Holz</strong>note. Selbiges gilt für den<br />

synthetischen Einzelduftstoff Georgywood von Givaudan: Roman<br />

Kaiser konnte auf dieser Basis den Duft des tropischen Wacapou-<br />

<strong>Holz</strong>es aus Französisch-Guayana nachbilden; seine Note ist im Parfum<br />

«Romance» von Ralph Lauren oder im «Eau d’Amazonie» von<br />

Balmain enthalten. «Ich konnte auch die frische, vitalisierende <strong>Holz</strong>note<br />

des Okoumé-Baums aus Gabun herstellen», so der Chemiker.<br />

«Sie steckt etwa in ‹Rush for Men› von Gucci.»<br />

<strong>Holz</strong>duft schönt Parfums, Weine, Autos oder Büros. Seine Räuchernote<br />

weiht Räume und würzt Fleisch. Stets aber hängen Duftvorlieben<br />

von Kultur, Individuum und Zeitgeist ab. Exotisches zieht<br />

an, Heimisches auch: «Alpen-Menschen» reagieren offenbar äusserst<br />

positiv auf ihren alpinen Weihrauch: So nämlich riecht, nach Roman<br />

Kaiser, das Zirbenholz.<br />

Ingeborg Waldinger<br />

Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Riechen Sie den Duft von frisch geschnittenem <strong>Holz</strong><br />

Blättern Sie zurück zum Panoramabild und tauchen Sie mit allen<br />

Sinnen ein in die Welt des Waldes. Seite 18<br />

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26 <strong>Holz</strong> Seetest<br />

Foto: Christian Grund<br />

In Sutz-Lattrigen am Bielersee siedelten zwischen rund 3850 und 850 v. Chr. verschiedene Pfahlbauerkulturen. Ein von Albert Hafner geleitetes<br />

Unterwasser-Archäologieteam untersucht seit 1988 deren gefährdete Hinterlassenschaft in einer permanenten Rettungsgrabung.


<strong>Holz</strong> 27<br />

Das <strong>Holz</strong> erzählt uns vom Leben der Ahnen.<br />

Sie bebauten – schon vor über 6000 Jahren –<br />

auch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz<br />

Äcker mit Hartweizen, Emmer, Gerste<br />

oder Einkorn und züchteten Rinder, Schweine,<br />

Schafe, Ziegen. Spektakulär klingt das<br />

nicht. Doch in einer schriftlosen Kultur besitzen<br />

Sensationen ihre eigenen Definitionen.<br />

Und noch bleiben viele Rätsel im Boden<br />

verborgen und warten auf Entschlüsselung.<br />

Waren die Pfahlbauer etwa doch die<br />

Ur-Helvetier?<br />

Seetest<br />

Das unsichtbare<br />

Weltkulturerbe<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


28 <strong>Holz</strong> Seetest<br />

«Es war an einem sonnigen Frühjahrsvormittag. Da wurde es<br />

plötzlich sehr unruhig am untern Ende des Moos-Sees. Am Rande<br />

der Lichtung gegen Sonnenaufgang sah der Bär eine Bewegung in<br />

den Haselbüschen. Aus dem Dickicht traten aufrechte Gestalten,<br />

die nicht wie die Tiere behaart waren. An den Füssen klapperten<br />

<strong>Holz</strong>brettchen, wenn sie über die Steine des Bachbettes schritten.»<br />

So lesen wir in Hans Zulligers Heftchen «Die Pfahlbauer am Moossee»<br />

des Schweizerischen Jugendschriftenwerks SJW. Auch wir<br />

werden unruhig. Es beginnt die doppelte Reise in die Vergangenheit.<br />

In die eigene Kindheit zunächst. Wiederum versinkt man in die Geschichte<br />

des kleinen Ra, der bewundernd aufblickt zu seinen Brüdern<br />

Serr und Witt, bereits erfahrene Jäger, und zu seinem Vater, dem<br />

weisen Häuptling Hatt. Die Zeitreise nimmt Fahrt auf. 6000 Jahre<br />

zurück. Schon sind wir mitten drin in der Steinzeit, im Neolithikum.<br />

«Die Pfahlbauer am Moossee» seien jahrzehntelang ein Bestseller<br />

gewesen, erzählt Verlagsleiterin Margrit Schmid. Insgesamt habe<br />

SJW rund 800 000 Exemplare verkauft. Und nun, mit der Aufnahme<br />

der Pfahlbauten des Alpenraums in das Welterbe der UNESCO im<br />

Sommer 20<strong>11</strong>, habe das Thema eine neue Aktualität bekommen.<br />

Man lege die Schrift allerdings nicht mehr auf, weil zu vieles darin<br />

aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar sei. Sie hoffe, es<br />

finde sich jemand, der diese Geschichte neu erzähle.<br />

Die Notgrabung in Moosseedorf liefert neue Erkenntnisse<br />

Die Pfahlbauten am Moossee gibt es tatsächlich, und Cernunnos<br />

oder irgendein anderer Gott will es, dass genau in diesen Tagen in<br />

Moosseedorf wieder gegraben wird. «Eine Notgrabung», wie Albert<br />

Hafner vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern betont. «Das<br />

Strandbadgebäude wird einige Meter landeinwärts verlegt. Deshalb<br />

untersuchen wir das Gelände, bevor es überbaut wird und die darin<br />

liegenden prähistorischen Zeugnisse unwiderruflich verloren gehen.»<br />

Im Normalfall aber werden heute die Überreste der Pfahlbauzeit im<br />

See- oder Moorboden belassen und bestmöglich vor weiterer Zerstörung<br />

durch Erosion oder Absinken des Grundwasserspiegels geschützt<br />

– das gilt auch für das eigentliche Pfahlbaudorf am Moossee,<br />

das sich unter der Liegewiese befindet.<br />

Mit anderen Worten: Von den Pfahlbauten sieht man im Normalfall<br />

nichts. «Wir bewahren bewusst Fundstellen für die folgenden<br />

Generationen, denn die wissenschaftlichen Methoden werden immer<br />

besser und genauer. Das UNESCO-Label dient vor allem dem Schutz<br />

der Fundstätten», erklärt Hafner, der als Vorstandsmitglied des Vereins<br />

Palafittes einer der Initianten der Kandidatur gewesen ist. «Bei<br />

rund 500 Fundstätten in der Schweiz und nochmals 500 Fundstätten<br />

in den übrigen alpinen Pfahlbaunationen Deutschland, Österreich,<br />

Frankreich, Italien und Slowenien finden aber auch so noch genügend<br />

Grabungen statt, um unser Wissen zu erweitern. Vorausgesetzt,<br />

wir finden Zeit, die Funde wirklich auszuwerten.»<br />

Am Moossee steht ein bescheidenes Zelt. Die Archäologen darin<br />

graben und schaben wie unermüdliche Ameisen. Ein Wettlauf mit<br />

der Zeit, der Baubeginn drängt. Die Neuzeitmenschen wollen baden.<br />

Inmitten des viereckigen Erdlochs ein paar Eschenstämme. Ein prähistorischer<br />

Prügel-oder Knüppelweg. Die Augen des Archäologen<br />

verraten: Das ist etwas Besonderes. Doch es kommt noch besser:<br />

ein paar dünne Haselstangen im Boden, dicht an dicht. «Eine Palisade,<br />

die vermutlich mit Torfsoden, Längshölzern und Gestrüpp zu<br />

einem Wall ausgebaut wurde», führt Hafner aus. «Sie stammt aus<br />

der Zeit um 3800 vor Christus. Denkbar ist, dass diese Anlage vor<br />

überraschendem Eindringen und Überfällen durch feindliche ><br />

Ein wichtiges Arbeitsinstrument der Archäologen:<br />

Ein grosser Teil der noch bestehenden<br />

<strong>Holz</strong>konstruktionen aus der Pfahlbauzeit<br />

befindet sich unter Wasser. Bei der Untersuchung<br />

wird oft auch Schlamm aufgewirbelt.<br />

Die hölzernen Relikte sind der Schlüssel zur<br />

nach wie vor geheimnisumwitterten Welt<br />

unserer Vorfahren. Mit jeder archäologischen<br />

Untersuchung wird unser Bild genauer und<br />

menschlicher – aber auch ein bisschen weniger<br />

abenteuerlich und romantisch.<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Seetest <strong>Holz</strong> 29<br />

Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht<br />

glauben möchte: Die Dendrochronologie, die<br />

Analyse der Jahrringabfolge, erlaubt bei<br />

bestimmten <strong>Holz</strong>arten eine auf das Jahr genaue<br />

Datierung – in der Schweiz bis 8480 v. Chr.<br />

zurück.<br />

In den 1860er­Jahren fanden am Moossee<br />

bedeutende Grabungen statt – bis vor Kurzem<br />

wusste man aber nicht mehr, wo genau die<br />

Pfahlbausiedlungen zu lokalisieren waren. Die<br />

exakte Vermessung jedes einzelnen Schrittes<br />

ist die Basis wissenschaftlicher Erkenntnis.<br />

Fotos: Christian Grund | Laténium<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


30 <strong>Holz</strong> Seetest<br />

Chronologiestrahl Die ersten Ackerbauern und Viehzüchter nördlich der Alpen, und damit auf<br />

dem Gebiet der heutigen Schweiz, lebten um 4300 v. Chr., südlich der Alpen etwas früher.<br />

Die so genannte neolithische Revolution begann aber schon vor rund 10 000 Jahren im Nahen Osten.<br />

8000<br />

Ackerbau und Viehhaltung<br />

im Nahen Osten<br />

Domestizierte Schweine<br />

7000<br />

Domestizierte Rinder<br />

Erste Keramik<br />

6000<br />

Ackerbau und Viehhaltung<br />

in der Schweiz<br />

Erstes Kupfer<br />

5000<br />

Erste Seeufersiedlungen<br />

Erste Städte in Mesopotamien<br />

4000<br />

Erste Schrift in Sumer<br />

Erstes Rad<br />

3000<br />

Pyramiden von Giseh<br />

Mesolithikum<br />

Neolithikum<br />

Die Pfahlbauer in der Schweiz<br />

benachbarte Gruppen schützten. Ob und wie oft es echte kriegerische<br />

Auseinandersetzungen gegeben hat, wissen wir nicht. Doch<br />

die romantische Vorstellung von den friedliebenden Pfahlbauern<br />

müssen wir vermutlich begraben. Ich gehe davon aus dass es bereits<br />

damals Formen von Menschenraub und Sklaverei gegeben hat.»<br />

Ein paar Schritte abseits eine weitere hölzerne Rarität: ein knapp<br />

sechs Meter langer Einbaum, zerbrochen allerdings. «Vielleicht ergibt<br />

die Untersuchung an der ETH Zürich, dass wir es hier mit dem ältesten<br />

Schiff der Schweiz zu tun haben», spekuliert der Archäologe.<br />

Die komplexe Konservierung wird später von Spezialisten vorgenommen.<br />

Wo aber der Einbaum in der Neuzeit konkret anlegen wird, ist<br />

derzeit noch völlig offen. Die wenigen archäologischen Museen<br />

kämpfen mit Platznot. Ein besonders stattlicher Einbaum mit einer<br />

Nutzlast von rund 400 Kilogramm, gefunden auf der St. Petersinsel<br />

im Bielersee, befindet sich deshalb noch ausserhalb des Kantons<br />

Bern im Schweizerischen Verkehrsmuseum in Luzern.<br />

Die Pfahlbauer sind mobil. Dies belegen nicht nur die bis zu zwölf<br />

Meter langen Einbäume, sondern auch Rad und Wagen. Ab 3000<br />

v. Chr. erleichtern diese, von Rindern gezogen, den Transport von<br />

Baumaterial und Landwirtschaftsgütern; ab etwa 2000 v. Chr. kommt<br />

zusätzlich das Pferd als Last-, aber auch als Reittier zum Einsatz.<br />

«In Vinelz fanden wir ein Rad aus Ahornbrettern und mit Einschüben<br />

aus Esche. Vermutlich gehört das Rad zu einem zweirädrigen Gefährt»,<br />

berichtet Albert Hafner. Einmal mehr fällt auf, wie gezielt die<br />

Pfahlbauer die verschiedenen <strong>Holz</strong>arten eingesetzt haben.<br />

Die Jahrringe der Eiche sind hölzerne Fingerabdrücke<br />

Natürlich wird es Zeit zu erklären, wieso die Archäologen ihre Zeitreise<br />

heute bis aufs Jahr genau datieren können: Die Pfahlbauforschung<br />

beginnt 1854 mit der Untersuchung der wegen Tiefstand<br />

des Zürichsees neu entdeckten Pfahlfelder in Meilen durch Ferdinand<br />

Keller, doch rund 100 Jahre lang können die Wissenschaftler<br />

das Alter der prähistorischen Fundobjekte fast nur in Relation zueinander<br />

bestimmen. 1946 schliesslich begründet der amerikanische<br />

Chemiker Willard Frank Libby die Radiokohlenstoffdatierung (C14),<br />

wofür er 1960 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Diese geht<br />

davon aus, dass in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen<br />

radioaktiven C14-Atomen gemäss einem Zerfallsgesetz<br />

abnimmt. Die C14-Methode wird bis 60 000 Jahre BP (before present)<br />

angewendet. Es besteht jedoch ein nicht unerheblicher Unsicherheitsfaktor:<br />

Der Tod der weltberühmten Gletschermumie Ötzi<br />

in den Südtiroler Alpen beispielsweise wird mit einer Wahrscheinlichkeit<br />

von 95,4 Prozent in die Jahre 3360 – 3100 v. Chr. datiert, in<br />

diesem Zeitraum aber hätte Ötzi gleich fünfmal gelebt haben können!<br />

Erst durch die Kalibrierung der Daten mit Hilfe der Dendrochronologie<br />

wird diese Methode ab Mitte der 1980er-Jahre etwas genauer.<br />

Beim Versuch, den Zusammenhang zwischen Erdklima und Sonnenflecken<br />

zu beweisen, legt der amerikanische Astronom Andrew E.<br />

Douglass schon 1929 eine bis ins Mittelalter zurückreichende ununterbrochene<br />

Jahrringchronologie vor. Die Dendrochronologie<br />

(gr. Baum-Zeit-Lehre) basiert auf der Tatsache, dass sich die klimatischen<br />

Verhältnisse in den Jahrringen der gleichen <strong>Holz</strong>art unverwechselbar<br />

niederschlagen. Für die Prähistoriker wirklich interessant<br />

wird diese Hilfswissenschaft ab den 1960er-Jahren, als mit<br />

Hilfe des Computers immer weiter zurückreichende Jahrringreihen<br />

in Form einer Art Strichcode zusammengestellt werden. «Die Schweiz<br />

verfügt über ein dichtes Netz an regionalen Jahrringkurven, für den<br />

durchgehenden, bis 8480 vor Christus zurückreichenden Jahrringkalender<br />

verwenden wir jedoch die so genannte Mitteldeutsche<br />

Eichenchronologie. Diesen Leitindikator setzen wir mit unseren eigenen<br />

lokalen Dendrokurven in Relation und können so bis auf etwa<br />

6000 Jahre zurück das Fälldatum des betreffenden Baumes exakt<br />

bestimmen», erklärt Albert Hafner, der in Sutz-Lattrigen am Bielersee<br />

eines von zehn Dendrochronologiezentren der Schweiz leitet.<br />

Im Gegensatz zu Wilhelm Tell und Rütlischwur, die in der Zentralschweiz<br />

spielen, finden sich die Pfahlbauern an vielen schweizerischen<br />

Seen und bilden im jungen Bundesstaat ein wichtiges, die<br />

verschiedenen Landesteile einigendes Element. Dementsprechend<br />

wird dieses Völklein romantisiert und überhöht. «Wenn wir die rund<br />

3000-jährige Geschichte der Pfahlbauer anschauen, können wir<br />

aufgrund sachlicher Hinterlassenschaften wie Keramik oder Schmuck<br />

mehr als 30 verschiedene Kulturgruppen feststellen. Eine eindeutige<br />

Zuordnung zu Identitätsgruppen oder ethnischen Einheiten ist<br />

aber nicht möglich», erläutert Albert Hafner vorsichtig. «Zweimal<br />

stellen wir jedoch einen eindeutigen kulturellen Bruch fest: Kurz vor<br />

2700 vor Christus finden wir auf der Keramik Verzierungen mit<br />

Schnureindrücken, und gegen 2400 vor Christus kommen so genannte<br />

Glocken becher auf, die mit einem Fischgrätemuster verziert<br />

sind.» Der Berner Professor Werner Stöckli postuliert, dass dieser<br />

Stilbruch von keltischen Stämmen herrühren könnte, die aus Mittel-<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Seetest <strong>Holz</strong> 31<br />

Die Pfahlbauer am<br />

Moossee (1933)<br />

In den 1930er-Jahren halfen<br />

die Pfahlbauer am Moossee,<br />

den Sprachgraben zu überwinden<br />

und die Schweiz<br />

zusammenzuschweissen.<br />

2000<br />

Bronzewerkzeuge<br />

1000<br />

Gründung Roms<br />

Erste Münzen<br />

Kelten<br />

Parthenontempel in Athen<br />

Auszug der Helvetier<br />

0<br />

1000<br />

Gründung der<br />

Eidgenossenschaft<br />

Entdeckung<br />

Amerikas<br />

Eisenbahn<br />

2000<br />

UNESCO­Welterbelabel<br />

( 20<strong>11</strong>)<br />

Bronzezeit Eisenzeit Römer Mittelalter Neuzeit<br />

1854 Beginn<br />

Pfahlbauforschung<br />

europa eingewandert sind. Damit wird die zunächst behauptete und<br />

schon bald wieder aufgegebene Herleitung der von Julius Cäsar erwähnten<br />

Helvetier und anderer Keltenstämme in der Schweiz von<br />

den über 2000 Jahre früher lebenden Pfahlbauern plötzlich wieder<br />

denkbar.<br />

Die wichtigste Revolution der Menschheitsgeschichte<br />

So oder so haben aber die Pfahlbauer in unserer Gegend die wichtigste,<br />

die neolithische, Revolution durchgeführt: Aus umherziehenden<br />

Jägern und Sammlern werden sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter.<br />

Die entsprechenden Tiere und Pflanzen und das Wissen<br />

um deren Beherrschung sind im Laufe von etwa 3500 Jahren vom<br />

Nahen Osten, dem so genannten Fruchtbaren Halbmond, in die<br />

Alpenregion gewandert.<br />

Auch während der Pfahlbauzeit drücken Schmuck aus Muscheln<br />

oder Bernstein sowie der «Stahl der Steinzeit» – Feuerstein (Silex) –<br />

regelmässige Handelskontakte über Distanzen von bis zu 500 Kilometern<br />

aus. Wie genau diese Kontakte abgelaufen sind, ist unklar.<br />

Genauso wie Ötzi die Verbindung zwischen dem heutigen Österreich<br />

und Italien im vierten vorchristlichen Jahrtausend belegt, finden sich<br />

auch in der Schweiz zunehmend Zeugnisse der Begehung der Alpenpässe<br />

und der Nutzung der Alpweiden. Albert Hafner: «Im Berner<br />

Oberland finden wir ebenfalls solche Spuren, beispielsweise die zahlreichen<br />

Fundgegenstände vom Schnidejoch. Die ältesten Objekte<br />

stammen aus dem 5. Jahrtausend vor Christus, die jüngsten aus dem<br />

Mittelalter. Besonders spannend ist ein nahezu vollständig erhaltenes<br />

Bogenequipment, bestehend aus Bogen, Pfeilen und Köcher, aber<br />

auch Objekte, die mit früher Alpwirtschaft zu tun haben können.»<br />

Aufsehen erregen derzeit auch die Ausgrabungen der Universität<br />

Zürich in der bündnerischen Silvretta, wo man diesen Sommer auf<br />

2300 Metern Höhe Hinweise auf jungsteinzeitliche alpine Viehwirtschaft<br />

gefunden hat. Die bisher älteste Alphütte allerdings stammt<br />

erst von 700 v. Chr. und damit aus einer Zeit, die man bereits nicht<br />

mehr mit den Pfahlbauern in Verbindung bringt.<br />

nach vielleicht 15 Jahren wieder verlassen. «Ich gehe nicht davon<br />

aus, dass die Bewohner für immer wegzogen, sondern eher, dass<br />

sie aufgrund der Seespiegelschwankungen einen erhöhten Siedlungsplatz<br />

aufsuchten und später wieder an den gleichen Ort zurückkehrten»,<br />

stellt Albert Hafner eine neue Hypothese auf.<br />

Fest steht, dass auch das Schweizer Mittelland, fernab der Seen,<br />

ab dem fünften vorchristlichen Jahrtausend durch Rodung urbar gemacht<br />

und besiedelt wurde. Über diese Landbauern lässt sich indes<br />

nur wenig aussagen, da bislang ausser ein paar Einzelgräbern praktisch<br />

keine Funde vorliegen. «Pfahlbauten sind nicht Zeugnisse einer<br />

bestimmten Kulturgruppe, sondern vor allem eines hervorragenden<br />

archäologischen Erhaltungsgrades», meint dazu Albert Hafner. Und,<br />

die leise Enttäuschung spürend: «Trotzdem sind über jede einzelne<br />

Fundstelle spannende Aussagen möglich. Als Wissenschaftler publizieren<br />

wir vor allem in Fachzeitschriften. Einen leichten Einstieg für<br />

Interessierte bietet der Audioführer ‹Palafittes Guide›, der im Zusammenhang<br />

mit der Aufnahme der Pfahlbauten um die Alpen ins<br />

UNESCO-Welterbe für alle wichtigen Fundstellen in der Schweiz<br />

lanciert wurde.»<br />

Und zuletzt verspricht Hafner auch, bei der Herausgabe eines<br />

neuen SJW-Hefts über die Pfahlbauer am Moossee behilflich zu<br />

sein. Ganz verzichten auf die nächtliche Lektüre unter der Bettdecke<br />

wollen wir denn doch nicht. Andreas Schiendorfer<br />

Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Mehr Informationen über die Pfahlbauten in der Schweiz, in<br />

Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Slowenien sowie<br />

über die Aufnahme in die Welterbe-Liste der UNESCO unter<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bulletin</strong> oder<br />

www.palafittes.ch<br />

Der empfehlenswerte Palafittes Guide kann via App Store<br />

oder Android Market gratis heruntergeladen werden.<br />

Auch das Mittelland bereits besiedelt<br />

Bereits während der Steinzeit können gut und gerne 200 000 Menschen<br />

auf dem Gebiet der heutigen Schweiz gelebt haben. An den<br />

Seen sind Feuchtbodensiedlungen mit 100 bis 200 Bewohnern im<br />

Abstand von etwa fünf Kilometern zu erwarten. Sie wurden jeweils<br />

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


mehr <strong>bulletin</strong><br />

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Invest<br />

l<br />

Invest<br />

Wirtschaft, Märkte und Anlagen<br />

Konjunktur<br />

Die Konjunktur schwächt<br />

sich weltweit ab. Die gelockerte<br />

Geldpolitik, Massnahmen<br />

zur Verhinderung<br />

eines Schuldenausfalls<br />

und robuste Unternehmen<br />

wirken aber stützend.<br />

Zinsen und<br />

Obligationen<br />

Die kurzfristigen Zinsen<br />

bleiben in den Hauptmärkten<br />

bei oder nahe null,<br />

während sie in den Schwellenländern<br />

eher sinken.<br />

Obligationen mit höherem<br />

Risiko bleiben volatil.<br />

Währungen Aktien Rohstoffe Immobilien<br />

Der US-Dollar schwächt<br />

sich in unserem Kernszenario<br />

gegenüber dem<br />

Euro ab. Der weiterhin<br />

überbewertete Schweizer<br />

Franken verliert gegen Euro<br />

und US-Dollar an Boden.<br />

Aktien sind klar attraktiv<br />

bewertet. Die extreme<br />

Risikoaversion und zurückgestutzte<br />

Gewinnerwartungen<br />

stützen ebenfalls.<br />

Kurzfristig dominieren<br />

Stimmungswechsel.<br />

Die konjunkturelle Abschwächung<br />

deutet<br />

vorläufig auf einen Seitwärtstrend<br />

bei zyklischen<br />

Rohstoffen. Nach der<br />

Korrektur sehen wir gutes<br />

Potenzial bei Gold.<br />

Schweizer Wohnimmobilien<br />

sind überbewertet. Die<br />

tiefen Zinsen halten die<br />

Nachfrage aber vorläufig<br />

hoch. Die starke Bautätigkeit<br />

sollte den Preisauftrieb<br />

dämpfen.<br />

John Maynard Keynes hat 1919 als Reaktion<br />

auf die Versailler Verträge beschrieben, was<br />

man nicht tun sollte: einem Land, das am<br />

Boden liegt, hohe Reparationszahlungen<br />

auferlegen. Das führt nicht nur zu Rezession<br />

oder Depression, sondern kann – wie<br />

Keynes mehr als zehn Jahre im Voraus ahnte –<br />

fatale politische Folgen haben. Nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg handelten die Siegermächte<br />

unter Führung der USA im Einklang<br />

mit den Empfehlungen von Keynes ganz<br />

anders: Die Schulden Deutschlands wurden<br />

erlassen, und bald setzte das Land zu seinem<br />

erstaunlichen wirtschaftlichen Höhenflug<br />

an. Natürlich genügt ein Schuldenerlass<br />

alleine nicht, die sonstigen Rahmenbedingungen<br />

müssen auch stimmen und es muss<br />

verhindert werden, dass die Grosszügigkeit<br />

der Gläubiger ausgenützt wird. Das gilt auch<br />

für die Europäische Währungsunion. Aber<br />

auch hier wäre die wirtschaftlich optimale<br />

Lösung ein rascher Schuldenerlass bei gleichzeitiger<br />

Festsetzung strikter und durch setzbarer<br />

Regeln für eine disziplinierte zukünftige<br />

Finanzpolitik. Der derzeitige Prozess des<br />

«Durchwurstelns» könnte am Ende auf eine<br />

gar nicht so andere Lösung hinauslaufen.<br />

Vorläufig sagt man das nur leise – und deshalb<br />

bleiben die Finanzmärkte volatil.<br />

Fotos: Credit Suisse | dapd, Steffi Loos, AP Images<br />

Dr. Oliver Adler<br />

Leiter Global Economics<br />

Unsere Einschätzungen in Kürze<br />

Kernszenario: Die EWU-Krise kommt allmählich unter Kontrolle, eine Rezession wird vermieden.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


ll<br />

Invest<br />

Konjunktur<br />

Global:<br />

Wachstum noch längere<br />

Zeit schwach<br />

Viele Indikatoren der Industrieländer deuten<br />

weiterhin auf ein langsames Wachstum hin.<br />

In den USA bleibt das Konsumentenvertrauen<br />

schwach, immerhin dürfte der Privatsektor<br />

aber für ein gewisses Stellenwachstum<br />

sorgen. In Europa begrenzt die Notwendigkeit,<br />

die Haushaltsdefizite zu senken und<br />

die Schuldensituation zu stabilisieren, das<br />

Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig sollten<br />

die Inlands- und die Auslandsnachfrage<br />

ein moderates Wachstum ermöglichen.<br />

Die Schwellenmärkte wachsen langsamer,<br />

aber weiterhin deutlich robuster als die<br />

Industrieländer. Fabian Heller<br />

Schweiz:<br />

Aktuelle Wachstumsdelle sollte<br />

2012 ausgeglichen werden<br />

Die Schweizer Wirtschaft kann sich der<br />

langsameren Gangart der Weltwirtschaft<br />

nicht entziehen. Wie erwartet wird sich das<br />

Wachstum in den kommenden Monaten<br />

deutlich abschwächen. Doch unter der<br />

Annahme wieder leicht stärkerer Impulse<br />

aus den Exportmärkten dürfte die Wachstumsdelle<br />

bereits Ende 2012 wieder ausgeglichen<br />

sein. Denn erstens verschaffen<br />

die Tiefstzinsen ein Plus an Kaufkraft.<br />

Zweitens animieren die günstigen Preise<br />

zum Kauf und drittens gehen von der<br />

weiterhin regen Zuwanderung Impulse aus.<br />

Claude Maurer<br />

US­Konsumstimmung verharrt weit unter<br />

Vorkrisenniveaus Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Zinsen und<br />

Obligationen<br />

Zinsen:<br />

Geldpolitik wird noch lockerer<br />

Weltweit versuchen die Zentralbanken das<br />

Risiko einer erneuten Rezession möglichst<br />

zu begrenzen. Die US Fed strebt durch die<br />

Laufzeitverlängerung der von ihr gehaltenen<br />

Anleihen verbesserte Finanzierungsbedingungen<br />

an. Die EZB setzt den Kauf von<br />

Staatsanleihen fort und stellt den Banken<br />

unlimitiert Liquidität zur Verfügung. Eine<br />

Leitzinssenkung ist möglich. Mit der Festlegung<br />

der EUR/CHF-Untergrenze hat<br />

die SNB auf Konjunktur- und Preisrisiken<br />

reagiert. Auch in gewissen Schwellenländern<br />

(z.B. Brasilien, Israel) wurden die Zinsen<br />

inzwischen gesenkt. Fabian Heller<br />

Obligationen:<br />

Wir empfehlen primär erstklassige<br />

Unternehmensanleihen<br />

Die europäische Schuldenkrise hat zu Kursverlusten<br />

vornehmlich bei Finanztiteln und<br />

hochverzinslichen Anleihen geführt. Während<br />

die Sicherungsmechanismen der Zentralbanken<br />

eine Extremsituation wie nach<br />

der Pleite von Lehman Brothers verhindern<br />

sollten, ist ein Ende der Kursschwankungen<br />

noch nicht abzusehen. Gleichzeitig dürften<br />

Renditen sicherer Staatsanleihen binnen<br />

Jahresfrist nur moderat steigen. Wir raten<br />

Anlegern daher, erstklassige Anleihen zu<br />

bevorzugen und sukzessive Engagements in<br />

Unternehmensanleihen mit hoher Bonität<br />

aufzubauen, dabei aber Finanztitel zu meiden.<br />

Stefan Klein<br />

Rückschläge bei Unternehmensanleihen<br />

Quelle: Credit Suisse<br />

Währungen<br />

Global:<br />

Schwellenmarktwährungen –<br />

Vorläufig ist Vorsicht geboten<br />

Der US-Dollar ist im September gegenüber<br />

Euro und Schweizer Franken, aber vor allem<br />

gegenüber den Währungen von Schwellenländern<br />

deutlich angestiegen. Die Eurokrise<br />

und Rezessionsängste haben ihm Auftrieb<br />

gegeben. Unter den Schwellenländern<br />

erachten wir Asien weiterhin als am widerstandsfähigsten,<br />

sehen hingegen in Osteuropa<br />

und Lateinamerika das Risiko weiterer<br />

Währungsschwäche. Dieses Risiko<br />

sollte vor allem bei festverzinslichen Anlagen<br />

in Lokalwährung beachtet werden. Erst<br />

wenn sich die Wirtschaftszahlen deutlich<br />

verbessern, werden sich diese Währungen<br />

nachhaltig erholen. Marcus Hettinger<br />

Schweiz:<br />

EUR/CHF­Mindestkurs ist<br />

glaubwürdig<br />

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat<br />

am 6. September einen Mindestkurs von<br />

CHF 1.20 pro Euro angekündigt. Wir sehen<br />

diese Massnahme als glaubwürdig an (siehe<br />

Fokus), und unser Ausblick für EUR/CHF<br />

bleibt unverändert positiv: Auch bei 1.20 ist<br />

der Schweizer Franken gegenüber dem Euro<br />

fundamental überbewertet. Zudem hat<br />

sich das charttechnische Bild für den Euro<br />

verbessert. Während wir den US-Dollar<br />

gegenüber dem Euro eher schwächer sehen,<br />

erwarten wir, dass er gegenüber dem<br />

Schweizer Franken noch etwas ansteigen<br />

wird. Eine starke Erholung des US-Dollar<br />

in Richtung Parität ist allerdings unwahrscheinlich.<br />

Marcus Hettinger<br />

Index<br />

80<br />

40<br />

0<br />

01.2006<br />

03.2007 05.2008 07.2009 09.2010<br />

US-Konsumstimmung<br />

Kumulierte Gesamtrendite in CHF<br />

103<br />

101<br />

99<br />

97<br />

01.20<strong>11</strong><br />

03.20<strong>11</strong> 05.20<strong>11</strong> 07.20<strong>11</strong> 09.20<strong>11</strong><br />

Industrie Finanzwesen<br />

Wachstumssorgen belasten EM­Währungen<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Entwicklung der Währungen zum USD im letzten Monat in %<br />

– 2<br />

– 4<br />

0 Aufwertung vs. USD<br />

– 12<br />

– 16<br />

Abwertung vs. USD<br />

JPY<br />

CNY<br />

HKD<br />

ARS<br />

ILS<br />

PHP<br />

THB<br />

IDR<br />

CAD<br />

TRY<br />

TWD<br />

GBP<br />

MYR<br />

NZD<br />

EUR<br />

AUD<br />

SGD<br />

KRW<br />

INR<br />

NOK<br />

CZK<br />

MXN<br />

SEK<br />

RUB<br />

PLN<br />

ZAR<br />

HUF<br />

BRL<br />

CHF<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Invest<br />

Ill<br />

Aktien<br />

Rohstoffe<br />

Immobilien<br />

Global:<br />

Bewertungskennzahlen signalisieren<br />

Aufwärtspotenzial<br />

Die Bereitschaft von Anlegern, am Aktienmarkt<br />

Risiko zu nehmen, nähert sich dem<br />

Tiefstand der letzten 15 Jahre. Die Fundamentaldaten<br />

bleiben aber attraktiv. Das<br />

erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)<br />

wie auch die (nach unten revidierten!) Kursziele<br />

der Analysten signalisieren beträchtliches<br />

Aufwärtspotenzial. Dabei bestehen<br />

zwei Vorbehalte: Kurzfristig gibt eher die<br />

Stimmung als die fundamentale Lage den<br />

Ausschlag. Zudem werden Unternehmen in<br />

der anlaufenden Berichtssaison wohl eher<br />

vorsichtige Prognosen abgeben. Im Vergleich<br />

zur pessimistischen Stimmung könnten diese<br />

jedoch immer noch positiv ausfallen.<br />

Michael O'Sullivan, Drazenko Lakic<br />

Global:<br />

Rohstoffe – Gold mit Erholungspotenzial<br />

nach Korrektur<br />

Der September war ein schwieriger Monat<br />

für Rohstoffe. Die Kombination aus schwächerem<br />

Wirtschaftswachstum und einer<br />

erschwerten Finanzierung spekulativer Anlagen<br />

hat zu einer Korrektur geführt. Der Ausblick<br />

für zyklische Rohstoffe ist verhalten.<br />

Gold dürfte sich allerdings erholen. Trotz der<br />

Korrektur erscheint uns der Aufwärtstrend<br />

intakt und die Aussicht auf längerfristig tiefe<br />

Zinsen dürfte die Nachfrage hoch halten.<br />

Tobias Merath<br />

Gold hat korrigiert, aber Aufwärtstrend intakt<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Goldpreis (Unze)<br />

1600<br />

Schweiz:<br />

Schweizer Wohnimmobilien –<br />

Kurzfristig noch steigende Preise<br />

Da die Nationalbank die Zinsen wohl noch<br />

länger auf rekordtiefen Niveaus belassen<br />

wird, erwarten wir – trotz der hohen Bewertungen<br />

– eine anhaltend starke Nachfrage<br />

nach Wohnungen und einen weiteren<br />

Preisanstieg. Allerdings koppeln sich die<br />

Immobilienpreise nun zunehmend von der Einkommensentwicklung<br />

ab. Zudem bleibt<br />

die Wohnbautätigkeit sehr stark. Mittelfristig<br />

sollten diese Faktoren die Preisanstiege<br />

dämpfen. Martin Bernhard<br />

Starker Anstieg der Schweizer Wohnimmobilienpreise<br />

Quelle: Wüest & Partner, Credit Suisse<br />

Preisindex (1. Q 2000 = 100)<br />

150<br />

Schweiz:<br />

Schweizer Aktien heraufgestuft<br />

Wir haben unsere Einschätzung des schweizerischen<br />

Aktienmarkts relativ zu ausländischen<br />

Märkten heraufgestuft. Ein Hauptgrund<br />

ist die neue Euro-Untergrenze, die das<br />

Gewinnrisiko für Schweizer Unternehmen<br />

mittelfristig reduziert. Ausserdem sollten die<br />

defensiven Schwergewichte im Schweizer<br />

Markt angesichts noch ungelöster Probleme<br />

in der EWU und der konjunkturellen Schwächephase<br />

eine stabilere Performance zeigen.<br />

Allerdings könnten die Unternehmensresultate<br />

wegen der bisherigen Frankenstärke und<br />

recht hoher Gewinnerwartungen kurzfristig<br />

noch enttäuschen. Reto Hess, Drazenko Lakic<br />

Bewertung der Aktienmärkte ist günstig<br />

Quelle: Datastream, Credit Suisse<br />

12-Monats-Ausblick KGV MSCI World<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

1990 1994 1998 2002 2006<br />

MSCI World Durchschnitt<br />

+/-1 Standardabweichung<br />

2010<br />

1200<br />

800<br />

400<br />

Fokus Kann die SNB die Euro­Untergrenze halten?<br />

Die SNB­Untergrenze hält<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

In % (p.a., in CHF)<br />

1.20<br />

1.00<br />

09.2008 05.2009 01.2010 09.2010 05.20<strong>11</strong><br />

Gold in CHF<br />

05.20<strong>11</strong> 06.20<strong>11</strong> 07.20<strong>11</strong> 08.20<strong>11</strong> 09.20<strong>11</strong><br />

EUR/CHF-Wechselkurs<br />

Gold in USD<br />

SNB-Untergrenze<br />

Eigentumswohnungen Schweiz<br />

Einfamilienhäuser Schweiz<br />

Die anhaltenden Spannungen in der<br />

EWU und die Furcht vor Rezessionsund<br />

Deflationsrisiken haben die SNB<br />

veranlasst, einen Mindestkurs für den<br />

Euro bei CHF 1.20 festzulegen. Wird die<br />

SNB diesen Kurs verteidigen können?<br />

Grundsätzlich ja, denn die Notenbank<br />

könnte unbegrenzte Mengen an Franken<br />

«drucken» und gegen Fremdwährungen<br />

verkaufen. Allerdings ist diese<br />

Drohung nur glaubwürdig, wenn sie dadurch<br />

ihr Inflationsziel nicht in Frage<br />

stellt. Vorläufig ist Inflation kein Thema: Sowohl die jüngsten Inflationszahlen<br />

wie auch die stark nach unten revidierten Prognosen der SNB, der Credit Suisse<br />

und anderer Institute deuten auf ein bis zwei Jahre hinaus auf eine sehr tiefe,<br />

wenn nicht gar negative Inflation hin. Zudem begünstigt die Zinsdifferenz den<br />

Euro, wenngleich sich diese verringern würde, falls die EZB ihre Leitzinsen<br />

senkt. Trotzdem: Die Kombination von Euro­Untergrenze und sehr tiefen CHF­<br />

Zinsen könnte den Appetit von Anlegern auf den ihr gebotenen «Free Lunch»<br />

(so genannte Carry Trades) wecken und der Strategie der SNB in die Hände<br />

spielen. Marcus Hettinger, Oliver Adler<br />

130<br />

<strong>11</strong>0<br />

90<br />

2000<br />

2003 2006 2009<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


lV<br />

Invest<br />

Performance und Prognosen im Überblick<br />

Wichtigste Anlageklassen und Märkte<br />

Aktien<br />

20<strong>11</strong><br />

(bis 26.9.)<br />

Gesamtrendite in CHF (%)<br />

letzte 3 Jahre<br />

(p.a.)<br />

letzte 5 Jahre<br />

(p.a.)<br />

Erwartete Rendite 1 und Risiko (% p.a.)<br />

1 Jahr 5 Jahre Risiko 2<br />

MSCI World –16.4 –9.5 –10.0 13.2 9.3 17.7<br />

S&P 500 –<strong>11</strong>.3 – 7.2 –8.7 14.9 8.5 16.2<br />

Eurostoxx 50 –19.3 – 15.3 –14.1 21.0 9.3 20.7<br />

SMI –16.8 – 7.5 –4.5 9.6 7.4 19.0<br />

MSCI Emerging Markets –29.0 – 4.8 –4.3 17.7 <strong>11</strong>.8 28.3<br />

Obligationen 3<br />

Schweiz 1.7 4.7 3.3 0.5 1.9 3.0<br />

Eurozone 1.6 –3.8 –1.0 0.6 3.1 3.2<br />

USA 2.0 –0.9 –0.6 –1.4 1.4 3.8<br />

Schwellenländer –0.9 4.1 1.0 5.7 5.9 16.8<br />

Geldmarkt (CHF) 0.1 0.3 1.1 0.2 1.2 2.6<br />

Alternative Anlagen<br />

DJ UBS Commodities 1.2 2.6 6.1 9.0 8.0 16.8<br />

Gold 9.9 14.9 14.3 15.0 6.2 13.3<br />

Immofonds Schweiz (SIX) 6.2 8.9 6.3 3.0 4.5 7.4<br />

DJ CS Hedge Fund Index –3.0 – 2.7 – 1.5 6.5 6.5 10.1<br />

Konjunktur und Inflation<br />

BIP-Wachstum real (in %) Inflation (in %)<br />

2010 20<strong>11</strong> 5 2012 5 2010 20<strong>11</strong> 5 2012 5<br />

Global 4.9 3.8 3.8 3.2 3.9 3.0<br />

USA 2.9 1.6 1.8 1.6 3.0 1.4<br />

Japan 4.0 –0.3 1.7 – 0.9 0.2 0.0<br />

Eurozone 1.5 1.8 1.4 1.6 2.6 1.5<br />

Deutschland 3.5 3.0 1.6 1.2 2.4 1.5<br />

Schwellenländer 4 8.6 7.1 6.8 5.0 5.8 4.7<br />

China 10.3 8.8 8.5 3.3 5.2 3.6<br />

Schweiz 2.8 1.9 2.0 0.7 0.3 1.0<br />

Wichtige Informationen<br />

Die Informationen und Meinungen in diesem Bericht wurden von<br />

der Credit Suisse per angegebenem Datum erstellt und können<br />

sich ohne vorherige Mitteilung ändern. Der Bericht wurde einzig<br />

zu Informationszwecken publiziert und ist weder ein Angebot noch<br />

eine Auf forderung seitens oder im Auftrag der Credit Suisse zum<br />

Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder ähnlichen Finanzinstrumenten<br />

oder zur Teilnahme an einer spezifischen Handelsstrategie<br />

in irgendeiner Rechts ordnung. Der Bericht wurde ohne<br />

Berücksichtigung der Zielsetzungen, der finanziellen Situation<br />

oder der Bedürfnisse eines bestimmten Anlegers erstellt. Der<br />

Bericht enthält keinerlei Empfehlungen rechtlicher Natur oder hinsichtlich<br />

Inves titionen, Rechnungslegung oder Steuern. Er stellt<br />

auch in keiner Art und Weise eine auf die persönlichen Umstände<br />

eines Anlegers zugeschnittene oder für diesen angemessene<br />

Inves tition oder Strategie oder eine andere an einen bestimmten<br />

Anleger gerichtete Empfehlung dar. Ver weise auf frühere Entwicklungen<br />

sind nicht unbedingt mass gebend für künftige Ergebnisse.<br />

Die Informationen stammen aus oder basieren auf Quellen, die<br />

die Credit Suisse als zuver lässig erachtet. Dennoch kann keine<br />

Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Informationen<br />

geleistet werden. Die Credit Suisse lehnt jede Haftung für Verluste<br />

aus der Verwendung dieses Berichts ab.<br />

WEDER DER VORLIEGENDE BERICHT NOCH KOPIEN DAVON<br />

DÜRFEN IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VERSANDT, DORT-<br />

HIN MITGENOMMEN ODER AN US- PERSONEN ABGEGEBEN<br />

WERDEN.<br />

Örtliche Gesetze oder Vorschriften können die Verteilung von<br />

Research-Berichten in bestimmten Rechtsordnungen einschränken.<br />

Dieser Bericht wird von der Schweizer Bank Credit Suisse verteilt,<br />

die der Zulassung und Re gulierung der Eidgenös sischen Finanzmarktaufsicht<br />

untersteht.<br />

Das vorliegende Dokument darf ohne schriftliche Genehmigung<br />

der Credit Suisse weder ganz noch aus zugsweise ver vielfältigt<br />

werden.<br />

Copyright © 20<strong>11</strong> Credit Suisse Group AG und/oder mit ihr verbundene<br />

Unternehmen. Alle Rechte vor behalten.<br />

Zinsen (in%)<br />

Kurzfristzinsen (3M-Libor) 6 Renditen 10-J.-Staatsanleihen 6<br />

26.9. in 3M in 12M 26.9. in 3M in 12M<br />

USA 0.36 0.4 0.4 1.81 2.4 2.7<br />

Deutschland 1.53 1.6 1.6 1.68 1.9 2.3<br />

Grossbritannien 0.95 0.9 0.9 2.43 2.5 2.8<br />

Japan 0.33 0.2 0.2 0.98 1.0 1.2<br />

Schweiz 0.01 0.1 0.1 0.95 1.1 1.5<br />

Währungen<br />

CHF pro Fremdwährung 6 pro EUR 6<br />

26.9. in 3M in 12M 26.9. in 3M in 12M<br />

CHF – – – 1.22 1.25 1.30<br />

USD 0.91 0.93 0.93 1.35 1.35 1.40<br />

CAD 0.88 0.88 0.88 1.39 1.42 1.48<br />

GBP 1.41 1.42 1.44 0.87 0.88 0.90<br />

JPY 7 1.19 1.22 1.22 103.05 102.60 106.40<br />

CNY 7 14.08 14.47 15.22 8.60 8.64 8.54<br />

Quelle: Credit Suisse, Bloomberg, Datastream<br />

1 Aktien und Obligationen in Lokalwährung, DJ UBS Commodities Index, Gold und DJ CS Hedge Fund Index in USD 2 Erwartete Standardabweichung<br />

der Rendite 3 Schweiz: Credit Suisse LSI Ex-Eidgenossen, Eurozone: Barclays Euro Agg 1-10Y TRSY, USA: Barclays US Govt Intermediate Bond,<br />

Schwellenländer: JPM EMBI+, Geldmarkt (CHF): JPM Cash CHF 1M 4 Acht grösste Schwellenländer 5 Prognosen 6 Prognosen vom 26.9.20<strong>11</strong><br />

7 Preis von 100 JPY resp. CNY in CHF<br />

Impressum Invest<br />

Herausgeber Credit Suisse AG, Global Research,<br />

Postfach 300, 8070 Zürich<br />

E­Mail publications.research@credit-suisse.com<br />

Internet www.credit-suisse.com/research<br />

Beiträge Oliver Adler, Martin Bernhard, Fabian Heller,<br />

Reto Hess, Marcus Hettinger, Stefan Klein, Drazenko Lakic,<br />

Tobias Merath, Michael O’Sullivan, Frank Reiner<br />

Konzept und Layout www.arnold.inhaltundform.com<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


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Die Schweizer <strong>Holz</strong>industrie erwirtschaftet eine Bruttowertschöpfung<br />

von mehr als 7 Milliarden Franken und steuert damit etwa<br />

1,4 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt bei. Sie ist so bedeutend<br />

wie das Autogewerbe und wichtiger als das Immobilienwesen.<br />

Foto: Gaetan Bally, Keystone<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Ein Mitarbeiter der Pavatex SA, Cham,<br />

schaufelt Hackschnitzel in einer Lagerhalle<br />

des Unternehmens.<br />

<strong>Holz</strong> ist wohl einer der ältesten Bau- und<br />

Energiestoffe überhaupt. Schon unsere frühen<br />

Vorfahren benutzten den natürlich wachsenden<br />

Rohstoff zur Wärmegewinnung oder<br />

für den Hüttenbau. <strong>Holz</strong> ist aber noch viel<br />

mehr. Aus <strong>Holz</strong> werden Möbel und Sport geräte<br />

hergestellt, <strong>Holz</strong> ist der Grundstoff für<br />

Papier, und <strong>Holz</strong> findet sich beispielsweise<br />

auch in Lacken und Lebensmittelzusätzen.<br />

Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit<br />

ist <strong>Holz</strong> verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit<br />

gerückt, dies nicht zuletzt aufgrund<br />

seiner CO 2 -Neutralität. Ausdruck dieses<br />

Interesses ist beispielsweise das derzeit<br />

anlaufende Nationale Forschungsprojekt<br />

zum Thema «Ressource <strong>Holz</strong>» (NFP 66). <strong>Holz</strong><br />

ist aber nicht bloss ein Werk- und Energiestoff,<br />

sondern auch der Grundstoff für einen<br />

gesamten Industriezweig.<br />

Die Wertschöpfungskette des <strong>Holz</strong>es<br />

Abb. 1 Die Wertschöpfungskette in der Schweizer <strong>Holz</strong>industrie<br />

Rund ein Drittel der Schweiz ist mit Wald bedeckt. In der Nutzung wird dabei zwischen Brennholz,<br />

Stammholz und Industrieholz unterschieden. Quelle: Credit Suisse Economic Research, in Anlehnung an pro<strong>Holz</strong> Austria<br />

Brennholz<br />

Energiewerke<br />

<strong>Holz</strong>verarbeitung/<br />

Forstwirtschaft Stammholz Sägerei Schnittholz<br />

Konsument<br />

Schreinereien Möbel<br />

Industrieholz<br />

Faserstoffe<br />

Restholz<br />

Papier/<br />

Chemie<br />

Energie<br />

Lacke/Papier<br />

Altholz<br />

Die <strong>Holz</strong>wirtschaft gehört zwar nicht zu den<br />

Schwergewichten der Schweizer Volkswirtschaft<br />

wie die Pharmaindustrie, die Branche<br />

im engeren Sinne mit den Pfeilern Forstwirtschaft<br />

und <strong>Holz</strong>verarbeitung erwirtschaftete<br />

2009 aber eine Bruttowertschöpfung von<br />

etwa 7,2 Milliarden Schweizer Franken. Sie<br />

trug damit 1,4 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt<br />

bei und ist somit in Bezug auf<br />

die Wertschöpfung vergleichbar mit dem<br />

Autogewerbe und sogar bedeutender als das<br />

Immobilienwesen.<br />

Am Anfang der Wertschöpfungskette der<br />

<strong>Holz</strong>wirtschaft (siehe Abbildung links) steht die<br />

Forstwirtschaft. Je nach Art des verwendeten<br />

<strong>Holz</strong>es (Brenn-, Stamm- oder Industrieholz)<br />

teilt sie sich anschliessend in drei verschiedene<br />

Nutzungszweige auf. Brennholz wird<br />

zur Energieerzeugung verwendet, Industrieholz<br />

wird zu Faserstoffen weiterverarbeitet,<br />

die schliesslich in der Papier- oder der chemischen<br />

Industrie Verwendung finden, und<br />

Stammholz wird in Sägereien zu Schnittholz<br />

verarbeitet, das letztlich als Zimmereiprodukt<br />

oder Möbelstück zum Konsumenten gelangt.<br />

Die Schweiz deckt nicht die ganze Wertschöpfungskette<br />

der <strong>Holz</strong>wirtschaft im Inland<br />

ab. Beachtliche Mengen Rundholz werden ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


36 Economic Research <strong>Holz</strong><br />

exportiert und in verarbeiteter Form (etwa als<br />

Leimbinder) wieder importiert. Wichtige Teile<br />

der Wertschöpfung werden somit im Ausland<br />

erbracht. Dies äussert sich in der stark negativen<br />

Handelsbilanz der Schweizer <strong>Holz</strong>wirtschaft.<br />

Am Anfang steht der Baum<br />

<strong>Holz</strong>kraftwerk in Kaiseraugst<br />

«Eine nachhaltige Nutzung des<br />

Waldes würde die Entnahme<br />

von zusätzlich drei Millionen<br />

Kubikmeter <strong>Holz</strong> erlauben.»<br />

Marco Caprarese<br />

Der Energiekonzern Axpo plant derzeit im aargauischen Kaiseraugst ein<br />

<strong>Holz</strong>kraftwerk, das Strom für 2200 Haushalte produzieren soll. Mit der entstehenden<br />

Abwärme könnten zudem 4100 Haushalte mit Fernwärme beheizt<br />

werden. Befeuert werden soll die Anlage grösstenteils mit Altholz aus der<br />

Region, das bisher zur Entsorgung nach Basel oder ins Ausland gefahren<br />

wurde. Das Projekt sorgt bei der lokalen Bevölkerung für heisse Köpfe. Kritisiert<br />

werden insbesondere die zusätzlichen Lärm­ und Feinstaubimmissionen.<br />

Im Bauauflageverfahren wurden insgesamt 16 Einsprachen eingereicht.<br />

Die Axpo verweist auf den Umweltverträglichkeitsbericht und verspricht, die<br />

Immis sionen durch technische Massnahmen auf ein absolutes Minimum zu<br />

beschränken, und hofft auf eine einvernehmliche Lösung. Am Widerstand der<br />

Bevölkerung scheiterten ähnliche Projekte in Bischofszell und in Würenlingen.<br />

Die Forstwirtschaft liefert den Rohstoff für<br />

die <strong>Holz</strong>industrie. In den 1,26 Millionen Hektaren<br />

Schweizer Wald (rund ein Drittel des<br />

Landes ist bewaldet, 29 Prozent des Schweizer<br />

Waldes ist in Privatbesitz) wurden im<br />

vergangenen Jahr 5,1 Millionen Kubikmeter<br />

<strong>Holz</strong> geerntet. Dabei wird das nachhaltige<br />

Nutzungspotenzial des Waldes bei Weitem<br />

noch nicht ausgeschöpft. Berechnungen der<br />

Schwei zerischen Hochschule für Landwirtschaft<br />

(SHL) und der Eidgenössischen Forschungsanstalt<br />

für Wald, Schnee und Landschaft<br />

(WSL) zeigen, dass eine nachhaltige<br />

Nutzung die Entnahme von zusätzlich drei Millionen<br />

Kubikmeter <strong>Holz</strong> erlauben würde. Ein<br />

bedeutender Teil des 2010 geernteten <strong>Holz</strong>es<br />

stammte aus dem Mittelland (35 Prozent),<br />

die Voralpen trugen 24 Prozent zur <strong>Holz</strong> ernte<br />

bei, und rund 22 Prozent des <strong>Holz</strong>es wurden<br />

im Jura geschlagen. In den letzten Jahren ist<br />

eine vermehrte Verlagerung der Nutzung vom<br />

Mittelland in die gebirgigen Regionen festzustellen,<br />

deren Wälder oftmals deutlich weniger<br />

genutzt werden als diejenigen des Mittellandes.<br />

Der Wald ist aber mehr als blosser Rohstofflieferant<br />

für die <strong>Holz</strong>wirtschaft. Je nach<br />

Sicht der Akteure und Interessengruppen<br />

im und um den Wald muss dieser nebst seiner<br />

Funktion als <strong>Holz</strong>lieferant zahlreiche andere<br />

Aufgaben erfüllen. Wichtige Funktionen sind<br />

dabei Schutz und Erholung (siehe Dossier Wald).<br />

Diese Multifunktionalität des Waldes führt<br />

immer wieder zu Nutzungskonflikten. Der<br />

Erhalt eines nachhaltigen Gleichgewichts<br />

zwischen den verschiedenen Nutzungsarten<br />

ist das Ziel des Waldgesetzes. Daneben soll<br />

es den Wald in seiner heutigen Ausdehnung<br />

erhalten und als naturnahe Lebensgemeinschaft<br />

schützen. Nicht zuletzt hat es aber<br />

auch zum Ziel, die Waldwirtschaft zu fördern<br />

und zu erhalten. Das Schweizer Waldgesetz<br />

erntet auch internationale Anerkennung. Es<br />

wurde zusammen mit den Waldgesetzen fünf<br />

weiterer Länder für den Future Policy Award<br />

20<strong>11</strong> der UNO nominiert.<br />

Aus dem Stamm wird ein Brett – und mehr<br />

Knapp 60 Prozent der ge ernteten <strong>Holz</strong>menge<br />

sind Stammholz. Davon gehen 70 Prozent<br />

an hiesige Sägereien und Furnierwerke, der<br />

Rest wird exportiert. In den Sägereien wird<br />

aus dem angelieferten Rundholz Schnittholz<br />

produziert. Die Ausbeute liegt aber lediglich<br />

bei rund 60 Prozent. Die restlichen 40 Prozent<br />

fallen als Restholz (zum Beispiel als<br />

Hobelspäne oder Hackschnitzel) an. Dieser<br />

Ausschuss wird entweder zu Spanplatten wei-<br />

Foto: Martin Stollenwerk<br />

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<strong>Holz</strong> Economic Research 37<br />

terverarbeitet oder dient der Energiegewinnung<br />

und der Produktion von Faserstoffen.<br />

Zwischen 50 und 60 Prozent der Schnittholzproduktion<br />

gehen in das Baugewerbe.<br />

Aufgrund des intensiven Wettbewerbs mit<br />

ausländischen Anbietern, insbesondere aus<br />

Deutschland und Österreich, durchlebt die<br />

Sägereibranche gegenwärtig einen starken<br />

Strukturwandel. Die Anzahl der Betriebe<br />

ist seit 1998 im Durchschnitt jährlich um<br />

3,6 Prozent zurückgegangen, die Beschäftigung<br />

gab um durchschnittlich 3,1 Prozent<br />

pro Jahr nach. Nebst den Herausforderungen<br />

durch die starke Konkurrenz beklagen<br />

vor allem grosse und mittelgrosse Sägereibetriebe<br />

immer wieder die mangelnde Verfügbarkeit<br />

inländischen, insbesondere qualitativ<br />

hochstehenden <strong>Holz</strong>es. Als Gründe für<br />

das geringe Angebot werden oftmals die kleine<br />

Parzellierung des Schweizer Waldes, das<br />

relativ unelastische Angebot der Waldbesitzer<br />

sowie die durch die Unternutzung überalterten<br />

Baumbestände ins Feld geführt.<br />

Aus dem Brett wird ein Möbel – und mehr<br />

Der Traum vom Grosssägewerk in Domat/Ems<br />

Lange Zeit hegte man in Graubünden den Wunsch, den Rohstoff <strong>Holz</strong> besser<br />

zu nutzen. Ziel war die Integration der Wertschöpfungskette in der Region.<br />

1997 wurde der Traum konkret, indem die Planung eines grossen, zentralen<br />

Sägewerks Eingang ins Wirtschaftsleitbild der Regierung fand. 2007 nahm<br />

die Stallinger Swiss Timber AG in Domat/Ems ihre Tätigkeit auf. Bald verdunkelten<br />

sich die Wolken, zumal der Grosse Rat eine Kostenbeteiligung ablehnte.<br />

Die nach einer Übernahme unter dem Namen Mayr­Melnhof Swiss Timber AG<br />

bekannte Sägerei litt zum einen unter ihrer Grösse – die bei der Planung<br />

angenommenen Rundholz mengen konnten nicht beschafft werden, wodurch<br />

das Werk nur zu 30 Prozent ausgelastet war –, und zum anderen liess die<br />

Subprime­Krise die Nachfrage aus dem US­amerikanischen Markt einbrechen.<br />

Zuletzt erschwerte auch der starke Schweizer Franken die Exporte der<br />

Sägereiprodukte. Der Sanierungsplan sah den Ausbau zu einem integrierten<br />

<strong>Holz</strong>verarbeitungsbetrieb vor. Nebst der Sägerei sollten vor Ort eine Pelletfabrik<br />

sowie ein Brettsperrholzwerk entstehen. Das Vorhaben scheiterte, da<br />

der Grosse Rat erneut eine Kostenbeteiligung ablehnte. Im Dezember 2010<br />

wurde der Konkurs beantragt. Der Plan des Tiroler <strong>Holz</strong>konzerns Egger, das<br />

Werk zu kaufen und vor Ort weiterzubetreiben, liess neue Hoffnung aufkommen.<br />

Es gelang jedoch nicht, die Schweizer Waldeigentümer zu langfristigen<br />

<strong>Holz</strong>lieferungen im Umfang von 300 000 Kubikmeter pro Jahr zu verpflichten.<br />

Egger zog sich zurück und das Werk ging an die deutsche Firma Klausner,<br />

das die Anlagen abbauen und anderswo weiterbetreiben wird. Erschwerend<br />

kommt dazu, dass das Areal, das vor der Um zonung mit der geschützten<br />

Erika­Föhre bewaldet war, mit einer Nutzungseinschränkung ausschliesslich<br />

für die <strong>Holz</strong>verarbeitung belegt ist.<br />

Die Schreinereien machen den Löwenanteil<br />

der Branche aus. Die über 5600 Betriebe<br />

beschäftigen hierzulande mehr als 30 000<br />

Personen (Vollzeitäquivalente). Die Nachfrage<br />

nach ihren Produkten stammt grösstenteils<br />

aus der Neu- und Umbautätigkeit in der<br />

näheren Umgebung. Dies macht die Schreinereien<br />

zu einer ausgesprochenen Binnenbranche,<br />

deren Wohlergehen stark von der<br />

Bauwirtschaft bestimmt wird. Die Abhängigkeit<br />

vom Bau äussert sich nicht zuletzt<br />

in einem ausgeprägt saisonalen Verlauf der<br />

Umsätze.<br />

Die Schreinereien profitieren stark von der<br />

gestiegenen Umweltsensitivität der Bevölkerung<br />

und der damit einhergehenden zunehmenden<br />

Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als nachhal<br />

tigem, regionalem Baustoff. Der Branche<br />

zum Vorteil gereichte zudem die Lockerung<br />

der Brandschutzvorschriften, die seit einigen<br />

Jahren nun auch den Bau mehrgeschossiger<br />

Wohn- und Wirtschaftsbauten mit einer Tragstruktur<br />

aus <strong>Holz</strong> erlauben.<br />

Aus <strong>Holz</strong> werden Strom und Wärme<br />

Die Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als Energieträger<br />

hat in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls<br />

zugenommen. Dafür verantwortlich sind nebst<br />

dem bereits erwähnten gestiegenen Umweltbewusstsein<br />

immer breiterer Bevölkerungsschichten<br />

auch die langfristig tendenziell ><br />

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38 Economic Research <strong>Holz</strong><br />

steigenden Ölpreise und die von Bund und<br />

Kantonen geförderten energetischen Sanierungen,<br />

womit unter anderem der Ersatz<br />

bestehender Ölheiz anlagen finanziell<br />

unterstützt wird. Für einen zusätzlichen<br />

Nachfrageschub dürfte mittel- bis langfristig<br />

auch der geplante Ausstieg aus der<br />

Atomenergie sorgen. Gegenüber Energieträgern<br />

wie Erdöl und Erdgas hat <strong>Holz</strong> den<br />

Vorteil, dass es lokal verfügbar ist und bei<br />

der Verbrennung nur so viel CO 2 ausgestossen<br />

wird, wie der Baum während des<br />

Wachstums absorbiert hat. Vom in der<br />

Schweiz eingeschlagenen <strong>Holz</strong> ist gut ein<br />

Drittel Energieholz. Zur Energieerzeugung<br />

wird neben diesem direkt aus der Forstwirtschaft<br />

bezogenen Energieholz immer<br />

mehr auch Restholz aus Sägereien (zum<br />

Beispiel zu Pellets gepresst) oder Altholz<br />

verwendet.<br />

Trotz Hausaufgaben intakte Aussichten<br />

Gelingt es der Schweizer <strong>Holz</strong>industrie,<br />

die be stehenden Herausforderungen zu<br />

meistern, stehen die Chancen gut, dass<br />

sie von den Trends der Zukunft profitieren<br />

wird. Für eine intakte Nachfrage dürften<br />

mittel- und langfristig das zunehmende<br />

Umweltbewusstsein der Bevölkerung, die<br />

tendenziell steigen den Ölpreise sowie der<br />

geplante Atomausstieg sorgen. Trotzdem<br />

bleiben einige Hausaufgaben zu erledi gen.<br />

Der Zugang zu einheimischem <strong>Holz</strong> ist<br />

durch eine Vergrösserung der Parzellierung<br />

oder durch die Bildung von Kooperationen<br />

zu fördern. So führen unter anderem<br />

die komplexen Waldbesitzverhältnisse, die<br />

hoheitliche Forstaufsicht und der Umstand,<br />

dass in der Schweiz die <strong>Holz</strong>ernte nicht von<br />

einem einzelnen Unternehmer, sondern in<br />

Arbeitsteilung zwischen Forstbetrieb und<br />

Unternehmer erfolgt, dazu, dass in der<br />

Schweiz im Vergleich etwa zu Finnland<br />

doppelt so viele Akteure an der <strong>Holz</strong>ernte<br />

beteiligt sind. Schlankere Prozesse würden<br />

letztlich Produk tivi tätsstei ge rungen in der<br />

Forstwirtschaft ermöglichen. Eine weitere<br />

Integration der Wertschöpfungsketten,<br />

sprich ein Ausbau der Verarbeitungskapazitäten<br />

in der Schweiz, bietet zusätzliche<br />

Optionen. Dies würde den Anteil der Wertschöpfungserbringung<br />

der <strong>Holz</strong>wirtschaft<br />

er hö hen. Gerade für periphere und strukturschwache<br />

Regionen ergäben sich daraus<br />

Chancen. Entsprechende Initia tiven<br />

versucht der Bund über die Neue Regionalpolitik<br />

(NRP) zu initiieren. Marco Caprarese,<br />

Economic Research Industry Analysis<br />

<strong>Holz</strong>nutzung<br />

und Produktion<br />

von CO2<br />

Die <strong>Holz</strong>verbrennung ist – im Gegensatz zur Verbrennung<br />

fossiler Brennstoffe wie Erdöl oder Kohle – CO 2 ­neutral.<br />

Daher ist <strong>Holz</strong> ein Bau­ und Brennstoff mit Zukunft.<br />

Die Menschheitsgeschichte ist eng mit dem<br />

<strong>Holz</strong> verbunden, denn <strong>Holz</strong> ist der älteste<br />

Energieträger und Baustoff. So wurde <strong>Holz</strong><br />

schon früh als Wärmequelle und für Werkzeuge<br />

genutzt. Später folgte die Verwendung<br />

für Schiff-, Fahrzeug- und Hausbau.<br />

Im Zuge des industriellen Fortschritts verlor<br />

<strong>Holz</strong> in entwickelten Ländern durch den<br />

Einsatz einer Vielzahl neuer Rohstoffe wie<br />

Erdöl und der daraus hergestellten Kunststoffe<br />

stark an Bedeutung. Durch die zunehmende<br />

Relevanz klimaschädigender<br />

Emissionen in der öffentlichen Diskussion<br />

gewinnt <strong>Holz</strong> als CO 2 -neutraler Brenn- und<br />

Baustoff allerdings wieder an Attraktivität.<br />

Die Schweiz hat die im Kyoto-Protokoll festgelegten<br />

Emissionsziele bislang klar verfehlt.<br />

Eine verstärkte <strong>Holz</strong>nutzung könnte<br />

einen wesentlichen Beitrag zur Zielerreichung<br />

leisten. Zurzeit werden durch die<br />

Verwendung von <strong>Holz</strong> in der Schweiz jährlich<br />

bereits 2,3 Millionen Tonnen CO 2 -Emissionen<br />

vermieden. Durch eine intensivere,<br />

aber dennoch nachhaltige Nutzung könnten<br />

im langjährigen Durchschnitt zusätzlich<br />

Abb. 1 CO 2 ­Einsparungen durch <strong>Holz</strong>nutzung<br />

etwas mehr als fünf Prozent der heutigen<br />

Emissionen eingespart werden.<br />

CO 2 ­neutraler Brenn­ und Baustoff<br />

Das bei der <strong>Holz</strong>verbrennung entstehende<br />

CO 2 entspricht genau der Menge, die von<br />

den Bäumen während der gesamten Lebensdauer<br />

aus der Luft aufgenommen und<br />

im <strong>Holz</strong> eingespeichert wurde. Daher ist die<br />

<strong>Holz</strong>verbrennung – im Gegensatz zur Verbrennung<br />

fossiler Brennstoffe wie Erdöl<br />

und Kohle – CO 2 -neutral. Wird ein Kubikmeter<br />

<strong>Holz</strong> anstelle von Erdöl mit demselben<br />

Energiegehalt verbrannt, werden<br />

damit etwa 600 Kilogramm CO 2 eingespart.<br />

Davon entfallen 100 Kilogramm auf das<br />

Ausland wegen des Transports und der<br />

Raffinierung der fossilen Brennstoffe. Eine<br />

wesentlich höhere Einsparung lässt sich<br />

jedoch durch die Verwendung von <strong>Holz</strong> als<br />

Baustoff erzielen. Eisenträger, deren Herstellung<br />

mit hohen CO 2 -Emis sionen verbunden<br />

ist, können oftmals durch <strong>Holz</strong>träger<br />

ersetzt werden. Setzt man beim Bau eines<br />

Einfamilienhauses den maximal möglichen<br />

Pro Kubikmeter <strong>Holz</strong> können im Idealfall 1,3 Tonnen CO 2 -Emissionen eingespart werden.<br />

Damit erweist sich <strong>Holz</strong> als Brenn- und Baustoff mit Zukunft. Quelle: Bundesamt für Umwelt (BAFU)<br />

Vermeidung von CO 2 -Emissionen pro m 3 <strong>Holz</strong><br />

Nur Schweiz Ausland Total inkl. Ausland<br />

Substitution von fossilen Brennstoffen 0.5 t 0.1 t 0.6 t<br />

Substitution von Baustoffen 0.3 t 0.4 t 0.7 t<br />

Zusätzliche Einsparung aus<br />

späterer Nutzung als Brennstoff<br />

0.5 t 0.1 t 0.6 t<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


<strong>Holz</strong> Economic Research 39<br />

Foto: Martin Stollenwerk<br />

Anteil <strong>Holz</strong> ein, können im Vergleich zu einem<br />

mit konventionellen Baustoffen hergestellten<br />

Haus etwa 64 Tonnen CO 2 eingespart werden.<br />

Zum Vergleich: Ein Durchschnittsschweizer<br />

verursacht jährlich eine Menge von rund<br />

5,6 Tonnen CO 2 . Allgemein betrachtet, verringert<br />

die Verwendung von <strong>Holz</strong> anstelle von<br />

anderen Baustoffen die CO 2 -Emissionen um<br />

300 Kilogramm pro verbauten Kubikmeter<br />

<strong>Holz</strong>. Hinzu kommen etwa 400 Kilogramm<br />

CO 2 , die im Ausland eingespart werden, da<br />

viele der ersetzten Baumaterialien importiert<br />

werden. Wird das eingesetzte <strong>Holz</strong> später<br />

nach dem Abbruch der Gebäude energetisch<br />

genutzt, können zu diesem Wert zusätzliche<br />

600 Kilogramm CO 2 hinzugerechnet werden.<br />

Daraus ergibt sich für die Schweiz ein totales<br />

Einsparungspotenzial von insgesamt<br />

1300 Kilo gramm CO 2 pro verbauten Kubikmeter<br />

<strong>Holz</strong> (siehe Abbildung).<br />

Stärkere Nutzung mindert CO 2 ­ Emission<br />

«<strong>Holz</strong>feueranlagen<br />

ohne entsprechende<br />

Filter verursachen viel<br />

Feinstaub.» Reto Tanner<br />

Die in der Baubranche und für <strong>Holz</strong>produkte<br />

verwendete <strong>Holz</strong>menge beträgt rund 2,5 Millionen<br />

Kubikmeter. Der Verbrauch von Waldenergie<br />

holz und Restholz beläuft sich auf je<br />

2 Mil lionen Kubikmeter, wobei Restholz etwa<br />

zur Hälfte energetisch genutzt wird. Damit<br />

werden durch den Einsatz von <strong>Holz</strong> in der<br />

Schweiz circa 2,3 Millionen Tonnen weniger<br />

CO 2 ausgestossen, wobei in dieser Zahl der<br />

Effekt der energetischen Nutzung von <strong>Holz</strong><br />

aus entsorgten Gütern nicht enthalten ist.<br />

Diese Zahl stellt bei einem jährlichen CO 2 -<br />

Austoss von circa 44 Millionen Tonnen eine<br />

nicht unerhebliche Menge dar. Aufgrund dessen<br />

hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU)<br />

in einer Studie untersucht, wie viel CO 2 -Emissionen<br />

durch eine noch stärkere <strong>Holz</strong>verwendung<br />

zusätzlich eingespart werden könnten.<br />

Den Berechnungen im Rahmen dieser<br />

Studie wurden zum einen eine intensivere<br />

Waldnutzung sowie eine bessere Ausnutzung<br />

des geschlagenen <strong>Holz</strong>es durch stärkere<br />

Verwendung von Reisig und Rinde<br />

unterstellt. Zum anderen ging man davon aus,<br />

dass <strong>Holz</strong> verstärkt als Ersatz für herkömmliche<br />

Baustoffe und andere Materialien verwendet<br />

wird, weil dadurch der CO 2 -Ausstoss<br />

besonders stark reduziert werden kann (vgl.<br />

Abbildung 1). Basierend auf einem geschätzten<br />

maximalen Marktpotenzial wurde eine<br />

Steigerung des verwendeten <strong>Holz</strong>es um 80<br />

Prozent von 2,5 auf 4,5 Millionen Kubikmeter<br />

angenommen. Bezüglich der Waldnutzung<br />

wurde von einer jährlich genutzten Menge<br />

von momentan circa 6,4 Millionen Kubikmeter<br />

auf 9,2 Millionen Kubikmeter ausgegangen,<br />

was in etwa der Menge entspricht, die<br />

dem Wald entnommen werden kann, ohne<br />

dass dadurch der Waldbestand über die Zeit<br />

abnimmt. Durch diese Massnahmen könnte<br />

im Durchschnitt über hundert Jahre betrachtet<br />

in der Schweiz auf das Jahr gerechnet<br />

zusätzlich eine Menge CO 2 eingespart werden,<br />

die etwas mehr als fünf Prozent der derzeitigen<br />

Emissionen entspricht. Es ist zu<br />

beachten, dass dieser Wert stark von der<br />

Modellierung der ökologischen Zusammenhänge<br />

und der Nachfrage nach <strong>Holz</strong>produkten<br />

abhängt. So ist beispielsweise fraglich,<br />

ob die Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als Bau- und<br />

Brennstoff das in der Studie angenommene<br />

Niveau erreichen kann.<br />

<strong>Holz</strong>nutzung hat auch Schattenseiten<br />

Klimagasausstoss in der Schweiz:<br />

CO 2 ­Mengen versus CO 2 ­Äquivalente<br />

Während die Nutzung von <strong>Holz</strong> als Baustoff<br />

und für andere Produkte ökologisch weitgehend<br />

positiv ist, entstehen bei der Verbrennung<br />

ohne entsprechende Filteranlagen<br />

erhebliche Mengen gesundheitsschädigenden<br />

Feinstaubs. Besonders ausgeprägt ist<br />

dieses Problem bei der Verbrennung in privaten<br />

<strong>Holz</strong>feueranlagen und noch stärker bei<br />

Kaminfeuerungen, da bei dieser Verbrennungsart<br />

zum einen pro Einheit <strong>Holz</strong> besonders<br />

viele Partikel und Schadstoffe entstehen<br />

und zum anderen diese Emissionen<br />

oft in besiedelten Gebieten anfallen, wo folglich<br />

viele Menschen den Schadstoffen ausgesetzt<br />

sind.<br />

Bei einer Messung an einem Winterabend<br />

in dem an der San-Bernardino-Autobahn liegenden<br />

Dorf Roveredo wurde beispielsweise<br />

festgestellt, dass drei- bis viermal mehr Feinstaub<br />

von <strong>Holz</strong>feuerungen als von der nahen<br />

Autobahn stammen. Im Vergleich ergaben<br />

Messungen in Zürich, dass sich der Feinstaub<br />

aus diesen beiden Quellen in etwa die<br />

Waage hält.<br />

Die Feinstaubbelastung durch <strong>Holz</strong>verbrennung<br />

stellt demnach ein wesentliches<br />

Problem dar. Das kann dadurch gemildert<br />

werden, dass <strong>Holz</strong> in Zukunft vermehrt in<br />

modernen Verbrennungsanlagen mit entsprechenden<br />

Filtersystemen energetisch genutzt<br />

wird, wie dies heute bereits in modernen<br />

<strong>Holz</strong>heizkraftwerken der Fall ist.<br />

Reto Tanner, Economic Research Macro Analysis and Policy<br />

Weitere Informationen zum Wirtschaftsfaktor<br />

<strong>Holz</strong> und zu innovativen Schweizer Firmen unter<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />

Nicht nur Kohlendioxid (CO 2 ), sondern auch andere Gase entfalten<br />

eine klimaerwärmende Wirkung. Um den Klimaeffekt einer Mischung<br />

verschiedener emittierter Gase auszudrücken, wird dieser in so<br />

genannten CO 2 ­Äquivalenten angegeben. Das in der Landwirtschaft<br />

entstehende Methan hat beispielsweise gemäss dem Kyoto­Protokoll<br />

pro Kilogramm gegenüber CO 2 eine 21­fache klimaerwärmende<br />

Wirkung. Die Wirkung von Distickstoffmonoxid (N 2 O) ist pro Kilogramm<br />

sogar 310 Mal grösser als diejenige von CO 2 . Ebenfalls im<br />

Kyoto­Protokoll enthalten sind drei synthetische Gase. Diese<br />

machen aber nur einen sehr kleinen Anteil am Klimaeffekt aus.<br />

Andere klimawirksame Gase wurden nicht in die Kyoto­ Vereinbarung<br />

aufgenommen und werden entsprechend nicht bewertet.<br />

Die in der Schweiz ausgestossenen Klimagas emissionen beliefen<br />

sich im Jahr 2009 auf 52 Millionen Tonnen CO 2 ­Äquivalente beziehungsweise<br />

auf 6,7 Tonnen pro Kopf. Davon entfielen 44 Millionen<br />

Tonnen oder 5,6 Tonnen pro Kopf auf CO 2 ­Emissionen. Es gilt aber<br />

zu beachten, dass bei dieser Betrachtung nur die in der Schweiz<br />

emittierten Klimagase enthalten sind. Berücksichtigt man die<br />

bei der Produktion von importierten Produkten sowie die bei internationalen<br />

Flügen von Schweizern entstandenen Emissionen, so<br />

erhöhen sich die Pro­Kopf­Emissionen auf – je nach Studie – etwa<br />

zwölf Tonnen CO 2 ­Äquivalente pro Jahr.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


40 Economic Research Wohnen<br />

Kaufen statt mieten<br />

Wohneigentum ist heute dank der sehr tiefen Hypothekarzinsen preiswerter als eine<br />

vergleichbare Mietwohnung. Eine längere zeitliche Betrachtung zeigt aber,<br />

dass Schweizer für ihre eigenen vier Wände bereit sind, eine Prämie zu entrichten.<br />

Die eigenen vier Wände sind für viele<br />

Schweizer immer noch die Wunschwohnform<br />

schlechthin. In den letzten Jahren konnten<br />

immer mehr Schweizer diesen Traum verwirklichen.<br />

Während sich die Wohneigentumsquote<br />

im Jahr 2000 noch auf 34,6 Prozent<br />

belief, dürfte diese Ende 2010 auf etwa<br />

39 Prozent angestiegen sein. Aus dem Volk<br />

von Mietern wird damit zunehmend ein Volk<br />

von Eigentümern. Dieser Trend wird in den<br />

nächsten Jahren anhalten. In Anbetracht dieser<br />

Entwicklung stellt sich die Frage, ob sich<br />

der Erwerb von Wohneigentum auch aus finanzieller<br />

Sicht lohnt oder ob diesbezüglich<br />

vor allem persönliche Präferenzen im Vordergrund<br />

stehen. Ein reiner Vergleich der jährlichen<br />

Hypothekarzinszahlungen mit der Miete<br />

für eine vergleichbare Wohnung genügt<br />

dazu aber nicht. Für die Beantwortung der<br />

Frage sind alle involvierten Kosten zu berücksichtigen.<br />

Um den Vergleich möglichst adäquat vorzunehmen,<br />

müssen alle materiellen Vor- und<br />

Nachteile von Wohneigentum quantifiziert<br />

werden. Neben den Hypothekarzinskosten<br />

werden dazu auch Abschreibungen auf das<br />

Objekt und Unterhaltskosten mitberücksichtigt.<br />

Zudem werden steuerliche Aspekte<br />

(Ei genmietwert, Abzugsmöglichkeit der<br />

Hypothekarzinsen), Opportunitätskosten des<br />

im Eigenheim gebundenen Kapitals, zu erwartende<br />

Aufwertungsgewinne der Liegenschaft<br />

sowie eine Prämie für das anlage technische<br />

Klumpenrisiko beim Besitz von Wohneigentum<br />

mit in die Berechnungen ein bezogen.<br />

Um dies besser zu veranschaulichen, ist in der<br />

nebenstehenden Tabelle die Rechnung für die<br />

Gemeinde Gossau SG aufgeführt. Die Wohnkosten<br />

für eine mittlere Vierzimmer-Eigentumswohnung<br />

belaufen sich nach dieser vollständigen<br />

Rechnung auf 15 164 Franken. Für<br />

eine vergleichbare Mietwohnung liegt die<br />

Jahresmiete bei 22 200 Franken. Damit ist<br />

Wohneigentum in Gossau rund 32 Prozent<br />

günstiger als eine Mietwohnung. Mit Recht<br />

kann von einem Eigentumsdiscount gesprochen<br />

werden.<br />

«Wohneigentum ist heute bis<br />

zu einem Drittel billiger als<br />

die Miete eines vergleichbaren<br />

Objekts.» Thomas Rieder<br />

Tab. Von der Eigentumsprämie zum Eigentumsdiscount<br />

In Gossau SG hat sich das Wohnaufwandverhältnis zwischen Eigentum und Miete einer mittleren<br />

Vierzimmerwohnung im Vergleich zu 2008 völlig gewandelt. Quelle: Credit Suisse Economic Research<br />

* Belehnung 50%, Fix-Hypothek 5 Jahre, ** Alternativanlage des Eigenkapitals in Staatsobligationen<br />

Ein solcher Discount ist momentan in einem<br />

Grossteil der Schweizer Regionen zu beobachten.<br />

Allerdings existieren grosse regionale<br />

Unterschiede. Diese spiegeln das individuelle<br />

Verhältnis zwischen regionalem<br />

Mietwohnungs- und Wohneigentumsmarkt<br />

wider. So weist die Region Baden einen<br />

Discount von 31 Prozent auf. In den benachbarten<br />

Regionen Limmattal und Zürcher<br />

Unterland liegt dieser dagegen bloss bei<br />

16 respektive 14 Prozent, weil eine starke<br />

An gebotsausweitung von Mietwohnungen<br />

die Mietpreise auf moderaten Niveaus verharren<br />

lässt. In Regionen mit touristischen<br />

Destinationen ist das regionale Preisniveau<br />

für Eigentumswohnungen stark durch das<br />

Zweitwohnungssegment nach oben verzerrt,<br />

sodass die (Opportunitäts-)Kosten für Wohneigentum<br />

hoch ausfallen. Das führt etwa in<br />

der Surselva im Durchschnitt zu einem Discount<br />

von bloss 14 Prozent.<br />

Der aktuell vorherrschende Discount darf<br />

nicht als in Stein gemeisselt angesehen<br />

werden. Im Gegenteil, im Normalfall muss für<br />

die eigenen vier Wände eine Prämie entrichtet<br />

werden. Wird die Entwicklung seit<br />

1993 betrachtet, zeigt sich, dass die Eigentumsprämie<br />

im Schweizer Durchschnitt<br />

bei acht Prozent liegt. Ein Vergleich zwischen<br />

2008 und 2 0<strong>11</strong> ergibt, dass Schwankungen<br />

hauptsächlich auf die Veränderungen im<br />

Hypothe karzinsumfeld zurückzuführen sind.<br />

Mit steigenden Zinsen werden demnach auch<br />

die Aufwände für Wohneigentum wieder<br />

ansteigen.<br />

Gemäss unseren Modellrechnungen ist<br />

auch im Verlauf des Jahres 2012 mit einem<br />

Discount zu rechnen. Früher oder später<br />

dürfte sich aber wieder eine Prämie einstellen.<br />

Das wird der Nachfrage aber kaum schaden<br />

– kann die Eigentumsprämie doch mit<br />

den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

bei Wohneigentum begründet werden. In<br />

der Regel bewirken diese einen etwas höheren<br />

Ausbaustandard der Eigentumsobjekte.<br />

Die Freiheit, in den eigenen vier Wänden<br />

zu wohnen, ist vielen zudem einen Aufpreis<br />

wert. Thomas Rieder, Senior Economist<br />

2008 20<strong>11</strong><br />

Preis Eigentumswohnung 522 000 CHF 588 000 CHF<br />

Hypothekarzinskosten* <strong>11</strong> <strong>04</strong>1 CHF 6 162 CHF<br />

Opportunitätskosten** 7 639 CHF 3 954 CHF<br />

Abschreibungen/Unterhalt (total 1.3%) 6 786 CHF 7 644 CHF<br />

Steuermehrkosten netto 708 CHF 2 085 CHF<br />

Risikoprämie 5 220 CHF 5 880 CHF<br />

Erwarteter Aufwertungsgewinn –9376 CHF –10 561 CHF<br />

Wohnaufwand Eigentum 22108 CHF 15 164 CHF<br />

Jahresmiete 21 000 CHF 22 200 CHF<br />

Eigentumsprämie + 5% (1.05) – 32% (0.68)<br />

Foto: Credit Suisse<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Von Fällanden<br />

Spross GartenForum<br />

Inspirationen. Ideen. Visionen.<br />

Die Schönheit eines Gartens liegt in der Harmonie der Gestaltungselemente.<br />

Eine detaillierte Gartenplanung ist daher die massgebliche<br />

Grundlage für eine nachhaltige Gartengestaltung. Seit über 100<br />

Jahren planen und bauen wir Gärten und Aussenanlagen. Dabei gilt<br />

als oberstes Prinzip, das Potential des Standortes zu erkennen und<br />

die individuellen Vorlieben unserer Kunden zu integrieren.<br />

Unser GartenForum wurde angelegt, um Sie zu inspirieren und Sie<br />

rund um noch besser beraten zu können. Es soll Ihnen Gartenkultur<br />

zum Anfassen bieten und Ihnen zeigen, wie Gartenräume in Szene<br />

gesetzt und wie Naturräume geschaffen oder gestaltet werden<br />

können. Wer sich auf Erkundungstour in der Anlage begibt,<br />

gewinnt immer wieder neue Ein- und Ausblicke auf die gestaltete<br />

Gartenlandschaft.<br />

Sieben Themengärten zeigen Räume mit repräsentativem<br />

Flair und individueller Funktionalität. Klare Formen und gezielt<br />

eingesetzte Materialien schaffen eine zurückhaltende und elegante<br />

Gesamtwirkung. Das GartenForum steht aber nicht nur für inspirierende<br />

Gartengestaltung, sondern soll auch als Beratungsplattform<br />

verstanden werden und Ihnen schon während der Ideenfindung<br />

Realisierbarkeit und Raffinesse ebenso wie handwerkliche als auch<br />

wirtschaftliche Aspekte aufzeigen.<br />

Von Witikon<br />

Von Zollikon<br />

Binz<br />

Baumschule<br />

P GartenForum<br />

Bautacherweg<br />

Von Ebmatingen<br />

Spross GartenForum<br />

Bautacherweg, 8122 Binz<br />

Telefon <strong>04</strong>3 333 33 33<br />

Offen von April bis Oktober<br />

Mittwoch bis Freitag <strong>11</strong>–19 Uhr<br />

Samstag 10–17 Uhr<br />

www.spross-gartenforum.ch


42 Wirtschaft Gold<br />

9.20<strong>11</strong><br />

Gold Preise per ounce in US dollars<br />

1900<br />

1800<br />

1700<br />

4.20<strong>11</strong><br />

6.20<strong>11</strong><br />

8.20<strong>11</strong><br />

1600<br />

12.2010 2.20<strong>11</strong><br />

1500<br />

7.20<strong>11</strong><br />

1400<br />

9.2010<br />

8.2009<br />

5.20<strong>11</strong><br />

1300<br />

1200<br />

<strong>11</strong>.2009<br />

12.2009<br />

2.2010<br />

5.2010<br />

4.2010<br />

7.2010 3.20<strong>11</strong><br />

<strong>11</strong>.2010<br />

10.2010<br />

<strong>11</strong>00<br />

10.2009<br />

6.2010<br />

8.2010<br />

1.20<strong>11</strong><br />

2.2009<br />

6.2009<br />

3.2010<br />

1000<br />

4.2009<br />

900<br />

1.2010<br />

800<br />

3.2009<br />

5.2009<br />

7.2009<br />

1.2009<br />

9.2009<br />

Die andere Anlage klasse<br />

Die Finanzkrise hat aufgrund von tiefen Barrenditen, volatilen Märkten und<br />

Inflationsängsten einen Goldrausch ausgelöst. Verstärkt wurde der Goldbedarf<br />

durch die unverminderte Konsumnachfrage und die Auflegung von Gold-ETFs.<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Gold Wirtschaft 43<br />

Foto: Olix Wirtinger, Corbis Specter<br />

Gold hat – als Zahlungsmittel und Vermögensspeicher<br />

– eine grosse Geschichte. Im<br />

alten Ägypten, in Mesopotamien und in China<br />

wurde es schon 2000 Jahre vor unserer<br />

Zeitrechnung für verschiedene monetäre<br />

Funktionen genutzt. Bei der Schaffung der<br />

meisten modernen internationalen Währungssysteme<br />

diente Gold als Referenzgrösse, an<br />

welche die Papierwährung angebunden war.<br />

Obwohl der Goldstandard kaum noch in Gebrauch<br />

ist, bleibt Gold als Anlageklasse ein<br />

wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen<br />

und breit diversifizierten Kapitalallokation.<br />

Nach wie vor kann es eine lukrative Möglichkeit<br />

zum Erhalt der weltweiten Kaufkraft und<br />

zur Speicherung von Vermögen sein.<br />

Der Goldrausch von 2008<br />

Im Gefolge der Finanzkrise von 2008 versetzten<br />

massive Portfolioverluste die Anleger<br />

in Aufruhr. Sie flohen in Scharen aus den<br />

Kapitalmärkten und hielten Barpositionen in<br />

Rekordhöhe. An Renditen war nicht zu denken,<br />

und die meisten Anleger wollten aus<br />

Angst vor einem weiteren Absturz nicht an<br />

die Aktienmärkte zurückkehren. Erschwerend<br />

kam hinzu, dass Inflationsängste um<br />

sich griffen, weil die Staaten Rekordsummen<br />

zur Ankurbelung der Wirtschaft aus gaben.<br />

Damit war der Boden für eine Art modernen<br />

Goldrausch bereitet. Attraktiv war Gold für<br />

die Anleger, weil es als sicherer Hafen gilt<br />

und zur Absicherung gegen die Inflation wie<br />

auch zum Erhalt der globalen Kaufkraft dienen<br />

kann. Die Frage war nur, wie man beim<br />

Kauf des Metalls vorgehen sollte.<br />

Wer Gold kaufen wollte, musste sich vor<br />

2003 das physische Metall beschaffen und<br />

es lagern – ein extrem teures und mühsames<br />

Unterfangen. Im Jahr 2003 wurden so<br />

genannte Gold Bullion Securities an der Australian<br />

Stock Exchange aufgelegt, die zum<br />

ersten offiziellen physisch unterlegten Gold-<br />

ETF (börsengehandelter Fonds) wurden. Das<br />

Ereignis fand damals kaum Beachtung.<br />

Einen grossen Durchbruch erzielte jedoch<br />

20<strong>04</strong> der World Gold Council mit der Auflegung<br />

von GLD, einem in den USA kotierten<br />

und registrierten ETF, der physisch mit Gold<br />

unterlegt war und an der New York Stock<br />

Exchange gehandelt wurde. Der Zeitpunkt<br />

hätte nicht besser sein können, und das Ergebnis<br />

war umwerfend (siehe Abbildung 2). Mit<br />

GLD wurde der Kauf von physischem Gold<br />

für die Anleger so leicht wie der Kauf einzelner<br />

Aktien über ein Online-Brokerage-<br />

Konto. Der Mechanismus war einfach: Jeder<br />

ETF-Anteil war eine bestimmte Menge an<br />

«Die Zeit für Gold ist noch<br />

lange nicht vorüber.»<br />

Ryan Sullivan<br />

physischem Gold wert, das in einem Tresor<br />

in London verwahrt wurde. Diese relativ<br />

einfache Finanzinnovation führte zu einer<br />

grundlegenden Veränderung des Marktes<br />

und ermöglichte den Zugangzu Gold als liquider<br />

Anlageklasse. Seit der Auflegung von<br />

Gold Bullion Securities und GLD haben zahlreiche<br />

physisch unterlegte Gold-ETFs nachgezogen.<br />

Die Nachfrage der Anleger war<br />

verblüffend. Von Januar 2008 bis Dezember<br />

2010, während die Renditen auf breiter Front<br />

einbrachen, schnellte die Menge an physischem<br />

Gold, das von ETFs gehalten wurde,<br />

von 927 auf 2237 Tonnen hoch. Das entspricht<br />

einem Anstieg um etwa 240 Prozent.<br />

Im Berichtszeitraum Juli 20<strong>11</strong> des Internationalen<br />

Währungsfonds (IWF) war GLD mit<br />

1208 Tonnen des Edelmetalls in eigenen Tresoren<br />

der weltweit sechstgrösste Besitzer<br />

von physischem Gold.<br />

Schwellenländer kurbeln Nachfrage an<br />

Der fundamentale Wert von Gold wird von<br />

zahlreichen Faktoren bestimmt: von Angebot<br />

und Nachfrage auf globaler Ebene, vom Zinsniveau,<br />

von Währungsschwächen und von<br />

der generellen Anlegerstimmung. Gold hat<br />

in den verschiedenen Märkten eine Vielzahl<br />

von Funktionen (siehe Abbildung 3). Es spielt<br />

eine Rolle in der Halbleiterproduktion, Zahnärzte<br />

verwenden es seit Jahrzehnten, und<br />

Anleger kaufen es nach wie vor als eigenständige<br />

Position im Rahmen ihrer Kapitalallokation.<br />

Das meiste Gold wird jedoch für<br />

die Herstellung von Goldschmuck benötigt.<br />

Die Schmucknachfrage aus Schwellenländern,<br />

allen voran Indien und China, ist für<br />

einen ausserordentlich grossen Teil des weltweiten<br />

Goldbedarfs verantwortlich. Indien,<br />

vielleicht einer der wichtigsten Akteure auf<br />

dem Goldmarkt, spielt eine spezielle und oft<br />

übersehene Rolle im weltweiten Wechselspiel<br />

von Angebot und Nachfrage rund um<br />

das Edelmetall. Man muss sich klarmachen,<br />

welche ökonomische und kulturelle Funktion<br />

Gold auf dem indischen Subkontinent hat:<br />

Es hat religiöse Bedeutung und bietet finanzielle<br />

Sicherheit. Für die indische Kultur, anders<br />

als für die westliche, ist Goldschmuck<br />

nicht nur ein Luxusgut, sondern auch eine<br />

Möglichkeit, Vermögen anzusammeln, ähnlich<br />

wie für einen westlichen Anleger seine<br />

Anlagekonten. Die Nachfrage, die sich daraus<br />

ergibt, drückt sich in frappierenden Zahlen<br />

aus: Im Jahr 2010 wurden 2060 Tonnen<br />

Gold, das sind 54 Prozent des Weltbedarfs,<br />

zur Schmuckherstellung verwendet. Dies<br />

entspricht einem Anstieg von 17 Prozent<br />

gegenüber dem Gesamtbedarf von 2009.<br />

Allein auf Indien entfielen 746 Tonnen, knapp<br />

über ein Drittel des weltweiten Gesamtbedarfs<br />

an Schmuckgold und ein Plus von 69<br />

Prozent im Vergleich zu 2009. Dieser Trend<br />

dürfte sich noch fortsetzen, wenn immer mehr<br />

Inder in die Mittelschicht aufsteigen und die<br />

Möglichkeit haben, ihr frei verfügbares Einkommen<br />

für Goldschmuck auszugeben.<br />

Die Nachfrage aus China stellt gegenwärtig<br />

nur einen Bruchteil der Nachfrage aus<br />

dem indischen Subkontinent dar. Erste Anzeichen<br />

deuten aber darauf hin, dass China<br />

sein Nachbarland in nicht allzu ferner Zukunft<br />

überholen könnte. Die Gesamtnachfrage<br />

nach Schmuck lag in China 2010 um 13,6<br />

Prozent höher als im Vorjahr. Selbst 2009,<br />

als die Nachfrage nach Goldschmuck in den<br />

meisten Ländern aufgrund der desaströsen<br />

Wirtschaftslage einbrach, verzeichnete China<br />

einen Anstieg. Von der weltweiten Nachfrage<br />

nach Gold für Schmuck und als Kapitalanlage<br />

entfallen auf China und Indien gemeinsam<br />

40 Prozent.<br />

Gold aus drei Quellen<br />

Das Goldangebot speist sich aus drei Quellen:<br />

Bergbau, Wiedergewinnung und Transaktionen<br />

des offiziellen Sektors – Goldverkäufe<br />

von Zentralbanken im offenen<br />

Markt – (siehe Abbildung 4). Im Jahr 2010<br />

lag das weltweite Gesamtangebot bei 4108<br />

Tonnen, zwei Prozent höher als 2009.<br />

Der grösste Teil der Angebotszunahme<br />

stammt aus dem Bergbau. Durch die Erschliessung<br />

neuer Standorte und den Ausbau<br />

bestehender Werke stieg die geförderte<br />

Goldmenge gegenüber 2009 um neun Prozent.<br />

Die Fördermenge war trotz rekordhoher<br />

Goldpreise insgesamt relativ gering und blieb<br />

hinter den Mengen zurück, die im Verlauf<br />

des Jahrzehnts auch schon ver zeichnet<br />

wurden. Zu den Gründen für diese Anomalie<br />

zählen steigende Produktions kosten und ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


44 Wirtschaft Gold<br />

Abb. 1 Goldreserven der Zentralbanken<br />

Die Zentralbanken haben nach der Finanzkrise 2008 den Anteil des Goldes an ihren<br />

Auslandsreserven generell erhöht. Quelle: World Gold Council, Internationaler Währungsfonds<br />

Tonnen<br />

Verhältnis von Gold zu Auslandsreserven<br />

Land/Bank 4. Quartal 2010 10-Jahres-Durchschnitt 4. Quartal 2010 10-Jahres-Durchschnitt<br />

USA 8134 8136 75% 67%<br />

Deutschland 3401 3429 71% 55%<br />

Europäische<br />

Zentralbank 501 663 30% 22%<br />

China 1054 654 2% 1%<br />

Indien 558 383 8% 5%<br />

Saudi-Arabien 323 197 3% 4%<br />

gesetzliche Erschwernisse in bestimmten<br />

Ländern. Zwischen 2007 und 2010 stiegen<br />

die Arbeitskosten um etwa 30 Prozent. Strom<br />

verteuerte sich um 50, Diesel um 40 Prozent.<br />

Die Gesamtkosten des Goldabbaus erhöhten<br />

sich um etwa 33 Prozent, weil qualifizierte<br />

Arbeitskräfte knapp wurden und die Minenbetreiber<br />

pro geförderter Tonne immer mehr<br />

Geld ausgeben mussten.<br />

Ausserdem führte die mangelnde Explorationstätigkeit<br />

in früheren Jahrzehnten dazu,<br />

dass «neue Kapazität» nicht aus neu erschlossenen<br />

Lagerstätten kam, sondern aus<br />

der Wiedereröffnung alter, kostenintensiver<br />

Minen. Wenn im Westen Minen ihre Tore<br />

schlossen, wurde ihre Kapazität im Allgemeinen<br />

nicht ersetzt. Süd afrika, einst das grösste<br />

Goldförderland der Welt, wurde 2007 von<br />

China überholt. So kam es nicht zu einer Zunahme<br />

des Angebots, sondern lediglich zu<br />

einer Verlagerung der Produktionsquellen.<br />

Wachstum ist von diesem Niveau aus aber<br />

möglich, denn in China, wo gegenwärtig der<br />

grösste Teil der neuen Kapazität entsteht,<br />

dürfte die Fördermenge weiter steigen.<br />

Von 1989 bis 2007 verkauften Zentralbanken<br />

im Jahresdurchschnitt insgesamt 400<br />

bis 500 Tonnen Gold aus ihren Reservebeständen<br />

am Markt. Sowohl die USA als<br />

auch die westeuropäischen Länder behalten<br />

einen erheblichen Teil ihrer Goldreserven als<br />

Überbleibsel aus den Tagen des Goldstandards<br />

bei. Die Liquidation von Gold war ein<br />

Routineverfahren zur Anpassung der Währungsreserven.<br />

Doch obwohl die meisten<br />

westlichen Zentralbanken eigentlich überhöhte<br />

Goldbestände aufweisen, begannen<br />

die jährlichen Verkaufsmengen mit Beginn<br />

der Finanzkrise allmählich zu sinken.<br />

Im Jahr 2010 wurden die Zentralbanken<br />

erstmals seit etwa 20 Jahren zu Netto-Goldkäufern,<br />

und an diesem Trend wird sich wohl<br />

auch in naher Zukunft nichts ändern. In den<br />

letzten Jahren waren speziell die europäischen<br />

Zentralbanken zögerlich beim Verkauf<br />

von Gold aus ihren externen Reserven an<br />

den Markt. Der offensichtlichste Grund hierfür<br />

ist, dass sie Gold als Währungsersatz und<br />

als Möglichkeit zur Diversifikation ihrer Positionen<br />

betrachten. Angesichts der globalen<br />

Finanzkrise und der aktuellen Staatsschuldenproblematik,<br />

die den Kontinent wohl auch<br />

weiterhin umtreiben wird, halten Banken lieber<br />

Gold als eine Währung, selbst auf die<br />

Gefahr einer Abwertung oder eines erheblichen<br />

Verlusts hin.<br />

In Schwellenländern verfügen die Zentralbanken,<br />

gemessen an ihren Reserven, seit<br />

jeher über besonders geringe Goldbestände.<br />

Da sich der Umbau der Weltwirtschaft fortsetzt<br />

und sich die Schwellenländer in ihren<br />

Beständen, neben anderen Fremdwährungen,<br />

mit grossen Mengen an US-Dollar<br />

konfrontiert sehen, kaufen diese Länder regelmässig<br />

Gold, um ihr Währungsengagement<br />

zu diversifizieren. Auch wenn kleinere<br />

Schwellenländer im Vergleich zu den Industrieländern<br />

verschwindend geringe Mengen<br />

Gold halten, scheint sich ein Paradigmenwechsel<br />

abzuzeichnen.<br />

Goldanlagen haben Zukunft<br />

Gold ist anders als alle anderen Anlageklassen.<br />

Seine Bewertung hängt von verschiedenen<br />

Faktoren ab, von denen viele für traditionelle<br />

Märkte keine Rolle spielen. Gold<br />

hilft Anlegern und Staaten beim Schutz und<br />

Aufbau von Vermögen. Nach wie vor dient es<br />

als Mittel, um Portfolios gegen die Inflation<br />

abzusichern und die globale Kaufkraft zu<br />

erhalten. Angesichts der Globalisierung der<br />

Investmentlandschaft stellt Gold für Anleger<br />

eine Möglichkeit dar, ihr Währungsengagement<br />

zu diversifizieren und ihre Preissetzungsmacht<br />

zu schützen, gleichzeitig aber an<br />

ihrem Engagement in US-Dollar festzuhalten.<br />

Diese Gründe sind bei Weitem nicht vollständig,<br />

doch es steht fest: Die Zeit für Gold ist<br />

noch lange nicht vorüber.<br />

Ryan Sullivan, Private Banking Americas<br />

Abb. 2 Gold­ETFs stossen auf Interesse<br />

Die Nachfrage nach physisch unterlegten Gold-<br />

ETFs hat seit der Auflegung des ersten derartigen<br />

Fonds im Jahr 2003 drastisch zugenommen.<br />

Nach 2008 stiegen die Bestände in drei Jahren<br />

um 240 Prozent. Quelle: Credit Suisse<br />

Abb. 3 Wofür das Gold gebraucht wird<br />

Der grösste Teil des Goldbedarfs entfällt noch<br />

immer auf die Schmuckherstellung, doch<br />

der Einsatz von Gold als Kapitalanlage hat in den<br />

letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen.<br />

Quelle: Credit Suisse IDC, Bloomberg, GMFS<br />

Abb. 4 Woher das Goldangebot stammt<br />

Die Transaktionen der Zentralbanken im offenen<br />

Markt sind seit der Finanzkrise von 2008 fast<br />

auf null gesunken. Dementsprechend entfällt der<br />

grösste Teil des Goldangebots auf den Bergbau,<br />

der Rest auf die Wiedergewinnung. Quelle: Bloomberg<br />

Tonnen<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

Tonnen<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

Tonnen<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

3.3<br />

3.5<br />

3.7<br />

3.9<br />

3.<strong>11</strong><br />

2000<br />

2001<br />

2002<br />

2003<br />

20<strong>04</strong><br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

2000<br />

2001<br />

2002<br />

2003<br />

20<strong>04</strong><br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

Goldbestände in physisch unterlegten ETFs<br />

Industrie und Zahnmedizin<br />

Schmuckherstellung Kapitalanlage<br />

Verkäufe des offiziellen Sektors<br />

Wiedergewinnung<br />

Bergbau<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Anlagestrategien Economic Research 45<br />

«Für Privatanleger kann<br />

<strong>Holz</strong> spannend sein»<br />

Andreas Russenberger, Leiter Global MACS (Multi Asset Class Solutions) Mandates<br />

and Funds der Credit Suisse, erklärt, warum Investitionen in <strong>Holz</strong> für Grossanleger eher<br />

problematisch sind, doch für Privatanleger durchaus ihren Reiz haben können.<br />

Foto: Rainer Wolfsberger<br />

<strong>bulletin</strong>: Was für Anlagemöglichkeiten gibt es zum Thema <strong>Holz</strong>?<br />

Andreas Russenberger: <strong>Holz</strong> ist eine natürlich nachwachsende Ressource<br />

und damit sicher nachhaltig, was für immer mehr Anleger<br />

wichtig ist. Zudem ist es auch in zyklischer Hinsicht eine spannende<br />

Anlage. Wenn die Nachfrage und damit der Preis des <strong>Holz</strong>es sinkt,<br />

zum Beispiel während einer Baukrise, dann lässt man die Bäume<br />

einfach stehen oder lagert sie ein und wartet zwei, drei Jahre, um<br />

erst wieder aktiv zu werden, wenn die Preise wieder steigen. Nicht<br />

ganz so positiv, wie es auf den ersten Blick aussehen mag, ist die<br />

Ökobilanz. Während des Wachstums entzieht ein Baum der Umwelt<br />

zwar CO 2 , doch wird während der Verarbeitung wieder einiges davon<br />

freigesetzt. Am Schluss dürfte die Bilanz in etwa neutral sein. Für<br />

Privatanleger kann <strong>Holz</strong> als Investition also durchaus interessant<br />

sein. Für uns vom Portfoliomanagement allerdings nicht.<br />

Und wo liegt für Sie das Problem?<br />

Für uns ist das Thema <strong>Holz</strong> etwas problematisch, weil wir im Portfoliomanagement<br />

durchwegs im sehr grossen Stil investieren. Und<br />

im Zusammenhang mit der <strong>Holz</strong>gewinnung geht in dieser Grössenordnung<br />

zumeist die natürliche Diversität verloren. Einzelne Baumarten<br />

aus einem natürlich wachsenden Mischwald herauszuholen, ist<br />

sehr aufwändig und teuer. Entsprechend werden in der Regel gleiche<br />

Baumsorten in Monokulturen angebaut, was dann wieder problematisch<br />

für den Boden ist. Kommt dazu, dass sich bei den gängigen<br />

<strong>Holz</strong>sorten der Transport nicht lohnt. Höchstens bei den Edelhölzern<br />

mag sich das auszahlen, aber das wiederum ist nicht vereinbar mit<br />

unserem ökologischen Verantwortungsbewusstsein.<br />

Daneben gibt es auch ein anlagetechnisches Problem mit <strong>Holz</strong>,<br />

und zwar das der mangelnden Liquidität. Wir wollen und müssen<br />

unseren Kunden liquide Portfolios anbieten.<br />

Können Sie das noch etwas näher ausführen?<br />

Nehmen wir eine Aktie, die lässt sich noch am gleichen Tag verkaufen<br />

und damit in Geld umwandeln. Bei den Fonds geht es vielleicht<br />

zwei, drei Tage. Bei Immobilien wird es schon etwas schwieriger.<br />

Aber es ist immer noch in nützlicher Frist durchführbar. Bei <strong>Holz</strong> ist<br />

das ein geradezu unlösbares Problem. Nehmen wir einmal an, dass<br />

wir 100 Millionen Franken in eine neue <strong>Holz</strong>plantage investieren. Nun<br />

wird ganz simpel ausgedrückt zuerst mit der Pflanzung von Setzlingen<br />

begonnen. Nun kann man nach zwei Jahren nicht einfach sagen,<br />

ein paar Kunden von uns wollen aussteigen und ihr Geld zurück haben.<br />

Solche <strong>Holz</strong>anlagen sind langfristige Investitionen, eigentliche Private<br />

Equities, also Beteiligungen, mit denen Infrastrukturen und<br />

längerfristige Wachstumsprozesse gestartet werden. Allenfalls gibt<br />

es nach ein paar Jahren erste Zinszahlungen, weil erste Tranchen<br />

gefällt werden, aber mehr nicht.<br />

Bäume liefern auch den Grundstoff für Papier. Gibt es in<br />

diesem Bereich allenfalls Anlagemöglichkeiten für Sie?<br />

Die Papier- und Zellstoffindustrie gilt tatsächlich als relativ gute Investition,<br />

weil der Zellstoff bereits den ersten Schritt der Verarbeitungskette<br />

hinter sich hat und damit zu einem einfacher handelbaren<br />

Rohstoff wird. Er gilt als eine Art defensive Anlagemöglichkeit, die<br />

in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten ist, im heutigen<br />

Umfeld aber wieder zunehmend wichtiger wird.<br />

Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass <strong>Holz</strong>anbau<br />

in seiner rudimentärsten Form allenfalls für Privatanleger ein<br />

Thema sein kann, aber nicht fürs Portfoliomanagement. Gleichwohl<br />

bieten Sie auch spezielle Nachhaltigkeitsportfolios an.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Bei unseren expliziten Nachhaltigkeitsportfolios verpflichten wir uns,<br />

nur in Firmen mit konkreten Nachhaltigkeitskonzepten zu investieren,<br />

die dann zum Beispiel nur Hölzer mit FSC-Label verwenden. Doch<br />

ist genau dieser Ansatz, nur noch Hölzer aus nachhaltigem Anbau<br />

zu verwenden, mittlerweile sehr weit verbreitet und fast schon zur<br />

Norm geworden. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine anfängliche<br />

Selbstregulierung auf breiter Front durchsetzen kann. Am<br />

«Für uns als Grossanleger<br />

ist bei Investitionen in <strong>Holz</strong><br />

die mangelnde Liquidität<br />

ein Problem.» Andreas Russenberger<br />

Anfang gibt es zumeist eine kleine Gruppierung von Anbietern, die<br />

sehr bewusst mit einem Thema umgehen, immer stärker folgt dann<br />

der Druck der Öffentlichkeit, die nur noch diese Produkte will, und<br />

am Schluss kommt der Gesetzgeber, der diese zur Norm macht und<br />

für alle Anbieter vorschreibt.<br />

Wie messbar ist Nachhaltigkeit bei Investitionen überhaupt?<br />

Das ist genau das Problem. Nachhaltigkeit ist noch immer in vielen<br />

Bereichen keine klar definierte Messgrösse. Vieles ist individuelle<br />

Vertrauens- und Ermessenssache. Natürlich gibt es spezielle Standards,<br />

wie die des Global Compact der UNO, bei dem sich die teilnehmenden<br />

Firmen zur Erfüllung von Mindeststandards verpflichten,<br />

die von Normen in Sachen Umweltbeeinträchtigung bis hin zur Einhaltung<br />

von Menschenrechten reichen. Daneben gibt es auch spezialisierte,<br />

unabhängige Firmen, die Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit<br />

sehr genau durchleuchten. Doch gibt es in vielen Bereichen<br />

immer noch schwierig fassbaren Ermessensspielraum. Daniel Huber<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


46 Economic Research Wohnen<br />

Reale Anlagen ergänzen<br />

das Portfolio sinnvoll<br />

Rohstoffe, Infrastruktur, Landwirtschaft und Immobilien sind Anlageformen,<br />

die man anfassen und real wahrnehmen kann. Sie können im Rahmen eines<br />

ausgewogenen Portfolios wichtige Funktionen, als Schutz vor Inflation<br />

etwa oder zur Verbesserung der Diversifikation, wahrnehmen. Den «Fünfer<br />

und das Weggli» gibt es aber auch hier nicht.<br />

Die Wirtschafts- und Anlagewelt hat sich verändert.<br />

Das aktuelle Umfeld ist geprägt von<br />

starken Unsicherheiten vor dem Hintergrund<br />

der anhaltenden Staatsverschuldungskrise.<br />

Damit dürfte sich nicht nur die kurzfristige<br />

Präferenz für reale Anlagen erhöht haben.<br />

Auch auf längere Sicht dürften reale Anlagen<br />

zunehmend an Bedeutung gewinnen, da sie<br />

den mittelfristig zu erwartenden Inflationsanstieg<br />

am besten abfedern.<br />

Reale Anlagen im Aufwärtstrend<br />

Tab. 1 Die Spannweite der Merkmale und Risikoprämien bei den realen Anlagen<br />

trägt zur Diversifizierung des Portfolios bei<br />

Um die richtige Mischung seines Portfolios zu bestimmen, ist es hilfreich, das Risikoprofil<br />

der einzelnen liquiden und illiquiden Anlagen zu studieren. Quelle: Credit Suisse Asset Management, Yogi Thambiah,<br />

Nicolo Foscari: Reale Anlagen / Lösung zur Inflationsabsicherung unter geänderten Risikorahmenbedingungen<br />

Anlage<br />

Liquide<br />

Inflationsanfälligkeit<br />

Liquidität Zugänglichkeit Renditeprofil Risikoprofil Risikofaktoren<br />

Rohstoffe Hoch Hoch Hoch Kein Ertrag Hoch Wachstumsschocks<br />

beim Gleichgewicht<br />

zwischen Angebot<br />

und Nachfrage<br />

REITs<br />

Moderat<br />

bis hoch<br />

Hoch Hoch Ertrag und<br />

Wertsteigerung<br />

TIPS Moderat Hoch Hoch Bescheidener<br />

Ertrag<br />

Senior Loans Moderat Moderat<br />

bis hoch<br />

Illiquide<br />

Agrargüter Moderat Abgesehen von<br />

Public Equities<br />

gering<br />

Mittel<br />

bis hoch<br />

Ertrag und<br />

Wertsteigerung<br />

Hoch<br />

Niedrig<br />

Niedrig<br />

Sehr niedrig Mittel Mittel<br />

bis hoch<br />

Infrastruktur Moderat Mittel Abgesehen von Ertrag und<br />

Kotierungen von Wertsteigerung<br />

Public Equities<br />

und Kommunalschuldverschreibungen<br />

gering<br />

Energie Hoch Gering Niedrig Explor. – hoch<br />

Vertr. – niedrig<br />

Bodenschätze<br />

Direkte Immobilienanlagen<br />

Erneuerbare<br />

Energien<br />

<strong>Holz</strong><br />

Moderat<br />

bis hoch<br />

Abgesehen<br />

vom Futures-<br />

Markt mittel<br />

Niedrig<br />

Mittel<br />

bis hoch<br />

Hoch Gering Niedrig Ertrag und<br />

Wertsteigerung<br />

Hoch Gering Sehr niedrig,<br />

kapitalintensiv<br />

Moderat<br />

bis hoch<br />

Sehr gering Sehr niedrig Geringes Volumen,<br />

Ertragskomponente<br />

Niedrig<br />

Explor. – hoch<br />

Vertr. – niedrig<br />

Niedrig<br />

bis mittel<br />

Core – niedrig;<br />

opportunistisch<br />

– hoch<br />

Wirtschaftliches<br />

Länderrisiko<br />

Immobilienrisiko<br />

Zinsrisiko<br />

Kreditrisiko<br />

Umweltfaktoren,<br />

Regierungspolitik,<br />

Dynamik von Angebot<br />

und Nachfrage<br />

Aufsichtsrechtliches<br />

Risiko, Leverage-<br />

Risiko, Länder- und<br />

Kommunal risiko,<br />

Projektrisiko<br />

Versorgungsrisiko<br />

Verbraucher- und<br />

Produktionsebene<br />

Demografie,<br />

Beschäftigung,<br />

Wirtschaftswachstum,<br />

Standortrisiko<br />

Demogragfie,<br />

Beschäftigung,<br />

Wirtschaftswachstum,<br />

Standortrisiko<br />

Hoch Hoch Subventionen,<br />

Energiepreistendenzen,<br />

Verfügbarkeit von<br />

Input-Material<br />

Niedrig<br />

Handelsbeschränkungen,<br />

Zölle,<br />

Umweltfaktoren<br />

Die Credit Suisse trägt diesen Entwicklungen<br />

bereits seit dem Frühjahr 2010 Rechnung.<br />

In der langfristigen Anlagestrategie 1<br />

ist der Anteil von realen Anlagen erhöht worden.<br />

Dazu zählen zum einen sicherlich Aktien,<br />

die reales Kapital in Unternehmen repräsentieren.<br />

Ebenso zählen dazu alternative<br />

Anlagen wie zum Beispiel Rohstoffe,<br />

Immobilien, Gold und Infrastruktur. Diese<br />

alternativen Anlagen vereint ihre Eigenschaft,<br />

sich weniger stark im Gleichlauf mit<br />

den Aktienmärkten zu bewegen, was in der<br />

Finanzindustrie gerne mit «niedrigen Korrelationen»<br />

umschrieben wird. Das macht sie<br />

zu interessanten Portfoliobeimischungen.<br />

Sie können jedoch in unterschiedlichem<br />

Mass zur Portfoliodiversifizierung beitragen.<br />

Portfolioschwankungen reduzieren<br />

Die Portfoliodiversifizierung beschreibt dabei<br />

die Möglichkeit, durch eine Mischung<br />

von Anlageklassen, die sich im Konjunkturund<br />

Börsenzyklus unterschiedlich verhalten,<br />

die Portfolioschwankungen zu reduzieren<br />

oder bei gleicher Schwankungsintensität<br />

den Portfolioertrag zu intensivieren.<br />

Darüber hinaus unterscheiden sich diese<br />

realen, alternativen Anlagen in ihrem Liquiditätsgrad,<br />

das heisst in der Möglichkeit, sich<br />

kurzfristig aus dem Engagement zurückzuziehen.<br />

Für klassische, also auf Kundenwunsch<br />

hoch liquide Portfolios, können daher<br />

nicht alle realen Anlagekategorien eingesetzt<br />

werden, selbst wenn dies eine bessere<br />

Kombination von Risiko und Ertrag zur Folge<br />

hätte. Das heisst jedoch nicht, dass man<br />

grundsätzlich auf diese Instrumente verzichten<br />

sollte. Ganz im Gegenteil, sie profitieren<br />

nicht nur von den längerfristigen volkswirtschaftlichen<br />

Entwicklungen (zum Beispiel<br />

Rohstoffe, Infrastruktur, Landwirtschaft),<br />

sondern können – als Zusatz zu einem liquide<br />

gemanagten Portfolio – die Verwaltung des<br />

Gesamtvermögens optimieren und somit zu<br />

einer ganzheitlichen (holistischen) Anlagestrategie<br />

führen.<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Wohnen Economic Research 47<br />

Eine neue Untersuchung von Yogi Thambiah<br />

und Nicolo Foscari, Anlagestrategen aus<br />

dem Büro des Chief Information Officer der<br />

Credit Suisse, zeigt, wie sich die durchaus<br />

unterschiedlichen Eigenschaften dieser realen<br />

Anlageinstrumente am besten kombi nieren<br />

lassen. 2 Neben dem unterschiedlichen<br />

Grad der Liquidität (zum Beispiel «hoch» für<br />

Rohstoffe, Gold, Immobilienaktien, «gering»<br />

für Landwirtschaft, <strong>Holz</strong>, direkte Immobilien)<br />

divigieren diese Anlagekategorien auch in<br />

ihrer Inflationssensibilität, den Zugangsmöglichkeiten<br />

und hinsichtlich des Ertrags- oder<br />

Risikoprofils (siehe Tabelle).<br />

Darüber hinaus stellen unterschiedliche<br />

statistische Eigenschaften, etwa die historische<br />

Verteilung der Erträge im Vergleich zu<br />

«klassischen» Anlagekategorien, grosse Herausforderungen<br />

an die Konstruktion eines<br />

optimalen Portfolios. Die Experten der Vermögensverwaltung<br />

können jedoch zeigen,<br />

«Die richtige Mischung liquider<br />

und illiquider Anlagen bringt<br />

positive Portfolioeffekte.»<br />

Anja Hochberg<br />

dass eine Mischung zwischen eher liquiden<br />

und eher illiquiden Anlagen zu vorteilhaften<br />

Portfolioeffekten führt. Ein solchermassen<br />

aufgestelltes Portfolio kann dem Inflationsschutz<br />

dienen – und zwar nicht nur vor der<br />

«erwarteten» Inflation, sondern insbesondere<br />

auch vor der «unerwarteten» Inflation. Es ist<br />

auch in der Lage, die Börsenabhängigkeit<br />

des Gesamtvermögens deutlich abzumildern.<br />

Die Zusammensetzung eines solchen Portfolios<br />

– sei es eine Aufteilung 90 zu 10 Prozent<br />

in liquide und illiquide Instrumente oder<br />

ein 50/50-Verhältnis, hängt dabei sicherlich<br />

wesentlich von den individuellen Liquiditätspräferenzen,<br />

Renditezielen oder von anderen<br />

Rahmenbedingungen des Investors ab.<br />

Anja Hochberg, Nicolo Foscari, Yogi Thambiah, CIO Office<br />

«Mit Kunst grillieren.»<br />

1 Die kurzfristige Anlagestrategie, die stark von der aktuellen<br />

Konjunktur- und Finanzmarktentwicklung abhängig ist,<br />

kann sich zum Teil deutlich von der langfristigen Anlagestrategie<br />

unterscheiden.<br />

2 Credit Suisse Asset Management White Paper «Inflation<br />

Hedge Solution Under a Modified Risk Framework».<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


Credit Suisse 49<br />

Credit Suisse<br />

Business / Sponsoring / Responsibility<br />

01<br />

03<br />

Sponsoring<br />

Open End<br />

Fotos: Credit Suisse | Rainer Wolfsberger<br />

02<br />

03<br />

01<br />

02<br />

Private Banking<br />

Veränderungen im Management<br />

Hans-Ulrich Meister wurde per 1. August zum Chief Executive<br />

Officer Credit Suisse Private Banking ernannt. Er übernimmt<br />

diese Position zusätzlich zu seiner bisherigen Funktion als CEO<br />

Credit Suisse Schweiz. «Seit Beginn seiner Tätigkeit bei der<br />

Credit Suisse im Jahr 2008 hat Hans-Ulrich Meister durch<br />

aussergewöhn liche Führungsqualitäten überzeugt, und dies in<br />

einer Phase, in der wir mit grossen Herausforderungen konfrontiert<br />

waren. Wir schätzen uns ausserordentlich glücklich, dass wir<br />

mit seiner Ernennung eine optimale Nach folgelösung in dieser<br />

zentralen Sparte präsentieren können», sagte Brady Dougan,<br />

CEO Credit Suisse, anlässlich der Ankündigung Ende Juli.<br />

Meister folgt auf Walter Berchtold, der Mitglied der Geschäftsleitung<br />

bleibt und im Private Banking seine Erfahrung weiterhin<br />

als Chairman einbringt. In dieser neuen Funktion wird er sich auf<br />

den weiteren Ausbau des strategisch wichtigen Geschäfts mit<br />

sehr vermögenden Kunden konzentrieren und eng mit den<br />

CEO der Divisionen und Regionen der Credit Suisse zusammenar<br />

beiten, um das integrierte Geschäftsmodell der Bank weiter<br />

zu fördern und ihre globale Präsenz auszu weiten. Sowohl<br />

Hans-Ulrich Meister als auch Walter Berchtold sind weiterhin<br />

direkt Brady Dougan unterstellt. Dorothee Enskog<br />

Kunden im Mittelpunkt<br />

Lancierung einer weltweiten Kampagne<br />

Die Credit Suisse hat letzten Monat eine neue weltweite<br />

Werbekampagne lanciert. Die Anzeigen unterscheiden<br />

sich fundamental von der tradi tionellen Werbung für<br />

Finanzdienstleistungen. Anstelle von textlastigen<br />

Inseraten übermitteln in dieser Kampagne einzelne Bilder<br />

die Botschaft. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Kunden<br />

der Credit Suisse wie der Schweizer Schoko laden hersteller<br />

Lindt & Sprüngli, der italienische Industriekonzern<br />

Maccaferri sowie der US­amerikanische Modedesigner<br />

Jen Kao. Zentrale Aussage der Kampagne bildet die<br />

Fähigkeit der Bank, als Partner ihrer Kunden zu fungieren<br />

und in vielfältigen Bereichen zu deren Erfolg beizutragen.<br />

«Das Kreativkonzept der Kampagne basiert auf dem<br />

Engagement der Credit Suisse, ihren Teil zum Erfolg der<br />

Kunden beizutragen», erläutert Pamela Thomas­Graham,<br />

Chief Talent, Branding and Communications Officer.<br />

«Die Anzeigen illustrieren, wie wir zu jeder Zeit darauf<br />

fokussiert sind, ein verlässlicher Finanzpartner unserer<br />

Kunden zu sein und zu ihrem langfristigen Geschäftserfolg<br />

beizutragen.» Die Anzeigen werden in der Schweiz, in<br />

den USA sowie in ausgewählten Ländern Europas und<br />

Asiens geschaltet. Die globale Kampagne läuft ein erstes<br />

Mal während sechs Wochen und wird im kommenden<br />

Jahr wiederaufgenommen. Julia Hancock<br />

Mitte Oktober startet die Credit<br />

Suisse eine umfassende globale<br />

Social-Media-Kampagne rund<br />

um den Roger-Federer-Spot.<br />

Dabei können die Nutzer für<br />

eine von drei möglichen Schluss -<br />

varianten der aktuellen «Relax»-<br />

Kampagne stimmen. Der von<br />

Jordan Scott (Ridley Scotts<br />

Tochter) gedrehte Werbe film<br />

zeigt einen offenbar absolut<br />

sorglosen und zuver sichtlichen<br />

Federer, der sich durch nichts<br />

aus der Ruhe bringen lässt. Die<br />

Musik wurde von David Arch in<br />

Zusammen arbeit mit Mark<br />

Campbell eigens für den Spot<br />

komponiert und von diversen<br />

bekannten Jazzmusikern, darunter<br />

Guy Barker, eingespielt.<br />

Die drei zur Wahl stehenden<br />

Schluss varianten der Kampagne<br />

werden auf Facebook, Youtube<br />

und dem ATP-E-Player gezeigt.<br />

Fans und Tennis-Affici o nados<br />

sind einge laden, die Facebook-<br />

Seite der Credit Suisse zu<br />

besuchen, um sich die Videos<br />

anzusehen, ihre Stimme abzugeben,<br />

sich mit der Marke<br />

vertraut zu machen und Freunde<br />

auf die Aktion aufmerksam zu<br />

machen. Der Sieger-Schluss<br />

wird als Erster gestreamt. Die<br />

Credit Suisse führt im Rahmen<br />

dieser Social- Media-Kampagne<br />

auch einen Wettbewerb durch,<br />

an dem alle, die abgestimmt<br />

haben, teilnehmen können. Der<br />

Gewinner oder die Gewinnerin<br />

gewinnt ein Meet & Greet<br />

mit Roger Federer am 20. oder<br />

21. November in London.<br />

Stefan Behmer<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


50 Credit Suisse<br />

National Gallery<br />

Leonardo<br />

da Vinci<br />

Die Ausstellung «Leonardo da Vinci: Maler am Hof<br />

von Mailand» vereint so viele Gemälde dieses Künstlers<br />

wie keine andere Ausstellung zuvor. Erstmals gezeigt<br />

wird beispielsweise das 1513 vollendete Meisterwerk<br />

«Salvator Mundi», das Jahrhunderte lang verschollen war<br />

und erst vor Kurzem wiederentdeckt worden ist.<br />

Text: Tracy Cooper<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 51<br />

Sorgfältige Restauration des Gemäldes «Madonna in<br />

der Felsengrotte» durch einen Restaurator der National<br />

Gallery, in deren Besitz sich das Werk befindet.<br />

Foto: National Gallery<br />

Mehr als 60 Bilder des<br />

grossen Künstlers sowie<br />

seiner engsten Mitarbeitenden<br />

wird die Ausstellung<br />

in der Londoner<br />

National Gallery umfassen,<br />

die vom 9. November 20<strong>11</strong> bis zum<br />

5. Februar 2012 dauert. Der Hauptakzent<br />

liegt dabei auf da Vincis Zeit als Hofmaler in<br />

Mailand, wo er in den 1480er- und 1490er-<br />

Jahren für den Herrscher Ludovico Maria<br />

Sforza arbeitete, der aufgrund seiner dunklen<br />

Hautfarbe auch «il Moro» genannt wurde.<br />

Der Ausstellung gelingt es, die aussergewöhnliche<br />

Beobachtungsgabe, Fantasie und<br />

Technik da Vincis herauszuarbeiten. Parallel<br />

zu den fast vollständig ausgestellten Bildern<br />

aus dieser Zeit werden auch anatomische<br />

und karikierende Skizzen sowie Proportionenskizzen<br />

gezeigt, die er zur Vorbereitung<br />

seiner Meisterwerke anfertigte. Mehr als<br />

50 dieser Zeichnungen werden erstmals öffentlich<br />

präsentiert.<br />

Porträt eines Musikers<br />

Die Ausstellung ist in sieben Säle mit je<br />

einem eigenen Schwerpunkt gegliedert. Im<br />

ersten geht es um da Vincis Ankunft in Mailand<br />

und seine Zusammenarbeit mit Musikern.<br />

Selbst ein begnadeter Musiker entwarf<br />

er mit diesen zusammen Bühnenbilder für<br />

höfische Schauspiele und sogar neue Instrumente.<br />

Besonders bemerkenswert ist sein<br />

einziges männliches Porträt, das unvollendete<br />

«Porträt eines Musikers», ausgeliehen von<br />

der Biblioteca Ambrosiana in Mailand, in dem<br />

er ein Ideal männlicher Schönheit zu schaffen<br />

versuchte.<br />

Im zweiten Saal stehen Frauenporträts<br />

im Fokus – und unter diesen eines ganz ><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


52 Credit Suisse<br />

03<br />

ge Hieronymus» aus der Pinacoteca Vaticana,<br />

das unvollendet geblieben ist, aber gerade<br />

deshalb interessante Einblicke in da<br />

Vincis Arbeitsweise bietet. Hieronymus’ Haltung<br />

schafft eine Diagonale, während der<br />

Blick des Betrachters leicht von oben auf die<br />

sitzende Gestalt fällt. Die fantastisch ausbalancierte<br />

Gestalt belegt, dass da Vinci seine<br />

Studien von Anatomie und Proportionen<br />

des Menschen zu nutzen wusste.<br />

Die Darstellung des Göttlichen<br />

01<br />

Anzeige<br />

02<br />

<br />

01 Leonardo da Vinci. «Der Heilige<br />

Hieronymus», 1488–90,<br />

Pinacoteca Vaticana, Vatikan<br />

02 Leonardo da Vinci. «Porträt<br />

der Cecilia Gallerani»<br />

(«Die Dame mit dem Hermelin»),<br />

1488–90, Czartoryski<br />

Foundation, Nationalmuseum,<br />

Krakau, Polen<br />

03 Leonardo da Vinci. «Porträt<br />

eines Musikers», zirka<br />

1485–87. Biblioteca Ambrosiana,<br />

Mailand.<br />

besonders: das «Porträt der Cecilia Gallerani»,<br />

auch die «Dame mit dem Hermelin» genannt,<br />

eine Leihgabe des Czartoryski-Museums<br />

in Krakau. Entstanden 1488 –90, gilt<br />

es als das erste wirklich moderne Porträt, da<br />

das Modell den Kopf abwendet und sein nuancierter<br />

Ausdruck sein Innenleben, seinen<br />

Geist oder seine Seele – das, was wir heute<br />

seine Psychologie nennen würden – widerspiegelt.<br />

Dargestellt wird die erst 16-jährige<br />

Geliebte des Ludovico Sforza. Auf der gleichen<br />

Walnusstafel gemalt wurde die stark<br />

idealisierte «Belle Ferronnière», heute im<br />

Louvre in Paris ausgestellt, das die Herzogin,<br />

vielleicht aber auch eine weitere Geliebte<br />

Sforzas darstellt. Diese beiden «Zwillingsbilder»<br />

werden erstmals überhaupt in einer gemeinsamen<br />

Ausstellung präsentiert.<br />

Im dritten Saal steht die Darstellung des<br />

menschlichen Körpers im Zentrum, am besten<br />

aufgezeigt mit dem Gemälde «Der Heili-<br />

Für viele Besucher dürfte die erstmalige<br />

Gegenüberstellung der beiden Fassungen<br />

der «Madonna in der Felsengrotte» im vierten<br />

Saal der Höhepunkt der ganzen Ausstellung<br />

sein. 1493 bat ihn die Bruderschaft der unbefleckten<br />

Empfängnis, das zentrale Bild sowie<br />

zwei Tafeln mit musizierenden Engeln für<br />

den Seitenflügel des geschnitzten Altars der<br />

(später abgerissenen) Kirche San Francesco<br />

Grande zu malen. Da man sich nach der Fertigstellung<br />

über die Bezahlung stritt, veräusserte<br />

es da Vinci einem anderen Interessenten,<br />

vermutlich seinem Auftraggeber «il Moro».Heute<br />

hängt das Bild im Louvre – und ein<br />

fast identisches, aber unvollendetes in der<br />

National Gallery. Eigentlich hatte da Vinci für<br />

die zweite Fassung eine völlig andere Komposition<br />

vorgesehen, wie die Skizze unter der<br />

Farbschicht der aktuellen Fassung vermuten<br />

lässt. Aus nicht bekannten Gründen entschied<br />

sich da Vinci aber für eine Kopie des<br />

ersten Gemäldes, wobei er die einzelnen<br />

Kompositionselemente sorgfältig dem neuen<br />

Schönheitskanon anpasste. Die musizierenden<br />

Engel wurden, wie damals üblich, nicht<br />

vom Meister selbst, sondern von Assistenten<br />

oder Mitarbeitern, vermutlich den Brüdern<br />

Predis, ausgeführt. Im gleichen Raum finden<br />

wir auch Werke von zweien seiner Schüler,<br />

Giovanni Antonio Boltraffio und Francesco<br />

Napoletano.<br />

Der «Burlington House Cartoon»<br />

Die französische Besetzung Mailands verursachte<br />

eine berufliche Krise im Leben da<br />

Vincis. Seine Stellung am Hof versuchte er<br />

dadurch zu erhalten, dass er sich den Besatzern<br />

andiente. Man nimmt an, dass die<br />

Zeichnung «Die Heilige Jungfrau und das Jesuskind<br />

mit der Heiligen Anna und Johannes<br />

dem Täufer» genau dieses Ziel verfolgte. Die<br />

142 × 105 Zentimeter grosse Zeichnung befindet<br />

sich heute in der National Gallery. Der<br />

Name «The Burlington House Cartoon» rührt<br />

von diesem Gebäude her, das einst die Royal<br />

Academy und gleichzeitig diese Zeichnung<br />

Fotos: © Photo Vatican Museums | © Princes Czartoryski Foundation | © Veneranda Biblioteca Ambrosiana – Milano/De Agostini Picture Library | © 20<strong>11</strong> Salvator Mundi LLC | © Photo Antonia Reeve / courtesy of the owner<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 53<br />

beherbergte. Man geht davon aus, dass es<br />

sich um den Entwurf eines nicht ausgeführten<br />

Gemäldes handelt. Eine gewisse Verwandtschaft<br />

besteht zum Bild «Madonna<br />

mit der Spindel», ausgeliehen vom Herzog<br />

von Buccleuch.<br />

Das wiederentdeckte Meisterwerk<br />

Im gleichen Saal befindet sich auch das Werk<br />

«Salvator Mundi» (Retter der Welt), das Generationen<br />

von Kunsthistorikern vor Rätsel<br />

stellte. Dieses Werk stellt einen frontal gemalten<br />

Christus in halber Grösse dar, der in<br />

der linken Hand eine Kristallkugel hält, die<br />

die Welt darstellen soll, und seine rechte<br />

Hand zum Segen erhoben hat. Das Bild ist<br />

eine Arbeit, die Ludwig XII. von Frankreich<br />

1506 in Auftrag gab und die da Vinci 1513<br />

Weitere Artikel über die Ausstellung «Leonardo<br />

da Vinci: Maler am Hof von Mailand», National<br />

Gallery, London, 9. November 20<strong>11</strong> – 5. Februar<br />

2012, sowie einen Wettbewerb finden Sie unter<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong>.<br />

vollendete. Es war Jahrhunderte lang verschollen<br />

und galt als verloren oder vernichtet.<br />

Glücklicherweise wurde es vor nicht allzu<br />

langer Zeit in einer amerikanischen Privatsammlung<br />

entdeckt. Zahllose Tests und genaue<br />

Untersuchungen haben ergeben, dass<br />

es ein echter da Vinci ist. Die Ausstellung<br />

gibt den Besuchern die erstmalige und einmalige<br />

Gelegenheit, «Salvator Mundi» mit anderen<br />

Gemälden und Zeichnungen da Vincis<br />

zu vergleichen.<br />

Charakter und Gefühl: «Das Abendmahl»<br />

Die Ausstellung klingt im Sunley-Saal der<br />

National Gallery aus, dies aber nicht mit<br />

irgendeinem Werk, sondern wohl mit da Vincis<br />

berühmtestem: «Das Abendmahl». Ludovico<br />

Sforza ass zweimal in der Woche im<br />

Refektorium von Santa Maria delle Grazie zu<br />

Abend. Dort malte da Vinci das «Abendmahl»<br />

an die Nordwand des Speisesaals. In der<br />

National Gallery wird eine fast zeitgenössische<br />

Kopie seines Schülers Giampietrino als<br />

Leihgabe der Royal Academy gezeigt.<br />

<strong>04</strong><br />

<strong>04</strong> Nach Jahrhunderten<br />

wiederentdeckt in<br />

amerikanischem<br />

Privatbesitz: da Vincis<br />

«Salvator Mundi».<br />

05 Leonardo da Vinci.<br />

«Madonna mit der<br />

Spindel», 1501 und<br />

später, 10. Herzog<br />

von Buccleuch,<br />

Buccleuch Living<br />

Heritage Trust.<br />

05<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


54 Credit Suisse<br />

Young Singers Project<br />

Das Young Singers Project an<br />

den Salzburger Festspielen erweist<br />

sich einmal mehr als exzellentes<br />

Instrument der Nachwuchsförderung.<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Stimmgewaltige<br />

Schwalben<br />

02<br />

01<br />

01 Alfred Brendel im Duett<br />

mit Olena Tokar.<br />

02 Theresa <strong>Holz</strong>hauser im<br />

«Münchner Merkur»:<br />

«Ich habe noch nie mit<br />

einem Mezzo als Lehrerin<br />

gearbeitet. Und jetzt<br />

kommt dann Christa<br />

Ludwig! Da zittern einem<br />

schon ein wenig die Knie.»<br />

Es war eine schöne Zeit in München,<br />

aber irgendwann muss man die<br />

Schule auch hinter sich lassen und<br />

sehen, wie es auf dem freien Markt<br />

läuft und ob es wirklich für eine Karriere<br />

reicht», begründete Theresa <strong>Holz</strong>hauser<br />

gegenüber dem «Münchner Merkur» ihre Teilnahme<br />

am Young Singers Project (YSP).<br />

Nein, Bedenken habe er keine, ob die jungen<br />

Sänger Karriere machen würden oder<br />

nicht, relativierte Projektinitiant Michael<br />

Schade im Interview mit dem Wiener «Kurier».<br />

«Vielmehr geht es darum, wie sie diese<br />

machen. Wir geben ihnen den letzten Schliff<br />

innerhalb eines geschützten Rahmens. Manche<br />

Talente gilt es zu zügeln, manche zu peitschen,<br />

um die Stimme freizulegen. Manche<br />

ehemaligen Teilnehmenden fragen mich noch<br />

heute um Rat.»<br />

Elf der besten Talente weltweit<br />

Elf hoch talentierte junge Sängerinnen und<br />

Sänger waren von Eva Wieser, der Betriebsdirektorin<br />

der Salzburger Festspiele, für das<br />

zwei Monate dauernde Young Singers Project<br />

ausgewählt worden. In Salzburg wurden sie<br />

dann von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen<br />

in allen Belangen, die für den Erfolg von<br />

Opernsängern wichtig sind, intensiv geschult.<br />

Die Öffentlichkeit durfte die Stimmen der<br />

Zukunft an vier Meisterklassen mit Matthias<br />

Goerne, Michael Schade, Alfred Brendel und<br />

Christa Ludwig sowie einem Abschlusskonzert<br />

mit dem Mozarteumorchester unter der<br />

Leitung von Ivor Bolton hören – und vereinzelt<br />

sogar an den Aufführungen der Festspiele<br />

selbst, für die sich die Sänger als Coverinterpreten<br />

seriös vorbereitet hatten (und auch<br />

dabei natürlich von den Dirigenten und Regisseuren<br />

und der jeweiligen Hauptbesetzung<br />

viel lernten). Während Antonio Poli, YSP-Teilnehmer<br />

2010, unter anderem als Malcolm in<br />

«Macbeth» auftrat, durfte der kroatische Bass<br />

Marko Mimica einmal den grossen Erwin<br />

Schrott im «Figaro» vertreten. Und Theresa<br />

<strong>Holz</strong>hauser, die vielleicht die sicht- und hörbarsten<br />

Fortschritte aller Projektteilnehmenden<br />

erzielte, kam in der Doppelpremiere von<br />

«Iolanta» und «Le Rossignol» zu einem Auftritt<br />

neben Anna Netrebko und Piotr Beczala.<br />

YSP als Schaufenster zur Opernwelt<br />

Erfreulicherweise findet das YSP auch bei<br />

Dirigenten, Intendanten und Kulturjournalisten<br />

immer grössere Beachtung. Manch ein<br />

Name scheint in ein Notizblöcklein notiert<br />

worden zu sein. Grosses Lob ernteten in den<br />

Medien neben <strong>Holz</strong>hauser auch die Südafrikanerin<br />

Sarah-Jane Brandon, die Ukrainerin<br />

Olena Tokar, die Luxemburgerin Claudia Galli<br />

und der Australier Derek Welton.<br />

Die Aufzucht der Schwalben ist, so Michael<br />

Schade, geglückt. Zum Brüten werden sie<br />

schon bald wieder nach Salzburg zurückkehren.<br />

Das hofft er, und das hoffen auch sie.<br />

Die Credit Suisse hat das YSP zusammen mit<br />

Nachwuchsjournalisten auf dem Blog<br />

http://youngsingersproject.com in Wort, Bild und<br />

Ton intensiv begleitet. Dort kann man sich auch<br />

jetzt noch ein eigenes Urteil über die Talente bilden.<br />

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><br />

Fotos: Muster Mustermann | Muster Mustermann<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 55<br />

Prix Credit Suisse Jeunes Solistes<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Heller Cello-Stern<br />

Die chinesische Cellistin Mi Zhou überzeugte als Gewinnerin des<br />

Prix Credit Suisse Jeunes Solistes zusammen mit ihrer Partnerin Paola<br />

De Piante Vicin in der Reihe «Debut» von Lucerne Festival. Gewinnen<br />

Sie eine von fünf signierten Live-CDs des Konzerts vom 18. August unter<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong>. Die CD gelangt nicht in den Handel.<br />

Junge Solisten mit berauschendem<br />

Können», betitelten die «Schaffhauser<br />

Nachrichten» einen Artikel über die<br />

Reihe «Debut» von Lucerne Festival.<br />

Dabei betonte Rita Wolfensberger, dass sich<br />

«Debut» nicht auf die Karriere bezieht, sondern<br />

auf den ersten Auftritt an diesem immer<br />

wichtiger werdenden achtwöchigen Musikfest.<br />

Als «überwältigenden Höhepunkt»<br />

bezeichnete die Musikkritikerin die von Mi<br />

Zhou und Paola De Piante Vicin vorgetragene<br />

C-Dur-Sonate op. <strong>11</strong>9 von Sergej Prokofjew.<br />

Zehn Jahre nach Sol Gabetta<br />

Fotos: Priska Ketterer, Lucerne Festival | Zeichnung: Linda Graedel<br />

«In den Fussstapfen von Sol Gabetta» überschrieb<br />

Fritz Schaub seinen Beitrag in der<br />

«Neuen Luzerner Zeitung». Sol Gabetta hatte<br />

2001, zehn Jahre vor Mi Zhou, den Prix<br />

Credit Suisse Jeunes Solistes gewonnen und<br />

später auch noch den Credit Suisse Young<br />

Artist Award. Wie steil ihre Karriere danach<br />

verlief, zeigt die Tatsache, dass Sol Gabetta<br />

am 2. Oktober bereits ihren dritten Echo-<br />

Klassik-Preis erhalten hat. Ob Mi Zhou ein<br />

ähnlicher Sprung in die Weltelite gelingt ?<br />

«Das Rezital in der voll besetzten Lukaskirche<br />

lässt Hoffnungen in dieser Richtung durchaus<br />

zu», hält Schaub fest, der Mi Zhou «Intelligenz<br />

gepaart mit Musikalität» bescheinigt<br />

und «entgegen dem, was man gerne Asiaten<br />

nachsagt, ein ausgesprochenes Flair für Romantik,<br />

für Gefühl, für agogische Freiheiten.»<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


56 Credit Suisse<br />

Fotos: © 20<strong>11</strong> ProLitteris | Markus Bühler-Rasom<br />

Pablo Picasso, «Le petit pierrot aux fleurs», 1923/24. Öl auf Leinwand, 92,1 x 73,6 cm, The Nahmad Collection.


Credit Suisse 57<br />

Kunsthaus Zürich<br />

Text: Regula Brechbühl<br />

Kunstbestand oder<br />

Sammlung?<br />

Mit The Nahmad Collection ermöglicht das Kunsthaus<br />

Zürich einen Einblick in den Kunstbesitz einer Familie und<br />

zeigt etliche noch nie gesehene oder veräusserte Werke<br />

von Picasso bis Matisse. Doch ein grosser Kunstbestand<br />

macht noch keine Sammlung aus. Deshalb bleibt die<br />

Ausstellung auch für den Kurator Christoph Becker bis<br />

zuletzt ein spannendes Experiment.<br />

01<br />

Herr Becker, der kurze Zeitraum – rund<br />

ein Jahr –, in dem die Ausstellung realisiert<br />

wurde, erstaunt.<br />

Christoph Becker: Nun, einerseits ist die<br />

Familie Nahmad sehr gut organisiert und<br />

dokumentiert. Andererseits bestand der<br />

Kontakt bereits, weil das Kunsthaus schon<br />

mehrmals mit der Familie zusammengearbeitet<br />

und von ihr immer sehr gute Leihgaben<br />

erhalten hat.<br />

Und daraus ist die Idee entstanden,<br />

gemeinsam eine Ausstellung zu realisieren?<br />

Wir als Museum haben uns die Frage gestellt,<br />

ob da nicht doch schon eine Sammlung vorhanden<br />

wäre – nach rund 50 Jahren Kunsthandel<br />

und mit einem so riesigen Kunstwerkbestand<br />

betrachteten wir es als den richtigen<br />

Zeitpunkt.<br />

Und was unterscheidet nun einen grossen<br />

Bestand an Werken von einer Sammlung?<br />

Jeweils ein Werk von verschiedenen berühmten<br />

Künstlern zu haben, macht allein noch<br />

keine Sammlung aus. Entscheidend für das<br />

Gelingen sind zwei Faktoren: die Verbindung<br />

zwischen den Werken und Werkgruppen sowie<br />

die Möglichkeit, über einen längeren<br />

Zeitraum nach passenden Werken zu suchen.<br />

Und das ist beim Privatbesitz der Familie<br />

Nahmad offensichtlich gelungen.<br />

Ja, ihre Vorlieben für gewisse Künstler und<br />

die teilweise sehr kompakten Werkgruppen<br />

machen klar ersichtlich, dass nicht innerhalb<br />

von ein paar Jahren schnell viel Kunst erworben<br />

wurde, sondern dass viele Personen<br />

über Jahrzehnte hinweg ganz gezielt Werke<br />

gesucht und gefunden haben.<br />

Was hat dafür gesprochen, das Experiment<br />

mit dem Kunsthaus Zürich zu wagen?<br />

02<br />

<strong>04</strong><br />

Wir haben über die letzten Jahrzehnte hinweg<br />

bis heute behutsam, mit langem Atem<br />

und durchaus erfolgreich mit grossen Privatsammlungen<br />

zusammengearbeitet. Wir schreiben<br />

der Familie nichts vor, sondern machen<br />

lediglich ein Angebot, indem wir uns mit<br />

einem spezifischen Konzept, unserem Knowhow,<br />

unserer Geschichte und mit unserem<br />

Publikum zur Verfügung stellen.<br />

War diese Erfahrung auch ein Grund,<br />

weshalb die Zusage der Familie Nahmad<br />

nicht lange auf sich warten liess?<br />

Die Nahmads haben sich doch einige Wochen<br />

beraten. Verständlicherweise konnten<br />

sich nicht alle Mitglieder der Familie von ><br />

03<br />

01 Christoph Becker,<br />

Direktor Kunsthaus Zürich<br />

und Kurator der Ausstellung.<br />

02 Kazimir Malevich,<br />

«Suprematist Composition»,<br />

1916. Öl auf Leinwand,<br />

88,5 x 71 cm,<br />

The Nahmad Collection.<br />

03 Claude Monet, «Canotiers<br />

à Argenteuil», 1874.<br />

Öl auf Leinwand, 60 x 81 cm,<br />

The Nahmad Collection.<br />

<strong>04</strong> Joan Miró, «Oiseau dans<br />

la nuit», 1967. Öl auf<br />

Leinwand, 189,9 x 276,9 cm,<br />

The Nahmad Collection.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


58 Credit Suisse<br />

06<br />

nahme. Diese Werke funktionieren nicht als<br />

eigenständige Werkgruppe, sondern eher<br />

als Schlüsselbilder zwischen denselben.<br />

Wo reiht sich Modigliani ein, der ja nicht<br />

eigentlich einer Stilrichtung oder eben einer<br />

Werkgruppe zuzuordnen ist?<br />

Die Affinität zur italienischen Kunst stammt<br />

daher, dass die Familie aus dem Libanon<br />

nach Italien übersiedelte. In den 1960er- und<br />

1970er-Jahren galt Modigliani als relativ neuer<br />

Künstler und wurde auch als solcher gehandelt.<br />

Die Modigliani-Gruppe ist besonders<br />

interessant, weil daran gut die Entstehung<br />

der Sammlung nachvollzogen werden kann.<br />

The Nahmad Collection ist nun also<br />

<br />

05<br />

Anfang an mit der Ausstellung identifizieren,<br />

weil sie den Schritt in die Öffentlichkeit bedeutet.<br />

Viele Bilder wurden bereits schon<br />

früher ausgestellt, noch nie wurde aber eine<br />

solche Fülle und in dieser Zusammenstellung<br />

gezeigt. Schon allein daraus eine Auswahl<br />

zu treffen, war eigentlich ein persönliches<br />

Statement.<br />

Welche Rolle spielte die Familie bei<br />

der Auswahl der Werke?<br />

Sie war selbst sehr aktiv dabei. Das war<br />

das spannende Experiment am Ganzen: Die<br />

Nahmads mussten unter ihrem grossen Kunstbesitz<br />

das ausfindig machen, was man unter<br />

dem Begriff The Nahmad Collection firmieren<br />

konnte. So haben wir gleichzeitig je eine<br />

Liste mit den Werken erstellt, die nach eigener<br />

Einschätzung in eine Sammlung gehören.<br />

Wie stark prägend waren Sie als Kurator?<br />

Nun, wir haben uns aus diesem grossen<br />

Fundus schon nur diejenigen Werke ausgesucht,<br />

die erstens den Qualitätsmassstäben<br />

des Kunsthauses genügen und zweitens<br />

den Geschmack der Familie Nahmad<br />

widerspiegeln.<br />

Und was passierte anschliessend mit den<br />

beiden Listen? Waren Sie sich schnell einig?<br />

Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir beide<br />

unabhängig voneinander die fünf Werkgruppen,<br />

die jetzt durch die Ausstellung führen,<br />

festgelegt. Erfreulicherweise waren die Listen<br />

zu fast 90 Prozent kongruent, was uns<br />

in unserem Vorhaben bestärkt hat. Von da<br />

an ging es recht zügig voran, wir haben<br />

Werke ausgetauscht, kleinere Werkgruppen<br />

um gebildet. Aber all das geschah eigentlich<br />

schon im Hinblick auf die Ausstellung, also<br />

darauf, wie die Werke dort wirken würden.<br />

Von Picasso wissen wir, dass die Familie<br />

eine klare Vorliebe für ihn hat. Weshalb?<br />

Sie sehen Picasso als denjenigen, der die<br />

grösste künstlerische Potenz besitzt, die<br />

05 Fernand Léger, «Nature morte»,<br />

1927. Öl auf Leinwand, 130,2 x<br />

88,9 cm, The Nahmad Collection.<br />

06 Wassily Kandinsky, Studie zu<br />

«Improvisation 3», 1909. Öl und<br />

Gouache auf Karton, Rahmen vom<br />

Künstler bemalt, 44,5 x 64,7 cm,<br />

The Nahmad Collec tion.<br />

meisten Verbindungen zu anderer Kunst im<br />

20. Jahrhundert herstellt und der seine Zeitgenossen<br />

am stärksten inspirierte. Abgesehen<br />

davon ist er auch das dominanteste<br />

Standbein der Galerie Nahmad.<br />

Agiert Picasso in der Ausstellung also<br />

als Vermittler verschiedener Stile?<br />

Er bildet einen Grossteil des Gesamtbestandes<br />

– diesen Umstand reflektiert auch jede<br />

Auswahl. Aber seine Werke stehen nicht<br />

immer nebeneinander, sondern zeigen die<br />

Querverbindungen zwischen ihm und anderen<br />

namhaften Künstlern wie Monet oder<br />

Matisse und die Auseinandersetzung oder<br />

sogar den Vergleich mit ihnen auf. Man wird<br />

die Künstlergruppen noch wiedererkennen,<br />

aber Picasso zementiert den Zusammenhalt.<br />

Gibt es noch andere Schwerpunkte im<br />

Kunstbestand der Familie, die durch<br />

die Ausstellung repräsentiert werden?<br />

Da ist eine grosse Gruppe von Monet-<br />

Bildern, die ergänzt wird durch Werke von<br />

Degas und Toulouse-Lautrec, also ein Impressionismusblock.<br />

Durch die Klassische<br />

Moderne führen die Matisse-Bilder, vom<br />

Fauvismus bis in die 1930er-Jahre hinein.<br />

Zudem existiert eine Gruppe von Porträts von<br />

Modigliani, ein halbes Dutzend Bildnisse, wie<br />

sie in keiner anderen Privatsammlung weltweit<br />

vorkommt. Ein Schwerpunkt liegt dann<br />

wieder auf den Surrealisten wie Magritte.<br />

Grundsätzlich sind sehr viele Bilder gegenständlich.<br />

Auch das also eine Vorliebe?<br />

Ja, ganz klar, es sind Landschaften und noch<br />

mehr Figuren zu sehen. In der Sammlung gibt<br />

es zwar abstrakte Bilder von Mondrian und<br />

Kandinsky, aber sie bilden eher die Aus-<br />

eine Sammlung?<br />

Erst, wenn das Publikum unsere These teilt<br />

und die Sammlung auch als eine solche betrachtet,<br />

werden wir diese Frage definitiv mit<br />

einem Ja beantworten können. Der Sammlung<br />

von Ernst Beyeler beispielsweise, die vor<br />

25 Jahren die Sammlung eines Kunsthändlers<br />

war, verlieh die Museums ausstellung schliesslich<br />

den Charakter einer musealen Sammlung.<br />

Ich hoffe, dass uns das mit dem Experiment<br />

der Nahmad Collection auch gelingt.<br />

«Miró, Monet, Matisse –<br />

The Nahmad Collection»<br />

Das Kunsthaus Zürich zeigt vom 21. Oktober 20<strong>11</strong><br />

bis zum 15. Januar 2012 exklusiv und erstmals<br />

mehr als 100 Gemälde – unter anderem von<br />

Picasso, Miró, Matisse, Kandinsky und Monet –<br />

der Privatsammlung der Familie Nahmad.<br />

Weitere Informationen zur Ausstellung<br />

www.kunsthaus.ch<br />

Der Katalog zur Ausstellung enthält nebst<br />

Bildern von allen Werken viele kunsthistorische<br />

Beiträge und ein Interview mit Helly Nahmad<br />

über die Familiengeschichte und die Entstehung<br />

der Sammlung.<br />

Gewinnen Sie einen der vier Kataloge unter<br />

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Fotos: © 20<strong>11</strong> ProLitteris<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 59<br />

Zurich Film Festival<br />

Sean Penn, Paul<br />

Haggis, Nils Jent<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Beim Zurich Film Festival trafen sich – bereits zum siebten Mal – die besten<br />

Nachwuchsfilmer der Welt mit Stars wie Alejandro González Iñárritu,<br />

Emma Stone oder Sean Penn. Aber es gab auch andere Begegnungen.<br />

Stefan Muggli, Nils Jent und Andri Hinnen (von links) auf dem Grünen Teppich.<br />

Nils Jent heisst der Mann im Mittelpunkt<br />

der ersten Medienkonferenz<br />

am Zurich Film Festival. Eine Person,<br />

die nicht für Glamour steht,<br />

aber ein Vorbild für uns alle sein kann. «Dieses<br />

filmische Antidot gegen Selbstaufgabe<br />

macht Mut!», erklärt Festivalleiterin Nadja<br />

Schildknecht zum Schweizer Dokumentarfilm<br />

«Unter Wasser Atmen – Das zweite Leben des<br />

Dr. Nils Jent» der Regisseure Andri Hinnen<br />

und Stefan Muggli, dem man – un ab hängig<br />

von der erst nach Redaktions schluss erfolgten<br />

Preisverlei hungen – viele Zuschauer gönnen<br />

würde, genauso wie man dem Buch von Röbi<br />

Koller «Dr. Nils Jent. Ein Leben am Limit»<br />

viele Leser wünscht. Ein 18-Jähriger verunfallt<br />

schwer, sein Herz steht während der<br />

Notoperation zweimal still. Seither ist er blind,<br />

weitgehend gelähmt und schwer sprechbehindert.<br />

Doch heute unterrichtet Nils Jent<br />

am Center for Disability and Integration an<br />

der Universität St. Gallen. Mehr über Nils<br />

Jent, die Stars am Zurich Film Festival und<br />

die Gewinner der vier Wettbewerbe erfahren<br />

Sie unter www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />

sowie im nächsten <strong>bulletin</strong>.<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


60 Credit Suisse<br />

Kultursommer<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Die kulturelle<br />

Schweizerkarte<br />

Wenn es Sommer wird und Ferienzeit, zieht es viele<br />

Schweizerinnen und Schweizer ans Meer. Noch mehr<br />

vom Sommer profitieren sie allerdings, wenn sie<br />

zu Hause bleiben und vom vielfältigen Kulturangebot<br />

Gebrauch machen. Unser unvollständiger Rückblick<br />

soll nicht zuletzt daran erinnern, dass wir uns bereits<br />

mitten in einem attraktiven Kulturherbst befinden.<br />

Das Flaggschiff des Schweizer<br />

Kultursommers ist zweifellos<br />

Lucerne Festival, das während<br />

sechs Wochen klassische<br />

Musik auf allerhöchstem internationalem<br />

Niveau bietet. Als Resident Sponsor ermöglicht<br />

die Credit Suisse jeweils drei<br />

Konzerte der Wiener Philharmoniker –<br />

diesmal unter der Leitung von Franz Welser-Möst<br />

und Yannick Nézet-Séguin.<br />

Zudem glänzte im Rahmen der Reihe<br />

«Debut» die Cellistin Mi Zhou als Gewinnerin<br />

des Prix Credit Suisse Jeunes Solistes<br />

(siehe S. 55). Vier Wochen dauern<br />

alljährlich die Zürcher Festspiele unter der<br />

Leitung von Peter F. Weibel. Sie überzeugen<br />

durch ihre Interdisziplinarität und<br />

ein harmonisches Zusammenspiel der<br />

wichtigsten Kulturträger der Stadt Zürich.<br />

Mit dem Opernhaus, dem Schauspielhaus,<br />

dem Kunsthaus (siehe S. 56), dem Museum<br />

Rietberg und dem Tonhalle-Orchester<br />

Zürich tragen auch mehrere langjährige<br />

Partner der Credit Suisse zum guten<br />

Gelingen bei. Gleich anschliessend folgten<br />

dieses Jahr Live at Sunset sowie im<br />

September das von Jahr zu Jahr bedeutender<br />

werdende Zurich Film Festival (siehe<br />

S. 59) und im nahen Winterthur das<br />

Beethoven-Festival als Saisonauftakt des<br />

Musikkollegiums Winterthur. Bereits läuft<br />

auch wieder das Projekt «Winterthur<br />

schreibt eine Oper» auf Hochtouren, diesmal<br />

zusammen mit einer Partnerschulklasse<br />

in Beirut. Mehr Informationen über<br />

die Partner der Credit Suisse findet man<br />

unter www.credit-suisse.com/sponsoring<br />

oder www.credit-suisse.com/lesamis.<br />

Opernfestival Avenches<br />

Der sanfte Neustart in Avenches unter dem neuen künstlerischen<br />

Leiter Eric Vigié und mit dem Orchestre de Chambre de<br />

Lausanne ist optimal gelungen: 29 000 Besucherinnen und<br />

Besucher waren mit der Aufführung von «Rigoletto» – trotz<br />

zweier kurzer Regenschauer – restlos zufrieden und freuen<br />

sich bereits auf «La Bohème» im Juli 2012.<br />

Regisseur Adriano Sinivia<br />

überzeugte im Amphitheater<br />

durch eine schlüssige,<br />

ideenreiche Inszenierung.<br />

Und die Solisten<br />

begeisterten,<br />

allen voran der mexikanische<br />

Bariton Carlos Almaguer<br />

als Rigoletto und die<br />

russische Sopranistin<br />

Olga Peretyatko<br />

als Gilda.<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 61<br />

kammerorchesterbasel<br />

Im geschichtsträchtigen Ackermannshof in der St. Johanns-<br />

Vorstadt hat das 1984 gegründete kammerorchesterbasel<br />

endlich einen Heimathafen gefunden, der den Orchestermitgliedern<br />

und der Administration unter einem Dach Platz bietet.<br />

Die Eröffnung unter dem Titel «Nachtklang» stiess auf genauso<br />

grosses Interesse wie die ersten Aufführungen der neuen<br />

Saison. Für das Orchester wird eine längere Asientournee<br />

im Frühjahr einen Höhepunkt bilden, für das Schweizer<br />

Publikum aber reiht sich ein Höhepunkt an den anderen.<br />

kammerorchesterbasel.ch<br />

Zwei neue Kulturpreise<br />

Die Nachwuchsförderungspreise der Credit Suisse,<br />

insbesondere der Credit Suisse Young Artist Award und<br />

der Prix Credit Suisse Jeunes Solistes, sind dank<br />

herausragender Preisträgerinnen und Preisträger fester<br />

Bestandteil der Kulturszene geworden. 20<strong>11</strong> kamen zwei<br />

Förderpreise in den Bereichen Jazz und Video hinzu.<br />

St. Galler Festspiele<br />

Die 2006 erstmals durchgeführten St. Galler<br />

Festspiele sind heute aus dem Ostschweizer Kulturleben<br />

bereits nicht mehr wegzudenken: Sie überzeugen<br />

durch ihr Ambiente – und ihre Qualität.<br />

Ein gewaltiges Historiengemälde über die Eroberung Israels, das<br />

nicht zuletzt durch seine lyrischen und martialischen Chorgesänge<br />

beeindruckte, stand diesmal im Zentrum der St. Galler Festspiele:<br />

«I Lombardi alla prima crociata» von Giuseppe Verdi, aufgeführt<br />

unter der musikalischen Leitung von Antonio Fogliani und in einer<br />

Inszenierung von Guy Montavon. Neben der Oper fanden aber<br />

auch die Konzerte und die Tanzdarbietungen grosse Beachtung<br />

bei insgesamt 13 000 Besuchern. stgaller-festspiele.ch<br />

Zermatt Festival<br />

Dank der Treue des aus acht Mitgliedern der Berliner Philharmoniker<br />

bestehenden Scharoun Ensembles wurde auch das<br />

siebte Zermatt Festival wiederum ein uneingeschränkter Erfolg.<br />

Zum Schluss spielte traditionsgemäss das Zermatt Festival<br />

Orchestra mit rund 30 jungen Musikern aus aller Welt.<br />

Wo es Pablo Casal gefiel,<br />

gefällt es auch den Sopranistinnen<br />

Rachel Harnisch<br />

und Barbara Hannigan.<br />

Das Scharoun Ensemble<br />

und die Violinistin Baiba<br />

Skride förderten in der<br />

Zermatt Festival Academy<br />

den Nachwuchs mit Verve.<br />

zermattfestival.com<br />

Das Westschweizer Jean-Lou<br />

Treboux Quintett gewann im Mai an<br />

den Stanser Musiktagen den ersten<br />

Credit Suisse Förderpreis Jazz.<br />

Er besteht aus einem Bandcoaching,<br />

der Produktion einer CD sowie<br />

einem Auftritt am Schaffhauser<br />

Jazzfestival 2012.<br />

stansermusiktage.ch<br />

jazzfestival.ch<br />

Den Gewinner des Credit Suisse<br />

Förderpreises Videokunst, der in<br />

Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum<br />

Bern erkoren wird, erfährt<br />

man im Rahmen der 10. Museumsnacht<br />

Bern im März 2012.<br />

kunstmuseumbern.ch<br />

Davos Festival<br />

Wie kann man nach einem glanzvollen Jubiläumsjahr wieder in<br />

einen hörenswerten Normalrhythmus zurückfinden? Graziella<br />

Contratto und Dolores Mark wussten wie: «Cherchez la femme.»<br />

Unter den zahlreichen<br />

Frauen ragte die aserbaidschanische<br />

Komponistin<br />

Franghiz Ali-zade heraus.<br />

Beim 26. Davos Festival<br />

wussten auch das tschechische<br />

Zemlinsky Quartett<br />

und das französische<br />

Quatuor Ardeo zu gefallen.<br />

davosfestival.ch<br />

Fotos: Marc-André Guex | Kammerorchester Basel | André A. Niederberger | St. Galler Festspiele | Marco Borggreve | Davos Festival<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


01 Bundesrat Johann N.<br />

Schneider-Ammann<br />

fühlte sich, wie er betonte,<br />

«at home».<br />

02 Präsident Hans-Ulrich<br />

Müller als Lokomotive<br />

des KMU-Netzwerks.<br />

01<br />

03 Eine Podiumsdiskussion<br />

mit Witz und Sachkenntnis<br />

(von links): Gerold Bührer,<br />

Brigitte Breisacher, Reto<br />

Lipp, Hans-Ulrich Meister<br />

und Rudolf Stämpfli.<br />

03<br />

02<br />

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Swiss Venture Club<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Das Modell für die<br />

KMU der Schweiz<br />

«SVC bewegt – seit zehn Jahren» – unter diesem Motto<br />

führte der von Hans-Ulrich Müller präsidierte Swiss Venture<br />

Club im September seine Jubiläumsgeneralversammlung<br />

im Hotel Bellevue Palace in Bern durch. Als treuer Begleiter<br />

des KMU-Netzwerks von der ersten Stunde an liess es sich<br />

Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann nicht nehmen,<br />

den über 400 Mitgliedern eine Grussbotschaft zu entrichten,<br />

in der er vor allem auch die Innovationsfähigkeit der Schweizer<br />

KMU lobte.<br />

Das belegen auch Statistiken, wie Martin Neff, Head<br />

Credit Suisse Economic Research, ausführte: Die Schweiz<br />

ist, nicht zuletzt dank ihrer KMU, in Relation zur Bevölkerungszahl<br />

weltweiter Leader in Sachen Patente, wissenschaftliche<br />

Publikationen und Infrastruktur sowie die Nummer<br />

2 beim Export von Spitzentechnologie – und dies trotz<br />

mässiger Ausgaben für Forschung und Entwicklung und<br />

sogar eines sehr tiefen Anteils an Forschern.<br />

Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich (Mathematik,<br />

Naturwissenschaften und Ingenieurwesen) bereitet Neff aber<br />

Sorgen. Er ist nur dank dem Zugang qualifizierter Fachkräfte<br />

kein existenzielles Problem. Neff zeigte sich erleichtert,<br />

dass die Unternehmer in einer beim SVC durchgeführten<br />

Umfrage die Bedeutung der Migration erkannt haben. Die<br />

Umfrageergebnisse sind in die Studie «Modell Schweiz im<br />

Wandel: Chancen und Risiken für KMU» integriert.<br />

Optimismus und Unterhaltung bot das Podium über das<br />

Modell Schweiz mit Brigitte Breisacher, CEO Alpnach-Norm-<br />

Gruppe, Rudolf Stämpfli, Mitinhaber Stämpfli AG, Gerold<br />

Bührer, Präsident Economiesuisse, Hans-Ulrich Meister,<br />

CEO Credit Suisse Schweiz, sowie mit Reto Lipp als Moderator,<br />

www.swiss-venture-club.ch.<br />

Fotos: Michael Schär | Zürich Film Festival<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse<br />

MAKERS OF THE ORIGINAL SWISS ARMY KNIFE


Credit Suisse 63<br />

Pressekonferenz<br />

Text: Andreas Schiendorfer<br />

Optimismus als<br />

Konjunkturkatalysator<br />

20<strong>11</strong> wird das Schweizer Wirtschaftswachstum 1,9 Prozent<br />

betragen, 2012 werden es 2 Prozent sein. Dies begründeten<br />

die Experten der Credit Suisse am 6. September.<br />

Die traditionelle Präsentation der<br />

Wirtschaftsprognosen durch die<br />

Ökonomen der Credit Suisse fiel<br />

diesmal – unvorhergesehen – auf<br />

ein historisches Datum: die Festlegung des<br />

Euro auf einen Mindestkurs von 1.20 Franken.<br />

Dies lieferte natürlich zusätzlichen Gesprächsstoff.<br />

Analysten, Journalisten und<br />

auch die Experten der Credit Suisse begrüssten<br />

das entschlossene Vorgehen der Nationalbank;<br />

aber über die konkreten Auswirkungen<br />

war man sich nicht ganz einig.<br />

Dies widerspiegelt die aktuelle globale Wirtschaftslage:<br />

Höchstens 2008 war der Blick<br />

in die Kristallkugel ähnlich schwierig wie<br />

jetzt. Die Experten reagieren unterschiedlich<br />

darauf. Während BAK Basel die Schweiz<br />

am Rande einer Rezession wähnt, geht die<br />

Credit Suisse gleichentags optimistisch von<br />

einem Wachstum von 1,9 Prozent für das laufende<br />

und 2 Prozent für das nächste Jahr<br />

aus, womit sie die früheren Prognosen nur<br />

geringfügig nach unten korrigiert hat. Die<br />

Teuerung bleibt weiterhin tief.<br />

«Die Daten sind deutlich besser als die Stimmung»,<br />

führt dazu Martin Neff, Head Economic<br />

Research, aus. «Die nunmehr einjährige<br />

Überbewertung des Frankens hat beim<br />

Export bislang nur wenig Spuren hinterlassen.<br />

Die Warenexporte nahmen im ersten Halbjahr<br />

nominal um 3,6 Prozent und real um 10,5<br />

Prozent zu.» Dies wird zwar nicht ganz so<br />

bleiben, doch Neff warnt vor Schwarzmalerei:<br />

«Der Abschwung beginnt im Kopf.» Anlass zu<br />

Optimismus bietet vor allem auch die starke<br />

Finanzlage des Unternehmenssektors, die<br />

nicht nur zu Akquisitionen im Ausland, sondern<br />

auch zu Ausrüstungsinvestitionen führt.<br />

Der private Konsum hält ebenfalls durch,<br />

zumal die Tiefstzinsen und die schwache Teuerung<br />

zu einem Kaufkraftgewinn führen und<br />

der Konsumtourismus ins grenznahe Ausland<br />

seinen Höhepunkt bereits überschritten hat.<br />

Gewisse Sorgen bereitet Neff der Immobilienmarkt,<br />

wo Angebot und Nachfrage zwar<br />

in Einklang sind, die Preisentwicklung sich<br />

aber zunehmend von der Einkommensentwicklung<br />

abkoppelt.<br />

Ein ausführlicher wirtschaftlicher Ausblick<br />

auf 2012 folgt im nächsten <strong>bulletin</strong>.<br />

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Bis 8. Januar 2012<br />

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Landesmuseum Zürich<br />

Bis 8. Januar 2012<br />

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Kunsthaus Zürich<br />

Bis 15. Januar 2012<br />

➔ Mystik<br />

Museum Rietberg Zürich<br />

Bis 15. Januar 2012<br />

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Die Landschaften<br />

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Bis 22. Januar 2012<br />

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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong><br />

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64 Credit Suisse<br />

Gastkommentar<br />

ICT – die Zukunft<br />

der Schweiz gestalten<br />

Ruedi Noser<br />

Präsident ICTswitzerland<br />

«Die Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

ist für den Finanzplatz<br />

Schweiz von existenzieller Bedeutung.<br />

Fast ein Viertel unserer Mitarbeitenden<br />

in der Schweiz sind in der IT tätig»,<br />

erklärt Karl Landert, CIO Credit Suisse.<br />

«Schon seit Jahren arbeiten wir eng<br />

mit der ETH Zürich und der EPFL<br />

Lausanne, aber auch mit Hochschulen<br />

in anderen Regionen der Schweiz<br />

zusammen. Zudem haben wir 20<strong>11</strong> in<br />

Lausanne ein hochmodernes IT-Entwicklungszentrum<br />

eröffnet.»<br />

Der drohende Fachkräftemangel<br />

stellt nun aber die Wettbewerbsfähigkeit<br />

des Innovations- und Technologiestandorts<br />

Schweiz in Frage. Der Branchenverband<br />

ICTswitzerland, zu dessen Vorstand<br />

Karl Landert gehört, hat reagiert<br />

und die verschiedenen Kräfte im IT-<br />

Be rufsfeld gebündelt. Künftig werden<br />

die Inhalte der IT-Ausbildungen besser<br />

auf die Bedürfnisse von Wirtschaft und<br />

Unternehmen abgestimmt. Eine breit<br />

abgestützte Arbeitsgruppe von ICT-<br />

Ex perten sowie von Vertretern aus<br />

Wirtschaft und Berufsbildung hat deshalb<br />

in einem ersten Schritt aus dem<br />

Fachausweis Informatik vier neue Fachausweise<br />

mit je einem klaren Profil<br />

entwickelt: ICT-Applikationsentwicklung,<br />

ICT-System- und -Netzwerktechnik,<br />

Wirtschaftsinformatik und Mediamatik.<br />

Bereits 2013 werden diese Ausweise<br />

erstmals Absolventen der Höheren<br />

Berufsbildung überreicht. Zudem sollen<br />

bis 2017 rund 3000 zusätzliche Lehrstellen<br />

geschaffen werden.<br />

«Auch wir werden unsere Lehrstellen<br />

von 50 auf über 100 erhöhen», versichert<br />

Karl Landert. Schi<br />

Mit dem Mobiltelefon<br />

kann man<br />

heute längst nicht<br />

mehr nur telefonieren,<br />

sondern auch sein<br />

Zugsbillett lösen oder Musik<br />

hören. Zahlungen erledigt<br />

man nicht mehr am Schalter,<br />

sondern online. Und das Büro ist heute dort,<br />

wo der Laptop aufgeklappt wird. Die Informations-<br />

und Kommunikationstechnologien<br />

(ICT) machen all dies und noch viel mehr<br />

möglich. ICT verändert unser Leben. Grundlegend<br />

und nachhaltig.<br />

ICT erleichtert uns aber nicht nur den Alltag,<br />

sondern ist für die Schweiz auch ein<br />

wichtiger Standortfaktor. Denn dieser Sektor<br />

beinhaltet wesentliche Elemente wie IT-Produkte<br />

und -Anwendungen – für das Inland<br />

und als Exporte – zur Steigerung der wirtschaftlichen<br />

Leistungsfähigkeit der Schweiz.<br />

Die Zahlen einer im Herbst 2010 publizierten<br />

umfassenden Studie zum ICT-Berufsfeld<br />

verdeutlichen das: Mit gut 25 Milliarden<br />

Schweizer Franken trägt die ICT in unserem<br />

Land etwa gleich viel zur Wertschöpfung bei<br />

wie die Versicherungsbranche und sogar<br />

mehr noch als die chemische Industrie. Die<br />

von economiesuisse und ICTswitzerland,<br />

dem Dachverband der IT-Industrie, im Früh-<br />

jahr lancierte Digitale Agenda<br />

2020 trägt diesem Umstand<br />

Rechnung und zeigt auf, mit<br />

welchen Massnahmen dieser<br />

wichtige Standortvorteil langfristig<br />

gesichert und gestärkt<br />

werden kann.<br />

Will die Schweiz wieder zu<br />

den führenden Ländern im ICT-Bereich gehören,<br />

benötigen wir nicht nur bessere Rahmenbedingungen,<br />

sondern vor allem auch<br />

genügend Fachkräfte. Genau hier liegt das<br />

Problem. Bis 2017 fehlen uns in der Schweiz<br />

netto rund 32 000 ICT-Spezialisten. Oder<br />

anders gesagt, es braucht jährlich rund<br />

3000 neue Lehrstellen und ebenso viele<br />

motivierte Lehrende, um den Bedarf an<br />

Fachkräften decken zu können. Das ist eine<br />

enorme Herausforderung. Mit der Gründung<br />

von ICT-Berufsbildung Schweiz im Frühjahr<br />

2010 wurde ein erster wichtiger Grundstein<br />

gelegt, um mehr Jugendliche für eine Ausbildung<br />

in der ICT zu gewinnen. Staatliche<br />

Institutionen spannen dabei mit der Wirtschaft<br />

zusammen. Wenn ICT schon unser<br />

Leben grundlegend verändert, dann sollten<br />

wir Entwicklungen in diesem Bereich nicht<br />

einfach den USA überlassen. Denn was<br />

unser Leben verändert, verändert auch unsere<br />

Kultur.<br />

Impressum<br />

<strong>11</strong>7. Jahrgang, 5 x jährlich, Deutsch, Englisch,<br />

Französisch, Italienisch<br />

HERAUSGEBER: Credit Suisse AG<br />

Postfach 2, CH-8070 Zürich, Telefon +41 44 333 <strong>11</strong> <strong>11</strong><br />

REDAKTION: Andreas Schiendorfer (schi), Chefredaktor;<br />

Stefan Behmer (sb), Leitung Internationale Ausgabe; Regula<br />

Brechbühl (rb), Schwerpunkt; Dorothee Enskog (de), Wirtschaft;<br />

Claudia Hager (ch), Credit Suisse Redaktionelle Mitarbeit<br />

Nicola B. Mohler, Alice Ratcliffe, Urs Schwarz Corporate<br />

Responsibility Mandana Razavi (mar), Valérie Clapasson Fahrni<br />

(cfv), Angela Harp (ah) Sponsoring Daniel Huber (dhu),<br />

Stefan Behmer, Michael Krobath (mk) Praktikum Sandra<br />

Buchmann, Schirin Razavi, Franziska Thürer<br />

Kontakt redaktion.<strong>bulletin</strong>@credit-suisse.com Internet www.<br />

credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong> Facebook <strong>bulletin</strong> der Credit Suisse<br />

GESTALTUNG UND REALISATION: Arnold Inhalt und Form:<br />

Michael Suter (Leitung), Luzian Meier, Monika Häfliger, Maja<br />

Davé, Renate Hanselmann, Angelique Bolter, Karin Cappellazzo,<br />

Stefanie Süess Korrektorat Carola Bächi (AIF), Claudia Marolf<br />

(notabene) Übersetzungen Credit Suisse: Adrian Caminada,<br />

Francesco Di Lena, Richard S. Hughes, Nathalie Lamgadar,<br />

Marie-Sophie Minart Druck Swissprinters Zürich AG<br />

VERLAG: Daniel Huber (Leitung), Stefan Behmer (Marketing/<br />

Inserate), Tel. <strong>04</strong>4 334 58 88, <strong>bulletin</strong>@behmer.ch WEMF-Auflage<br />

20<strong>11</strong> 139 575 Registrierung ISSN 1423-1360 Mutationen<br />

siehe Talon Nachdruck von Texten ge stattet mit Hinweis<br />

«Aus dem <strong>bulletin</strong> der Credit Suisse».<br />

REDAKTIONSKOMMISSION: Nicole Brändle Schlegel,<br />

René Buholzer, Barend Fruithof, Sandro Grünenfelder, Anja<br />

Hochberg, Angelika Jahn Wassmer, Bettina Junker Kränzle,<br />

Hanspeter Kurzmeyer<br />

Diese Publikation dient zu Informationszwecken. Sie bedeutet<br />

kein Angebot und keine Aufforderung seitens der Credit Suisse<br />

zum Kauf oder Verkauf von Wertschriften. Hinweise auf die frühere<br />

Performance garantieren keine positiven Entwicklungen in<br />

Zukunft. Die Analysen und Schlussfolgerungen wurden durch die<br />

Credit Suisse erarbeitet und könnten vor ihrer Weitergabe an die<br />

Kunden bereits für Transaktionen von Gesellschaften der Credit<br />

Suisse Group verwendet worden sein. Die ver tretenen Ansichten<br />

sind die der Credit Suisse zum Zeitpunkt der Drucklegung.<br />

(Änderungen vor behalten.) Credit Suisse ist eine Schweizer Bank.<br />

Foto: zvg<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Dossier<br />

Wald<br />

Inhalt<br />

01 Das Internationale Jahr der Wälder<br />

02 Essay: Welcher Wert hat der Wald?<br />

03 Dialog über Funktion und Erhalt der Wälder<br />

<strong>04</strong> Schutzwald und Klimawandel<br />

05 Freiwilligeneinsätze bei Umweltorganisationen


01<br />

Internationales Jahr der Wälder<br />

Wälder<br />

der Erde<br />

Obwohl Wälder nur ungefähr<br />

sechs Prozent der Erdoberfläche<br />

bedecken, bieten sie<br />

300 Millionen Menschen<br />

und rund 50 Prozent aller<br />

Pflanzen- und Tierarten Raum<br />

zum Leben. Waldgebiete<br />

sind damit die artenreichsten<br />

Landlebensräume der Welt<br />

und unentbehrlich für unsere<br />

Gesellschaft und Wirtschaft.<br />

Millionen von Menschen<br />

hängen von ihnen ab: Von<br />

Nahrung, Obdach und Medizin<br />

über Treibstoff und andere<br />

wirtschaftliche Einnahmequellen<br />

bis hin zu Erholungsraum<br />

bieten Wälder alles,<br />

was der Mensch zum Leben<br />

braucht.<br />

Daneben sind sie gigantische<br />

Kohlenstoffspeicher, haben<br />

eine kühlende Wirkung auf das<br />

Weltklima, schützen den<br />

Boden vor Erosion und erhalten<br />

den Wasserkreislauf.<br />

Je nach Niederschlagsmenge,<br />

Temperatur und Höhenlage<br />

des Standorts sind die Wälder<br />

der Erde verschiedenartig<br />

ausgeprägt: vom nordischen<br />

Nadelwald bis hin zum<br />

äquatorialen Regenwald.<br />

Der boreale Nadelwald – in Nordeurasien<br />

auch Taiga genannt – erstreckt sich rund<br />

um den ganzen Nordpol in Alaska, Kanada,<br />

Skandinavien und Russland und ist das<br />

grösste Waldgebiet der Erde. Aufgrund<br />

der Kälte wachsen hier vor allem gleichförmige<br />

Nadelbäume, die in den wenigen<br />

warmen Wochen nicht erst Blätter bilden<br />

müssen, sondern gleich zu wachsen<br />

beginnen können. Waldbrände spielen eine<br />

wichtige Rolle bei der Verjüngung dieses<br />

Waldtyps, da erst in abgebrannten Gebieten<br />

die Baumkeimlinge durch die dicke<br />

Humusschicht am Boden dringen können.<br />

Die grösste Bedrohung der borealen<br />

Nadelwälder geht zurzeit vom Klimawandel<br />

aus, da die Gefahr besteht, dass sich<br />

die Bäume nicht schnell genug an<br />

die veränderte Temperatur- und Niederschlagssituation<br />

anpassen können.<br />

Borealer<br />

Nadelwald<br />

Gemässigte Wälder bestehen aus Laubund<br />

Nadelbäumen. Die Laubbäume<br />

verlieren während der kalten Jahreszeit die<br />

Blätter. Die Sommermonate sind aber<br />

genügend lang und warm für eine erneute<br />

Blätterproduktion. Der gleichmässig<br />

über das Jahr verteilte Niederschlag sorgt<br />

für eine stetige Feuchtigkeit. Die Wälder<br />

der gemässigten Gebiete sind weniger<br />

produktiv und artenreich als die tropischen<br />

Wälder, dennoch sind sie ein wichtiger<br />

Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Neben<br />

der fortschreitenden Zersiedelung durch die<br />

Menschen ist auch der Klimawandel eine<br />

grosse Herausforderung für diesen Waldtyp.<br />

Das grösste Laubwaldgebiet der Erde<br />

findet man in den Appalachen nahe der<br />

Atlantikküste der USA.<br />

Gemässigte<br />

Wälder<br />

Borealer Nadelwald<br />

Gemässigte Wälder<br />

Mediterrane Wälder<br />

Tropische Trockenwälder<br />

Tropische Regenwälder<br />

Credit Suisse<br />

<strong>bulletin</strong> Dossier Wald


Der Name verrät bereits, dass dieser Waldtyp<br />

vor allem rund ums Mittelmeer wächst.<br />

Entsprechende Wälder gibt es aber auch in<br />

Amerika, Australien und Südafrika. Sie sind<br />

an heisse, trockene Sommer und feuchte,<br />

kühle, aber nicht kalte Winter angepasst.<br />

Die Herausforderung für diese Wälder ist<br />

die Trockenheit. Die Blätter werden in<br />

der Regel nicht mehr abgeworfen, sondern<br />

mit besonderen Tricks – wie beispielsweise<br />

einer pelzigen oder einer dicken, wächsernen<br />

Oberfläche – vor dem Austrocknen<br />

geschützt. Das mediterrane Gebiet<br />

wird schon seit Jahrtausenden von grossen<br />

Zivilisationen bevölkert. Entsprechend<br />

wurden diese Wälder schon seit langer Zeit<br />

genutzt und häufig auch übernutzt.<br />

Als Folge davon gibt es nur noch wenige<br />

naturnahe mediterrane Wälder.<br />

Mediterrane<br />

Wälder<br />

Zwischen den tropischen Regenwäldern<br />

und den Wüsten wachsen die tropischen<br />

Trockenwälder. Manche davon sind<br />

wahre Überlebenskünstler: Sie können<br />

Trockenzeiten von neun bis zehn Monaten<br />

überleben. Trotzdem gehören diese<br />

Wälder zu den bedrohtesten der Welt, da sie<br />

wegen der harten Lebensbedingungen<br />

sehr empfindlich gegenüber Veränderungen<br />

ihrer Umwelt sind. Der Klimawandel ist<br />

deshalb eine grosse Gefahr für diesen<br />

Waldtyp. Hinzu kommt die lokale Übernutzung<br />

durch die in den Verbreitungsgebieten<br />

häufig sehr arme Bevölkerung, die etwa das<br />

<strong>Holz</strong> der Bäume zum Überleben benötigt.<br />

Tropische<br />

Trockenwälder<br />

Die tropischen Regenwälder bedecken<br />

sämtliche Landgebiete am Äquator, wobei<br />

grob drei Regenwaldkomplexe unterschieden<br />

werden können: das Amazonasbecken<br />

in Südamerika, das Kongobecken in<br />

Afrika und der indonesische Archipel in<br />

Südostasien. Tropische Regenwälder<br />

sind das ganze Jahr über feucht und warm<br />

und weisen deshalb ein ganzjähriges<br />

Wachstum auf. Sie sind die ältesten Waldgebiete<br />

unseres Planeten und beherbergen<br />

die grösste Artenvielfalt. Charakteristisch<br />

für das äussere Erscheinungsbild dieses<br />

Waldtypus ist der so genannte Stockwerkbau.<br />

Die Stockwerke erstrecken sich vom<br />

Wurzelwerk über die bodennahe Krautschicht,<br />

die bis zu fünf Meter hohe Etage<br />

des Buschwerks bis hinauf zum dichten<br />

Hauptkronendach in 40 Metern Höhe.<br />

Einzelne Baumriesen ragen auch weit<br />

darüber hinaus. Der tropische Regenwald<br />

ist vor allem durch illegale Abholzung und<br />

die Klima erwärmung bedroht.<br />

Tropische<br />

Regenwälder<br />

Fotos: Pete Oxford, Getty Images | Michael Hanson, Corbis | Benelux, Corbis | Michael Turek, Getty Images | Axel Rosenberg, Getty Images | Matthieu Paley, Getty Images


Credit Suisse Cares for Climate<br />

Wir feiern unsere Wälder<br />

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 20<strong>11</strong><br />

zum Internationalen Jahr der Wälder erklärt, um das Bewusstsein<br />

und Wissen bezüglich nachhaltiger Bewirtschaftung, Erhaltung<br />

und Entwicklung der weltweiten Wälder zu fördern. Im Rahmen<br />

der Initiative Credit Suisse Cares for Climate engagiert sich<br />

die Bank für das Jahr der Wälder, beispielsweise indem sie die<br />

Mitarbeitenden auf die Bedeutung der Wälder aufmerksam<br />

macht und sie damit sensibilisiert.<br />

Der Sihlwald ist ein national anerkannter<br />

Naturwald an der Stadtgrenze von Zürich.<br />

Credit Suisse Cares for Climate<br />

Den Rahmen für unsere betriebli<br />

chen Massnahmen zum Klimaschutz<br />

bildet die Initiative Credit<br />

Suisse Cares for Climate. Über<br />

diese Initiative leistet die Bank auf<br />

verschiedenen Ebenen einen<br />

aktiven und messbaren Beitrag<br />

zum Klimaschutz. 2006 wurde die<br />

Credit Suisse zum ersten treibhausgasneutralen<br />

Grossunternehmen<br />

der Schweiz. Und seit<br />

2010 ist die Credit Suisse sogar<br />

weltweit treibhausgasneutral.<br />

Die Reduktion der betrieblichen<br />

Treibhausgasemissionen stellt<br />

die Basis unserer Massnahmen<br />

gegen den Klimawandel dar.<br />

Dazu beigetragen haben unter<br />

anderem die laufende Steigerung<br />

der Energieeffizienz durch<br />

Betriebsoptimierungen und<br />

Investitionen sowie der Bezug von<br />

Strom aus erneuerbaren Energiequellen.<br />

Ausserdem wendet sich<br />

die Bank mit Aufklärungs­ und<br />

Sensibilisierungskampagnen<br />

regelmässig an ihre Mitarbeitenden,<br />

damit auch sie einen Beitrag<br />

zur Reduktion von Emissionen<br />

leisten können.<br />

Earthwatch­Pilotprogramm Vier<br />

Mitarbeitende der Credit Suisse<br />

nahmen an einer einwöchigen<br />

Expedition von Earthwatch im<br />

brasilianischen Küstenwald Mata<br />

Atlantica teil. Earthwatch ist die<br />

grösste Organisation, die weltweit<br />

Forschungsarbeiten von Freiwilligen<br />

unterstützt. Mata Atlantica ist einer<br />

der artenreichsten natürlichen<br />

Lebensräume der Welt, der jedoch<br />

durch grossflächige Abholzungen<br />

bedroht wird. Die Teilnehmenden<br />

unterstützten ein Forschungsprojekt<br />

über die Auswirkungen des<br />

Klimawandels auf die Wälder. Sie<br />

sammelten und sortierten Regenwaldproben,<br />

vermassen und<br />

etikettierten Bäume. In einer Woche<br />

legten die vier Beteiligten rund<br />

30 Kilometer zu Fuss zurück und<br />

pflanzten 250 Bäume.<br />

Seit der Rückkehr von dieser<br />

Expedition engagieren sich die<br />

Teilnehmenden dafür, das Bewusstsein<br />

der Mitarbeitenden für ökologische<br />

und gesellschaftliche Fragen<br />

zu schärfen. Zu diesem Zweck<br />

betei ligen sie sich an regionalen<br />

Nachhaltigkeitsnetzwerken, die<br />

von der Abteilung Sustainability<br />

Affairs der Credit Suisse koordi niert<br />

und unterstützt werden.<br />

Bäume pflanzen in der Region APAC<br />

Im Sommer wurden Mitarbeitende<br />

der Region Asien­Pazifik eingeladen,<br />

sich zusammen mit lokalen<br />

Umweltorganisationen an Baumpflanzaktionen<br />

zu beteiligen. Das<br />

Ziel: Eindämmung der Biodiversitätsverluste<br />

und der Kohlenstoffemissionen,<br />

die durch die globale<br />

Abholzung verursacht werden.<br />

Die Veranstaltungen waren dem<br />

Weltumwelttag vom 5. Juni 20<strong>11</strong><br />

gewidmet, der in diesem Jahr die<br />

Walderhaltung thematisierte, und<br />

wurden beispielsweise mit dem<br />

lokalen Partner Hariyali Mulund<br />

Nursery durchgeführt. Hariyali setzt<br />

sich für den Schutz und die Verbesse<br />

rung der Umwelt ein und konzentriert<br />

sich dabei auf Wiederaufforstung,<br />

Wasserein sparung und<br />

Abfall bewirtschaftung sowie auf<br />

die Sensibilisierung der Gesellschaft<br />

gegenüber diesen Themen.<br />

Natur liebhaber der Credit Suisse<br />

Niederlassung in Mumbai halfen<br />

diesen Sommer beim Pikieren der<br />

Setzlinge und beim Einpflanzen<br />

neuer Bäume und erhielten dabei<br />

Einblicke in die Arbeit von Hariyali.<br />

Waldrundgänge im Sihlwald Den<br />

ganzen August über waren Mitarbeitende<br />

der Credit Suisse Zürich<br />

eingeladen, an Waldrundgängen<br />

durch den Sihlwald teilzunehmen.<br />

Die vielfältige, durch Gletscher<br />

geformte Landschaft ist heute<br />

ein beliebtes Erholungsgebiet für<br />

Einheimische und Touristen.<br />

Ein besonderes Merkmal des Sihlwalds<br />

ist sein Totholz, das vielen<br />

Tieren und Pflanzen als Lebensraum<br />

und Nährboden dient.<br />

Während ihres Besuchs unternahmen<br />

die Beteiligten einen<br />

Waldspaziergang, bei dem sie<br />

Gelegenheit hatten, das Fell eines<br />

«einheimischen» Bibers zu berühren,<br />

mit dem erwähnten Totholz ein<br />

Feuer zu entfachen und mehr über<br />

die Geschichte der Wälder und der<br />

<strong>Holz</strong>industrie in der Schweiz und<br />

generell in Europa zu erfahren.<br />

Zum Schluss wurden alle Teilnehmenden<br />

zu einem speziellen<br />

Mitarbeiterseminar mit dem Titel<br />

«Reise durch die Wälder der Erde»<br />

eingeladen.<br />

Foto: Credit Suisse<br />

Credit Suisse<br />

<strong>bulletin</strong> Dossier Immobilien<br />

Wald


Essay<br />

02<br />

Der Wert des Waldes<br />

Während ich diese Worte schreibe, schweift<br />

mein Blick über eine typisch schweizerische<br />

Landschaft: sanfte Hügel, aufgeräumte<br />

Bauernhöfe, kleine Dörfer und die<br />

tiefgrün bewaldeten Berge der gegenüberliegenden<br />

Talseite. Rund ein Drittel der Oberfläche der Schweiz<br />

ist von Wäldern bedeckt. Sie leisten unschätzbare<br />

Dienste in der Regulierung des Wasserflusses, der<br />

Bindung von Kohlenstoff, im Lawinenschutz oder in<br />

der Vorbeugung von Bodenerosion. Wälder bilden<br />

einen so integralen Bestandteil unserer Landschaft,<br />

dass die Schweiz ohne sie schlicht nicht sehr, nun<br />

ja, schweizerisch wirken würde.<br />

Während ich hierüber sinniere, wandern<br />

meine Gedanken zu weiteren Dingen, die das Bild<br />

der Schweiz, wie wir sie kennen, bestimmen:<br />

Alpen, direkte Demokratie und natürlich Schokolade.<br />

Ich erinnere mich, dass die Schokoladenindustrie<br />

in den letzten Jahren schwierige Zeiten durchlebt hat.<br />

Dies ist unter anderem auf eine deutliche Zunahme<br />

des Schädlings- und Krankheitsbefalls am Kakaobaum,<br />

Theobroma cacao, zurückzuführen, aus dem der<br />

Rohstoff von Schokolade gewonnen wird. Seither<br />

wird darüber spekuliert, ob die Schokolade sich<br />

zu einem für die meisten Leute unerschwinglichen<br />

Luxus entwickeln wird.<br />

Schädlinge und Krankheiten haben auch in<br />

der Vergangenheit schon wichtige landwirtschaftliche<br />

Erzeugnisse bedroht, und eine mögliche Antwort<br />

auf die Kakaokrise würde beispielsweise in der<br />

Verwendung von Wildformen des Kakaobaums beziehungsweise<br />

von nah verwandten Arten liegen. Man<br />

könnte sie mit landwirtschaftlichen Sorten kreuzen,<br />

um diesen die Krankheitsresistenz zu verleihen, die<br />

Wildsorten aufweisen und die den kultivierten Sorten<br />

oft fehlt. Im Falle des Kakaobaums dürfte dies<br />

leider nicht ganz so einfach sein.<br />

Wildformen von Theobroma cacao und verwandte<br />

Arten sind in Gebieten Lateinamerikas zu finden, die<br />

gegenwärtig einem starken Druck durch Entwaldung<br />

und ökologischer Verarmung ausgesetzt sind. Die<br />

Amazonas-Region Alto Purús im Grenzgebiet von Peru<br />

und Brasilien beispielsweise scheint besonders reich<br />

an Kakaopflanzenarten<br />

zu sein, die<br />

durch Kreuzung mit<br />

kultiviertem Kakao<br />

Schutz vor verheerenden<br />

Krankheiten bieten<br />

könnten. Inzwischen wird<br />

versucht, die Schutzmassnahmen<br />

im Gebiet zu verbessern<br />

und die genetische Varietät zu erhalten. Dies würde<br />

nicht nur dem Kakaobaum helfen, sondern – aufgrund<br />

der grossen Artenvielfalt im Gebiet – künftig auch<br />

andere Produkte von landwirtschaftlicher und pharmazeutischer<br />

Bedeutung liefern können.<br />

Die Welt von heute ist derart vernetzt, dass<br />

die künftige Produktion eines typischen Produkts wie<br />

Schweizer Schokolade durch die Situation in den<br />

Wäldern Lateinamerikas beeinflusst werden könnte.<br />

Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie gut die<br />

genetischen Ressourcen, beispielsweise von Theobroma,<br />

tief im Amazonas geschützt werden können.<br />

In gewissem Sinne verkörpern gesunde, kompetent<br />

bewirtschaftete Wälder dieselben Werte, für die<br />

auch eine verantwortungsvolle Bank steht: Stabilität,<br />

langfristiges Wirtschaften, zurückhaltender Umgang<br />

mit Risiken, Nachhaltigkeit. Eine gute Waldbewirtschaftung<br />

ist wie Vermögensverwaltung: Letztlich geht<br />

es um einen langen Zeithorizont und darum, unseren<br />

Kindern und Enkelkindern etwas zu hinterlassen.<br />

Aus diesem Grund und aus Anlass des von den Vereinten<br />

Nationen erklärten Jahres der Wälder feiern wir<br />

bei der Credit Suisse die Wälder der Welt.<br />

John Tobin, Head of Public Policy ­ Sustainability Affairs, Credit Suisse<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


03<br />

Dialog mit Nichtregierungsorganisationen<br />

Schutz der natürlichen<br />

Ressourcen der Welt<br />

Für manche sind Wälder ein Zufluchtsort, eine Stätte der Ruhe und Erholung. Anderen sind sie<br />

ein Zuhause und Quelle des Lebensunterhalts. Wälder – in all ihren Formen – bieten Raum<br />

für die weltweit stetig schwindende Biodiversität und sind unerlässlich für den Erhalt des Lebens<br />

auf der Erde. Im Rahmen unseres Dialogs mit Nichtregierungsorganisationen sprachen wir<br />

mit Kerry Cesareo, Managing Director of Forests, WWF USA, und Andrew Aulisi, Experte<br />

der Abteilung Credit Suisse Public Policy - Sustainability Affairs Americas, über Funktion<br />

und Erhalt der Wälder dieser Erde.


Fotos: Matthieu Paley, Getty Images | Alain Compost, WWF-Canon<br />

<strong>bulletin</strong> Frau Cesareo, warum sind<br />

Wälder für die Menschheit so wichtig?<br />

Kerry Cesareo: Wälder sind eine lebenswichtige<br />

Ressource: Sie filtern die Luft,<br />

die wir atmen, und das Wasser, das wir<br />

trinken, vermindern Bodenerosion und<br />

fungieren als wichtiger Puffer gegen den<br />

Klimawandel – Wälder beeinflussen unsere<br />

Umwelt auf eine äusserst bedeutende<br />

Weise. Zudem bieten sie Lebensraum für<br />

viele der am stärksten gefährdeten und bedrohten<br />

Tierarten. Was viele nicht wissen:<br />

Wälder tragen direkt zum Lebensunterhalt<br />

von 90 Prozent der einen Milliarde Menschen<br />

bei, die in extremer Armut leben. Sie<br />

liefern die Rohstoffe für Produkte wie<br />

Nutz holz, Papier, Nahrungsmittel und Medikamente.<br />

Der jährliche Umsatz der Forstindustrie<br />

beläuft sich auf rund 186 Milliarden<br />

US-Dollar. Eine Studie der Euro päischen<br />

Union aus diesem Jahr beziffert den jährlichen<br />

Wert des waldbezogenen Nutzens<br />

auf zwei bis fünf Billionen US-Dollar.<br />

Welche Schwerpunkte setzen Sie<br />

in Ihrer Tätigkeit?<br />

Kerry Cesareo: Mit unserer Arbeit verfolgen<br />

wir drei Ziele: Schutz der Wälder,<br />

verantwortungsvolles Management und<br />

Wiederaufforstung. Der WWF konzentriert<br />

sich dabei auf den Erhalt von Gebieten,<br />

die die grösste Artenvielfalt der Tierwelt<br />

beherbergen, auf Gebiete, die grossen<br />

Bedrohungen ausgesetzt sind, sowie auf<br />

Gegenden, in denen wir tatsächlich Veränderungen<br />

bewirken können. Dazu gehören<br />

Borneo und Sumatra in Indonesien,<br />

Amazonien, das Kongo-Becken und Russlands<br />

ferner Osten.<br />

Welche Strategie wird dabei verfolgt?<br />

Kerry Cesareo: Um die Wälder dieser Welt<br />

zu erhalten, brauchen wir entsprechende<br />

Regulierungen, die unsere Anliegen unterstützen.<br />

Zudem müssen wir mit Vertretern<br />

und Unternehmen in der Forstwirtschaft<br />

zusammenarbeiten – also mit Forstver waltungen,<br />

Unternehmen aus dem <strong>Holz</strong>-, Zellstoff-<br />

und Papierbereich sowie mit Verarbeitungs-<br />

und Handelsfirmen. Auch die<br />

Privatwirtschaft spielt eine wichtige Rolle<br />

bei der Erhaltung der bedrohten Wälder.<br />

Indem wir Firmen davon überzeugen, bei<br />

der <strong>Holz</strong>beschaffung oder Forstbewirtschaftung<br />

auf Umweltqualitätsstandards<br />

zu achten, können wir die Situation in den<br />

betroffenen Gebieten verbessern.<br />

Welches waren die wichtigsten Erfolge,<br />

die Sie bisher erzielen konnten?<br />

Kerry Cesareo: In den letzten 50 Jahren<br />

hat der WWF in der Walderhaltung einiges<br />

erreicht: Dazu gehört die Schaffung des<br />

Amazon Region Protected Areas Program<br />

ARPA (siehe Box C), durch das im brasilianischen<br />

Amazonasgebiet rund 62 Millionen<br />

Hektaren Wald unter Schutz gestellt wurden.<br />

Ein weiterer Erfolg war die Gründung<br />

des Forest Stewardship Council (FSC) im<br />

Jahr 1993, einer unabhängigen Organisation,<br />

die Standards entwickelt und die<br />

nachhaltige Wald bewirtschaftung zertifiziert.<br />

Der WWF hat an vorderster Front die<br />

Nachfrage nach FSC­zertifizierten <strong>Holz</strong>und<br />

Papierpro dukten gefördert und die<br />

FSC-Zertifizierung der weltweiten Waldflächen<br />

durch die so genannte «Global<br />

Forest & Trade Network»-Ini tiative (GFTN)<br />

vorangetrieben. Im Rahmen der GFTN<br />

erarbeitet der WWF gemeinsam mit Unternehmen<br />

Wege, die auch einen verantwortungsvollen<br />

Umgang in der Liefer antenkette<br />

für <strong>Holz</strong> und Papier ermög lichen<br />

sollen. Zudem unterstützen wir Unternehmen<br />

und Gemeinden bei der Bewirtschaftung<br />

ihrer Waldgebiete, damit sie die FSC-<br />

Zertifizierung erlangen.<br />

Ungeachtet der Erfolge, die Sie erzielt<br />

haben, kämpfen Sie sicher auch mit<br />

Schwierigkeiten.<br />

Kerry Cesareo: Ja, es ist beispielsweise<br />

frustrierend zu erkennen, dass wir einerseits<br />

auf globaler Ebene arbeiten und uns<br />

an komplexen Lösungsfindungen beteiligen,<br />

uns aber andererseits angesichts der<br />

Geschwindigkeit, mit der der Wald zerstört<br />

wird, in einem Wettlauf gegen die Zeit ><br />

A<br />

Bedrohte Schutzfunktionen<br />

Jährlich verschwinden fast<br />

15 Millionen Hektaren des natürlichen<br />

Waldbestandes. Je nach<br />

Ort und Ausmass der Abholzung<br />

werden die nützlichen Funktionen<br />

des Waldes – wie die Luft­ und<br />

Wasserreinigung, der Schutz vor<br />

Bodenerosion oder der Erhalt<br />

der Biodiversität – beeinträchtigt<br />

oder gehen verloren. Zudem<br />

gelangt durch die Abholzung<br />

Kohlenstoff in die Atmosphäre –<br />

15 Prozent der globalen Emissionen<br />

entstehen durch Kahlschlag –,<br />

während gleichzeitig die Fähigkeit<br />

der Erde, schädliche Treibhausgase<br />

aufzunehmen, reduziert wird.<br />

Eine der Hauptursachen der weltweiten<br />

Entwaldung ist die Erschliessung<br />

von Flächen für die Landwirtschaft.<br />

In Brasilien werden beispielsweise<br />

Wälder für die Sojaproduktion<br />

und die Viehwirtschaft<br />

abgeholzt, in Borneo für Palmölplantagen.<br />

Wälder auf der Insel<br />

Sumatra, die als Lebensraum<br />

für gefährdete Tiger, Elefanten und<br />

Orang­Utans dienten, wurden durch<br />

die Zellstoff­ und Papierindustrie<br />

nahezu vernichtet. Die grosse<br />

Nachfrage nach preiswerten Waldprodukten<br />

wird voraussichtlich<br />

zu weiteren Waldverlusten führen.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


efinden. Können wir schnell genug handeln,<br />

um überhaupt noch etwas zu retten?<br />

Herr Aulisi, Sie sind Nachhaltigkeits­<br />

experte bei der Credit Suisse in der<br />

Region Americas. Inwiefern beschäftigt<br />

sich eine Bank mit dem Thema Wald?<br />

Andrew Aulisi: Die wichtigste Verbindung<br />

zum Thema stellt unser Geschäft mit<br />

Forstwirtschaftsunternehmen und Unternehmen<br />

der Agrarindustrie dar. Berührungspunkte<br />

ergeben sich aber auch mit<br />

Branchen, die durch Aktivitäten in den<br />

Bereichen Bergbau, Öl und Gas, Infrastruktur<br />

sowie durch andere Formen<br />

industrieller Entwicklung zur Waldumwandlung<br />

beitragen. Wir finanzieren und<br />

investieren in viele Unternehmen dieser<br />

Sektoren. Bei unseren Finanzierungs- und<br />

Investitionsaktivitäten müssen wir Unternehmen<br />

fördern, die vorbildliche Erhaltungsmassnahmen<br />

umgesetzt und Nachhaltigkeitszertifizierungen<br />

wie jene des<br />

FSC erlangt haben. Gleichzeitig gilt es,<br />

Finanzierungs- und Investitionsvorhaben<br />

in Unternehmen, die sich unverantwortlich<br />

verhalten, zu vermeiden.<br />

Welche Instrumente stehen Ihnen<br />

dafür zur Verfügung?<br />

Andrew Aulisi: Unsere globale Weisung<br />

zur Forstwirtschaft (siehe Box D) enthält<br />

Richtlinien für unsere Aktivitäten in diesem<br />

Sektor, inklusive einer Liste der ausdrück-<br />

lich verbotenen Aktivitäten. Wir finanzieren<br />

oder beraten nur angesehene Forstwirtschaftsunternehmen,<br />

die einen verantwortungsvollen<br />

Umgang in ökologischen und<br />

sozialen Fragen nachweisen können. Die<br />

Weisung enthält ergänzend auch Richtlinien<br />

zur Palmölproduktion aufgrund der<br />

mit der Herstellung einher gehenden Auswirkungen<br />

auf die Wälder in Indonesien,<br />

Malaysia und zunehmend auch in anderen<br />

tropischen Regionen. Die Weisung besagt<br />

auch, dass wir keine Forstwirtschaftsunternehmen<br />

finanzieren, die in Wäldern<br />

mit hohem Erhaltungswert operieren, einschliesslich<br />

solcher, die als primäre tropische<br />

Feuchtwälder klassi fiziert wurden.<br />

Ausnahmen machen wir in diesem Bereich<br />

nur bei Firmen, die FSC-zertifiziert sind.<br />

Wir finanzieren oder beraten auch keine<br />

Unternehmen, wenn sich der forstwirtschaftliche<br />

Betrieb auf Schutzgebiete, geschützte<br />

Arten, den illegalen Einsatz von<br />

Feuer oder illegale Rodungen erstreckt.<br />

Wie stellt die Credit Suisse sicher,<br />

dass ihre forstwirtschaftlichen Aktivitäten<br />

nachhaltig sind?<br />

Andrew Aulisi: Unser Risikoprüfungsprozess<br />

(siehe Grafik B), bei dem Transaktionen<br />

mit Forstwirtschaftsunternehmen beurteilt<br />

und Kundenaktivitäten auf ihre ökologische<br />

und soziale Performance hin überprüft<br />

werden, stellt das sicher. Dieser globale<br />

Prozess ist für alle Transaktionen im<br />

Zusammenhang mit Geschäfts aktivitäten<br />

in Niedriglohnländern obligatorisch. Er<br />

schreibt stete Kontrollen und Ak tualisierungen<br />

sowie eine interne Schulung<br />

des Bankpersonals vor. Unsere Abtei lung<br />

führt die Transaktionsprüfungen durch und<br />

ein Gremium entscheidet, ob ein Geschäft<br />

unseren Anforderungen entspricht.<br />

Wie viele Transaktionen durchlaufen<br />

jährlich diesen Prozess?<br />

Andrew Aulisi: 2010 prüften wir insgesamt<br />

rund 280 Transaktionen, davon etwa 40<br />

wald bezogene. Für jede Transaktion müssen<br />

umfassende Informationen gesammelt,<br />

geprüft und zu einer Beurteilung zusammengefügt<br />

werden, die in den Zulassungsprozess<br />

einfliesst. Wenn die Prüfung der<br />

Kundenaktivitäten zu einem unzureichenden<br />

Ergebnis führt, kann dies zur Ablehnung<br />

des betreffenden Geschäfts führen.<br />

Kerry Cesareo: Die Einführung von solchen<br />

Forstwirtschaftsweisungen mit Mindestanforderungen<br />

wie der FSC-Zertifizierung<br />

ist ein sinnvoller erster Schritt, um nachhaltige<br />

forstwirtschaftsbezogene Finanzierungen<br />

und Investitionen zu ge währleisten.<br />

Dabei ist es wichtig, dass solche Richtlinien<br />

über alle Geschäfts felder hinweg zur<br />

Anwendung kommen, also etwa auch im<br />

Kreditwesen, im In vest ment Banking oder<br />

in der Vermögens verwaltung. Wir haben<br />

B<br />

Prüfung von Nachhaltigkeitsrisiken im Reputations­Risiko­Prüfungs­Prozess (RRRP) der Credit Suisse<br />

Entspringt der Tätigkeit eines möglichen Kunden ein potenzielles Risiko aus Umwelt­ oder Menschenrechtsaspekten, so wird<br />

eine Analyse durch die interne Fachstelle Sustainability Affairs durchgeführt. Diese überprüft unter anderem, ob der potenzielle<br />

Kunde die entsprechenden Branchenstandards einhält, wie tragfähig seine Beziehungen mit diversen Anspruchsgruppen sind<br />

und ob das Geschäft mit den internen Richtlinien der Credit Suisse für exponierte Sektoren zu vereinbaren ist.<br />

Public Policy –<br />

Sustainability<br />

Affairs<br />

­Prüfung­von­<br />

Transaktionen<br />

­Sensibilisierung/<br />

Training<br />

­Support<br />

Transaktion<br />

Transaktionen mit poten ziellen,<br />

reputationsrelevanten<br />

Umwelt­ oder Sozialrisiken<br />

Sektor­spezifische­<br />

Richtlinien<br />

Reputations­Risiko­ Prüfungs­Prozess<br />

Datenbank von Projekten/<br />

Firmen­unter­Nachhaltigkeitskritik<br />

Entscheid<br />

(ablehnen/anpassen/annehmen)<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


die Erfahrung gemacht, dass diese Umsetzung<br />

die grösste Herausforderung darstellt:<br />

Es müssen Konflikte zwischen ökologischen<br />

und ökonomischen Anforderungen<br />

unter einen Hut gebracht werden.<br />

Wie sähe eine nachhaltige Waldnutzung<br />

Ihrer beider Ansicht nach aus?<br />

Kerry Cesareo: Obwohl der Waldschutz<br />

grundsätzlich eine Priorität des WWF<br />

ist – zum Beispiel in Schutzgebieten und<br />

Parks –, wird es unserer Ansicht nach<br />

nicht möglich sein, die globalen Ziele für<br />

den Erhalt der Artenvielfalt oder den<br />

Klimawandel allein durch Aktivitäten in<br />

diesem Bereich zu erreichen. Wirtschaftsoder<br />

Gemeindewälder müssen bei der<br />

Erreichung dieser Erhaltungsziele ebenfalls<br />

eine Rolle spielen. Ziel der Waldbewirt<br />

schaftung sollte es sein, die Qualität<br />

des Waldstücks aufrechtzuerhalten und<br />

das Potenzial als Lieferant von Nutzholz<br />

und zahlreichen damit verbundenen Gütern<br />

und Ökosystemleistungen nicht zu<br />

beeinträchtigen.<br />

Andrew Aulisi: Angesichts der Tatsache,<br />

dass die Nachfrage nach Waldprodukten<br />

weiterhin steigen dürfte, besteht die Herausforderung<br />

darin, ein Gleichgewicht<br />

zwischen Produktion und Walderhaltung<br />

zu finden. Es ist klar, dass Bäume für <strong>Holz</strong>und<br />

Papierprodukte gefällt werden müssen,<br />

aber wir sollten sorgfältiger entscheiden,<br />

wo abgeholzt wird, und nachhaltige Plantagen<br />

besser nutzen.<br />

Andrew Aulisi, Nachhaltigkeitsexperte der Credit Suisse in der Region Americas, und Kerry<br />

Cesareo, Managing Director of Forests, WWF USA, im Gespräch über Funktion und Erhalt der<br />

Wälder dieser Erde.<br />

C<br />

Foto: Steffen Thalemann<br />

Was kann eine Bank zum Schutz der<br />

Wälder beitragen?<br />

Kerry Cesareo: Banken können ihre Rolle<br />

als Zwischenglied bei unternehmerischen<br />

Tätigkeiten – beispielsweise bei Projektfinanzierungen<br />

– zur Förderung des Waldschutzes<br />

nutzen. Die Durchsetzung von<br />

strengen und transparenten Richtlinien für<br />

den gesamten Forstwirtschaftssektor und<br />

über alle Geschäftsaktivitäten und Regionen<br />

hinweg ist von zentraler Bedeutung.<br />

Da rund 85 Prozent der Entwaldung durch<br />

die Landwirtschaft und nicht durch die<br />

<strong>Holz</strong>-, Zellstoff- oder Papierindustrie entstehen,<br />

müssen solche Richtlinien auch<br />

auf Sektoren zur Nutzung von Palmöl, Soja<br />

und Rindern ausgeweitet werden. Diese<br />

sind zurzeit für die Vernichtung der Lebensräume<br />

im Amazonas, in Südostasien<br />

und anderswo verantwortlich. Zusätzlich<br />

können Banken Finanzprodukte entwickeln,<br />

die es den Kunden ermöglichen, in<br />

nachhaltige Forstwirtschaft oder sogar in<br />

Aufforstungen zu investieren. ><br />

Amazon Region Protected Areas Program ARPA<br />

ARPA ist das grösste Tropenwaldschutzprojekt der Welt. Bis 2016 sollen über<br />

62 Millionen Hektaren des Amazonas­Regenwaldes in Brasilien durch ein<br />

umfassendes Schutzgebietsnetzwerk verbunden werden. Damit soll ein<br />

grosser Teil der dortigen Artenvielfalt für die Zukunft erhalten bleiben und die<br />

immer weiter vordringende Abholzung gestoppt werden. Bis 2010 konnten<br />

durch das Projekt rund 14,5 Millionen Hektaren streng geschützter Naturschutzgebiete<br />

neu geschaffen und weitere 10,8 Millionen Hektaren auf<br />

nachhaltige Bewirtschaftung umgestellt werden. Diese Gebiete ermöglichen<br />

auch ein ökologisch sinnvolles Einkommen für die lokale Bevölkerung.<br />

Mittlerweile besteht das ARPA­Netzwerk aus 83 verschiedenen Schutzgebieten<br />

unterschiedlicher Kategorien, die insgesamt eine Fläche von 33,4 Millionen<br />

Hektaren bedecken.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


Andrew Aulisi: Wir entwickeln bereits solche<br />

Finanzprodukte, weil wir der Meinung<br />

sind, dass Unternehmen mit ausgefeilten<br />

Forstverwaltungspraktiken und einer langfristig<br />

angelegten Nachhaltigkeitsstrategie<br />

und -vision über das Potenzial verfügen,<br />

ihren Sektor leistungsmässig zu übertreffen<br />

und attraktive Gewinne zu generieren.<br />

Welche internen Massnahmen tragen<br />

weiter dazu bei?<br />

Andrew Aulisi: Eine Möglichkeit besteht in<br />

der Steuerung unserer eigenen Lieferantenkette,<br />

indem wir beispielsweise FSCzertifizierte<br />

Papierwaren und Büromöbel<br />

kaufen. Im Jahr 2010 waren zum Beispiel<br />

69 Prozent des gesamten von der Credit<br />

Suisse Schweiz verwendeten Papiers FSCzertifiziert.<br />

Wir unternehmen aber auch<br />

Anstrengungen, die Sensibilität unserer<br />

Mitarbeitenden in diesem Bereich zu steigern.<br />

Beispielsweise sponserten wir vor<br />

Kurzem eine Expedition von vier Mitarbeitenden<br />

ins Rio Cachoeira Natural Reserve<br />

in Brasilien. Die Mitarbeitenden halfen mit<br />

bei einem Forschungsprogramm mit dem<br />

Titel «Nachhaltige Forstwirtschaft im Zuge<br />

des Klimawandels». Unser Ziel war es,<br />

ihnen praktische Erfahrungen mit Schlüsselkonzepten<br />

zu ermöglichen und diese<br />

in der Folge in die Business- und Nachhaltigkeitsstrategien<br />

der Credit Suisse einfliessen<br />

zu lassen.<br />

Was kann eine Bank sonst noch tun,<br />

um die Arbeit des WWF zu unterstützen?<br />

Kerry Cesareo: Banken sollten sich entschlossen<br />

darum bemühen, ihre Portfolios<br />

auf Elemente zu untersuchen, die in Zusammenhang<br />

stehen mit Entwaldung, und<br />

diese zu entfernen. Darüber hinaus hat<br />

eine Bank wie die Credit Suisse auch eine<br />

ethische Verpflichtung, in ihrer Geschäftstätigkeit<br />

eine Vorbildfunktion wahrzunehmen<br />

und sich gemeinsam mit anderen<br />

Branchenvertretern gegen die Entwaldung<br />

einzusetzen. Es haben sich bereits diverse<br />

Unternehmen branchenübergrei fend und<br />

abseits jeglichen Wettbewerbsgedankens<br />

zusammengetan, um einige der wirklich<br />

drängenden globalen Fragen anzusprechen.<br />

Dies ist eine positive Entwicklung<br />

und der WWF ist der Ansicht, dass auch<br />

der Finanzsektor hier aktiv werden sollte.<br />

Gibt es Beispiele von Projekten im Forst­<br />

wirtschaftsbereich, die der WWF<br />

zusammen mit Unternehmen realisiert?<br />

Kerry Cesareo: Der WWF legt grossen<br />

Wert darauf, mit Unternehmen und<br />

Branchen zusammenzuarbeiten, deren<br />

Tätigkeit Auswirkungen auf die Wälder hat<br />

und die zu deren Erhalt beitragen können.<br />

Wir können die Entwaldung unmöglich<br />

rückgängig machen, wenn wir dies nicht<br />

gemeinsam tun. Die schon erwähnte<br />

GFTN-Initiative hilft dabei mit, Unternehmen<br />

von einer verantwortungsvollen<br />

Papierherstellung und -beschaffung zu<br />

überzeugen. Die Initiative bildet den<br />

gemeinschaftlichen Rahmen, damit Ziele<br />

zur Umsetzung verantwortungsvoller<br />

Forst wirtschafts- und Handelspraktiken<br />

festgelegt werden können. Wir arbeiten<br />

dabei weltweit mit fast 300 Unternehmen<br />

zusammen, in den USA beispielsweise mit<br />

Kimberly-Clark und Williams-Sonoma Inc.<br />

Wie werden die Anspruchsgruppen<br />

der Credit Suisse in das Engagement für<br />

die Umwelt eingebunden?<br />

Andrew Aulisi: Zunächst einmal geht es<br />

um die Schaffung von Bewusstsein für<br />

Fragen im Zusammenhang mit weltweiten<br />

Waldverlusten und für Lösungen zur nachhaltigen<br />

Bewirtschaftung. Der wichtigste<br />

Schritt besteht aber darin, Massnahmen<br />

zu ergreifen. Die Bewirtschaftung der Lieferantenketten<br />

und die Erfordernis der<br />

FSC-Zertifizierung sind ein guter Anfang.<br />

Grundsätzlich suchen wir immer nach<br />

Möglichkeiten, mit unseren Anspruchsgruppen<br />

zusammenzuarbeiten, insbesondere<br />

wenn wir finanziell tragfähige An sätze<br />

finden können, die auch die Nachhaltigkeit<br />

in Produktion und Verbrauch fördern.<br />

Was können wir als Konsumenten für<br />

den Schutz der Wälder tun?<br />

Kerry Cesareo: Auch für Konsumenten<br />

besteht der erste wichtige Schritt darin,<br />

ein Bewusstsein für die Probleme zu entwickeln.<br />

Wissen Sie, woher Ihr <strong>Holz</strong> und<br />

Papier stammt? Man sollte beim Kauf von<br />

<strong>Holz</strong>- oder Papierprodukten auf das FSC-<br />

Logo achten. Wenn keine FSC-Produkte<br />

erhältlich sind, bitten Sie den Geschäftsführer,<br />

solche anzubieten.<br />

Die Vereinten Nationen haben 20<strong>11</strong> als<br />

das Internationale Jahr der Wälder<br />

ausgerufen. Werden aus diesem Anlass<br />

besondere Aktivitäten oder Veranstaltungen<br />

durchgeführt?<br />

Kerry Cesareo: Der WWF hat in diesem<br />

Jahr die Living Forests Initiative gestartet,<br />

die modernste Wissenschaften, neue Perspektiven<br />

von Partnern und unsere jahrzehntelange<br />

Erfahrung vor Ort miteinander<br />

verknüpft, um einige der grössten<br />

Herausforderungen für die Wälder weltweit<br />

zu bewältigen. Die Welt wird die<br />

Wälder nicht innerhalb eines Jahres retten.<br />

Aber 20<strong>11</strong> kann zum Jahr werden, in dem<br />

wir Differenzen beilegen, mutige Entscheidungen<br />

treffen und uns verpflichten, lebende<br />

Wälder für die nächsten Generationen<br />

zu sichern.<br />

Andrew Aulisi: Wir sahen das Jahr der<br />

Wälder als Chance, das Bewusstsein<br />

für die Bedeutung der Walderhaltung zu<br />

fördern. In Zürich organisierten wir ein<br />

Mitarbeiterseminar über Wälder und geführte<br />

Rundgänge durch ein Naturschutzgebiet.<br />

Aktivitäten wie diese helfen, die<br />

Aufmerksamkeit auf das Problem des<br />

Waldverlusts zu lenken und die weiteren<br />

Anstrengungen der Bank für Nachhaltigkeit<br />

im Forst- und Landwirtschaftssektor<br />

zu untermauern.<br />

Wir haben über Unternehmen,<br />

NGO, Konsumenten und Aktionäre<br />

gesprochen. Was sollte Ihrer<br />

Meinung nach auf der politischen<br />

Ebene für den Schutz der Wälder<br />

unternommen werden?<br />

Kerry Cesareo: Die Umkehr der Entwaldung<br />

kann nur mit Unterstützung des öffentlichen<br />

und privaten Sektors, aller Teile<br />

der Lieferantenkette und der lokalen Anspruchsgruppen,<br />

die durch den Verlust der<br />

Wälder bedroht sind, erreicht werden. Die<br />

Politik spielt dabei eine wichtige Rolle.<br />

Ein gutes Beispiel ist der amerikanische<br />

Lacey Act, ein seit Langem geltendes Gesetz<br />

über den Handel mit wilden Tieren,<br />

das 2008 geändert wurde, um den Handel<br />

mit illegalen <strong>Holz</strong>produkten zu unterbinden.<br />

Die EU hat mit einem neuen <strong>Holz</strong>gesetz<br />

nachgezogen. Regierungen sollten aber<br />

auch in der Verwaltungspraxis für die Wälder<br />

eine Rolle spielen, beispielsweise<br />

durch die Unterstützung einer guten Landnutzungsplanung.<br />

Ich hoffe, dass wir bis<br />

2020 – dem Ende der UN-Dekade der<br />

Biodiversität – das WWF-Ziel erreichen,<br />

die so genannte Netto-Entwaldung und<br />

die ökologische Ver armung der Waldgebiete<br />

zu stoppen. Minister aus 60 Ländern,<br />

die an der Biodiversitätskonferenz<br />

COP9 teilnahmen, unterstützen dieses<br />

Ziel, das auch für die Stabilisation des<br />

Klimas und den Erhalt der Biodiversität<br />

wichtig ist. Marcy Frank<br />

Foto: Benelux, Corbis<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


D<br />

Zusammenfassung der Weisung<br />

zu Forstwirtschaft und<br />

forstwirtschaftlichen Produkten<br />

Die Credit Suisse will eine vorbildliche<br />

Waldnutzung fördern und die Zu nahme<br />

von Netto-Waldumnutzung, Treibhausgasemissionen<br />

und den Verlust<br />

der Artenvielfalt verhindern. Sie finanziert<br />

oder berät deshalb nur Forstunternehmen,<br />

die in ihrer Geschäftstätigkeit<br />

einen verantwortungsvollen<br />

Umgang mit Umwelt- und Sozial aspekten<br />

nachweisen können. Die entsprechende<br />

Abklärung basiert darauf, dass<br />

das Unternehmen folgen de Anforderungen<br />

nachweisen kann:<br />

Es hat professionelle Verfahren<br />

der Forstverwaltung eingeführt, die<br />

allgemein als verantwortlich angesehen<br />

werden, und/oder es kauft Ressourcen<br />

von Unternehmen mit professionellen<br />

Verfahren der Forstverwaltung.<br />

Es hat in einer sinnvollen und glaubwürdigen<br />

Weise Belange der lokalen<br />

Gemeinschaften in Betracht gezogen<br />

und ist gegebenenfalls auf solche<br />

Belange eingegangen.<br />

Bestehen Zweifel in Bezug auf diese<br />

Kriterien, muss das Geschäft den<br />

Reputations-Risiko-Prüfungs- Prozess<br />

(siehe Grafik B) durchlaufen.<br />

Die Credit Suisse erbringt für Forstunternehmen<br />

mit Betrieben in Wäldern<br />

mit hohem Schutzwert (HCVF), inkl.<br />

tropischer Primärre genwälder, oder an<br />

Standorten, die in den fünf Jahren vor<br />

der geplanten Transaktion von HCVF<br />

gerodet worden sind, weder Finanzierungs-<br />

noch Beratungsdienstleistungen,<br />

es sei denn, die Betriebe sind<br />

gemäss Forest Stewardship Council<br />

(FSC) zertifiziert oder haben wesentliche<br />

und nachweisliche Fortschritte<br />

in Richtung einer FSC-Zertifizierung<br />

erzielt. Zudem wird die Credit Suisse<br />

nicht wissentlich Projekte oder Aktivitäten<br />

finanzieren, die verboten<br />

sind gemäss lokaler Gesetzgebung<br />

und internatio nalen Konventionen<br />

zum Schutz der Bio diversität und des<br />

kulturellen Erbes einschliesslich:<br />

UNESCO-Weltkulturerbestätten<br />

und -Biosphäre-Reservate<br />

Ramsar­Feuchtgebiete<br />

IUCN-Schutzgebiete<br />

(Kategorien I bis IV).


<strong>04</strong><br />

Schutzwald und Klimawandel<br />

Schutz in Gefahr<br />

Ohne Wald wären grosse Teile der Schweiz unbewohnbar,<br />

bedroht von Lawinen, Hochwasser und Steinschlag. Infolge des<br />

Klimawandels wird sich die Struktur des Waldes ändern.<br />

Was das für seine Schutzwirkung bedeutet, ist noch unklar.<br />

Der Wald ist in der Schweiz von existenzieller<br />

Bedeutung: Seit jeher schützt er die<br />

teils dicht besiedelten Täler vor Naturgefahren.<br />

Vor Lawinen, deren Abgehen<br />

die Bäume – zumindest innerhalb des Waldes<br />

– wirksam verhindern. Vor Rutschungen,<br />

denn das Wurzelwerk der Bäume<br />

festigt den Waldboden und vereitelt so<br />

das Abgleiten von Hangteilen. Er schützt<br />

vor Steinschlag, indem die Bäume, einem<br />

Rechen gleich, rollende Steine und Felsbrocken<br />

zurückhalten. Weiter bietet er<br />

Schutz vor Hochwasser, Schlamm- und<br />

Schuttströmen, da die Nadeln und Blätter<br />

der Bäume auch starken Niederschlag nur<br />

langsam an den Boden weitergeben und<br />

ihm so ermöglichen, das Wasser dosiert<br />

aufzunehmen. Damit sichert der Wald<br />

Siedlungen, Infrastruktur und Verkehrswege.<br />

Müssten diese Schutzleistungen<br />

mit baulichen Massnahmen sichergestellt<br />

werden, stiege die finanzielle Belastung<br />

deutlich – und die Landschaft würde vielerorts<br />

verunstaltet.<br />

Sorgenkind Verjüngung<br />

40 bis 60 Prozent der Schweizer Wälder<br />

schützen vor Naturgefahren. Ihr Schutz<br />

weist jedoch Defizite auf: Gemäss Auswertung<br />

des 3. Landesforstinventars ist<br />

die Schutzwirkung in 44 Prozent der Fälle<br />

ungenügend oder kritisch, wie es beim<br />

Bundesamt für Umwelt (BAFU) heisst. Die<br />

Experten beziehen sich dabei auf Indikatoren<br />

wie Deckungsgrad, Lückengrösse,<br />

Bestandesdichte, Verjüngung oder die Zusammensetzung<br />

der Baumarten. Zwar hätten<br />

sich die meisten dieser Kriterien in den<br />

letzten 20 Jahren positiv entwickelt – nicht<br />

aber die Verjüngung. «Bei 36 Prozent der<br />

Schutzwälder ist die Verjüngung kritisch<br />

bis ungenügend, bei 4 Prozent ist sie gar<br />

nicht vorhanden», sagt Arthur Sandri, Leiter<br />

der Sektion Rutschungen, Lawinen und<br />

Schutzwald beim BAFU. Der Wald kann<br />

seiner Schutzwirkung jedoch nur nachkommen,<br />

wenn beim Ausfall alter oder<br />

kranker Bäume bereits junge bereitstehen,<br />

um deren Aufgaben zu übernehmen.<br />

«Die Waldverjüngung ist das Sorgenkind<br />

des Schweizer Schutzwaldes», konstatiert<br />

Sandri, fügt aber gleich hinzu, dass die<br />

20 Jahre, die mit den Landesforstinventaren<br />

abgedeckt werden, eigentlich ein<br />

zu kurzer Beobachtungszeitraum für gesicherte<br />

Aussagen seien.<br />

Noch schwieriger werden Aussagen mit<br />

Blick nach vorne, namentlich was das Zusammenspiel<br />

zwischen Schutzwirkung und<br />

Klimawandel betrifft. Forscher rechnen für<br />

das 21. Jahrhundert mit einer Zunahme<br />

der globalen Durchschnittstemperatur um<br />

2 bis 4° C. Stärker als die steigenden Temperaturen<br />

könnten den Wald jedoch Veränderungen<br />

des Niederschlagsregimes<br />

beeinflussen. «Mit dem Klimawandel dürften<br />

sich Trockenperioden im Sommer häufen<br />

und intensivieren. Im Winter werden<br />

Niederschläge öfter, doch weniger in Form<br />

von Schnee fallen. Auch ist vermehrt mit<br />

Winterstürmen zu rechnen», sagt Sandri.<br />

Mit der Zunahme von meteorologischen<br />

Extremereignissen seien auch indirekte<br />

Folgen wie mehr Krankheiten, Schädlinge<br />

und Waldbrände zu befürchten.<br />

Klimagewinner und ­verlierer<br />

Weiter wird die Klimaveränderung Auswirkungen<br />

auf die Zusammensetzung der<br />

Baumarten und auf die Waldausdehnung<br />

haben. So wird erwartet, dass Wärme liebende<br />

und Trockenheit ertragende Baumarten<br />

wie die Eiche ihr Areal ausdehnen.<br />

Der Wald wird höher ins Gebirge wandern,<br />

dafür werden Bestände an der heutigen<br />

Trockenheitsgrenze versteppen.<br />

Somit wirft der Klimawandel die Frage<br />

auf, ob die natürliche Anpassungsfähigkeit<br />

Fotos: Benelux, Corbis | Bergwaldprojekt


Aufgeforstete Sturmfläche über Curaglia, Schweiz.<br />

der Baumarten ausreichen wird, um mit<br />

den Wuchsbedingungen der Zukunft zurechtzukommen.<br />

«Die meisten Schweizer<br />

Waldbäume weisen eine grosse ökologische<br />

Amplitude auf, das heisst, sie gedeihen<br />

an kalten und warmen, an trockenen<br />

und feuchten Standorten. Doch je nach<br />

Änderung des Zusammenspiels zwischen<br />

Temperatur und Niederschlag wird es Gewinner<br />

und Verlierer unter den Baumarten<br />

geben», sagt Sandri. Mit der Klimaveränderung<br />

werde sich zudem die Konkurrenz<br />

zwischen den Arten ändern, wodurch sich<br />

der Wald künftig anders zusammensetzen<br />

dürfte.<br />

Und die Schutzwirkung?<br />

Schutzwald international<br />

Schutzwälder gibt es überall – sogar in der Mongolei oder auf der Nordseeinsel<br />

Amrum. Die Leistung mag zwar variieren, doch viele Wälder<br />

weltweit haben eine Schutzfunktion. In den Gebirgstälern der Schweiz,<br />

Österreichs, Liechtensteins oder Deutschlands ist beispielsweise der<br />

Schutz vor Lawinen, Rutschungen oder Steinschlag essenziell. In Katalonien<br />

oder der Ukraine schützt der Wald dagegen primär vor Erdrutschen,<br />

und in China oder Pakistan verhindert er Erosionen, Überschwemmungen<br />

oder Sandstürme. Zudem hat der Wald weltweit Schutzfunktionen im<br />

weiteren Sinne: Er schützt unser Trinkwasser und sorgt für saubere Luft.<br />

Erfolgen die Veränderungen langsam, werde<br />

ein gut strukturierter Wald mit einer<br />

dem Standort angepassten Baumartenmischung<br />

in der Lage sein, auf die veränderten<br />

Umweltbedingungen zu reagieren<br />

– ohne seine Funktion einzubüssen, so<br />

das BAFU. Allerdings könne die Schutzleistung<br />

lokal auch beeinträchtigt oder gar<br />

verloren gehen: dann nämlich, wenn der<br />

Ausgangsbestand ungenügend ist oder die<br />

Klimaveränderung abrupt und in Form von<br />

Extremwetterereignissen erfolgt.<br />

Entsprechend kann nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass der Klimawandel die<br />

Schutzfunktion der Wälder beeinträchtigen<br />

wird – zumindest punktuell. Eine sorgfältige<br />

Bewirtschaftung und Pflege der<br />

Schutzwälder dürfte daher auch künftig<br />

der beste Ratgeber sein, ebenso wie eine<br />

dem Standort angepasste Baumartenmischung<br />

und eine entwicklungsfähige<br />

Verjüngung.<br />

So gesund ein Wald auch ist, einen absoluten<br />

Schutz vor Naturgefahren kann er<br />

nie bieten, weder alleine noch in Kombination<br />

mit technischen Massnahmen. Ein<br />

Risiko bleibt – und muss bei Bauvorhaben<br />

in exponierten Gegenden berücksichtigt<br />

werden. «Bei der Bewertung von Immobilien<br />

ziehen wir immer auch das Risiko einer<br />

Naturgefahr in Betracht. Es handelt sich<br />

hierbei um einen zu berücksichtigenden<br />

Lagefaktor, den wir anhand öffentlicher<br />

Gefahrenkarten beurteilen», sagt Monika<br />

Bürgi Geng, Expertin für Immobilienbewertung<br />

bei der Credit Suisse.<br />

Falls ein Schutzwald vorhanden sei,<br />

werde dieser nicht speziell geprüft. Hingegen<br />

untersuche der Bewerter, in welcher<br />

Gefahrenzone sich das Objekt befinde und<br />

ob die entsprechenden Auflagen der Behörden<br />

oder allenfalls der Versicherung<br />

erfüllt worden seien. Im Vordergrund stehe<br />

dabei immer, ob der Marktwert durch die<br />

Gefahr beeinträchtigt werde. Den Einfluss<br />

des Klimawandels auf das Risikoprofil<br />

von Immobilien schätzt Bürgi Geng kurzbis<br />

mittelfristig als gering ein. «Im Moment<br />

beeinflussen Angebot und Nachfrage die<br />

Immobilienentwicklung», so die Expertin.<br />

Insgesamt mögen die Auswirkungen<br />

des Klimawandels auf den Wald und seine<br />

Schutzwirkung mit Unsicherheiten behaftet<br />

sein. Die Herausforderungen, die er an<br />

die Gesellschaft und die Forstwirtschaft<br />

stellt, sind indes real. Claudia Hager<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


05<br />

Corporate Volunteering<br />

Tief verwurzeltes Engagement<br />

«Unternehmen sind, genau wie Individuen, aktive Mitglieder unserer<br />

globalen Gesellschaft. Neben unserer wichtigsten Verantwortung,<br />

die darin besteht, unser Kerngeschäft erfolgreich zu führen, tragen<br />

wir somit auch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der<br />

Umwelt», sagt Hanspeter Kurzmeyer, Global Head of Corporate<br />

Citizenship bei der Credit Suisse. So setzen sich die Bank und ihre<br />

Mitarbeitenden seit Jahren weltweit für die Gesellschaft und für<br />

soziale Anliegen ein, in Zusammenarbeit mit über 200 ausgesuchten<br />

Partnerorganisationen. Wichtig sind dabei nicht nur finanzielle<br />

Beiträge, sondern auch das ehrenamtliche Engagement der Mitarbeitenden.<br />

«Der Freiwilligenarbeit kommt eine sehr grosse<br />

Bedeutung zu: Sie steigert den Wert unserer Geldspenden um ein<br />

Viel faches und ermöglicht unseren Mitarbeitenden, die Bedürfnisse<br />

der Menschen, mit denen sie leben und arbeiten, besser zu verstehen.<br />

Gleichzeitig fördert ein ehrenamtlicher Einsatz den<br />

Teamgeist und die sozialen und persönlichen Kompetenzen der<br />

Mitarbeitenden», erläutert Kurzmeyer.<br />

Die globale Strategie besagt, dass die Credit Suisse überall dort,<br />

wo sie geschäftlich tätig ist, ein guter lokaler Partner sein will und<br />

durch Freiwilligeneinsätze hilft, die Lebensbedingungen benachteiligter<br />

Menschen zu verbessern. Dazu engagiert sie sich weltweit für<br />

sehr unterschiedliche Anliegen, beispielsweise für die Integration von<br />

Menschen mit Behinderungen oder für die Vermittlung von Wissen<br />

als Schlüssel für sozialen Wandel und ökonomisches Wachstum.<br />

Auch im Bereich Umwelt legt die Credit Suisse Wert auf persönlichen<br />

Einsatz. «Der Schutz der Umwelt gehört zu den vordringlichsten<br />

Problemen unserer Zeit», sagt Kurzmeyer. «Um unsere Mitarbeitenden<br />

für Umweltthemen und den Klimaschutz zu sensibilisieren und<br />

ihnen Gelegenheit zu bieten, selbst etwas zum Erhalt der Umwelt<br />

beizutragen, fördern wir gezielt Freiwilligeneinsätze bei Umweltorganisationen.<br />

Dieses Jahr, im Internationalen Jahr der Wälder,<br />

haben wir beim Volunteering verstärkt Projekte rund um das Thema<br />

Wald unterstützt.» In Hongkong etwa griffen Mitarbeitende zur<br />

Schaufel und pflanzten Baumsetzlinge, in San Francisco säuberten<br />

sie das Presidio von gebietsfremden Pflanzen und in der Schweiz<br />

schwitzten sie beim Räumen von <strong>Holz</strong>schlag. Mehr über diese<br />

und weitere Wald- und Naturprojekte der Bank erfahren Sie auf<br />

den folgenden Seiten.<br />

Europe, Middle East and Africa<br />

«Wir haben durch einfache Gartenarbeiten<br />

mitgeholfen, den Park als Lebensraum für<br />

Pflanzen und Tiere zu verbessern. Das<br />

war eine spassige und wertvolle Erfahrung,<br />

die mir gezeigt hat, dass auch kleine<br />

Einsätze zu grossen Veränderungen beitragen<br />

können», sagt Dave Bardsley von<br />

der Credit Suisse London nach einem<br />

ehrenamtlichen Einsatz im Tower Hamlets<br />

Cemetery Park. Der Park ist das urbanste<br />

Waldgebiet in London und das Naturreservat,<br />

das am nächsten bei der Niederlassung<br />

der Credit Suisse in Canary Wharf<br />

liegt. Als einer der Magnificent-Seven-<br />

Friedhöfe von London gegründet, wurde die<br />

Anlage bereits 1966 für Beerdigungen<br />

geschlossen und per Parlamentsbeschluss<br />

zum Park erklärt. Für die tägliche Pflege<br />

und Verwaltung ist die Organisation Friends<br />

of Tower Hamlets Cemetery zuständig,<br />

die Arbeiten in den Bereichen Natur,<br />

Gesellschaft und Bildung übernimmt und<br />

Naturschutzprojekte für Freiwillige organisiert.<br />

An den Einsätzen nehmen jährlich<br />

mehr als 3000 Helfer teil. Die Credit<br />

Suisse unterstützt den Park seit mehr als<br />

sechs Jahren; seit 2008 waren rund<br />

770 Mitarbeitende der Bank im ehrenamtlichen<br />

Einsatz. Dank der Freiwilligen<br />

ist das innerstädtische Naturreservat heute<br />

nicht nur Erinnerungsstätte und Ort<br />

lokaler Geschichte, sondern mit seinem<br />

alten Laubwald und den Blumenwiesen<br />

auch Heimat für seltene Pflanzen und Tiere.<br />

Credit Suisse<br />

<strong>bulletin</strong> Dossier Wald


Americas<br />

Fotos: Credit Suisse<br />

Schweiz<br />

Die Sonne brennt, die Muskeln schmerzen.<br />

Dessen ungeachtet machen die Freiwilligen<br />

weiter, hämmern, harken, sägen, schaufeln.<br />

Ein Einsatz beim Bergwaldprojekt<br />

ist körperlich anstrengend, aber horizonterweiternd.<br />

«Danach tat mir zwar jeder<br />

Muskel weh, aber es war toll», schwärmt die<br />

Credit Suisse Mitarbeitende Myriam Huber<br />

nach ihrem Arbeitseinsatz. «Die Projektleiter<br />

haben uns mit ihrer Freude an der Natur<br />

angesteckt und uns einen unvergesslichen<br />

und bereichernden Tag beschert. Wertvoll<br />

waren auch die umfassenden Informationen<br />

über die Funktion und Bedeutung der<br />

Bergwälder.» Die 1987 gegründete Stiftung<br />

Bergwaldprojekt hat zum Ziel, die Erhaltung,<br />

Pflege und den Schutz des Waldes in<br />

Berggebieten zu fördern, insbesondere<br />

durch Arbeitseinsätze mit Laien. Bisher<br />

haben über 25 000 Freiwillige in den<br />

Bergwäldern der Schweiz, Deutschlands,<br />

Österreichs, Kataloniens, der Ukraine und<br />

des Fürstentum Liechtensteins gearbeitet<br />

– darunter beinahe 3500 Mitarbeitende<br />

der Bank. Durch den Arbeitseinsatz<br />

leisten sie jedes Jahr einen aktiven Beitrag<br />

zur Erhaltung der Schutzwirkung des<br />

Berg waldes in der Schweiz, beispielsweise<br />

indem sie <strong>Holz</strong>schlag räumen, Konkurrenzvegetation<br />

zurückschneiden oder,<br />

wo nötig, Bäume entfernen, um die<br />

Ausbreitung des Waldes einzudämmen.<br />

Alpine Trockenwiesen zählen zu den<br />

artenreichsten Landschaften der Schweiz.<br />

Doch ihre Vielfalt ist bedroht: Düngung,<br />

intensive Bewirtschaftung sowie zunehmende<br />

Verbuschung zerstören das sensible<br />

ökologische Gleichgewicht und gefährden<br />

damit die Lebensräume vieler Pflanzen<br />

und Tiere. Der WWF Schweiz setzt sich<br />

zusammen mit Freiwilligen für die Erhaltung<br />

von Trockenwiesen ein. Dieses Jahr<br />

traf man auch etwa 200 Mitarbeitende<br />

der Bank bei den Arbeitseinsätzen an: bei<br />

der Hecken- und Waldrandpflege, beim<br />

Trockenmauerbau oder beim Entbuschen<br />

und Mähen der Trockenwiesen. «Der<br />

Einsatz war sehr spannend und lehrreich.<br />

Schön war, dass wir uns auch wirklich<br />

nützlich machen und einen Beitrag zum Erhalt<br />

der Natur in den Walliser Bergen<br />

leisten konnten», beschreibt Daniel Stampfli,<br />

Mitarbeitender der Credit Suisse, seinen<br />

Freiwilligeneinsatz. «Die Projektleiterin<br />

und die Landwirte vor Ort vermittelten ihr<br />

Wissen mit viel Herzblut und lieferten<br />

interessante Erklärungen.»<br />

Für die Natur haben sich auch die rund<br />

60 Mitarbeitenden der Credit Suisse engagiert,<br />

die dieses Jahr an einem Projekt<br />

des Natur- und Vogelschutzvereins Horgen<br />

mitgewirkt haben. Ausgerüstet mit<br />

Stiefeln und Gartenhandschuhen haben sie<br />

Riedflächen gemäht, Hecken geschnitten,<br />

Schilf gezupft oder Neophyten, also gebietsfremde<br />

Problempflanzen, entfernt. Damit<br />

haben sie mitgeholfen, wichtige Biotope zu<br />

pflegen und zu erhalten. Derzeit engagiert<br />

sich der Verein zudem für die Rietwies<br />

in Horgen, mit 3000 ökologisch bewirtschafteten<br />

Hochstammobstbäumen – ein<br />

wertvoller Lebensraum für viele, teils<br />

auch selten gewordene Tiere und Pflanzen.<br />

Mitten im pulsierenden Flatiron District in<br />

New York, zwischen Fifth, Madison Avenue<br />

und 23rd Street, blüht eine grüne Oase:<br />

der Madison Square Park. Saftige Wiesen,<br />

bunte Pflanzen und Schatten spendende<br />

Bäume locken die Städter in den Park,<br />

in dem häufig kulturelle Darbietungen<br />

stattfinden. Dafür, dass der Park schön,<br />

attraktiv und lebendig bleibt, setzt sich die<br />

gemeinnützige Organisation Madison<br />

Square Park Conservancy ein. Als direkter<br />

Nachbar des Parks unterstützt die<br />

Credit Suisse das Projekt und ermutigt ihre<br />

Mitarbeitenden, ehrenamtlich beim Unterhalt<br />

des Parks mitzuarbeiten. Dieses Jahr<br />

packten bereits über 100 Mitarbeitende<br />

bei diversen Arbeiten an, etwa beim Unkrautjäten<br />

und Pflanzensetzen. Eine der Freiwilligen<br />

war Ann Eskow: «Wir geniessen die<br />

Schönheit des Parks in allen Jahres zeiten<br />

und wollten daher helfen, ihn zu erhalten.<br />

So haben wir während eines ehrenamtlichen<br />

Arbeitseinsatzes Teile des Parks für die<br />

Bepflanzung vorbereitet.»<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


Asia Pacific<br />

«Vor 15 Jahren wurde das 600 Hektaren<br />

grosse Presidio in der Bucht von<br />

San Francisco in einen Nationalpark umgewandelt<br />

– zuvor hatte es über 200<br />

Jahre lang als Militärstützpunkt gedient.<br />

Diese einzigartige Landschaft in einen<br />

natürlichen Lebensraum zurückzuverwandeln<br />

und gleichzeitig die historischen<br />

Strukturen zu bewahren, ist ein gewaltiges<br />

Vorhaben, das grösstenteils auf die Unterstützung<br />

durch Freiwillige angewiesen ist,<br />

insbesondere da die staatlichen Gelder<br />

Ende 2012 auslaufen werden. Mit einigen<br />

Arbeitskollegen habe ich mitgeholfen,<br />

gebietsfremde Pflanzen auszureissen und<br />

mit einheimischen zu ersetzen. Der Einsatz<br />

hat auch unseren Teamgeist gefördert»,<br />

sagt Keith Maddock von der Credit Suisse<br />

San Francisco, einer der knapp 20 Mitarbeitenden,<br />

die im Juli unter Anleitung der<br />

Golden Gate National Parks Conservancy<br />

im Presidio einen Tag lang gearbeitet haben.<br />

Abseits der betriebsamen Zentren Hongkongs<br />

pflanzten im Mai 13 Mitarbeitende<br />

der Credit Suisse zusammen mit ihren<br />

Gästen und weiteren Freiwilligen Baumsetzlinge<br />

– 300 an der Zahl. Damit unterstützten<br />

sie die Ark Eden Foundation und setzten<br />

sich für die ökologisch wertvolle Naturlandschaft<br />

auf Lantau ein – der Insel, die auch<br />

als grüne Lunge Hongkongs bezeichnet<br />

wird. «Wir pflanzten in einem Gebiet Bäume,<br />

das in der Vergangenheit von Hügelbränden<br />

versehrt worden war. So halfen<br />

wir, die Landschaft wiederherzustellen und<br />

Bodenerosionen zu verhindern», sagte<br />

Ben Ridley von der Credit Suisse Hongkong<br />

nach seinem Volunteering-Einsatz.<br />

«Bei den wenigen Bäumen, die im Pflanzgebiet<br />

vorhanden waren, handelte es<br />

sich um exotische Arten wie Akazien. Die<br />

Bäume, die wir pflanzten, waren dagegen<br />

solche, die in Südchina heimisch sind<br />

und daher einen guten Lebensraum für<br />

Vögel und Insekten bieten.»<br />

Garden City – so wird Singapur oft genannt.<br />

Dafür, dass die Stadt diesem Ruf auch<br />

künftig gerecht wird, setzt sich das National<br />

Parks Board seit 2007 mit seiner Plant-A-<br />

Tree-Initiative ein. Im Rahmen dieses<br />

Programms haben mehr als 40 Mitarbeitende<br />

der Bank im Juni zusammen mit<br />

Gästen und Familienangehörigen knapp 40<br />

einheimische Bäume gepflanzt. Eine der<br />

Freiwilligen war Jessica Morrison aus<br />

Singapur. Begeistert sagte sie nach dem<br />

Einsatz: «Wir verbringen den grössten<br />

Teil unserer Zeit im Büro oder drinnen und<br />

vergessen so leicht, dass draussen eine<br />

ganz andere, natürliche Welt existiert.<br />

Durch den Dreck waten, Bäume im Wald<br />

pflanzen und unsere Hände schmutzig<br />

machen war daher eine grossartige<br />

Möglichkeit, uns der Natur nahe zu fühlen<br />

und den Wald, seine Baumriesen, das<br />

dichte Unterholz und verschiedene Tierarten<br />

kennenzulernen. Wir realisierten,<br />

dass die Wälder sorgfältig gepflegt werden<br />

müssen, damit sie für die Umwelt die<br />

Leistungen erbringen können, die wir alle<br />

für gegeben halten: saubere Luft, klares<br />

Wasser und eine erfreuliche Landschaft.»<br />

In Indien und Malaysia griffen Mitarbeitende<br />

dieses Jahr ebenfalls zu Harke und<br />

Schaufel, präpa rierten Böden, gruben<br />

Löcher und pflanzten Baumsetzlinge. Rund<br />

40 Freiwillige waren es in Indien, 30 in<br />

Malaysia. Das Projekt in Indien fand in der<br />

Nähe von Mumbai statt, in Zusammenarbeit<br />

mit der Umweltschutzorgani sation Hariyali<br />

Mulund Nursery. Der Einsatz in Malaysia<br />

hatte die Wiederaufforstung der Sumpfwälder<br />

im Raja Musa Forest Reserve zum<br />

Ziel und wurde von der gemeinnützigen<br />

Umweltschutzorganisation Global Environment<br />

Centre geleitet. Claudia Hager<br />

Fotos: Credit Suisse<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald


Roger Federer Leader 65<br />

Auf Projektbesuch<br />

in Malawi<br />

Rund 54 000 Kinder sollen im Verlauf der nächsten zehn Jahre vom neu lancierten<br />

Projekt für frühkindliche Bildung der Roger Federer Foundation (RFF) profitieren.<br />

Dieses bislang grösste Projekt der RFF, das vor Ort durch ActionAid Malawi umgesetzt<br />

wird, ist dank der Partnerschaft mit der Credit Suisse möglich geworden. Das <strong>bulletin</strong><br />

hat Janine Händel, Geschäftsführerin der RFF, bei ihrem Field Trip ins arme, aber<br />

wunderschöne Land im Südosten Afrikas begleitet.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


66 Leader­ Roger­Federer<br />

Oben Das fast fertige Ufulu-Zentrum (Community-Based Childcare Center - CBCC) in Peheriya, im Machinga- Distrikt.<br />

Rechts Janine Händel (rechts), Geschäftsführerin der RFF, mit Theresa Gloria Mwale, Ministerin für Kinder- und Gemeinden-<br />

Entwicklung, bei der offiziellen Lancierung des Projekts am 12. Juli 20<strong>11</strong> in Malawi.<br />

Die Stimmung bei der offiziellen Lancierung des neuen Projekts für<br />

frühkindliche Bildung der RFF im Festsaal des Kongresshotels Crossroads<br />

in Lilongwe ist ausgelassen heiter. Eine Zeremonienmeisterin<br />

führt durch ein dichtes Programm von Rednern und Rednerinnen,<br />

verschiedenen Gesangs- und Tanzgruppen sowie einem Komiker-Duo.<br />

Unter den Ehrengästen ist auch die malawische Ministerin für Kinderund<br />

Gemeinden-Entwicklung Theresa Gloria Mwale. Janine Händel,<br />

Geschäftsführerin der RFF, hebt bei ihrer Rede die grosse Bedeutung<br />

der frühkindlichen Förderung hervor, die wegweisend für die ganze<br />

spätere Entwicklung eines Menschen sei. Sie weist zudem auf<br />

die grosse Tradition Malawis in diesem Bereich hin. Das bestätigt<br />

auch Martha Khonje, die Landeschefin von ActionAid Malawi, der<br />

Partnerorganisation der RFF. So seien in den 1990er-Jahren auf<br />

Initiative der Regierung über 8000 so genannte Community-Based<br />

Childcare Centers, kurz CBCCs, also in den Gemeinden verankerte<br />

Kleinkinder-Betreuungszentren, gebaut worden. Doch seien über<br />

80 Prozent nur noch eingeschränkt oder fast gar nicht mehr funktionstauglich.<br />

Und nur gerade ein Drittel aller Kleinkinder Malawis<br />

könnten tatsächlich ein solches Zentrum besuchen.<br />

Das neue, auf zehn Jahre ausgelegte RFF-Projekt sieht die<br />

Renovation und Qualitätssteigerung von 80 bereits existierenden<br />

CBCCs in sechs Distrikten von Malawi vor. Diese sollen eine Art<br />

Vorbildfunktion für alle anderen Zentren im Land übernehmen. Dabei<br />

werden von ActionAid aber nicht etwa stur nach Schema X neue<br />

Einheitszentren aus dem Lehmboden gestampft. Im Gegenteil: Bei<br />

der Verbesserung des Standards wird ausschliesslich auf bestehenden<br />

Infra- und Organisationsstrukturen aufgebaut und diese werden<br />

sehr individuell mit gezielten Verbesserungsmassnahmen auf ein<br />

einheitliches Niveau gehoben. Dabei sollen möglichst alle baulichen<br />

Veränderungen von der Gemeinde selber durchgeführt werden, um<br />

so eine breite Verankerung zu garantieren. Ganz wichtig seien zudem<br />

die Ausbildung und das Coaching der rund 800 Kleinkinderziehe-<br />

rinnen und -erzieher, die allesamt auf Freiwilligenbasis arbeiten. In<br />

diese Ausbildungsmodule werden auch die Mitglieder der Trägerkomitees<br />

miteinbezogen, damit sie ein besseres Verständnis für die<br />

Bedeutung der Kleinkindförderung bekommen und die Führung<br />

solcher Zentren erlernen.<br />

Schwer beladen unterwegs zu Fuss oder mit dem Fahrrad<br />

Wie sich die trockene Theorie des Projekts in der Praxis anfühlt,<br />

erfahren wir in den darauffolgenden zwei Tagen. Früh am nächsten<br />

Morgen geht es in zwei Geländewagen in halsbrecherischem Tempo<br />

vier Stunden über holprige Asphaltstrassen 300 Kilometer in den<br />

Südosten Malawis nach Liwonde. Die Strasse ist praktisch durchgehend<br />

mit Menschen bevölkert, die einzeln oder in kleinen Gruppen<br />

zu Fuss oder mit Fahrrädern <strong>Holz</strong>, Kartoffeln, Zuckerrohr, Gurken,<br />

Hühner oder einfach nur Wasser von A nach B transportieren. Dabei<br />

tragen die Frauen teilweise riesige Körbe und sonstige Lasten überaus<br />

elegant auf dem Kopf.<br />

Bei Liwonde gehts über den Fluss Shire und weiter auf einer<br />

befestigten Strasse ins sumpfige Hinterland des Machinga-Distrikts<br />

nahe der Grenze zu Moçambique. Danach führen uns holprige<br />

Sandpisten innerhalb von eineinhalb Stunden in die kleine Siedlung<br />

Ng'andu. Dort werden wir von singenden und tanzenden Frauen<br />

empfangen, welche die Besucher zu einer Ruine geleiten, wo seit<br />

gut einem Jahr wieder ein Zentrum für Kleinkinder betrieben wird.<br />

Es handelt sich um ein ehemaliges Gerichtsgebäude. Doch die<br />

Betreuerinnen und Betreuer benutzen es zusammen mit einem<br />

Mango baum als Hort für rund 160 Kleinkinder. Das heruntergekommene<br />

Gebäude soll nun zusammen mit dem Nebengebäude restauriert<br />

werden. Ziel ist es, dass alle CBCCs des Projekts einen grossen<br />

Aufenthaltsraum und verschiedene kleinere Schul-, Spiel- und Ruheräume,<br />

eine Küche und eine Toilette haben. Dazu Spielgeräte im<br />

Freien und einen kleinen Garten.<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Fakten Malawi<br />

Bevölkerung<br />

13,1 Millionen<br />

40 Prozent leben unter der<br />

Armutsgrenze<br />

Roger­Federer­ Leader 67<br />

Durchschnittliche<br />

Lebenserwartung<br />

52,4 Jahre<br />

Chitipa<br />

Rumphi<br />

Mzuzu<br />

City<br />

Ntchisi<br />

Lilongwe<br />

City<br />

Lilongwe<br />

Liwonde<br />

Ernährung<br />

19 Prozent der unter Fünfjährigen<br />

sind unterernährt<br />

HIV/Aids<br />

12 Prozent der 15- bis<br />

49-Jährigen haben HIV/Aids<br />

Offizielle Landessprachen<br />

Englisch und Chichewa<br />

Wichtigste Exportgüter<br />

Tabak, Tee, Zucker, Baumwolle<br />

Währung<br />

Malawische Kwacha<br />

Ng’andu<br />

Machinga<br />

Oben links Janine Händel malt zusammen<br />

mit Kindern im Ufulu-Zentrum in Peheriya.<br />

Oben rechts Bestehende Ressourcen<br />

fördern: Dorfbewohner bei der Herstellung<br />

von Lehmziegeln für den Bau des neuen<br />

Zentrums in Ng'andu.<br />

Links Frühkindliche Förderung unter dem<br />

Mangobaum: Das noch sehr rudimentäre<br />

Zentrum in Ng'andu, das schon bald einen<br />

neuen Gebäudekomplex erhält.<br />

Unten Die Behelfsküche im Ufulu-Zentrum<br />

mit einem neuem <strong>Holz</strong>ofen, der dank Zementauskleidung<br />

speziell energieeffizient ist.<br />

Zomba<br />

Municipality<br />

Blantyre<br />

City<br />

Nsanje<br />

Fotos: Bernard van Dierendonck | Quelle Karte: DFID 2009/2010<br />

In den Reden der verschiedenen Dorfoberhäupter sowie der regional<br />

Verantwortlichen von ActionAid wird immer wieder der grosse Wille<br />

der Dorfgemeinschaft hervorgehoben, die CBCCs in neuem Glanz<br />

erstrahlen zu lassen. Im Gegenzug überbringt Janine Händel in ihrer<br />

Rede nicht nur Grüsse von Roger Federer aus dem fernen Europa<br />

und bedankt sich für all die Ehrerbietungen beim Empfang, sie<br />

bestärkt auch alle Anwesenden in ihrem Willen, etwas aus eigener<br />

Kraft zu verändern. «Die eigenen Ressourcen der Gemeinschaft zu<br />

erkennen und besser zu nutzen, gehört denn auch zu den obersten<br />

Zielen bei diesem neuen Projekt in Malawi», erklärt Janine Händel.<br />

«So wird auch nicht etwa eine Baufirma für die Renovation der Gebäude<br />

bezahlt, sondern lediglich das notwendige Werkzeug und Material,<br />

damit es die Dorfbewohner selber machen können.» Martha Khonje<br />

von ActionAid ergänzt: «Die Verantwortlichen des CBCC sagen uns,<br />

was sie brauchen, und wir besorgen es ihnen oder bezahlen die<br />

Rechnungen.» Das Geiche gilt auch später für den eigentlichen Betrieb,<br />

wie beispielsweise für die Beschaffung von Schreibwaren oder<br />

Saatgut für die Gärten. Denn die Kinder erhalten eine kleine Mahlzeit<br />

während ihres Aufenthalts. In der Regel ist dies ein Becher voll<br />

mit einem nahrhaften Brei aus Mais und Hülsenfrüchten.<br />

Die roten Tonziegel selber formen, trocknen und brennen<br />

Wie dieser Maisbrei in einem grossen Topf zubereitet wird, sehen<br />

wir am nächsten Tag beim Besuch des fast fertigen Ufulu-Zentrums<br />

im Dorf Peheriya nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt. Dieses<br />

CBCC wurde ursprünglich von einem Hilfsprojekt der italienischen<br />

Regierung initiiert und finanziert. Dann wurde bei einem Sturm vor<br />

zwei Jahren das Dach weggefegt und der Betrieb wurde eingestellt.<br />

Nun hat es ActionAid im Zuge des RFF-Projekts wieder reanimiert.<br />

Zusätzlich zum Dach kam eine gedeckte Aussenhalle dazu. Fast<br />

fertig ist zudem der Toilettentrakt. Dagegen steht beim Küchengebäude<br />

erst der Grundriss, doch sind mehrere Männer mit dem Mauern<br />

der roten Tonziegel beschäftigt. Diese werden vor Ort geformt,<br />

getrocknet und gebrannt.<br />

Es folgt ein letzter Besuch des CBCC von Selemani, das zurzeit<br />

noch in einer traditionellen Strohhütte untergebracht ist. Doch laufen<br />

die Vorbereitungen für einen kompletten Neubau auf Hochtouren.<br />

Bereits ist ein üppiger Vorrat an gebrannten Ziegeln angelegt und<br />

ein Grundstück gut platziert im Zentrum der Siedlung direkt neben<br />

der Strasse gerodet und vorbereitet. Hier sollen dereinst bis zu 150<br />

Mädchen und Buben aus der Region im Alter zwischen vier und sechs<br />

Jahren für ein besseres Leben vorbereitet werden.<br />

Als die Schatten bereits länger werden, was im winterlichen<br />

Malawi bereits um vier Uhr beginnt, verabschieden wir uns von den<br />

Dorfoberhäuptern, Betreuerinnen und Kindern und machen uns<br />

übervoll mit Eindrücken auf den langen Heimweg. Daniel Huber<br />

Partnerschaft mit der Credit Suisse<br />

Im Rahmen der 2009 abgeschlossenen Sponsoring­Partnerschaft<br />

mit Roger Federer fliesst jährlich eine Million US-Dollar in die<br />

Roger Federer Foundation (RFF), was die Lancierung dieses neuen<br />

Projekts in Malawi massgeblich ermöglichte. Neben der Partnerschaft<br />

mit der RFF unterstützt die Credit Suisse im Rahmen<br />

ihrer eigenen globalen Bildungsinitiative weitere ausgewählte<br />

inter nationale Organisationen und verhilft dadurch Tausenden von<br />

benachteiligten jungen Menschen im schulpflichtigen Alter zu<br />

einer soliden Ausbildung.<br />

Sehen Sie dazu weitere Fotos und<br />

die Videos zur festlichen Lancierung<br />

des Projekts in Lilongwe sowie<br />

zu den Besuchen der Zentren unter<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bulletin</strong>.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


Bischof Erwin Kräutler, Träger des Alternativen Nobelpreises 2010<br />

«Der letzte Dolchstoss<br />

gegen den Regenwald»


Leader 69<br />

«Der Staudamm Belo Monte im<br />

Regenwald am Rio Xingu ist<br />

ein Monument des Wahnsinns.»<br />

Fotos: Steven Vidler, Corbis Specter | Sebastian Schiendorfer<br />

<strong>bulletin</strong>: Am 5. Dezember werden im schwedischen Parlament<br />

in Stockholm wiederum die Alternativen Nobelpreise verliehen.*<br />

Sie, Dom Erwin, wie Sie in Brasilien genannt werden, haben den<br />

Preis 2010 erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?<br />

Bischof Erwin Kräutler: Die Nachricht, dass ich einen der vier<br />

Right Livelihood Awards bekommen werde, hat mich vor gut einem<br />

Jahr völlig überrascht und natürlich riesig gefreut. Weniger für<br />

mich persönlich als vielmehr für die gute Sache, für die ich seit<br />

Jahrzehnten einstehe, und nicht zuletzt auch für meine vielen<br />

treuen Helferinnen und Helfer in Brasilien und in Europa. Ich muss<br />

aber zugeben, dass die Preisübergabe in Stockholm und die vielen<br />

positiven Reaktionen dann auch mich selbst sehr berührt haben.<br />

Diese wichtigen, von einer unabhängigen internationalen Jury<br />

verliehenen Preise bescheinigen jedem Gewinner, dass er auf dem<br />

richtigen Weg ist, und sorgen für eine willkommene Publizität,<br />

die im täglichen, oft zermürbenden Kampf sehr nützlich sein kann.<br />

Wofür genau erhielten Sie den Alternativen Nobelpreis?<br />

Für mein Lebenswerk gewissermassen, obwohl dieses noch längst<br />

nicht abgeschlossen ist. Konkret für meinen nun bereits mehr<br />

als 45 Jahre dauernden Einsatz für die Menschenrechte der<br />

indigenen Völker einerseits und für den Schutz des Regenwalds<br />

am Amazonas vor der Zerstörung anderseits.<br />

Für jemanden, der im vorarlbergischen Koblach aufgewachsen<br />

ist und als Gitarre spielender Jugendlicher bei jedem Fest<br />

mit dabei war, ist das keine selbstverständliche Lebensaufgabe.<br />

Bevor wir auf Einzelheiten Ihrer Tätigkeit in Brasilien eingehen,<br />

nähme es uns wunder, wieso Sie dorthin ausgewandert sind.<br />

Ich war als Zwölfjähriger ein Jahr im Xaverius-Haus in Feldkirch,<br />

einem Internat der Kongregation der Missionare vom Kostbaren<br />

Blut, doch war meine spätere Berufswahl damals überhaupt noch<br />

nicht klar. Genauso gut hätte ich Lehrer oder Mediziner werden<br />

können. Ausschlaggebend waren für mich die positiven Erfahrungen,<br />

die ich in Koblach mit dem Aufbau der Katholischen<br />

Arbeiterjugend KAJ gemacht habe. Das hat mir den Weg in eine<br />

priesterliche Laufbahn gewiesen. Für viele ist das überraschend<br />

gekommen. Da mein Onkel Erich Kräutler damals als Missionar<br />

im Amazonasgebiet wirkte, war die Wahl des Einsatzortes wohl<br />

weit weniger überraschend. In einer Zeit, in der es in Österreich<br />

noch relativ viele Priester gab, wollte ich tätig werden, wo Not<br />

am Mann war. Das gilt nun im doppelten Wortsinn.<br />

Sie hatten also ein klares Bild vom Amazonasgebiet, als Sie<br />

1965 im Alter von 26 Jahren nach Altamira am Rio Xingu kamen?<br />

Manches war mir aus den Briefen meines Onkels schon vertraut.<br />

Und eine meiner ersten Fragen in Altamira lautete denn auch:<br />

«Wie geht es den Kayapo?» Das ist einer der Stämme indigener<br />

Menschen dieser Region. Anderseits ist die Wirklichkeit doch<br />

nochmals völlig anders, als sie in Briefen und Büchern dargestellt<br />

werden kann. Denken wir nur schon an die Grössenordnungen:<br />

Die Diözese Xingu, zu deren Bischof ich ihm November 1980<br />

ernannt wurde, ist rund neunmal so gross wie die Schweiz.<br />

Was haben Sie sich als Missionar in Brasilien vorgenommen?<br />

Ich benütze den Begriff «Missionierung» nicht gerne, da er mit<br />

einer kolonialen Hypothek belastet ist. Seit der Ankunft der<br />

Europäer in Brasilien um 1500 ist im Kontakt mit den indigenen<br />

Völkern allzu vieles falsch gelaufen, auch im Namen Gottes. Ich<br />

persönlich orientiere mich an den Impulsen, die von den Generalversammlungen<br />

in Medellín 1968 und Puebla 1979 ausgegangen<br />

sind. Damals definierten wir die «vorrangige Option für die Armen».<br />

Mich für die Armen und Ausgegrenzten ein zusetzen, für die am<br />

Rand der Gesellschaft Stehenden Partei zu ergreifen, das war<br />

und ist mein Lebensziel.<br />

Und das sind in Ihrer Diözese primär die indigenen Völker?<br />

Die Ureinwohner des Landes gehören dazu. Sie stehen am<br />

Rande des Abgrunds und befinden sich kurz vor der Ausrottung.<br />

Bei uns gibt es noch knapp 10 000 Personen in 16 heimischen<br />

Gesellschaften. Asurini, Araweté, Parakanã, Xikrin, Arara, Kayapo.<br />

Ich denke jedoch ebenso sehr an die Obdachlosen, Migranten,<br />

Arbeitslosen, Drogenabhängigen sowie die sexuell ausgebeuteten<br />

Frauen und Minderjährigen.<br />

><br />

Der Bischof des Regenwalds wird 1939 in Koblach geboren und<br />

tritt 1958 in die Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut ein.<br />

Nach dem Theologie­ und Philosophiestudium in Salzburg folgt er<br />

seinem Onkel Erich Kräutler nach Brasilien. Als Wandermissionar am<br />

unteren Xingu und seit 1980/81 als Bischof der Diözese Xingu setzt<br />

er sich für die Armen ein. Der Präsident des Indianermissionsrats CIMI<br />

ist Ehrenbürger mehrerer brasilianischer Gemeinden und vierfacher<br />

Ehrendoktor in Europa. Die wichtigste der über ein Dutzend Ehrungen<br />

ist der Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) 2010.<br />

*Am 29. September wurden die Preisträger des Right Livelihood Award 20<strong>11</strong><br />

bekannt: der chinesische Solarunternehmer Huang Ming, die Anwältin<br />

Jacqueline Moudeina aus Tschad, die amerikanische Hebamme Ina May Gaskin<br />

und die spanische Nichtregierungsorganisation GRAIN.<br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


70 Leader<br />

Konnten Sie im Laufe der Jahre im Kampf für die<br />

Menschenrechte und gegen die Armut Erfolge feiern?<br />

In meinen ersten Jahren in Brasilien war ich nicht nur als<br />

Priester am unteren Xingu und Amazonas und als Seelsorger<br />

des Hafenorts Vitória tätig, sondern auch in der einzigen<br />

Lehrerbildungs anstalt im Xingu-Tal. Da konnte ich etwas dazu<br />

beitragen, dass wir über gut ausgebildete Lehrerinnen und<br />

Lehrer mehr Kinder und Jugendliche erreichen und ihnen eine<br />

bessere Bildung anbieten. Mittelfristig ist Bildung der beste<br />

Schutz gegen Armut. Eine grosse Genugtuung für uns alle war,<br />

dass wir 1988 die Rechte der indigenen Völker in der Verfassung<br />

verankern konnten. Bei diesem Kampf war ich als Präsident<br />

des Indianermissionsrats CIMI an vorderster Front mit dabei.<br />

Und wurden Opfer eines mörderischen Anschlags …<br />

Nachdem ich 1983 von der Militärpolizei anlässlich einer Soli -<br />

daritätsdemonstration für streikende Zuckerrohrpflanzer, die<br />

monatelang die abgelieferte Ernte nicht ausbezahlt bekamen,<br />

zusammengeschlagen und verhaftet worden war, rammte 1987 ein<br />

Lastwagen unser Auto absichtlich frontal. Mein Beifahrer Pater<br />

Salvatore Deiana überlebte den Unfall leider nicht, und ich musste<br />

sechs Wochen im Spital verbringen. Vorausgegangen war eine<br />

wochenlange Hetzkampagne gegen den Indianer missionsrat der<br />

Brasilianischen Bischofskonferenz. Zum Glück zeitigten die<br />

Einschüchterungsversuche keinen Erfolg. Die Verankerung der<br />

Rechte der indigenen Völker in der Verfassung ist ein riesengrosser<br />

Erfolg. Seither ist es – im Grundsatz – nicht mehr möglich,<br />

die Ureinwohner als minderwertige Menschen zu behandeln.<br />

Das Indianerstatut regelt die zivil­ und strafrechtliche Situation<br />

der indigenen Bevölkerung recht differenziert.<br />

Ja, es wird beispielsweise unterschieden zwischen integrierten,<br />

teilweise integrierten und isolierten Indigenen. Letztere haben<br />

keinen oder seltenen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft, sind<br />

dementsprechend mit den westlichen Umgangsformen nicht<br />

vertraut und leben nach ihren eigenen Riten und Gebräuchen.<br />

Rechtsgeschäfte, die von Fremden mit diesen isolierten Indigen<br />

abgeschlossen werden, sind nicht rechtsgültig, wenn diese die<br />

ganze Tragweite nicht erkannt haben und ihnen daraus Nachteile<br />

entstehen. Zudem hat die Verfassung von 1988 den indigenen<br />

Völkern das ursprüngliche Recht auf das traditionell von ihnen<br />

besiedelte Land zugesprochen.<br />

Gerade in dieser Hinsicht hapert es aber mit der Umsetzung.<br />

Das ist leider wahr: Derzeit gibt es in ganz Brasilien 850 indigene<br />

Gebiete, von denen aber nur 325 offiziell registriert und damit<br />

unumstösslich anerkannt sind. Vielleicht haben Sie gelesen, dass<br />

im Mai 20<strong>11</strong> eine Gemeinschaft von Guarani-Indianern – die<br />

Laranjeira Nanderu – in einem Akt der Verzweiflung einen Teil<br />

ihres angestammten Landes wiederbesetzt haben. Sie wurden in<br />

den 1960er-Jahren daraus verdrängt, und all ihre bisherigen<br />

Versuche, wieder dorthin zurückzukehren, wurden brutal unterbunden.<br />

Zuletzt lebten die Laranjeira Nanderu wie Flüchtlinge<br />

am Rand einer vielbefahrenen Bundesstrasse in provisorischen<br />

Behausungen aus Abdeckplanen, mit stark eingeschränktem<br />

Zugang zu sauberem Wasser, Lebensmitteln, medizinischer<br />

Versorgung. Die Rückkehr in ihr Gebiet ist für sie überlebenswich-<br />

Indigene Völker Brasiliens<br />

60 000 Jahre alte Rechte<br />

Staudämme als Energiequelle<br />

Fluch oder Segen?<br />

Im Juni 20<strong>11</strong> bestätigt die<br />

brasilianische Behörde<br />

für indigene Angelegenheiten<br />

(FUNAI) die Entdeckung per<br />

Flugzeug eines unkontaktierten<br />

indigenen Volkes im Javari - Tal<br />

im westlichen Amazonas. Das<br />

Land soll weiter beobachtet<br />

werden, um illegales Eindringen<br />

zwecks Abholzung, Bergbaus,<br />

Viehzucht oder Drogenhandels<br />

zu verhindern. Im August 20<strong>11</strong><br />

erklären Experten, dass eine<br />

erfolgreiche BBC-Serie über das<br />

indigene Volk der Matsigenka<br />

«inszeniert, falsch, verdreht und<br />

fabriziert» ist und ein «falsches und<br />

beleidigendes Porträt» zeichnet …<br />

Bis zur Ankunft der Europäer<br />

um 1500 lebten im heutigen<br />

Brasilien etwa 5 Millionen indigene<br />

Menschen in 1000 Völkern. Die<br />

archäologischen Spuren reichen<br />

rund 60 000 Jahre zurück. Heute<br />

gibt es noch 735 000 Indigene in<br />

215 Völkern (andere Schätzungen<br />

liegen tiefer). Seit 1988 sind<br />

die Rechte der indigenen Völker<br />

verfassungsmässig garantiert.<br />

Ihnen stehen beträchtliche<br />

Landflächen als Reservate zu.<br />

Bei Grossprojekten wie dem<br />

Belo-Monte-Staudamm ist ihnen<br />

ein Anhörungsrecht zugesichert.<br />

In der Praxis werden diese Rechte<br />

jedoch oft nicht respektiert.<br />

Das älteste Bewässerungssystem,<br />

vor 8000 Jahren im iranischen<br />

Zagross-Gebirge entstanden, ist<br />

ein schmaler Staudamm aus<br />

Reisig und Erde. Heute aber gibt<br />

es mehr als 45 000 Grossstaudämme<br />

mit einer über 15 Meter<br />

hohen Mauer oder mehr als 3<br />

Millionen Kubikmeter Wasser,<br />

die meisten davon in China. Die<br />

mit Wasserkraft gewonnene<br />

Energie deckt einen Fünftel des<br />

weltweiten Stromverbrauchs,<br />

die Dämme liefern das Wasser<br />

für einen Drittel aller Landwirtschaftsflächen.<br />

Staudämme sind<br />

also unentbehrlich. Gleichzeitig<br />

werden sie von der indischen<br />

Schriftstellerin Arundhati Roy<br />

als «Massenvernichtungswaffen»<br />

bezeichnet. Weltweit mussten<br />

gegen 80 Millionen Menschen<br />

umziehen; weit mehr Menschen<br />

wurde die berufliche Lebensgrundlage<br />

entzogen, und sie<br />

leiden unter Seuchen. Deshalb gilt<br />

es bei jedem Projekt Vor- und<br />

Nachteile kritisch abzuwägen und<br />

dabei soziale und ökologische<br />

Kriterien gleichwertig neben die<br />

wirtschaftlichen und technischen<br />

Aspekte zu stellen. Belo Monte<br />

am Rio Xingu zählt zu den weltweit<br />

grössten Kraftwerken, ist aber<br />

nur eines von Dutzenden, die am<br />

Amazonas geplant sind.<br />

Fotos: Antoine Bonsorte | CIMIHaroldo Heleno | CIMI Eden Magalhães, CIMI | www.cimi.org<br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


Leader 71<br />

tig. Die Guarani haben eine sehr tiefe spirituelle Verbindung zu<br />

ihrem angestammten Land, von dem ihr geistiges und körperliches<br />

Wohl abhängt. Nur dort können sie in Frieden arbeiten und leben.<br />

Können wir wirklich von einer Verbesserung sprechen?<br />

Das Unrecht, das jetzt den indigenen Völkern geschieht, ist<br />

verfassungswidrig und kann deshalb besser angefochten werden.<br />

Viele Brasilianer verurteilen mittlerweile diese immer wieder<br />

stattfindenden Verletzungen der Menschenrechte …<br />

… durch die Grossgrundbesitzer.<br />

Die Armut, um wieder auf diesen Begriff zurückzukommen, ist<br />

nicht mehr ausschliesslich auf Grossgrundbesitzer zurückzuführen.<br />

Ich würde sie als einen negativen Auswuchs der Globalisierung<br />

bezeichnen. In Bezug auf die territoriale Verletzung indigener<br />

Rechte sind wohl <strong>Holz</strong>fäller am schlimmsten und skrupellosesten.<br />

Weltweit bekannt geworden sind Sie durch Ihren Kampf gegen<br />

das Wasserkraftwerk Belo Monte am Rio Xingu. Was läuft schief?<br />

Am Unterlauf des Xingu ist ein Wasserkraftwerk geplant, das mit<br />

<strong>11</strong> 200 Megawatt zu den leistungsstärksten weltweit gehören<br />

würde – aber nur während der Regenzeit. Es gibt Wissenschaftler,<br />

die von einem Durchschnitt von lediglich 4000 Megawatt ausgehen.<br />

Der dazu nötige Stausee wurde zunächst mit 400 Quadratkilometern<br />

bemessen, jetzt geht man von mehr als 600 Quadratkilometern<br />

aus. Hinzu kommen noch über 1000 Quadratkilometer<br />

Regenwald und Agrargebiete, die praktisch beschlagnahmt werden.<br />

Wer mit den geringen Entschädigungen nicht einverstanden ist,<br />

wird gerichtlich belangt. Die Auswirkungen auf Altamira und die in<br />

unserer Region lebenden indigenen Völker sind verheerend. Weil<br />

«Den indigenen Menschen<br />

wird das verfassungs ­<br />

mässig gesicherte Recht<br />

auf Anhörung von der<br />

Regierung systematisch<br />

verweigert.»<br />

das Vorgehen der Regierung – zuerst von Lula da Silva und nun<br />

auch von Dilma Rousseff – sowie der Investoren nicht der Verfassung<br />

entspricht, bekämpfen wir dieses Megaprojekt mit allen<br />

zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch die Bundesanwaltschaft<br />

des Gliedstaates Pará hat zum wiederholten Male Klage eingereicht<br />

und einen Planungs- und Baustopp verlangt.<br />

Sie prägten den Begriff «Monument des Wahnsinns»!<br />

Schade ist, dass dies keine rein rhetorische Floskel ist, sondern<br />

der Wahrheit entspricht. Überflutet wird ein Drittel der Stadt<br />

Altamira mit über 100 000 Einwohnern. Dies bedeutet, dass etwa<br />

30 000 bis 40 000 Brasilianerinnen und Brasilianer zwangsumgesiedelt<br />

werden müssen, und kein Mensch weiss bis heute<br />

wohin. Da kein indigenes Gebiet unmittelbar unter den Stausee<br />

><br />

Der Alternative Nobelpreis<br />

Vorbilder und Projekte der Hoffnung –<br />

weil eine andere Welt möglich ist<br />

Ende der 1970er-Jahre hatte Jakob von<br />

Uexküll versucht, das Nobelpreiskomitee von<br />

der Notwendigkeit eines Umweltnobelpreises<br />

zu überzeugen. Die Verantwortlichen<br />

winkten ab: Nach der Einrichtung des Wirtschaftsnobelpreises<br />

1969 wollten sie keine<br />

weiteren Kategorien mehr zulassen. Daraufhin<br />

rief Jakob von Uexküll den Right Livelihood<br />

Award ins Leben.<br />

«Unsere Preise haben bedrohte Leben<br />

geschützt und Gefängnistüren geöffnet,<br />

ebenso wie sie Türen zu Ministerbüros öffneten.<br />

Sie geben Ressourcen, Zutrittsmöglichkeiten,<br />

Hoffnung und Vertrauen. Dieser Preis<br />

ist ein Bote aus der Zukunft», zog Jakob von<br />

Uexküll 1984 anlässlich der 25. Verleihung<br />

des Alternativen Nobelpreises Bilanz.<br />

Tatsächlich hat Wangari Maathai, die<br />

Gründerin des Greenbelt Movement, eines<br />

mehrheitlich von Frauen getragenen Wie deraufforstungsprojekts<br />

in Kenia, 20 Jahre nach<br />

dem Alternativen Nobelpreis auch den Friedensnobelpreis<br />

erhalten – mit der ausdrücklichen<br />

Begründung der Jury, ohne intakte<br />

Umwelt könne es keinen wirklichen Frieden<br />

geben. «Es ist ermutigend zu sehen», so von<br />

Uexküll, «dass das norwegische Nobelpreiskomitee<br />

sein Friedenskonzept um Aspekte<br />

des Umweltschutzes und der Demokratie<br />

erweitert hat.»<br />

Doch es gibt auch Rückschläge: Ken Saro-<br />

Wiwa, der nigerianische Vorkämpfer gegen<br />

die verheerenden Auswirkungen der Ölförderung<br />

im Land der Ogoni, wurde 1995 trotz<br />

seiner internationalen Auszeichnung unter<br />

fadenscheinigen Begründungen hingerichtet.<br />

Und Preisträger Munir, der sich in Indonesien<br />

für die Menschenrechte eingesetzt hatte,<br />

wurde 20<strong>04</strong> vergiftet.<br />

Trotzdem erweist sich der Right Livelihood<br />

Award als Erfolgsgeschichte, da er das Augenmerk<br />

auf Probleme lenkt, die man gerne<br />

ausblenden würde, und Persönlichkeiten mit<br />

mitreissendem Vorbildcharakter ehrt.<br />

Bischof Erwin Kräutler ist nicht der Erste,<br />

der sich in Brasilien beziehungsweise im länderübergreifenden<br />

Amazonasgebiet für die<br />

indigenen Völker, die Armen und die Erhaltung<br />

des Regenwalds einsetzt. Vor ihm erhielten<br />

auch der Peruaner Evaristo Nugkuag<br />

Ikanan und seine Gruppe AIDESEP (1986),<br />

die brasilianischen Landreform-Organisationen<br />

Movimento dos Trabalhadores Rurais<br />

Sem Terra MST und Commissão Pastoral<br />

da Terra CPT (1991), die kolumbianische<br />

Consolidation of the Amazon Region COAMA<br />

(1999), der – abgesetzte – brasilianische<br />

Befreiungstheologe Leonardo Boff (2001)<br />

und zuletzt der katholische Aktivist Chico<br />

Whitaker Ferreira (2006) den Alternativen<br />

Nobelpreis.<br />

<strong>bulletin</strong> unterhielt sich in der Ausgabe<br />

5/2009 mit der Preisträgerin von 2008<br />

Monika Hauser, der Gründerin der Frauenrechtsorganisation<br />

medica mondiale. Diese<br />

leistet Frauen, die aufgrund sexualisierter<br />

Gewalt kriegstraumatisiert sind, medizinische<br />

und psychologische Hilfe.<br />

Traditionsgemäss spricht einer der neuen<br />

Preisträger am 8. Dezember um 18 Uhr in der<br />

Aula der Universität Zürich öffentlich über<br />

sein Wirken. schi<br />

Mehr Informationen unter www.rightlivelihood.org,<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />

Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>


Macapa<br />

Altamira<br />

Amazonas<br />

Rio Xingu<br />

Manaus<br />

mögliche<br />

überflutete<br />

Gebiete<br />

reduzierter Flusslauf<br />

Altamira<br />

Belo Monte<br />

geplanter<br />

Damm<br />

Belo Monte<br />

Diözese Xingu<br />

Rio Xingu<br />

São Paulo<br />

Brasilia<br />

Rio de Janeiro<br />

Die Regierung plant,<br />

das Amazonasgebiet<br />

als Energiequelle<br />

zu nutzen. Manche<br />

Projekte wie jenes<br />

am Rio Xingu – grau<br />

eingezeichnet ist die<br />

Diözese Xingu von<br />

Bischof Kräutler –<br />

zeitigen verheerende<br />

Auswirkungen.<br />

> zu liegen kommt, glauben die Verantwortlichen, der Verfassung<br />

Genüge zu tun. Aber sie wissen haargenau, dass ein riesiges<br />

Gebiet durch die mittels zweier Kanäle veränderte Linienführung<br />

des Flusses vom Wasser abgeschnitten wird. Es mangelt dann<br />

den indigenen Menschen an Trinkwasser und ihnen, die sich<br />

primär vom Fischfang ernähren, wird die Lebensgrundlage<br />

entzogen. Altamira wird zu einer Halbinsel inmitten eines fauligen<br />

Totensees, der eine Brutstätte für Insekten und damit ver bundenen<br />

Krankheiten sein wird. Die dort lebenden Menschen – Indigene und<br />

Brasilianer – sind, wenn sie nicht wegziehen, dem Untergang<br />

geweiht. Verfassungsmässig steht den Indios eine Anhörung zu,<br />

die zeigen würde, dass das Projekt nicht realisiert werden darf.<br />

Die Regierung sagt, solche Anhörungen hätten stattgefunden.<br />

Es wurden einseitige Informationsveranstaltungen mit eingeschränkten<br />

Zutrittsmöglichkeiten angesetzt, an denen die Indios<br />

ihre Meinung nicht kundtun konnten, die dann aber im Nachhinein<br />

als Anhörungen bezeichnet wurden.<br />

Hat der Alternative Nobelpreis konkret etwas gebracht?<br />

Bereits im Frühjahr 2010 lancierten bekannte Künstler wie der<br />

Musiker Sting, «Titanic»-Regisseur James Cameron und verschiedene<br />

Organisationen Informationskampagnen. Dank des Right<br />

Livelihood Award sind Ende Jahr nochmals viele Medienberichte<br />

in aller Welt über das Projekt Belo Monte erschienen. Dies hat<br />

eine Debatte über dieses konkrete Vorhaben sowie generell über<br />

Vor- und Nachteile gigantischer Staudammwerke ausgelöst.<br />

Dieses Jahr haben viele Journalisten den 9. August, den Tag der<br />

indigenen Völker, zum Anlass genommen, um erneut auf dieses<br />

überrissene Projekt hinzuweisen. Und zwei Wochen später folgten<br />

Demon strationen in zahlreichen brasilianischen Städten und<br />

weltweit vor 16 brasilianischen Botschaften.<br />

Das klingt allerdings, als ob der Bau des «Monuments<br />

des Wahnsinns» noch lange nicht verhindert wäre.<br />

Die Regierung setzt für das angestrebte Wirtschaftswachstum<br />

vorwiegend auf die Wasserkraft. Im ganzen Amazonasgebiet sind<br />

verschiedene Projekte wie Belo Monte vorgesehen. War bereits<br />

der Bau der Transamazônica ab 1970 ein erster Stich gegen den<br />

Regenwald und die in ihm lebenden indigenen Völker, so droht<br />

nun der letzte Dolchstoss. Ich muss es leider so dramatisch sagen.<br />

In Bezug auf Belo Monte sieht es aus, als ob man vollendete<br />

Tatsachen schaffen wolle, bevor der internationale Gerichtshof<br />

uns Recht gibt. Die Vorarbeiten für Belo Monte haben trotz<br />

laufender Einsprachen im Juni 20<strong>11</strong> begonnen, und schon jetzt<br />

zeigt sich eine weitere verheerende Auswirkung. Innert Kürze<br />

sind die Immobilienpreise in Altamira derart gestiegen, dass viele<br />

Einheimische ihre Miete nicht mehr bezahlen können.<br />

Wie steht es um Sie persönlich? Fürchten Sie um Ihr Leben?<br />

Gewisse Kreise haben ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.<br />

Nach der Ermordung zweier meiner engsten Mitarbeiter – Hubert<br />

Mattle 1995 und Schwester Dorothy Stang 2005 – stehe ich<br />

seit 2006 unter Polizeischutz und kann mich nicht mehr<br />

frei bewegen. Gleichzeitig erfahre ich von meinen Gemeinden<br />

sehr viele Bezeugungen des Respekts und der Zuneigung.<br />

Werden Sie noch lange in Brasilien bleiben?<br />

Das Bischofsamt muss ich mit 75 Jahren im Juli 2014 zur Verfügung<br />

stellen. Ich hoffe, dann sei der Kampf gegen Belo Monte erfolgreich<br />

beendet. Wenn es die Gesundheit zulässt, will ich mich – als<br />

Brasilianer österreichischer Herkunft – auch danach für die Armen<br />

und den Regenwald einsetzen. Interview: Andreas Schiendorfer<br />

Weitere Informationen unter anderem auf:<br />

www.bischof­kraeutler.at<br />

www.domerwin.com<br />

www.cimi.org.br/site/pt­br<br />

http://plattformbelomonte.blogspot.com<br />

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Mehr über Bischof Erwin Kräutler und andere Gewinner des Right Livelihood Award >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

Kämpfen, glauben, hoffen –<br />

Mein Leben als Amazonas­Bischof<br />

Autor: Erwin Kräutler<br />

256 Seiten<br />

ISBN: 978-3-89680-534-8<br />

Dom Erwin<br />

Verena Daum (Texte)<br />

Miro Kuzmanovich (Fotografien)<br />

136 Seiten<br />

ISBN: 3-902525-28-2<br />

Wangari Maathai, Afrika,<br />

mein Leben. Erinnerungen einer<br />

Unbeugsamen<br />

Autor: Wangari Maathai, 250 Seiten<br />

ISBN: 978-3-83218-036-2<br />

Wiener Vorlesungen<br />

Band 21<br />

Autor: Erwin Kräutler<br />

68 Seiten<br />

ISBN: 978-3-85452-320-8<br />

Monika Hauser – Nicht aufhören<br />

anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz<br />

für kriegstraumatisierte Frauen<br />

Autorin: Chantal Louis, 256 Seiten<br />

ISBN: 978-3-907625-41-5<br />

Vorbilder, Menschen und<br />

Projekte, die hoffen lassen.<br />

Der Alternative Nobelpreis<br />

Autor: Jürgen Streich, 250 Seiten<br />

ISBN: 978-3-89901-057-2<br />

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*Wangari Maathai ist am 25. September an Krebs verstorben. >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />

<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse


So sehen heute Kraftwerke aus.<br />

Die Zukunft gehört klima- und energieeffizienten Gebäuden – und <strong>Holz</strong> ist der ideale Baustoff dafür.<br />

Im Vergleich zu anderen Baustoffen ist <strong>Holz</strong> CO 2<br />

-reduzierend und eine erneuerbare Ressource.<br />

So können Bauten aus <strong>Holz</strong> in Kombination mit Solar- und Fotovoltaikanlagen mehr Energie erzeugen,<br />

als ihre Bewohner verbrauchen. Bauen auch Sie mit <strong>Holz</strong>, Ihnen und einer gesunden Umwelt zuliebe.<br />

www.holzbau-schweiz.ch


Sie träumen – wir machen.<br />

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