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Credit Suisse bulletin, 2011/04
Credit Suisse bulletin, 2011/04
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Das älteste Bankmagazin der Welt Nummer 4<br />
Ausgabe Schweiz / Deutsch Oktober/November 20<strong>11</strong><br />
<strong>Holz</strong><br />
unsichtbar Wirkung entfaltend<br />
Dendrochronologie Wenn <strong>Holz</strong> von den Pfahlbauern erzählt / Gold Die sichere Wertanlage / Leonardo da Vinci Sensation in der National<br />
Gallery in London / Bischof des Regenwalds Alternativnobelpreisträger Erwin Kräutler / Dossier Jahr der Wälder
CO2<br />
132 g/km bedeutet 13% weniger<br />
Der neue Audi A6 Avant mit<br />
Audi Leichtbautechnologie.<br />
Einer der vielen Vorteile der Audi Leichtbautechnologie besteht darin, dass ein leichteres<br />
Auto weniger Treibstoff verbraucht und somit weniger CO 2-Emissionen verursacht.<br />
Beim neuen Audi A6 Avant 2.0 TDI sind dies im Vergleich zum Vorgängermodell 13 Prozent<br />
weniger. In der gesamten Baureihe wurde zudem der Treibstoffverbrauch um bis zu<br />
21 Prozent reduziert. So können Sie länger fahren – für weniger. www.audi.ch/a6avant<br />
Audi A6 Avant 2.0 TDI, 130 kW (177 PS), 1968 cm 3 . Normverbrauch gesamt: 5,0 l/100 km.<br />
CO2-Emissionen: 132 g/km (188 g/km: Durchschnitt aller Neuwagenmodelle). Energieeffizienzkategorie A.
Editorial 1<br />
Editorial<br />
Erinnerungen an das Paradies<br />
Das Genie aus Vinci hat nur wenige Bilder gemalt. Wenn also ein<br />
jahrhundertelang verschollenes Werk wie «Salvator Mundi» wiederentdeckt<br />
und nach genauen Untersuchungen dem Meister selbst zugeordnet<br />
wird, darf man getrost von einer kulturhistorischen Sensation sprechen.<br />
Erstmals zu sehen bekommt die Öffentlichkeit den Erretter der<br />
Welt in der Ausstellung «Leonardo da Vinci: Maler am Hof von Mailand»<br />
in der National Gallery in London (S. 50). Gemalt wurde das Bild<br />
vor 500 Jahren – nicht etwa auf Leinwand, sondern auf Walnussholz.<br />
<strong>Holz</strong> ist ein universaler und universell anwendbarer Rohstoff. Ohne <strong>Holz</strong><br />
sähe die Welt anders aus. Aber wann und warum Bäume entstanden<br />
sind, war unklar. Im August 20<strong>11</strong> haben nun aber Wissenschaftler rund<br />
400 Millionen Jahre alte Fossilien aus Frankreich und Kanada<br />
untersucht und dabei die für <strong>Holz</strong> charakteristischen länglichen Strahlenzellen<br />
und Jahrringe entdeckt: Sie dienten dem Transport von Wasser<br />
in die oberen Bereiche der Pflanzen. Dass die klimatischen Schwankungen<br />
unterschiedliche Jahrringe erzeugen, macht sich die Dendrochronologie<br />
zunutze: Auf über 10 000 Jahre zurück erhellen die hölzernen<br />
Fingerabdrücke unser Wissen über die schriftlosen Ahnen, so etwa die ab<br />
4300 vor Christus im Gebiet der heutigen Schweiz lebenden Pfahlbauern<br />
(S. 26). Die unsichtbare Wirkung des <strong>Holz</strong>es und nicht zuletzt auch<br />
dessen Sinnlichkeit aufzuzeigen, ist Ziel des thematischen Schwerpunkts.<br />
Ingo Petz<br />
Der Kölner Journalist arbeitet<br />
seit 2008 für das <strong>bulletin</strong>. Diesmal<br />
zieht ihn ein spezielles <strong>Holz</strong> aus<br />
Schottland in seinen Bann. Seite 9<br />
Alberto Venzago<br />
Das faszinierende Waldbild des<br />
Fotografen Alberto Venzago<br />
besteht aus nicht weniger als<br />
50 Einzelbildern. Seite 18<br />
Die Wirtschaftsexperten der Credit Suisse beschäftigen sich mit der<br />
<strong>Holz</strong>industrie und dem <strong>Holz</strong> als Baustoff (S. 34), dem UNO-Jahr der Wälder<br />
widmen wir ein lesenswertes Dossier und das Leaderinterview mit<br />
Erwin Kräutler, dem Bishof des brasilianischen Regendwaldes (S. 68).<br />
Über <strong>Holz</strong> kann man ganze Bücher, ganze Magazine schreiben, deren<br />
Papier wiederum auf <strong>Holz</strong> zurückgeht. Dass wir das <strong>bulletin</strong><br />
klimaneutral auf FSC-Papier drucken, ist eine Selbstverständlichkeit.<br />
Und dass wir bei unserem Bestreben, noch mehr Leser mit noch<br />
mehr Inhalt zu erreichen, zunehmend auf eine Crossmedia-Strategie<br />
setzen und unseren Onlinebereich laufend ausbauen, ist es ebenfalls.<br />
Und doch stelle ich mir das Paradies als Bibliothek vor. Nach wie vor.<br />
Andreas Schiendorfer, Chefredaktor<br />
Foto: Markus Zucker | Ingo Petz | Martin Stollenwerk<br />
Cover<br />
Wer schon immer wissen wollte,<br />
was ein Baumdoktor ist, lese den<br />
Artikel über Matthias Brunner.<br />
Die Aufnahme stammt von Christian<br />
Grund. Seite <strong>11</strong><br />
Gold Winner<br />
Gold Winner<br />
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Mombaruzzo /Alba • Italia<br />
«CON AMORE<br />
PER IL VINO»<br />
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In eigener Sache 3<br />
In eigener Sache<br />
Erlebnis Papier<br />
Fotos: Daniel Huber | Credit Suisse<br />
Daniel Huber Im digitalen Zeitalter bedrängen<br />
Internet, iPads und Smartphones immer<br />
mehr Druckerzeugnisse wie Zeitungen,<br />
Magazine oder Bücher. Doch gänzlich<br />
verdrängen lassen sich diese trotzdem<br />
nicht. Die im Sommer 2010 lancierte<br />
iPad-App des <strong>bulletin</strong> ist mit über<br />
30 000 Downloads weltweit überaus erfolgreich,<br />
doch dürfte es sich bei diesen digitalen<br />
Nutzern fast durchwegs um neue <strong>bulletin</strong> Leser<br />
handeln und nicht um «Umsteiger». Jedenfalls<br />
gab es bislang nur eine Handvoll entsprechender<br />
Abonnementkündigungen.<br />
Das Erlebnis <strong>bulletin</strong> ist in der gedruckten<br />
Form ein völlig anderes als in der digitalen<br />
App-Version. Während die Texte des <strong>bulletin</strong><br />
auf dem Bildschirm lediglich den Sehsinn<br />
ansprechen, kommen beim gedruckten Papier<br />
Tastsinn und nicht zuletzt auch der Gehörsinn<br />
dazu. Papier raschelt beim Umblättern.<br />
Um diesem haptischen Vergnügen noch<br />
mehr Rechnung zu tragen, wird das <strong>bulletin</strong> seit<br />
diesem Jahrgang auf einem neuen Papier<br />
gedruckt. Es handelt sich um das ungestrichene<br />
Munken-Papier der Firma Arctic Paper, das<br />
im <strong>bulletin</strong> in drei verschiedenen Ausführungen<br />
verwendet wird. So ist der Schwerpunkt<br />
sowie die Leader-Rubrik auf dickeres Papier<br />
gedruckt als der mittlere Teil mit den Ressorts<br />
Wirtschaft und Credit Suisse, womit die<br />
Abgrenzung auch haptisch spürbar gemacht<br />
wird. Bei der Auswahl der neuen Papiersorte<br />
standen zwei Kriterien im Vordergrund: Es<br />
sollte ein möglichst natürlich «weiches» – also<br />
kein lackiertes –, voluminöses Papier sein, das<br />
zudem höchsten Umweltstandards gerecht wird.<br />
Das Munken-Papier des <strong>bulletin</strong> wird in<br />
der 1871 gegründeten Papierfabrik Munkedal<br />
rund 100 Kilometer nördlich von Göteborg<br />
Blick in die Papierfabrik<br />
Munkedal bei Göteborg.<br />
hergestellt. Mit einem Wasserbedarf<br />
von lediglich drei Litern für ein Kilogramm<br />
Papier unterbietet das Munken-<br />
Papier den Industriestandard um mehr<br />
als 60 Prozent. Auch war Munkedal<br />
20<strong>04</strong> eine der ersten Papierfabriken,<br />
die FSC-zertifiziertes Designpapier anbot,<br />
das nur Zellstoff aus nachhaltig bewirtschaftetem<br />
<strong>Holz</strong> anbau beinhaltete. Mittlerweile sind alle<br />
Standardprodukte sowohl FSC- als auch PEFCzertifiziert,<br />
erbringen also die beiden wichtigsten<br />
Nachweise für nachhaltigen <strong>Holz</strong>anbau. Die Fabrik<br />
selber ist zudem<br />
ISO14001- und EMASzertifiziert.<br />
Mehr über<br />
das Munken-Papier<br />
und die Mühlen in Munkedal<br />
finden Sie unter<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />
Besonders mutiges Magazin<br />
An Europas grösstem Branchenwettbewerb,<br />
dem Best of<br />
Corporate Publishing, holte sich<br />
das <strong>bulletin</strong> zum zweiten Mal<br />
den goldenen BCP Award. Die<br />
Jury taxierte das <strong>bulletin</strong> als<br />
«ein ganz besonders mutiges<br />
Magazin» mit Schwerpunktsetzung<br />
und herausragender<br />
Fotografie.<br />
Das <strong>bulletin</strong> Papier<br />
Titelblatt<br />
Munken Polar, 240 g/m 2<br />
Schwerpunkt/Leader<br />
Munken Polar rough, 100 g/m 2<br />
Wirtschaft/Credit Suisse<br />
Munken Lynx rough, 80 g/m 2<br />
Chefredaktorenwechsel<br />
Mit dieser Ausgabe übernimmt<br />
neu Andreas Schiendorfer die<br />
redaktionelle Verantwortung für<br />
das <strong>bulletin</strong>. Als Leiter Publikationen<br />
haben mich andere Printprojekte<br />
immer stärker in Anspruch<br />
genommen, wodurch<br />
dieser Wechsel nach zehn Jahren<br />
Chefredaktion nur logisch war –<br />
zumal Andreas Schiendorfer<br />
schon bisher als Redaktor und<br />
Verantwortlicher des Credit<br />
Suisse Teils das Magazin massgeblich<br />
mitgeprägt hat.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
Fotos: Credit Suisse | dapd, Steffi Loos, AP Images<br />
Dr. Oliver Adler<br />
Leiter Global Economics<br />
Invest l<br />
Konjunktur<br />
Zinsen und<br />
Währungen Aktien Rohstoffe Immobilien<br />
Obligationen<br />
Die Konjunktur schwächt Die kurzfristigen Zinsen Der US-Dollar schwächt Aktien sind klar attraktiv Die konjunkturelle Abschwächung<br />
deutet sind überbewertet. Die<br />
Schweizer Wohnimmobilien<br />
sich weltweit ab. Die gelockerte<br />
Geldpolitik, Massmärkten<br />
bei oder nahe null, szenario gegenüber dem Risikoaversion und zurück-<br />
vorläufi g auf einen Seit-<br />
tiefen Zinsen halten die<br />
bleiben in den Haupt-<br />
sich in unserem Kern-<br />
bewertet. Die extreme<br />
nahmen zur Verhinderung während sie in den Schwellenländern<br />
eher sinken. überbewertete Schweizer gen stützen ebenfalls. Rohstoffen. Nach der hoch. Die starke Bautätig-<br />
Euro ab. Der weiterhin gestutzte Gewinnerwartunwärtstrend<br />
bei zyklischen Nachfrage aber vorläufi g<br />
eines Schuldenausfalls<br />
und robuste Unternehmen Obligationen mit höherem Franken verliert gegen Euro Kurzfristig dominieren Korrektur sehen wir gutes keit sollte den Preisauftrieb<br />
wirken aber stützend. Risiko bleiben volatil. und US-Dollar an Boden. Stimmungswechsel. Potenzial bei Gold. dämpfen.<br />
John Maynard Keynes hat 1919 als Reaktion<br />
auf die Versailler Verträge beschrieben, was<br />
man nicht tun sollte: einem Land, das am<br />
Boden liegt, hohe Reparationszahlungen<br />
auferlegen. Das führt nicht nur zu Rezession<br />
oder Depression, sondern kann – wie<br />
Keynes mehr als zehn Jahre im Voraus ahnte –<br />
fatale politische Folgen haben. Nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg handelten die Siegermächte<br />
unter Führung der USA im Einklang<br />
mit den Empfehlungen von Keynes ganz<br />
anders: Die Schulden Deutschlands wurden<br />
erlassen, und bald setzte das Land zu seinem<br />
erstaunlichen wirtschaftlichen Höhenfl<br />
ug an. Natürlich genügt ein Schuldenerlass<br />
alleine nicht, die sonstigen Rahmenbedingungen<br />
müssen auch stimmen und es muss<br />
verhindert werden, dass die Grosszügigkeit<br />
der Gläubiger ausgenützt wird. Das gilt auch<br />
für die Europäische Währungsunion. Aber<br />
auch hier wäre die wirtschaftlich optimale<br />
Lösung ein rascher Schuldenerlass bei gleichzeitiger<br />
Festsetzung strikter und durch setzbarer<br />
Regeln für eine disziplinierte zukünftige<br />
Finanzpolitik. Der derzeitige Prozess des<br />
«Durchwurstelns» könnte am Ende auf eine<br />
gar nicht so andere Lösung hinauslaufen.<br />
Vorläufi g sagt man das nur leise – und deshalb<br />
bleiben die Finanzmärkte volatil.<br />
Unsere Einschätzungen in Kürze<br />
Kernszenario: Die EWU-Krise kommt allmählich unter Kontrolle, eine Rezession wird vermieden.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong><br />
Inhalt 5<br />
26<br />
Schwerpunkt<br />
Abtauchen Wer etwas über die ersten<br />
Bauern in der Schweiz erfahren möchte, wird<br />
auf dem Seegrund fündig. Dort sind<br />
6000 Jahre alte hölzerne Zeugen erhalten.<br />
Schwerpunkt <strong>Holz</strong><br />
06 Whisky Auf den Spuren des hölzernen<br />
Geheimnisses des schottischen Nationalgetränks<br />
<strong>11</strong> Ultraschall Wie der Baumdoktor vorgeht,<br />
um einen kranken Baum zu kurieren<br />
14 Stradivari Pilze lassen neue Geigen schöner<br />
klingen – bald gibt es Stradivaris ab der Stange<br />
18 Surprise So nahe sind Sie dem <strong>Holz</strong>,<br />
dem Wald in einer Publikation nur ganz selten<br />
24 Parfums Ode an den Duft des <strong>Holz</strong>es,<br />
der manchmal aus dem Labor kommt<br />
26 Welterbe Der Alpenraum hat ein neues, weitgehend<br />
unsichtbares hölzernes UNESCO-Welterbe<br />
Wirtschaft<br />
34 Forstwirtschaft Die <strong>Holz</strong>industrie in der Schweiz ist<br />
so wichtig wie Autogewerbe oder Immobilienwesen<br />
38 Baustoff <strong>Holz</strong> ist wegen seiner CO2-neutralen<br />
Verbrennung ein Bau- und Brennstoff mit Zukunft<br />
40 Immobilien Im Moment ist Wohneigentum in der<br />
Schweiz billiger als eine vergleichbare Mietwohnung<br />
42<br />
Wirtschaft<br />
50<br />
Credit Suisse<br />
68<br />
Leader<br />
Goldboom In wirtschaftlich<br />
unsicheren Zeiten wie heute fällt<br />
die Anlagewelt in einen Goldrausch.<br />
Salvator Mundi Die Ausstellung<br />
«Leonardo da Vinci: Maler am Hof<br />
von Mailand» birgt Sensationen.<br />
Bischof des Regenwalds Dom<br />
Erwin erhielt 2010 den Alternativen<br />
Nobelpreis – und kämpft weiter.<br />
Credit Suisse<br />
54 Nachwuchsförderung Für Theresa <strong>Holz</strong>hauser,<br />
Olena Tokar und die Cellistin Mi Zhou<br />
56 Nahmad Collection Christoph Becker über<br />
Kunstbestand und Kunstsammlung<br />
59 Zurich Film Festival Abseits des Rampenlichts<br />
ist Dr. Nils Jent ein grosses Vorbild<br />
62 Modell Schweiz im Wandel – und optimistischer<br />
Ausblick auf das Wirtschaftsjahr 2012<br />
64 Gastkommentar Ruedi Noser, Präsident<br />
ICTswitzerland, über einen wichtigen Standortfaktor<br />
Leader<br />
65 Roger Federer Foundation Augenschein in<br />
Malawi bei einem Bildungsprojekt für 54 000 Kinder<br />
Duftig<br />
Für alle, die nicht mehr<br />
wissen, wie der Wald riecht.<br />
Als Aufforderung zur<br />
anschliessenden Recherche<br />
in der freien Natur.<br />
18<br />
Spezial<br />
neutral<br />
Drucksache<br />
No. 01-<strong>11</strong>-4<strong>11</strong>539 Ð www.myclimate.org<br />
© myclimate Ð The Climate Protection Partnership<br />
Invest<br />
Wirtschaft, Märkte und Anlagen<br />
32 | 33<br />
Invest<br />
64 | 65<br />
Dossier<br />
Wirtschaft, Märkte,<br />
Anlagen<br />
Informationen des Global<br />
Research der Credit Suisse.<br />
20<strong>11</strong> ist das UNOJahr<br />
der Wälder<br />
Hintergrund, damit der Wald<br />
in den Vordergrund rückt.
6 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />
¾ ist<br />
<strong>Holz</strong>sache<br />
Nicht nur seine Ingredienzien, sondern das <strong>Holz</strong>fass,<br />
in dem er gelagert wurde, prägen die Geschmacksnote<br />
eines Whiskys massgebend. Bill Lumsden, Pionier<br />
und Legende des Woodmanagements und mehrfach<br />
preis gekrönt für seine exotischen Glenmorangie<br />
«Finishes», über die Wissenschaft vom Fass – und<br />
ihre Grenzen.<br />
Foto: Stefan Walter<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Geschmackssache <strong>Holz</strong> 7<br />
« Ich war so was wie ein Freak, der sich<br />
sehr für die technischwissenschaftliche<br />
Seite, also für den Produktionsprozess,<br />
interessiert hat.»<br />
~<br />
Bill Lumsden, ein gross gewachsener Mann mit einem schelmischen<br />
Lächeln, stapft voran, öffnet eine Tür. Dann steht man im Allerheiligsten<br />
des schottischen Malt-Whisky-Produzenten Glenmorangie.<br />
Im obersten Stockwerk des Firmensitzes in Edinburgh befindet sich<br />
das Labor, in dem Lumsden seine neuen Whiskykreationen testet<br />
und entwirft. In der Mitte des Raumes, der wie der Arbeitsraum eines<br />
modernen Alchemisten wirkt, steht ein halbrunder Tisch, der an die<br />
Ritter der Tafelrunde erinnert. In Regalen stehen unzählige Testflaschen,<br />
deren brauner und bernsteinfarbener Inhalt im Schein des<br />
Lichts wie Gold schimmert. Lumsden, blauer Anzug, rote Krawatte,<br />
ist Schotte durch und durch. Sein R rollt wunderschön im Englischen.<br />
Ausserdem ist Lumsden Biochemiker, seine Doktorarbeit hat er über<br />
das Verhalten von Hefen unter hohem Druck in kohlendioxidhaltigen<br />
Milieus verfasst. 1995 kam er zu Glenmorangie, ist dort heute für<br />
die Destillation und für die Kreation neuer Whiskys der Marken Glenmorangie<br />
und Ardbeg verantwortlich. Lumsden gilt auch als Pionier<br />
und Legende des so genannten Woodmanagements. Für seine<br />
exotischen Glenmorangie-«Finishes» hat er viele Preise erhalten.<br />
Lumsden packt den in Bourbonfässern gereiften Whisky in Weinfässer<br />
aus dem Burgund oder in Sherryfässer aus Spanien und gibt<br />
dem Whisky so neue, interessante Noten. Das <strong>Holz</strong>, in dem der<br />
Whisky zum Whisky wird, ist Lumsdens Arbeitsmaterial. Der Chemiker<br />
Dr. James Swan beschrieb den Reifeprozess, den der Whisky<br />
im Fass erlebt, mit diesen Worten: «Die Verwandlung, die während<br />
der Fassreife stattfindet, gleicht der Metamorphose einer Raupe in<br />
einen Schmetterling.» Das würde Lumsden sofort unterschreiben.<br />
~<br />
Doktor Lumsden. Sie haben sich mit 24 Jahren bei einem Tasting<br />
in Edinburgh in den Single Malt verliebt. Wussten Sie<br />
damals schon, dass Sie Woodmanager in einer Whiskydestillerie<br />
werden wollen?<br />
Ich machte damals meinen Doktortitel in Biochemie und habe ein<br />
sehr spezielles Interesse am Malt Whisky entwickelt. Ich war so was<br />
wie ein Freak, der sich sehr für die technisch-wissenschaftliche Seite,<br />
also für den Produktionsprozess, interessiert hat. Das Inter esse für<br />
die Seite des <strong>Holz</strong>es beim Produktionsprozess kam mit der Zeit, als<br />
ich für verschiedene Destillerien gearbeitet habe und merkte, wie<br />
wichtig das <strong>Holz</strong> für den Malt eigentlich ist. Aber als Woodmanager<br />
habe ich erst gearbeitet, als ich zu Glenmorangie kam.<br />
Sie sagen, dass der Whisky seinen Geschmack zu etwa<br />
drei Vierteln von dem <strong>Holz</strong> erhält, in dem er reift und lagert.<br />
Was macht der Woodmanager genau?<br />
Kurz gesagt: Ich sorge dafür, dass wir hochklassiges <strong>Holz</strong> für hochklassige<br />
Fässer bekommen. Fässer, deren <strong>Holz</strong> letzten Endes den<br />
Geschmack unseres Whiskys prägt. Zudem überlege ich mir, in welchen<br />
Fässern man den Whisky noch reifen lassen kann, um ihm neue<br />
Geschmacksnoten hinzuzufügen.<br />
Welche Fähigkeiten muss man als Woodmanager mitbringen?<br />
Man muss eine sehr gute wissenschaftliche Ausbildung haben, dazu<br />
einen ausgeprägten Geschmackssinn.<br />
Ist Woodmanager ein neuer Beruf?<br />
Früher wurden die Fässer vor allem von Buchhaltern ausgesucht, die<br />
sie auch bezahlt haben. Fässer sind schliesslich recht teuer. Natürlich<br />
wusste man um die Bedeutung der Fasslagerung für den Geschmack<br />
und die Qualität des Whiskys, aber die Herangehens- ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
8 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />
weise baute eher auf Erfahrung und Tradition auf als auf einem detailbasierten,<br />
technisch fundierten Professionalismus. Es gab ein,<br />
zwei Destillerien, die schon früh eine gewisse Pionierarbeit in Sachen<br />
Woodmanagement geleistet haben. Aber richtig bedeutend wurde<br />
der Beruf erst in den letzten 15 Jahren, seitdem die Wissenschaft<br />
eine immer grössere Rolle spielt. Die Industrie holt immer noch auf,<br />
was lange nicht entwickelt wurde. Den Startpunkt dafür stellen die<br />
Regeln dar, die von der Schottischen Whisky-Assoziation für die<br />
Fassreifung des Whiskys festgelegt wurden. Das war 1980. Seither<br />
muss der schottische Malt-Whisky in Eichenfässern reifen, mindestens<br />
drei Jahre lang – und zwar in Schottland. Seitdem versucht man,<br />
durch Wissenschaft und Experimente höhere Standards und Geschmäcker<br />
in der Fassreifung zu erreichen. Als ich bei Glenmorangie<br />
als Wissenschaftler anfing, hatte schon jemand ein Fundament im<br />
Woodmanagement gelegt.<br />
Wusste man nicht immer schon, was im Whiskyfass genau<br />
passiert und was das <strong>Holz</strong> mit dem Whisky macht ?<br />
Zu einem gewissen Grad schon. Man wusste, dass die Eiche das<br />
ursprüngliche Destillat abmildert, es weicher macht, dem Whisky<br />
Aromen entlockt, ihm seine braune Farbe gibt, den Alkoholgehalt<br />
reduziert. Man wusste, dass man den Whisky von einem Fass in ein<br />
anderes umfüllen kann, um den Geschmack nochmals zu verändern.<br />
Aber das war nicht so fundiert. Das Scottish Whisky Research<br />
Institute hat wichtige Arbeit geleistet. Es hat zum Beispiel herausgefunden,<br />
dass man das <strong>Holz</strong> benutzter Fässer nochmals «aktivieren»<br />
kann, indem man die Kohleschicht erneuert. Diese zwei bis vier<br />
Millimeter starke Schicht entsteht beim Ausbrennen der Fässer. Sie<br />
wirkt wie ein Aktivkohlefilter, entzieht dem Whisky unerwünschte<br />
Geschmacksstoffe und Aromen wie bestimmte Schwefelaromen zum<br />
Beispiel. Die Forschung hat das auch entwickelt, weil man Geld<br />
sparen wollte. Schotten sind ja bekanntlich geizig.<br />
Warum wird der MaltWhisky also in einem Eichenfass gereift ?<br />
Dafür gibt es drei gute Gründe. Erstens – das habe ich schon gesagt<br />
– ist es Gesetz. Wer einen schottischen Malt-Whisky macht,<br />
muss Eiche nehmen. Zweitens, und darauf baut das Gesetz auf:<br />
Eiche ist ein dichtes und festes <strong>Holz</strong>. Zudem ist es porös und ermöglicht<br />
eine gute Atmung des Fasses, ohne dass das <strong>Holz</strong> durchlässig<br />
ist. Der dritte Grund ist der wichtigste: Die Fässer werden<br />
getoastet, das heisst, sie werden bei circa 200 Grad rund 30 Minuten<br />
erhitzt, um sie biegen zu können. Dann werden sie manchmal innen<br />
nochmals drei bis fünf Minuten lang ausgekohlt. Weinfässer werden<br />
zum Beispiel nur getoastet. Dieser Prozess öffnet die Struktur des<br />
<strong>Holz</strong>es, belebt das <strong>Holz</strong> sozusagen, stimuliert eine Reihe von chemischen<br />
Prozessen und entlässt so verschiedene, sehr attraktive<br />
Substanzen und Aromen, die für den Whisky essenziell sind: Laktone,<br />
Zuckerstoffe, Vanillearomen und so weiter. Die prägen den<br />
Geschmack. Mittlerweile ist die Wissenschaft so weit, dass man die<br />
Art und Menge der Aromenstoffe, die man für einen Whisky «aktivieren»<br />
will, durch die Art und Dauer des Toastens und die Dicke und<br />
Struktur der Kohleschicht einigermassen steuern kann.<br />
~<br />
Lumsden steht auf, schlendert gemächlich zum Labortisch und holt<br />
ein Testglas mit einer klaren, durchsichtigen Flüssigkeit. Er reicht<br />
das Glas. «Riechen Sie mal!» Es steigt einem ein komplexer fruchtiger,<br />
aber scharfer Geruch in die Nase.<br />
~<br />
Das ist das reine Destillat. Es ist sehr klar. Sie werden es gemerkt<br />
haben! Whisky ist das noch nicht. Der entsteht eben durch die Fass-<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Geschmackssache <strong>Holz</strong> 9<br />
Die geheimnisvollen Ingredienzien<br />
des Bill Lumsden: Einblick in das<br />
Labor, Geburtsort experimenteller<br />
Whiskykreationen.<br />
Fotos: Stefan Walter<br />
reifung und die Lagerung. Denn nicht zu vergessen, auch die Luft<br />
im Lagerraum hat einen Einfluss auf den Whisky. Nicht nur das <strong>Holz</strong>.<br />
~<br />
Wieder geht er zum Regal und kommt mit einem Stück Fass zurück.<br />
~<br />
Dieses Fass haben wir vier Minuten lang ausgekohlt. So ist eine<br />
extrem dicke Kohleschicht mit einer Struktur entstanden, die an<br />
die Haut eines Alligators erinnert. Entsprechend haben wir auch<br />
den Whisky getauft: Ardbeg Alligator. Der Geschmack ist durch die<br />
extreme Auskohlung beeinflusst. Der Whisky ist extrem rauchig und<br />
torfig. Für den Glenmorangie dagegen konzentriere ich mich mehr<br />
auf das Toasten des Fasses, das durch die Aufbrechung eines<br />
Stoffes, den man Lignin nennt, ein grosses Spektrum an Vanillearomen<br />
kreiert.<br />
Bevor der MaltWhisky ins Eichenfass geht, wird das Fass<br />
zunächst mit amerikanischem BourbonWhiskey gefüllt. Warum?<br />
Der Bourbon nimmt die ganze explosive Frische und aggressive<br />
Heftigkeit der aktivierten Aromen auf und die <strong>Holz</strong>igkeit raus. Wir<br />
benutzen die Fässer dann nur höchstens zwei Mal für unseren Whisky.<br />
Es ist wichtig, das beste <strong>Holz</strong> und frische Fässer zu haben, um<br />
einen komplexen, intensiven Whisky zu machen. Wir produzieren<br />
dafür die Fässer und vermieten sie an Hersteller von Bourbonund<br />
Tennessee-Whiskey wie Jack Daniel's. Die lagern dann erst<br />
mal ihren Bourbon-Whiskey darin, für vier Jahre. Dann kommen die<br />
Fässer zu uns.<br />
Sie benutzen für die Herstellung des GlenmorangieMalts<br />
vor allem Weisseiche, die aus den OzarkBergen im zentralen Teil<br />
der USA stammt. Warum?<br />
Die Weisseiche hat eine grössere Weichheit im Geschmack, produziert<br />
mehr Lignin als beispielsweise die europäische Eiche, die mehr<br />
Tannine hat und so unter anderem eine schärfere Würze und Geschmacksintensität<br />
im Whisky bewirkt. Die Weisseiche schafft eine<br />
grössere Süsse, mit Geschmäckern von Karamell, Kokosnuss oder<br />
Mandeln. Die ist hilfreich für einen komplexen, eleganten Whisky,<br />
den ich bei Glenmorangie machen will. ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
10 <strong>Holz</strong> Geschmackssache<br />
« Manchmal komme ich auf eine Idee,<br />
wenn ich einen speziellen Wein probiere<br />
oder ein bestimmtes Gericht esse.»<br />
Suchen Sie auch nach einer bestimmten Qualität von Bäumen<br />
bei der Produktion von Fässern?<br />
Ja. Ich brauche Bäume, die langsam gewachsen sind, die<br />
zwischen 80 und 200 Jahre alt sind, die hoch gewachsen sind, deren<br />
Jahresringe recht eng aneinander liegen. Das ist das bessere<br />
<strong>Holz</strong>. Denn die Gefässe eines Baumes, durch die Wasser und Nährstoffe<br />
transportiert werden, machen ein Fass undicht. Die Gefässe<br />
sind kleiner, wenn der Baum langsam und gleichmässig wächst –<br />
wenn er nicht so viel Sonne und Feuchtigkeit bekommt. Dann liegen<br />
die Jahresringe dichter beieinander. So bekommen wir Fässer mit<br />
einer grösseren Porosität und komplexeren Aromen. Das <strong>Holz</strong> reift<br />
richtig, wenn die Bretter nach dem Zuschneiden etwa zwei Jahre<br />
trocknen. Dann erst werden sie zu Fässern verarbeitet. Wir haben<br />
extra einen Förster in den USA, der für uns die richtigen Bäume<br />
aussucht.<br />
Sie haben Mitte der 1990erJahre das so genannte Finishing<br />
für den Whisky kreiert. Wie sind Sie darauf gekommen?<br />
Historisch gesehen wurde schottischer Whisky immer schon in<br />
Sherry-, Port- oder Weinfässern gereift. An einem gewissen Punkt<br />
begann der Weingeschmack im Whisky aber zu dominieren. Glenmorangie<br />
fing deswegen schon 1947 an, Bourbonfässer zu benutzen.<br />
Ich habe einfach die Idee weiterentwickelt, dass die Reifung<br />
in anderen Fässern dem Whisky einige besonders schöne<br />
Noten und Aromen hinzufügen kann. So entstand das Finishing.<br />
Der in Bourbonfässern gereifte Whisky wandert nochmals für zwei,<br />
drei Jahre in ein Wein- oder Sherryfass. Durch Versuche und Experimente<br />
habe ich so einige neue Geschmacksnuancen für Glenmorangie<br />
kreiert.<br />
Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen neuen Whisky kreieren und<br />
auf die Idee kommen, ihn in PedroXimenezSherryFässern<br />
zu «finishen»? Wie beim Glenmorangie Sonnalta beispielsweise.<br />
Da gibt es kein Rezept. Ich bin ein kreativer, ziemlich chaotischer<br />
Mensch und lass mich von allerlei Dingen inspirieren. Ich lese viel,<br />
bekomme Tipps von Leuten aus der ganzen Welt. Manchmal kommt<br />
mir eine Idee, wenn ich einen speziellen Wein probiere oder ein bestimmtes<br />
Gericht esse. Bei unserem «Signet» beispielsweise hatte<br />
ich die Idee, einen Whisky zu kreieren, der einen ähnlichen Prozess<br />
durchläuft wie die Kaffeebohnen beim Rösten. Wäre es also kein<br />
Spass, die gemälzte Gerste mit Kaffeebohnen zu rösten? Also habe<br />
ich ein paar Experimente gemacht. Dafür habe ich keine Kaffeebohnen<br />
benutzt, sondern dunkel geröstete Gerste, wie sie normalerweise<br />
für dunkle Stout-Biere verwendet wird. Dieser Whisky reifte<br />
14 Jahre. Als ich ihn dann probierte, war er zu stark. Aber dann hatte<br />
ich die Idee, dieses Produkt mit meinem Wissen von verschiedenen<br />
Hölzern zu vermählen. Dazu habe ich Weisseichenfässer benutzt,<br />
Sherryfässer, einige Fässer, die neu ausgekohlt wurden, dazu zwei,<br />
drei geheime Zutaten und einen Schuss sehr alten Whisky.<br />
Klingt sehr kompliziert.<br />
Ja, das war eine komplexe Idee. Häufig gehts auch leichter.<br />
Wie weit geht die wissenschaftliche Fundierung Ihrer Arbeit?<br />
Ist ein Whisky mehr ein wissenschaftliches oder ein intuitives<br />
Produkt?<br />
Es ist definitiv mehr eine Kunst, kombiniert mit Handwerk. Dem<br />
Kunden muss mein Whisky gefallen. Am Erfolg werde ich gemessen.<br />
Fehltritte darf ich mir nicht so viele erlauben. Wenn ich eine Idee<br />
habe und mein Destilleriemanager schüttelt bereits den Kopf, wenn<br />
ich ihm davon berichte, lass ich die Finger davon. Auf meinen Geschmack<br />
und meine Intuition muss ich mich jedoch verlassen können.<br />
Sie gelten aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit als<br />
«naughty professor» unter den Whiskymachern. Sind Sie schon<br />
mal mit Ihren <strong>Holz</strong>experimenten gescheitert?<br />
Ja! Ich habe mal versucht, einen Whisky in brasilianischem Kirschholz<br />
zu machen. Aber das war nichts. Ausserdem hat das der Schottischen<br />
Whisky-Assoziation nicht gefallen. Schliesslich habe ich da<br />
nicht ausschliesslich Eiche benutzt, was man nicht darf. Der Raum<br />
für Experimente ist aufgrund der strikten Gesetze recht eng. Und<br />
das ist gut so. Sonst würden immer verrücktere Ideen auftauchen,<br />
die dem Image des schottischen Malts schaden würden.<br />
Es soll Leute geben, die Whisky in Heringfässer gefüllt<br />
haben.<br />
Das ist albern. Das hat nun wirklich nichts mit Whisky zu tun.<br />
Glauben Sie, dass die Wissenschaft irgendwann mal so<br />
weit sein wird, alle chemikalischen Vorgänge, die im <strong>Holz</strong>fass<br />
ablaufen, entschlüsselt zu haben?<br />
Nein, das glaube ich nicht. Dafür ist die Fassreifung ein zu komplexer<br />
Prozess. Und ehrlich gesagt, wäre das sehr schade. Ich staune<br />
sehr häufig über das, was das <strong>Holz</strong> mit dem Whisky macht. Es ist<br />
einfach wunderschön. Whisky ist auch Magie. Das darf nicht verloren<br />
gehen. Ingo Petz<br />
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bringen.<br />
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Foto: Christian Grund<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Fühlungnahme <strong>Holz</strong> <strong>11</strong><br />
Dr. Baum<br />
Schon seit 45 Jahren befasst<br />
sich Matthias Brunner mit dem<br />
lebendigen <strong>Holz</strong>: dem Baum.<br />
Als Bub half er seinem Grossvater,<br />
die Wälder zu bewirtschaften.<br />
Heute führt er wenn nötig mit den<br />
Bäumen einen stillen Dialog –<br />
als ihr Doktor.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
12 <strong>Holz</strong> Fühlungnahme<br />
Instrumente für die Untersuchungen<br />
am Patienten (links). Muss dieser mit<br />
Wirkstoffen behandelt werden,<br />
kommt unter anderem die Spritze<br />
für den Baum zum Zug.<br />
«Können Sie sich eine menschgemachte Maschine vorstellen,<br />
die Tag und Nacht, Sommer und Winter arbeitet ? Die Blätter, <strong>Holz</strong>,<br />
Früchte, Blüten produziert ohne Benzin, Strom oder Gas? Ein riesiges<br />
Naturwunder. Bäume sind mir sehr nahe, ich empfinde grossen<br />
Respekt für sie, sie bedeuten mir Heimat. Schon als kleiner Bub<br />
bin ich gerne auf Bäume geklettert und habe Baumhütten gebaut.<br />
Sobald ich genug alt war, half ich meinem Grossvater, die Wälder zu<br />
bewirtschaften, später lernte ich auch das Handwerk, also beispielsweise,<br />
wie man eine Motorsäge bedient. Nach meinem Forstingenieurstudium<br />
assistierte ich an der Abteilung für <strong>Holz</strong>wissenschaften<br />
der ETH. In dieser Funktion suchte ich nach einer einfachen Methode,<br />
die es ermöglichte, 100 verschiedene südamerikanische <strong>Holz</strong>arten<br />
mit einer Lupe voneinander zu unterscheiden. Dieser starke<br />
Praxisbezug und dass die Funktionalität sofort überprüfbar war,<br />
haben mich dazu bewogen, meine Firma zu gründen.<br />
Als Einzelfirma arbeitete ich zu Beginn fast ausschliesslich direkt<br />
an den Bäumen. Ich beschnitt, fällte, pflanzte sie. Aber schon bald<br />
sah ich mich immer häufiger in der Rolle des Beraters, weil die Baumbesitzer<br />
die möglichen Pflegemassnahmen wissen wollten, bevor ich<br />
sie ergriffen hatte. Meine Neugier, den Baum und seinen Zustand<br />
besser zu verstehen, hat mich dazu getrieben, weltweit nach den<br />
besten Methoden zu suchen, die mir dabei weiterhelfen können.<br />
Mittlerweile unterstützt mich ein Team, sodass ich mich auf meine<br />
Bäume konzentrieren kann.<br />
Im stillen Dialog mit dem Patienten<br />
Nachts träume ich davon, den Bäumen das Laufen beizubringen,<br />
damit sie zu mir in die Praxis kommen können. Meine Patienten sind<br />
fest verwurzelt und immobil, darum gehe ich sie besuchen. Ich werde<br />
kontaktiert von Menschen, die einen Baum pflanzen möchten<br />
oder einen besitzen, mit dem etwas nicht stimmt. Oder sie denken,<br />
etwas würde mit dem Baum nicht stimmen. Ich vereinbare dann mit<br />
ihnen einen Termin, an dem ich die erste Konsultation vornehme.<br />
Menschliche Patienten können ihrem Arzt ihr Leiden beschreiben.<br />
Meine Sprechstunde hingegen hat mehr den Charakter eines Augenscheins:<br />
Ich schaue den Baum genau an – führe mit ihm einen stillen<br />
Dialog. Über Jahre hinweg habe ich die Fähigkeit trainiert und verfeinert,<br />
die Sicherheit des Baums aus seiner Körpergestalt zu lesen.<br />
Daran erkenne ich seinen aktuellen Zustand und er gibt mir damit<br />
Hinweise, die ich mit den vom Besitzer festgestellten Symptomen<br />
abgleiche. Beispielsweise findet dieser, dass der Baum schon im<br />
Juli oder August nicht mehr richtig grün sei. Dann äussert sich das<br />
am Baum durch Blattflecken oder -pilz, vielleicht auch durch Schädlinge<br />
auf den Blättern.<br />
Mit der Gesundheit hingegen ist die Vitalität des Baums gemeint.<br />
In ihr spiegelt sich primär der Stofftransport des Baums, der zwischen<br />
Rinde und <strong>Holz</strong> im Kambium stattfindet. Liegen in diesem<br />
Bereich keine speziellen Krankheiten vor, ist der Baum in der Regel<br />
voll belaubt und blüht normal. Wenn hingegen am Stamm, an einem<br />
einzelnen Ast oder schon bereits in den Wurzeln eine Störung besteht,<br />
wirkt sich das schnell aus. Manchmal finden auch Interaktionen<br />
zwischen der Körpergestalt und der Vitalität statt. So kann es<br />
vorkommen, dass ein vollgrüner Baum von einem Tag auf den andern<br />
umfällt, weil er innerlich von einem Pilz zerfressen worden ist, was<br />
aber von aussen für einen Laien nicht sichtbar war. Ich muss also<br />
bei meiner Arbeit auf unzählige Details achten: auf Beulen im Stamm,<br />
weil sich dahinter eine Fäulnis verstecken könnte, einen Rindenwulst,<br />
der darauf hindeuten könnte, dass sich ein Stamm langsam einseitig<br />
absenkt und ein Baum immer schiefer steht.<br />
Bei meinen Patienten messe ich auch Höhe und Brusthöhendurchmesser<br />
– und errechne daraus einen Bodymassindex. Beim<br />
Menschen leiten wir davon das Übergewicht ab, beim Baum ist es<br />
die erhöhte Bruchgefährdung des Stammes. Mit Hilfe dieser optischen<br />
Beurteilung und eines Gesprächs mit dem Besitzer kann ich<br />
Fotos: Christian Grund<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Fühlungnahme <strong>Holz</strong> 13<br />
dann eine Diagnose stellen und die Untersuchung abschliessen. Oder<br />
ich komme zum Schluss, dass die Defektsymptome messtechnisch<br />
untersucht werden müssen, damit ich weiss, ob der Patient gefährlich<br />
erkrankt ist oder nicht.<br />
Um die statischen Probleme genauer zu untersuchen, stehen mir<br />
verschiedene Messgeräte zur Verfügung. Der Fractometer und der<br />
Resistograph ermöglichen Punktmessungen, das heisst, an einer<br />
bestimmten Stelle im Baum führe ich eine Messung der physikalischen<br />
Eigenschaften durch. Der Resistograph ist der Fiebermesser, mit<br />
dem ich den Bohrwiderstand im Baum überprüfe und in einer Fieberkurve<br />
aufzeige. Mit dem Fractometer – einem <strong>Holz</strong>labor in Taschenformat<br />
– lassen sich die Bruchkräfte und -winkel im Baumstamm<br />
erkennen und mit den statisch erforderlichen Werten vergleichen.<br />
Wenn ich hingegen einen Bereich, einen Querschnitt oder eine<br />
Fläche im <strong>Holz</strong> messen will, benutze ich dafür den Ultraschall (siehe<br />
Foto rechts) oder die Widerstandstomografie, die wie ein Lügendetektor<br />
funktioniert. Manchmal täuscht die Baumkrone beste<br />
Gesundheit vor, obwohl das <strong>Holz</strong> faul ist. Mit Strom- und Spannungsmessungen<br />
bis 100 Volt können Wassergehalt, Zellaufbau<br />
und eingelagerte Stoffe gemessen werden. So erhalte ich wichtige<br />
Erkenntnisse über die <strong>Holz</strong>fäulen und ob diese für den Baum gefährlich<br />
sind.<br />
Fürsprecher für den Baum<br />
Sobald ich also meine Patienten untersucht habe, erstelle ich eine<br />
Diagnose. Der Besitzer des Baums soll ja wissen, ob überhaupt<br />
die Möglichkeit auf eine Therapie besteht oder nicht. Diese kann er<br />
teilweise sogar selber durchführen oder er erhält ein Rezept dafür.<br />
Gelegentlich reicht eine einfache Behandlung wie Krone zurückschneiden,<br />
Dürrholz entfernen oder Äste sichern. Manchmal hilft<br />
aber nichts mehr und der Baum muss gefällt werden. Eine andere<br />
Therapieform ist auch das Verabreichen von Wirkstoffen: Beispielsweise<br />
besteht ein biologischer Wirkstoff, der aus dem indischen<br />
Flieder gewonnen wird und den ich gegen Schädlinge einsetzen kann.<br />
Es kommt auch vor, dass ein Baum eine Vitaminspritze, also Nährstoffelemente,<br />
braucht. Damit blüht er dann wieder richtig auf – im<br />
wahrsten Sinn des Wortes.<br />
Bei der Behandlung mit chemischen Wirkstoffen wurden grosse<br />
Fortschritte erzielt: Es ist zum Beispiel nun möglich, den Schädling,<br />
der in ganz Europa die Braunverfärbung der Rosskastanienblätter<br />
verursacht, mit der Kleinstdosis einer Injektion zu bekämpfen.<br />
Meine Firma ist beteiligt an internationalen Forschungsprojekten<br />
zur Verbesserung der Baumgesundheit. Baummikroinjektionen haben<br />
den Vorteil, dass Wirkstoffe sehr lange wirken und Folgebehandlungen<br />
oft erst nach einigen Jahren nötig sind. Mit dem weltweiten<br />
Pflanzenhandel wurden in den letzten Jahren auch gefährliche<br />
Schädlinge und Krankheiten importiert. Die Schnelllebigkeit unserer<br />
Zeit widerspiegelt sich auch in der rasanten Vermehrung solcher<br />
Schadorganismen.<br />
Ich sehe mich als Fürsprecher für den Baum: Wo immer ich noch<br />
etwas für ihn tun kann, mache ich es. Zeigen die Untersuchungsergebnisse<br />
hingegen eine so starke Schädigung, dass der Baum zu<br />
einer Gefahr für die Umwelt wird, dann betrachte ich es auch als<br />
meine Aufgabe, dem Besitzer das klar zu sagen. Einen Baum fällen<br />
zu müssen, tut immer weh. Jeder Baum wird von Förster zu Förster<br />
weitergegeben, manchmal bis zu vier Generationen lang. Nun, die<br />
Arbeit mit meinen Patienten hat mich jedenfalls eines gelehrt: in<br />
anderen Zeitdimensionen zu denken.» Regula Brechbühl<br />
Der Ultraschall: Über temporär gesetzte Stifte<br />
werden Schallwellen ins <strong>Holz</strong> übertragen.<br />
Dieses Netz von Schallgeschwindigkeiten wird<br />
von einer Software farblich ausgewertet.<br />
Erreichen die Wellen nur noch Geschwindigkeiten<br />
von wenigen hundert Metern pro Sekunde,<br />
deutet das auf eine starke Fäulnis im Baum hin.<br />
Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Matthias Brunner AG Matthias Brunner und sein Team untersuchen<br />
die Gesundheit und Sicherheit von 4000 Bäumen pro Jahr.<br />
Die Firma berät Privatpersonen, Firmen, Städte und Institutionen<br />
unabhängig. Sie ist hauptsächlich in der Schweiz, aber auch<br />
international tätig. Auf der Website finden sich Erklärungen zu den<br />
Messgeräten und Informationen zum Angebot der Firma<br />
www.mbrunnerag.ch<br />
Ultraschall am Baum Der Film, der die messtechnische<br />
Unter suchung genau erklärt<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong>/Baumdoktor<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
14 <strong>Holz</strong> Hörprobe<br />
Fotos: Muster Mustermann | Muster Mustermann<br />
Xylaria<br />
longipes<br />
Ein Pilz soll das <strong>Holz</strong> für den Geigenbau so verändern,<br />
dass es schöner tönt – schöner als eine Stradivari.<br />
Der Wissenschaftler Francis Schwarze entfacht mit<br />
seiner Erfindung eine Diskussion: Ist für den Wohlklang<br />
nun das Rohmaterial oder die Kunstfertigkeit des<br />
Geigenbauers entscheidend?<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Hörprobe <strong>Holz</strong> 15<br />
Als Francis Schwarze den Klang im <strong>Holz</strong> für sich entdeckte, war<br />
ihm nicht klar, dass er einen Widerstreit zwischen nach Hightech<br />
strebenden Wissenschaftlern und der Tradition verpflichteten Handwerkern<br />
befeuern würde. Es war 1992, als der angehende Forstforscher,<br />
damals noch in Freiburg, Bäume vermass: Welche waren<br />
von Pilzen dermassen geschädigt, dass sie nicht mehr sicher standen?<br />
Mit seinem Diagnosegerät schickte er Schallwellen durch die<br />
Stämme und mass die Geschwindigkeit. Kaum ein Pilz entkam dem<br />
Lauschangriff, die meisten verrieten sich, weil sie durch ihr Zerstörungswerk<br />
den Schall bremsten. «Aber einige wenige schafften es,<br />
<strong>Holz</strong> abzutragen, ohne dass sich die Schallgeschwindigkeit verringerte»,<br />
erzählt Schwarze. Eine dieser Spezies sollte 17 Jahre später<br />
ihren grossen Auftritt haben.<br />
Denn als Francis Schwarze mit einem befreundeten Geigenbauer<br />
über die nagenden Pilze plauderte, war der gleich angefressen: «Geringe<br />
Dichte, hohe Schallgeschwindigkeit – genau solches <strong>Holz</strong> brauchen<br />
wir!» Könnten nicht die flauschigen Fungi das Rohmaterial für<br />
Instrumente veredeln wie einen Käse? Womöglich liesse sich gar mit<br />
ihrer Hilfe ein <strong>Holz</strong> herstellen, das dem nahe käme, das Antonio<br />
Stradivari verwendete. Der sei nämlich nicht nur kunstfertig, sondern<br />
auch vom Klima begünstigt gewesen, glauben einige Forscher: Während<br />
der kleinen Eiszeit von 1645 bis 1715 wuchsen die Bäume langsamer<br />
und gleichmässiger und brachten damit die perfekten Eigenschaften<br />
für Klangholz mit. Was für eine Sensation, könnte man<br />
heute ähnliches <strong>Holz</strong> mittels Biotechnologie produzieren!<br />
Mit seiner Entdeckung fachte der Forstexperte eine Diskussion<br />
ums <strong>Holz</strong> an: Wie wichtig ist es für den Wohlklang eines Musikinstruments,<br />
welchen unsichtbaren Beitrag leistet es zur Wärme oder<br />
Frische, die eine Geige ausstrahlt ? Ist es der entscheidende Faktor,<br />
ein Hightech-Material, das man extrem optimieren kann, bevor es<br />
ein Geigenbauer zu einem Instrument zusammensetzt ? So sieht es<br />
der Wissenschaftler Schwarze, der inzwischen bei der Eidgenössischen<br />
Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen<br />
forscht. Oder ist es schlicht ein Naturprodukt und die rein materielle<br />
Grundlage, aus welcher der Geigenbaumeister erst mit seiner<br />
Gabe und Erfahrung einen aussergewöhnlichen Klangkörper formt ?<br />
So sehen es der Geigenbauer Michael Rhonheimer aus Baden und<br />
viele seiner Kollegen. Gerade hat er die Mitglieder des Schweizer<br />
Verbands der Geigenbauer und Bogenmacher befragt: Höchstens<br />
zehn Prozent mache das Ausgangsmaterial am Endprodukt aus, meinen<br />
sie – die Kunst also sei fast alles. So wurde aus dem Experiment,<br />
das Schwarze plante, am Ende auch eines darüber, ob Materialkunde<br />
oder Baukunst den grösseren Einfluss auf den Klang einer Violine<br />
haben: Ausgerechnet mit Rhonheimer zusammen fertigte er eine<br />
pilzbehandelte Geige, die schliesslich gegen eine Stradivari antreten<br />
sollte. Doch davon war man damals noch weit entfernt.<br />
Foto: Christian Grund (13photo)<br />
Wie Zuckerwatte legte sich der Pilz um das <strong>Holz</strong><br />
Zunächst prüfte der Baumpathologe, nachdem er 2003 nach<br />
St. Gallen gekommen war, seine Idee im Labor: In den Klimaräumen<br />
der Empa setzte er Xylaria longipes, die er bei seinem Lauschangriff<br />
Jahre zuvor entdeckt hatte, auf feine <strong>Holz</strong>plättchen an. Wie ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
16 <strong>Holz</strong> Hörprobe<br />
Die Langstielige Ahornholzkeule,<br />
Xylaria longipes, empfiehlt sich nicht auf<br />
dem Teller. Sie lebt auf abgestorbenen,<br />
berindeten Ästen von Bäumen wie Eiche,<br />
Ahorn oder Buche.<br />
Die gezüchteten Pilzsporen<br />
in der Flüssigkeit.<br />
Zuckerwatte legte sich der Pilz ums <strong>Holz</strong>, drang mit seinen fadenförmigen<br />
Zellen hinein und setzte Enzyme frei, welche die Wände<br />
der <strong>Holz</strong>zellen abtrugen. Doch Xylaria kümmert sich nur um Laubbäume<br />
wie den Ahorn, aus dem der Boden einer Geige gefertigt<br />
wird. Decke und Zargen werden dagegen aus Fichte hergestellt. Der<br />
Forscher musste nach einem weiteren Helfer fahnden. Er fand ihn<br />
bei seiner alltäglichen Arbeit. Dort setzte er einen Pilz ein, um Fichtenlatten<br />
empfänglicher für Schutzmittel zu machen. Auch dieser<br />
nagt die Wände der <strong>Holz</strong>zellen dünn – Schwarze hatte seinen Versuchskandidaten:<br />
Physisporinus vitreus. Nun begann in den Klimakammern<br />
auch Fichtenholz kontrolliert vor sich hin zu schimmeln.<br />
Traditionell besorgen sich Geigenbauer ihr <strong>Holz</strong> von Klangholzhändlern,<br />
manch einer sucht sich gar seinen eigenen Baum. Schon<br />
im Wald entscheiden viele Faktoren darüber, ob das <strong>Holz</strong> einmal<br />
schön tönt, erklärt der Forstingenieur Philippe Domont aus Zürich:<br />
«Der Baum muss regelmässig gewachsen sein, kein Drehwuchs,<br />
keine Äste auf den unteren Metern.» Domont weiss, worauf es<br />
ankommt, schliesslich war er Berufsgeiger bei der Basel Sinfonietta<br />
und spielt noch im Alumni Sinfonieorchester Zürich. Und er hat sich<br />
selbst eine Geige gebaut. «Ruhig muss das <strong>Holz</strong> sein», sagt<br />
der Ingenieur und Violinist. Solches <strong>Holz</strong> findet sich vor allem im<br />
Gebirge, wo die Bäume langsamer wachsen. Gleichzeitig lauern<br />
ausgerechnet dort Gefahren: «Steinschlag kann das <strong>Holz</strong> verletzen,<br />
und um der Belastung durch Gefälle standzuhalten, bilden Bäume<br />
spezielles Druckholz. Das eignet sich nicht.» Und dann spielt auch<br />
noch der Förster eine Rolle. Er sollte nur sanft durchforsten und<br />
verjüngen, sagt Domont: «Sonst bekommen manche Bäume plötzlich<br />
viel mehr Licht und deshalb einen Wachstumsschub.» Das ist<br />
das Aus für einen Tonbaum.<br />
Auch der Geigenbauer Michael Rhonheimer ist immer wieder im<br />
Wald unterwegs. Schon lange beobachtet er zwei vielversprechende<br />
Fichten, irgendwo in einem Bündner Bergtal. Noch dürfen sie weiterwachsen,<br />
denn das Lager über seiner Werkstatt in der alten Badener<br />
Waschmaschinenfabrik ist übervoll. «Man muss das <strong>Holz</strong> finden, das<br />
zu einem passt», sagt Rhonheimer. «Es gibt nicht das optimale Klangholz<br />
für alle Geigenbauer.»<br />
Alte Meister experimentierten mit Silikaten und Pferdeurin<br />
Und doch verlassen sich die Instrumentenfabrikanten nicht allein auf<br />
die sorgfältige Auswahl des Naturprodukts. «Schon immer haben<br />
Geigenbauer versucht, das <strong>Holz</strong> zu verbessern», erzählt Rhonheimer.<br />
«Stradivari hat ganz sicher mit Silikaten, Öl und Terpen gearbeitet.»<br />
Auch Dämpfe von Pferdeurin sollten das <strong>Holz</strong> oxidieren und so künstlich<br />
altern lassen. Heutzutage bearbeiten Rhonheimer und seine<br />
Kollegen das Rohmaterial mit Ozon oder UV-Licht. Immer gehe es<br />
darum, das Lignin kristallisieren zu lassen, sodass das <strong>Holz</strong> härter<br />
wird, erklärt er: «So hat der Musiker einen leichteren Zugang zu den<br />
Schwingungen des Instruments.»<br />
Trotz aller Tricks – als der Empa-Forscher Francis Schwarze dem<br />
Geigenbauer bei einer zufälligen Begegnung von seiner Spezialbehandlung<br />
erzählte, traute der seinen Ohren nicht: «Pilze! Da dachte<br />
ich erst: Das ist doch Blödsinn. Und ausserdem stinkt es!» Letzteren<br />
Einwand konnte der Baumpathologe schnell entkräften: «Natürlich<br />
sterilisieren wir das <strong>Holz</strong> nach der Behandlung. Da gammelt nichts<br />
mehr, und stinken tut es auch nicht.» Zudem konnte der Wissenschaftler<br />
Messwerte vorweisen: Rohdichte, Biegesteifigkeit, Schallgeschwindigkeit,<br />
Dämpfungsfaktor – das war kein Blödsinn, das<br />
waren Belege. Der Geigenbauer erklärte sich schliesslich zu einem<br />
Versuch bereit und rückte Testholz heraus.<br />
Von da an übernahmen Xylaria longipes und Physisporinus vitreus<br />
die Arbeit, für sechs bis neun Monate. Dann machte sich Rhonheimer<br />
ans Werk, fertigte drei Violinen aus dem behandelten und zwei<br />
aus unbehandeltem <strong>Holz</strong> derselben Charge. Ostern 2009 dann die<br />
erste Spielprobe im Badener Atelier: Der Wissenschaftler Schwarze<br />
war «emotional berührt», sagt er. «Sonst stellt man in der Forschung<br />
Arbeitshypothesen auf, verifiziert oder falsifiziert sie und publiziert<br />
das Ergebnis. Diesmal konnte ich es hören!» Obwohl die Violinen<br />
noch nicht lackiert waren, habe er deutlich den Unterschied wahr-<br />
Fotos: blickwinkel/H. Schmidbauer | Christian Grund | Christian Grund (13photo) | Andy Mueller/EQ Images<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Hörprobe <strong>Holz</strong> 17<br />
Die pilzbehandelte Geige der Empa (links). Geigenbauer Michael Rhonheimer<br />
(rechts) ist überzeugt: «Man muss das <strong>Holz</strong> finden, das zu einem passt.<br />
Es gibt nicht das optimale Klangholz für alle Geigenbauer.»<br />
genommen: «Die behandelte Geige klang viel wärmer und runder.»<br />
Der Geigenbauer indes war noch nicht überzeugt. Doch es standen<br />
ja noch einige Arbeitsschritte aus – und das grosse Experiment: der<br />
Blindtest Pilzholz gegen Normalholz, Rhonheimer gegen Stradivari.<br />
Im Blindtest: Geige aus Pilzholz gegen Stradivari<br />
Ein halbes Jahr später waren die Violinen einsatzbereit und der Versuchsaufbau<br />
perfekt. Der britische Stargeiger Matthew Trusler war<br />
engagiert worden, um den Klang der pilzveredelten Instrumente zu<br />
prüfen – und mithin den Streit zwischen Materialkunde und Baukunst<br />
zu entscheiden. Fünf Violinen sollte er spielen, für das Publikum nur<br />
als Schatten hinter einem Vorhang sichtbar: zwei behandelte, zwei<br />
unbehandelte und seine eigene, eine Stradivari aus dem Jahr 17<strong>11</strong>.<br />
Eine Fachjury und 180 Zuhörer sollten abstimmen. Welche Geige<br />
klingt am schönsten? Und welche ist wohl die Stradivari?<br />
Gelassen sei er in das Experiment gegangen und mit wissenschaftlicher<br />
Skepsis, erzählt Schwarze: «Ich hatte ja schon meine<br />
Hypothese verifiziert. Und Klangqualität kann man eigentlich nicht<br />
in einem Blindversuch testen, das ist sehr subjektiv.» Dann war es<br />
endlich soweit: Trusler setzte die erste Geige an, hob den Bogen,<br />
und der 2. Satz aus Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert e-Moll<br />
Opus 64 erklang. Anschliessend ein Ausschnitt aus Tschaikowskis<br />
Violinkonzert D-Dur Opus 35. Hinterher die zweite, dritte, vierte,<br />
fünfte Geige. «Bei der dritten dachte ich, das muss die Stradivari<br />
sein», erinnert sich Schwarze. Das dachten auch die meisten anderen<br />
Zuhörer.<br />
Schliesslich wurde der Vorhang und damit das Geheimnis gelüftet:<br />
Geige Nummer drei war die «Opus 58» von Michael Rhonheimer, pilzbehandelt<br />
von Francis Schwarze. 90 Zuhörer hatten ihren Klang am<br />
schönsten gefunden, nur 39 stimmten für die Stradivari. «Sprachlos»<br />
war da der Forscher, sagt er. Und er ist sich nun sicher, dass es tatsächlich<br />
entscheidend auf die <strong>Holz</strong>qualität ankommt. Der Geigenbauer<br />
Rhonheimer interpretiert das Testergebnis auf seine Weise:<br />
«Ich bin froh, dass ich da nicht ganz flach rausgekommen bin. Das<br />
zeigt, dass sich der moderne Geigenbau mit den alten Meistern messen<br />
kann.» Von der Pilzmethode ist er indes immer noch nicht überzeugt:<br />
«Es muss sich erst zeigen, wie lange diese Geigen halten.<br />
Und ob es nicht ein Zufallsresultat war.»<br />
Den Zufall möchte auch der Wissenschaftler Schwarze gern ausschliessen,<br />
reproduzierbar soll das Ergebnis sein. Deshalb plant er<br />
eine weitere, umfangreiche Testreihe, 50 Geigen sollen gebaut und<br />
genauestens vermessen, die Methode verfeinert werden. «In Zukunft<br />
können sich auch junge Musiker eine Geige mit der Klangqualität<br />
einer Stradivari leisten», hofft der Forscher. Ein Nachwuchstalent ist<br />
jedenfalls schon äusserst interessiert: Als Schwarzes Tochter eine<br />
Schülervioline von einem Geigenbauer auslieh, bot der an, dass die<br />
Eltern später bei ihm günstig eine grosse Geige kaufen könnten.<br />
«Nein», sagte da die Achtjährige bestimmt. «Dann will ich eine Pilzgeige<br />
von Papa!» Der Meister war weniger begeistert. Stefanie Schramm<br />
Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Film: Die Entstehung von «Opus 58» Ein 52-minütiger Film<br />
nimmt die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise durch<br />
die Entstehungsgeschichte der Geige von Francis Schwarze<br />
und Michael Rhonheimer. Den Trailer dazu finden Sie auf<br />
www.stradivari.tv Trailer<br />
Wettbewerb: Gewinnen Sie einen von drei Filmen!<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong>/stradivari<br />
Hörproben auf dem iPad: Hören Sie sich den Klangunterschied<br />
zwischen der pilzbehandelten und den anderen Geigen an.<br />
creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong><br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
Hören Sehen Riechen
Rubbeln Sie an<br />
diesem Baum.
24 <strong>Holz</strong> Duftnote<br />
Der Duft des<br />
<strong>Holz</strong> ist Materie, <strong>Holz</strong> ist Werkstoff. Es ist<br />
formbar, belastbar, brennbar. Aber nie<br />
«hölzern», denn es lebt. Es hat eine Stimme,<br />
einen reifenden Körper – und einen Geruch.<br />
<strong>Holz</strong>noten würzen Weine oder Parfums,<br />
wirken auf unser Wohlbefinden oder transportieren<br />
Erinnerungen. Und verblasst oder<br />
fehlt dieser Duft, baut man ihn künstlich nach,<br />
denn: Sinnlichkeit «sells».<br />
<strong>Holz</strong>es<br />
<strong>Holz</strong> lebt: Es knackt und knarrt. <strong>Holz</strong> arbeitet: Es verändert seine<br />
Form. <strong>Holz</strong> riecht: Es verströmt Aromen. Und diese lassen uns nicht<br />
kalt. Sie wirken auf unser Wohlbefinden, lösen Assoziationen aus,<br />
werden zur Zeitmaschine. Der Geruch von frisch geschlagenem<br />
<strong>Holz</strong> rückt uns den Herbst ins Bild, das Sägewerk, die Scheiter für<br />
den Ofen. Aber auch der Geruch alten <strong>Holz</strong>es löst Emotionen und<br />
Vorstellungen aus: In der «Ode an den Duft des <strong>Holz</strong>es» preist der<br />
chilenische Dichter Pablo Neruda die «balsamische Dunkelheit»<br />
seines Hauses in Isla Negra an der Pazifikküste bei Valparaíso:<br />
«Sichtbar war der Duft, / als / lebte noch / der Baum. / Als zuckte<br />
da sein Herz.»<br />
Man muss freilich kein Literaturnobelpreisträger sein, um mit<br />
Gerüchen bestimmte Erlebnisse und Emotionen zu assoziieren. Wir<br />
können gar nicht anders, dieser Reflex liegt in unserer Natur: Düfte<br />
gelangen in das limbische System des Gehirns, das unsere Gefühle<br />
steuert. Und sie bleiben gespeichert – dauerhaft, bildhaft. Wie der<br />
Geschmack eines in Tee getunkten Madeleine-Küchleins, der in<br />
Marcel Prousts Romanwelt ferne Kindestage wiederauferstehen<br />
lässt. Ja, auch Gerüche bringen die «verlorene Zeit» zurück. Mancher<br />
Duft hat sich gar ins kollektive Gedächtnis eingeprägt: Die komplexe<br />
Note sonnengewärmter Badekabinen beschwört Szenen sommerlicher<br />
Unbeschwertheit herauf; der Geruch von Spitzerabfall katapultiert<br />
uns zurück in die Schulbank. Erwärmtes <strong>Holz</strong> duftet intensiv,<br />
verkohltes tut das Gegenteil: Aktivkohle ist ein bewährter Geruchsbinder<br />
– in der Wundmedizin wie im Luftfilter.<br />
Gerüche eignen sich als Medium für Corporate Design<br />
Gerüche sind untrennbar verbunden mit Dingen, Orten, Ereignissen.<br />
Anders gesagt: Sie bilden ein hervorragendes Medium für emotionale<br />
Bindung und Branding. Der Marketingfachmann würde von<br />
«Corporate Air» sprechen. Selbst Religionen nutzen dieses Potenzial:<br />
Sandelholzöl würzt nicht nur Männerparfums, sondern gehört auch<br />
zu den Riten der Buddhisten wie Weihrauch zu den Liturgien der<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Duftnote <strong>Holz</strong> 25<br />
Illustration: Regina Vetter<br />
Katholiken und Orthodoxen. Der weihevolle Rauch hat zudem einen<br />
desinfizierenden Effekt: Diese Funktion erfüllte auch das kolossale<br />
Weihrauchfass (Butafumeiro) in der Kathedrale von Santiago de<br />
Compostela, als die Pilger noch im Dom assen und schliefen.<br />
Duftdesign sorgt für Wohlfühlfaktor und steigende Umsätze<br />
Menschenmassen belasten natürlich auch das Klima profaner Räume.<br />
Dank spezieller Technologien bleibt die Luft in Metros, Kaufhäusern<br />
oder Flughäfen, in Hotels oder Büros atembar. Dass man sie auch<br />
designen kann, hat die Zunft der Dufthersteller längst entdeckt.<br />
Ihr Angebot reicht von Mood- und Environ-Aromen über Air-Marketing<br />
und Scent-Branding bis zu Luftmanagement. Allein: Luftgeschäfte<br />
sind das allesamt nicht! Denn der kommerzielle Nutzen<br />
von Düften ist evident. Ihre Verbreitung über Duftsäulen, Klimaanlagen<br />
oder parfümierte Objekte ist üblich und, wie vieles im Leben,<br />
eine Frage von Mass und Qualität. Wohliger Raumgeruch hält uns<br />
länger in Konsumtempeln und steigert unsere Kaufbereitschaft, hat<br />
Anja Stöhr, Marketingprofessorin in Dresden, schon 1998 nachgewiesen<br />
(«Air-Design als Erfolgsfaktor im Handel»). Auch die Düsseldorfer<br />
Aromakologin Diotima von Kempski erforscht unsere Reaktion<br />
auf Gerüche: «Olfaktorisches Wohlbehagen», so Kempski, stellt<br />
sich ein, wenn gereinigte Luft so angereichert wird, dass sie einer<br />
«naturbelassenen Aussenluft» gleicht. Zwischen diesem puristischen<br />
Ideal und der olfaktorischen Attacke eines Auto-Duftbaums liegen<br />
allerdings Welten.<br />
Stichwort Auto: Ein luxuriöser Neuwagen verströmt auch einen<br />
edlen Duft. Jedoch: «Nach rund einem Jahr ist es damit vorbei.<br />
Im exklusiven Geländewagen riecht es dann vielleicht nach dem<br />
Jagdhund», erklärt Jens E. Reissmann, Geschäftsführer des Hannoveranischen<br />
Unternehmens «Reima AirConcept». Die Firma bietet<br />
Abhilfe: «Ein bis zwei Spritzer unseres Autoparfums auf die Fussmatte,<br />
und der Wagen riecht wieder wie neu. Nicht für Jahre, aber bestimmt<br />
für die Fahrt mit dem Geschäftspartner.» Und wie riecht das<br />
Autoparfum? «Nach Leder und Walnussholz.» Die Duftkomposition<br />
werde auch bei der «Aufbereitung von Gebrauchtwagen» eingesetzt.<br />
«<strong>Holz</strong>noten», ergänzt Jens Reissmann, «passen perfekt zu einem<br />
konservativen, traditionsreichen Unternehmen, zur holzvertäferten<br />
Chefetage.» Und der kleine Angestellte? Stimmt es, dass Piniendüfte<br />
die Leistungsfähigkeit im Büro fördern? «Mit dem harzigen<br />
Kiefernduft assoziiere ich eher ein Gesundheitsbad», winkt Reissmann<br />
ab. Peter Hampel, Geschäftsführer des Zwickauer Unternehmens<br />
The Olfactory, hat fürs Büro den <strong>Holz</strong>spanduft entwickelt: «Das<br />
Büro wird immer mehr zum Lebensmittelpunkt. Mit dem Duft von<br />
frisch geschnittenem <strong>Holz</strong> steigt das Wohlbefinden und mit ihm die<br />
Leistung.» Damit lassen sich auch versiegelte (und dadurch geruchlose)<br />
Echtholzmöbel beleben. Das versiegelte <strong>Holz</strong> edler Yachten<br />
bereite andere Probleme: Die witterungsbeständige ständige Schutzschicht<br />
verströmt einen unangenehmen Geruch. «Den neutralisieren wir<br />
durch Zedernholzduft. Wir haben ihn sogar in den Werftprospekt<br />
eingearbeitet», erläutert Peter Hampel.<br />
Der Duft des herbstlichen Bergwalds kommt aus dem Labor<br />
Das ätherische Öl der Zeder kann noch mehr, es vertreibt Motten.<br />
Namentlich jenes der Atlas-Zeder oder das Virginia-Zedernöl, präzisiert<br />
Roman Kaiser. Der renommierte Chemiker leitete bis vor Kurzem<br />
die Abteilung Natural Scents von Givaudan, dem Schweizer<br />
Weltmarktführer für Riechstoffe und Aromen. Kaiser zog mit seiner<br />
legendären Saugglocke rund um den Erdball, fing damit Tausende<br />
von Pflanzen- und <strong>Holz</strong>düften ein, analysierte sie im Labor, baute<br />
sie synthetisch nach und komponierte damit Neues. Zum Beispiel<br />
den hochkomplexen Akkord Swiss Mountain Forest. «Das ist die<br />
Rekonstitution des Umgebungsduftes, wie Sie ihn in einem aus<br />
Lärchen und Zirben (Arven) bestehenden Bergwald, zum Beispiel<br />
im Engadin, an einem sonnigen Oktobernachmittag wahrnehmen<br />
können», erklärt Roman Kaiser; die Sonne wärme das Baumharz<br />
und entlocke ihm eine Moschusnote. Swiss Mountain Forest gibt<br />
Männerparfums eine perfekte warme <strong>Holz</strong>note. Selbiges gilt für den<br />
synthetischen Einzelduftstoff Georgywood von Givaudan: Roman<br />
Kaiser konnte auf dieser Basis den Duft des tropischen Wacapou-<br />
<strong>Holz</strong>es aus Französisch-Guayana nachbilden; seine Note ist im Parfum<br />
«Romance» von Ralph Lauren oder im «Eau d’Amazonie» von<br />
Balmain enthalten. «Ich konnte auch die frische, vitalisierende <strong>Holz</strong>note<br />
des Okoumé-Baums aus Gabun herstellen», so der Chemiker.<br />
«Sie steckt etwa in ‹Rush for Men› von Gucci.»<br />
<strong>Holz</strong>duft schönt Parfums, Weine, Autos oder Büros. Seine Räuchernote<br />
weiht Räume und würzt Fleisch. Stets aber hängen Duftvorlieben<br />
von Kultur, Individuum und Zeitgeist ab. Exotisches zieht<br />
an, Heimisches auch: «Alpen-Menschen» reagieren offenbar äusserst<br />
positiv auf ihren alpinen Weihrauch: So nämlich riecht, nach Roman<br />
Kaiser, das Zirbenholz.<br />
Ingeborg Waldinger<br />
Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Riechen Sie den Duft von frisch geschnittenem <strong>Holz</strong><br />
Blättern Sie zurück zum Panoramabild und tauchen Sie mit allen<br />
Sinnen ein in die Welt des Waldes. Seite 18<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
26 <strong>Holz</strong> Seetest<br />
Foto: Christian Grund<br />
In Sutz-Lattrigen am Bielersee siedelten zwischen rund 3850 und 850 v. Chr. verschiedene Pfahlbauerkulturen. Ein von Albert Hafner geleitetes<br />
Unterwasser-Archäologieteam untersucht seit 1988 deren gefährdete Hinterlassenschaft in einer permanenten Rettungsgrabung.
<strong>Holz</strong> 27<br />
Das <strong>Holz</strong> erzählt uns vom Leben der Ahnen.<br />
Sie bebauten – schon vor über 6000 Jahren –<br />
auch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz<br />
Äcker mit Hartweizen, Emmer, Gerste<br />
oder Einkorn und züchteten Rinder, Schweine,<br />
Schafe, Ziegen. Spektakulär klingt das<br />
nicht. Doch in einer schriftlosen Kultur besitzen<br />
Sensationen ihre eigenen Definitionen.<br />
Und noch bleiben viele Rätsel im Boden<br />
verborgen und warten auf Entschlüsselung.<br />
Waren die Pfahlbauer etwa doch die<br />
Ur-Helvetier?<br />
Seetest<br />
Das unsichtbare<br />
Weltkulturerbe<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
28 <strong>Holz</strong> Seetest<br />
«Es war an einem sonnigen Frühjahrsvormittag. Da wurde es<br />
plötzlich sehr unruhig am untern Ende des Moos-Sees. Am Rande<br />
der Lichtung gegen Sonnenaufgang sah der Bär eine Bewegung in<br />
den Haselbüschen. Aus dem Dickicht traten aufrechte Gestalten,<br />
die nicht wie die Tiere behaart waren. An den Füssen klapperten<br />
<strong>Holz</strong>brettchen, wenn sie über die Steine des Bachbettes schritten.»<br />
So lesen wir in Hans Zulligers Heftchen «Die Pfahlbauer am Moossee»<br />
des Schweizerischen Jugendschriftenwerks SJW. Auch wir<br />
werden unruhig. Es beginnt die doppelte Reise in die Vergangenheit.<br />
In die eigene Kindheit zunächst. Wiederum versinkt man in die Geschichte<br />
des kleinen Ra, der bewundernd aufblickt zu seinen Brüdern<br />
Serr und Witt, bereits erfahrene Jäger, und zu seinem Vater, dem<br />
weisen Häuptling Hatt. Die Zeitreise nimmt Fahrt auf. 6000 Jahre<br />
zurück. Schon sind wir mitten drin in der Steinzeit, im Neolithikum.<br />
«Die Pfahlbauer am Moossee» seien jahrzehntelang ein Bestseller<br />
gewesen, erzählt Verlagsleiterin Margrit Schmid. Insgesamt habe<br />
SJW rund 800 000 Exemplare verkauft. Und nun, mit der Aufnahme<br />
der Pfahlbauten des Alpenraums in das Welterbe der UNESCO im<br />
Sommer 20<strong>11</strong>, habe das Thema eine neue Aktualität bekommen.<br />
Man lege die Schrift allerdings nicht mehr auf, weil zu vieles darin<br />
aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar sei. Sie hoffe, es<br />
finde sich jemand, der diese Geschichte neu erzähle.<br />
Die Notgrabung in Moosseedorf liefert neue Erkenntnisse<br />
Die Pfahlbauten am Moossee gibt es tatsächlich, und Cernunnos<br />
oder irgendein anderer Gott will es, dass genau in diesen Tagen in<br />
Moosseedorf wieder gegraben wird. «Eine Notgrabung», wie Albert<br />
Hafner vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern betont. «Das<br />
Strandbadgebäude wird einige Meter landeinwärts verlegt. Deshalb<br />
untersuchen wir das Gelände, bevor es überbaut wird und die darin<br />
liegenden prähistorischen Zeugnisse unwiderruflich verloren gehen.»<br />
Im Normalfall aber werden heute die Überreste der Pfahlbauzeit im<br />
See- oder Moorboden belassen und bestmöglich vor weiterer Zerstörung<br />
durch Erosion oder Absinken des Grundwasserspiegels geschützt<br />
– das gilt auch für das eigentliche Pfahlbaudorf am Moossee,<br />
das sich unter der Liegewiese befindet.<br />
Mit anderen Worten: Von den Pfahlbauten sieht man im Normalfall<br />
nichts. «Wir bewahren bewusst Fundstellen für die folgenden<br />
Generationen, denn die wissenschaftlichen Methoden werden immer<br />
besser und genauer. Das UNESCO-Label dient vor allem dem Schutz<br />
der Fundstätten», erklärt Hafner, der als Vorstandsmitglied des Vereins<br />
Palafittes einer der Initianten der Kandidatur gewesen ist. «Bei<br />
rund 500 Fundstätten in der Schweiz und nochmals 500 Fundstätten<br />
in den übrigen alpinen Pfahlbaunationen Deutschland, Österreich,<br />
Frankreich, Italien und Slowenien finden aber auch so noch genügend<br />
Grabungen statt, um unser Wissen zu erweitern. Vorausgesetzt,<br />
wir finden Zeit, die Funde wirklich auszuwerten.»<br />
Am Moossee steht ein bescheidenes Zelt. Die Archäologen darin<br />
graben und schaben wie unermüdliche Ameisen. Ein Wettlauf mit<br />
der Zeit, der Baubeginn drängt. Die Neuzeitmenschen wollen baden.<br />
Inmitten des viereckigen Erdlochs ein paar Eschenstämme. Ein prähistorischer<br />
Prügel-oder Knüppelweg. Die Augen des Archäologen<br />
verraten: Das ist etwas Besonderes. Doch es kommt noch besser:<br />
ein paar dünne Haselstangen im Boden, dicht an dicht. «Eine Palisade,<br />
die vermutlich mit Torfsoden, Längshölzern und Gestrüpp zu<br />
einem Wall ausgebaut wurde», führt Hafner aus. «Sie stammt aus<br />
der Zeit um 3800 vor Christus. Denkbar ist, dass diese Anlage vor<br />
überraschendem Eindringen und Überfällen durch feindliche ><br />
Ein wichtiges Arbeitsinstrument der Archäologen:<br />
Ein grosser Teil der noch bestehenden<br />
<strong>Holz</strong>konstruktionen aus der Pfahlbauzeit<br />
befindet sich unter Wasser. Bei der Untersuchung<br />
wird oft auch Schlamm aufgewirbelt.<br />
Die hölzernen Relikte sind der Schlüssel zur<br />
nach wie vor geheimnisumwitterten Welt<br />
unserer Vorfahren. Mit jeder archäologischen<br />
Untersuchung wird unser Bild genauer und<br />
menschlicher – aber auch ein bisschen weniger<br />
abenteuerlich und romantisch.<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Seetest <strong>Holz</strong> 29<br />
Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht<br />
glauben möchte: Die Dendrochronologie, die<br />
Analyse der Jahrringabfolge, erlaubt bei<br />
bestimmten <strong>Holz</strong>arten eine auf das Jahr genaue<br />
Datierung – in der Schweiz bis 8480 v. Chr.<br />
zurück.<br />
In den 1860erJahren fanden am Moossee<br />
bedeutende Grabungen statt – bis vor Kurzem<br />
wusste man aber nicht mehr, wo genau die<br />
Pfahlbausiedlungen zu lokalisieren waren. Die<br />
exakte Vermessung jedes einzelnen Schrittes<br />
ist die Basis wissenschaftlicher Erkenntnis.<br />
Fotos: Christian Grund | Laténium<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
30 <strong>Holz</strong> Seetest<br />
Chronologiestrahl Die ersten Ackerbauern und Viehzüchter nördlich der Alpen, und damit auf<br />
dem Gebiet der heutigen Schweiz, lebten um 4300 v. Chr., südlich der Alpen etwas früher.<br />
Die so genannte neolithische Revolution begann aber schon vor rund 10 000 Jahren im Nahen Osten.<br />
8000<br />
Ackerbau und Viehhaltung<br />
im Nahen Osten<br />
Domestizierte Schweine<br />
7000<br />
Domestizierte Rinder<br />
Erste Keramik<br />
6000<br />
Ackerbau und Viehhaltung<br />
in der Schweiz<br />
Erstes Kupfer<br />
5000<br />
Erste Seeufersiedlungen<br />
Erste Städte in Mesopotamien<br />
4000<br />
Erste Schrift in Sumer<br />
Erstes Rad<br />
3000<br />
Pyramiden von Giseh<br />
Mesolithikum<br />
Neolithikum<br />
Die Pfahlbauer in der Schweiz<br />
benachbarte Gruppen schützten. Ob und wie oft es echte kriegerische<br />
Auseinandersetzungen gegeben hat, wissen wir nicht. Doch<br />
die romantische Vorstellung von den friedliebenden Pfahlbauern<br />
müssen wir vermutlich begraben. Ich gehe davon aus dass es bereits<br />
damals Formen von Menschenraub und Sklaverei gegeben hat.»<br />
Ein paar Schritte abseits eine weitere hölzerne Rarität: ein knapp<br />
sechs Meter langer Einbaum, zerbrochen allerdings. «Vielleicht ergibt<br />
die Untersuchung an der ETH Zürich, dass wir es hier mit dem ältesten<br />
Schiff der Schweiz zu tun haben», spekuliert der Archäologe.<br />
Die komplexe Konservierung wird später von Spezialisten vorgenommen.<br />
Wo aber der Einbaum in der Neuzeit konkret anlegen wird, ist<br />
derzeit noch völlig offen. Die wenigen archäologischen Museen<br />
kämpfen mit Platznot. Ein besonders stattlicher Einbaum mit einer<br />
Nutzlast von rund 400 Kilogramm, gefunden auf der St. Petersinsel<br />
im Bielersee, befindet sich deshalb noch ausserhalb des Kantons<br />
Bern im Schweizerischen Verkehrsmuseum in Luzern.<br />
Die Pfahlbauer sind mobil. Dies belegen nicht nur die bis zu zwölf<br />
Meter langen Einbäume, sondern auch Rad und Wagen. Ab 3000<br />
v. Chr. erleichtern diese, von Rindern gezogen, den Transport von<br />
Baumaterial und Landwirtschaftsgütern; ab etwa 2000 v. Chr. kommt<br />
zusätzlich das Pferd als Last-, aber auch als Reittier zum Einsatz.<br />
«In Vinelz fanden wir ein Rad aus Ahornbrettern und mit Einschüben<br />
aus Esche. Vermutlich gehört das Rad zu einem zweirädrigen Gefährt»,<br />
berichtet Albert Hafner. Einmal mehr fällt auf, wie gezielt die<br />
Pfahlbauer die verschiedenen <strong>Holz</strong>arten eingesetzt haben.<br />
Die Jahrringe der Eiche sind hölzerne Fingerabdrücke<br />
Natürlich wird es Zeit zu erklären, wieso die Archäologen ihre Zeitreise<br />
heute bis aufs Jahr genau datieren können: Die Pfahlbauforschung<br />
beginnt 1854 mit der Untersuchung der wegen Tiefstand<br />
des Zürichsees neu entdeckten Pfahlfelder in Meilen durch Ferdinand<br />
Keller, doch rund 100 Jahre lang können die Wissenschaftler<br />
das Alter der prähistorischen Fundobjekte fast nur in Relation zueinander<br />
bestimmen. 1946 schliesslich begründet der amerikanische<br />
Chemiker Willard Frank Libby die Radiokohlenstoffdatierung (C14),<br />
wofür er 1960 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Diese geht<br />
davon aus, dass in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen<br />
radioaktiven C14-Atomen gemäss einem Zerfallsgesetz<br />
abnimmt. Die C14-Methode wird bis 60 000 Jahre BP (before present)<br />
angewendet. Es besteht jedoch ein nicht unerheblicher Unsicherheitsfaktor:<br />
Der Tod der weltberühmten Gletschermumie Ötzi<br />
in den Südtiroler Alpen beispielsweise wird mit einer Wahrscheinlichkeit<br />
von 95,4 Prozent in die Jahre 3360 – 3100 v. Chr. datiert, in<br />
diesem Zeitraum aber hätte Ötzi gleich fünfmal gelebt haben können!<br />
Erst durch die Kalibrierung der Daten mit Hilfe der Dendrochronologie<br />
wird diese Methode ab Mitte der 1980er-Jahre etwas genauer.<br />
Beim Versuch, den Zusammenhang zwischen Erdklima und Sonnenflecken<br />
zu beweisen, legt der amerikanische Astronom Andrew E.<br />
Douglass schon 1929 eine bis ins Mittelalter zurückreichende ununterbrochene<br />
Jahrringchronologie vor. Die Dendrochronologie<br />
(gr. Baum-Zeit-Lehre) basiert auf der Tatsache, dass sich die klimatischen<br />
Verhältnisse in den Jahrringen der gleichen <strong>Holz</strong>art unverwechselbar<br />
niederschlagen. Für die Prähistoriker wirklich interessant<br />
wird diese Hilfswissenschaft ab den 1960er-Jahren, als mit<br />
Hilfe des Computers immer weiter zurückreichende Jahrringreihen<br />
in Form einer Art Strichcode zusammengestellt werden. «Die Schweiz<br />
verfügt über ein dichtes Netz an regionalen Jahrringkurven, für den<br />
durchgehenden, bis 8480 vor Christus zurückreichenden Jahrringkalender<br />
verwenden wir jedoch die so genannte Mitteldeutsche<br />
Eichenchronologie. Diesen Leitindikator setzen wir mit unseren eigenen<br />
lokalen Dendrokurven in Relation und können so bis auf etwa<br />
6000 Jahre zurück das Fälldatum des betreffenden Baumes exakt<br />
bestimmen», erklärt Albert Hafner, der in Sutz-Lattrigen am Bielersee<br />
eines von zehn Dendrochronologiezentren der Schweiz leitet.<br />
Im Gegensatz zu Wilhelm Tell und Rütlischwur, die in der Zentralschweiz<br />
spielen, finden sich die Pfahlbauern an vielen schweizerischen<br />
Seen und bilden im jungen Bundesstaat ein wichtiges, die<br />
verschiedenen Landesteile einigendes Element. Dementsprechend<br />
wird dieses Völklein romantisiert und überhöht. «Wenn wir die rund<br />
3000-jährige Geschichte der Pfahlbauer anschauen, können wir<br />
aufgrund sachlicher Hinterlassenschaften wie Keramik oder Schmuck<br />
mehr als 30 verschiedene Kulturgruppen feststellen. Eine eindeutige<br />
Zuordnung zu Identitätsgruppen oder ethnischen Einheiten ist<br />
aber nicht möglich», erläutert Albert Hafner vorsichtig. «Zweimal<br />
stellen wir jedoch einen eindeutigen kulturellen Bruch fest: Kurz vor<br />
2700 vor Christus finden wir auf der Keramik Verzierungen mit<br />
Schnureindrücken, und gegen 2400 vor Christus kommen so genannte<br />
Glocken becher auf, die mit einem Fischgrätemuster verziert<br />
sind.» Der Berner Professor Werner Stöckli postuliert, dass dieser<br />
Stilbruch von keltischen Stämmen herrühren könnte, die aus Mittel-<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Seetest <strong>Holz</strong> 31<br />
Die Pfahlbauer am<br />
Moossee (1933)<br />
In den 1930er-Jahren halfen<br />
die Pfahlbauer am Moossee,<br />
den Sprachgraben zu überwinden<br />
und die Schweiz<br />
zusammenzuschweissen.<br />
2000<br />
Bronzewerkzeuge<br />
1000<br />
Gründung Roms<br />
Erste Münzen<br />
Kelten<br />
Parthenontempel in Athen<br />
Auszug der Helvetier<br />
0<br />
1000<br />
Gründung der<br />
Eidgenossenschaft<br />
Entdeckung<br />
Amerikas<br />
Eisenbahn<br />
2000<br />
UNESCOWelterbelabel<br />
( 20<strong>11</strong>)<br />
Bronzezeit Eisenzeit Römer Mittelalter Neuzeit<br />
1854 Beginn<br />
Pfahlbauforschung<br />
europa eingewandert sind. Damit wird die zunächst behauptete und<br />
schon bald wieder aufgegebene Herleitung der von Julius Cäsar erwähnten<br />
Helvetier und anderer Keltenstämme in der Schweiz von<br />
den über 2000 Jahre früher lebenden Pfahlbauern plötzlich wieder<br />
denkbar.<br />
Die wichtigste Revolution der Menschheitsgeschichte<br />
So oder so haben aber die Pfahlbauer in unserer Gegend die wichtigste,<br />
die neolithische, Revolution durchgeführt: Aus umherziehenden<br />
Jägern und Sammlern werden sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter.<br />
Die entsprechenden Tiere und Pflanzen und das Wissen<br />
um deren Beherrschung sind im Laufe von etwa 3500 Jahren vom<br />
Nahen Osten, dem so genannten Fruchtbaren Halbmond, in die<br />
Alpenregion gewandert.<br />
Auch während der Pfahlbauzeit drücken Schmuck aus Muscheln<br />
oder Bernstein sowie der «Stahl der Steinzeit» – Feuerstein (Silex) –<br />
regelmässige Handelskontakte über Distanzen von bis zu 500 Kilometern<br />
aus. Wie genau diese Kontakte abgelaufen sind, ist unklar.<br />
Genauso wie Ötzi die Verbindung zwischen dem heutigen Österreich<br />
und Italien im vierten vorchristlichen Jahrtausend belegt, finden sich<br />
auch in der Schweiz zunehmend Zeugnisse der Begehung der Alpenpässe<br />
und der Nutzung der Alpweiden. Albert Hafner: «Im Berner<br />
Oberland finden wir ebenfalls solche Spuren, beispielsweise die zahlreichen<br />
Fundgegenstände vom Schnidejoch. Die ältesten Objekte<br />
stammen aus dem 5. Jahrtausend vor Christus, die jüngsten aus dem<br />
Mittelalter. Besonders spannend ist ein nahezu vollständig erhaltenes<br />
Bogenequipment, bestehend aus Bogen, Pfeilen und Köcher, aber<br />
auch Objekte, die mit früher Alpwirtschaft zu tun haben können.»<br />
Aufsehen erregen derzeit auch die Ausgrabungen der Universität<br />
Zürich in der bündnerischen Silvretta, wo man diesen Sommer auf<br />
2300 Metern Höhe Hinweise auf jungsteinzeitliche alpine Viehwirtschaft<br />
gefunden hat. Die bisher älteste Alphütte allerdings stammt<br />
erst von 700 v. Chr. und damit aus einer Zeit, die man bereits nicht<br />
mehr mit den Pfahlbauern in Verbindung bringt.<br />
nach vielleicht 15 Jahren wieder verlassen. «Ich gehe nicht davon<br />
aus, dass die Bewohner für immer wegzogen, sondern eher, dass<br />
sie aufgrund der Seespiegelschwankungen einen erhöhten Siedlungsplatz<br />
aufsuchten und später wieder an den gleichen Ort zurückkehrten»,<br />
stellt Albert Hafner eine neue Hypothese auf.<br />
Fest steht, dass auch das Schweizer Mittelland, fernab der Seen,<br />
ab dem fünften vorchristlichen Jahrtausend durch Rodung urbar gemacht<br />
und besiedelt wurde. Über diese Landbauern lässt sich indes<br />
nur wenig aussagen, da bislang ausser ein paar Einzelgräbern praktisch<br />
keine Funde vorliegen. «Pfahlbauten sind nicht Zeugnisse einer<br />
bestimmten Kulturgruppe, sondern vor allem eines hervorragenden<br />
archäologischen Erhaltungsgrades», meint dazu Albert Hafner. Und,<br />
die leise Enttäuschung spürend: «Trotzdem sind über jede einzelne<br />
Fundstelle spannende Aussagen möglich. Als Wissenschaftler publizieren<br />
wir vor allem in Fachzeitschriften. Einen leichten Einstieg für<br />
Interessierte bietet der Audioführer ‹Palafittes Guide›, der im Zusammenhang<br />
mit der Aufnahme der Pfahlbauten um die Alpen ins<br />
UNESCO-Welterbe für alle wichtigen Fundstellen in der Schweiz<br />
lanciert wurde.»<br />
Und zuletzt verspricht Hafner auch, bei der Herausgabe eines<br />
neuen SJW-Hefts über die Pfahlbauer am Moossee behilflich zu<br />
sein. Ganz verzichten auf die nächtliche Lektüre unter der Bettdecke<br />
wollen wir denn doch nicht. Andreas Schiendorfer<br />
Mehr zum Thema >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Mehr Informationen über die Pfahlbauten in der Schweiz, in<br />
Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Slowenien sowie<br />
über die Aufnahme in die Welterbe-Liste der UNESCO unter<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong> oder<br />
www.palafittes.ch<br />
Der empfehlenswerte Palafittes Guide kann via App Store<br />
oder Android Market gratis heruntergeladen werden.<br />
Auch das Mittelland bereits besiedelt<br />
Bereits während der Steinzeit können gut und gerne 200 000 Menschen<br />
auf dem Gebiet der heutigen Schweiz gelebt haben. An den<br />
Seen sind Feuchtbodensiedlungen mit 100 bis 200 Bewohnern im<br />
Abstand von etwa fünf Kilometern zu erwarten. Sie wurden jeweils<br />
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
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Invest<br />
l<br />
Invest<br />
Wirtschaft, Märkte und Anlagen<br />
Konjunktur<br />
Die Konjunktur schwächt<br />
sich weltweit ab. Die gelockerte<br />
Geldpolitik, Massnahmen<br />
zur Verhinderung<br />
eines Schuldenausfalls<br />
und robuste Unternehmen<br />
wirken aber stützend.<br />
Zinsen und<br />
Obligationen<br />
Die kurzfristigen Zinsen<br />
bleiben in den Hauptmärkten<br />
bei oder nahe null,<br />
während sie in den Schwellenländern<br />
eher sinken.<br />
Obligationen mit höherem<br />
Risiko bleiben volatil.<br />
Währungen Aktien Rohstoffe Immobilien<br />
Der US-Dollar schwächt<br />
sich in unserem Kernszenario<br />
gegenüber dem<br />
Euro ab. Der weiterhin<br />
überbewertete Schweizer<br />
Franken verliert gegen Euro<br />
und US-Dollar an Boden.<br />
Aktien sind klar attraktiv<br />
bewertet. Die extreme<br />
Risikoaversion und zurückgestutzte<br />
Gewinnerwartungen<br />
stützen ebenfalls.<br />
Kurzfristig dominieren<br />
Stimmungswechsel.<br />
Die konjunkturelle Abschwächung<br />
deutet<br />
vorläufig auf einen Seitwärtstrend<br />
bei zyklischen<br />
Rohstoffen. Nach der<br />
Korrektur sehen wir gutes<br />
Potenzial bei Gold.<br />
Schweizer Wohnimmobilien<br />
sind überbewertet. Die<br />
tiefen Zinsen halten die<br />
Nachfrage aber vorläufig<br />
hoch. Die starke Bautätigkeit<br />
sollte den Preisauftrieb<br />
dämpfen.<br />
John Maynard Keynes hat 1919 als Reaktion<br />
auf die Versailler Verträge beschrieben, was<br />
man nicht tun sollte: einem Land, das am<br />
Boden liegt, hohe Reparationszahlungen<br />
auferlegen. Das führt nicht nur zu Rezession<br />
oder Depression, sondern kann – wie<br />
Keynes mehr als zehn Jahre im Voraus ahnte –<br />
fatale politische Folgen haben. Nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg handelten die Siegermächte<br />
unter Führung der USA im Einklang<br />
mit den Empfehlungen von Keynes ganz<br />
anders: Die Schulden Deutschlands wurden<br />
erlassen, und bald setzte das Land zu seinem<br />
erstaunlichen wirtschaftlichen Höhenflug<br />
an. Natürlich genügt ein Schuldenerlass<br />
alleine nicht, die sonstigen Rahmenbedingungen<br />
müssen auch stimmen und es muss<br />
verhindert werden, dass die Grosszügigkeit<br />
der Gläubiger ausgenützt wird. Das gilt auch<br />
für die Europäische Währungsunion. Aber<br />
auch hier wäre die wirtschaftlich optimale<br />
Lösung ein rascher Schuldenerlass bei gleichzeitiger<br />
Festsetzung strikter und durch setzbarer<br />
Regeln für eine disziplinierte zukünftige<br />
Finanzpolitik. Der derzeitige Prozess des<br />
«Durchwurstelns» könnte am Ende auf eine<br />
gar nicht so andere Lösung hinauslaufen.<br />
Vorläufig sagt man das nur leise – und deshalb<br />
bleiben die Finanzmärkte volatil.<br />
Fotos: Credit Suisse | dapd, Steffi Loos, AP Images<br />
Dr. Oliver Adler<br />
Leiter Global Economics<br />
Unsere Einschätzungen in Kürze<br />
Kernszenario: Die EWU-Krise kommt allmählich unter Kontrolle, eine Rezession wird vermieden.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
ll<br />
Invest<br />
Konjunktur<br />
Global:<br />
Wachstum noch längere<br />
Zeit schwach<br />
Viele Indikatoren der Industrieländer deuten<br />
weiterhin auf ein langsames Wachstum hin.<br />
In den USA bleibt das Konsumentenvertrauen<br />
schwach, immerhin dürfte der Privatsektor<br />
aber für ein gewisses Stellenwachstum<br />
sorgen. In Europa begrenzt die Notwendigkeit,<br />
die Haushaltsdefizite zu senken und<br />
die Schuldensituation zu stabilisieren, das<br />
Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig sollten<br />
die Inlands- und die Auslandsnachfrage<br />
ein moderates Wachstum ermöglichen.<br />
Die Schwellenmärkte wachsen langsamer,<br />
aber weiterhin deutlich robuster als die<br />
Industrieländer. Fabian Heller<br />
Schweiz:<br />
Aktuelle Wachstumsdelle sollte<br />
2012 ausgeglichen werden<br />
Die Schweizer Wirtschaft kann sich der<br />
langsameren Gangart der Weltwirtschaft<br />
nicht entziehen. Wie erwartet wird sich das<br />
Wachstum in den kommenden Monaten<br />
deutlich abschwächen. Doch unter der<br />
Annahme wieder leicht stärkerer Impulse<br />
aus den Exportmärkten dürfte die Wachstumsdelle<br />
bereits Ende 2012 wieder ausgeglichen<br />
sein. Denn erstens verschaffen<br />
die Tiefstzinsen ein Plus an Kaufkraft.<br />
Zweitens animieren die günstigen Preise<br />
zum Kauf und drittens gehen von der<br />
weiterhin regen Zuwanderung Impulse aus.<br />
Claude Maurer<br />
USKonsumstimmung verharrt weit unter<br />
Vorkrisenniveaus Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Zinsen und<br />
Obligationen<br />
Zinsen:<br />
Geldpolitik wird noch lockerer<br />
Weltweit versuchen die Zentralbanken das<br />
Risiko einer erneuten Rezession möglichst<br />
zu begrenzen. Die US Fed strebt durch die<br />
Laufzeitverlängerung der von ihr gehaltenen<br />
Anleihen verbesserte Finanzierungsbedingungen<br />
an. Die EZB setzt den Kauf von<br />
Staatsanleihen fort und stellt den Banken<br />
unlimitiert Liquidität zur Verfügung. Eine<br />
Leitzinssenkung ist möglich. Mit der Festlegung<br />
der EUR/CHF-Untergrenze hat<br />
die SNB auf Konjunktur- und Preisrisiken<br />
reagiert. Auch in gewissen Schwellenländern<br />
(z.B. Brasilien, Israel) wurden die Zinsen<br />
inzwischen gesenkt. Fabian Heller<br />
Obligationen:<br />
Wir empfehlen primär erstklassige<br />
Unternehmensanleihen<br />
Die europäische Schuldenkrise hat zu Kursverlusten<br />
vornehmlich bei Finanztiteln und<br />
hochverzinslichen Anleihen geführt. Während<br />
die Sicherungsmechanismen der Zentralbanken<br />
eine Extremsituation wie nach<br />
der Pleite von Lehman Brothers verhindern<br />
sollten, ist ein Ende der Kursschwankungen<br />
noch nicht abzusehen. Gleichzeitig dürften<br />
Renditen sicherer Staatsanleihen binnen<br />
Jahresfrist nur moderat steigen. Wir raten<br />
Anlegern daher, erstklassige Anleihen zu<br />
bevorzugen und sukzessive Engagements in<br />
Unternehmensanleihen mit hoher Bonität<br />
aufzubauen, dabei aber Finanztitel zu meiden.<br />
Stefan Klein<br />
Rückschläge bei Unternehmensanleihen<br />
Quelle: Credit Suisse<br />
Währungen<br />
Global:<br />
Schwellenmarktwährungen –<br />
Vorläufig ist Vorsicht geboten<br />
Der US-Dollar ist im September gegenüber<br />
Euro und Schweizer Franken, aber vor allem<br />
gegenüber den Währungen von Schwellenländern<br />
deutlich angestiegen. Die Eurokrise<br />
und Rezessionsängste haben ihm Auftrieb<br />
gegeben. Unter den Schwellenländern<br />
erachten wir Asien weiterhin als am widerstandsfähigsten,<br />
sehen hingegen in Osteuropa<br />
und Lateinamerika das Risiko weiterer<br />
Währungsschwäche. Dieses Risiko<br />
sollte vor allem bei festverzinslichen Anlagen<br />
in Lokalwährung beachtet werden. Erst<br />
wenn sich die Wirtschaftszahlen deutlich<br />
verbessern, werden sich diese Währungen<br />
nachhaltig erholen. Marcus Hettinger<br />
Schweiz:<br />
EUR/CHFMindestkurs ist<br />
glaubwürdig<br />
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat<br />
am 6. September einen Mindestkurs von<br />
CHF 1.20 pro Euro angekündigt. Wir sehen<br />
diese Massnahme als glaubwürdig an (siehe<br />
Fokus), und unser Ausblick für EUR/CHF<br />
bleibt unverändert positiv: Auch bei 1.20 ist<br />
der Schweizer Franken gegenüber dem Euro<br />
fundamental überbewertet. Zudem hat<br />
sich das charttechnische Bild für den Euro<br />
verbessert. Während wir den US-Dollar<br />
gegenüber dem Euro eher schwächer sehen,<br />
erwarten wir, dass er gegenüber dem<br />
Schweizer Franken noch etwas ansteigen<br />
wird. Eine starke Erholung des US-Dollar<br />
in Richtung Parität ist allerdings unwahrscheinlich.<br />
Marcus Hettinger<br />
Index<br />
80<br />
40<br />
0<br />
01.2006<br />
03.2007 05.2008 07.2009 09.2010<br />
US-Konsumstimmung<br />
Kumulierte Gesamtrendite in CHF<br />
103<br />
101<br />
99<br />
97<br />
01.20<strong>11</strong><br />
03.20<strong>11</strong> 05.20<strong>11</strong> 07.20<strong>11</strong> 09.20<strong>11</strong><br />
Industrie Finanzwesen<br />
Wachstumssorgen belasten EMWährungen<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Entwicklung der Währungen zum USD im letzten Monat in %<br />
– 2<br />
– 4<br />
0 Aufwertung vs. USD<br />
– 12<br />
– 16<br />
Abwertung vs. USD<br />
JPY<br />
CNY<br />
HKD<br />
ARS<br />
ILS<br />
PHP<br />
THB<br />
IDR<br />
CAD<br />
TRY<br />
TWD<br />
GBP<br />
MYR<br />
NZD<br />
EUR<br />
AUD<br />
SGD<br />
KRW<br />
INR<br />
NOK<br />
CZK<br />
MXN<br />
SEK<br />
RUB<br />
PLN<br />
ZAR<br />
HUF<br />
BRL<br />
CHF<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Invest<br />
Ill<br />
Aktien<br />
Rohstoffe<br />
Immobilien<br />
Global:<br />
Bewertungskennzahlen signalisieren<br />
Aufwärtspotenzial<br />
Die Bereitschaft von Anlegern, am Aktienmarkt<br />
Risiko zu nehmen, nähert sich dem<br />
Tiefstand der letzten 15 Jahre. Die Fundamentaldaten<br />
bleiben aber attraktiv. Das<br />
erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)<br />
wie auch die (nach unten revidierten!) Kursziele<br />
der Analysten signalisieren beträchtliches<br />
Aufwärtspotenzial. Dabei bestehen<br />
zwei Vorbehalte: Kurzfristig gibt eher die<br />
Stimmung als die fundamentale Lage den<br />
Ausschlag. Zudem werden Unternehmen in<br />
der anlaufenden Berichtssaison wohl eher<br />
vorsichtige Prognosen abgeben. Im Vergleich<br />
zur pessimistischen Stimmung könnten diese<br />
jedoch immer noch positiv ausfallen.<br />
Michael O'Sullivan, Drazenko Lakic<br />
Global:<br />
Rohstoffe – Gold mit Erholungspotenzial<br />
nach Korrektur<br />
Der September war ein schwieriger Monat<br />
für Rohstoffe. Die Kombination aus schwächerem<br />
Wirtschaftswachstum und einer<br />
erschwerten Finanzierung spekulativer Anlagen<br />
hat zu einer Korrektur geführt. Der Ausblick<br />
für zyklische Rohstoffe ist verhalten.<br />
Gold dürfte sich allerdings erholen. Trotz der<br />
Korrektur erscheint uns der Aufwärtstrend<br />
intakt und die Aussicht auf längerfristig tiefe<br />
Zinsen dürfte die Nachfrage hoch halten.<br />
Tobias Merath<br />
Gold hat korrigiert, aber Aufwärtstrend intakt<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Goldpreis (Unze)<br />
1600<br />
Schweiz:<br />
Schweizer Wohnimmobilien –<br />
Kurzfristig noch steigende Preise<br />
Da die Nationalbank die Zinsen wohl noch<br />
länger auf rekordtiefen Niveaus belassen<br />
wird, erwarten wir – trotz der hohen Bewertungen<br />
– eine anhaltend starke Nachfrage<br />
nach Wohnungen und einen weiteren<br />
Preisanstieg. Allerdings koppeln sich die<br />
Immobilienpreise nun zunehmend von der Einkommensentwicklung<br />
ab. Zudem bleibt<br />
die Wohnbautätigkeit sehr stark. Mittelfristig<br />
sollten diese Faktoren die Preisanstiege<br />
dämpfen. Martin Bernhard<br />
Starker Anstieg der Schweizer Wohnimmobilienpreise<br />
Quelle: Wüest & Partner, Credit Suisse<br />
Preisindex (1. Q 2000 = 100)<br />
150<br />
Schweiz:<br />
Schweizer Aktien heraufgestuft<br />
Wir haben unsere Einschätzung des schweizerischen<br />
Aktienmarkts relativ zu ausländischen<br />
Märkten heraufgestuft. Ein Hauptgrund<br />
ist die neue Euro-Untergrenze, die das<br />
Gewinnrisiko für Schweizer Unternehmen<br />
mittelfristig reduziert. Ausserdem sollten die<br />
defensiven Schwergewichte im Schweizer<br />
Markt angesichts noch ungelöster Probleme<br />
in der EWU und der konjunkturellen Schwächephase<br />
eine stabilere Performance zeigen.<br />
Allerdings könnten die Unternehmensresultate<br />
wegen der bisherigen Frankenstärke und<br />
recht hoher Gewinnerwartungen kurzfristig<br />
noch enttäuschen. Reto Hess, Drazenko Lakic<br />
Bewertung der Aktienmärkte ist günstig<br />
Quelle: Datastream, Credit Suisse<br />
12-Monats-Ausblick KGV MSCI World<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
1990 1994 1998 2002 2006<br />
MSCI World Durchschnitt<br />
+/-1 Standardabweichung<br />
2010<br />
1200<br />
800<br />
400<br />
Fokus Kann die SNB die EuroUntergrenze halten?<br />
Die SNBUntergrenze hält<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
In % (p.a., in CHF)<br />
1.20<br />
1.00<br />
09.2008 05.2009 01.2010 09.2010 05.20<strong>11</strong><br />
Gold in CHF<br />
05.20<strong>11</strong> 06.20<strong>11</strong> 07.20<strong>11</strong> 08.20<strong>11</strong> 09.20<strong>11</strong><br />
EUR/CHF-Wechselkurs<br />
Gold in USD<br />
SNB-Untergrenze<br />
Eigentumswohnungen Schweiz<br />
Einfamilienhäuser Schweiz<br />
Die anhaltenden Spannungen in der<br />
EWU und die Furcht vor Rezessionsund<br />
Deflationsrisiken haben die SNB<br />
veranlasst, einen Mindestkurs für den<br />
Euro bei CHF 1.20 festzulegen. Wird die<br />
SNB diesen Kurs verteidigen können?<br />
Grundsätzlich ja, denn die Notenbank<br />
könnte unbegrenzte Mengen an Franken<br />
«drucken» und gegen Fremdwährungen<br />
verkaufen. Allerdings ist diese<br />
Drohung nur glaubwürdig, wenn sie dadurch<br />
ihr Inflationsziel nicht in Frage<br />
stellt. Vorläufig ist Inflation kein Thema: Sowohl die jüngsten Inflationszahlen<br />
wie auch die stark nach unten revidierten Prognosen der SNB, der Credit Suisse<br />
und anderer Institute deuten auf ein bis zwei Jahre hinaus auf eine sehr tiefe,<br />
wenn nicht gar negative Inflation hin. Zudem begünstigt die Zinsdifferenz den<br />
Euro, wenngleich sich diese verringern würde, falls die EZB ihre Leitzinsen<br />
senkt. Trotzdem: Die Kombination von EuroUntergrenze und sehr tiefen CHF<br />
Zinsen könnte den Appetit von Anlegern auf den ihr gebotenen «Free Lunch»<br />
(so genannte Carry Trades) wecken und der Strategie der SNB in die Hände<br />
spielen. Marcus Hettinger, Oliver Adler<br />
130<br />
<strong>11</strong>0<br />
90<br />
2000<br />
2003 2006 2009<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
lV<br />
Invest<br />
Performance und Prognosen im Überblick<br />
Wichtigste Anlageklassen und Märkte<br />
Aktien<br />
20<strong>11</strong><br />
(bis 26.9.)<br />
Gesamtrendite in CHF (%)<br />
letzte 3 Jahre<br />
(p.a.)<br />
letzte 5 Jahre<br />
(p.a.)<br />
Erwartete Rendite 1 und Risiko (% p.a.)<br />
1 Jahr 5 Jahre Risiko 2<br />
MSCI World –16.4 –9.5 –10.0 13.2 9.3 17.7<br />
S&P 500 –<strong>11</strong>.3 – 7.2 –8.7 14.9 8.5 16.2<br />
Eurostoxx 50 –19.3 – 15.3 –14.1 21.0 9.3 20.7<br />
SMI –16.8 – 7.5 –4.5 9.6 7.4 19.0<br />
MSCI Emerging Markets –29.0 – 4.8 –4.3 17.7 <strong>11</strong>.8 28.3<br />
Obligationen 3<br />
Schweiz 1.7 4.7 3.3 0.5 1.9 3.0<br />
Eurozone 1.6 –3.8 –1.0 0.6 3.1 3.2<br />
USA 2.0 –0.9 –0.6 –1.4 1.4 3.8<br />
Schwellenländer –0.9 4.1 1.0 5.7 5.9 16.8<br />
Geldmarkt (CHF) 0.1 0.3 1.1 0.2 1.2 2.6<br />
Alternative Anlagen<br />
DJ UBS Commodities 1.2 2.6 6.1 9.0 8.0 16.8<br />
Gold 9.9 14.9 14.3 15.0 6.2 13.3<br />
Immofonds Schweiz (SIX) 6.2 8.9 6.3 3.0 4.5 7.4<br />
DJ CS Hedge Fund Index –3.0 – 2.7 – 1.5 6.5 6.5 10.1<br />
Konjunktur und Inflation<br />
BIP-Wachstum real (in %) Inflation (in %)<br />
2010 20<strong>11</strong> 5 2012 5 2010 20<strong>11</strong> 5 2012 5<br />
Global 4.9 3.8 3.8 3.2 3.9 3.0<br />
USA 2.9 1.6 1.8 1.6 3.0 1.4<br />
Japan 4.0 –0.3 1.7 – 0.9 0.2 0.0<br />
Eurozone 1.5 1.8 1.4 1.6 2.6 1.5<br />
Deutschland 3.5 3.0 1.6 1.2 2.4 1.5<br />
Schwellenländer 4 8.6 7.1 6.8 5.0 5.8 4.7<br />
China 10.3 8.8 8.5 3.3 5.2 3.6<br />
Schweiz 2.8 1.9 2.0 0.7 0.3 1.0<br />
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Die Informationen und Meinungen in diesem Bericht wurden von<br />
der Credit Suisse per angegebenem Datum erstellt und können<br />
sich ohne vorherige Mitteilung ändern. Der Bericht wurde einzig<br />
zu Informationszwecken publiziert und ist weder ein Angebot noch<br />
eine Auf forderung seitens oder im Auftrag der Credit Suisse zum<br />
Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder ähnlichen Finanzinstrumenten<br />
oder zur Teilnahme an einer spezifischen Handelsstrategie<br />
in irgendeiner Rechts ordnung. Der Bericht wurde ohne<br />
Berücksichtigung der Zielsetzungen, der finanziellen Situation<br />
oder der Bedürfnisse eines bestimmten Anlegers erstellt. Der<br />
Bericht enthält keinerlei Empfehlungen rechtlicher Natur oder hinsichtlich<br />
Inves titionen, Rechnungslegung oder Steuern. Er stellt<br />
auch in keiner Art und Weise eine auf die persönlichen Umstände<br />
eines Anlegers zugeschnittene oder für diesen angemessene<br />
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Anleger gerichtete Empfehlung dar. Ver weise auf frühere Entwicklungen<br />
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die Credit Suisse als zuver lässig erachtet. Dennoch kann keine<br />
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geleistet werden. Die Credit Suisse lehnt jede Haftung für Verluste<br />
aus der Verwendung dieses Berichts ab.<br />
WEDER DER VORLIEGENDE BERICHT NOCH KOPIEN DAVON<br />
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Dieser Bericht wird von der Schweizer Bank Credit Suisse verteilt,<br />
die der Zulassung und Re gulierung der Eidgenös sischen Finanzmarktaufsicht<br />
untersteht.<br />
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Zinsen (in%)<br />
Kurzfristzinsen (3M-Libor) 6 Renditen 10-J.-Staatsanleihen 6<br />
26.9. in 3M in 12M 26.9. in 3M in 12M<br />
USA 0.36 0.4 0.4 1.81 2.4 2.7<br />
Deutschland 1.53 1.6 1.6 1.68 1.9 2.3<br />
Grossbritannien 0.95 0.9 0.9 2.43 2.5 2.8<br />
Japan 0.33 0.2 0.2 0.98 1.0 1.2<br />
Schweiz 0.01 0.1 0.1 0.95 1.1 1.5<br />
Währungen<br />
CHF pro Fremdwährung 6 pro EUR 6<br />
26.9. in 3M in 12M 26.9. in 3M in 12M<br />
CHF – – – 1.22 1.25 1.30<br />
USD 0.91 0.93 0.93 1.35 1.35 1.40<br />
CAD 0.88 0.88 0.88 1.39 1.42 1.48<br />
GBP 1.41 1.42 1.44 0.87 0.88 0.90<br />
JPY 7 1.19 1.22 1.22 103.05 102.60 106.40<br />
CNY 7 14.08 14.47 15.22 8.60 8.64 8.54<br />
Quelle: Credit Suisse, Bloomberg, Datastream<br />
1 Aktien und Obligationen in Lokalwährung, DJ UBS Commodities Index, Gold und DJ CS Hedge Fund Index in USD 2 Erwartete Standardabweichung<br />
der Rendite 3 Schweiz: Credit Suisse LSI Ex-Eidgenossen, Eurozone: Barclays Euro Agg 1-10Y TRSY, USA: Barclays US Govt Intermediate Bond,<br />
Schwellenländer: JPM EMBI+, Geldmarkt (CHF): JPM Cash CHF 1M 4 Acht grösste Schwellenländer 5 Prognosen 6 Prognosen vom 26.9.20<strong>11</strong><br />
7 Preis von 100 JPY resp. CNY in CHF<br />
Impressum Invest<br />
Herausgeber Credit Suisse AG, Global Research,<br />
Postfach 300, 8070 Zürich<br />
EMail publications.research@credit-suisse.com<br />
Internet www.credit-suisse.com/research<br />
Beiträge Oliver Adler, Martin Bernhard, Fabian Heller,<br />
Reto Hess, Marcus Hettinger, Stefan Klein, Drazenko Lakic,<br />
Tobias Merath, Michael O’Sullivan, Frank Reiner<br />
Konzept und Layout www.arnold.inhaltundform.com<br />
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1,4 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt bei. Sie ist so bedeutend<br />
wie das Autogewerbe und wichtiger als das Immobilienwesen.<br />
Foto: Gaetan Bally, Keystone<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Ein Mitarbeiter der Pavatex SA, Cham,<br />
schaufelt Hackschnitzel in einer Lagerhalle<br />
des Unternehmens.<br />
<strong>Holz</strong> ist wohl einer der ältesten Bau- und<br />
Energiestoffe überhaupt. Schon unsere frühen<br />
Vorfahren benutzten den natürlich wachsenden<br />
Rohstoff zur Wärmegewinnung oder<br />
für den Hüttenbau. <strong>Holz</strong> ist aber noch viel<br />
mehr. Aus <strong>Holz</strong> werden Möbel und Sport geräte<br />
hergestellt, <strong>Holz</strong> ist der Grundstoff für<br />
Papier, und <strong>Holz</strong> findet sich beispielsweise<br />
auch in Lacken und Lebensmittelzusätzen.<br />
Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit<br />
ist <strong>Holz</strong> verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit<br />
gerückt, dies nicht zuletzt aufgrund<br />
seiner CO 2 -Neutralität. Ausdruck dieses<br />
Interesses ist beispielsweise das derzeit<br />
anlaufende Nationale Forschungsprojekt<br />
zum Thema «Ressource <strong>Holz</strong>» (NFP 66). <strong>Holz</strong><br />
ist aber nicht bloss ein Werk- und Energiestoff,<br />
sondern auch der Grundstoff für einen<br />
gesamten Industriezweig.<br />
Die Wertschöpfungskette des <strong>Holz</strong>es<br />
Abb. 1 Die Wertschöpfungskette in der Schweizer <strong>Holz</strong>industrie<br />
Rund ein Drittel der Schweiz ist mit Wald bedeckt. In der Nutzung wird dabei zwischen Brennholz,<br />
Stammholz und Industrieholz unterschieden. Quelle: Credit Suisse Economic Research, in Anlehnung an pro<strong>Holz</strong> Austria<br />
Brennholz<br />
Energiewerke<br />
<strong>Holz</strong>verarbeitung/<br />
Forstwirtschaft Stammholz Sägerei Schnittholz<br />
Konsument<br />
Schreinereien Möbel<br />
Industrieholz<br />
Faserstoffe<br />
Restholz<br />
Papier/<br />
Chemie<br />
Energie<br />
Lacke/Papier<br />
Altholz<br />
Die <strong>Holz</strong>wirtschaft gehört zwar nicht zu den<br />
Schwergewichten der Schweizer Volkswirtschaft<br />
wie die Pharmaindustrie, die Branche<br />
im engeren Sinne mit den Pfeilern Forstwirtschaft<br />
und <strong>Holz</strong>verarbeitung erwirtschaftete<br />
2009 aber eine Bruttowertschöpfung von<br />
etwa 7,2 Milliarden Schweizer Franken. Sie<br />
trug damit 1,4 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt<br />
bei und ist somit in Bezug auf<br />
die Wertschöpfung vergleichbar mit dem<br />
Autogewerbe und sogar bedeutender als das<br />
Immobilienwesen.<br />
Am Anfang der Wertschöpfungskette der<br />
<strong>Holz</strong>wirtschaft (siehe Abbildung links) steht die<br />
Forstwirtschaft. Je nach Art des verwendeten<br />
<strong>Holz</strong>es (Brenn-, Stamm- oder Industrieholz)<br />
teilt sie sich anschliessend in drei verschiedene<br />
Nutzungszweige auf. Brennholz wird<br />
zur Energieerzeugung verwendet, Industrieholz<br />
wird zu Faserstoffen weiterverarbeitet,<br />
die schliesslich in der Papier- oder der chemischen<br />
Industrie Verwendung finden, und<br />
Stammholz wird in Sägereien zu Schnittholz<br />
verarbeitet, das letztlich als Zimmereiprodukt<br />
oder Möbelstück zum Konsumenten gelangt.<br />
Die Schweiz deckt nicht die ganze Wertschöpfungskette<br />
der <strong>Holz</strong>wirtschaft im Inland<br />
ab. Beachtliche Mengen Rundholz werden ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
36 Economic Research <strong>Holz</strong><br />
exportiert und in verarbeiteter Form (etwa als<br />
Leimbinder) wieder importiert. Wichtige Teile<br />
der Wertschöpfung werden somit im Ausland<br />
erbracht. Dies äussert sich in der stark negativen<br />
Handelsbilanz der Schweizer <strong>Holz</strong>wirtschaft.<br />
Am Anfang steht der Baum<br />
<strong>Holz</strong>kraftwerk in Kaiseraugst<br />
«Eine nachhaltige Nutzung des<br />
Waldes würde die Entnahme<br />
von zusätzlich drei Millionen<br />
Kubikmeter <strong>Holz</strong> erlauben.»<br />
Marco Caprarese<br />
Der Energiekonzern Axpo plant derzeit im aargauischen Kaiseraugst ein<br />
<strong>Holz</strong>kraftwerk, das Strom für 2200 Haushalte produzieren soll. Mit der entstehenden<br />
Abwärme könnten zudem 4100 Haushalte mit Fernwärme beheizt<br />
werden. Befeuert werden soll die Anlage grösstenteils mit Altholz aus der<br />
Region, das bisher zur Entsorgung nach Basel oder ins Ausland gefahren<br />
wurde. Das Projekt sorgt bei der lokalen Bevölkerung für heisse Köpfe. Kritisiert<br />
werden insbesondere die zusätzlichen Lärm und Feinstaubimmissionen.<br />
Im Bauauflageverfahren wurden insgesamt 16 Einsprachen eingereicht.<br />
Die Axpo verweist auf den Umweltverträglichkeitsbericht und verspricht, die<br />
Immis sionen durch technische Massnahmen auf ein absolutes Minimum zu<br />
beschränken, und hofft auf eine einvernehmliche Lösung. Am Widerstand der<br />
Bevölkerung scheiterten ähnliche Projekte in Bischofszell und in Würenlingen.<br />
Die Forstwirtschaft liefert den Rohstoff für<br />
die <strong>Holz</strong>industrie. In den 1,26 Millionen Hektaren<br />
Schweizer Wald (rund ein Drittel des<br />
Landes ist bewaldet, 29 Prozent des Schweizer<br />
Waldes ist in Privatbesitz) wurden im<br />
vergangenen Jahr 5,1 Millionen Kubikmeter<br />
<strong>Holz</strong> geerntet. Dabei wird das nachhaltige<br />
Nutzungspotenzial des Waldes bei Weitem<br />
noch nicht ausgeschöpft. Berechnungen der<br />
Schwei zerischen Hochschule für Landwirtschaft<br />
(SHL) und der Eidgenössischen Forschungsanstalt<br />
für Wald, Schnee und Landschaft<br />
(WSL) zeigen, dass eine nachhaltige<br />
Nutzung die Entnahme von zusätzlich drei Millionen<br />
Kubikmeter <strong>Holz</strong> erlauben würde. Ein<br />
bedeutender Teil des 2010 geernteten <strong>Holz</strong>es<br />
stammte aus dem Mittelland (35 Prozent),<br />
die Voralpen trugen 24 Prozent zur <strong>Holz</strong> ernte<br />
bei, und rund 22 Prozent des <strong>Holz</strong>es wurden<br />
im Jura geschlagen. In den letzten Jahren ist<br />
eine vermehrte Verlagerung der Nutzung vom<br />
Mittelland in die gebirgigen Regionen festzustellen,<br />
deren Wälder oftmals deutlich weniger<br />
genutzt werden als diejenigen des Mittellandes.<br />
Der Wald ist aber mehr als blosser Rohstofflieferant<br />
für die <strong>Holz</strong>wirtschaft. Je nach<br />
Sicht der Akteure und Interessengruppen<br />
im und um den Wald muss dieser nebst seiner<br />
Funktion als <strong>Holz</strong>lieferant zahlreiche andere<br />
Aufgaben erfüllen. Wichtige Funktionen sind<br />
dabei Schutz und Erholung (siehe Dossier Wald).<br />
Diese Multifunktionalität des Waldes führt<br />
immer wieder zu Nutzungskonflikten. Der<br />
Erhalt eines nachhaltigen Gleichgewichts<br />
zwischen den verschiedenen Nutzungsarten<br />
ist das Ziel des Waldgesetzes. Daneben soll<br />
es den Wald in seiner heutigen Ausdehnung<br />
erhalten und als naturnahe Lebensgemeinschaft<br />
schützen. Nicht zuletzt hat es aber<br />
auch zum Ziel, die Waldwirtschaft zu fördern<br />
und zu erhalten. Das Schweizer Waldgesetz<br />
erntet auch internationale Anerkennung. Es<br />
wurde zusammen mit den Waldgesetzen fünf<br />
weiterer Länder für den Future Policy Award<br />
20<strong>11</strong> der UNO nominiert.<br />
Aus dem Stamm wird ein Brett – und mehr<br />
Knapp 60 Prozent der ge ernteten <strong>Holz</strong>menge<br />
sind Stammholz. Davon gehen 70 Prozent<br />
an hiesige Sägereien und Furnierwerke, der<br />
Rest wird exportiert. In den Sägereien wird<br />
aus dem angelieferten Rundholz Schnittholz<br />
produziert. Die Ausbeute liegt aber lediglich<br />
bei rund 60 Prozent. Die restlichen 40 Prozent<br />
fallen als Restholz (zum Beispiel als<br />
Hobelspäne oder Hackschnitzel) an. Dieser<br />
Ausschuss wird entweder zu Spanplatten wei-<br />
Foto: Martin Stollenwerk<br />
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<strong>Holz</strong> Economic Research 37<br />
terverarbeitet oder dient der Energiegewinnung<br />
und der Produktion von Faserstoffen.<br />
Zwischen 50 und 60 Prozent der Schnittholzproduktion<br />
gehen in das Baugewerbe.<br />
Aufgrund des intensiven Wettbewerbs mit<br />
ausländischen Anbietern, insbesondere aus<br />
Deutschland und Österreich, durchlebt die<br />
Sägereibranche gegenwärtig einen starken<br />
Strukturwandel. Die Anzahl der Betriebe<br />
ist seit 1998 im Durchschnitt jährlich um<br />
3,6 Prozent zurückgegangen, die Beschäftigung<br />
gab um durchschnittlich 3,1 Prozent<br />
pro Jahr nach. Nebst den Herausforderungen<br />
durch die starke Konkurrenz beklagen<br />
vor allem grosse und mittelgrosse Sägereibetriebe<br />
immer wieder die mangelnde Verfügbarkeit<br />
inländischen, insbesondere qualitativ<br />
hochstehenden <strong>Holz</strong>es. Als Gründe für<br />
das geringe Angebot werden oftmals die kleine<br />
Parzellierung des Schweizer Waldes, das<br />
relativ unelastische Angebot der Waldbesitzer<br />
sowie die durch die Unternutzung überalterten<br />
Baumbestände ins Feld geführt.<br />
Aus dem Brett wird ein Möbel – und mehr<br />
Der Traum vom Grosssägewerk in Domat/Ems<br />
Lange Zeit hegte man in Graubünden den Wunsch, den Rohstoff <strong>Holz</strong> besser<br />
zu nutzen. Ziel war die Integration der Wertschöpfungskette in der Region.<br />
1997 wurde der Traum konkret, indem die Planung eines grossen, zentralen<br />
Sägewerks Eingang ins Wirtschaftsleitbild der Regierung fand. 2007 nahm<br />
die Stallinger Swiss Timber AG in Domat/Ems ihre Tätigkeit auf. Bald verdunkelten<br />
sich die Wolken, zumal der Grosse Rat eine Kostenbeteiligung ablehnte.<br />
Die nach einer Übernahme unter dem Namen MayrMelnhof Swiss Timber AG<br />
bekannte Sägerei litt zum einen unter ihrer Grösse – die bei der Planung<br />
angenommenen Rundholz mengen konnten nicht beschafft werden, wodurch<br />
das Werk nur zu 30 Prozent ausgelastet war –, und zum anderen liess die<br />
SubprimeKrise die Nachfrage aus dem USamerikanischen Markt einbrechen.<br />
Zuletzt erschwerte auch der starke Schweizer Franken die Exporte der<br />
Sägereiprodukte. Der Sanierungsplan sah den Ausbau zu einem integrierten<br />
<strong>Holz</strong>verarbeitungsbetrieb vor. Nebst der Sägerei sollten vor Ort eine Pelletfabrik<br />
sowie ein Brettsperrholzwerk entstehen. Das Vorhaben scheiterte, da<br />
der Grosse Rat erneut eine Kostenbeteiligung ablehnte. Im Dezember 2010<br />
wurde der Konkurs beantragt. Der Plan des Tiroler <strong>Holz</strong>konzerns Egger, das<br />
Werk zu kaufen und vor Ort weiterzubetreiben, liess neue Hoffnung aufkommen.<br />
Es gelang jedoch nicht, die Schweizer Waldeigentümer zu langfristigen<br />
<strong>Holz</strong>lieferungen im Umfang von 300 000 Kubikmeter pro Jahr zu verpflichten.<br />
Egger zog sich zurück und das Werk ging an die deutsche Firma Klausner,<br />
das die Anlagen abbauen und anderswo weiterbetreiben wird. Erschwerend<br />
kommt dazu, dass das Areal, das vor der Um zonung mit der geschützten<br />
ErikaFöhre bewaldet war, mit einer Nutzungseinschränkung ausschliesslich<br />
für die <strong>Holz</strong>verarbeitung belegt ist.<br />
Die Schreinereien machen den Löwenanteil<br />
der Branche aus. Die über 5600 Betriebe<br />
beschäftigen hierzulande mehr als 30 000<br />
Personen (Vollzeitäquivalente). Die Nachfrage<br />
nach ihren Produkten stammt grösstenteils<br />
aus der Neu- und Umbautätigkeit in der<br />
näheren Umgebung. Dies macht die Schreinereien<br />
zu einer ausgesprochenen Binnenbranche,<br />
deren Wohlergehen stark von der<br />
Bauwirtschaft bestimmt wird. Die Abhängigkeit<br />
vom Bau äussert sich nicht zuletzt<br />
in einem ausgeprägt saisonalen Verlauf der<br />
Umsätze.<br />
Die Schreinereien profitieren stark von der<br />
gestiegenen Umweltsensitivität der Bevölkerung<br />
und der damit einhergehenden zunehmenden<br />
Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als nachhal<br />
tigem, regionalem Baustoff. Der Branche<br />
zum Vorteil gereichte zudem die Lockerung<br />
der Brandschutzvorschriften, die seit einigen<br />
Jahren nun auch den Bau mehrgeschossiger<br />
Wohn- und Wirtschaftsbauten mit einer Tragstruktur<br />
aus <strong>Holz</strong> erlauben.<br />
Aus <strong>Holz</strong> werden Strom und Wärme<br />
Die Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als Energieträger<br />
hat in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls<br />
zugenommen. Dafür verantwortlich sind nebst<br />
dem bereits erwähnten gestiegenen Umweltbewusstsein<br />
immer breiterer Bevölkerungsschichten<br />
auch die langfristig tendenziell ><br />
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38 Economic Research <strong>Holz</strong><br />
steigenden Ölpreise und die von Bund und<br />
Kantonen geförderten energetischen Sanierungen,<br />
womit unter anderem der Ersatz<br />
bestehender Ölheiz anlagen finanziell<br />
unterstützt wird. Für einen zusätzlichen<br />
Nachfrageschub dürfte mittel- bis langfristig<br />
auch der geplante Ausstieg aus der<br />
Atomenergie sorgen. Gegenüber Energieträgern<br />
wie Erdöl und Erdgas hat <strong>Holz</strong> den<br />
Vorteil, dass es lokal verfügbar ist und bei<br />
der Verbrennung nur so viel CO 2 ausgestossen<br />
wird, wie der Baum während des<br />
Wachstums absorbiert hat. Vom in der<br />
Schweiz eingeschlagenen <strong>Holz</strong> ist gut ein<br />
Drittel Energieholz. Zur Energieerzeugung<br />
wird neben diesem direkt aus der Forstwirtschaft<br />
bezogenen Energieholz immer<br />
mehr auch Restholz aus Sägereien (zum<br />
Beispiel zu Pellets gepresst) oder Altholz<br />
verwendet.<br />
Trotz Hausaufgaben intakte Aussichten<br />
Gelingt es der Schweizer <strong>Holz</strong>industrie,<br />
die be stehenden Herausforderungen zu<br />
meistern, stehen die Chancen gut, dass<br />
sie von den Trends der Zukunft profitieren<br />
wird. Für eine intakte Nachfrage dürften<br />
mittel- und langfristig das zunehmende<br />
Umweltbewusstsein der Bevölkerung, die<br />
tendenziell steigen den Ölpreise sowie der<br />
geplante Atomausstieg sorgen. Trotzdem<br />
bleiben einige Hausaufgaben zu erledi gen.<br />
Der Zugang zu einheimischem <strong>Holz</strong> ist<br />
durch eine Vergrösserung der Parzellierung<br />
oder durch die Bildung von Kooperationen<br />
zu fördern. So führen unter anderem<br />
die komplexen Waldbesitzverhältnisse, die<br />
hoheitliche Forstaufsicht und der Umstand,<br />
dass in der Schweiz die <strong>Holz</strong>ernte nicht von<br />
einem einzelnen Unternehmer, sondern in<br />
Arbeitsteilung zwischen Forstbetrieb und<br />
Unternehmer erfolgt, dazu, dass in der<br />
Schweiz im Vergleich etwa zu Finnland<br />
doppelt so viele Akteure an der <strong>Holz</strong>ernte<br />
beteiligt sind. Schlankere Prozesse würden<br />
letztlich Produk tivi tätsstei ge rungen in der<br />
Forstwirtschaft ermöglichen. Eine weitere<br />
Integration der Wertschöpfungsketten,<br />
sprich ein Ausbau der Verarbeitungskapazitäten<br />
in der Schweiz, bietet zusätzliche<br />
Optionen. Dies würde den Anteil der Wertschöpfungserbringung<br />
der <strong>Holz</strong>wirtschaft<br />
er hö hen. Gerade für periphere und strukturschwache<br />
Regionen ergäben sich daraus<br />
Chancen. Entsprechende Initia tiven<br />
versucht der Bund über die Neue Regionalpolitik<br />
(NRP) zu initiieren. Marco Caprarese,<br />
Economic Research Industry Analysis<br />
<strong>Holz</strong>nutzung<br />
und Produktion<br />
von CO2<br />
Die <strong>Holz</strong>verbrennung ist – im Gegensatz zur Verbrennung<br />
fossiler Brennstoffe wie Erdöl oder Kohle – CO 2 neutral.<br />
Daher ist <strong>Holz</strong> ein Bau und Brennstoff mit Zukunft.<br />
Die Menschheitsgeschichte ist eng mit dem<br />
<strong>Holz</strong> verbunden, denn <strong>Holz</strong> ist der älteste<br />
Energieträger und Baustoff. So wurde <strong>Holz</strong><br />
schon früh als Wärmequelle und für Werkzeuge<br />
genutzt. Später folgte die Verwendung<br />
für Schiff-, Fahrzeug- und Hausbau.<br />
Im Zuge des industriellen Fortschritts verlor<br />
<strong>Holz</strong> in entwickelten Ländern durch den<br />
Einsatz einer Vielzahl neuer Rohstoffe wie<br />
Erdöl und der daraus hergestellten Kunststoffe<br />
stark an Bedeutung. Durch die zunehmende<br />
Relevanz klimaschädigender<br />
Emissionen in der öffentlichen Diskussion<br />
gewinnt <strong>Holz</strong> als CO 2 -neutraler Brenn- und<br />
Baustoff allerdings wieder an Attraktivität.<br />
Die Schweiz hat die im Kyoto-Protokoll festgelegten<br />
Emissionsziele bislang klar verfehlt.<br />
Eine verstärkte <strong>Holz</strong>nutzung könnte<br />
einen wesentlichen Beitrag zur Zielerreichung<br />
leisten. Zurzeit werden durch die<br />
Verwendung von <strong>Holz</strong> in der Schweiz jährlich<br />
bereits 2,3 Millionen Tonnen CO 2 -Emissionen<br />
vermieden. Durch eine intensivere,<br />
aber dennoch nachhaltige Nutzung könnten<br />
im langjährigen Durchschnitt zusätzlich<br />
Abb. 1 CO 2 Einsparungen durch <strong>Holz</strong>nutzung<br />
etwas mehr als fünf Prozent der heutigen<br />
Emissionen eingespart werden.<br />
CO 2 neutraler Brenn und Baustoff<br />
Das bei der <strong>Holz</strong>verbrennung entstehende<br />
CO 2 entspricht genau der Menge, die von<br />
den Bäumen während der gesamten Lebensdauer<br />
aus der Luft aufgenommen und<br />
im <strong>Holz</strong> eingespeichert wurde. Daher ist die<br />
<strong>Holz</strong>verbrennung – im Gegensatz zur Verbrennung<br />
fossiler Brennstoffe wie Erdöl<br />
und Kohle – CO 2 -neutral. Wird ein Kubikmeter<br />
<strong>Holz</strong> anstelle von Erdöl mit demselben<br />
Energiegehalt verbrannt, werden<br />
damit etwa 600 Kilogramm CO 2 eingespart.<br />
Davon entfallen 100 Kilogramm auf das<br />
Ausland wegen des Transports und der<br />
Raffinierung der fossilen Brennstoffe. Eine<br />
wesentlich höhere Einsparung lässt sich<br />
jedoch durch die Verwendung von <strong>Holz</strong> als<br />
Baustoff erzielen. Eisenträger, deren Herstellung<br />
mit hohen CO 2 -Emis sionen verbunden<br />
ist, können oftmals durch <strong>Holz</strong>träger<br />
ersetzt werden. Setzt man beim Bau eines<br />
Einfamilienhauses den maximal möglichen<br />
Pro Kubikmeter <strong>Holz</strong> können im Idealfall 1,3 Tonnen CO 2 -Emissionen eingespart werden.<br />
Damit erweist sich <strong>Holz</strong> als Brenn- und Baustoff mit Zukunft. Quelle: Bundesamt für Umwelt (BAFU)<br />
Vermeidung von CO 2 -Emissionen pro m 3 <strong>Holz</strong><br />
Nur Schweiz Ausland Total inkl. Ausland<br />
Substitution von fossilen Brennstoffen 0.5 t 0.1 t 0.6 t<br />
Substitution von Baustoffen 0.3 t 0.4 t 0.7 t<br />
Zusätzliche Einsparung aus<br />
späterer Nutzung als Brennstoff<br />
0.5 t 0.1 t 0.6 t<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
<strong>Holz</strong> Economic Research 39<br />
Foto: Martin Stollenwerk<br />
Anteil <strong>Holz</strong> ein, können im Vergleich zu einem<br />
mit konventionellen Baustoffen hergestellten<br />
Haus etwa 64 Tonnen CO 2 eingespart werden.<br />
Zum Vergleich: Ein Durchschnittsschweizer<br />
verursacht jährlich eine Menge von rund<br />
5,6 Tonnen CO 2 . Allgemein betrachtet, verringert<br />
die Verwendung von <strong>Holz</strong> anstelle von<br />
anderen Baustoffen die CO 2 -Emissionen um<br />
300 Kilogramm pro verbauten Kubikmeter<br />
<strong>Holz</strong>. Hinzu kommen etwa 400 Kilogramm<br />
CO 2 , die im Ausland eingespart werden, da<br />
viele der ersetzten Baumaterialien importiert<br />
werden. Wird das eingesetzte <strong>Holz</strong> später<br />
nach dem Abbruch der Gebäude energetisch<br />
genutzt, können zu diesem Wert zusätzliche<br />
600 Kilogramm CO 2 hinzugerechnet werden.<br />
Daraus ergibt sich für die Schweiz ein totales<br />
Einsparungspotenzial von insgesamt<br />
1300 Kilo gramm CO 2 pro verbauten Kubikmeter<br />
<strong>Holz</strong> (siehe Abbildung).<br />
Stärkere Nutzung mindert CO 2 Emission<br />
«<strong>Holz</strong>feueranlagen<br />
ohne entsprechende<br />
Filter verursachen viel<br />
Feinstaub.» Reto Tanner<br />
Die in der Baubranche und für <strong>Holz</strong>produkte<br />
verwendete <strong>Holz</strong>menge beträgt rund 2,5 Millionen<br />
Kubikmeter. Der Verbrauch von Waldenergie<br />
holz und Restholz beläuft sich auf je<br />
2 Mil lionen Kubikmeter, wobei Restholz etwa<br />
zur Hälfte energetisch genutzt wird. Damit<br />
werden durch den Einsatz von <strong>Holz</strong> in der<br />
Schweiz circa 2,3 Millionen Tonnen weniger<br />
CO 2 ausgestossen, wobei in dieser Zahl der<br />
Effekt der energetischen Nutzung von <strong>Holz</strong><br />
aus entsorgten Gütern nicht enthalten ist.<br />
Diese Zahl stellt bei einem jährlichen CO 2 -<br />
Austoss von circa 44 Millionen Tonnen eine<br />
nicht unerhebliche Menge dar. Aufgrund dessen<br />
hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU)<br />
in einer Studie untersucht, wie viel CO 2 -Emissionen<br />
durch eine noch stärkere <strong>Holz</strong>verwendung<br />
zusätzlich eingespart werden könnten.<br />
Den Berechnungen im Rahmen dieser<br />
Studie wurden zum einen eine intensivere<br />
Waldnutzung sowie eine bessere Ausnutzung<br />
des geschlagenen <strong>Holz</strong>es durch stärkere<br />
Verwendung von Reisig und Rinde<br />
unterstellt. Zum anderen ging man davon aus,<br />
dass <strong>Holz</strong> verstärkt als Ersatz für herkömmliche<br />
Baustoffe und andere Materialien verwendet<br />
wird, weil dadurch der CO 2 -Ausstoss<br />
besonders stark reduziert werden kann (vgl.<br />
Abbildung 1). Basierend auf einem geschätzten<br />
maximalen Marktpotenzial wurde eine<br />
Steigerung des verwendeten <strong>Holz</strong>es um 80<br />
Prozent von 2,5 auf 4,5 Millionen Kubikmeter<br />
angenommen. Bezüglich der Waldnutzung<br />
wurde von einer jährlich genutzten Menge<br />
von momentan circa 6,4 Millionen Kubikmeter<br />
auf 9,2 Millionen Kubikmeter ausgegangen,<br />
was in etwa der Menge entspricht, die<br />
dem Wald entnommen werden kann, ohne<br />
dass dadurch der Waldbestand über die Zeit<br />
abnimmt. Durch diese Massnahmen könnte<br />
im Durchschnitt über hundert Jahre betrachtet<br />
in der Schweiz auf das Jahr gerechnet<br />
zusätzlich eine Menge CO 2 eingespart werden,<br />
die etwas mehr als fünf Prozent der derzeitigen<br />
Emissionen entspricht. Es ist zu<br />
beachten, dass dieser Wert stark von der<br />
Modellierung der ökologischen Zusammenhänge<br />
und der Nachfrage nach <strong>Holz</strong>produkten<br />
abhängt. So ist beispielsweise fraglich,<br />
ob die Nachfrage nach <strong>Holz</strong> als Bau- und<br />
Brennstoff das in der Studie angenommene<br />
Niveau erreichen kann.<br />
<strong>Holz</strong>nutzung hat auch Schattenseiten<br />
Klimagasausstoss in der Schweiz:<br />
CO 2 Mengen versus CO 2 Äquivalente<br />
Während die Nutzung von <strong>Holz</strong> als Baustoff<br />
und für andere Produkte ökologisch weitgehend<br />
positiv ist, entstehen bei der Verbrennung<br />
ohne entsprechende Filteranlagen<br />
erhebliche Mengen gesundheitsschädigenden<br />
Feinstaubs. Besonders ausgeprägt ist<br />
dieses Problem bei der Verbrennung in privaten<br />
<strong>Holz</strong>feueranlagen und noch stärker bei<br />
Kaminfeuerungen, da bei dieser Verbrennungsart<br />
zum einen pro Einheit <strong>Holz</strong> besonders<br />
viele Partikel und Schadstoffe entstehen<br />
und zum anderen diese Emissionen<br />
oft in besiedelten Gebieten anfallen, wo folglich<br />
viele Menschen den Schadstoffen ausgesetzt<br />
sind.<br />
Bei einer Messung an einem Winterabend<br />
in dem an der San-Bernardino-Autobahn liegenden<br />
Dorf Roveredo wurde beispielsweise<br />
festgestellt, dass drei- bis viermal mehr Feinstaub<br />
von <strong>Holz</strong>feuerungen als von der nahen<br />
Autobahn stammen. Im Vergleich ergaben<br />
Messungen in Zürich, dass sich der Feinstaub<br />
aus diesen beiden Quellen in etwa die<br />
Waage hält.<br />
Die Feinstaubbelastung durch <strong>Holz</strong>verbrennung<br />
stellt demnach ein wesentliches<br />
Problem dar. Das kann dadurch gemildert<br />
werden, dass <strong>Holz</strong> in Zukunft vermehrt in<br />
modernen Verbrennungsanlagen mit entsprechenden<br />
Filtersystemen energetisch genutzt<br />
wird, wie dies heute bereits in modernen<br />
<strong>Holz</strong>heizkraftwerken der Fall ist.<br />
Reto Tanner, Economic Research Macro Analysis and Policy<br />
Weitere Informationen zum Wirtschaftsfaktor<br />
<strong>Holz</strong> und zu innovativen Schweizer Firmen unter<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />
Nicht nur Kohlendioxid (CO 2 ), sondern auch andere Gase entfalten<br />
eine klimaerwärmende Wirkung. Um den Klimaeffekt einer Mischung<br />
verschiedener emittierter Gase auszudrücken, wird dieser in so<br />
genannten CO 2 Äquivalenten angegeben. Das in der Landwirtschaft<br />
entstehende Methan hat beispielsweise gemäss dem KyotoProtokoll<br />
pro Kilogramm gegenüber CO 2 eine 21fache klimaerwärmende<br />
Wirkung. Die Wirkung von Distickstoffmonoxid (N 2 O) ist pro Kilogramm<br />
sogar 310 Mal grösser als diejenige von CO 2 . Ebenfalls im<br />
KyotoProtokoll enthalten sind drei synthetische Gase. Diese<br />
machen aber nur einen sehr kleinen Anteil am Klimaeffekt aus.<br />
Andere klimawirksame Gase wurden nicht in die Kyoto Vereinbarung<br />
aufgenommen und werden entsprechend nicht bewertet.<br />
Die in der Schweiz ausgestossenen Klimagas emissionen beliefen<br />
sich im Jahr 2009 auf 52 Millionen Tonnen CO 2 Äquivalente beziehungsweise<br />
auf 6,7 Tonnen pro Kopf. Davon entfielen 44 Millionen<br />
Tonnen oder 5,6 Tonnen pro Kopf auf CO 2 Emissionen. Es gilt aber<br />
zu beachten, dass bei dieser Betrachtung nur die in der Schweiz<br />
emittierten Klimagase enthalten sind. Berücksichtigt man die<br />
bei der Produktion von importierten Produkten sowie die bei internationalen<br />
Flügen von Schweizern entstandenen Emissionen, so<br />
erhöhen sich die ProKopfEmissionen auf – je nach Studie – etwa<br />
zwölf Tonnen CO 2 Äquivalente pro Jahr.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
40 Economic Research Wohnen<br />
Kaufen statt mieten<br />
Wohneigentum ist heute dank der sehr tiefen Hypothekarzinsen preiswerter als eine<br />
vergleichbare Mietwohnung. Eine längere zeitliche Betrachtung zeigt aber,<br />
dass Schweizer für ihre eigenen vier Wände bereit sind, eine Prämie zu entrichten.<br />
Die eigenen vier Wände sind für viele<br />
Schweizer immer noch die Wunschwohnform<br />
schlechthin. In den letzten Jahren konnten<br />
immer mehr Schweizer diesen Traum verwirklichen.<br />
Während sich die Wohneigentumsquote<br />
im Jahr 2000 noch auf 34,6 Prozent<br />
belief, dürfte diese Ende 2010 auf etwa<br />
39 Prozent angestiegen sein. Aus dem Volk<br />
von Mietern wird damit zunehmend ein Volk<br />
von Eigentümern. Dieser Trend wird in den<br />
nächsten Jahren anhalten. In Anbetracht dieser<br />
Entwicklung stellt sich die Frage, ob sich<br />
der Erwerb von Wohneigentum auch aus finanzieller<br />
Sicht lohnt oder ob diesbezüglich<br />
vor allem persönliche Präferenzen im Vordergrund<br />
stehen. Ein reiner Vergleich der jährlichen<br />
Hypothekarzinszahlungen mit der Miete<br />
für eine vergleichbare Wohnung genügt<br />
dazu aber nicht. Für die Beantwortung der<br />
Frage sind alle involvierten Kosten zu berücksichtigen.<br />
Um den Vergleich möglichst adäquat vorzunehmen,<br />
müssen alle materiellen Vor- und<br />
Nachteile von Wohneigentum quantifiziert<br />
werden. Neben den Hypothekarzinskosten<br />
werden dazu auch Abschreibungen auf das<br />
Objekt und Unterhaltskosten mitberücksichtigt.<br />
Zudem werden steuerliche Aspekte<br />
(Ei genmietwert, Abzugsmöglichkeit der<br />
Hypothekarzinsen), Opportunitätskosten des<br />
im Eigenheim gebundenen Kapitals, zu erwartende<br />
Aufwertungsgewinne der Liegenschaft<br />
sowie eine Prämie für das anlage technische<br />
Klumpenrisiko beim Besitz von Wohneigentum<br />
mit in die Berechnungen ein bezogen.<br />
Um dies besser zu veranschaulichen, ist in der<br />
nebenstehenden Tabelle die Rechnung für die<br />
Gemeinde Gossau SG aufgeführt. Die Wohnkosten<br />
für eine mittlere Vierzimmer-Eigentumswohnung<br />
belaufen sich nach dieser vollständigen<br />
Rechnung auf 15 164 Franken. Für<br />
eine vergleichbare Mietwohnung liegt die<br />
Jahresmiete bei 22 200 Franken. Damit ist<br />
Wohneigentum in Gossau rund 32 Prozent<br />
günstiger als eine Mietwohnung. Mit Recht<br />
kann von einem Eigentumsdiscount gesprochen<br />
werden.<br />
«Wohneigentum ist heute bis<br />
zu einem Drittel billiger als<br />
die Miete eines vergleichbaren<br />
Objekts.» Thomas Rieder<br />
Tab. Von der Eigentumsprämie zum Eigentumsdiscount<br />
In Gossau SG hat sich das Wohnaufwandverhältnis zwischen Eigentum und Miete einer mittleren<br />
Vierzimmerwohnung im Vergleich zu 2008 völlig gewandelt. Quelle: Credit Suisse Economic Research<br />
* Belehnung 50%, Fix-Hypothek 5 Jahre, ** Alternativanlage des Eigenkapitals in Staatsobligationen<br />
Ein solcher Discount ist momentan in einem<br />
Grossteil der Schweizer Regionen zu beobachten.<br />
Allerdings existieren grosse regionale<br />
Unterschiede. Diese spiegeln das individuelle<br />
Verhältnis zwischen regionalem<br />
Mietwohnungs- und Wohneigentumsmarkt<br />
wider. So weist die Region Baden einen<br />
Discount von 31 Prozent auf. In den benachbarten<br />
Regionen Limmattal und Zürcher<br />
Unterland liegt dieser dagegen bloss bei<br />
16 respektive 14 Prozent, weil eine starke<br />
An gebotsausweitung von Mietwohnungen<br />
die Mietpreise auf moderaten Niveaus verharren<br />
lässt. In Regionen mit touristischen<br />
Destinationen ist das regionale Preisniveau<br />
für Eigentumswohnungen stark durch das<br />
Zweitwohnungssegment nach oben verzerrt,<br />
sodass die (Opportunitäts-)Kosten für Wohneigentum<br />
hoch ausfallen. Das führt etwa in<br />
der Surselva im Durchschnitt zu einem Discount<br />
von bloss 14 Prozent.<br />
Der aktuell vorherrschende Discount darf<br />
nicht als in Stein gemeisselt angesehen<br />
werden. Im Gegenteil, im Normalfall muss für<br />
die eigenen vier Wände eine Prämie entrichtet<br />
werden. Wird die Entwicklung seit<br />
1993 betrachtet, zeigt sich, dass die Eigentumsprämie<br />
im Schweizer Durchschnitt<br />
bei acht Prozent liegt. Ein Vergleich zwischen<br />
2008 und 2 0<strong>11</strong> ergibt, dass Schwankungen<br />
hauptsächlich auf die Veränderungen im<br />
Hypothe karzinsumfeld zurückzuführen sind.<br />
Mit steigenden Zinsen werden demnach auch<br />
die Aufwände für Wohneigentum wieder<br />
ansteigen.<br />
Gemäss unseren Modellrechnungen ist<br />
auch im Verlauf des Jahres 2012 mit einem<br />
Discount zu rechnen. Früher oder später<br />
dürfte sich aber wieder eine Prämie einstellen.<br />
Das wird der Nachfrage aber kaum schaden<br />
– kann die Eigentumsprämie doch mit<br />
den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
bei Wohneigentum begründet werden. In<br />
der Regel bewirken diese einen etwas höheren<br />
Ausbaustandard der Eigentumsobjekte.<br />
Die Freiheit, in den eigenen vier Wänden<br />
zu wohnen, ist vielen zudem einen Aufpreis<br />
wert. Thomas Rieder, Senior Economist<br />
2008 20<strong>11</strong><br />
Preis Eigentumswohnung 522 000 CHF 588 000 CHF<br />
Hypothekarzinskosten* <strong>11</strong> <strong>04</strong>1 CHF 6 162 CHF<br />
Opportunitätskosten** 7 639 CHF 3 954 CHF<br />
Abschreibungen/Unterhalt (total 1.3%) 6 786 CHF 7 644 CHF<br />
Steuermehrkosten netto 708 CHF 2 085 CHF<br />
Risikoprämie 5 220 CHF 5 880 CHF<br />
Erwarteter Aufwertungsgewinn –9376 CHF –10 561 CHF<br />
Wohnaufwand Eigentum 22108 CHF 15 164 CHF<br />
Jahresmiete 21 000 CHF 22 200 CHF<br />
Eigentumsprämie + 5% (1.05) – 32% (0.68)<br />
Foto: Credit Suisse<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Von Fällanden<br />
Spross GartenForum<br />
Inspirationen. Ideen. Visionen.<br />
Die Schönheit eines Gartens liegt in der Harmonie der Gestaltungselemente.<br />
Eine detaillierte Gartenplanung ist daher die massgebliche<br />
Grundlage für eine nachhaltige Gartengestaltung. Seit über 100<br />
Jahren planen und bauen wir Gärten und Aussenanlagen. Dabei gilt<br />
als oberstes Prinzip, das Potential des Standortes zu erkennen und<br />
die individuellen Vorlieben unserer Kunden zu integrieren.<br />
Unser GartenForum wurde angelegt, um Sie zu inspirieren und Sie<br />
rund um noch besser beraten zu können. Es soll Ihnen Gartenkultur<br />
zum Anfassen bieten und Ihnen zeigen, wie Gartenräume in Szene<br />
gesetzt und wie Naturräume geschaffen oder gestaltet werden<br />
können. Wer sich auf Erkundungstour in der Anlage begibt,<br />
gewinnt immer wieder neue Ein- und Ausblicke auf die gestaltete<br />
Gartenlandschaft.<br />
Sieben Themengärten zeigen Räume mit repräsentativem<br />
Flair und individueller Funktionalität. Klare Formen und gezielt<br />
eingesetzte Materialien schaffen eine zurückhaltende und elegante<br />
Gesamtwirkung. Das GartenForum steht aber nicht nur für inspirierende<br />
Gartengestaltung, sondern soll auch als Beratungsplattform<br />
verstanden werden und Ihnen schon während der Ideenfindung<br />
Realisierbarkeit und Raffinesse ebenso wie handwerkliche als auch<br />
wirtschaftliche Aspekte aufzeigen.<br />
Von Witikon<br />
Von Zollikon<br />
Binz<br />
Baumschule<br />
P GartenForum<br />
Bautacherweg<br />
Von Ebmatingen<br />
Spross GartenForum<br />
Bautacherweg, 8122 Binz<br />
Telefon <strong>04</strong>3 333 33 33<br />
Offen von April bis Oktober<br />
Mittwoch bis Freitag <strong>11</strong>–19 Uhr<br />
Samstag 10–17 Uhr<br />
www.spross-gartenforum.ch
42 Wirtschaft Gold<br />
9.20<strong>11</strong><br />
Gold Preise per ounce in US dollars<br />
1900<br />
1800<br />
1700<br />
4.20<strong>11</strong><br />
6.20<strong>11</strong><br />
8.20<strong>11</strong><br />
1600<br />
12.2010 2.20<strong>11</strong><br />
1500<br />
7.20<strong>11</strong><br />
1400<br />
9.2010<br />
8.2009<br />
5.20<strong>11</strong><br />
1300<br />
1200<br />
<strong>11</strong>.2009<br />
12.2009<br />
2.2010<br />
5.2010<br />
4.2010<br />
7.2010 3.20<strong>11</strong><br />
<strong>11</strong>.2010<br />
10.2010<br />
<strong>11</strong>00<br />
10.2009<br />
6.2010<br />
8.2010<br />
1.20<strong>11</strong><br />
2.2009<br />
6.2009<br />
3.2010<br />
1000<br />
4.2009<br />
900<br />
1.2010<br />
800<br />
3.2009<br />
5.2009<br />
7.2009<br />
1.2009<br />
9.2009<br />
Die andere Anlage klasse<br />
Die Finanzkrise hat aufgrund von tiefen Barrenditen, volatilen Märkten und<br />
Inflationsängsten einen Goldrausch ausgelöst. Verstärkt wurde der Goldbedarf<br />
durch die unverminderte Konsumnachfrage und die Auflegung von Gold-ETFs.<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Gold Wirtschaft 43<br />
Foto: Olix Wirtinger, Corbis Specter<br />
Gold hat – als Zahlungsmittel und Vermögensspeicher<br />
– eine grosse Geschichte. Im<br />
alten Ägypten, in Mesopotamien und in China<br />
wurde es schon 2000 Jahre vor unserer<br />
Zeitrechnung für verschiedene monetäre<br />
Funktionen genutzt. Bei der Schaffung der<br />
meisten modernen internationalen Währungssysteme<br />
diente Gold als Referenzgrösse, an<br />
welche die Papierwährung angebunden war.<br />
Obwohl der Goldstandard kaum noch in Gebrauch<br />
ist, bleibt Gold als Anlageklasse ein<br />
wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen<br />
und breit diversifizierten Kapitalallokation.<br />
Nach wie vor kann es eine lukrative Möglichkeit<br />
zum Erhalt der weltweiten Kaufkraft und<br />
zur Speicherung von Vermögen sein.<br />
Der Goldrausch von 2008<br />
Im Gefolge der Finanzkrise von 2008 versetzten<br />
massive Portfolioverluste die Anleger<br />
in Aufruhr. Sie flohen in Scharen aus den<br />
Kapitalmärkten und hielten Barpositionen in<br />
Rekordhöhe. An Renditen war nicht zu denken,<br />
und die meisten Anleger wollten aus<br />
Angst vor einem weiteren Absturz nicht an<br />
die Aktienmärkte zurückkehren. Erschwerend<br />
kam hinzu, dass Inflationsängste um<br />
sich griffen, weil die Staaten Rekordsummen<br />
zur Ankurbelung der Wirtschaft aus gaben.<br />
Damit war der Boden für eine Art modernen<br />
Goldrausch bereitet. Attraktiv war Gold für<br />
die Anleger, weil es als sicherer Hafen gilt<br />
und zur Absicherung gegen die Inflation wie<br />
auch zum Erhalt der globalen Kaufkraft dienen<br />
kann. Die Frage war nur, wie man beim<br />
Kauf des Metalls vorgehen sollte.<br />
Wer Gold kaufen wollte, musste sich vor<br />
2003 das physische Metall beschaffen und<br />
es lagern – ein extrem teures und mühsames<br />
Unterfangen. Im Jahr 2003 wurden so<br />
genannte Gold Bullion Securities an der Australian<br />
Stock Exchange aufgelegt, die zum<br />
ersten offiziellen physisch unterlegten Gold-<br />
ETF (börsengehandelter Fonds) wurden. Das<br />
Ereignis fand damals kaum Beachtung.<br />
Einen grossen Durchbruch erzielte jedoch<br />
20<strong>04</strong> der World Gold Council mit der Auflegung<br />
von GLD, einem in den USA kotierten<br />
und registrierten ETF, der physisch mit Gold<br />
unterlegt war und an der New York Stock<br />
Exchange gehandelt wurde. Der Zeitpunkt<br />
hätte nicht besser sein können, und das Ergebnis<br />
war umwerfend (siehe Abbildung 2). Mit<br />
GLD wurde der Kauf von physischem Gold<br />
für die Anleger so leicht wie der Kauf einzelner<br />
Aktien über ein Online-Brokerage-<br />
Konto. Der Mechanismus war einfach: Jeder<br />
ETF-Anteil war eine bestimmte Menge an<br />
«Die Zeit für Gold ist noch<br />
lange nicht vorüber.»<br />
Ryan Sullivan<br />
physischem Gold wert, das in einem Tresor<br />
in London verwahrt wurde. Diese relativ<br />
einfache Finanzinnovation führte zu einer<br />
grundlegenden Veränderung des Marktes<br />
und ermöglichte den Zugangzu Gold als liquider<br />
Anlageklasse. Seit der Auflegung von<br />
Gold Bullion Securities und GLD haben zahlreiche<br />
physisch unterlegte Gold-ETFs nachgezogen.<br />
Die Nachfrage der Anleger war<br />
verblüffend. Von Januar 2008 bis Dezember<br />
2010, während die Renditen auf breiter Front<br />
einbrachen, schnellte die Menge an physischem<br />
Gold, das von ETFs gehalten wurde,<br />
von 927 auf 2237 Tonnen hoch. Das entspricht<br />
einem Anstieg um etwa 240 Prozent.<br />
Im Berichtszeitraum Juli 20<strong>11</strong> des Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF) war GLD mit<br />
1208 Tonnen des Edelmetalls in eigenen Tresoren<br />
der weltweit sechstgrösste Besitzer<br />
von physischem Gold.<br />
Schwellenländer kurbeln Nachfrage an<br />
Der fundamentale Wert von Gold wird von<br />
zahlreichen Faktoren bestimmt: von Angebot<br />
und Nachfrage auf globaler Ebene, vom Zinsniveau,<br />
von Währungsschwächen und von<br />
der generellen Anlegerstimmung. Gold hat<br />
in den verschiedenen Märkten eine Vielzahl<br />
von Funktionen (siehe Abbildung 3). Es spielt<br />
eine Rolle in der Halbleiterproduktion, Zahnärzte<br />
verwenden es seit Jahrzehnten, und<br />
Anleger kaufen es nach wie vor als eigenständige<br />
Position im Rahmen ihrer Kapitalallokation.<br />
Das meiste Gold wird jedoch für<br />
die Herstellung von Goldschmuck benötigt.<br />
Die Schmucknachfrage aus Schwellenländern,<br />
allen voran Indien und China, ist für<br />
einen ausserordentlich grossen Teil des weltweiten<br />
Goldbedarfs verantwortlich. Indien,<br />
vielleicht einer der wichtigsten Akteure auf<br />
dem Goldmarkt, spielt eine spezielle und oft<br />
übersehene Rolle im weltweiten Wechselspiel<br />
von Angebot und Nachfrage rund um<br />
das Edelmetall. Man muss sich klarmachen,<br />
welche ökonomische und kulturelle Funktion<br />
Gold auf dem indischen Subkontinent hat:<br />
Es hat religiöse Bedeutung und bietet finanzielle<br />
Sicherheit. Für die indische Kultur, anders<br />
als für die westliche, ist Goldschmuck<br />
nicht nur ein Luxusgut, sondern auch eine<br />
Möglichkeit, Vermögen anzusammeln, ähnlich<br />
wie für einen westlichen Anleger seine<br />
Anlagekonten. Die Nachfrage, die sich daraus<br />
ergibt, drückt sich in frappierenden Zahlen<br />
aus: Im Jahr 2010 wurden 2060 Tonnen<br />
Gold, das sind 54 Prozent des Weltbedarfs,<br />
zur Schmuckherstellung verwendet. Dies<br />
entspricht einem Anstieg von 17 Prozent<br />
gegenüber dem Gesamtbedarf von 2009.<br />
Allein auf Indien entfielen 746 Tonnen, knapp<br />
über ein Drittel des weltweiten Gesamtbedarfs<br />
an Schmuckgold und ein Plus von 69<br />
Prozent im Vergleich zu 2009. Dieser Trend<br />
dürfte sich noch fortsetzen, wenn immer mehr<br />
Inder in die Mittelschicht aufsteigen und die<br />
Möglichkeit haben, ihr frei verfügbares Einkommen<br />
für Goldschmuck auszugeben.<br />
Die Nachfrage aus China stellt gegenwärtig<br />
nur einen Bruchteil der Nachfrage aus<br />
dem indischen Subkontinent dar. Erste Anzeichen<br />
deuten aber darauf hin, dass China<br />
sein Nachbarland in nicht allzu ferner Zukunft<br />
überholen könnte. Die Gesamtnachfrage<br />
nach Schmuck lag in China 2010 um 13,6<br />
Prozent höher als im Vorjahr. Selbst 2009,<br />
als die Nachfrage nach Goldschmuck in den<br />
meisten Ländern aufgrund der desaströsen<br />
Wirtschaftslage einbrach, verzeichnete China<br />
einen Anstieg. Von der weltweiten Nachfrage<br />
nach Gold für Schmuck und als Kapitalanlage<br />
entfallen auf China und Indien gemeinsam<br />
40 Prozent.<br />
Gold aus drei Quellen<br />
Das Goldangebot speist sich aus drei Quellen:<br />
Bergbau, Wiedergewinnung und Transaktionen<br />
des offiziellen Sektors – Goldverkäufe<br />
von Zentralbanken im offenen<br />
Markt – (siehe Abbildung 4). Im Jahr 2010<br />
lag das weltweite Gesamtangebot bei 4108<br />
Tonnen, zwei Prozent höher als 2009.<br />
Der grösste Teil der Angebotszunahme<br />
stammt aus dem Bergbau. Durch die Erschliessung<br />
neuer Standorte und den Ausbau<br />
bestehender Werke stieg die geförderte<br />
Goldmenge gegenüber 2009 um neun Prozent.<br />
Die Fördermenge war trotz rekordhoher<br />
Goldpreise insgesamt relativ gering und blieb<br />
hinter den Mengen zurück, die im Verlauf<br />
des Jahrzehnts auch schon ver zeichnet<br />
wurden. Zu den Gründen für diese Anomalie<br />
zählen steigende Produktions kosten und ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
44 Wirtschaft Gold<br />
Abb. 1 Goldreserven der Zentralbanken<br />
Die Zentralbanken haben nach der Finanzkrise 2008 den Anteil des Goldes an ihren<br />
Auslandsreserven generell erhöht. Quelle: World Gold Council, Internationaler Währungsfonds<br />
Tonnen<br />
Verhältnis von Gold zu Auslandsreserven<br />
Land/Bank 4. Quartal 2010 10-Jahres-Durchschnitt 4. Quartal 2010 10-Jahres-Durchschnitt<br />
USA 8134 8136 75% 67%<br />
Deutschland 3401 3429 71% 55%<br />
Europäische<br />
Zentralbank 501 663 30% 22%<br />
China 1054 654 2% 1%<br />
Indien 558 383 8% 5%<br />
Saudi-Arabien 323 197 3% 4%<br />
gesetzliche Erschwernisse in bestimmten<br />
Ländern. Zwischen 2007 und 2010 stiegen<br />
die Arbeitskosten um etwa 30 Prozent. Strom<br />
verteuerte sich um 50, Diesel um 40 Prozent.<br />
Die Gesamtkosten des Goldabbaus erhöhten<br />
sich um etwa 33 Prozent, weil qualifizierte<br />
Arbeitskräfte knapp wurden und die Minenbetreiber<br />
pro geförderter Tonne immer mehr<br />
Geld ausgeben mussten.<br />
Ausserdem führte die mangelnde Explorationstätigkeit<br />
in früheren Jahrzehnten dazu,<br />
dass «neue Kapazität» nicht aus neu erschlossenen<br />
Lagerstätten kam, sondern aus<br />
der Wiedereröffnung alter, kostenintensiver<br />
Minen. Wenn im Westen Minen ihre Tore<br />
schlossen, wurde ihre Kapazität im Allgemeinen<br />
nicht ersetzt. Süd afrika, einst das grösste<br />
Goldförderland der Welt, wurde 2007 von<br />
China überholt. So kam es nicht zu einer Zunahme<br />
des Angebots, sondern lediglich zu<br />
einer Verlagerung der Produktionsquellen.<br />
Wachstum ist von diesem Niveau aus aber<br />
möglich, denn in China, wo gegenwärtig der<br />
grösste Teil der neuen Kapazität entsteht,<br />
dürfte die Fördermenge weiter steigen.<br />
Von 1989 bis 2007 verkauften Zentralbanken<br />
im Jahresdurchschnitt insgesamt 400<br />
bis 500 Tonnen Gold aus ihren Reservebeständen<br />
am Markt. Sowohl die USA als<br />
auch die westeuropäischen Länder behalten<br />
einen erheblichen Teil ihrer Goldreserven als<br />
Überbleibsel aus den Tagen des Goldstandards<br />
bei. Die Liquidation von Gold war ein<br />
Routineverfahren zur Anpassung der Währungsreserven.<br />
Doch obwohl die meisten<br />
westlichen Zentralbanken eigentlich überhöhte<br />
Goldbestände aufweisen, begannen<br />
die jährlichen Verkaufsmengen mit Beginn<br />
der Finanzkrise allmählich zu sinken.<br />
Im Jahr 2010 wurden die Zentralbanken<br />
erstmals seit etwa 20 Jahren zu Netto-Goldkäufern,<br />
und an diesem Trend wird sich wohl<br />
auch in naher Zukunft nichts ändern. In den<br />
letzten Jahren waren speziell die europäischen<br />
Zentralbanken zögerlich beim Verkauf<br />
von Gold aus ihren externen Reserven an<br />
den Markt. Der offensichtlichste Grund hierfür<br />
ist, dass sie Gold als Währungsersatz und<br />
als Möglichkeit zur Diversifikation ihrer Positionen<br />
betrachten. Angesichts der globalen<br />
Finanzkrise und der aktuellen Staatsschuldenproblematik,<br />
die den Kontinent wohl auch<br />
weiterhin umtreiben wird, halten Banken lieber<br />
Gold als eine Währung, selbst auf die<br />
Gefahr einer Abwertung oder eines erheblichen<br />
Verlusts hin.<br />
In Schwellenländern verfügen die Zentralbanken,<br />
gemessen an ihren Reserven, seit<br />
jeher über besonders geringe Goldbestände.<br />
Da sich der Umbau der Weltwirtschaft fortsetzt<br />
und sich die Schwellenländer in ihren<br />
Beständen, neben anderen Fremdwährungen,<br />
mit grossen Mengen an US-Dollar<br />
konfrontiert sehen, kaufen diese Länder regelmässig<br />
Gold, um ihr Währungsengagement<br />
zu diversifizieren. Auch wenn kleinere<br />
Schwellenländer im Vergleich zu den Industrieländern<br />
verschwindend geringe Mengen<br />
Gold halten, scheint sich ein Paradigmenwechsel<br />
abzuzeichnen.<br />
Goldanlagen haben Zukunft<br />
Gold ist anders als alle anderen Anlageklassen.<br />
Seine Bewertung hängt von verschiedenen<br />
Faktoren ab, von denen viele für traditionelle<br />
Märkte keine Rolle spielen. Gold<br />
hilft Anlegern und Staaten beim Schutz und<br />
Aufbau von Vermögen. Nach wie vor dient es<br />
als Mittel, um Portfolios gegen die Inflation<br />
abzusichern und die globale Kaufkraft zu<br />
erhalten. Angesichts der Globalisierung der<br />
Investmentlandschaft stellt Gold für Anleger<br />
eine Möglichkeit dar, ihr Währungsengagement<br />
zu diversifizieren und ihre Preissetzungsmacht<br />
zu schützen, gleichzeitig aber an<br />
ihrem Engagement in US-Dollar festzuhalten.<br />
Diese Gründe sind bei Weitem nicht vollständig,<br />
doch es steht fest: Die Zeit für Gold ist<br />
noch lange nicht vorüber.<br />
Ryan Sullivan, Private Banking Americas<br />
Abb. 2 GoldETFs stossen auf Interesse<br />
Die Nachfrage nach physisch unterlegten Gold-<br />
ETFs hat seit der Auflegung des ersten derartigen<br />
Fonds im Jahr 2003 drastisch zugenommen.<br />
Nach 2008 stiegen die Bestände in drei Jahren<br />
um 240 Prozent. Quelle: Credit Suisse<br />
Abb. 3 Wofür das Gold gebraucht wird<br />
Der grösste Teil des Goldbedarfs entfällt noch<br />
immer auf die Schmuckherstellung, doch<br />
der Einsatz von Gold als Kapitalanlage hat in den<br />
letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen.<br />
Quelle: Credit Suisse IDC, Bloomberg, GMFS<br />
Abb. 4 Woher das Goldangebot stammt<br />
Die Transaktionen der Zentralbanken im offenen<br />
Markt sind seit der Finanzkrise von 2008 fast<br />
auf null gesunken. Dementsprechend entfällt der<br />
grösste Teil des Goldangebots auf den Bergbau,<br />
der Rest auf die Wiedergewinnung. Quelle: Bloomberg<br />
Tonnen<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
Tonnen<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
Tonnen<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
3.3<br />
3.5<br />
3.7<br />
3.9<br />
3.<strong>11</strong><br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
20<strong>04</strong><br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
20<strong>04</strong><br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
Goldbestände in physisch unterlegten ETFs<br />
Industrie und Zahnmedizin<br />
Schmuckherstellung Kapitalanlage<br />
Verkäufe des offiziellen Sektors<br />
Wiedergewinnung<br />
Bergbau<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Anlagestrategien Economic Research 45<br />
«Für Privatanleger kann<br />
<strong>Holz</strong> spannend sein»<br />
Andreas Russenberger, Leiter Global MACS (Multi Asset Class Solutions) Mandates<br />
and Funds der Credit Suisse, erklärt, warum Investitionen in <strong>Holz</strong> für Grossanleger eher<br />
problematisch sind, doch für Privatanleger durchaus ihren Reiz haben können.<br />
Foto: Rainer Wolfsberger<br />
<strong>bulletin</strong>: Was für Anlagemöglichkeiten gibt es zum Thema <strong>Holz</strong>?<br />
Andreas Russenberger: <strong>Holz</strong> ist eine natürlich nachwachsende Ressource<br />
und damit sicher nachhaltig, was für immer mehr Anleger<br />
wichtig ist. Zudem ist es auch in zyklischer Hinsicht eine spannende<br />
Anlage. Wenn die Nachfrage und damit der Preis des <strong>Holz</strong>es sinkt,<br />
zum Beispiel während einer Baukrise, dann lässt man die Bäume<br />
einfach stehen oder lagert sie ein und wartet zwei, drei Jahre, um<br />
erst wieder aktiv zu werden, wenn die Preise wieder steigen. Nicht<br />
ganz so positiv, wie es auf den ersten Blick aussehen mag, ist die<br />
Ökobilanz. Während des Wachstums entzieht ein Baum der Umwelt<br />
zwar CO 2 , doch wird während der Verarbeitung wieder einiges davon<br />
freigesetzt. Am Schluss dürfte die Bilanz in etwa neutral sein. Für<br />
Privatanleger kann <strong>Holz</strong> als Investition also durchaus interessant<br />
sein. Für uns vom Portfoliomanagement allerdings nicht.<br />
Und wo liegt für Sie das Problem?<br />
Für uns ist das Thema <strong>Holz</strong> etwas problematisch, weil wir im Portfoliomanagement<br />
durchwegs im sehr grossen Stil investieren. Und<br />
im Zusammenhang mit der <strong>Holz</strong>gewinnung geht in dieser Grössenordnung<br />
zumeist die natürliche Diversität verloren. Einzelne Baumarten<br />
aus einem natürlich wachsenden Mischwald herauszuholen, ist<br />
sehr aufwändig und teuer. Entsprechend werden in der Regel gleiche<br />
Baumsorten in Monokulturen angebaut, was dann wieder problematisch<br />
für den Boden ist. Kommt dazu, dass sich bei den gängigen<br />
<strong>Holz</strong>sorten der Transport nicht lohnt. Höchstens bei den Edelhölzern<br />
mag sich das auszahlen, aber das wiederum ist nicht vereinbar mit<br />
unserem ökologischen Verantwortungsbewusstsein.<br />
Daneben gibt es auch ein anlagetechnisches Problem mit <strong>Holz</strong>,<br />
und zwar das der mangelnden Liquidität. Wir wollen und müssen<br />
unseren Kunden liquide Portfolios anbieten.<br />
Können Sie das noch etwas näher ausführen?<br />
Nehmen wir eine Aktie, die lässt sich noch am gleichen Tag verkaufen<br />
und damit in Geld umwandeln. Bei den Fonds geht es vielleicht<br />
zwei, drei Tage. Bei Immobilien wird es schon etwas schwieriger.<br />
Aber es ist immer noch in nützlicher Frist durchführbar. Bei <strong>Holz</strong> ist<br />
das ein geradezu unlösbares Problem. Nehmen wir einmal an, dass<br />
wir 100 Millionen Franken in eine neue <strong>Holz</strong>plantage investieren. Nun<br />
wird ganz simpel ausgedrückt zuerst mit der Pflanzung von Setzlingen<br />
begonnen. Nun kann man nach zwei Jahren nicht einfach sagen,<br />
ein paar Kunden von uns wollen aussteigen und ihr Geld zurück haben.<br />
Solche <strong>Holz</strong>anlagen sind langfristige Investitionen, eigentliche Private<br />
Equities, also Beteiligungen, mit denen Infrastrukturen und<br />
längerfristige Wachstumsprozesse gestartet werden. Allenfalls gibt<br />
es nach ein paar Jahren erste Zinszahlungen, weil erste Tranchen<br />
gefällt werden, aber mehr nicht.<br />
Bäume liefern auch den Grundstoff für Papier. Gibt es in<br />
diesem Bereich allenfalls Anlagemöglichkeiten für Sie?<br />
Die Papier- und Zellstoffindustrie gilt tatsächlich als relativ gute Investition,<br />
weil der Zellstoff bereits den ersten Schritt der Verarbeitungskette<br />
hinter sich hat und damit zu einem einfacher handelbaren<br />
Rohstoff wird. Er gilt als eine Art defensive Anlagemöglichkeit, die<br />
in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten ist, im heutigen<br />
Umfeld aber wieder zunehmend wichtiger wird.<br />
Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass <strong>Holz</strong>anbau<br />
in seiner rudimentärsten Form allenfalls für Privatanleger ein<br />
Thema sein kann, aber nicht fürs Portfoliomanagement. Gleichwohl<br />
bieten Sie auch spezielle Nachhaltigkeitsportfolios an.<br />
Was ist darunter zu verstehen?<br />
Bei unseren expliziten Nachhaltigkeitsportfolios verpflichten wir uns,<br />
nur in Firmen mit konkreten Nachhaltigkeitskonzepten zu investieren,<br />
die dann zum Beispiel nur Hölzer mit FSC-Label verwenden. Doch<br />
ist genau dieser Ansatz, nur noch Hölzer aus nachhaltigem Anbau<br />
zu verwenden, mittlerweile sehr weit verbreitet und fast schon zur<br />
Norm geworden. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine anfängliche<br />
Selbstregulierung auf breiter Front durchsetzen kann. Am<br />
«Für uns als Grossanleger<br />
ist bei Investitionen in <strong>Holz</strong><br />
die mangelnde Liquidität<br />
ein Problem.» Andreas Russenberger<br />
Anfang gibt es zumeist eine kleine Gruppierung von Anbietern, die<br />
sehr bewusst mit einem Thema umgehen, immer stärker folgt dann<br />
der Druck der Öffentlichkeit, die nur noch diese Produkte will, und<br />
am Schluss kommt der Gesetzgeber, der diese zur Norm macht und<br />
für alle Anbieter vorschreibt.<br />
Wie messbar ist Nachhaltigkeit bei Investitionen überhaupt?<br />
Das ist genau das Problem. Nachhaltigkeit ist noch immer in vielen<br />
Bereichen keine klar definierte Messgrösse. Vieles ist individuelle<br />
Vertrauens- und Ermessenssache. Natürlich gibt es spezielle Standards,<br />
wie die des Global Compact der UNO, bei dem sich die teilnehmenden<br />
Firmen zur Erfüllung von Mindeststandards verpflichten,<br />
die von Normen in Sachen Umweltbeeinträchtigung bis hin zur Einhaltung<br />
von Menschenrechten reichen. Daneben gibt es auch spezialisierte,<br />
unabhängige Firmen, die Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit<br />
sehr genau durchleuchten. Doch gibt es in vielen Bereichen<br />
immer noch schwierig fassbaren Ermessensspielraum. Daniel Huber<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
46 Economic Research Wohnen<br />
Reale Anlagen ergänzen<br />
das Portfolio sinnvoll<br />
Rohstoffe, Infrastruktur, Landwirtschaft und Immobilien sind Anlageformen,<br />
die man anfassen und real wahrnehmen kann. Sie können im Rahmen eines<br />
ausgewogenen Portfolios wichtige Funktionen, als Schutz vor Inflation<br />
etwa oder zur Verbesserung der Diversifikation, wahrnehmen. Den «Fünfer<br />
und das Weggli» gibt es aber auch hier nicht.<br />
Die Wirtschafts- und Anlagewelt hat sich verändert.<br />
Das aktuelle Umfeld ist geprägt von<br />
starken Unsicherheiten vor dem Hintergrund<br />
der anhaltenden Staatsverschuldungskrise.<br />
Damit dürfte sich nicht nur die kurzfristige<br />
Präferenz für reale Anlagen erhöht haben.<br />
Auch auf längere Sicht dürften reale Anlagen<br />
zunehmend an Bedeutung gewinnen, da sie<br />
den mittelfristig zu erwartenden Inflationsanstieg<br />
am besten abfedern.<br />
Reale Anlagen im Aufwärtstrend<br />
Tab. 1 Die Spannweite der Merkmale und Risikoprämien bei den realen Anlagen<br />
trägt zur Diversifizierung des Portfolios bei<br />
Um die richtige Mischung seines Portfolios zu bestimmen, ist es hilfreich, das Risikoprofil<br />
der einzelnen liquiden und illiquiden Anlagen zu studieren. Quelle: Credit Suisse Asset Management, Yogi Thambiah,<br />
Nicolo Foscari: Reale Anlagen / Lösung zur Inflationsabsicherung unter geänderten Risikorahmenbedingungen<br />
Anlage<br />
Liquide<br />
Inflationsanfälligkeit<br />
Liquidität Zugänglichkeit Renditeprofil Risikoprofil Risikofaktoren<br />
Rohstoffe Hoch Hoch Hoch Kein Ertrag Hoch Wachstumsschocks<br />
beim Gleichgewicht<br />
zwischen Angebot<br />
und Nachfrage<br />
REITs<br />
Moderat<br />
bis hoch<br />
Hoch Hoch Ertrag und<br />
Wertsteigerung<br />
TIPS Moderat Hoch Hoch Bescheidener<br />
Ertrag<br />
Senior Loans Moderat Moderat<br />
bis hoch<br />
Illiquide<br />
Agrargüter Moderat Abgesehen von<br />
Public Equities<br />
gering<br />
Mittel<br />
bis hoch<br />
Ertrag und<br />
Wertsteigerung<br />
Hoch<br />
Niedrig<br />
Niedrig<br />
Sehr niedrig Mittel Mittel<br />
bis hoch<br />
Infrastruktur Moderat Mittel Abgesehen von Ertrag und<br />
Kotierungen von Wertsteigerung<br />
Public Equities<br />
und Kommunalschuldverschreibungen<br />
gering<br />
Energie Hoch Gering Niedrig Explor. – hoch<br />
Vertr. – niedrig<br />
Bodenschätze<br />
Direkte Immobilienanlagen<br />
Erneuerbare<br />
Energien<br />
<strong>Holz</strong><br />
Moderat<br />
bis hoch<br />
Abgesehen<br />
vom Futures-<br />
Markt mittel<br />
Niedrig<br />
Mittel<br />
bis hoch<br />
Hoch Gering Niedrig Ertrag und<br />
Wertsteigerung<br />
Hoch Gering Sehr niedrig,<br />
kapitalintensiv<br />
Moderat<br />
bis hoch<br />
Sehr gering Sehr niedrig Geringes Volumen,<br />
Ertragskomponente<br />
Niedrig<br />
Explor. – hoch<br />
Vertr. – niedrig<br />
Niedrig<br />
bis mittel<br />
Core – niedrig;<br />
opportunistisch<br />
– hoch<br />
Wirtschaftliches<br />
Länderrisiko<br />
Immobilienrisiko<br />
Zinsrisiko<br />
Kreditrisiko<br />
Umweltfaktoren,<br />
Regierungspolitik,<br />
Dynamik von Angebot<br />
und Nachfrage<br />
Aufsichtsrechtliches<br />
Risiko, Leverage-<br />
Risiko, Länder- und<br />
Kommunal risiko,<br />
Projektrisiko<br />
Versorgungsrisiko<br />
Verbraucher- und<br />
Produktionsebene<br />
Demografie,<br />
Beschäftigung,<br />
Wirtschaftswachstum,<br />
Standortrisiko<br />
Demogragfie,<br />
Beschäftigung,<br />
Wirtschaftswachstum,<br />
Standortrisiko<br />
Hoch Hoch Subventionen,<br />
Energiepreistendenzen,<br />
Verfügbarkeit von<br />
Input-Material<br />
Niedrig<br />
Handelsbeschränkungen,<br />
Zölle,<br />
Umweltfaktoren<br />
Die Credit Suisse trägt diesen Entwicklungen<br />
bereits seit dem Frühjahr 2010 Rechnung.<br />
In der langfristigen Anlagestrategie 1<br />
ist der Anteil von realen Anlagen erhöht worden.<br />
Dazu zählen zum einen sicherlich Aktien,<br />
die reales Kapital in Unternehmen repräsentieren.<br />
Ebenso zählen dazu alternative<br />
Anlagen wie zum Beispiel Rohstoffe,<br />
Immobilien, Gold und Infrastruktur. Diese<br />
alternativen Anlagen vereint ihre Eigenschaft,<br />
sich weniger stark im Gleichlauf mit<br />
den Aktienmärkten zu bewegen, was in der<br />
Finanzindustrie gerne mit «niedrigen Korrelationen»<br />
umschrieben wird. Das macht sie<br />
zu interessanten Portfoliobeimischungen.<br />
Sie können jedoch in unterschiedlichem<br />
Mass zur Portfoliodiversifizierung beitragen.<br />
Portfolioschwankungen reduzieren<br />
Die Portfoliodiversifizierung beschreibt dabei<br />
die Möglichkeit, durch eine Mischung<br />
von Anlageklassen, die sich im Konjunkturund<br />
Börsenzyklus unterschiedlich verhalten,<br />
die Portfolioschwankungen zu reduzieren<br />
oder bei gleicher Schwankungsintensität<br />
den Portfolioertrag zu intensivieren.<br />
Darüber hinaus unterscheiden sich diese<br />
realen, alternativen Anlagen in ihrem Liquiditätsgrad,<br />
das heisst in der Möglichkeit, sich<br />
kurzfristig aus dem Engagement zurückzuziehen.<br />
Für klassische, also auf Kundenwunsch<br />
hoch liquide Portfolios, können daher<br />
nicht alle realen Anlagekategorien eingesetzt<br />
werden, selbst wenn dies eine bessere<br />
Kombination von Risiko und Ertrag zur Folge<br />
hätte. Das heisst jedoch nicht, dass man<br />
grundsätzlich auf diese Instrumente verzichten<br />
sollte. Ganz im Gegenteil, sie profitieren<br />
nicht nur von den längerfristigen volkswirtschaftlichen<br />
Entwicklungen (zum Beispiel<br />
Rohstoffe, Infrastruktur, Landwirtschaft),<br />
sondern können – als Zusatz zu einem liquide<br />
gemanagten Portfolio – die Verwaltung des<br />
Gesamtvermögens optimieren und somit zu<br />
einer ganzheitlichen (holistischen) Anlagestrategie<br />
führen.<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Wohnen Economic Research 47<br />
Eine neue Untersuchung von Yogi Thambiah<br />
und Nicolo Foscari, Anlagestrategen aus<br />
dem Büro des Chief Information Officer der<br />
Credit Suisse, zeigt, wie sich die durchaus<br />
unterschiedlichen Eigenschaften dieser realen<br />
Anlageinstrumente am besten kombi nieren<br />
lassen. 2 Neben dem unterschiedlichen<br />
Grad der Liquidität (zum Beispiel «hoch» für<br />
Rohstoffe, Gold, Immobilienaktien, «gering»<br />
für Landwirtschaft, <strong>Holz</strong>, direkte Immobilien)<br />
divigieren diese Anlagekategorien auch in<br />
ihrer Inflationssensibilität, den Zugangsmöglichkeiten<br />
und hinsichtlich des Ertrags- oder<br />
Risikoprofils (siehe Tabelle).<br />
Darüber hinaus stellen unterschiedliche<br />
statistische Eigenschaften, etwa die historische<br />
Verteilung der Erträge im Vergleich zu<br />
«klassischen» Anlagekategorien, grosse Herausforderungen<br />
an die Konstruktion eines<br />
optimalen Portfolios. Die Experten der Vermögensverwaltung<br />
können jedoch zeigen,<br />
«Die richtige Mischung liquider<br />
und illiquider Anlagen bringt<br />
positive Portfolioeffekte.»<br />
Anja Hochberg<br />
dass eine Mischung zwischen eher liquiden<br />
und eher illiquiden Anlagen zu vorteilhaften<br />
Portfolioeffekten führt. Ein solchermassen<br />
aufgestelltes Portfolio kann dem Inflationsschutz<br />
dienen – und zwar nicht nur vor der<br />
«erwarteten» Inflation, sondern insbesondere<br />
auch vor der «unerwarteten» Inflation. Es ist<br />
auch in der Lage, die Börsenabhängigkeit<br />
des Gesamtvermögens deutlich abzumildern.<br />
Die Zusammensetzung eines solchen Portfolios<br />
– sei es eine Aufteilung 90 zu 10 Prozent<br />
in liquide und illiquide Instrumente oder<br />
ein 50/50-Verhältnis, hängt dabei sicherlich<br />
wesentlich von den individuellen Liquiditätspräferenzen,<br />
Renditezielen oder von anderen<br />
Rahmenbedingungen des Investors ab.<br />
Anja Hochberg, Nicolo Foscari, Yogi Thambiah, CIO Office<br />
«Mit Kunst grillieren.»<br />
1 Die kurzfristige Anlagestrategie, die stark von der aktuellen<br />
Konjunktur- und Finanzmarktentwicklung abhängig ist,<br />
kann sich zum Teil deutlich von der langfristigen Anlagestrategie<br />
unterscheiden.<br />
2 Credit Suisse Asset Management White Paper «Inflation<br />
Hedge Solution Under a Modified Risk Framework».<br />
dEsIGN<br />
a NdREas REICHlIN<br />
patENtIERt<br />
WWW.FEUERRING.CH<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
Credit Suisse 49<br />
Credit Suisse<br />
Business / Sponsoring / Responsibility<br />
01<br />
03<br />
Sponsoring<br />
Open End<br />
Fotos: Credit Suisse | Rainer Wolfsberger<br />
02<br />
03<br />
01<br />
02<br />
Private Banking<br />
Veränderungen im Management<br />
Hans-Ulrich Meister wurde per 1. August zum Chief Executive<br />
Officer Credit Suisse Private Banking ernannt. Er übernimmt<br />
diese Position zusätzlich zu seiner bisherigen Funktion als CEO<br />
Credit Suisse Schweiz. «Seit Beginn seiner Tätigkeit bei der<br />
Credit Suisse im Jahr 2008 hat Hans-Ulrich Meister durch<br />
aussergewöhn liche Führungsqualitäten überzeugt, und dies in<br />
einer Phase, in der wir mit grossen Herausforderungen konfrontiert<br />
waren. Wir schätzen uns ausserordentlich glücklich, dass wir<br />
mit seiner Ernennung eine optimale Nach folgelösung in dieser<br />
zentralen Sparte präsentieren können», sagte Brady Dougan,<br />
CEO Credit Suisse, anlässlich der Ankündigung Ende Juli.<br />
Meister folgt auf Walter Berchtold, der Mitglied der Geschäftsleitung<br />
bleibt und im Private Banking seine Erfahrung weiterhin<br />
als Chairman einbringt. In dieser neuen Funktion wird er sich auf<br />
den weiteren Ausbau des strategisch wichtigen Geschäfts mit<br />
sehr vermögenden Kunden konzentrieren und eng mit den<br />
CEO der Divisionen und Regionen der Credit Suisse zusammenar<br />
beiten, um das integrierte Geschäftsmodell der Bank weiter<br />
zu fördern und ihre globale Präsenz auszu weiten. Sowohl<br />
Hans-Ulrich Meister als auch Walter Berchtold sind weiterhin<br />
direkt Brady Dougan unterstellt. Dorothee Enskog<br />
Kunden im Mittelpunkt<br />
Lancierung einer weltweiten Kampagne<br />
Die Credit Suisse hat letzten Monat eine neue weltweite<br />
Werbekampagne lanciert. Die Anzeigen unterscheiden<br />
sich fundamental von der tradi tionellen Werbung für<br />
Finanzdienstleistungen. Anstelle von textlastigen<br />
Inseraten übermitteln in dieser Kampagne einzelne Bilder<br />
die Botschaft. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Kunden<br />
der Credit Suisse wie der Schweizer Schoko laden hersteller<br />
Lindt & Sprüngli, der italienische Industriekonzern<br />
Maccaferri sowie der USamerikanische Modedesigner<br />
Jen Kao. Zentrale Aussage der Kampagne bildet die<br />
Fähigkeit der Bank, als Partner ihrer Kunden zu fungieren<br />
und in vielfältigen Bereichen zu deren Erfolg beizutragen.<br />
«Das Kreativkonzept der Kampagne basiert auf dem<br />
Engagement der Credit Suisse, ihren Teil zum Erfolg der<br />
Kunden beizutragen», erläutert Pamela ThomasGraham,<br />
Chief Talent, Branding and Communications Officer.<br />
«Die Anzeigen illustrieren, wie wir zu jeder Zeit darauf<br />
fokussiert sind, ein verlässlicher Finanzpartner unserer<br />
Kunden zu sein und zu ihrem langfristigen Geschäftserfolg<br />
beizutragen.» Die Anzeigen werden in der Schweiz, in<br />
den USA sowie in ausgewählten Ländern Europas und<br />
Asiens geschaltet. Die globale Kampagne läuft ein erstes<br />
Mal während sechs Wochen und wird im kommenden<br />
Jahr wiederaufgenommen. Julia Hancock<br />
Mitte Oktober startet die Credit<br />
Suisse eine umfassende globale<br />
Social-Media-Kampagne rund<br />
um den Roger-Federer-Spot.<br />
Dabei können die Nutzer für<br />
eine von drei möglichen Schluss -<br />
varianten der aktuellen «Relax»-<br />
Kampagne stimmen. Der von<br />
Jordan Scott (Ridley Scotts<br />
Tochter) gedrehte Werbe film<br />
zeigt einen offenbar absolut<br />
sorglosen und zuver sichtlichen<br />
Federer, der sich durch nichts<br />
aus der Ruhe bringen lässt. Die<br />
Musik wurde von David Arch in<br />
Zusammen arbeit mit Mark<br />
Campbell eigens für den Spot<br />
komponiert und von diversen<br />
bekannten Jazzmusikern, darunter<br />
Guy Barker, eingespielt.<br />
Die drei zur Wahl stehenden<br />
Schluss varianten der Kampagne<br />
werden auf Facebook, Youtube<br />
und dem ATP-E-Player gezeigt.<br />
Fans und Tennis-Affici o nados<br />
sind einge laden, die Facebook-<br />
Seite der Credit Suisse zu<br />
besuchen, um sich die Videos<br />
anzusehen, ihre Stimme abzugeben,<br />
sich mit der Marke<br />
vertraut zu machen und Freunde<br />
auf die Aktion aufmerksam zu<br />
machen. Der Sieger-Schluss<br />
wird als Erster gestreamt. Die<br />
Credit Suisse führt im Rahmen<br />
dieser Social- Media-Kampagne<br />
auch einen Wettbewerb durch,<br />
an dem alle, die abgestimmt<br />
haben, teilnehmen können. Der<br />
Gewinner oder die Gewinnerin<br />
gewinnt ein Meet & Greet<br />
mit Roger Federer am 20. oder<br />
21. November in London.<br />
Stefan Behmer<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
50 Credit Suisse<br />
National Gallery<br />
Leonardo<br />
da Vinci<br />
Die Ausstellung «Leonardo da Vinci: Maler am Hof<br />
von Mailand» vereint so viele Gemälde dieses Künstlers<br />
wie keine andere Ausstellung zuvor. Erstmals gezeigt<br />
wird beispielsweise das 1513 vollendete Meisterwerk<br />
«Salvator Mundi», das Jahrhunderte lang verschollen war<br />
und erst vor Kurzem wiederentdeckt worden ist.<br />
Text: Tracy Cooper<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 51<br />
Sorgfältige Restauration des Gemäldes «Madonna in<br />
der Felsengrotte» durch einen Restaurator der National<br />
Gallery, in deren Besitz sich das Werk befindet.<br />
Foto: National Gallery<br />
Mehr als 60 Bilder des<br />
grossen Künstlers sowie<br />
seiner engsten Mitarbeitenden<br />
wird die Ausstellung<br />
in der Londoner<br />
National Gallery umfassen,<br />
die vom 9. November 20<strong>11</strong> bis zum<br />
5. Februar 2012 dauert. Der Hauptakzent<br />
liegt dabei auf da Vincis Zeit als Hofmaler in<br />
Mailand, wo er in den 1480er- und 1490er-<br />
Jahren für den Herrscher Ludovico Maria<br />
Sforza arbeitete, der aufgrund seiner dunklen<br />
Hautfarbe auch «il Moro» genannt wurde.<br />
Der Ausstellung gelingt es, die aussergewöhnliche<br />
Beobachtungsgabe, Fantasie und<br />
Technik da Vincis herauszuarbeiten. Parallel<br />
zu den fast vollständig ausgestellten Bildern<br />
aus dieser Zeit werden auch anatomische<br />
und karikierende Skizzen sowie Proportionenskizzen<br />
gezeigt, die er zur Vorbereitung<br />
seiner Meisterwerke anfertigte. Mehr als<br />
50 dieser Zeichnungen werden erstmals öffentlich<br />
präsentiert.<br />
Porträt eines Musikers<br />
Die Ausstellung ist in sieben Säle mit je<br />
einem eigenen Schwerpunkt gegliedert. Im<br />
ersten geht es um da Vincis Ankunft in Mailand<br />
und seine Zusammenarbeit mit Musikern.<br />
Selbst ein begnadeter Musiker entwarf<br />
er mit diesen zusammen Bühnenbilder für<br />
höfische Schauspiele und sogar neue Instrumente.<br />
Besonders bemerkenswert ist sein<br />
einziges männliches Porträt, das unvollendete<br />
«Porträt eines Musikers», ausgeliehen von<br />
der Biblioteca Ambrosiana in Mailand, in dem<br />
er ein Ideal männlicher Schönheit zu schaffen<br />
versuchte.<br />
Im zweiten Saal stehen Frauenporträts<br />
im Fokus – und unter diesen eines ganz ><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
52 Credit Suisse<br />
03<br />
ge Hieronymus» aus der Pinacoteca Vaticana,<br />
das unvollendet geblieben ist, aber gerade<br />
deshalb interessante Einblicke in da<br />
Vincis Arbeitsweise bietet. Hieronymus’ Haltung<br />
schafft eine Diagonale, während der<br />
Blick des Betrachters leicht von oben auf die<br />
sitzende Gestalt fällt. Die fantastisch ausbalancierte<br />
Gestalt belegt, dass da Vinci seine<br />
Studien von Anatomie und Proportionen<br />
des Menschen zu nutzen wusste.<br />
Die Darstellung des Göttlichen<br />
01<br />
Anzeige<br />
02<br />
<br />
01 Leonardo da Vinci. «Der Heilige<br />
Hieronymus», 1488–90,<br />
Pinacoteca Vaticana, Vatikan<br />
02 Leonardo da Vinci. «Porträt<br />
der Cecilia Gallerani»<br />
(«Die Dame mit dem Hermelin»),<br />
1488–90, Czartoryski<br />
Foundation, Nationalmuseum,<br />
Krakau, Polen<br />
03 Leonardo da Vinci. «Porträt<br />
eines Musikers», zirka<br />
1485–87. Biblioteca Ambrosiana,<br />
Mailand.<br />
besonders: das «Porträt der Cecilia Gallerani»,<br />
auch die «Dame mit dem Hermelin» genannt,<br />
eine Leihgabe des Czartoryski-Museums<br />
in Krakau. Entstanden 1488 –90, gilt<br />
es als das erste wirklich moderne Porträt, da<br />
das Modell den Kopf abwendet und sein nuancierter<br />
Ausdruck sein Innenleben, seinen<br />
Geist oder seine Seele – das, was wir heute<br />
seine Psychologie nennen würden – widerspiegelt.<br />
Dargestellt wird die erst 16-jährige<br />
Geliebte des Ludovico Sforza. Auf der gleichen<br />
Walnusstafel gemalt wurde die stark<br />
idealisierte «Belle Ferronnière», heute im<br />
Louvre in Paris ausgestellt, das die Herzogin,<br />
vielleicht aber auch eine weitere Geliebte<br />
Sforzas darstellt. Diese beiden «Zwillingsbilder»<br />
werden erstmals überhaupt in einer gemeinsamen<br />
Ausstellung präsentiert.<br />
Im dritten Saal steht die Darstellung des<br />
menschlichen Körpers im Zentrum, am besten<br />
aufgezeigt mit dem Gemälde «Der Heili-<br />
Für viele Besucher dürfte die erstmalige<br />
Gegenüberstellung der beiden Fassungen<br />
der «Madonna in der Felsengrotte» im vierten<br />
Saal der Höhepunkt der ganzen Ausstellung<br />
sein. 1493 bat ihn die Bruderschaft der unbefleckten<br />
Empfängnis, das zentrale Bild sowie<br />
zwei Tafeln mit musizierenden Engeln für<br />
den Seitenflügel des geschnitzten Altars der<br />
(später abgerissenen) Kirche San Francesco<br />
Grande zu malen. Da man sich nach der Fertigstellung<br />
über die Bezahlung stritt, veräusserte<br />
es da Vinci einem anderen Interessenten,<br />
vermutlich seinem Auftraggeber «il Moro».Heute<br />
hängt das Bild im Louvre – und ein<br />
fast identisches, aber unvollendetes in der<br />
National Gallery. Eigentlich hatte da Vinci für<br />
die zweite Fassung eine völlig andere Komposition<br />
vorgesehen, wie die Skizze unter der<br />
Farbschicht der aktuellen Fassung vermuten<br />
lässt. Aus nicht bekannten Gründen entschied<br />
sich da Vinci aber für eine Kopie des<br />
ersten Gemäldes, wobei er die einzelnen<br />
Kompositionselemente sorgfältig dem neuen<br />
Schönheitskanon anpasste. Die musizierenden<br />
Engel wurden, wie damals üblich, nicht<br />
vom Meister selbst, sondern von Assistenten<br />
oder Mitarbeitern, vermutlich den Brüdern<br />
Predis, ausgeführt. Im gleichen Raum finden<br />
wir auch Werke von zweien seiner Schüler,<br />
Giovanni Antonio Boltraffio und Francesco<br />
Napoletano.<br />
Der «Burlington House Cartoon»<br />
Die französische Besetzung Mailands verursachte<br />
eine berufliche Krise im Leben da<br />
Vincis. Seine Stellung am Hof versuchte er<br />
dadurch zu erhalten, dass er sich den Besatzern<br />
andiente. Man nimmt an, dass die<br />
Zeichnung «Die Heilige Jungfrau und das Jesuskind<br />
mit der Heiligen Anna und Johannes<br />
dem Täufer» genau dieses Ziel verfolgte. Die<br />
142 × 105 Zentimeter grosse Zeichnung befindet<br />
sich heute in der National Gallery. Der<br />
Name «The Burlington House Cartoon» rührt<br />
von diesem Gebäude her, das einst die Royal<br />
Academy und gleichzeitig diese Zeichnung<br />
Fotos: © Photo Vatican Museums | © Princes Czartoryski Foundation | © Veneranda Biblioteca Ambrosiana – Milano/De Agostini Picture Library | © 20<strong>11</strong> Salvator Mundi LLC | © Photo Antonia Reeve / courtesy of the owner<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 53<br />
beherbergte. Man geht davon aus, dass es<br />
sich um den Entwurf eines nicht ausgeführten<br />
Gemäldes handelt. Eine gewisse Verwandtschaft<br />
besteht zum Bild «Madonna<br />
mit der Spindel», ausgeliehen vom Herzog<br />
von Buccleuch.<br />
Das wiederentdeckte Meisterwerk<br />
Im gleichen Saal befindet sich auch das Werk<br />
«Salvator Mundi» (Retter der Welt), das Generationen<br />
von Kunsthistorikern vor Rätsel<br />
stellte. Dieses Werk stellt einen frontal gemalten<br />
Christus in halber Grösse dar, der in<br />
der linken Hand eine Kristallkugel hält, die<br />
die Welt darstellen soll, und seine rechte<br />
Hand zum Segen erhoben hat. Das Bild ist<br />
eine Arbeit, die Ludwig XII. von Frankreich<br />
1506 in Auftrag gab und die da Vinci 1513<br />
Weitere Artikel über die Ausstellung «Leonardo<br />
da Vinci: Maler am Hof von Mailand», National<br />
Gallery, London, 9. November 20<strong>11</strong> – 5. Februar<br />
2012, sowie einen Wettbewerb finden Sie unter<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong>.<br />
vollendete. Es war Jahrhunderte lang verschollen<br />
und galt als verloren oder vernichtet.<br />
Glücklicherweise wurde es vor nicht allzu<br />
langer Zeit in einer amerikanischen Privatsammlung<br />
entdeckt. Zahllose Tests und genaue<br />
Untersuchungen haben ergeben, dass<br />
es ein echter da Vinci ist. Die Ausstellung<br />
gibt den Besuchern die erstmalige und einmalige<br />
Gelegenheit, «Salvator Mundi» mit anderen<br />
Gemälden und Zeichnungen da Vincis<br />
zu vergleichen.<br />
Charakter und Gefühl: «Das Abendmahl»<br />
Die Ausstellung klingt im Sunley-Saal der<br />
National Gallery aus, dies aber nicht mit<br />
irgendeinem Werk, sondern wohl mit da Vincis<br />
berühmtestem: «Das Abendmahl». Ludovico<br />
Sforza ass zweimal in der Woche im<br />
Refektorium von Santa Maria delle Grazie zu<br />
Abend. Dort malte da Vinci das «Abendmahl»<br />
an die Nordwand des Speisesaals. In der<br />
National Gallery wird eine fast zeitgenössische<br />
Kopie seines Schülers Giampietrino als<br />
Leihgabe der Royal Academy gezeigt.<br />
<strong>04</strong><br />
<strong>04</strong> Nach Jahrhunderten<br />
wiederentdeckt in<br />
amerikanischem<br />
Privatbesitz: da Vincis<br />
«Salvator Mundi».<br />
05 Leonardo da Vinci.<br />
«Madonna mit der<br />
Spindel», 1501 und<br />
später, 10. Herzog<br />
von Buccleuch,<br />
Buccleuch Living<br />
Heritage Trust.<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
54 Credit Suisse<br />
Young Singers Project<br />
Das Young Singers Project an<br />
den Salzburger Festspielen erweist<br />
sich einmal mehr als exzellentes<br />
Instrument der Nachwuchsförderung.<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Stimmgewaltige<br />
Schwalben<br />
02<br />
01<br />
01 Alfred Brendel im Duett<br />
mit Olena Tokar.<br />
02 Theresa <strong>Holz</strong>hauser im<br />
«Münchner Merkur»:<br />
«Ich habe noch nie mit<br />
einem Mezzo als Lehrerin<br />
gearbeitet. Und jetzt<br />
kommt dann Christa<br />
Ludwig! Da zittern einem<br />
schon ein wenig die Knie.»<br />
Es war eine schöne Zeit in München,<br />
aber irgendwann muss man die<br />
Schule auch hinter sich lassen und<br />
sehen, wie es auf dem freien Markt<br />
läuft und ob es wirklich für eine Karriere<br />
reicht», begründete Theresa <strong>Holz</strong>hauser<br />
gegenüber dem «Münchner Merkur» ihre Teilnahme<br />
am Young Singers Project (YSP).<br />
Nein, Bedenken habe er keine, ob die jungen<br />
Sänger Karriere machen würden oder<br />
nicht, relativierte Projektinitiant Michael<br />
Schade im Interview mit dem Wiener «Kurier».<br />
«Vielmehr geht es darum, wie sie diese<br />
machen. Wir geben ihnen den letzten Schliff<br />
innerhalb eines geschützten Rahmens. Manche<br />
Talente gilt es zu zügeln, manche zu peitschen,<br />
um die Stimme freizulegen. Manche<br />
ehemaligen Teilnehmenden fragen mich noch<br />
heute um Rat.»<br />
Elf der besten Talente weltweit<br />
Elf hoch talentierte junge Sängerinnen und<br />
Sänger waren von Eva Wieser, der Betriebsdirektorin<br />
der Salzburger Festspiele, für das<br />
zwei Monate dauernde Young Singers Project<br />
ausgewählt worden. In Salzburg wurden sie<br />
dann von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen<br />
in allen Belangen, die für den Erfolg von<br />
Opernsängern wichtig sind, intensiv geschult.<br />
Die Öffentlichkeit durfte die Stimmen der<br />
Zukunft an vier Meisterklassen mit Matthias<br />
Goerne, Michael Schade, Alfred Brendel und<br />
Christa Ludwig sowie einem Abschlusskonzert<br />
mit dem Mozarteumorchester unter der<br />
Leitung von Ivor Bolton hören – und vereinzelt<br />
sogar an den Aufführungen der Festspiele<br />
selbst, für die sich die Sänger als Coverinterpreten<br />
seriös vorbereitet hatten (und auch<br />
dabei natürlich von den Dirigenten und Regisseuren<br />
und der jeweiligen Hauptbesetzung<br />
viel lernten). Während Antonio Poli, YSP-Teilnehmer<br />
2010, unter anderem als Malcolm in<br />
«Macbeth» auftrat, durfte der kroatische Bass<br />
Marko Mimica einmal den grossen Erwin<br />
Schrott im «Figaro» vertreten. Und Theresa<br />
<strong>Holz</strong>hauser, die vielleicht die sicht- und hörbarsten<br />
Fortschritte aller Projektteilnehmenden<br />
erzielte, kam in der Doppelpremiere von<br />
«Iolanta» und «Le Rossignol» zu einem Auftritt<br />
neben Anna Netrebko und Piotr Beczala.<br />
YSP als Schaufenster zur Opernwelt<br />
Erfreulicherweise findet das YSP auch bei<br />
Dirigenten, Intendanten und Kulturjournalisten<br />
immer grössere Beachtung. Manch ein<br />
Name scheint in ein Notizblöcklein notiert<br />
worden zu sein. Grosses Lob ernteten in den<br />
Medien neben <strong>Holz</strong>hauser auch die Südafrikanerin<br />
Sarah-Jane Brandon, die Ukrainerin<br />
Olena Tokar, die Luxemburgerin Claudia Galli<br />
und der Australier Derek Welton.<br />
Die Aufzucht der Schwalben ist, so Michael<br />
Schade, geglückt. Zum Brüten werden sie<br />
schon bald wieder nach Salzburg zurückkehren.<br />
Das hofft er, und das hoffen auch sie.<br />
Die Credit Suisse hat das YSP zusammen mit<br />
Nachwuchsjournalisten auf dem Blog<br />
http://youngsingersproject.com in Wort, Bild und<br />
Ton intensiv begleitet. Dort kann man sich auch<br />
jetzt noch ein eigenes Urteil über die Talente bilden.<br />
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><br />
Fotos: Muster Mustermann | Muster Mustermann<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 55<br />
Prix Credit Suisse Jeunes Solistes<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Heller Cello-Stern<br />
Die chinesische Cellistin Mi Zhou überzeugte als Gewinnerin des<br />
Prix Credit Suisse Jeunes Solistes zusammen mit ihrer Partnerin Paola<br />
De Piante Vicin in der Reihe «Debut» von Lucerne Festival. Gewinnen<br />
Sie eine von fünf signierten Live-CDs des Konzerts vom 18. August unter<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong>. Die CD gelangt nicht in den Handel.<br />
Junge Solisten mit berauschendem<br />
Können», betitelten die «Schaffhauser<br />
Nachrichten» einen Artikel über die<br />
Reihe «Debut» von Lucerne Festival.<br />
Dabei betonte Rita Wolfensberger, dass sich<br />
«Debut» nicht auf die Karriere bezieht, sondern<br />
auf den ersten Auftritt an diesem immer<br />
wichtiger werdenden achtwöchigen Musikfest.<br />
Als «überwältigenden Höhepunkt»<br />
bezeichnete die Musikkritikerin die von Mi<br />
Zhou und Paola De Piante Vicin vorgetragene<br />
C-Dur-Sonate op. <strong>11</strong>9 von Sergej Prokofjew.<br />
Zehn Jahre nach Sol Gabetta<br />
Fotos: Priska Ketterer, Lucerne Festival | Zeichnung: Linda Graedel<br />
«In den Fussstapfen von Sol Gabetta» überschrieb<br />
Fritz Schaub seinen Beitrag in der<br />
«Neuen Luzerner Zeitung». Sol Gabetta hatte<br />
2001, zehn Jahre vor Mi Zhou, den Prix<br />
Credit Suisse Jeunes Solistes gewonnen und<br />
später auch noch den Credit Suisse Young<br />
Artist Award. Wie steil ihre Karriere danach<br />
verlief, zeigt die Tatsache, dass Sol Gabetta<br />
am 2. Oktober bereits ihren dritten Echo-<br />
Klassik-Preis erhalten hat. Ob Mi Zhou ein<br />
ähnlicher Sprung in die Weltelite gelingt ?<br />
«Das Rezital in der voll besetzten Lukaskirche<br />
lässt Hoffnungen in dieser Richtung durchaus<br />
zu», hält Schaub fest, der Mi Zhou «Intelligenz<br />
gepaart mit Musikalität» bescheinigt<br />
und «entgegen dem, was man gerne Asiaten<br />
nachsagt, ein ausgesprochenes Flair für Romantik,<br />
für Gefühl, für agogische Freiheiten.»<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
56 Credit Suisse<br />
Fotos: © 20<strong>11</strong> ProLitteris | Markus Bühler-Rasom<br />
Pablo Picasso, «Le petit pierrot aux fleurs», 1923/24. Öl auf Leinwand, 92,1 x 73,6 cm, The Nahmad Collection.
Credit Suisse 57<br />
Kunsthaus Zürich<br />
Text: Regula Brechbühl<br />
Kunstbestand oder<br />
Sammlung?<br />
Mit The Nahmad Collection ermöglicht das Kunsthaus<br />
Zürich einen Einblick in den Kunstbesitz einer Familie und<br />
zeigt etliche noch nie gesehene oder veräusserte Werke<br />
von Picasso bis Matisse. Doch ein grosser Kunstbestand<br />
macht noch keine Sammlung aus. Deshalb bleibt die<br />
Ausstellung auch für den Kurator Christoph Becker bis<br />
zuletzt ein spannendes Experiment.<br />
01<br />
Herr Becker, der kurze Zeitraum – rund<br />
ein Jahr –, in dem die Ausstellung realisiert<br />
wurde, erstaunt.<br />
Christoph Becker: Nun, einerseits ist die<br />
Familie Nahmad sehr gut organisiert und<br />
dokumentiert. Andererseits bestand der<br />
Kontakt bereits, weil das Kunsthaus schon<br />
mehrmals mit der Familie zusammengearbeitet<br />
und von ihr immer sehr gute Leihgaben<br />
erhalten hat.<br />
Und daraus ist die Idee entstanden,<br />
gemeinsam eine Ausstellung zu realisieren?<br />
Wir als Museum haben uns die Frage gestellt,<br />
ob da nicht doch schon eine Sammlung vorhanden<br />
wäre – nach rund 50 Jahren Kunsthandel<br />
und mit einem so riesigen Kunstwerkbestand<br />
betrachteten wir es als den richtigen<br />
Zeitpunkt.<br />
Und was unterscheidet nun einen grossen<br />
Bestand an Werken von einer Sammlung?<br />
Jeweils ein Werk von verschiedenen berühmten<br />
Künstlern zu haben, macht allein noch<br />
keine Sammlung aus. Entscheidend für das<br />
Gelingen sind zwei Faktoren: die Verbindung<br />
zwischen den Werken und Werkgruppen sowie<br />
die Möglichkeit, über einen längeren<br />
Zeitraum nach passenden Werken zu suchen.<br />
Und das ist beim Privatbesitz der Familie<br />
Nahmad offensichtlich gelungen.<br />
Ja, ihre Vorlieben für gewisse Künstler und<br />
die teilweise sehr kompakten Werkgruppen<br />
machen klar ersichtlich, dass nicht innerhalb<br />
von ein paar Jahren schnell viel Kunst erworben<br />
wurde, sondern dass viele Personen<br />
über Jahrzehnte hinweg ganz gezielt Werke<br />
gesucht und gefunden haben.<br />
Was hat dafür gesprochen, das Experiment<br />
mit dem Kunsthaus Zürich zu wagen?<br />
02<br />
<strong>04</strong><br />
Wir haben über die letzten Jahrzehnte hinweg<br />
bis heute behutsam, mit langem Atem<br />
und durchaus erfolgreich mit grossen Privatsammlungen<br />
zusammengearbeitet. Wir schreiben<br />
der Familie nichts vor, sondern machen<br />
lediglich ein Angebot, indem wir uns mit<br />
einem spezifischen Konzept, unserem Knowhow,<br />
unserer Geschichte und mit unserem<br />
Publikum zur Verfügung stellen.<br />
War diese Erfahrung auch ein Grund,<br />
weshalb die Zusage der Familie Nahmad<br />
nicht lange auf sich warten liess?<br />
Die Nahmads haben sich doch einige Wochen<br />
beraten. Verständlicherweise konnten<br />
sich nicht alle Mitglieder der Familie von ><br />
03<br />
01 Christoph Becker,<br />
Direktor Kunsthaus Zürich<br />
und Kurator der Ausstellung.<br />
02 Kazimir Malevich,<br />
«Suprematist Composition»,<br />
1916. Öl auf Leinwand,<br />
88,5 x 71 cm,<br />
The Nahmad Collection.<br />
03 Claude Monet, «Canotiers<br />
à Argenteuil», 1874.<br />
Öl auf Leinwand, 60 x 81 cm,<br />
The Nahmad Collection.<br />
<strong>04</strong> Joan Miró, «Oiseau dans<br />
la nuit», 1967. Öl auf<br />
Leinwand, 189,9 x 276,9 cm,<br />
The Nahmad Collection.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
58 Credit Suisse<br />
06<br />
nahme. Diese Werke funktionieren nicht als<br />
eigenständige Werkgruppe, sondern eher<br />
als Schlüsselbilder zwischen denselben.<br />
Wo reiht sich Modigliani ein, der ja nicht<br />
eigentlich einer Stilrichtung oder eben einer<br />
Werkgruppe zuzuordnen ist?<br />
Die Affinität zur italienischen Kunst stammt<br />
daher, dass die Familie aus dem Libanon<br />
nach Italien übersiedelte. In den 1960er- und<br />
1970er-Jahren galt Modigliani als relativ neuer<br />
Künstler und wurde auch als solcher gehandelt.<br />
Die Modigliani-Gruppe ist besonders<br />
interessant, weil daran gut die Entstehung<br />
der Sammlung nachvollzogen werden kann.<br />
The Nahmad Collection ist nun also<br />
<br />
05<br />
Anfang an mit der Ausstellung identifizieren,<br />
weil sie den Schritt in die Öffentlichkeit bedeutet.<br />
Viele Bilder wurden bereits schon<br />
früher ausgestellt, noch nie wurde aber eine<br />
solche Fülle und in dieser Zusammenstellung<br />
gezeigt. Schon allein daraus eine Auswahl<br />
zu treffen, war eigentlich ein persönliches<br />
Statement.<br />
Welche Rolle spielte die Familie bei<br />
der Auswahl der Werke?<br />
Sie war selbst sehr aktiv dabei. Das war<br />
das spannende Experiment am Ganzen: Die<br />
Nahmads mussten unter ihrem grossen Kunstbesitz<br />
das ausfindig machen, was man unter<br />
dem Begriff The Nahmad Collection firmieren<br />
konnte. So haben wir gleichzeitig je eine<br />
Liste mit den Werken erstellt, die nach eigener<br />
Einschätzung in eine Sammlung gehören.<br />
Wie stark prägend waren Sie als Kurator?<br />
Nun, wir haben uns aus diesem grossen<br />
Fundus schon nur diejenigen Werke ausgesucht,<br />
die erstens den Qualitätsmassstäben<br />
des Kunsthauses genügen und zweitens<br />
den Geschmack der Familie Nahmad<br />
widerspiegeln.<br />
Und was passierte anschliessend mit den<br />
beiden Listen? Waren Sie sich schnell einig?<br />
Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir beide<br />
unabhängig voneinander die fünf Werkgruppen,<br />
die jetzt durch die Ausstellung führen,<br />
festgelegt. Erfreulicherweise waren die Listen<br />
zu fast 90 Prozent kongruent, was uns<br />
in unserem Vorhaben bestärkt hat. Von da<br />
an ging es recht zügig voran, wir haben<br />
Werke ausgetauscht, kleinere Werkgruppen<br />
um gebildet. Aber all das geschah eigentlich<br />
schon im Hinblick auf die Ausstellung, also<br />
darauf, wie die Werke dort wirken würden.<br />
Von Picasso wissen wir, dass die Familie<br />
eine klare Vorliebe für ihn hat. Weshalb?<br />
Sie sehen Picasso als denjenigen, der die<br />
grösste künstlerische Potenz besitzt, die<br />
05 Fernand Léger, «Nature morte»,<br />
1927. Öl auf Leinwand, 130,2 x<br />
88,9 cm, The Nahmad Collection.<br />
06 Wassily Kandinsky, Studie zu<br />
«Improvisation 3», 1909. Öl und<br />
Gouache auf Karton, Rahmen vom<br />
Künstler bemalt, 44,5 x 64,7 cm,<br />
The Nahmad Collec tion.<br />
meisten Verbindungen zu anderer Kunst im<br />
20. Jahrhundert herstellt und der seine Zeitgenossen<br />
am stärksten inspirierte. Abgesehen<br />
davon ist er auch das dominanteste<br />
Standbein der Galerie Nahmad.<br />
Agiert Picasso in der Ausstellung also<br />
als Vermittler verschiedener Stile?<br />
Er bildet einen Grossteil des Gesamtbestandes<br />
– diesen Umstand reflektiert auch jede<br />
Auswahl. Aber seine Werke stehen nicht<br />
immer nebeneinander, sondern zeigen die<br />
Querverbindungen zwischen ihm und anderen<br />
namhaften Künstlern wie Monet oder<br />
Matisse und die Auseinandersetzung oder<br />
sogar den Vergleich mit ihnen auf. Man wird<br />
die Künstlergruppen noch wiedererkennen,<br />
aber Picasso zementiert den Zusammenhalt.<br />
Gibt es noch andere Schwerpunkte im<br />
Kunstbestand der Familie, die durch<br />
die Ausstellung repräsentiert werden?<br />
Da ist eine grosse Gruppe von Monet-<br />
Bildern, die ergänzt wird durch Werke von<br />
Degas und Toulouse-Lautrec, also ein Impressionismusblock.<br />
Durch die Klassische<br />
Moderne führen die Matisse-Bilder, vom<br />
Fauvismus bis in die 1930er-Jahre hinein.<br />
Zudem existiert eine Gruppe von Porträts von<br />
Modigliani, ein halbes Dutzend Bildnisse, wie<br />
sie in keiner anderen Privatsammlung weltweit<br />
vorkommt. Ein Schwerpunkt liegt dann<br />
wieder auf den Surrealisten wie Magritte.<br />
Grundsätzlich sind sehr viele Bilder gegenständlich.<br />
Auch das also eine Vorliebe?<br />
Ja, ganz klar, es sind Landschaften und noch<br />
mehr Figuren zu sehen. In der Sammlung gibt<br />
es zwar abstrakte Bilder von Mondrian und<br />
Kandinsky, aber sie bilden eher die Aus-<br />
eine Sammlung?<br />
Erst, wenn das Publikum unsere These teilt<br />
und die Sammlung auch als eine solche betrachtet,<br />
werden wir diese Frage definitiv mit<br />
einem Ja beantworten können. Der Sammlung<br />
von Ernst Beyeler beispielsweise, die vor<br />
25 Jahren die Sammlung eines Kunsthändlers<br />
war, verlieh die Museums ausstellung schliesslich<br />
den Charakter einer musealen Sammlung.<br />
Ich hoffe, dass uns das mit dem Experiment<br />
der Nahmad Collection auch gelingt.<br />
«Miró, Monet, Matisse –<br />
The Nahmad Collection»<br />
Das Kunsthaus Zürich zeigt vom 21. Oktober 20<strong>11</strong><br />
bis zum 15. Januar 2012 exklusiv und erstmals<br />
mehr als 100 Gemälde – unter anderem von<br />
Picasso, Miró, Matisse, Kandinsky und Monet –<br />
der Privatsammlung der Familie Nahmad.<br />
Weitere Informationen zur Ausstellung<br />
www.kunsthaus.ch<br />
Der Katalog zur Ausstellung enthält nebst<br />
Bildern von allen Werken viele kunsthistorische<br />
Beiträge und ein Interview mit Helly Nahmad<br />
über die Familiengeschichte und die Entstehung<br />
der Sammlung.<br />
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Fotos: © 20<strong>11</strong> ProLitteris<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 59<br />
Zurich Film Festival<br />
Sean Penn, Paul<br />
Haggis, Nils Jent<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Beim Zurich Film Festival trafen sich – bereits zum siebten Mal – die besten<br />
Nachwuchsfilmer der Welt mit Stars wie Alejandro González Iñárritu,<br />
Emma Stone oder Sean Penn. Aber es gab auch andere Begegnungen.<br />
Stefan Muggli, Nils Jent und Andri Hinnen (von links) auf dem Grünen Teppich.<br />
Nils Jent heisst der Mann im Mittelpunkt<br />
der ersten Medienkonferenz<br />
am Zurich Film Festival. Eine Person,<br />
die nicht für Glamour steht,<br />
aber ein Vorbild für uns alle sein kann. «Dieses<br />
filmische Antidot gegen Selbstaufgabe<br />
macht Mut!», erklärt Festivalleiterin Nadja<br />
Schildknecht zum Schweizer Dokumentarfilm<br />
«Unter Wasser Atmen – Das zweite Leben des<br />
Dr. Nils Jent» der Regisseure Andri Hinnen<br />
und Stefan Muggli, dem man – un ab hängig<br />
von der erst nach Redaktions schluss erfolgten<br />
Preisverlei hungen – viele Zuschauer gönnen<br />
würde, genauso wie man dem Buch von Röbi<br />
Koller «Dr. Nils Jent. Ein Leben am Limit»<br />
viele Leser wünscht. Ein 18-Jähriger verunfallt<br />
schwer, sein Herz steht während der<br />
Notoperation zweimal still. Seither ist er blind,<br />
weitgehend gelähmt und schwer sprechbehindert.<br />
Doch heute unterrichtet Nils Jent<br />
am Center for Disability and Integration an<br />
der Universität St. Gallen. Mehr über Nils<br />
Jent, die Stars am Zurich Film Festival und<br />
die Gewinner der vier Wettbewerbe erfahren<br />
Sie unter www.credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong><br />
sowie im nächsten <strong>bulletin</strong>.<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
60 Credit Suisse<br />
Kultursommer<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Die kulturelle<br />
Schweizerkarte<br />
Wenn es Sommer wird und Ferienzeit, zieht es viele<br />
Schweizerinnen und Schweizer ans Meer. Noch mehr<br />
vom Sommer profitieren sie allerdings, wenn sie<br />
zu Hause bleiben und vom vielfältigen Kulturangebot<br />
Gebrauch machen. Unser unvollständiger Rückblick<br />
soll nicht zuletzt daran erinnern, dass wir uns bereits<br />
mitten in einem attraktiven Kulturherbst befinden.<br />
Das Flaggschiff des Schweizer<br />
Kultursommers ist zweifellos<br />
Lucerne Festival, das während<br />
sechs Wochen klassische<br />
Musik auf allerhöchstem internationalem<br />
Niveau bietet. Als Resident Sponsor ermöglicht<br />
die Credit Suisse jeweils drei<br />
Konzerte der Wiener Philharmoniker –<br />
diesmal unter der Leitung von Franz Welser-Möst<br />
und Yannick Nézet-Séguin.<br />
Zudem glänzte im Rahmen der Reihe<br />
«Debut» die Cellistin Mi Zhou als Gewinnerin<br />
des Prix Credit Suisse Jeunes Solistes<br />
(siehe S. 55). Vier Wochen dauern<br />
alljährlich die Zürcher Festspiele unter der<br />
Leitung von Peter F. Weibel. Sie überzeugen<br />
durch ihre Interdisziplinarität und<br />
ein harmonisches Zusammenspiel der<br />
wichtigsten Kulturträger der Stadt Zürich.<br />
Mit dem Opernhaus, dem Schauspielhaus,<br />
dem Kunsthaus (siehe S. 56), dem Museum<br />
Rietberg und dem Tonhalle-Orchester<br />
Zürich tragen auch mehrere langjährige<br />
Partner der Credit Suisse zum guten<br />
Gelingen bei. Gleich anschliessend folgten<br />
dieses Jahr Live at Sunset sowie im<br />
September das von Jahr zu Jahr bedeutender<br />
werdende Zurich Film Festival (siehe<br />
S. 59) und im nahen Winterthur das<br />
Beethoven-Festival als Saisonauftakt des<br />
Musikkollegiums Winterthur. Bereits läuft<br />
auch wieder das Projekt «Winterthur<br />
schreibt eine Oper» auf Hochtouren, diesmal<br />
zusammen mit einer Partnerschulklasse<br />
in Beirut. Mehr Informationen über<br />
die Partner der Credit Suisse findet man<br />
unter www.credit-suisse.com/sponsoring<br />
oder www.credit-suisse.com/lesamis.<br />
Opernfestival Avenches<br />
Der sanfte Neustart in Avenches unter dem neuen künstlerischen<br />
Leiter Eric Vigié und mit dem Orchestre de Chambre de<br />
Lausanne ist optimal gelungen: 29 000 Besucherinnen und<br />
Besucher waren mit der Aufführung von «Rigoletto» – trotz<br />
zweier kurzer Regenschauer – restlos zufrieden und freuen<br />
sich bereits auf «La Bohème» im Juli 2012.<br />
Regisseur Adriano Sinivia<br />
überzeugte im Amphitheater<br />
durch eine schlüssige,<br />
ideenreiche Inszenierung.<br />
Und die Solisten<br />
begeisterten,<br />
allen voran der mexikanische<br />
Bariton Carlos Almaguer<br />
als Rigoletto und die<br />
russische Sopranistin<br />
Olga Peretyatko<br />
als Gilda.<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 61<br />
kammerorchesterbasel<br />
Im geschichtsträchtigen Ackermannshof in der St. Johanns-<br />
Vorstadt hat das 1984 gegründete kammerorchesterbasel<br />
endlich einen Heimathafen gefunden, der den Orchestermitgliedern<br />
und der Administration unter einem Dach Platz bietet.<br />
Die Eröffnung unter dem Titel «Nachtklang» stiess auf genauso<br />
grosses Interesse wie die ersten Aufführungen der neuen<br />
Saison. Für das Orchester wird eine längere Asientournee<br />
im Frühjahr einen Höhepunkt bilden, für das Schweizer<br />
Publikum aber reiht sich ein Höhepunkt an den anderen.<br />
kammerorchesterbasel.ch<br />
Zwei neue Kulturpreise<br />
Die Nachwuchsförderungspreise der Credit Suisse,<br />
insbesondere der Credit Suisse Young Artist Award und<br />
der Prix Credit Suisse Jeunes Solistes, sind dank<br />
herausragender Preisträgerinnen und Preisträger fester<br />
Bestandteil der Kulturszene geworden. 20<strong>11</strong> kamen zwei<br />
Förderpreise in den Bereichen Jazz und Video hinzu.<br />
St. Galler Festspiele<br />
Die 2006 erstmals durchgeführten St. Galler<br />
Festspiele sind heute aus dem Ostschweizer Kulturleben<br />
bereits nicht mehr wegzudenken: Sie überzeugen<br />
durch ihr Ambiente – und ihre Qualität.<br />
Ein gewaltiges Historiengemälde über die Eroberung Israels, das<br />
nicht zuletzt durch seine lyrischen und martialischen Chorgesänge<br />
beeindruckte, stand diesmal im Zentrum der St. Galler Festspiele:<br />
«I Lombardi alla prima crociata» von Giuseppe Verdi, aufgeführt<br />
unter der musikalischen Leitung von Antonio Fogliani und in einer<br />
Inszenierung von Guy Montavon. Neben der Oper fanden aber<br />
auch die Konzerte und die Tanzdarbietungen grosse Beachtung<br />
bei insgesamt 13 000 Besuchern. stgaller-festspiele.ch<br />
Zermatt Festival<br />
Dank der Treue des aus acht Mitgliedern der Berliner Philharmoniker<br />
bestehenden Scharoun Ensembles wurde auch das<br />
siebte Zermatt Festival wiederum ein uneingeschränkter Erfolg.<br />
Zum Schluss spielte traditionsgemäss das Zermatt Festival<br />
Orchestra mit rund 30 jungen Musikern aus aller Welt.<br />
Wo es Pablo Casal gefiel,<br />
gefällt es auch den Sopranistinnen<br />
Rachel Harnisch<br />
und Barbara Hannigan.<br />
Das Scharoun Ensemble<br />
und die Violinistin Baiba<br />
Skride förderten in der<br />
Zermatt Festival Academy<br />
den Nachwuchs mit Verve.<br />
zermattfestival.com<br />
Das Westschweizer Jean-Lou<br />
Treboux Quintett gewann im Mai an<br />
den Stanser Musiktagen den ersten<br />
Credit Suisse Förderpreis Jazz.<br />
Er besteht aus einem Bandcoaching,<br />
der Produktion einer CD sowie<br />
einem Auftritt am Schaffhauser<br />
Jazzfestival 2012.<br />
stansermusiktage.ch<br />
jazzfestival.ch<br />
Den Gewinner des Credit Suisse<br />
Förderpreises Videokunst, der in<br />
Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum<br />
Bern erkoren wird, erfährt<br />
man im Rahmen der 10. Museumsnacht<br />
Bern im März 2012.<br />
kunstmuseumbern.ch<br />
Davos Festival<br />
Wie kann man nach einem glanzvollen Jubiläumsjahr wieder in<br />
einen hörenswerten Normalrhythmus zurückfinden? Graziella<br />
Contratto und Dolores Mark wussten wie: «Cherchez la femme.»<br />
Unter den zahlreichen<br />
Frauen ragte die aserbaidschanische<br />
Komponistin<br />
Franghiz Ali-zade heraus.<br />
Beim 26. Davos Festival<br />
wussten auch das tschechische<br />
Zemlinsky Quartett<br />
und das französische<br />
Quatuor Ardeo zu gefallen.<br />
davosfestival.ch<br />
Fotos: Marc-André Guex | Kammerorchester Basel | André A. Niederberger | St. Galler Festspiele | Marco Borggreve | Davos Festival<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
01 Bundesrat Johann N.<br />
Schneider-Ammann<br />
fühlte sich, wie er betonte,<br />
«at home».<br />
02 Präsident Hans-Ulrich<br />
Müller als Lokomotive<br />
des KMU-Netzwerks.<br />
01<br />
03 Eine Podiumsdiskussion<br />
mit Witz und Sachkenntnis<br />
(von links): Gerold Bührer,<br />
Brigitte Breisacher, Reto<br />
Lipp, Hans-Ulrich Meister<br />
und Rudolf Stämpfli.<br />
03<br />
02<br />
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Swiss Venture Club<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Das Modell für die<br />
KMU der Schweiz<br />
«SVC bewegt – seit zehn Jahren» – unter diesem Motto<br />
führte der von Hans-Ulrich Müller präsidierte Swiss Venture<br />
Club im September seine Jubiläumsgeneralversammlung<br />
im Hotel Bellevue Palace in Bern durch. Als treuer Begleiter<br />
des KMU-Netzwerks von der ersten Stunde an liess es sich<br />
Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann nicht nehmen,<br />
den über 400 Mitgliedern eine Grussbotschaft zu entrichten,<br />
in der er vor allem auch die Innovationsfähigkeit der Schweizer<br />
KMU lobte.<br />
Das belegen auch Statistiken, wie Martin Neff, Head<br />
Credit Suisse Economic Research, ausführte: Die Schweiz<br />
ist, nicht zuletzt dank ihrer KMU, in Relation zur Bevölkerungszahl<br />
weltweiter Leader in Sachen Patente, wissenschaftliche<br />
Publikationen und Infrastruktur sowie die Nummer<br />
2 beim Export von Spitzentechnologie – und dies trotz<br />
mässiger Ausgaben für Forschung und Entwicklung und<br />
sogar eines sehr tiefen Anteils an Forschern.<br />
Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich (Mathematik,<br />
Naturwissenschaften und Ingenieurwesen) bereitet Neff aber<br />
Sorgen. Er ist nur dank dem Zugang qualifizierter Fachkräfte<br />
kein existenzielles Problem. Neff zeigte sich erleichtert,<br />
dass die Unternehmer in einer beim SVC durchgeführten<br />
Umfrage die Bedeutung der Migration erkannt haben. Die<br />
Umfrageergebnisse sind in die Studie «Modell Schweiz im<br />
Wandel: Chancen und Risiken für KMU» integriert.<br />
Optimismus und Unterhaltung bot das Podium über das<br />
Modell Schweiz mit Brigitte Breisacher, CEO Alpnach-Norm-<br />
Gruppe, Rudolf Stämpfli, Mitinhaber Stämpfli AG, Gerold<br />
Bührer, Präsident Economiesuisse, Hans-Ulrich Meister,<br />
CEO Credit Suisse Schweiz, sowie mit Reto Lipp als Moderator,<br />
www.swiss-venture-club.ch.<br />
Fotos: Michael Schär | Zürich Film Festival<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse<br />
MAKERS OF THE ORIGINAL SWISS ARMY KNIFE
Credit Suisse 63<br />
Pressekonferenz<br />
Text: Andreas Schiendorfer<br />
Optimismus als<br />
Konjunkturkatalysator<br />
20<strong>11</strong> wird das Schweizer Wirtschaftswachstum 1,9 Prozent<br />
betragen, 2012 werden es 2 Prozent sein. Dies begründeten<br />
die Experten der Credit Suisse am 6. September.<br />
Die traditionelle Präsentation der<br />
Wirtschaftsprognosen durch die<br />
Ökonomen der Credit Suisse fiel<br />
diesmal – unvorhergesehen – auf<br />
ein historisches Datum: die Festlegung des<br />
Euro auf einen Mindestkurs von 1.20 Franken.<br />
Dies lieferte natürlich zusätzlichen Gesprächsstoff.<br />
Analysten, Journalisten und<br />
auch die Experten der Credit Suisse begrüssten<br />
das entschlossene Vorgehen der Nationalbank;<br />
aber über die konkreten Auswirkungen<br />
war man sich nicht ganz einig.<br />
Dies widerspiegelt die aktuelle globale Wirtschaftslage:<br />
Höchstens 2008 war der Blick<br />
in die Kristallkugel ähnlich schwierig wie<br />
jetzt. Die Experten reagieren unterschiedlich<br />
darauf. Während BAK Basel die Schweiz<br />
am Rande einer Rezession wähnt, geht die<br />
Credit Suisse gleichentags optimistisch von<br />
einem Wachstum von 1,9 Prozent für das laufende<br />
und 2 Prozent für das nächste Jahr<br />
aus, womit sie die früheren Prognosen nur<br />
geringfügig nach unten korrigiert hat. Die<br />
Teuerung bleibt weiterhin tief.<br />
«Die Daten sind deutlich besser als die Stimmung»,<br />
führt dazu Martin Neff, Head Economic<br />
Research, aus. «Die nunmehr einjährige<br />
Überbewertung des Frankens hat beim<br />
Export bislang nur wenig Spuren hinterlassen.<br />
Die Warenexporte nahmen im ersten Halbjahr<br />
nominal um 3,6 Prozent und real um 10,5<br />
Prozent zu.» Dies wird zwar nicht ganz so<br />
bleiben, doch Neff warnt vor Schwarzmalerei:<br />
«Der Abschwung beginnt im Kopf.» Anlass zu<br />
Optimismus bietet vor allem auch die starke<br />
Finanzlage des Unternehmenssektors, die<br />
nicht nur zu Akquisitionen im Ausland, sondern<br />
auch zu Ausrüstungsinvestitionen führt.<br />
Der private Konsum hält ebenfalls durch,<br />
zumal die Tiefstzinsen und die schwache Teuerung<br />
zu einem Kaufkraftgewinn führen und<br />
der Konsumtourismus ins grenznahe Ausland<br />
seinen Höhepunkt bereits überschritten hat.<br />
Gewisse Sorgen bereitet Neff der Immobilienmarkt,<br />
wo Angebot und Nachfrage zwar<br />
in Einklang sind, die Preisentwicklung sich<br />
aber zunehmend von der Einkommensentwicklung<br />
abkoppelt.<br />
Ein ausführlicher wirtschaftlicher Ausblick<br />
auf 2012 folgt im nächsten <strong>bulletin</strong>.<br />
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Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong><br />
RA_400_Ins_Kunst_94x130_Bulletin-CS_d.indd 1 31.08.<strong>11</strong> 17:14
64 Credit Suisse<br />
Gastkommentar<br />
ICT – die Zukunft<br />
der Schweiz gestalten<br />
Ruedi Noser<br />
Präsident ICTswitzerland<br />
«Die Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
ist für den Finanzplatz<br />
Schweiz von existenzieller Bedeutung.<br />
Fast ein Viertel unserer Mitarbeitenden<br />
in der Schweiz sind in der IT tätig»,<br />
erklärt Karl Landert, CIO Credit Suisse.<br />
«Schon seit Jahren arbeiten wir eng<br />
mit der ETH Zürich und der EPFL<br />
Lausanne, aber auch mit Hochschulen<br />
in anderen Regionen der Schweiz<br />
zusammen. Zudem haben wir 20<strong>11</strong> in<br />
Lausanne ein hochmodernes IT-Entwicklungszentrum<br />
eröffnet.»<br />
Der drohende Fachkräftemangel<br />
stellt nun aber die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Innovations- und Technologiestandorts<br />
Schweiz in Frage. Der Branchenverband<br />
ICTswitzerland, zu dessen Vorstand<br />
Karl Landert gehört, hat reagiert<br />
und die verschiedenen Kräfte im IT-<br />
Be rufsfeld gebündelt. Künftig werden<br />
die Inhalte der IT-Ausbildungen besser<br />
auf die Bedürfnisse von Wirtschaft und<br />
Unternehmen abgestimmt. Eine breit<br />
abgestützte Arbeitsgruppe von ICT-<br />
Ex perten sowie von Vertretern aus<br />
Wirtschaft und Berufsbildung hat deshalb<br />
in einem ersten Schritt aus dem<br />
Fachausweis Informatik vier neue Fachausweise<br />
mit je einem klaren Profil<br />
entwickelt: ICT-Applikationsentwicklung,<br />
ICT-System- und -Netzwerktechnik,<br />
Wirtschaftsinformatik und Mediamatik.<br />
Bereits 2013 werden diese Ausweise<br />
erstmals Absolventen der Höheren<br />
Berufsbildung überreicht. Zudem sollen<br />
bis 2017 rund 3000 zusätzliche Lehrstellen<br />
geschaffen werden.<br />
«Auch wir werden unsere Lehrstellen<br />
von 50 auf über 100 erhöhen», versichert<br />
Karl Landert. Schi<br />
Mit dem Mobiltelefon<br />
kann man<br />
heute längst nicht<br />
mehr nur telefonieren,<br />
sondern auch sein<br />
Zugsbillett lösen oder Musik<br />
hören. Zahlungen erledigt<br />
man nicht mehr am Schalter,<br />
sondern online. Und das Büro ist heute dort,<br />
wo der Laptop aufgeklappt wird. Die Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien<br />
(ICT) machen all dies und noch viel mehr<br />
möglich. ICT verändert unser Leben. Grundlegend<br />
und nachhaltig.<br />
ICT erleichtert uns aber nicht nur den Alltag,<br />
sondern ist für die Schweiz auch ein<br />
wichtiger Standortfaktor. Denn dieser Sektor<br />
beinhaltet wesentliche Elemente wie IT-Produkte<br />
und -Anwendungen – für das Inland<br />
und als Exporte – zur Steigerung der wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit der Schweiz.<br />
Die Zahlen einer im Herbst 2010 publizierten<br />
umfassenden Studie zum ICT-Berufsfeld<br />
verdeutlichen das: Mit gut 25 Milliarden<br />
Schweizer Franken trägt die ICT in unserem<br />
Land etwa gleich viel zur Wertschöpfung bei<br />
wie die Versicherungsbranche und sogar<br />
mehr noch als die chemische Industrie. Die<br />
von economiesuisse und ICTswitzerland,<br />
dem Dachverband der IT-Industrie, im Früh-<br />
jahr lancierte Digitale Agenda<br />
2020 trägt diesem Umstand<br />
Rechnung und zeigt auf, mit<br />
welchen Massnahmen dieser<br />
wichtige Standortvorteil langfristig<br />
gesichert und gestärkt<br />
werden kann.<br />
Will die Schweiz wieder zu<br />
den führenden Ländern im ICT-Bereich gehören,<br />
benötigen wir nicht nur bessere Rahmenbedingungen,<br />
sondern vor allem auch<br />
genügend Fachkräfte. Genau hier liegt das<br />
Problem. Bis 2017 fehlen uns in der Schweiz<br />
netto rund 32 000 ICT-Spezialisten. Oder<br />
anders gesagt, es braucht jährlich rund<br />
3000 neue Lehrstellen und ebenso viele<br />
motivierte Lehrende, um den Bedarf an<br />
Fachkräften decken zu können. Das ist eine<br />
enorme Herausforderung. Mit der Gründung<br />
von ICT-Berufsbildung Schweiz im Frühjahr<br />
2010 wurde ein erster wichtiger Grundstein<br />
gelegt, um mehr Jugendliche für eine Ausbildung<br />
in der ICT zu gewinnen. Staatliche<br />
Institutionen spannen dabei mit der Wirtschaft<br />
zusammen. Wenn ICT schon unser<br />
Leben grundlegend verändert, dann sollten<br />
wir Entwicklungen in diesem Bereich nicht<br />
einfach den USA überlassen. Denn was<br />
unser Leben verändert, verändert auch unsere<br />
Kultur.<br />
Impressum<br />
<strong>11</strong>7. Jahrgang, 5 x jährlich, Deutsch, Englisch,<br />
Französisch, Italienisch<br />
HERAUSGEBER: Credit Suisse AG<br />
Postfach 2, CH-8070 Zürich, Telefon +41 44 333 <strong>11</strong> <strong>11</strong><br />
REDAKTION: Andreas Schiendorfer (schi), Chefredaktor;<br />
Stefan Behmer (sb), Leitung Internationale Ausgabe; Regula<br />
Brechbühl (rb), Schwerpunkt; Dorothee Enskog (de), Wirtschaft;<br />
Claudia Hager (ch), Credit Suisse Redaktionelle Mitarbeit<br />
Nicola B. Mohler, Alice Ratcliffe, Urs Schwarz Corporate<br />
Responsibility Mandana Razavi (mar), Valérie Clapasson Fahrni<br />
(cfv), Angela Harp (ah) Sponsoring Daniel Huber (dhu),<br />
Stefan Behmer, Michael Krobath (mk) Praktikum Sandra<br />
Buchmann, Schirin Razavi, Franziska Thürer<br />
Kontakt redaktion.<strong>bulletin</strong>@credit-suisse.com Internet www.<br />
credit-suisse.com/<strong>bulletin</strong> Facebook <strong>bulletin</strong> der Credit Suisse<br />
GESTALTUNG UND REALISATION: Arnold Inhalt und Form:<br />
Michael Suter (Leitung), Luzian Meier, Monika Häfliger, Maja<br />
Davé, Renate Hanselmann, Angelique Bolter, Karin Cappellazzo,<br />
Stefanie Süess Korrektorat Carola Bächi (AIF), Claudia Marolf<br />
(notabene) Übersetzungen Credit Suisse: Adrian Caminada,<br />
Francesco Di Lena, Richard S. Hughes, Nathalie Lamgadar,<br />
Marie-Sophie Minart Druck Swissprinters Zürich AG<br />
VERLAG: Daniel Huber (Leitung), Stefan Behmer (Marketing/<br />
Inserate), Tel. <strong>04</strong>4 334 58 88, <strong>bulletin</strong>@behmer.ch WEMF-Auflage<br />
20<strong>11</strong> 139 575 Registrierung ISSN 1423-1360 Mutationen<br />
siehe Talon Nachdruck von Texten ge stattet mit Hinweis<br />
«Aus dem <strong>bulletin</strong> der Credit Suisse».<br />
REDAKTIONSKOMMISSION: Nicole Brändle Schlegel,<br />
René Buholzer, Barend Fruithof, Sandro Grünenfelder, Anja<br />
Hochberg, Angelika Jahn Wassmer, Bettina Junker Kränzle,<br />
Hanspeter Kurzmeyer<br />
Diese Publikation dient zu Informationszwecken. Sie bedeutet<br />
kein Angebot und keine Aufforderung seitens der Credit Suisse<br />
zum Kauf oder Verkauf von Wertschriften. Hinweise auf die frühere<br />
Performance garantieren keine positiven Entwicklungen in<br />
Zukunft. Die Analysen und Schlussfolgerungen wurden durch die<br />
Credit Suisse erarbeitet und könnten vor ihrer Weitergabe an die<br />
Kunden bereits für Transaktionen von Gesellschaften der Credit<br />
Suisse Group verwendet worden sein. Die ver tretenen Ansichten<br />
sind die der Credit Suisse zum Zeitpunkt der Drucklegung.<br />
(Änderungen vor behalten.) Credit Suisse ist eine Schweizer Bank.<br />
Foto: zvg<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Dossier<br />
Wald<br />
Inhalt<br />
01 Das Internationale Jahr der Wälder<br />
02 Essay: Welcher Wert hat der Wald?<br />
03 Dialog über Funktion und Erhalt der Wälder<br />
<strong>04</strong> Schutzwald und Klimawandel<br />
05 Freiwilligeneinsätze bei Umweltorganisationen
01<br />
Internationales Jahr der Wälder<br />
Wälder<br />
der Erde<br />
Obwohl Wälder nur ungefähr<br />
sechs Prozent der Erdoberfläche<br />
bedecken, bieten sie<br />
300 Millionen Menschen<br />
und rund 50 Prozent aller<br />
Pflanzen- und Tierarten Raum<br />
zum Leben. Waldgebiete<br />
sind damit die artenreichsten<br />
Landlebensräume der Welt<br />
und unentbehrlich für unsere<br />
Gesellschaft und Wirtschaft.<br />
Millionen von Menschen<br />
hängen von ihnen ab: Von<br />
Nahrung, Obdach und Medizin<br />
über Treibstoff und andere<br />
wirtschaftliche Einnahmequellen<br />
bis hin zu Erholungsraum<br />
bieten Wälder alles,<br />
was der Mensch zum Leben<br />
braucht.<br />
Daneben sind sie gigantische<br />
Kohlenstoffspeicher, haben<br />
eine kühlende Wirkung auf das<br />
Weltklima, schützen den<br />
Boden vor Erosion und erhalten<br />
den Wasserkreislauf.<br />
Je nach Niederschlagsmenge,<br />
Temperatur und Höhenlage<br />
des Standorts sind die Wälder<br />
der Erde verschiedenartig<br />
ausgeprägt: vom nordischen<br />
Nadelwald bis hin zum<br />
äquatorialen Regenwald.<br />
Der boreale Nadelwald – in Nordeurasien<br />
auch Taiga genannt – erstreckt sich rund<br />
um den ganzen Nordpol in Alaska, Kanada,<br />
Skandinavien und Russland und ist das<br />
grösste Waldgebiet der Erde. Aufgrund<br />
der Kälte wachsen hier vor allem gleichförmige<br />
Nadelbäume, die in den wenigen<br />
warmen Wochen nicht erst Blätter bilden<br />
müssen, sondern gleich zu wachsen<br />
beginnen können. Waldbrände spielen eine<br />
wichtige Rolle bei der Verjüngung dieses<br />
Waldtyps, da erst in abgebrannten Gebieten<br />
die Baumkeimlinge durch die dicke<br />
Humusschicht am Boden dringen können.<br />
Die grösste Bedrohung der borealen<br />
Nadelwälder geht zurzeit vom Klimawandel<br />
aus, da die Gefahr besteht, dass sich<br />
die Bäume nicht schnell genug an<br />
die veränderte Temperatur- und Niederschlagssituation<br />
anpassen können.<br />
Borealer<br />
Nadelwald<br />
Gemässigte Wälder bestehen aus Laubund<br />
Nadelbäumen. Die Laubbäume<br />
verlieren während der kalten Jahreszeit die<br />
Blätter. Die Sommermonate sind aber<br />
genügend lang und warm für eine erneute<br />
Blätterproduktion. Der gleichmässig<br />
über das Jahr verteilte Niederschlag sorgt<br />
für eine stetige Feuchtigkeit. Die Wälder<br />
der gemässigten Gebiete sind weniger<br />
produktiv und artenreich als die tropischen<br />
Wälder, dennoch sind sie ein wichtiger<br />
Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Neben<br />
der fortschreitenden Zersiedelung durch die<br />
Menschen ist auch der Klimawandel eine<br />
grosse Herausforderung für diesen Waldtyp.<br />
Das grösste Laubwaldgebiet der Erde<br />
findet man in den Appalachen nahe der<br />
Atlantikküste der USA.<br />
Gemässigte<br />
Wälder<br />
Borealer Nadelwald<br />
Gemässigte Wälder<br />
Mediterrane Wälder<br />
Tropische Trockenwälder<br />
Tropische Regenwälder<br />
Credit Suisse<br />
<strong>bulletin</strong> Dossier Wald
Der Name verrät bereits, dass dieser Waldtyp<br />
vor allem rund ums Mittelmeer wächst.<br />
Entsprechende Wälder gibt es aber auch in<br />
Amerika, Australien und Südafrika. Sie sind<br />
an heisse, trockene Sommer und feuchte,<br />
kühle, aber nicht kalte Winter angepasst.<br />
Die Herausforderung für diese Wälder ist<br />
die Trockenheit. Die Blätter werden in<br />
der Regel nicht mehr abgeworfen, sondern<br />
mit besonderen Tricks – wie beispielsweise<br />
einer pelzigen oder einer dicken, wächsernen<br />
Oberfläche – vor dem Austrocknen<br />
geschützt. Das mediterrane Gebiet<br />
wird schon seit Jahrtausenden von grossen<br />
Zivilisationen bevölkert. Entsprechend<br />
wurden diese Wälder schon seit langer Zeit<br />
genutzt und häufig auch übernutzt.<br />
Als Folge davon gibt es nur noch wenige<br />
naturnahe mediterrane Wälder.<br />
Mediterrane<br />
Wälder<br />
Zwischen den tropischen Regenwäldern<br />
und den Wüsten wachsen die tropischen<br />
Trockenwälder. Manche davon sind<br />
wahre Überlebenskünstler: Sie können<br />
Trockenzeiten von neun bis zehn Monaten<br />
überleben. Trotzdem gehören diese<br />
Wälder zu den bedrohtesten der Welt, da sie<br />
wegen der harten Lebensbedingungen<br />
sehr empfindlich gegenüber Veränderungen<br />
ihrer Umwelt sind. Der Klimawandel ist<br />
deshalb eine grosse Gefahr für diesen<br />
Waldtyp. Hinzu kommt die lokale Übernutzung<br />
durch die in den Verbreitungsgebieten<br />
häufig sehr arme Bevölkerung, die etwa das<br />
<strong>Holz</strong> der Bäume zum Überleben benötigt.<br />
Tropische<br />
Trockenwälder<br />
Die tropischen Regenwälder bedecken<br />
sämtliche Landgebiete am Äquator, wobei<br />
grob drei Regenwaldkomplexe unterschieden<br />
werden können: das Amazonasbecken<br />
in Südamerika, das Kongobecken in<br />
Afrika und der indonesische Archipel in<br />
Südostasien. Tropische Regenwälder<br />
sind das ganze Jahr über feucht und warm<br />
und weisen deshalb ein ganzjähriges<br />
Wachstum auf. Sie sind die ältesten Waldgebiete<br />
unseres Planeten und beherbergen<br />
die grösste Artenvielfalt. Charakteristisch<br />
für das äussere Erscheinungsbild dieses<br />
Waldtypus ist der so genannte Stockwerkbau.<br />
Die Stockwerke erstrecken sich vom<br />
Wurzelwerk über die bodennahe Krautschicht,<br />
die bis zu fünf Meter hohe Etage<br />
des Buschwerks bis hinauf zum dichten<br />
Hauptkronendach in 40 Metern Höhe.<br />
Einzelne Baumriesen ragen auch weit<br />
darüber hinaus. Der tropische Regenwald<br />
ist vor allem durch illegale Abholzung und<br />
die Klima erwärmung bedroht.<br />
Tropische<br />
Regenwälder<br />
Fotos: Pete Oxford, Getty Images | Michael Hanson, Corbis | Benelux, Corbis | Michael Turek, Getty Images | Axel Rosenberg, Getty Images | Matthieu Paley, Getty Images
Credit Suisse Cares for Climate<br />
Wir feiern unsere Wälder<br />
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 20<strong>11</strong><br />
zum Internationalen Jahr der Wälder erklärt, um das Bewusstsein<br />
und Wissen bezüglich nachhaltiger Bewirtschaftung, Erhaltung<br />
und Entwicklung der weltweiten Wälder zu fördern. Im Rahmen<br />
der Initiative Credit Suisse Cares for Climate engagiert sich<br />
die Bank für das Jahr der Wälder, beispielsweise indem sie die<br />
Mitarbeitenden auf die Bedeutung der Wälder aufmerksam<br />
macht und sie damit sensibilisiert.<br />
Der Sihlwald ist ein national anerkannter<br />
Naturwald an der Stadtgrenze von Zürich.<br />
Credit Suisse Cares for Climate<br />
Den Rahmen für unsere betriebli<br />
chen Massnahmen zum Klimaschutz<br />
bildet die Initiative Credit<br />
Suisse Cares for Climate. Über<br />
diese Initiative leistet die Bank auf<br />
verschiedenen Ebenen einen<br />
aktiven und messbaren Beitrag<br />
zum Klimaschutz. 2006 wurde die<br />
Credit Suisse zum ersten treibhausgasneutralen<br />
Grossunternehmen<br />
der Schweiz. Und seit<br />
2010 ist die Credit Suisse sogar<br />
weltweit treibhausgasneutral.<br />
Die Reduktion der betrieblichen<br />
Treibhausgasemissionen stellt<br />
die Basis unserer Massnahmen<br />
gegen den Klimawandel dar.<br />
Dazu beigetragen haben unter<br />
anderem die laufende Steigerung<br />
der Energieeffizienz durch<br />
Betriebsoptimierungen und<br />
Investitionen sowie der Bezug von<br />
Strom aus erneuerbaren Energiequellen.<br />
Ausserdem wendet sich<br />
die Bank mit Aufklärungs und<br />
Sensibilisierungskampagnen<br />
regelmässig an ihre Mitarbeitenden,<br />
damit auch sie einen Beitrag<br />
zur Reduktion von Emissionen<br />
leisten können.<br />
EarthwatchPilotprogramm Vier<br />
Mitarbeitende der Credit Suisse<br />
nahmen an einer einwöchigen<br />
Expedition von Earthwatch im<br />
brasilianischen Küstenwald Mata<br />
Atlantica teil. Earthwatch ist die<br />
grösste Organisation, die weltweit<br />
Forschungsarbeiten von Freiwilligen<br />
unterstützt. Mata Atlantica ist einer<br />
der artenreichsten natürlichen<br />
Lebensräume der Welt, der jedoch<br />
durch grossflächige Abholzungen<br />
bedroht wird. Die Teilnehmenden<br />
unterstützten ein Forschungsprojekt<br />
über die Auswirkungen des<br />
Klimawandels auf die Wälder. Sie<br />
sammelten und sortierten Regenwaldproben,<br />
vermassen und<br />
etikettierten Bäume. In einer Woche<br />
legten die vier Beteiligten rund<br />
30 Kilometer zu Fuss zurück und<br />
pflanzten 250 Bäume.<br />
Seit der Rückkehr von dieser<br />
Expedition engagieren sich die<br />
Teilnehmenden dafür, das Bewusstsein<br />
der Mitarbeitenden für ökologische<br />
und gesellschaftliche Fragen<br />
zu schärfen. Zu diesem Zweck<br />
betei ligen sie sich an regionalen<br />
Nachhaltigkeitsnetzwerken, die<br />
von der Abteilung Sustainability<br />
Affairs der Credit Suisse koordi niert<br />
und unterstützt werden.<br />
Bäume pflanzen in der Region APAC<br />
Im Sommer wurden Mitarbeitende<br />
der Region AsienPazifik eingeladen,<br />
sich zusammen mit lokalen<br />
Umweltorganisationen an Baumpflanzaktionen<br />
zu beteiligen. Das<br />
Ziel: Eindämmung der Biodiversitätsverluste<br />
und der Kohlenstoffemissionen,<br />
die durch die globale<br />
Abholzung verursacht werden.<br />
Die Veranstaltungen waren dem<br />
Weltumwelttag vom 5. Juni 20<strong>11</strong><br />
gewidmet, der in diesem Jahr die<br />
Walderhaltung thematisierte, und<br />
wurden beispielsweise mit dem<br />
lokalen Partner Hariyali Mulund<br />
Nursery durchgeführt. Hariyali setzt<br />
sich für den Schutz und die Verbesse<br />
rung der Umwelt ein und konzentriert<br />
sich dabei auf Wiederaufforstung,<br />
Wasserein sparung und<br />
Abfall bewirtschaftung sowie auf<br />
die Sensibilisierung der Gesellschaft<br />
gegenüber diesen Themen.<br />
Natur liebhaber der Credit Suisse<br />
Niederlassung in Mumbai halfen<br />
diesen Sommer beim Pikieren der<br />
Setzlinge und beim Einpflanzen<br />
neuer Bäume und erhielten dabei<br />
Einblicke in die Arbeit von Hariyali.<br />
Waldrundgänge im Sihlwald Den<br />
ganzen August über waren Mitarbeitende<br />
der Credit Suisse Zürich<br />
eingeladen, an Waldrundgängen<br />
durch den Sihlwald teilzunehmen.<br />
Die vielfältige, durch Gletscher<br />
geformte Landschaft ist heute<br />
ein beliebtes Erholungsgebiet für<br />
Einheimische und Touristen.<br />
Ein besonderes Merkmal des Sihlwalds<br />
ist sein Totholz, das vielen<br />
Tieren und Pflanzen als Lebensraum<br />
und Nährboden dient.<br />
Während ihres Besuchs unternahmen<br />
die Beteiligten einen<br />
Waldspaziergang, bei dem sie<br />
Gelegenheit hatten, das Fell eines<br />
«einheimischen» Bibers zu berühren,<br />
mit dem erwähnten Totholz ein<br />
Feuer zu entfachen und mehr über<br />
die Geschichte der Wälder und der<br />
<strong>Holz</strong>industrie in der Schweiz und<br />
generell in Europa zu erfahren.<br />
Zum Schluss wurden alle Teilnehmenden<br />
zu einem speziellen<br />
Mitarbeiterseminar mit dem Titel<br />
«Reise durch die Wälder der Erde»<br />
eingeladen.<br />
Foto: Credit Suisse<br />
Credit Suisse<br />
<strong>bulletin</strong> Dossier Immobilien<br />
Wald
Essay<br />
02<br />
Der Wert des Waldes<br />
Während ich diese Worte schreibe, schweift<br />
mein Blick über eine typisch schweizerische<br />
Landschaft: sanfte Hügel, aufgeräumte<br />
Bauernhöfe, kleine Dörfer und die<br />
tiefgrün bewaldeten Berge der gegenüberliegenden<br />
Talseite. Rund ein Drittel der Oberfläche der Schweiz<br />
ist von Wäldern bedeckt. Sie leisten unschätzbare<br />
Dienste in der Regulierung des Wasserflusses, der<br />
Bindung von Kohlenstoff, im Lawinenschutz oder in<br />
der Vorbeugung von Bodenerosion. Wälder bilden<br />
einen so integralen Bestandteil unserer Landschaft,<br />
dass die Schweiz ohne sie schlicht nicht sehr, nun<br />
ja, schweizerisch wirken würde.<br />
Während ich hierüber sinniere, wandern<br />
meine Gedanken zu weiteren Dingen, die das Bild<br />
der Schweiz, wie wir sie kennen, bestimmen:<br />
Alpen, direkte Demokratie und natürlich Schokolade.<br />
Ich erinnere mich, dass die Schokoladenindustrie<br />
in den letzten Jahren schwierige Zeiten durchlebt hat.<br />
Dies ist unter anderem auf eine deutliche Zunahme<br />
des Schädlings- und Krankheitsbefalls am Kakaobaum,<br />
Theobroma cacao, zurückzuführen, aus dem der<br />
Rohstoff von Schokolade gewonnen wird. Seither<br />
wird darüber spekuliert, ob die Schokolade sich<br />
zu einem für die meisten Leute unerschwinglichen<br />
Luxus entwickeln wird.<br />
Schädlinge und Krankheiten haben auch in<br />
der Vergangenheit schon wichtige landwirtschaftliche<br />
Erzeugnisse bedroht, und eine mögliche Antwort<br />
auf die Kakaokrise würde beispielsweise in der<br />
Verwendung von Wildformen des Kakaobaums beziehungsweise<br />
von nah verwandten Arten liegen. Man<br />
könnte sie mit landwirtschaftlichen Sorten kreuzen,<br />
um diesen die Krankheitsresistenz zu verleihen, die<br />
Wildsorten aufweisen und die den kultivierten Sorten<br />
oft fehlt. Im Falle des Kakaobaums dürfte dies<br />
leider nicht ganz so einfach sein.<br />
Wildformen von Theobroma cacao und verwandte<br />
Arten sind in Gebieten Lateinamerikas zu finden, die<br />
gegenwärtig einem starken Druck durch Entwaldung<br />
und ökologischer Verarmung ausgesetzt sind. Die<br />
Amazonas-Region Alto Purús im Grenzgebiet von Peru<br />
und Brasilien beispielsweise scheint besonders reich<br />
an Kakaopflanzenarten<br />
zu sein, die<br />
durch Kreuzung mit<br />
kultiviertem Kakao<br />
Schutz vor verheerenden<br />
Krankheiten bieten<br />
könnten. Inzwischen wird<br />
versucht, die Schutzmassnahmen<br />
im Gebiet zu verbessern<br />
und die genetische Varietät zu erhalten. Dies würde<br />
nicht nur dem Kakaobaum helfen, sondern – aufgrund<br />
der grossen Artenvielfalt im Gebiet – künftig auch<br />
andere Produkte von landwirtschaftlicher und pharmazeutischer<br />
Bedeutung liefern können.<br />
Die Welt von heute ist derart vernetzt, dass<br />
die künftige Produktion eines typischen Produkts wie<br />
Schweizer Schokolade durch die Situation in den<br />
Wäldern Lateinamerikas beeinflusst werden könnte.<br />
Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie gut die<br />
genetischen Ressourcen, beispielsweise von Theobroma,<br />
tief im Amazonas geschützt werden können.<br />
In gewissem Sinne verkörpern gesunde, kompetent<br />
bewirtschaftete Wälder dieselben Werte, für die<br />
auch eine verantwortungsvolle Bank steht: Stabilität,<br />
langfristiges Wirtschaften, zurückhaltender Umgang<br />
mit Risiken, Nachhaltigkeit. Eine gute Waldbewirtschaftung<br />
ist wie Vermögensverwaltung: Letztlich geht<br />
es um einen langen Zeithorizont und darum, unseren<br />
Kindern und Enkelkindern etwas zu hinterlassen.<br />
Aus diesem Grund und aus Anlass des von den Vereinten<br />
Nationen erklärten Jahres der Wälder feiern wir<br />
bei der Credit Suisse die Wälder der Welt.<br />
John Tobin, Head of Public Policy Sustainability Affairs, Credit Suisse<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
03<br />
Dialog mit Nichtregierungsorganisationen<br />
Schutz der natürlichen<br />
Ressourcen der Welt<br />
Für manche sind Wälder ein Zufluchtsort, eine Stätte der Ruhe und Erholung. Anderen sind sie<br />
ein Zuhause und Quelle des Lebensunterhalts. Wälder – in all ihren Formen – bieten Raum<br />
für die weltweit stetig schwindende Biodiversität und sind unerlässlich für den Erhalt des Lebens<br />
auf der Erde. Im Rahmen unseres Dialogs mit Nichtregierungsorganisationen sprachen wir<br />
mit Kerry Cesareo, Managing Director of Forests, WWF USA, und Andrew Aulisi, Experte<br />
der Abteilung Credit Suisse Public Policy - Sustainability Affairs Americas, über Funktion<br />
und Erhalt der Wälder dieser Erde.
Fotos: Matthieu Paley, Getty Images | Alain Compost, WWF-Canon<br />
<strong>bulletin</strong> Frau Cesareo, warum sind<br />
Wälder für die Menschheit so wichtig?<br />
Kerry Cesareo: Wälder sind eine lebenswichtige<br />
Ressource: Sie filtern die Luft,<br />
die wir atmen, und das Wasser, das wir<br />
trinken, vermindern Bodenerosion und<br />
fungieren als wichtiger Puffer gegen den<br />
Klimawandel – Wälder beeinflussen unsere<br />
Umwelt auf eine äusserst bedeutende<br />
Weise. Zudem bieten sie Lebensraum für<br />
viele der am stärksten gefährdeten und bedrohten<br />
Tierarten. Was viele nicht wissen:<br />
Wälder tragen direkt zum Lebensunterhalt<br />
von 90 Prozent der einen Milliarde Menschen<br />
bei, die in extremer Armut leben. Sie<br />
liefern die Rohstoffe für Produkte wie<br />
Nutz holz, Papier, Nahrungsmittel und Medikamente.<br />
Der jährliche Umsatz der Forstindustrie<br />
beläuft sich auf rund 186 Milliarden<br />
US-Dollar. Eine Studie der Euro päischen<br />
Union aus diesem Jahr beziffert den jährlichen<br />
Wert des waldbezogenen Nutzens<br />
auf zwei bis fünf Billionen US-Dollar.<br />
Welche Schwerpunkte setzen Sie<br />
in Ihrer Tätigkeit?<br />
Kerry Cesareo: Mit unserer Arbeit verfolgen<br />
wir drei Ziele: Schutz der Wälder,<br />
verantwortungsvolles Management und<br />
Wiederaufforstung. Der WWF konzentriert<br />
sich dabei auf den Erhalt von Gebieten,<br />
die die grösste Artenvielfalt der Tierwelt<br />
beherbergen, auf Gebiete, die grossen<br />
Bedrohungen ausgesetzt sind, sowie auf<br />
Gegenden, in denen wir tatsächlich Veränderungen<br />
bewirken können. Dazu gehören<br />
Borneo und Sumatra in Indonesien,<br />
Amazonien, das Kongo-Becken und Russlands<br />
ferner Osten.<br />
Welche Strategie wird dabei verfolgt?<br />
Kerry Cesareo: Um die Wälder dieser Welt<br />
zu erhalten, brauchen wir entsprechende<br />
Regulierungen, die unsere Anliegen unterstützen.<br />
Zudem müssen wir mit Vertretern<br />
und Unternehmen in der Forstwirtschaft<br />
zusammenarbeiten – also mit Forstver waltungen,<br />
Unternehmen aus dem <strong>Holz</strong>-, Zellstoff-<br />
und Papierbereich sowie mit Verarbeitungs-<br />
und Handelsfirmen. Auch die<br />
Privatwirtschaft spielt eine wichtige Rolle<br />
bei der Erhaltung der bedrohten Wälder.<br />
Indem wir Firmen davon überzeugen, bei<br />
der <strong>Holz</strong>beschaffung oder Forstbewirtschaftung<br />
auf Umweltqualitätsstandards<br />
zu achten, können wir die Situation in den<br />
betroffenen Gebieten verbessern.<br />
Welches waren die wichtigsten Erfolge,<br />
die Sie bisher erzielen konnten?<br />
Kerry Cesareo: In den letzten 50 Jahren<br />
hat der WWF in der Walderhaltung einiges<br />
erreicht: Dazu gehört die Schaffung des<br />
Amazon Region Protected Areas Program<br />
ARPA (siehe Box C), durch das im brasilianischen<br />
Amazonasgebiet rund 62 Millionen<br />
Hektaren Wald unter Schutz gestellt wurden.<br />
Ein weiterer Erfolg war die Gründung<br />
des Forest Stewardship Council (FSC) im<br />
Jahr 1993, einer unabhängigen Organisation,<br />
die Standards entwickelt und die<br />
nachhaltige Wald bewirtschaftung zertifiziert.<br />
Der WWF hat an vorderster Front die<br />
Nachfrage nach FSCzertifizierten <strong>Holz</strong>und<br />
Papierpro dukten gefördert und die<br />
FSC-Zertifizierung der weltweiten Waldflächen<br />
durch die so genannte «Global<br />
Forest & Trade Network»-Ini tiative (GFTN)<br />
vorangetrieben. Im Rahmen der GFTN<br />
erarbeitet der WWF gemeinsam mit Unternehmen<br />
Wege, die auch einen verantwortungsvollen<br />
Umgang in der Liefer antenkette<br />
für <strong>Holz</strong> und Papier ermög lichen<br />
sollen. Zudem unterstützen wir Unternehmen<br />
und Gemeinden bei der Bewirtschaftung<br />
ihrer Waldgebiete, damit sie die FSC-<br />
Zertifizierung erlangen.<br />
Ungeachtet der Erfolge, die Sie erzielt<br />
haben, kämpfen Sie sicher auch mit<br />
Schwierigkeiten.<br />
Kerry Cesareo: Ja, es ist beispielsweise<br />
frustrierend zu erkennen, dass wir einerseits<br />
auf globaler Ebene arbeiten und uns<br />
an komplexen Lösungsfindungen beteiligen,<br />
uns aber andererseits angesichts der<br />
Geschwindigkeit, mit der der Wald zerstört<br />
wird, in einem Wettlauf gegen die Zeit ><br />
A<br />
Bedrohte Schutzfunktionen<br />
Jährlich verschwinden fast<br />
15 Millionen Hektaren des natürlichen<br />
Waldbestandes. Je nach<br />
Ort und Ausmass der Abholzung<br />
werden die nützlichen Funktionen<br />
des Waldes – wie die Luft und<br />
Wasserreinigung, der Schutz vor<br />
Bodenerosion oder der Erhalt<br />
der Biodiversität – beeinträchtigt<br />
oder gehen verloren. Zudem<br />
gelangt durch die Abholzung<br />
Kohlenstoff in die Atmosphäre –<br />
15 Prozent der globalen Emissionen<br />
entstehen durch Kahlschlag –,<br />
während gleichzeitig die Fähigkeit<br />
der Erde, schädliche Treibhausgase<br />
aufzunehmen, reduziert wird.<br />
Eine der Hauptursachen der weltweiten<br />
Entwaldung ist die Erschliessung<br />
von Flächen für die Landwirtschaft.<br />
In Brasilien werden beispielsweise<br />
Wälder für die Sojaproduktion<br />
und die Viehwirtschaft<br />
abgeholzt, in Borneo für Palmölplantagen.<br />
Wälder auf der Insel<br />
Sumatra, die als Lebensraum<br />
für gefährdete Tiger, Elefanten und<br />
OrangUtans dienten, wurden durch<br />
die Zellstoff und Papierindustrie<br />
nahezu vernichtet. Die grosse<br />
Nachfrage nach preiswerten Waldprodukten<br />
wird voraussichtlich<br />
zu weiteren Waldverlusten führen.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
efinden. Können wir schnell genug handeln,<br />
um überhaupt noch etwas zu retten?<br />
Herr Aulisi, Sie sind Nachhaltigkeits<br />
experte bei der Credit Suisse in der<br />
Region Americas. Inwiefern beschäftigt<br />
sich eine Bank mit dem Thema Wald?<br />
Andrew Aulisi: Die wichtigste Verbindung<br />
zum Thema stellt unser Geschäft mit<br />
Forstwirtschaftsunternehmen und Unternehmen<br />
der Agrarindustrie dar. Berührungspunkte<br />
ergeben sich aber auch mit<br />
Branchen, die durch Aktivitäten in den<br />
Bereichen Bergbau, Öl und Gas, Infrastruktur<br />
sowie durch andere Formen<br />
industrieller Entwicklung zur Waldumwandlung<br />
beitragen. Wir finanzieren und<br />
investieren in viele Unternehmen dieser<br />
Sektoren. Bei unseren Finanzierungs- und<br />
Investitionsaktivitäten müssen wir Unternehmen<br />
fördern, die vorbildliche Erhaltungsmassnahmen<br />
umgesetzt und Nachhaltigkeitszertifizierungen<br />
wie jene des<br />
FSC erlangt haben. Gleichzeitig gilt es,<br />
Finanzierungs- und Investitionsvorhaben<br />
in Unternehmen, die sich unverantwortlich<br />
verhalten, zu vermeiden.<br />
Welche Instrumente stehen Ihnen<br />
dafür zur Verfügung?<br />
Andrew Aulisi: Unsere globale Weisung<br />
zur Forstwirtschaft (siehe Box D) enthält<br />
Richtlinien für unsere Aktivitäten in diesem<br />
Sektor, inklusive einer Liste der ausdrück-<br />
lich verbotenen Aktivitäten. Wir finanzieren<br />
oder beraten nur angesehene Forstwirtschaftsunternehmen,<br />
die einen verantwortungsvollen<br />
Umgang in ökologischen und<br />
sozialen Fragen nachweisen können. Die<br />
Weisung enthält ergänzend auch Richtlinien<br />
zur Palmölproduktion aufgrund der<br />
mit der Herstellung einher gehenden Auswirkungen<br />
auf die Wälder in Indonesien,<br />
Malaysia und zunehmend auch in anderen<br />
tropischen Regionen. Die Weisung besagt<br />
auch, dass wir keine Forstwirtschaftsunternehmen<br />
finanzieren, die in Wäldern<br />
mit hohem Erhaltungswert operieren, einschliesslich<br />
solcher, die als primäre tropische<br />
Feuchtwälder klassi fiziert wurden.<br />
Ausnahmen machen wir in diesem Bereich<br />
nur bei Firmen, die FSC-zertifiziert sind.<br />
Wir finanzieren oder beraten auch keine<br />
Unternehmen, wenn sich der forstwirtschaftliche<br />
Betrieb auf Schutzgebiete, geschützte<br />
Arten, den illegalen Einsatz von<br />
Feuer oder illegale Rodungen erstreckt.<br />
Wie stellt die Credit Suisse sicher,<br />
dass ihre forstwirtschaftlichen Aktivitäten<br />
nachhaltig sind?<br />
Andrew Aulisi: Unser Risikoprüfungsprozess<br />
(siehe Grafik B), bei dem Transaktionen<br />
mit Forstwirtschaftsunternehmen beurteilt<br />
und Kundenaktivitäten auf ihre ökologische<br />
und soziale Performance hin überprüft<br />
werden, stellt das sicher. Dieser globale<br />
Prozess ist für alle Transaktionen im<br />
Zusammenhang mit Geschäfts aktivitäten<br />
in Niedriglohnländern obligatorisch. Er<br />
schreibt stete Kontrollen und Ak tualisierungen<br />
sowie eine interne Schulung<br />
des Bankpersonals vor. Unsere Abtei lung<br />
führt die Transaktionsprüfungen durch und<br />
ein Gremium entscheidet, ob ein Geschäft<br />
unseren Anforderungen entspricht.<br />
Wie viele Transaktionen durchlaufen<br />
jährlich diesen Prozess?<br />
Andrew Aulisi: 2010 prüften wir insgesamt<br />
rund 280 Transaktionen, davon etwa 40<br />
wald bezogene. Für jede Transaktion müssen<br />
umfassende Informationen gesammelt,<br />
geprüft und zu einer Beurteilung zusammengefügt<br />
werden, die in den Zulassungsprozess<br />
einfliesst. Wenn die Prüfung der<br />
Kundenaktivitäten zu einem unzureichenden<br />
Ergebnis führt, kann dies zur Ablehnung<br />
des betreffenden Geschäfts führen.<br />
Kerry Cesareo: Die Einführung von solchen<br />
Forstwirtschaftsweisungen mit Mindestanforderungen<br />
wie der FSC-Zertifizierung<br />
ist ein sinnvoller erster Schritt, um nachhaltige<br />
forstwirtschaftsbezogene Finanzierungen<br />
und Investitionen zu ge währleisten.<br />
Dabei ist es wichtig, dass solche Richtlinien<br />
über alle Geschäfts felder hinweg zur<br />
Anwendung kommen, also etwa auch im<br />
Kreditwesen, im In vest ment Banking oder<br />
in der Vermögens verwaltung. Wir haben<br />
B<br />
Prüfung von Nachhaltigkeitsrisiken im ReputationsRisikoPrüfungsProzess (RRRP) der Credit Suisse<br />
Entspringt der Tätigkeit eines möglichen Kunden ein potenzielles Risiko aus Umwelt oder Menschenrechtsaspekten, so wird<br />
eine Analyse durch die interne Fachstelle Sustainability Affairs durchgeführt. Diese überprüft unter anderem, ob der potenzielle<br />
Kunde die entsprechenden Branchenstandards einhält, wie tragfähig seine Beziehungen mit diversen Anspruchsgruppen sind<br />
und ob das Geschäft mit den internen Richtlinien der Credit Suisse für exponierte Sektoren zu vereinbaren ist.<br />
Public Policy –<br />
Sustainability<br />
Affairs<br />
Prüfungvon<br />
Transaktionen<br />
Sensibilisierung/<br />
Training<br />
Support<br />
Transaktion<br />
Transaktionen mit poten ziellen,<br />
reputationsrelevanten<br />
Umwelt oder Sozialrisiken<br />
Sektorspezifische<br />
Richtlinien<br />
ReputationsRisiko PrüfungsProzess<br />
Datenbank von Projekten/<br />
FirmenunterNachhaltigkeitskritik<br />
Entscheid<br />
(ablehnen/anpassen/annehmen)<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
die Erfahrung gemacht, dass diese Umsetzung<br />
die grösste Herausforderung darstellt:<br />
Es müssen Konflikte zwischen ökologischen<br />
und ökonomischen Anforderungen<br />
unter einen Hut gebracht werden.<br />
Wie sähe eine nachhaltige Waldnutzung<br />
Ihrer beider Ansicht nach aus?<br />
Kerry Cesareo: Obwohl der Waldschutz<br />
grundsätzlich eine Priorität des WWF<br />
ist – zum Beispiel in Schutzgebieten und<br />
Parks –, wird es unserer Ansicht nach<br />
nicht möglich sein, die globalen Ziele für<br />
den Erhalt der Artenvielfalt oder den<br />
Klimawandel allein durch Aktivitäten in<br />
diesem Bereich zu erreichen. Wirtschaftsoder<br />
Gemeindewälder müssen bei der<br />
Erreichung dieser Erhaltungsziele ebenfalls<br />
eine Rolle spielen. Ziel der Waldbewirt<br />
schaftung sollte es sein, die Qualität<br />
des Waldstücks aufrechtzuerhalten und<br />
das Potenzial als Lieferant von Nutzholz<br />
und zahlreichen damit verbundenen Gütern<br />
und Ökosystemleistungen nicht zu<br />
beeinträchtigen.<br />
Andrew Aulisi: Angesichts der Tatsache,<br />
dass die Nachfrage nach Waldprodukten<br />
weiterhin steigen dürfte, besteht die Herausforderung<br />
darin, ein Gleichgewicht<br />
zwischen Produktion und Walderhaltung<br />
zu finden. Es ist klar, dass Bäume für <strong>Holz</strong>und<br />
Papierprodukte gefällt werden müssen,<br />
aber wir sollten sorgfältiger entscheiden,<br />
wo abgeholzt wird, und nachhaltige Plantagen<br />
besser nutzen.<br />
Andrew Aulisi, Nachhaltigkeitsexperte der Credit Suisse in der Region Americas, und Kerry<br />
Cesareo, Managing Director of Forests, WWF USA, im Gespräch über Funktion und Erhalt der<br />
Wälder dieser Erde.<br />
C<br />
Foto: Steffen Thalemann<br />
Was kann eine Bank zum Schutz der<br />
Wälder beitragen?<br />
Kerry Cesareo: Banken können ihre Rolle<br />
als Zwischenglied bei unternehmerischen<br />
Tätigkeiten – beispielsweise bei Projektfinanzierungen<br />
– zur Förderung des Waldschutzes<br />
nutzen. Die Durchsetzung von<br />
strengen und transparenten Richtlinien für<br />
den gesamten Forstwirtschaftssektor und<br />
über alle Geschäftsaktivitäten und Regionen<br />
hinweg ist von zentraler Bedeutung.<br />
Da rund 85 Prozent der Entwaldung durch<br />
die Landwirtschaft und nicht durch die<br />
<strong>Holz</strong>-, Zellstoff- oder Papierindustrie entstehen,<br />
müssen solche Richtlinien auch<br />
auf Sektoren zur Nutzung von Palmöl, Soja<br />
und Rindern ausgeweitet werden. Diese<br />
sind zurzeit für die Vernichtung der Lebensräume<br />
im Amazonas, in Südostasien<br />
und anderswo verantwortlich. Zusätzlich<br />
können Banken Finanzprodukte entwickeln,<br />
die es den Kunden ermöglichen, in<br />
nachhaltige Forstwirtschaft oder sogar in<br />
Aufforstungen zu investieren. ><br />
Amazon Region Protected Areas Program ARPA<br />
ARPA ist das grösste Tropenwaldschutzprojekt der Welt. Bis 2016 sollen über<br />
62 Millionen Hektaren des AmazonasRegenwaldes in Brasilien durch ein<br />
umfassendes Schutzgebietsnetzwerk verbunden werden. Damit soll ein<br />
grosser Teil der dortigen Artenvielfalt für die Zukunft erhalten bleiben und die<br />
immer weiter vordringende Abholzung gestoppt werden. Bis 2010 konnten<br />
durch das Projekt rund 14,5 Millionen Hektaren streng geschützter Naturschutzgebiete<br />
neu geschaffen und weitere 10,8 Millionen Hektaren auf<br />
nachhaltige Bewirtschaftung umgestellt werden. Diese Gebiete ermöglichen<br />
auch ein ökologisch sinnvolles Einkommen für die lokale Bevölkerung.<br />
Mittlerweile besteht das ARPANetzwerk aus 83 verschiedenen Schutzgebieten<br />
unterschiedlicher Kategorien, die insgesamt eine Fläche von 33,4 Millionen<br />
Hektaren bedecken.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
Andrew Aulisi: Wir entwickeln bereits solche<br />
Finanzprodukte, weil wir der Meinung<br />
sind, dass Unternehmen mit ausgefeilten<br />
Forstverwaltungspraktiken und einer langfristig<br />
angelegten Nachhaltigkeitsstrategie<br />
und -vision über das Potenzial verfügen,<br />
ihren Sektor leistungsmässig zu übertreffen<br />
und attraktive Gewinne zu generieren.<br />
Welche internen Massnahmen tragen<br />
weiter dazu bei?<br />
Andrew Aulisi: Eine Möglichkeit besteht in<br />
der Steuerung unserer eigenen Lieferantenkette,<br />
indem wir beispielsweise FSCzertifizierte<br />
Papierwaren und Büromöbel<br />
kaufen. Im Jahr 2010 waren zum Beispiel<br />
69 Prozent des gesamten von der Credit<br />
Suisse Schweiz verwendeten Papiers FSCzertifiziert.<br />
Wir unternehmen aber auch<br />
Anstrengungen, die Sensibilität unserer<br />
Mitarbeitenden in diesem Bereich zu steigern.<br />
Beispielsweise sponserten wir vor<br />
Kurzem eine Expedition von vier Mitarbeitenden<br />
ins Rio Cachoeira Natural Reserve<br />
in Brasilien. Die Mitarbeitenden halfen mit<br />
bei einem Forschungsprogramm mit dem<br />
Titel «Nachhaltige Forstwirtschaft im Zuge<br />
des Klimawandels». Unser Ziel war es,<br />
ihnen praktische Erfahrungen mit Schlüsselkonzepten<br />
zu ermöglichen und diese<br />
in der Folge in die Business- und Nachhaltigkeitsstrategien<br />
der Credit Suisse einfliessen<br />
zu lassen.<br />
Was kann eine Bank sonst noch tun,<br />
um die Arbeit des WWF zu unterstützen?<br />
Kerry Cesareo: Banken sollten sich entschlossen<br />
darum bemühen, ihre Portfolios<br />
auf Elemente zu untersuchen, die in Zusammenhang<br />
stehen mit Entwaldung, und<br />
diese zu entfernen. Darüber hinaus hat<br />
eine Bank wie die Credit Suisse auch eine<br />
ethische Verpflichtung, in ihrer Geschäftstätigkeit<br />
eine Vorbildfunktion wahrzunehmen<br />
und sich gemeinsam mit anderen<br />
Branchenvertretern gegen die Entwaldung<br />
einzusetzen. Es haben sich bereits diverse<br />
Unternehmen branchenübergrei fend und<br />
abseits jeglichen Wettbewerbsgedankens<br />
zusammengetan, um einige der wirklich<br />
drängenden globalen Fragen anzusprechen.<br />
Dies ist eine positive Entwicklung<br />
und der WWF ist der Ansicht, dass auch<br />
der Finanzsektor hier aktiv werden sollte.<br />
Gibt es Beispiele von Projekten im Forst<br />
wirtschaftsbereich, die der WWF<br />
zusammen mit Unternehmen realisiert?<br />
Kerry Cesareo: Der WWF legt grossen<br />
Wert darauf, mit Unternehmen und<br />
Branchen zusammenzuarbeiten, deren<br />
Tätigkeit Auswirkungen auf die Wälder hat<br />
und die zu deren Erhalt beitragen können.<br />
Wir können die Entwaldung unmöglich<br />
rückgängig machen, wenn wir dies nicht<br />
gemeinsam tun. Die schon erwähnte<br />
GFTN-Initiative hilft dabei mit, Unternehmen<br />
von einer verantwortungsvollen<br />
Papierherstellung und -beschaffung zu<br />
überzeugen. Die Initiative bildet den<br />
gemeinschaftlichen Rahmen, damit Ziele<br />
zur Umsetzung verantwortungsvoller<br />
Forst wirtschafts- und Handelspraktiken<br />
festgelegt werden können. Wir arbeiten<br />
dabei weltweit mit fast 300 Unternehmen<br />
zusammen, in den USA beispielsweise mit<br />
Kimberly-Clark und Williams-Sonoma Inc.<br />
Wie werden die Anspruchsgruppen<br />
der Credit Suisse in das Engagement für<br />
die Umwelt eingebunden?<br />
Andrew Aulisi: Zunächst einmal geht es<br />
um die Schaffung von Bewusstsein für<br />
Fragen im Zusammenhang mit weltweiten<br />
Waldverlusten und für Lösungen zur nachhaltigen<br />
Bewirtschaftung. Der wichtigste<br />
Schritt besteht aber darin, Massnahmen<br />
zu ergreifen. Die Bewirtschaftung der Lieferantenketten<br />
und die Erfordernis der<br />
FSC-Zertifizierung sind ein guter Anfang.<br />
Grundsätzlich suchen wir immer nach<br />
Möglichkeiten, mit unseren Anspruchsgruppen<br />
zusammenzuarbeiten, insbesondere<br />
wenn wir finanziell tragfähige An sätze<br />
finden können, die auch die Nachhaltigkeit<br />
in Produktion und Verbrauch fördern.<br />
Was können wir als Konsumenten für<br />
den Schutz der Wälder tun?<br />
Kerry Cesareo: Auch für Konsumenten<br />
besteht der erste wichtige Schritt darin,<br />
ein Bewusstsein für die Probleme zu entwickeln.<br />
Wissen Sie, woher Ihr <strong>Holz</strong> und<br />
Papier stammt? Man sollte beim Kauf von<br />
<strong>Holz</strong>- oder Papierprodukten auf das FSC-<br />
Logo achten. Wenn keine FSC-Produkte<br />
erhältlich sind, bitten Sie den Geschäftsführer,<br />
solche anzubieten.<br />
Die Vereinten Nationen haben 20<strong>11</strong> als<br />
das Internationale Jahr der Wälder<br />
ausgerufen. Werden aus diesem Anlass<br />
besondere Aktivitäten oder Veranstaltungen<br />
durchgeführt?<br />
Kerry Cesareo: Der WWF hat in diesem<br />
Jahr die Living Forests Initiative gestartet,<br />
die modernste Wissenschaften, neue Perspektiven<br />
von Partnern und unsere jahrzehntelange<br />
Erfahrung vor Ort miteinander<br />
verknüpft, um einige der grössten<br />
Herausforderungen für die Wälder weltweit<br />
zu bewältigen. Die Welt wird die<br />
Wälder nicht innerhalb eines Jahres retten.<br />
Aber 20<strong>11</strong> kann zum Jahr werden, in dem<br />
wir Differenzen beilegen, mutige Entscheidungen<br />
treffen und uns verpflichten, lebende<br />
Wälder für die nächsten Generationen<br />
zu sichern.<br />
Andrew Aulisi: Wir sahen das Jahr der<br />
Wälder als Chance, das Bewusstsein<br />
für die Bedeutung der Walderhaltung zu<br />
fördern. In Zürich organisierten wir ein<br />
Mitarbeiterseminar über Wälder und geführte<br />
Rundgänge durch ein Naturschutzgebiet.<br />
Aktivitäten wie diese helfen, die<br />
Aufmerksamkeit auf das Problem des<br />
Waldverlusts zu lenken und die weiteren<br />
Anstrengungen der Bank für Nachhaltigkeit<br />
im Forst- und Landwirtschaftssektor<br />
zu untermauern.<br />
Wir haben über Unternehmen,<br />
NGO, Konsumenten und Aktionäre<br />
gesprochen. Was sollte Ihrer<br />
Meinung nach auf der politischen<br />
Ebene für den Schutz der Wälder<br />
unternommen werden?<br />
Kerry Cesareo: Die Umkehr der Entwaldung<br />
kann nur mit Unterstützung des öffentlichen<br />
und privaten Sektors, aller Teile<br />
der Lieferantenkette und der lokalen Anspruchsgruppen,<br />
die durch den Verlust der<br />
Wälder bedroht sind, erreicht werden. Die<br />
Politik spielt dabei eine wichtige Rolle.<br />
Ein gutes Beispiel ist der amerikanische<br />
Lacey Act, ein seit Langem geltendes Gesetz<br />
über den Handel mit wilden Tieren,<br />
das 2008 geändert wurde, um den Handel<br />
mit illegalen <strong>Holz</strong>produkten zu unterbinden.<br />
Die EU hat mit einem neuen <strong>Holz</strong>gesetz<br />
nachgezogen. Regierungen sollten aber<br />
auch in der Verwaltungspraxis für die Wälder<br />
eine Rolle spielen, beispielsweise<br />
durch die Unterstützung einer guten Landnutzungsplanung.<br />
Ich hoffe, dass wir bis<br />
2020 – dem Ende der UN-Dekade der<br />
Biodiversität – das WWF-Ziel erreichen,<br />
die so genannte Netto-Entwaldung und<br />
die ökologische Ver armung der Waldgebiete<br />
zu stoppen. Minister aus 60 Ländern,<br />
die an der Biodiversitätskonferenz<br />
COP9 teilnahmen, unterstützen dieses<br />
Ziel, das auch für die Stabilisation des<br />
Klimas und den Erhalt der Biodiversität<br />
wichtig ist. Marcy Frank<br />
Foto: Benelux, Corbis<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
D<br />
Zusammenfassung der Weisung<br />
zu Forstwirtschaft und<br />
forstwirtschaftlichen Produkten<br />
Die Credit Suisse will eine vorbildliche<br />
Waldnutzung fördern und die Zu nahme<br />
von Netto-Waldumnutzung, Treibhausgasemissionen<br />
und den Verlust<br />
der Artenvielfalt verhindern. Sie finanziert<br />
oder berät deshalb nur Forstunternehmen,<br />
die in ihrer Geschäftstätigkeit<br />
einen verantwortungsvollen<br />
Umgang mit Umwelt- und Sozial aspekten<br />
nachweisen können. Die entsprechende<br />
Abklärung basiert darauf, dass<br />
das Unternehmen folgen de Anforderungen<br />
nachweisen kann:<br />
Es hat professionelle Verfahren<br />
der Forstverwaltung eingeführt, die<br />
allgemein als verantwortlich angesehen<br />
werden, und/oder es kauft Ressourcen<br />
von Unternehmen mit professionellen<br />
Verfahren der Forstverwaltung.<br />
Es hat in einer sinnvollen und glaubwürdigen<br />
Weise Belange der lokalen<br />
Gemeinschaften in Betracht gezogen<br />
und ist gegebenenfalls auf solche<br />
Belange eingegangen.<br />
Bestehen Zweifel in Bezug auf diese<br />
Kriterien, muss das Geschäft den<br />
Reputations-Risiko-Prüfungs- Prozess<br />
(siehe Grafik B) durchlaufen.<br />
Die Credit Suisse erbringt für Forstunternehmen<br />
mit Betrieben in Wäldern<br />
mit hohem Schutzwert (HCVF), inkl.<br />
tropischer Primärre genwälder, oder an<br />
Standorten, die in den fünf Jahren vor<br />
der geplanten Transaktion von HCVF<br />
gerodet worden sind, weder Finanzierungs-<br />
noch Beratungsdienstleistungen,<br />
es sei denn, die Betriebe sind<br />
gemäss Forest Stewardship Council<br />
(FSC) zertifiziert oder haben wesentliche<br />
und nachweisliche Fortschritte<br />
in Richtung einer FSC-Zertifizierung<br />
erzielt. Zudem wird die Credit Suisse<br />
nicht wissentlich Projekte oder Aktivitäten<br />
finanzieren, die verboten<br />
sind gemäss lokaler Gesetzgebung<br />
und internatio nalen Konventionen<br />
zum Schutz der Bio diversität und des<br />
kulturellen Erbes einschliesslich:<br />
UNESCO-Weltkulturerbestätten<br />
und -Biosphäre-Reservate<br />
RamsarFeuchtgebiete<br />
IUCN-Schutzgebiete<br />
(Kategorien I bis IV).
<strong>04</strong><br />
Schutzwald und Klimawandel<br />
Schutz in Gefahr<br />
Ohne Wald wären grosse Teile der Schweiz unbewohnbar,<br />
bedroht von Lawinen, Hochwasser und Steinschlag. Infolge des<br />
Klimawandels wird sich die Struktur des Waldes ändern.<br />
Was das für seine Schutzwirkung bedeutet, ist noch unklar.<br />
Der Wald ist in der Schweiz von existenzieller<br />
Bedeutung: Seit jeher schützt er die<br />
teils dicht besiedelten Täler vor Naturgefahren.<br />
Vor Lawinen, deren Abgehen<br />
die Bäume – zumindest innerhalb des Waldes<br />
– wirksam verhindern. Vor Rutschungen,<br />
denn das Wurzelwerk der Bäume<br />
festigt den Waldboden und vereitelt so<br />
das Abgleiten von Hangteilen. Er schützt<br />
vor Steinschlag, indem die Bäume, einem<br />
Rechen gleich, rollende Steine und Felsbrocken<br />
zurückhalten. Weiter bietet er<br />
Schutz vor Hochwasser, Schlamm- und<br />
Schuttströmen, da die Nadeln und Blätter<br />
der Bäume auch starken Niederschlag nur<br />
langsam an den Boden weitergeben und<br />
ihm so ermöglichen, das Wasser dosiert<br />
aufzunehmen. Damit sichert der Wald<br />
Siedlungen, Infrastruktur und Verkehrswege.<br />
Müssten diese Schutzleistungen<br />
mit baulichen Massnahmen sichergestellt<br />
werden, stiege die finanzielle Belastung<br />
deutlich – und die Landschaft würde vielerorts<br />
verunstaltet.<br />
Sorgenkind Verjüngung<br />
40 bis 60 Prozent der Schweizer Wälder<br />
schützen vor Naturgefahren. Ihr Schutz<br />
weist jedoch Defizite auf: Gemäss Auswertung<br />
des 3. Landesforstinventars ist<br />
die Schutzwirkung in 44 Prozent der Fälle<br />
ungenügend oder kritisch, wie es beim<br />
Bundesamt für Umwelt (BAFU) heisst. Die<br />
Experten beziehen sich dabei auf Indikatoren<br />
wie Deckungsgrad, Lückengrösse,<br />
Bestandesdichte, Verjüngung oder die Zusammensetzung<br />
der Baumarten. Zwar hätten<br />
sich die meisten dieser Kriterien in den<br />
letzten 20 Jahren positiv entwickelt – nicht<br />
aber die Verjüngung. «Bei 36 Prozent der<br />
Schutzwälder ist die Verjüngung kritisch<br />
bis ungenügend, bei 4 Prozent ist sie gar<br />
nicht vorhanden», sagt Arthur Sandri, Leiter<br />
der Sektion Rutschungen, Lawinen und<br />
Schutzwald beim BAFU. Der Wald kann<br />
seiner Schutzwirkung jedoch nur nachkommen,<br />
wenn beim Ausfall alter oder<br />
kranker Bäume bereits junge bereitstehen,<br />
um deren Aufgaben zu übernehmen.<br />
«Die Waldverjüngung ist das Sorgenkind<br />
des Schweizer Schutzwaldes», konstatiert<br />
Sandri, fügt aber gleich hinzu, dass die<br />
20 Jahre, die mit den Landesforstinventaren<br />
abgedeckt werden, eigentlich ein<br />
zu kurzer Beobachtungszeitraum für gesicherte<br />
Aussagen seien.<br />
Noch schwieriger werden Aussagen mit<br />
Blick nach vorne, namentlich was das Zusammenspiel<br />
zwischen Schutzwirkung und<br />
Klimawandel betrifft. Forscher rechnen für<br />
das 21. Jahrhundert mit einer Zunahme<br />
der globalen Durchschnittstemperatur um<br />
2 bis 4° C. Stärker als die steigenden Temperaturen<br />
könnten den Wald jedoch Veränderungen<br />
des Niederschlagsregimes<br />
beeinflussen. «Mit dem Klimawandel dürften<br />
sich Trockenperioden im Sommer häufen<br />
und intensivieren. Im Winter werden<br />
Niederschläge öfter, doch weniger in Form<br />
von Schnee fallen. Auch ist vermehrt mit<br />
Winterstürmen zu rechnen», sagt Sandri.<br />
Mit der Zunahme von meteorologischen<br />
Extremereignissen seien auch indirekte<br />
Folgen wie mehr Krankheiten, Schädlinge<br />
und Waldbrände zu befürchten.<br />
Klimagewinner und verlierer<br />
Weiter wird die Klimaveränderung Auswirkungen<br />
auf die Zusammensetzung der<br />
Baumarten und auf die Waldausdehnung<br />
haben. So wird erwartet, dass Wärme liebende<br />
und Trockenheit ertragende Baumarten<br />
wie die Eiche ihr Areal ausdehnen.<br />
Der Wald wird höher ins Gebirge wandern,<br />
dafür werden Bestände an der heutigen<br />
Trockenheitsgrenze versteppen.<br />
Somit wirft der Klimawandel die Frage<br />
auf, ob die natürliche Anpassungsfähigkeit<br />
Fotos: Benelux, Corbis | Bergwaldprojekt
Aufgeforstete Sturmfläche über Curaglia, Schweiz.<br />
der Baumarten ausreichen wird, um mit<br />
den Wuchsbedingungen der Zukunft zurechtzukommen.<br />
«Die meisten Schweizer<br />
Waldbäume weisen eine grosse ökologische<br />
Amplitude auf, das heisst, sie gedeihen<br />
an kalten und warmen, an trockenen<br />
und feuchten Standorten. Doch je nach<br />
Änderung des Zusammenspiels zwischen<br />
Temperatur und Niederschlag wird es Gewinner<br />
und Verlierer unter den Baumarten<br />
geben», sagt Sandri. Mit der Klimaveränderung<br />
werde sich zudem die Konkurrenz<br />
zwischen den Arten ändern, wodurch sich<br />
der Wald künftig anders zusammensetzen<br />
dürfte.<br />
Und die Schutzwirkung?<br />
Schutzwald international<br />
Schutzwälder gibt es überall – sogar in der Mongolei oder auf der Nordseeinsel<br />
Amrum. Die Leistung mag zwar variieren, doch viele Wälder<br />
weltweit haben eine Schutzfunktion. In den Gebirgstälern der Schweiz,<br />
Österreichs, Liechtensteins oder Deutschlands ist beispielsweise der<br />
Schutz vor Lawinen, Rutschungen oder Steinschlag essenziell. In Katalonien<br />
oder der Ukraine schützt der Wald dagegen primär vor Erdrutschen,<br />
und in China oder Pakistan verhindert er Erosionen, Überschwemmungen<br />
oder Sandstürme. Zudem hat der Wald weltweit Schutzfunktionen im<br />
weiteren Sinne: Er schützt unser Trinkwasser und sorgt für saubere Luft.<br />
Erfolgen die Veränderungen langsam, werde<br />
ein gut strukturierter Wald mit einer<br />
dem Standort angepassten Baumartenmischung<br />
in der Lage sein, auf die veränderten<br />
Umweltbedingungen zu reagieren<br />
– ohne seine Funktion einzubüssen, so<br />
das BAFU. Allerdings könne die Schutzleistung<br />
lokal auch beeinträchtigt oder gar<br />
verloren gehen: dann nämlich, wenn der<br />
Ausgangsbestand ungenügend ist oder die<br />
Klimaveränderung abrupt und in Form von<br />
Extremwetterereignissen erfolgt.<br />
Entsprechend kann nicht ausgeschlossen<br />
werden, dass der Klimawandel die<br />
Schutzfunktion der Wälder beeinträchtigen<br />
wird – zumindest punktuell. Eine sorgfältige<br />
Bewirtschaftung und Pflege der<br />
Schutzwälder dürfte daher auch künftig<br />
der beste Ratgeber sein, ebenso wie eine<br />
dem Standort angepasste Baumartenmischung<br />
und eine entwicklungsfähige<br />
Verjüngung.<br />
So gesund ein Wald auch ist, einen absoluten<br />
Schutz vor Naturgefahren kann er<br />
nie bieten, weder alleine noch in Kombination<br />
mit technischen Massnahmen. Ein<br />
Risiko bleibt – und muss bei Bauvorhaben<br />
in exponierten Gegenden berücksichtigt<br />
werden. «Bei der Bewertung von Immobilien<br />
ziehen wir immer auch das Risiko einer<br />
Naturgefahr in Betracht. Es handelt sich<br />
hierbei um einen zu berücksichtigenden<br />
Lagefaktor, den wir anhand öffentlicher<br />
Gefahrenkarten beurteilen», sagt Monika<br />
Bürgi Geng, Expertin für Immobilienbewertung<br />
bei der Credit Suisse.<br />
Falls ein Schutzwald vorhanden sei,<br />
werde dieser nicht speziell geprüft. Hingegen<br />
untersuche der Bewerter, in welcher<br />
Gefahrenzone sich das Objekt befinde und<br />
ob die entsprechenden Auflagen der Behörden<br />
oder allenfalls der Versicherung<br />
erfüllt worden seien. Im Vordergrund stehe<br />
dabei immer, ob der Marktwert durch die<br />
Gefahr beeinträchtigt werde. Den Einfluss<br />
des Klimawandels auf das Risikoprofil<br />
von Immobilien schätzt Bürgi Geng kurzbis<br />
mittelfristig als gering ein. «Im Moment<br />
beeinflussen Angebot und Nachfrage die<br />
Immobilienentwicklung», so die Expertin.<br />
Insgesamt mögen die Auswirkungen<br />
des Klimawandels auf den Wald und seine<br />
Schutzwirkung mit Unsicherheiten behaftet<br />
sein. Die Herausforderungen, die er an<br />
die Gesellschaft und die Forstwirtschaft<br />
stellt, sind indes real. Claudia Hager<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
05<br />
Corporate Volunteering<br />
Tief verwurzeltes Engagement<br />
«Unternehmen sind, genau wie Individuen, aktive Mitglieder unserer<br />
globalen Gesellschaft. Neben unserer wichtigsten Verantwortung,<br />
die darin besteht, unser Kerngeschäft erfolgreich zu führen, tragen<br />
wir somit auch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der<br />
Umwelt», sagt Hanspeter Kurzmeyer, Global Head of Corporate<br />
Citizenship bei der Credit Suisse. So setzen sich die Bank und ihre<br />
Mitarbeitenden seit Jahren weltweit für die Gesellschaft und für<br />
soziale Anliegen ein, in Zusammenarbeit mit über 200 ausgesuchten<br />
Partnerorganisationen. Wichtig sind dabei nicht nur finanzielle<br />
Beiträge, sondern auch das ehrenamtliche Engagement der Mitarbeitenden.<br />
«Der Freiwilligenarbeit kommt eine sehr grosse<br />
Bedeutung zu: Sie steigert den Wert unserer Geldspenden um ein<br />
Viel faches und ermöglicht unseren Mitarbeitenden, die Bedürfnisse<br />
der Menschen, mit denen sie leben und arbeiten, besser zu verstehen.<br />
Gleichzeitig fördert ein ehrenamtlicher Einsatz den<br />
Teamgeist und die sozialen und persönlichen Kompetenzen der<br />
Mitarbeitenden», erläutert Kurzmeyer.<br />
Die globale Strategie besagt, dass die Credit Suisse überall dort,<br />
wo sie geschäftlich tätig ist, ein guter lokaler Partner sein will und<br />
durch Freiwilligeneinsätze hilft, die Lebensbedingungen benachteiligter<br />
Menschen zu verbessern. Dazu engagiert sie sich weltweit für<br />
sehr unterschiedliche Anliegen, beispielsweise für die Integration von<br />
Menschen mit Behinderungen oder für die Vermittlung von Wissen<br />
als Schlüssel für sozialen Wandel und ökonomisches Wachstum.<br />
Auch im Bereich Umwelt legt die Credit Suisse Wert auf persönlichen<br />
Einsatz. «Der Schutz der Umwelt gehört zu den vordringlichsten<br />
Problemen unserer Zeit», sagt Kurzmeyer. «Um unsere Mitarbeitenden<br />
für Umweltthemen und den Klimaschutz zu sensibilisieren und<br />
ihnen Gelegenheit zu bieten, selbst etwas zum Erhalt der Umwelt<br />
beizutragen, fördern wir gezielt Freiwilligeneinsätze bei Umweltorganisationen.<br />
Dieses Jahr, im Internationalen Jahr der Wälder,<br />
haben wir beim Volunteering verstärkt Projekte rund um das Thema<br />
Wald unterstützt.» In Hongkong etwa griffen Mitarbeitende zur<br />
Schaufel und pflanzten Baumsetzlinge, in San Francisco säuberten<br />
sie das Presidio von gebietsfremden Pflanzen und in der Schweiz<br />
schwitzten sie beim Räumen von <strong>Holz</strong>schlag. Mehr über diese<br />
und weitere Wald- und Naturprojekte der Bank erfahren Sie auf<br />
den folgenden Seiten.<br />
Europe, Middle East and Africa<br />
«Wir haben durch einfache Gartenarbeiten<br />
mitgeholfen, den Park als Lebensraum für<br />
Pflanzen und Tiere zu verbessern. Das<br />
war eine spassige und wertvolle Erfahrung,<br />
die mir gezeigt hat, dass auch kleine<br />
Einsätze zu grossen Veränderungen beitragen<br />
können», sagt Dave Bardsley von<br />
der Credit Suisse London nach einem<br />
ehrenamtlichen Einsatz im Tower Hamlets<br />
Cemetery Park. Der Park ist das urbanste<br />
Waldgebiet in London und das Naturreservat,<br />
das am nächsten bei der Niederlassung<br />
der Credit Suisse in Canary Wharf<br />
liegt. Als einer der Magnificent-Seven-<br />
Friedhöfe von London gegründet, wurde die<br />
Anlage bereits 1966 für Beerdigungen<br />
geschlossen und per Parlamentsbeschluss<br />
zum Park erklärt. Für die tägliche Pflege<br />
und Verwaltung ist die Organisation Friends<br />
of Tower Hamlets Cemetery zuständig,<br />
die Arbeiten in den Bereichen Natur,<br />
Gesellschaft und Bildung übernimmt und<br />
Naturschutzprojekte für Freiwillige organisiert.<br />
An den Einsätzen nehmen jährlich<br />
mehr als 3000 Helfer teil. Die Credit<br />
Suisse unterstützt den Park seit mehr als<br />
sechs Jahren; seit 2008 waren rund<br />
770 Mitarbeitende der Bank im ehrenamtlichen<br />
Einsatz. Dank der Freiwilligen<br />
ist das innerstädtische Naturreservat heute<br />
nicht nur Erinnerungsstätte und Ort<br />
lokaler Geschichte, sondern mit seinem<br />
alten Laubwald und den Blumenwiesen<br />
auch Heimat für seltene Pflanzen und Tiere.<br />
Credit Suisse<br />
<strong>bulletin</strong> Dossier Wald
Americas<br />
Fotos: Credit Suisse<br />
Schweiz<br />
Die Sonne brennt, die Muskeln schmerzen.<br />
Dessen ungeachtet machen die Freiwilligen<br />
weiter, hämmern, harken, sägen, schaufeln.<br />
Ein Einsatz beim Bergwaldprojekt<br />
ist körperlich anstrengend, aber horizonterweiternd.<br />
«Danach tat mir zwar jeder<br />
Muskel weh, aber es war toll», schwärmt die<br />
Credit Suisse Mitarbeitende Myriam Huber<br />
nach ihrem Arbeitseinsatz. «Die Projektleiter<br />
haben uns mit ihrer Freude an der Natur<br />
angesteckt und uns einen unvergesslichen<br />
und bereichernden Tag beschert. Wertvoll<br />
waren auch die umfassenden Informationen<br />
über die Funktion und Bedeutung der<br />
Bergwälder.» Die 1987 gegründete Stiftung<br />
Bergwaldprojekt hat zum Ziel, die Erhaltung,<br />
Pflege und den Schutz des Waldes in<br />
Berggebieten zu fördern, insbesondere<br />
durch Arbeitseinsätze mit Laien. Bisher<br />
haben über 25 000 Freiwillige in den<br />
Bergwäldern der Schweiz, Deutschlands,<br />
Österreichs, Kataloniens, der Ukraine und<br />
des Fürstentum Liechtensteins gearbeitet<br />
– darunter beinahe 3500 Mitarbeitende<br />
der Bank. Durch den Arbeitseinsatz<br />
leisten sie jedes Jahr einen aktiven Beitrag<br />
zur Erhaltung der Schutzwirkung des<br />
Berg waldes in der Schweiz, beispielsweise<br />
indem sie <strong>Holz</strong>schlag räumen, Konkurrenzvegetation<br />
zurückschneiden oder,<br />
wo nötig, Bäume entfernen, um die<br />
Ausbreitung des Waldes einzudämmen.<br />
Alpine Trockenwiesen zählen zu den<br />
artenreichsten Landschaften der Schweiz.<br />
Doch ihre Vielfalt ist bedroht: Düngung,<br />
intensive Bewirtschaftung sowie zunehmende<br />
Verbuschung zerstören das sensible<br />
ökologische Gleichgewicht und gefährden<br />
damit die Lebensräume vieler Pflanzen<br />
und Tiere. Der WWF Schweiz setzt sich<br />
zusammen mit Freiwilligen für die Erhaltung<br />
von Trockenwiesen ein. Dieses Jahr<br />
traf man auch etwa 200 Mitarbeitende<br />
der Bank bei den Arbeitseinsätzen an: bei<br />
der Hecken- und Waldrandpflege, beim<br />
Trockenmauerbau oder beim Entbuschen<br />
und Mähen der Trockenwiesen. «Der<br />
Einsatz war sehr spannend und lehrreich.<br />
Schön war, dass wir uns auch wirklich<br />
nützlich machen und einen Beitrag zum Erhalt<br />
der Natur in den Walliser Bergen<br />
leisten konnten», beschreibt Daniel Stampfli,<br />
Mitarbeitender der Credit Suisse, seinen<br />
Freiwilligeneinsatz. «Die Projektleiterin<br />
und die Landwirte vor Ort vermittelten ihr<br />
Wissen mit viel Herzblut und lieferten<br />
interessante Erklärungen.»<br />
Für die Natur haben sich auch die rund<br />
60 Mitarbeitenden der Credit Suisse engagiert,<br />
die dieses Jahr an einem Projekt<br />
des Natur- und Vogelschutzvereins Horgen<br />
mitgewirkt haben. Ausgerüstet mit<br />
Stiefeln und Gartenhandschuhen haben sie<br />
Riedflächen gemäht, Hecken geschnitten,<br />
Schilf gezupft oder Neophyten, also gebietsfremde<br />
Problempflanzen, entfernt. Damit<br />
haben sie mitgeholfen, wichtige Biotope zu<br />
pflegen und zu erhalten. Derzeit engagiert<br />
sich der Verein zudem für die Rietwies<br />
in Horgen, mit 3000 ökologisch bewirtschafteten<br />
Hochstammobstbäumen – ein<br />
wertvoller Lebensraum für viele, teils<br />
auch selten gewordene Tiere und Pflanzen.<br />
Mitten im pulsierenden Flatiron District in<br />
New York, zwischen Fifth, Madison Avenue<br />
und 23rd Street, blüht eine grüne Oase:<br />
der Madison Square Park. Saftige Wiesen,<br />
bunte Pflanzen und Schatten spendende<br />
Bäume locken die Städter in den Park,<br />
in dem häufig kulturelle Darbietungen<br />
stattfinden. Dafür, dass der Park schön,<br />
attraktiv und lebendig bleibt, setzt sich die<br />
gemeinnützige Organisation Madison<br />
Square Park Conservancy ein. Als direkter<br />
Nachbar des Parks unterstützt die<br />
Credit Suisse das Projekt und ermutigt ihre<br />
Mitarbeitenden, ehrenamtlich beim Unterhalt<br />
des Parks mitzuarbeiten. Dieses Jahr<br />
packten bereits über 100 Mitarbeitende<br />
bei diversen Arbeiten an, etwa beim Unkrautjäten<br />
und Pflanzensetzen. Eine der Freiwilligen<br />
war Ann Eskow: «Wir geniessen die<br />
Schönheit des Parks in allen Jahres zeiten<br />
und wollten daher helfen, ihn zu erhalten.<br />
So haben wir während eines ehrenamtlichen<br />
Arbeitseinsatzes Teile des Parks für die<br />
Bepflanzung vorbereitet.»<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
Asia Pacific<br />
«Vor 15 Jahren wurde das 600 Hektaren<br />
grosse Presidio in der Bucht von<br />
San Francisco in einen Nationalpark umgewandelt<br />
– zuvor hatte es über 200<br />
Jahre lang als Militärstützpunkt gedient.<br />
Diese einzigartige Landschaft in einen<br />
natürlichen Lebensraum zurückzuverwandeln<br />
und gleichzeitig die historischen<br />
Strukturen zu bewahren, ist ein gewaltiges<br />
Vorhaben, das grösstenteils auf die Unterstützung<br />
durch Freiwillige angewiesen ist,<br />
insbesondere da die staatlichen Gelder<br />
Ende 2012 auslaufen werden. Mit einigen<br />
Arbeitskollegen habe ich mitgeholfen,<br />
gebietsfremde Pflanzen auszureissen und<br />
mit einheimischen zu ersetzen. Der Einsatz<br />
hat auch unseren Teamgeist gefördert»,<br />
sagt Keith Maddock von der Credit Suisse<br />
San Francisco, einer der knapp 20 Mitarbeitenden,<br />
die im Juli unter Anleitung der<br />
Golden Gate National Parks Conservancy<br />
im Presidio einen Tag lang gearbeitet haben.<br />
Abseits der betriebsamen Zentren Hongkongs<br />
pflanzten im Mai 13 Mitarbeitende<br />
der Credit Suisse zusammen mit ihren<br />
Gästen und weiteren Freiwilligen Baumsetzlinge<br />
– 300 an der Zahl. Damit unterstützten<br />
sie die Ark Eden Foundation und setzten<br />
sich für die ökologisch wertvolle Naturlandschaft<br />
auf Lantau ein – der Insel, die auch<br />
als grüne Lunge Hongkongs bezeichnet<br />
wird. «Wir pflanzten in einem Gebiet Bäume,<br />
das in der Vergangenheit von Hügelbränden<br />
versehrt worden war. So halfen<br />
wir, die Landschaft wiederherzustellen und<br />
Bodenerosionen zu verhindern», sagte<br />
Ben Ridley von der Credit Suisse Hongkong<br />
nach seinem Volunteering-Einsatz.<br />
«Bei den wenigen Bäumen, die im Pflanzgebiet<br />
vorhanden waren, handelte es<br />
sich um exotische Arten wie Akazien. Die<br />
Bäume, die wir pflanzten, waren dagegen<br />
solche, die in Südchina heimisch sind<br />
und daher einen guten Lebensraum für<br />
Vögel und Insekten bieten.»<br />
Garden City – so wird Singapur oft genannt.<br />
Dafür, dass die Stadt diesem Ruf auch<br />
künftig gerecht wird, setzt sich das National<br />
Parks Board seit 2007 mit seiner Plant-A-<br />
Tree-Initiative ein. Im Rahmen dieses<br />
Programms haben mehr als 40 Mitarbeitende<br />
der Bank im Juni zusammen mit<br />
Gästen und Familienangehörigen knapp 40<br />
einheimische Bäume gepflanzt. Eine der<br />
Freiwilligen war Jessica Morrison aus<br />
Singapur. Begeistert sagte sie nach dem<br />
Einsatz: «Wir verbringen den grössten<br />
Teil unserer Zeit im Büro oder drinnen und<br />
vergessen so leicht, dass draussen eine<br />
ganz andere, natürliche Welt existiert.<br />
Durch den Dreck waten, Bäume im Wald<br />
pflanzen und unsere Hände schmutzig<br />
machen war daher eine grossartige<br />
Möglichkeit, uns der Natur nahe zu fühlen<br />
und den Wald, seine Baumriesen, das<br />
dichte Unterholz und verschiedene Tierarten<br />
kennenzulernen. Wir realisierten,<br />
dass die Wälder sorgfältig gepflegt werden<br />
müssen, damit sie für die Umwelt die<br />
Leistungen erbringen können, die wir alle<br />
für gegeben halten: saubere Luft, klares<br />
Wasser und eine erfreuliche Landschaft.»<br />
In Indien und Malaysia griffen Mitarbeitende<br />
dieses Jahr ebenfalls zu Harke und<br />
Schaufel, präpa rierten Böden, gruben<br />
Löcher und pflanzten Baumsetzlinge. Rund<br />
40 Freiwillige waren es in Indien, 30 in<br />
Malaysia. Das Projekt in Indien fand in der<br />
Nähe von Mumbai statt, in Zusammenarbeit<br />
mit der Umweltschutzorgani sation Hariyali<br />
Mulund Nursery. Der Einsatz in Malaysia<br />
hatte die Wiederaufforstung der Sumpfwälder<br />
im Raja Musa Forest Reserve zum<br />
Ziel und wurde von der gemeinnützigen<br />
Umweltschutzorganisation Global Environment<br />
Centre geleitet. Claudia Hager<br />
Fotos: Credit Suisse<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> Dossier Wald
Roger Federer Leader 65<br />
Auf Projektbesuch<br />
in Malawi<br />
Rund 54 000 Kinder sollen im Verlauf der nächsten zehn Jahre vom neu lancierten<br />
Projekt für frühkindliche Bildung der Roger Federer Foundation (RFF) profitieren.<br />
Dieses bislang grösste Projekt der RFF, das vor Ort durch ActionAid Malawi umgesetzt<br />
wird, ist dank der Partnerschaft mit der Credit Suisse möglich geworden. Das <strong>bulletin</strong><br />
hat Janine Händel, Geschäftsführerin der RFF, bei ihrem Field Trip ins arme, aber<br />
wunderschöne Land im Südosten Afrikas begleitet.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
66 Leader RogerFederer<br />
Oben Das fast fertige Ufulu-Zentrum (Community-Based Childcare Center - CBCC) in Peheriya, im Machinga- Distrikt.<br />
Rechts Janine Händel (rechts), Geschäftsführerin der RFF, mit Theresa Gloria Mwale, Ministerin für Kinder- und Gemeinden-<br />
Entwicklung, bei der offiziellen Lancierung des Projekts am 12. Juli 20<strong>11</strong> in Malawi.<br />
Die Stimmung bei der offiziellen Lancierung des neuen Projekts für<br />
frühkindliche Bildung der RFF im Festsaal des Kongresshotels Crossroads<br />
in Lilongwe ist ausgelassen heiter. Eine Zeremonienmeisterin<br />
führt durch ein dichtes Programm von Rednern und Rednerinnen,<br />
verschiedenen Gesangs- und Tanzgruppen sowie einem Komiker-Duo.<br />
Unter den Ehrengästen ist auch die malawische Ministerin für Kinderund<br />
Gemeinden-Entwicklung Theresa Gloria Mwale. Janine Händel,<br />
Geschäftsführerin der RFF, hebt bei ihrer Rede die grosse Bedeutung<br />
der frühkindlichen Förderung hervor, die wegweisend für die ganze<br />
spätere Entwicklung eines Menschen sei. Sie weist zudem auf<br />
die grosse Tradition Malawis in diesem Bereich hin. Das bestätigt<br />
auch Martha Khonje, die Landeschefin von ActionAid Malawi, der<br />
Partnerorganisation der RFF. So seien in den 1990er-Jahren auf<br />
Initiative der Regierung über 8000 so genannte Community-Based<br />
Childcare Centers, kurz CBCCs, also in den Gemeinden verankerte<br />
Kleinkinder-Betreuungszentren, gebaut worden. Doch seien über<br />
80 Prozent nur noch eingeschränkt oder fast gar nicht mehr funktionstauglich.<br />
Und nur gerade ein Drittel aller Kleinkinder Malawis<br />
könnten tatsächlich ein solches Zentrum besuchen.<br />
Das neue, auf zehn Jahre ausgelegte RFF-Projekt sieht die<br />
Renovation und Qualitätssteigerung von 80 bereits existierenden<br />
CBCCs in sechs Distrikten von Malawi vor. Diese sollen eine Art<br />
Vorbildfunktion für alle anderen Zentren im Land übernehmen. Dabei<br />
werden von ActionAid aber nicht etwa stur nach Schema X neue<br />
Einheitszentren aus dem Lehmboden gestampft. Im Gegenteil: Bei<br />
der Verbesserung des Standards wird ausschliesslich auf bestehenden<br />
Infra- und Organisationsstrukturen aufgebaut und diese werden<br />
sehr individuell mit gezielten Verbesserungsmassnahmen auf ein<br />
einheitliches Niveau gehoben. Dabei sollen möglichst alle baulichen<br />
Veränderungen von der Gemeinde selber durchgeführt werden, um<br />
so eine breite Verankerung zu garantieren. Ganz wichtig seien zudem<br />
die Ausbildung und das Coaching der rund 800 Kleinkinderziehe-<br />
rinnen und -erzieher, die allesamt auf Freiwilligenbasis arbeiten. In<br />
diese Ausbildungsmodule werden auch die Mitglieder der Trägerkomitees<br />
miteinbezogen, damit sie ein besseres Verständnis für die<br />
Bedeutung der Kleinkindförderung bekommen und die Führung<br />
solcher Zentren erlernen.<br />
Schwer beladen unterwegs zu Fuss oder mit dem Fahrrad<br />
Wie sich die trockene Theorie des Projekts in der Praxis anfühlt,<br />
erfahren wir in den darauffolgenden zwei Tagen. Früh am nächsten<br />
Morgen geht es in zwei Geländewagen in halsbrecherischem Tempo<br />
vier Stunden über holprige Asphaltstrassen 300 Kilometer in den<br />
Südosten Malawis nach Liwonde. Die Strasse ist praktisch durchgehend<br />
mit Menschen bevölkert, die einzeln oder in kleinen Gruppen<br />
zu Fuss oder mit Fahrrädern <strong>Holz</strong>, Kartoffeln, Zuckerrohr, Gurken,<br />
Hühner oder einfach nur Wasser von A nach B transportieren. Dabei<br />
tragen die Frauen teilweise riesige Körbe und sonstige Lasten überaus<br />
elegant auf dem Kopf.<br />
Bei Liwonde gehts über den Fluss Shire und weiter auf einer<br />
befestigten Strasse ins sumpfige Hinterland des Machinga-Distrikts<br />
nahe der Grenze zu Moçambique. Danach führen uns holprige<br />
Sandpisten innerhalb von eineinhalb Stunden in die kleine Siedlung<br />
Ng'andu. Dort werden wir von singenden und tanzenden Frauen<br />
empfangen, welche die Besucher zu einer Ruine geleiten, wo seit<br />
gut einem Jahr wieder ein Zentrum für Kleinkinder betrieben wird.<br />
Es handelt sich um ein ehemaliges Gerichtsgebäude. Doch die<br />
Betreuerinnen und Betreuer benutzen es zusammen mit einem<br />
Mango baum als Hort für rund 160 Kleinkinder. Das heruntergekommene<br />
Gebäude soll nun zusammen mit dem Nebengebäude restauriert<br />
werden. Ziel ist es, dass alle CBCCs des Projekts einen grossen<br />
Aufenthaltsraum und verschiedene kleinere Schul-, Spiel- und Ruheräume,<br />
eine Küche und eine Toilette haben. Dazu Spielgeräte im<br />
Freien und einen kleinen Garten.<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Fakten Malawi<br />
Bevölkerung<br />
13,1 Millionen<br />
40 Prozent leben unter der<br />
Armutsgrenze<br />
RogerFederer Leader 67<br />
Durchschnittliche<br />
Lebenserwartung<br />
52,4 Jahre<br />
Chitipa<br />
Rumphi<br />
Mzuzu<br />
City<br />
Ntchisi<br />
Lilongwe<br />
City<br />
Lilongwe<br />
Liwonde<br />
Ernährung<br />
19 Prozent der unter Fünfjährigen<br />
sind unterernährt<br />
HIV/Aids<br />
12 Prozent der 15- bis<br />
49-Jährigen haben HIV/Aids<br />
Offizielle Landessprachen<br />
Englisch und Chichewa<br />
Wichtigste Exportgüter<br />
Tabak, Tee, Zucker, Baumwolle<br />
Währung<br />
Malawische Kwacha<br />
Ng’andu<br />
Machinga<br />
Oben links Janine Händel malt zusammen<br />
mit Kindern im Ufulu-Zentrum in Peheriya.<br />
Oben rechts Bestehende Ressourcen<br />
fördern: Dorfbewohner bei der Herstellung<br />
von Lehmziegeln für den Bau des neuen<br />
Zentrums in Ng'andu.<br />
Links Frühkindliche Förderung unter dem<br />
Mangobaum: Das noch sehr rudimentäre<br />
Zentrum in Ng'andu, das schon bald einen<br />
neuen Gebäudekomplex erhält.<br />
Unten Die Behelfsküche im Ufulu-Zentrum<br />
mit einem neuem <strong>Holz</strong>ofen, der dank Zementauskleidung<br />
speziell energieeffizient ist.<br />
Zomba<br />
Municipality<br />
Blantyre<br />
City<br />
Nsanje<br />
Fotos: Bernard van Dierendonck | Quelle Karte: DFID 2009/2010<br />
In den Reden der verschiedenen Dorfoberhäupter sowie der regional<br />
Verantwortlichen von ActionAid wird immer wieder der grosse Wille<br />
der Dorfgemeinschaft hervorgehoben, die CBCCs in neuem Glanz<br />
erstrahlen zu lassen. Im Gegenzug überbringt Janine Händel in ihrer<br />
Rede nicht nur Grüsse von Roger Federer aus dem fernen Europa<br />
und bedankt sich für all die Ehrerbietungen beim Empfang, sie<br />
bestärkt auch alle Anwesenden in ihrem Willen, etwas aus eigener<br />
Kraft zu verändern. «Die eigenen Ressourcen der Gemeinschaft zu<br />
erkennen und besser zu nutzen, gehört denn auch zu den obersten<br />
Zielen bei diesem neuen Projekt in Malawi», erklärt Janine Händel.<br />
«So wird auch nicht etwa eine Baufirma für die Renovation der Gebäude<br />
bezahlt, sondern lediglich das notwendige Werkzeug und Material,<br />
damit es die Dorfbewohner selber machen können.» Martha Khonje<br />
von ActionAid ergänzt: «Die Verantwortlichen des CBCC sagen uns,<br />
was sie brauchen, und wir besorgen es ihnen oder bezahlen die<br />
Rechnungen.» Das Geiche gilt auch später für den eigentlichen Betrieb,<br />
wie beispielsweise für die Beschaffung von Schreibwaren oder<br />
Saatgut für die Gärten. Denn die Kinder erhalten eine kleine Mahlzeit<br />
während ihres Aufenthalts. In der Regel ist dies ein Becher voll<br />
mit einem nahrhaften Brei aus Mais und Hülsenfrüchten.<br />
Die roten Tonziegel selber formen, trocknen und brennen<br />
Wie dieser Maisbrei in einem grossen Topf zubereitet wird, sehen<br />
wir am nächsten Tag beim Besuch des fast fertigen Ufulu-Zentrums<br />
im Dorf Peheriya nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt. Dieses<br />
CBCC wurde ursprünglich von einem Hilfsprojekt der italienischen<br />
Regierung initiiert und finanziert. Dann wurde bei einem Sturm vor<br />
zwei Jahren das Dach weggefegt und der Betrieb wurde eingestellt.<br />
Nun hat es ActionAid im Zuge des RFF-Projekts wieder reanimiert.<br />
Zusätzlich zum Dach kam eine gedeckte Aussenhalle dazu. Fast<br />
fertig ist zudem der Toilettentrakt. Dagegen steht beim Küchengebäude<br />
erst der Grundriss, doch sind mehrere Männer mit dem Mauern<br />
der roten Tonziegel beschäftigt. Diese werden vor Ort geformt,<br />
getrocknet und gebrannt.<br />
Es folgt ein letzter Besuch des CBCC von Selemani, das zurzeit<br />
noch in einer traditionellen Strohhütte untergebracht ist. Doch laufen<br />
die Vorbereitungen für einen kompletten Neubau auf Hochtouren.<br />
Bereits ist ein üppiger Vorrat an gebrannten Ziegeln angelegt und<br />
ein Grundstück gut platziert im Zentrum der Siedlung direkt neben<br />
der Strasse gerodet und vorbereitet. Hier sollen dereinst bis zu 150<br />
Mädchen und Buben aus der Region im Alter zwischen vier und sechs<br />
Jahren für ein besseres Leben vorbereitet werden.<br />
Als die Schatten bereits länger werden, was im winterlichen<br />
Malawi bereits um vier Uhr beginnt, verabschieden wir uns von den<br />
Dorfoberhäuptern, Betreuerinnen und Kindern und machen uns<br />
übervoll mit Eindrücken auf den langen Heimweg. Daniel Huber<br />
Partnerschaft mit der Credit Suisse<br />
Im Rahmen der 2009 abgeschlossenen SponsoringPartnerschaft<br />
mit Roger Federer fliesst jährlich eine Million US-Dollar in die<br />
Roger Federer Foundation (RFF), was die Lancierung dieses neuen<br />
Projekts in Malawi massgeblich ermöglichte. Neben der Partnerschaft<br />
mit der RFF unterstützt die Credit Suisse im Rahmen<br />
ihrer eigenen globalen Bildungsinitiative weitere ausgewählte<br />
inter nationale Organisationen und verhilft dadurch Tausenden von<br />
benachteiligten jungen Menschen im schulpflichtigen Alter zu<br />
einer soliden Ausbildung.<br />
Sehen Sie dazu weitere Fotos und<br />
die Videos zur festlichen Lancierung<br />
des Projekts in Lilongwe sowie<br />
zu den Besuchen der Zentren unter<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong>.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
Bischof Erwin Kräutler, Träger des Alternativen Nobelpreises 2010<br />
«Der letzte Dolchstoss<br />
gegen den Regenwald»
Leader 69<br />
«Der Staudamm Belo Monte im<br />
Regenwald am Rio Xingu ist<br />
ein Monument des Wahnsinns.»<br />
Fotos: Steven Vidler, Corbis Specter | Sebastian Schiendorfer<br />
<strong>bulletin</strong>: Am 5. Dezember werden im schwedischen Parlament<br />
in Stockholm wiederum die Alternativen Nobelpreise verliehen.*<br />
Sie, Dom Erwin, wie Sie in Brasilien genannt werden, haben den<br />
Preis 2010 erhalten. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?<br />
Bischof Erwin Kräutler: Die Nachricht, dass ich einen der vier<br />
Right Livelihood Awards bekommen werde, hat mich vor gut einem<br />
Jahr völlig überrascht und natürlich riesig gefreut. Weniger für<br />
mich persönlich als vielmehr für die gute Sache, für die ich seit<br />
Jahrzehnten einstehe, und nicht zuletzt auch für meine vielen<br />
treuen Helferinnen und Helfer in Brasilien und in Europa. Ich muss<br />
aber zugeben, dass die Preisübergabe in Stockholm und die vielen<br />
positiven Reaktionen dann auch mich selbst sehr berührt haben.<br />
Diese wichtigen, von einer unabhängigen internationalen Jury<br />
verliehenen Preise bescheinigen jedem Gewinner, dass er auf dem<br />
richtigen Weg ist, und sorgen für eine willkommene Publizität,<br />
die im täglichen, oft zermürbenden Kampf sehr nützlich sein kann.<br />
Wofür genau erhielten Sie den Alternativen Nobelpreis?<br />
Für mein Lebenswerk gewissermassen, obwohl dieses noch längst<br />
nicht abgeschlossen ist. Konkret für meinen nun bereits mehr<br />
als 45 Jahre dauernden Einsatz für die Menschenrechte der<br />
indigenen Völker einerseits und für den Schutz des Regenwalds<br />
am Amazonas vor der Zerstörung anderseits.<br />
Für jemanden, der im vorarlbergischen Koblach aufgewachsen<br />
ist und als Gitarre spielender Jugendlicher bei jedem Fest<br />
mit dabei war, ist das keine selbstverständliche Lebensaufgabe.<br />
Bevor wir auf Einzelheiten Ihrer Tätigkeit in Brasilien eingehen,<br />
nähme es uns wunder, wieso Sie dorthin ausgewandert sind.<br />
Ich war als Zwölfjähriger ein Jahr im Xaverius-Haus in Feldkirch,<br />
einem Internat der Kongregation der Missionare vom Kostbaren<br />
Blut, doch war meine spätere Berufswahl damals überhaupt noch<br />
nicht klar. Genauso gut hätte ich Lehrer oder Mediziner werden<br />
können. Ausschlaggebend waren für mich die positiven Erfahrungen,<br />
die ich in Koblach mit dem Aufbau der Katholischen<br />
Arbeiterjugend KAJ gemacht habe. Das hat mir den Weg in eine<br />
priesterliche Laufbahn gewiesen. Für viele ist das überraschend<br />
gekommen. Da mein Onkel Erich Kräutler damals als Missionar<br />
im Amazonasgebiet wirkte, war die Wahl des Einsatzortes wohl<br />
weit weniger überraschend. In einer Zeit, in der es in Österreich<br />
noch relativ viele Priester gab, wollte ich tätig werden, wo Not<br />
am Mann war. Das gilt nun im doppelten Wortsinn.<br />
Sie hatten also ein klares Bild vom Amazonasgebiet, als Sie<br />
1965 im Alter von 26 Jahren nach Altamira am Rio Xingu kamen?<br />
Manches war mir aus den Briefen meines Onkels schon vertraut.<br />
Und eine meiner ersten Fragen in Altamira lautete denn auch:<br />
«Wie geht es den Kayapo?» Das ist einer der Stämme indigener<br />
Menschen dieser Region. Anderseits ist die Wirklichkeit doch<br />
nochmals völlig anders, als sie in Briefen und Büchern dargestellt<br />
werden kann. Denken wir nur schon an die Grössenordnungen:<br />
Die Diözese Xingu, zu deren Bischof ich ihm November 1980<br />
ernannt wurde, ist rund neunmal so gross wie die Schweiz.<br />
Was haben Sie sich als Missionar in Brasilien vorgenommen?<br />
Ich benütze den Begriff «Missionierung» nicht gerne, da er mit<br />
einer kolonialen Hypothek belastet ist. Seit der Ankunft der<br />
Europäer in Brasilien um 1500 ist im Kontakt mit den indigenen<br />
Völkern allzu vieles falsch gelaufen, auch im Namen Gottes. Ich<br />
persönlich orientiere mich an den Impulsen, die von den Generalversammlungen<br />
in Medellín 1968 und Puebla 1979 ausgegangen<br />
sind. Damals definierten wir die «vorrangige Option für die Armen».<br />
Mich für die Armen und Ausgegrenzten ein zusetzen, für die am<br />
Rand der Gesellschaft Stehenden Partei zu ergreifen, das war<br />
und ist mein Lebensziel.<br />
Und das sind in Ihrer Diözese primär die indigenen Völker?<br />
Die Ureinwohner des Landes gehören dazu. Sie stehen am<br />
Rande des Abgrunds und befinden sich kurz vor der Ausrottung.<br />
Bei uns gibt es noch knapp 10 000 Personen in 16 heimischen<br />
Gesellschaften. Asurini, Araweté, Parakanã, Xikrin, Arara, Kayapo.<br />
Ich denke jedoch ebenso sehr an die Obdachlosen, Migranten,<br />
Arbeitslosen, Drogenabhängigen sowie die sexuell ausgebeuteten<br />
Frauen und Minderjährigen.<br />
><br />
Der Bischof des Regenwalds wird 1939 in Koblach geboren und<br />
tritt 1958 in die Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut ein.<br />
Nach dem Theologie und Philosophiestudium in Salzburg folgt er<br />
seinem Onkel Erich Kräutler nach Brasilien. Als Wandermissionar am<br />
unteren Xingu und seit 1980/81 als Bischof der Diözese Xingu setzt<br />
er sich für die Armen ein. Der Präsident des Indianermissionsrats CIMI<br />
ist Ehrenbürger mehrerer brasilianischer Gemeinden und vierfacher<br />
Ehrendoktor in Europa. Die wichtigste der über ein Dutzend Ehrungen<br />
ist der Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) 2010.<br />
*Am 29. September wurden die Preisträger des Right Livelihood Award 20<strong>11</strong><br />
bekannt: der chinesische Solarunternehmer Huang Ming, die Anwältin<br />
Jacqueline Moudeina aus Tschad, die amerikanische Hebamme Ina May Gaskin<br />
und die spanische Nichtregierungsorganisation GRAIN.<br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
70 Leader<br />
Konnten Sie im Laufe der Jahre im Kampf für die<br />
Menschenrechte und gegen die Armut Erfolge feiern?<br />
In meinen ersten Jahren in Brasilien war ich nicht nur als<br />
Priester am unteren Xingu und Amazonas und als Seelsorger<br />
des Hafenorts Vitória tätig, sondern auch in der einzigen<br />
Lehrerbildungs anstalt im Xingu-Tal. Da konnte ich etwas dazu<br />
beitragen, dass wir über gut ausgebildete Lehrerinnen und<br />
Lehrer mehr Kinder und Jugendliche erreichen und ihnen eine<br />
bessere Bildung anbieten. Mittelfristig ist Bildung der beste<br />
Schutz gegen Armut. Eine grosse Genugtuung für uns alle war,<br />
dass wir 1988 die Rechte der indigenen Völker in der Verfassung<br />
verankern konnten. Bei diesem Kampf war ich als Präsident<br />
des Indianermissionsrats CIMI an vorderster Front mit dabei.<br />
Und wurden Opfer eines mörderischen Anschlags …<br />
Nachdem ich 1983 von der Militärpolizei anlässlich einer Soli -<br />
daritätsdemonstration für streikende Zuckerrohrpflanzer, die<br />
monatelang die abgelieferte Ernte nicht ausbezahlt bekamen,<br />
zusammengeschlagen und verhaftet worden war, rammte 1987 ein<br />
Lastwagen unser Auto absichtlich frontal. Mein Beifahrer Pater<br />
Salvatore Deiana überlebte den Unfall leider nicht, und ich musste<br />
sechs Wochen im Spital verbringen. Vorausgegangen war eine<br />
wochenlange Hetzkampagne gegen den Indianer missionsrat der<br />
Brasilianischen Bischofskonferenz. Zum Glück zeitigten die<br />
Einschüchterungsversuche keinen Erfolg. Die Verankerung der<br />
Rechte der indigenen Völker in der Verfassung ist ein riesengrosser<br />
Erfolg. Seither ist es – im Grundsatz – nicht mehr möglich,<br />
die Ureinwohner als minderwertige Menschen zu behandeln.<br />
Das Indianerstatut regelt die zivil und strafrechtliche Situation<br />
der indigenen Bevölkerung recht differenziert.<br />
Ja, es wird beispielsweise unterschieden zwischen integrierten,<br />
teilweise integrierten und isolierten Indigenen. Letztere haben<br />
keinen oder seltenen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft, sind<br />
dementsprechend mit den westlichen Umgangsformen nicht<br />
vertraut und leben nach ihren eigenen Riten und Gebräuchen.<br />
Rechtsgeschäfte, die von Fremden mit diesen isolierten Indigen<br />
abgeschlossen werden, sind nicht rechtsgültig, wenn diese die<br />
ganze Tragweite nicht erkannt haben und ihnen daraus Nachteile<br />
entstehen. Zudem hat die Verfassung von 1988 den indigenen<br />
Völkern das ursprüngliche Recht auf das traditionell von ihnen<br />
besiedelte Land zugesprochen.<br />
Gerade in dieser Hinsicht hapert es aber mit der Umsetzung.<br />
Das ist leider wahr: Derzeit gibt es in ganz Brasilien 850 indigene<br />
Gebiete, von denen aber nur 325 offiziell registriert und damit<br />
unumstösslich anerkannt sind. Vielleicht haben Sie gelesen, dass<br />
im Mai 20<strong>11</strong> eine Gemeinschaft von Guarani-Indianern – die<br />
Laranjeira Nanderu – in einem Akt der Verzweiflung einen Teil<br />
ihres angestammten Landes wiederbesetzt haben. Sie wurden in<br />
den 1960er-Jahren daraus verdrängt, und all ihre bisherigen<br />
Versuche, wieder dorthin zurückzukehren, wurden brutal unterbunden.<br />
Zuletzt lebten die Laranjeira Nanderu wie Flüchtlinge<br />
am Rand einer vielbefahrenen Bundesstrasse in provisorischen<br />
Behausungen aus Abdeckplanen, mit stark eingeschränktem<br />
Zugang zu sauberem Wasser, Lebensmitteln, medizinischer<br />
Versorgung. Die Rückkehr in ihr Gebiet ist für sie überlebenswich-<br />
Indigene Völker Brasiliens<br />
60 000 Jahre alte Rechte<br />
Staudämme als Energiequelle<br />
Fluch oder Segen?<br />
Im Juni 20<strong>11</strong> bestätigt die<br />
brasilianische Behörde<br />
für indigene Angelegenheiten<br />
(FUNAI) die Entdeckung per<br />
Flugzeug eines unkontaktierten<br />
indigenen Volkes im Javari - Tal<br />
im westlichen Amazonas. Das<br />
Land soll weiter beobachtet<br />
werden, um illegales Eindringen<br />
zwecks Abholzung, Bergbaus,<br />
Viehzucht oder Drogenhandels<br />
zu verhindern. Im August 20<strong>11</strong><br />
erklären Experten, dass eine<br />
erfolgreiche BBC-Serie über das<br />
indigene Volk der Matsigenka<br />
«inszeniert, falsch, verdreht und<br />
fabriziert» ist und ein «falsches und<br />
beleidigendes Porträt» zeichnet …<br />
Bis zur Ankunft der Europäer<br />
um 1500 lebten im heutigen<br />
Brasilien etwa 5 Millionen indigene<br />
Menschen in 1000 Völkern. Die<br />
archäologischen Spuren reichen<br />
rund 60 000 Jahre zurück. Heute<br />
gibt es noch 735 000 Indigene in<br />
215 Völkern (andere Schätzungen<br />
liegen tiefer). Seit 1988 sind<br />
die Rechte der indigenen Völker<br />
verfassungsmässig garantiert.<br />
Ihnen stehen beträchtliche<br />
Landflächen als Reservate zu.<br />
Bei Grossprojekten wie dem<br />
Belo-Monte-Staudamm ist ihnen<br />
ein Anhörungsrecht zugesichert.<br />
In der Praxis werden diese Rechte<br />
jedoch oft nicht respektiert.<br />
Das älteste Bewässerungssystem,<br />
vor 8000 Jahren im iranischen<br />
Zagross-Gebirge entstanden, ist<br />
ein schmaler Staudamm aus<br />
Reisig und Erde. Heute aber gibt<br />
es mehr als 45 000 Grossstaudämme<br />
mit einer über 15 Meter<br />
hohen Mauer oder mehr als 3<br />
Millionen Kubikmeter Wasser,<br />
die meisten davon in China. Die<br />
mit Wasserkraft gewonnene<br />
Energie deckt einen Fünftel des<br />
weltweiten Stromverbrauchs,<br />
die Dämme liefern das Wasser<br />
für einen Drittel aller Landwirtschaftsflächen.<br />
Staudämme sind<br />
also unentbehrlich. Gleichzeitig<br />
werden sie von der indischen<br />
Schriftstellerin Arundhati Roy<br />
als «Massenvernichtungswaffen»<br />
bezeichnet. Weltweit mussten<br />
gegen 80 Millionen Menschen<br />
umziehen; weit mehr Menschen<br />
wurde die berufliche Lebensgrundlage<br />
entzogen, und sie<br />
leiden unter Seuchen. Deshalb gilt<br />
es bei jedem Projekt Vor- und<br />
Nachteile kritisch abzuwägen und<br />
dabei soziale und ökologische<br />
Kriterien gleichwertig neben die<br />
wirtschaftlichen und technischen<br />
Aspekte zu stellen. Belo Monte<br />
am Rio Xingu zählt zu den weltweit<br />
grössten Kraftwerken, ist aber<br />
nur eines von Dutzenden, die am<br />
Amazonas geplant sind.<br />
Fotos: Antoine Bonsorte | CIMIHaroldo Heleno | CIMI Eden Magalhães, CIMI | www.cimi.org<br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
Leader 71<br />
tig. Die Guarani haben eine sehr tiefe spirituelle Verbindung zu<br />
ihrem angestammten Land, von dem ihr geistiges und körperliches<br />
Wohl abhängt. Nur dort können sie in Frieden arbeiten und leben.<br />
Können wir wirklich von einer Verbesserung sprechen?<br />
Das Unrecht, das jetzt den indigenen Völkern geschieht, ist<br />
verfassungswidrig und kann deshalb besser angefochten werden.<br />
Viele Brasilianer verurteilen mittlerweile diese immer wieder<br />
stattfindenden Verletzungen der Menschenrechte …<br />
… durch die Grossgrundbesitzer.<br />
Die Armut, um wieder auf diesen Begriff zurückzukommen, ist<br />
nicht mehr ausschliesslich auf Grossgrundbesitzer zurückzuführen.<br />
Ich würde sie als einen negativen Auswuchs der Globalisierung<br />
bezeichnen. In Bezug auf die territoriale Verletzung indigener<br />
Rechte sind wohl <strong>Holz</strong>fäller am schlimmsten und skrupellosesten.<br />
Weltweit bekannt geworden sind Sie durch Ihren Kampf gegen<br />
das Wasserkraftwerk Belo Monte am Rio Xingu. Was läuft schief?<br />
Am Unterlauf des Xingu ist ein Wasserkraftwerk geplant, das mit<br />
<strong>11</strong> 200 Megawatt zu den leistungsstärksten weltweit gehören<br />
würde – aber nur während der Regenzeit. Es gibt Wissenschaftler,<br />
die von einem Durchschnitt von lediglich 4000 Megawatt ausgehen.<br />
Der dazu nötige Stausee wurde zunächst mit 400 Quadratkilometern<br />
bemessen, jetzt geht man von mehr als 600 Quadratkilometern<br />
aus. Hinzu kommen noch über 1000 Quadratkilometer<br />
Regenwald und Agrargebiete, die praktisch beschlagnahmt werden.<br />
Wer mit den geringen Entschädigungen nicht einverstanden ist,<br />
wird gerichtlich belangt. Die Auswirkungen auf Altamira und die in<br />
unserer Region lebenden indigenen Völker sind verheerend. Weil<br />
«Den indigenen Menschen<br />
wird das verfassungs <br />
mässig gesicherte Recht<br />
auf Anhörung von der<br />
Regierung systematisch<br />
verweigert.»<br />
das Vorgehen der Regierung – zuerst von Lula da Silva und nun<br />
auch von Dilma Rousseff – sowie der Investoren nicht der Verfassung<br />
entspricht, bekämpfen wir dieses Megaprojekt mit allen<br />
zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch die Bundesanwaltschaft<br />
des Gliedstaates Pará hat zum wiederholten Male Klage eingereicht<br />
und einen Planungs- und Baustopp verlangt.<br />
Sie prägten den Begriff «Monument des Wahnsinns»!<br />
Schade ist, dass dies keine rein rhetorische Floskel ist, sondern<br />
der Wahrheit entspricht. Überflutet wird ein Drittel der Stadt<br />
Altamira mit über 100 000 Einwohnern. Dies bedeutet, dass etwa<br />
30 000 bis 40 000 Brasilianerinnen und Brasilianer zwangsumgesiedelt<br />
werden müssen, und kein Mensch weiss bis heute<br />
wohin. Da kein indigenes Gebiet unmittelbar unter den Stausee<br />
><br />
Der Alternative Nobelpreis<br />
Vorbilder und Projekte der Hoffnung –<br />
weil eine andere Welt möglich ist<br />
Ende der 1970er-Jahre hatte Jakob von<br />
Uexküll versucht, das Nobelpreiskomitee von<br />
der Notwendigkeit eines Umweltnobelpreises<br />
zu überzeugen. Die Verantwortlichen<br />
winkten ab: Nach der Einrichtung des Wirtschaftsnobelpreises<br />
1969 wollten sie keine<br />
weiteren Kategorien mehr zulassen. Daraufhin<br />
rief Jakob von Uexküll den Right Livelihood<br />
Award ins Leben.<br />
«Unsere Preise haben bedrohte Leben<br />
geschützt und Gefängnistüren geöffnet,<br />
ebenso wie sie Türen zu Ministerbüros öffneten.<br />
Sie geben Ressourcen, Zutrittsmöglichkeiten,<br />
Hoffnung und Vertrauen. Dieser Preis<br />
ist ein Bote aus der Zukunft», zog Jakob von<br />
Uexküll 1984 anlässlich der 25. Verleihung<br />
des Alternativen Nobelpreises Bilanz.<br />
Tatsächlich hat Wangari Maathai, die<br />
Gründerin des Greenbelt Movement, eines<br />
mehrheitlich von Frauen getragenen Wie deraufforstungsprojekts<br />
in Kenia, 20 Jahre nach<br />
dem Alternativen Nobelpreis auch den Friedensnobelpreis<br />
erhalten – mit der ausdrücklichen<br />
Begründung der Jury, ohne intakte<br />
Umwelt könne es keinen wirklichen Frieden<br />
geben. «Es ist ermutigend zu sehen», so von<br />
Uexküll, «dass das norwegische Nobelpreiskomitee<br />
sein Friedenskonzept um Aspekte<br />
des Umweltschutzes und der Demokratie<br />
erweitert hat.»<br />
Doch es gibt auch Rückschläge: Ken Saro-<br />
Wiwa, der nigerianische Vorkämpfer gegen<br />
die verheerenden Auswirkungen der Ölförderung<br />
im Land der Ogoni, wurde 1995 trotz<br />
seiner internationalen Auszeichnung unter<br />
fadenscheinigen Begründungen hingerichtet.<br />
Und Preisträger Munir, der sich in Indonesien<br />
für die Menschenrechte eingesetzt hatte,<br />
wurde 20<strong>04</strong> vergiftet.<br />
Trotzdem erweist sich der Right Livelihood<br />
Award als Erfolgsgeschichte, da er das Augenmerk<br />
auf Probleme lenkt, die man gerne<br />
ausblenden würde, und Persönlichkeiten mit<br />
mitreissendem Vorbildcharakter ehrt.<br />
Bischof Erwin Kräutler ist nicht der Erste,<br />
der sich in Brasilien beziehungsweise im länderübergreifenden<br />
Amazonasgebiet für die<br />
indigenen Völker, die Armen und die Erhaltung<br />
des Regenwalds einsetzt. Vor ihm erhielten<br />
auch der Peruaner Evaristo Nugkuag<br />
Ikanan und seine Gruppe AIDESEP (1986),<br />
die brasilianischen Landreform-Organisationen<br />
Movimento dos Trabalhadores Rurais<br />
Sem Terra MST und Commissão Pastoral<br />
da Terra CPT (1991), die kolumbianische<br />
Consolidation of the Amazon Region COAMA<br />
(1999), der – abgesetzte – brasilianische<br />
Befreiungstheologe Leonardo Boff (2001)<br />
und zuletzt der katholische Aktivist Chico<br />
Whitaker Ferreira (2006) den Alternativen<br />
Nobelpreis.<br />
<strong>bulletin</strong> unterhielt sich in der Ausgabe<br />
5/2009 mit der Preisträgerin von 2008<br />
Monika Hauser, der Gründerin der Frauenrechtsorganisation<br />
medica mondiale. Diese<br />
leistet Frauen, die aufgrund sexualisierter<br />
Gewalt kriegstraumatisiert sind, medizinische<br />
und psychologische Hilfe.<br />
Traditionsgemäss spricht einer der neuen<br />
Preisträger am 8. Dezember um 18 Uhr in der<br />
Aula der Universität Zürich öffentlich über<br />
sein Wirken. schi<br />
Mehr Informationen unter www.rightlivelihood.org,<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bulletin</strong><br />
Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong>
Macapa<br />
Altamira<br />
Amazonas<br />
Rio Xingu<br />
Manaus<br />
mögliche<br />
überflutete<br />
Gebiete<br />
reduzierter Flusslauf<br />
Altamira<br />
Belo Monte<br />
geplanter<br />
Damm<br />
Belo Monte<br />
Diözese Xingu<br />
Rio Xingu<br />
São Paulo<br />
Brasilia<br />
Rio de Janeiro<br />
Die Regierung plant,<br />
das Amazonasgebiet<br />
als Energiequelle<br />
zu nutzen. Manche<br />
Projekte wie jenes<br />
am Rio Xingu – grau<br />
eingezeichnet ist die<br />
Diözese Xingu von<br />
Bischof Kräutler –<br />
zeitigen verheerende<br />
Auswirkungen.<br />
> zu liegen kommt, glauben die Verantwortlichen, der Verfassung<br />
Genüge zu tun. Aber sie wissen haargenau, dass ein riesiges<br />
Gebiet durch die mittels zweier Kanäle veränderte Linienführung<br />
des Flusses vom Wasser abgeschnitten wird. Es mangelt dann<br />
den indigenen Menschen an Trinkwasser und ihnen, die sich<br />
primär vom Fischfang ernähren, wird die Lebensgrundlage<br />
entzogen. Altamira wird zu einer Halbinsel inmitten eines fauligen<br />
Totensees, der eine Brutstätte für Insekten und damit ver bundenen<br />
Krankheiten sein wird. Die dort lebenden Menschen – Indigene und<br />
Brasilianer – sind, wenn sie nicht wegziehen, dem Untergang<br />
geweiht. Verfassungsmässig steht den Indios eine Anhörung zu,<br />
die zeigen würde, dass das Projekt nicht realisiert werden darf.<br />
Die Regierung sagt, solche Anhörungen hätten stattgefunden.<br />
Es wurden einseitige Informationsveranstaltungen mit eingeschränkten<br />
Zutrittsmöglichkeiten angesetzt, an denen die Indios<br />
ihre Meinung nicht kundtun konnten, die dann aber im Nachhinein<br />
als Anhörungen bezeichnet wurden.<br />
Hat der Alternative Nobelpreis konkret etwas gebracht?<br />
Bereits im Frühjahr 2010 lancierten bekannte Künstler wie der<br />
Musiker Sting, «Titanic»-Regisseur James Cameron und verschiedene<br />
Organisationen Informationskampagnen. Dank des Right<br />
Livelihood Award sind Ende Jahr nochmals viele Medienberichte<br />
in aller Welt über das Projekt Belo Monte erschienen. Dies hat<br />
eine Debatte über dieses konkrete Vorhaben sowie generell über<br />
Vor- und Nachteile gigantischer Staudammwerke ausgelöst.<br />
Dieses Jahr haben viele Journalisten den 9. August, den Tag der<br />
indigenen Völker, zum Anlass genommen, um erneut auf dieses<br />
überrissene Projekt hinzuweisen. Und zwei Wochen später folgten<br />
Demon strationen in zahlreichen brasilianischen Städten und<br />
weltweit vor 16 brasilianischen Botschaften.<br />
Das klingt allerdings, als ob der Bau des «Monuments<br />
des Wahnsinns» noch lange nicht verhindert wäre.<br />
Die Regierung setzt für das angestrebte Wirtschaftswachstum<br />
vorwiegend auf die Wasserkraft. Im ganzen Amazonasgebiet sind<br />
verschiedene Projekte wie Belo Monte vorgesehen. War bereits<br />
der Bau der Transamazônica ab 1970 ein erster Stich gegen den<br />
Regenwald und die in ihm lebenden indigenen Völker, so droht<br />
nun der letzte Dolchstoss. Ich muss es leider so dramatisch sagen.<br />
In Bezug auf Belo Monte sieht es aus, als ob man vollendete<br />
Tatsachen schaffen wolle, bevor der internationale Gerichtshof<br />
uns Recht gibt. Die Vorarbeiten für Belo Monte haben trotz<br />
laufender Einsprachen im Juni 20<strong>11</strong> begonnen, und schon jetzt<br />
zeigt sich eine weitere verheerende Auswirkung. Innert Kürze<br />
sind die Immobilienpreise in Altamira derart gestiegen, dass viele<br />
Einheimische ihre Miete nicht mehr bezahlen können.<br />
Wie steht es um Sie persönlich? Fürchten Sie um Ihr Leben?<br />
Gewisse Kreise haben ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.<br />
Nach der Ermordung zweier meiner engsten Mitarbeiter – Hubert<br />
Mattle 1995 und Schwester Dorothy Stang 2005 – stehe ich<br />
seit 2006 unter Polizeischutz und kann mich nicht mehr<br />
frei bewegen. Gleichzeitig erfahre ich von meinen Gemeinden<br />
sehr viele Bezeugungen des Respekts und der Zuneigung.<br />
Werden Sie noch lange in Brasilien bleiben?<br />
Das Bischofsamt muss ich mit 75 Jahren im Juli 2014 zur Verfügung<br />
stellen. Ich hoffe, dann sei der Kampf gegen Belo Monte erfolgreich<br />
beendet. Wenn es die Gesundheit zulässt, will ich mich – als<br />
Brasilianer österreichischer Herkunft – auch danach für die Armen<br />
und den Regenwald einsetzen. Interview: Andreas Schiendorfer<br />
Weitere Informationen unter anderem auf:<br />
www.bischofkraeutler.at<br />
www.domerwin.com<br />
www.cimi.org.br/site/ptbr<br />
http://plattformbelomonte.blogspot.com<br />
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Mehr über Bischof Erwin Kräutler und andere Gewinner des Right Livelihood Award >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
Kämpfen, glauben, hoffen –<br />
Mein Leben als AmazonasBischof<br />
Autor: Erwin Kräutler<br />
256 Seiten<br />
ISBN: 978-3-89680-534-8<br />
Dom Erwin<br />
Verena Daum (Texte)<br />
Miro Kuzmanovich (Fotografien)<br />
136 Seiten<br />
ISBN: 3-902525-28-2<br />
Wangari Maathai, Afrika,<br />
mein Leben. Erinnerungen einer<br />
Unbeugsamen<br />
Autor: Wangari Maathai, 250 Seiten<br />
ISBN: 978-3-83218-036-2<br />
Wiener Vorlesungen<br />
Band 21<br />
Autor: Erwin Kräutler<br />
68 Seiten<br />
ISBN: 978-3-85452-320-8<br />
Monika Hauser – Nicht aufhören<br />
anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz<br />
für kriegstraumatisierte Frauen<br />
Autorin: Chantal Louis, 256 Seiten<br />
ISBN: 978-3-907625-41-5<br />
Vorbilder, Menschen und<br />
Projekte, die hoffen lassen.<br />
Der Alternative Nobelpreis<br />
Autor: Jürgen Streich, 250 Seiten<br />
ISBN: 978-3-89901-057-2<br />
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
*Wangari Maathai ist am 25. September an Krebs verstorben. >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>><br />
<strong>bulletin</strong> 4/<strong>11</strong> Credit Suisse
So sehen heute Kraftwerke aus.<br />
Die Zukunft gehört klima- und energieeffizienten Gebäuden – und <strong>Holz</strong> ist der ideale Baustoff dafür.<br />
Im Vergleich zu anderen Baustoffen ist <strong>Holz</strong> CO 2<br />
-reduzierend und eine erneuerbare Ressource.<br />
So können Bauten aus <strong>Holz</strong> in Kombination mit Solar- und Fotovoltaikanlagen mehr Energie erzeugen,<br />
als ihre Bewohner verbrauchen. Bauen auch Sie mit <strong>Holz</strong>, Ihnen und einer gesunden Umwelt zuliebe.<br />
www.holzbau-schweiz.ch
Sie träumen – wir machen.<br />
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