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Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli/August 20<strong>10</strong><br />
<strong>Bewegung</strong><br />
Der Mensch ist zum Laufen geboren. Doch nur<br />
wenige sind so schnell wie Dave Dollé. Lassen<br />
Sie den mehrfachen Schweizer Meister auf Ihrem<br />
Bildschirm lossprinten! (Anleitung auf Seite 30)<br />
Globale Initiative Credit Suisse ist treibhausgasneutral<br />
KMU-Studie Die Globalisierungswelle rollt<br />
Wolfgang Rihm Der deutsche Komponist im Gespräch<br />
Mit dem Magazin entrepreneur
Der neue BMW X5<br />
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Freude am Fahren<br />
FREUDE VEREINT LUXUS<br />
UND EFFIZIENZ.<br />
Das Beste aus zwei Welten zu vereinen, bedeutet, sich nicht zwischen exklusivem Komfort und sparsamen Höchstleistungen<br />
entscheiden zu müssen. Der neue BMW X5 bietet beides. Dank seiner souveränen Eleganz, kraftvollen Sportlichkeit<br />
und wegweisenden Technologie reisen Sie auf höchstem Niveau mit tiefen Emissionen. Neue, noch durchzugsstärkere<br />
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DER NEUE BMW X5.
Editorial 3<br />
Wenn Mathias Plüss in seiner Geschichte auf Seite 28 über den Menschen als<br />
<strong>Bewegung</strong>stier schreibt, der in früheren Zeiten die Beute buchstäblich zu Tode<br />
gehetzt haben soll, dann ist das für mich völlig nachvollziehbar. Schliesslich habe ich<br />
mich schon als Kind vorzugsweise im Laufschritt von A nach B bewegt. Mir war das<br />
gemütliche Spazieren immer etwas zu langsam und als Fussball-Junior überzeugte<br />
ich eher durch Ausdauer denn durch technische Raffinesse und Antrittsstärke.<br />
Erweiterte Realität<br />
Anleitung zum bewegten Titelbild mit<br />
Augmented-Reality-Technik Seite 30<br />
Bilderkennung<br />
Anleitung und Beschreibung der kooaba-<br />
Anwendungen Seite <strong>10</strong><br />
QR CODE<br />
Anleitung für den mobilen Link zum Internet<br />
Seite 11<br />
Und ja, natürlich bin auch ich irgendwann meinen ersten Marathon gerannt. Nicht<br />
weil es mittlerweile zum guten Ton gehört, wie Plüss moniert, sondern weil<br />
mich der Mythos Marathon schon immer fasziniert hat und das Glücksgefühl im<br />
Ziel beim ersten Mal einfach unbeschreiblich ist. Doch dem nächsten in der<br />
Geschich te beschriebenen Trend, hin zu immer noch extremeren Herausforderungen<br />
wie etwa dem Jungfrau-Marathon mit 1829 Höhenmetern, bin ich (bislang) nicht<br />
gefolgt. Gehen Sie einfach mal am Montagmorgen nach dem Marathon in die<br />
Zürcher Bahnhofsunterführung und beobachten Sie, wie schwer sich viele mit<br />
42,195 Kilometern in den Beinen beim Überwinden von ein paar Stufen tun, dann<br />
wissen Sie, warum. Mediziner sind sich denn auch einig: Für die Gesundheit muss<br />
keiner einen Marathon rennen.<br />
Unser Mann auf dem Titelbild ist aber nicht etwa ein Langstreckenläufer, sondern<br />
der in Kalifornien geborene Schweizer Sprinter Dave Dollé, der mit <strong>10</strong>,16 Sekunden<br />
immer noch den Schweizer Rekord über <strong>10</strong>0 Meter hält. Er stand (und rannte)<br />
für unser spezielles Titelblatt Modell, das Ihnen auf spielerische Art und Weise die<br />
neusten Möglichkeiten modernster Computertechnik veranschaulicht. Alles,<br />
was Sie brauchen, ist ein Computer mit einer Web-Kamera und die Anleitung auf<br />
Seite 30 zu befolgen. Sie werden staunen.<br />
Das <strong>bull</strong>etin macht mit dieser Ausgabe noch weitere Schritte in Richtung mobile<br />
Kommunikation. So genannte QR Codes verlinken Ihr internettaugliches Handy<br />
direkt mit zusätzlichen Bildern, Videos und sonstigen Infos. Und über das Bilderkennungssystem<br />
kooaba gibt es weiterführende Links und Dienstleistungen rund um<br />
die jeweilige <strong>bull</strong>etin Geschichte oder das ganze Heft. Die Anleitungen zu diesen<br />
neuen Dienstleistungen finden Sie auf den Seiten <strong>10</strong> und 11.<br />
Fotos: Cédric Widmer | Mathias Hofstetter | vitronic.ch<br />
Der QR Code fürs mobile <strong>bull</strong>etin:<br />
Um mit dem Browser Ihres Smartphones auf<br />
das mobile <strong>bull</strong>etin zuzugreifen, tippen Sie folgende<br />
URL ein: www.credit-suisse.com/m<strong>bull</strong>etin<br />
Und zu guter Letzt eine freudige Nachricht in eigener Sache: Bereits zum sechsten<br />
Mal seit 1993 wurde das <strong>bull</strong>etin bei den Best of Corporate Publishing Awards<br />
in Deutschland in der Kategorie Finanzen und Versicherungen mit einer Medaille<br />
ausgezeichnet und zwar wie schon im vergangenen Jahr mit Silber. Eine Ehrung,<br />
die die Redaktion überaus freudig bewegt!<br />
Daniel Huber, Chefredaktor <strong>bull</strong>etin<br />
Preisträger
Inhalt 5<br />
Coverfoto: Mathias Hofstetter | Foto: Lukas Ilgner<br />
18<br />
<strong>Bewegung</strong> Christian Kandlbauer bewegt seine linke<br />
Armprothese nur kraft seiner Gedanken. Die bewegende<br />
Geschichte eines jungen Mannes, der sich mit modernster<br />
Technik und eisernem Willen seine Selbständigkeit Schritt<br />
für Schritt zurückerkämpft(e).<br />
Credit Suisse<br />
31 _ Kurzmeldungen Massnahmen zur nachhaltigen<br />
Förderung der Schweizer Wirtschaft<br />
34 _ Salzburger Festspiele Am Anfang stand<br />
der Wunsch nach «geistigem Frieden»<br />
36 _ Marjana Lipovšek Damit die faltenlosen<br />
Talente für ihre Aufgabe wirklich gerüstet sind<br />
38_ Nicolas Altstaedt Der Schüler von Pergamenschikow<br />
macht seinem Meister alle Ehre<br />
39 _ Davos Festival Zum Jubiläum wird auf der<br />
Schatzalp eine Zauberberg-Oper uraufgeführt<br />
42 _ Risikokapital Wie Johannes Suter<br />
<strong>10</strong>0 Millionen Franken sinnvoll einsetzen will<br />
43 _ Gesunde Tochter Credit Suisse Fleetmanagement<br />
AG feiert ihren zehnten Geburtstag<br />
44 _ Business Aviation In vielen Regionen gibt<br />
es keine Alternative zu Geschäftsflugzeugen<br />
46 _ Weiterbildung Die firmeninterne Weiterbildung<br />
ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg<br />
48 _ Klimaschutz Die Credit Suisse arbeitet nun<br />
weltweit treibhausgasneutral<br />
50 _ Schulbildung Tansanias Nomadenkinder<br />
sollen auch zur Schule gehen können<br />
52 _ Jugendarbeitslosigkeit «Jeunes@Work»<br />
erleichtert den Einstieg in die Arbeitswelt<br />
54 _ Krebsliga In der Schweiz seit <strong>10</strong>0 Jahren<br />
unterwegs im Kampf gegen den Krebs<br />
55 _ Kurzfutter Bildung, Menschenrechte und<br />
Aktivitäten zum Klimaschutz<br />
6 _ Die Zukunft ist mobil Handys werden immer mehr zum<br />
zentralen Monitor der vernetzten Welt.<br />
14 _ Perpetuum mobile Der Traum von der Maschine, die<br />
sich ewig von selbst bewegt, ist noch nicht ausgeträumt.<br />
18 _ Gedankengesteuerte Prothesen Modernste Technik<br />
und viel Willenskraft machen es möglich.<br />
22 _ Modern Dance Die 90-jährige Anna Halprin gilt als eine<br />
der grössten <strong>Bewegung</strong>skünstlerinnen der Nachkriegszeit.<br />
28 _ Ausdauerräuber Bei grosser Hitze ist der Mensch über<br />
lange Strecken jedem Tier überlegen.<br />
Wirtschaft<br />
56 _ KMU-Studie Schweizer Unternehmen sind<br />
für die nächste Globalisierungswelle gerüstet<br />
60 _ Multikulturell In den USA lernen immer<br />
mehr Kinder und Jugendliche Chinesisch<br />
62 _ Indien-Fieldtrip Unterwegs auf dem<br />
Subkontinent der Kontraste und Chancen<br />
70 _ Asset Allocation Vom Papier zum Portfolio –<br />
so wird die Anlagestrategie umgesetzt<br />
72 _ Experten-Interview <strong>Bewegung</strong> als Strategie<br />
und Taktik<br />
Invest<br />
73 _ Aktuelle Analysen und Trends<br />
Leader<br />
78 _ Wolfgang Rihm Die Gemüsefrau soll die<br />
Möglichkeit haben, neuer Kunst zu begegnen<br />
Service<br />
47 _ Impressum<br />
77 _ Wissenswert/Nachlese<br />
Der Forest Stewardship Council (FSC) setzt mit <strong>10</strong> Prinzipien und Kriterien den Standard für eine umwelt- und<br />
sozialver trägliche Waldbewirtschaftung. Schweizer Papier (Z-Offset, mit 30% FSC-Anteil), aus europäischem Zellstoff,<br />
hergestellt von der ISO-14001-zertifizierten Ziegler Papier AG, Grellingen.<br />
Ihr Link zu unserem Know-how: www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin
6 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />
Die Zukunft<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 7<br />
ist mobil<br />
Kommunikation aus einer Hand<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
8 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />
Mit schnelleren Netzen, neuen Anwendungen und<br />
innovativen Bedienungskonzepten wird das Handy der Zukunft<br />
zum zentralen Monitor der vernetzten Welt.<br />
Fotos: Mathias Hofstetter | Nokia | nttdocomo.com | Itsuo Inouye, Keystone<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 9<br />
Per Mobiltelefon bezahlen<br />
Ticket<br />
Text: Claude Settele<br />
Key/ID<br />
Shopping<br />
Drei Dinge hat der Mensch<br />
dabei, wenn er seine Wohnung<br />
verlässt: Portemonnaie,<br />
Hausschlüssel und<br />
Handy. In Zukunft wird es<br />
vielleicht nur noch das Mobiltelefon<br />
sein. Als Sprechapparat<br />
hat seine Karriere begonnen, als<br />
portabler Musik- und Videoplayer hat es sich<br />
weiterentwickelt und nun öffnet das Handy<br />
dank Internetanschluss die Türen zur vernetzten<br />
Welt. Inzwischen ist die Verbreitung<br />
des Mobiltelefons förmlich explodiert. Laut<br />
der International Telecom Union (ITU) gibt es<br />
weltweit über vier Milliarden Handy-Benutzer.<br />
Stimmen die Prognosen der Marktforscherin<br />
Gartner Group, werden 2013 bereits 80 Prozent<br />
der Handys für die Datenkommunikation<br />
gerüstet sein und neue Anwendungen das<br />
mobile Internet erst richtig lancieren.<br />
Elastische Handys und mehr Tempo<br />
Der Erfolg des iPhones war der Startschuss<br />
für das mobile Internet, der gleich auch die<br />
Grenzen der Datennetze aufgezeigt hat. In<br />
Ballungszentren reicht die Bandbreite oft<br />
nicht mehr für eine flüssige Nutzung. Beim<br />
US-Provider AT&T ist der Datenverkehr in<br />
Nokia will in Zukunft<br />
neue Werkstoffe verwenden,<br />
um dehnbare<br />
und biegsame<br />
Telefone zu bauen.<br />
Member’s Card<br />
Transportation<br />
Online<br />
Shopping<br />
Keitai Credit<br />
Den Japanern dient das Handy schon<br />
seit Jahren als elektronisches Portemonnaie<br />
für Einkäufe und andere Zahlungen.<br />
drei Jahren um 7000 Prozent gestiegen. Abhilfe<br />
soll demnächst die vierte Generation<br />
(4G) der Mobilfunktechnik bringen. Leistungsfähigere<br />
Netze sind denn auch dringend<br />
nötig. IBM prognostiziert, dass sich der<br />
mobile Datenverkehr von 20<strong>10</strong> bis 2013 mehr<br />
als verzehnfachen und pro Monat auf über<br />
2000 Petabytes (2 Milliarden Gigabytes) belaufen<br />
wird. Swisscom hat bereits Tests für<br />
das 4G-Netz gestartet, das mit 150 MBit/s<br />
schon in der ersten Phase <strong>10</strong>- bis 20-mal<br />
mehr Tempo bringt als heute. Diese Bandbreite<br />
wird Anwendungen wie HDTV oder<br />
Online Gaming in 3D-Welten möglich machen.<br />
Vor der Türe steht auch die Funktechnik<br />
Near Field Communication (NFC), die der<br />
elektronischen Bezahlung per Handy auf die<br />
Sprünge helfen soll. Dank einer vergleichbaren<br />
Nahfunktechnik können die Handyverrückten<br />
Japaner schon seit Jahren mit<br />
Mobiltelefonen kontaktlos bezahlen. Osaifu-<br />
7000%<br />
... Wachstum beim Datenverkehr<br />
verzeichnete AT&T in drei Jahren seit<br />
dem Durchbruch der mobilen<br />
Internetnutzung.<br />
Keitai heisst das elektronische Portemonnaie,<br />
mit dem man Tickets und Zeitungen<br />
kaufen kann und das auch als elektronischer<br />
Schlüssel für Türen sowie als Identitäts- und<br />
als Kreditkarte dient.<br />
Und wie wird das Handy der Zukunft aussehen?<br />
Sehr anpassungsfähig, sind Nokias<br />
Ingenieure überzeugt. Zusammen mit dem<br />
Cambridge Nanoscience Centre in Grossbritannien<br />
hat Nokia ein Handy-Konzept namens<br />
Morph entwickelt, das aus neuen, auf<br />
Nanotechnologie basierenden Materia- ><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
<strong>10</strong> <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />
lien gebaut ist und auf transparente Elektronik<br />
setzt. Es kann die klassische Form<br />
annehmen, lässt sich in die Breite dehnen<br />
oder um den Arm wickeln wie ein Schmuckstück.<br />
Auch Sony setzt auf Dynamik und experimentiert<br />
mit biegsamen Farbdisplays,<br />
während Patentanträge von Apple vermuten<br />
lassen, dass sich bei künftigen iPhones<br />
Funktionen auf dem Display erfühlen lassen<br />
und Tasten je nach Kontext verschwinden.<br />
Geht es nach der Firma Dynamic Digital<br />
Depth, werden wir künftig auf dem Handy<br />
2D-Inhalte in 3D anschauen. Die Firma hat<br />
hierfür eine Software und ein «autostereoskopisches»<br />
Display entwickelt. Kippt man das<br />
Handy in die Horizontale, erheben sich etwa<br />
Figuren eines Games scheinbar aus dem Display<br />
heraus. Zu sehen ist der Effekt ohne<br />
Spezialbrille. Samsung will im spielverrückten<br />
Korea noch dieses Jahr ein entsprechendes<br />
Mobiltelefon lancieren.<br />
Ferndiagnose mit Tele-Medizin<br />
2000<br />
Petabytes Daten sollen laut einer<br />
Prognose von IBM bis im<br />
Jahr 2013 jeden Monat über die<br />
weltweiten Mobilfunknetze<br />
transportiert werden.<br />
<strong>bull</strong>etin<br />
Bilderkennung<br />
kooaba erkennt Fotos von CDs, Büchern<br />
und Zeitungen und liefert Infos aus dem Web.<br />
Neu auch fürs <strong>bull</strong>etin!<br />
So gehts: kooaba-App Paperboy gratis<br />
laden (iPhone/Android), fotografieren,<br />
Links erhalten.<br />
Mit der kooaba-App das Titelblatt<br />
des <strong>bull</strong>etin fotografieren und per<br />
Taste «Verwenden» bestätigen.<br />
Anschliessend zeigt die App eine<br />
Liste aller verfügbaren Informationen,<br />
Links und Optionen.<br />
Wer ein kostenloses Web-Konto<br />
bei kooaba besitzt, findet online alle<br />
geknipsten Objekte samt Infos.<br />
Drahtlose Geräte für die Überwachung von<br />
Patienten gibt es seit Längerem, nun drängt<br />
auch das Mobiltelefon in diesen Markt. Sein<br />
Einsatz kann insbesondere in ländlichen Gegenden<br />
fern von ärztlicher Versorgung gute<br />
Dienste leisten. Nokia testet in einem malariagefährdeten<br />
Gebiet in Indien einen Health-<br />
Radar genannten Service, der vor Ort mit<br />
einem Handy einfach Daten erfassen und zur<br />
schnellen Auswertung des Verlaufs von<br />
Krankheiten und Epidemien an einen Server<br />
senden kann. Der Papierweg ist zu langsam,<br />
um die Ausbreitung zu stoppen.<br />
Ein grosses Thema wird die Überwachung<br />
von Patienten werden, zahlreiche Anwendungen<br />
für das iPhone und andere Geräte sind<br />
in Entwicklung oder schon verfügbar. Die<br />
US-Firma Corventis hat einen unter dem<br />
Hemd tragbaren Sensor entwickelt, der permanent<br />
ein Kardiogramm aufzeichnet und via<br />
Handy an einen Server sendet. Die Information<br />
kann der Arzt live abrufen, auch unterwegs<br />
auf dem Mobiltelefon. Auch Krankheiten<br />
wie Schlafstörungen, Asthma oder Diabetes<br />
eignen sich für die Überwachung. Ein<br />
grosses Potenzial hat die Tele-Medizin bei<br />
der Ferndiagnose. Bill Gates, der über seine<br />
Stiftung viele Gesundheitsprojekte in Afrika<br />
unterstützt, betont die Bedeutung des Mobiltelefons<br />
für Länder mit weniger entwickelter<br />
Infrastruktur. Er interessiert sich für ein von<br />
der Universität U.C. Berkeley entwickeltes<br />
Minimikroskop, das mit einem Mobiltelefon<br />
gekoppelt wird und im Feld anhand von Blutoder<br />
Speichelproben Malaria, Tuberkulose<br />
und andere Krankheiten diagnostizieren<br />
kann. In Entwicklung sind auch einfache<br />
Ultra schall-Scanner mit iPhone-Anschluss,<br />
mit denen das Handy weit weg von jeder medizinischen<br />
Infrastruktur sogar als Stethoskop<br />
eingesetzt werden kann.<br />
Link zwischen realer und virtueller Welt<br />
Eine interessante Entwicklung ist das so genannte<br />
Internet der Dinge. Damit wird die<br />
Vernetzung der physischen und der virtuellen<br />
Welt bezeichnet. Objekte werden mit einer<br />
Identifikationsnummer versehen, die erlaubt,<br />
im Internet Informationen abzurufen. Kamera-<br />
Handys kommt dabei eine Brückenfunktion<br />
zu. Am besten bekannt sind auf Produkten<br />
aufgedruckte Codes wie der herkömmliche<br />
Strichcode und die mehr Informationen enthaltenden<br />
Varianten wie Quick Response<br />
Code (QR), Data Matrix oder der an der ETH<br />
Zürich entwickelte EZcode. Mit dieser Ausgabe<br />
setzt auch das Credit Suisse <strong>bull</strong>etin<br />
QR Codes ein, um seinen Lesern zu ausgewählten<br />
Artikeln Links zu weiterführenden<br />
Informationen anzubieten.<br />
Strichcodes und deren Nachfolger gibt es<br />
schon lange, doch erst mit der neuen Handy-<br />
Generation und Dutzenden von Apps wird<br />
das Mobiltelefon jetzt auch als Scanner genutzt.<br />
Damit lassen sich etwa Zutaten und<br />
Kalorien von Lebensmitteln abrufen, Preisvergleiche<br />
nachschlagen oder auf der Städtetour<br />
Informationen zu einer Touristenattraktion<br />
abrufen. Wohin die Reise gehen kann,<br />
zeigt eine New Yorker Boutique, bei der man<br />
mit dem Scannen des Codes einen Modeartikel<br />
gleich kaufen kann – sogar nach Ladenschluss,<br />
indem man das Kleidungsstück im<br />
Schaufenster knipst. Einen Schritt weiter<br />
geht die visuelle Suche, die ohne Codes ><br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 11<br />
Das alles ist und noch vieles mehr<br />
kann ein Smartphone<br />
Mit einem Klick im<br />
Internet<br />
11<br />
16<br />
1<br />
5<br />
2<br />
8<br />
7<br />
<strong>10</strong><br />
17 15 4<br />
9 14<br />
6<br />
3<br />
12<br />
18<br />
Ein QR Code führt in drei Schritten zu<br />
nützlichen Informationen im Internet.<br />
So einfach funktioniert ein QR Code:<br />
Den BeeTagg Reader gratis auf das<br />
Smartphone laden, Code fotografieren,<br />
Link erhalten.<br />
13<br />
Fotos: Mathias Hofstetter<br />
1 Fahrplan Egal ob Bus, Zug oder<br />
Flugzeug, das Smartphone kann nicht<br />
nur innert Sekunden die beste Verbindung<br />
anzeigen, sondern zumeist auch<br />
gleich die Tickets kaufen.<br />
(App-Beispiel: SBB)<br />
<strong>10</strong> Sterngucker Auch beim Blick hinauf<br />
zum Sternenhimmel kann das Smartphone<br />
hilfreich zur Seite stehen.<br />
(Pocket Universe)<br />
11 Fernsehen Mein Handy ist auch ein<br />
TV. (TV-App von «20 Minuten»)<br />
Die kostenlose, für alle Handy-<br />
Typen erhältliche App BeeTagg<br />
Reader Pro starten.<br />
2 Satellit Die ganze Welt aus der<br />
Vogelperspektive anschauen – Google<br />
12 Spielen Mein Smartphone ist auch<br />
Earth machts auch mobil möglich.<br />
eine Spielkonsole, auf dem Hunderte<br />
von Games gespielt werden können.<br />
3<br />
(SimCity)<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
Produktscanner Mit dem Smartphone<br />
im Supermarkt den Strichcode<br />
einscannen und ausführliche Infos<br />
zum Produkt erhalten. (Codecheck)<br />
Radioempfänger Tausende Radiosender<br />
für jeden Geschmack auf das<br />
Smartphone holen. (Radiobox)<br />
Bücher lesen Spezielle Anwendungen<br />
holen Bücher gut lesbar aufs<br />
Handy. (Stanza)<br />
Einkaufstasche Auf den Online-<br />
Einkauf vom Schreibtisch aus folgt nun<br />
der smarte Einkauf von unterwegs.<br />
(LeShop)<br />
Malen Kreatives Finger-Painting auf<br />
dem Display. (Brushes)<br />
Bergführer Wie heisst schon wieder<br />
der Berg da? Die Handy-Kamera<br />
drauf richten und die richtige Antwort<br />
erhalten. (Swiss Peaks)<br />
Grünes Gewissen Errechnet die<br />
Ökobilanz einer Reise. (greenMeter)<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
Tourenführer Dank GPS können<br />
Wanderungen, Jogging- und Bike-<br />
Touren inklusive Karte aufgezeichnet<br />
werden. (Endomondo)<br />
Gratistelefon Über die Skype-Anwendung<br />
kann rund um die Erde gratis<br />
telefoniert werden.<br />
Musiklexikon Das Smartphone kann<br />
über ein eingebautes Mikrofon einen<br />
Musiktitel erkennen und Infos dazu<br />
liefern. (Shazam)<br />
Videoplayer Videos vom PC können<br />
drahtlos aufs Smartphone geholt<br />
werden. (Air Video)<br />
Navigationssystem Da permanent im<br />
Kontakt mit Satelliten, findet das Handy<br />
auch als Navigationssystem den Weg.<br />
(TomTom Europe)<br />
Networker Zeigt auf dem Display an,<br />
welche Freunde gerade in der Nähe<br />
sind. (Foursquare)<br />
Den QR Code fokussieren, bis der<br />
Rahmen grün erscheint und das<br />
Handy vibriert.<br />
Automatisch öffnet sich ein<br />
Browser mit zusätzlichen Informationen<br />
zum Thema.<br />
Der QR Code fürs mobile <strong>bull</strong>etin:<br />
Um mit dem Browser<br />
Ihres Smartphones<br />
auf das mobile <strong>bull</strong>etin<br />
zuzugreifen, tippen<br />
Sie folgende URL ein:<br />
www.credit-suisse.com/<br />
m<strong>bull</strong>etin<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
12 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />
auskommt. Hier analysiert ein Programm mit<br />
einem Handy geknipste Objekte, vergleicht<br />
diese mit einer Datenbank und liefert via<br />
Internet Informationen dazu. Das Zürcher<br />
Start-up kooaba, ein Spin-off der ETH, ist<br />
in diesem Feld an vorderster Front und kann<br />
dank exzellenter Software fotografierte Ausschnitte<br />
von über zehn Millionen Objekten<br />
erkennen. Dazu gehören neben Büchern,<br />
CDs und Filmplakaten auch Artikel ausgewählter<br />
Zeitungen und Magazine, allen voran<br />
das <strong>bull</strong>etin (siehe Anleitung Seite <strong>10</strong>). Auch<br />
Google laboriert mit der visuellen Suche. Ein<br />
Goggles genanntes Projekt kann Objekte<br />
wie Bücher, Weine, Strassenlokale oder<br />
Werke der bildenden Kunst erkennen. Kombiniert<br />
mit der Bilddatenbank von Google<br />
Streetview ist das Szenario denkbar, dass<br />
man in Zukunft ein Gebäude fotografieren<br />
kann und dazu postwendend auf das Mobiltelefon<br />
Informationen über das Baujahr, den<br />
Besitzer, die Bewohner und frei werdende<br />
Wohnungen geliefert bekommt.<br />
Ganz andere Anwendungen möglich machen<br />
Sensoren, Funketiketten (RFID) und<br />
Funk-Chips für Netzwerke mit grösserer<br />
Reichweite. Damit bestückte Objekte können<br />
mit anderen Objekten Kontakt aufnehmen.<br />
Damit können Autos untereinander Verkehrsdaten<br />
austauschen, Fahrzeuge mit Ampeln<br />
kommunizieren oder Parksäulen mit<br />
Handys. Ein entsprechender Versuch läuft in<br />
den USA. Sensoren im Asphalt registrieren<br />
freie Parkplätze und stellen für Mobiltelefone<br />
eine entsprechende Live-Karte zum Abruf<br />
bereit. Städteplaner hoffen, so den Suchverkehr<br />
einzuschränken. Einen unnötigen Fussmarsch<br />
erspart dereinst der vernetzte Parkingmeter.<br />
Der macht es möglich, dass man<br />
nach Ablauf der Parkzeit über eine Telefon-<br />
App bequem vom Strassencafé aus nachzahlen<br />
kann.<br />
Boom bei Geo-Lokalisation<br />
Schon viele Anwendungen nutzen die Lokalisierungsfunktion<br />
von GPS-Handys, doch<br />
laut Marktbeobachtern steht der grosse<br />
Boom der Anwendungen mit Geo-Lokalisation<br />
erst bevor. Das Routen-Tracking des Firmenwagens<br />
oder der Radeltour des Bikers<br />
ist heute ebenso Alltag wie Anwendungen,<br />
die informieren, wenn sich Freunde in der<br />
Nähe befinden. Vielversprechend ist ein Reality<br />
Mining genanntes Feld, bei dem Daten<br />
von Aktivitäten in Raum und Zeit erhoben,<br />
auf einer Karte visualisiert und analysiert<br />
werden. Die Navigationsherstellerin TomTom<br />
nutzt bereits anonymisierte Daten von Handy-Standorten;<br />
noch weiter geht die Firma<br />
Skyhook Wireless, die in den USA kürzlich<br />
einen Dienst gestartet hat. Sie sammelt über<br />
Wifi-Hotspots und den Standort von Millionen<br />
von Handys Daten über Personenbewegungen.<br />
Via Internet kann man auf einer<br />
Karte live sehen, wo sich in Städten gerade<br />
viele Leute aufhalten. Da Skyhook die Daten<br />
auch Dritten zur Verfügung stellen will, werden<br />
einige Anwendungen erwartet, die diese<br />
Daten nutzen.<br />
Die Positionierungsfunktion macht noch<br />
weitere Szenarien möglich, etwa die Verknüpfung<br />
von persönlichen Informationen mit<br />
einem Standort. Eine Idee davon gibt die Anwendung<br />
Geominder, die auf eine zu erledigende<br />
Aufgabe hinweist. Das Kriterium für<br />
die Erinnerung ist jedoch nicht die Zeit, sondern<br />
der Ort. So erinnert das Handy in dem<br />
Moment, wo man den Laden betritt, welche<br />
Lebensmittel noch zu kaufen sind.<br />
Neben neuen Gerätetypen und Anwendungen<br />
wird sich im nächsten Jahrzehnt auch<br />
die Art und Weise ändern, wie Mobiltelefone<br />
bedient werden. Sicher werden berührungsempfindliche<br />
Displays noch mehr Gesten ver-<br />
Wettbewerb<br />
Mitmachen und ein Apple iPad gewinnen!<br />
Geo-Lokalisation<br />
Mit etwas Glück können Sie das iPad-<br />
Topmodell Wi-Fi + 3G mit 64 GB gewinnen<br />
und die neuste mobile Kommunikation<br />
im Grossformat erleben.<br />
Teilnehmen<br />
mit beigelegtem Talon hinten im Heft<br />
online unter www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
mobil über den QR Code<br />
So gehts: Den BeeTagg Reader<br />
gratis auf das Smartphone laden,<br />
Code fotografieren, Link erhalten.<br />
Kluge Apps lotsen künftig<br />
Autofahrer auf freie Park plätze<br />
und helfen in Städten den<br />
Suchverkehr minimieren.<br />
Fotos: Mathias Hofstetter | Gaetan Bally, Keystone | Sam Ogden, SciencePhoto Library<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 13<br />
Mit der Welt<br />
musizieren<br />
Das Handy ist<br />
auch ein Klavier, eine<br />
Flöte, eine Gitarre …<br />
Mit Apps von Smule kann man auf dem<br />
iPhone musizieren, auf dem iPad sogar mit<br />
anderen Onlinern rund um den Globus.<br />
stehen können, doch Wissenschafter planen<br />
bereits die Ablösung des Touch-Zeitalters<br />
durch die Touchless-Ära. Am amerikanischen<br />
Dartmouth College haben Wissenschafter<br />
gezeigt, wie man mittels eines handelsüblichen<br />
Headsets zur Erstellung eines<br />
Elektroenzephalogramms ein iPhone per<br />
Gedanken steuern kann. Auch die augengesteuerte<br />
Bedienung wird in den Labors<br />
bereits erprobt, beide Methoden sind aber<br />
erst im Stadium der Grundlagenforschung.<br />
Schneller realisierbar scheint ein Projekt<br />
namens SixthSense, das nicht weniger futuristisch<br />
klingt. Pranav Mistry vom Media Lab<br />
des Massachusetts Institute of Technology<br />
(MIT) entwickelt ein Bedienungskonzept mit<br />
kon taktfreien Gesten. Was sein Video demonstriert,<br />
erinnert an Magie: Er «zeichnet»<br />
mit blossen Fingern farbige Lichtformen an<br />
die Wand, knipst ein Foto, indem er mit den<br />
Fingern in der Luft ein Rechteck formt, projiziert<br />
dieses anschliessend auf eine beliebige<br />
Wand und zoomt das Bild durch pantomimische<br />
Fingerbewegungen in der Luft. Eindrücklich<br />
ist auch ein Telefonat via Sixth-<br />
Sense: Die Zahlen der Handy-Tastatur werden<br />
auf die Hand projiziert, tippt man diese<br />
an, wird der Anruf gestartet. Möglich macht<br />
dieser Zauber ein um den Hals gehängtes<br />
Set aus Webcam und Miniprojektor mit Spiegel,<br />
das mit einem Handy in der Hosentasche<br />
kommuniziert. So futuristisch sich dieses<br />
Szenario präsentiert, setzt das Konzept<br />
abgesehen von cleverer Software auf Zubehör,<br />
das es laut MIT für 350 US-Dollar ab<br />
Stange zu kaufen gibt.<br />
Noch weiter in der Zukunft angesiedelt ist<br />
ein Projekt, das den Stoff für einen Science-<br />
Fiction-Film liefern könnte. An der University<br />
of Washington arbeitet ein Forscher an<br />
einer Kontaktlinse mit integrierten LED-Elementen<br />
und Miniantenne. Die Linse soll als<br />
Display dienen, auf dem der Linsenträger<br />
vom Mobiltelefon gefunkte Informationen sehen<br />
kann – zum Beispiel für Anwendungen<br />
der erweiterten Realität (Augmented Reality),<br />
bei denen Informationen zu einem Objekt auf<br />
der Linse erscheinen, das man gerade im<br />
Blickfeld hat. Sollte diese Technik eines Tages<br />
machbar werden, wird das Handy nicht<br />
mehr der Monitor des vernetzten Universums<br />
sein, aber immer noch die Brücke zwischen<br />
der virtuellen und der realen Welt. <<br />
Mobile Geräte als sechster Sinn<br />
Am MIT Media Lab lässt Pranav Mistry<br />
mit SixthSense die physische Welt mit der<br />
Welt der Daten interagieren.<br />
Das Video zeigt konkrete Anwendungen<br />
des Forschungsprojekts SixthSense.<br />
So gehts: Den BeeTagg Reader gratis auf<br />
das Smartphone laden, Code fotografieren,<br />
Link erhalten.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
14 <strong>Bewegung</strong> Perpetuum mobile<br />
Modell des indischen Mathematikers Bhaskara<br />
aus dem 12. Jahrhundert<br />
Der Traum<br />
vom Perpetuum<br />
mobile<br />
Fotos: Foto: J.L Muster Charmet, Mustermann Science | Photo Muster Library, Mustermann Keystone<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Perpetuum mobile <strong>Bewegung</strong> 15<br />
Seit Jahrhunderten werkeln Erfinder an einer Maschine, die sich<br />
ewig von selbst bewegt. «Unmöglich!», sagt die Physik. Doch das<br />
treibt die Jagd nach dem Perpetuum mobile nur weiter an.<br />
Text: Stefanie Schramm<br />
Es ist kinderleicht: Zwei Magnetsteine<br />
mit Schnur an einen<br />
Holzbalken binden, den<br />
an eine Lokomotive montieren,<br />
sodann die beiden Steine<br />
mit einem eisernen Schürhaken<br />
kurzschliessen, und<br />
los gehts! Im Handumdrehen hat Lukas der<br />
Lokomotivführer im Kinderroman von Michael<br />
Ende das Gefährt konstruiert und düst<br />
mit seinem Freund Jim Knopf über Gebirge<br />
und durch Wüsten. Das Ding kann sogar<br />
rückwärts fahren, schwimmen, tauchen und<br />
fliegen – ganz ohne Kohlefeuerung. Der Name<br />
des Eigenbaus: Perpetumobil.<br />
Ein Apparat, der sich von selbst bewegt,<br />
immerfort, ohne Energie zu verlieren, das ist<br />
seit acht Jahrhunderten ein Menschheitstraum.<br />
Er verheisst Überwindung des Stillstands,<br />
Energie aus dem Nichts, Erlösung<br />
von der Mühsal – gleichsam einen energetischen<br />
Garten Eden. Doch seit Julius Robert<br />
von Mayer vor 165 Jahren seinen Energieerhaltungssatz<br />
formulierte, steht für die Wissenschaft<br />
fest: Das Schlaraffenland gibt es<br />
nicht, aus nichts entsteht nichts, das Perpetuum<br />
mobile ist ein Ding der Unmöglichkeit.<br />
Das hält Bastler und Tüftler, Spinner und<br />
Schwindler aber nicht davon ab, es immer<br />
und immer wieder zu versuchen. Ihr kontinuierliches<br />
Scheitern scheint die Jagd nach der<br />
Dauerlauf-Maschine nur weiter anzutreiben.<br />
Der Mensch will seine Grenzen überwinden<br />
Eine regelrechte Perpetuum-mobile-Sucht<br />
diagnostiziert der Wissenschaftshistoriker<br />
Ernst Peter Fischer. Die Faszination für die<br />
unaufhörliche <strong>Bewegung</strong> liege in der Natur<br />
des Menschen, meint er: «Der Mensch ist<br />
das Tier, das seine Grenzen erkennen kann<br />
und sie zu überwinden versucht.» Für die<br />
Überwindung von Distanzen zu Land, zu<br />
Wasser und in der Luft hat er allerhand Gerätschaften<br />
erfunden; er blickt mit Fernrohren<br />
in die Welt des astronomisch Grossen<br />
und mit Mikroskopen in die des atomisch<br />
Kleinen. Von praktischen Rückschlägen und<br />
selbst theoretischen Widerlegungen lasse<br />
sich dieser Trieb nicht aufhalten, sagt Fischer.<br />
Ein Immerlauf-Gerät wäre die ultimative<br />
Grenzüberschreitung: Energie ohne Limite.<br />
Dass das Perpetuum mobile es dem Homo<br />
sapiens so besonders angetan hat, liege<br />
auch am Reiz des Kreislaufs, sagt Fischer:<br />
«Der Himmel ist voller Kreisbahnen, wir sprechen<br />
vom Lebenskreis, sogar das Universum<br />
zieht sich nach einer kosmologischen Theorie<br />
irgendwann wieder zusammen und dehnt<br />
sich neu aus.» Etwas ewig Kreisendes ist<br />
offenbar unwiderstehlich. Vielleicht ist es<br />
also kein Zufall, dass der erste überlieferte<br />
Entwurf eines Perpetuum mobile – eine Radkonstruktion<br />
– aus Indien stammt, wo das<br />
Leben als Kreislauf immer neuer Wiedergeburten<br />
gedacht wird. Der Astronom und Mathematiker<br />
Bhaskara beschrieb um 1150 ein<br />
Holzrad mit hohlen, quecksilbergefüllten<br />
Speichen. Weil die schwere Flüssigkeit auf<br />
der einen Seite weiter vom Mittelpunkt entfernt<br />
war als auf der anderen, sollte sich das<br />
Rad ohne Zutun für alle Zeit drehen.<br />
Bruch mit dem antiken Weltbild<br />
Keine <strong>10</strong>0 Jahre später konstruierte der französische<br />
Architekt Villard de Honnecourt ein<br />
ganz ähnliches Gerät, das von einer un- ><br />
«Die Lust am<br />
Widerspruch<br />
hielt die Idee<br />
am Leben.»<br />
Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
16 <strong>Bewegung</strong> Perpetuum mobile<br />
geraden Zahl beweglicher Hämmer angetrieben<br />
werden sollte. Damit war die Idee des<br />
Perpetuum mobile – nach einem Zwischenstopp<br />
im Orient – in Europa angelangt. Bis<br />
dahin hatte das Abendland nicht daran gedacht,<br />
es mit dem Stillstand aufzunehmen.<br />
Aristoteles hatte unendliche <strong>Bewegung</strong><br />
unterhalb des Mondes ausgeschlossen, nur<br />
die Gestirne kreisten seiner Meinung nach<br />
ewig umeinander. Als die Menschen ab dem<br />
13. Jahrhundert versuchten, auf Erden den<br />
himmlischen Dauerlauf zu kopieren, brachen<br />
sie auch mit dem antiken Weltbild.<br />
Selbst Leonardo da Vinci konnte sich offenbar<br />
dem Reiz der endlosen <strong>Bewegung</strong><br />
nicht entziehen. In seinem Notizbuch skizzierte<br />
er sich selbst antreibende Maschinen<br />
und eine Vorrichtung, die die heisse Luft in<br />
einem Kamin nutzen sollte, um einen Bratspiess<br />
über dem Feuer zu drehen. Öffentlich<br />
distanzierte er sich jedoch von der Idee:<br />
«O ihr Erforscher der immerwährenden <strong>Bewegung</strong>,<br />
wie viele eitle Entwürfe in solcherlei<br />
Unterfangen habt ihr geschaffen! Gesellt<br />
euch doch den Goldmachern zu!»<br />
Solche Miesmacherei von höchster Stelle<br />
konnte die Tüftler der Renaissance jedoch<br />
nicht von ihrem Treiben abhalten. Zudem versorgte<br />
sie ein anderes Grossgenie mit neuer<br />
Motivation: Galileo Galilei verkündete, dass<br />
überall dieselbe Mechanik gelte, wie im Himmel<br />
so auf Erden. Vorbei war es mit der aristotelischen<br />
Zweiteilung in oben und unten.<br />
Dann aber müsste doch auch hernieden perpetuelle<br />
<strong>Bewegung</strong> möglich sein, oder etwa<br />
nicht ?<br />
Energie bürgte für Macht und Reichtum<br />
«Die Naturphilosophie war sicher eine Quelle<br />
der Faszination für das Perpetuum mobile»,<br />
sagt Friedrich Steinle, Wissenschaftshistoriker<br />
an der Technischen Universität Berlin.<br />
«Eine andere war natürlich die praktische Anwendung.»<br />
Der Zugang zu Energie bedeutete<br />
– und das ist heute nicht anders – Reichtum<br />
und Macht. Jahrtausendelang hatte der<br />
Mensch mit seiner eigenen Muskelkraft auskommen<br />
müssen, ein Fünftel einer Pferdestärke.<br />
Die Erfindung von Landwirtschaft<br />
und Viehzucht nach dem Ende der letzten<br />
Eiszeit revolutionierte die Energieversorgung,<br />
Pferde und Ochsen zogen Pflug und Wagen,<br />
die Menschen verfügten über mehr Energie<br />
als jemals zuvor. Städte wurden gegründet,<br />
die Gesellschaft konnte sich Künstler, Architekten,<br />
Bauherren und Schreiber leisten – die<br />
überschüssige Energie liess die Zivilisation<br />
blühen. Was erst hätte unendliche Energie<br />
geschaffen? Kein Wunder, dass gerade die<br />
europäischen Höfe im 17. und 18. Jahrhundert<br />
am Perpetuum mobile interessiert waren.<br />
Und wenn schon nicht die energetische<br />
Weltherrschaft heraussprang, so waren die<br />
Apparate mit all ihren Rädchen, Hebeln und<br />
Hämmern doch ausserordentlich unterhaltsam,<br />
und jede neue Vorführung stachelte die<br />
Sensationsgier an: Bewegt es sich dieses<br />
Mal? Ein Paradies für Trickser! Der berühmteste<br />
soll erst einmal seinen Namen per<br />
Buchstaben-beschriftetem Rad verschlüsselt<br />
haben: Aus dem sächsischen Mechaniker<br />
Bessler wurde erst Orffyre, dann mit lateinischer<br />
Schmuckendung der geheimnisvolle<br />
Orffyreus. Sodann konstruierte er eine Maschine,<br />
die mit Seilen ein grosses Holzrad in<br />
Schwung halten sollte. Auf dem Schloss, des<br />
Landgrafen von Hessen-Kassel setzte er<br />
das Ding in Gang, liess die Türen des Versuchsraums<br />
verschliessen und sein Publikum<br />
zwei Wochen warten. Dann öffnete er, und<br />
siehe da: Es lief! Der englische Physiker<br />
David Jones ist trotzdem sicher, dass Orffyreus<br />
nur ein findiger Betrüger war. Der innere<br />
Mechanismus seines Geräts war zwar nicht<br />
zu durchschauen, das lag aber vor allem daran,<br />
dass der Erfinder ihn mit Wachstüchern<br />
verhüllt hatte.<br />
Anno 1775 hatte die Königliche Akademie<br />
der Wissenschaften in Paris genug von all<br />
den Bastlern und Spinnern. Sie beschloss,<br />
«keine Vorschläge mehr anzunehmen oder zu<br />
bearbeiten, die sich mit nie endender <strong>Bewegung</strong><br />
befassen» – und das allein aufgrund<br />
der permanent negativen Empirie, ohne theoretische<br />
Widerlegung des Prinzips. «Das war<br />
schon eine erstaunlich harte Entscheidung»,<br />
sagt der Wissenschaftshistoriker Steinle.<br />
Energieerhaltungssatz setzt Schlussstrich<br />
Die Theorie lieferte Julius Robert von Mayer<br />
1845 nach. Einst hatte er sich selbst mit Immerlauf-Apparaten<br />
beschäftigt, bis ihm klar<br />
wurde: Von nichts kommt nichts! Er formulierte<br />
den Energieerhaltungssatz, nach dem<br />
in einem abgeschlossenen System der Gesamtbetrag<br />
der Energie gleich bleibt, Energie<br />
also weder geschaffen noch vernichtet werden<br />
kann. Damit war das Perpetuum mobile<br />
wissenschaftlich tot.<br />
«Wer danach noch daran arbeitete,» sagt<br />
Steinle, «stellte sich automatisch ausserhalb<br />
der wissenschaftlichen Community.» Eine<br />
Position, die manchem äusserst attraktiv erschien,<br />
meint sein Kollege Fischer: «Die Lust<br />
am Widerspruch hielt die Idee am Leben.»<br />
Der Dichter Paul Scheerbart war so ein Re-<br />
Trickser, Tüftler,<br />
Tausendsassa<br />
Bessler, Johann Ernst Elias,<br />
(1681–1745), war Abenteurer,<br />
Mediziner, Uhrmacher – und er war<br />
sein Leben lang der Idee des<br />
Perpetuum mobile verfallen. Auch<br />
von Selbstmarketing hatte der<br />
Sachse eine Ahnung: Er nannte<br />
sich geheimnisvoll Orffyreus. So<br />
abwechslungsreich sein Leben,<br />
so spektakulär sein Tod: Er starb<br />
beim Sturz von einer Windmühle.<br />
Fotos: Wikipedia | DRS A. Yazdani & D. J. Hornbaker, Science Photo Library<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Perpetuum mobile <strong>Bewegung</strong> 17<br />
voluzzer, er verwandelte 1908 die Waschküche<br />
seines Hauses in eine Perpetuummobile-Werkstatt.<br />
Seine Frau war wenig<br />
begeistert. «Du, ich kann das Wort Rad nicht<br />
mehr hören», soll sie geklagt haben, «mir wird<br />
schlimm, wenn du das Wort aussprichst.»<br />
Die Obsession für die immerwährende<br />
<strong>Bewegung</strong> dreht sich zwar seit Jahrhunderten<br />
im Kreis, aber nicht ohne Nutzen für die<br />
Wissenschaft. «Aus der Beschäftigung mit<br />
verrückten Dingen können grosse Einsichten<br />
entstehen», sagt Fischer. Der Energieerhaltungssatz<br />
selbst, der erste Hauptsatz der<br />
Thermodynamik, ist ja ein Ergebnis des Strebens<br />
nach dem Perpetuum mobile. Auch der<br />
zweite Hauptsatz ergab sich aus solchen Versuchen:<br />
Die Entropie, die Unordnung also,<br />
nimmt stets zu. Das bedeutet, dass aus Wärme<br />
nicht höherwertige Energie wie Strom<br />
gewonnen werden kann, ohne dass man<br />
dafür wiederum Energie aufwendet. Konstruktionen,<br />
die allein mit der Wärme der Umgebung<br />
für immer laufen sollen, sind deshalb<br />
zum Scheitern verurteilt. Die Beschäftigung<br />
mit dem Unmöglichen trug letztlich dennoch<br />
zu einer ganz praktischen Erfindung bei: der<br />
Dampfmaschine.<br />
Und noch heute kratzt auch die ernsthafte<br />
Wissenschaft hin und wieder an der Pforte<br />
zum Energieparadies. 1989 versetzte die<br />
«Kalte Fusion» die Fachwelt in helle Aufregung.<br />
Zwei Chemiker hatten behauptet, sie<br />
hätten Atomkerne bei Zimmertemperatur<br />
verschmolzen. Aus einer Kernfusion lässt<br />
sich zwar Energie gewinnen, dafür sind aber<br />
normalerweise sehr grosse Hitze oder extrem<br />
starke Laser nötig. Ohne diesen Energieaufwand<br />
würde die Fusion zu einer Art<br />
Perpetuum mobile. Weltweit versuchten Forscher,<br />
das Experiment zu wiederholen. Es<br />
gelang nicht.<br />
Grösstmögliche Annäherung: Supraleitung<br />
Am nächsten kommt der Immerlauf-Maschine<br />
heute die Supraleitung. In speziellen tiefgekühlten<br />
Materialien kann Strom auf ewig<br />
kreisen, weil sich ihm kein elektrischer Widerstand<br />
mehr entgegenstellt. Für die Kühlung<br />
ist natürlich Energie nötig – allerdings<br />
immer weniger: Funktionierte der erste entdeckte<br />
Supraleiter erst bei minus 269 Grad<br />
Celsius, so gibt heute der beste Leiter aus<br />
Keramik schon bei moderaten 135 Minusgraden<br />
seinen Widerstand auf. «Wenn man<br />
ein Material finden würde, das um den Gefrierpunkt<br />
supraleitend wird, wäre das eine<br />
Sensation», sagt Ernst Peter Fischer. «Das<br />
ist wohl noch das wahrscheinlichste Perpetuum<br />
mobile.»<br />
Trotzdem versuchen sich immer wieder<br />
Einzelkämpfer und ganze Firmen am Unwahrscheinlichen.<br />
Im Jahr 2007 konnte man<br />
im Internet die Konstruktion des irischen<br />
Unternehmens Steorn beobachten, die dem<br />
Modell von Bhaskara aus dem 12. Jahrhundert<br />
erstaunlich ähnelte – ein Plexiglasrad,<br />
an das Magnete montiert waren. Die Welt<br />
schaute also und sah: Es bewegte sich nicht.<br />
Doch der nächste ewig drehende Apparat<br />
ist sicher schon in Arbeit. Die Idee selbst ist<br />
offenbar ein Perpetuum mobile, angetrieben<br />
von Neugier und Starrsinn. Da nützt es auch<br />
nichts, wenn Autoritäten zur Ordnung rufen,<br />
wie Vater Homer in der Fernsehserie «Die<br />
Simpsons», als Tochter Lisa an einer Dauerlauf-Maschine<br />
schraubt: «Lisa, komm rein!<br />
In diesem Haus gehorchen wir den Sätzen<br />
der Thermodynamik!» <<br />
Supraleiter – eiskalt<br />
und widerstandslos<br />
Supraleiter sind Materialien,<br />
deren spezifischer elektrischer<br />
Widerstand auf null fällt, wenn<br />
eine kritische Temperatur unterschritten<br />
wird; die externen<br />
Magnet felder werden aus dem<br />
Inneren des Materials verdrängt.<br />
Der holländische Physiker Heike<br />
Kamerlingh Onnes entdeckte<br />
die Supraleitung bereits 1911<br />
beim Metall Quecksilber.<br />
«Lisa, komm rein! In<br />
diesem Haus gehorchen<br />
wir den Sätzen der<br />
Thermodynamik!»<br />
Homer Simpson, amerikanischer Zeichentrickheld<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
18 <strong>Bewegung</strong> Prothese<br />
Text: Mandana Razavi<br />
Kraft der<br />
Gedanken<br />
Ein Unfall veränderte Christian Kandlbauers Leben auf<br />
radikalste Art und Weise. Die Amputation beider Arme beraubte<br />
ihn seiner (<strong>Bewegung</strong>s-)Freiheit und Selbständigkeit. Ein<br />
Wunderwerk der Technik, die gedanken gesteuerte Armprothese,<br />
gab dem jungen Mann jedoch sein Leben zurück – eine Geschichte<br />
aus der Cyber-Welt.<br />
Fotos: Muster Otto Bock Mustermann Health Care | Muster Mustermann<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Prothese <strong>Bewegung</strong> 19<br />
Christian Kandlbauer das<br />
erste Mal zu begegnen, ist<br />
irritierend. Denn spätestens<br />
wenn der sympathische junge<br />
Mann einem die Hand<br />
zum Gruss reicht, bemerkt<br />
man, dass Kandlbauers<br />
Hand eine mit Silikonhaut überzogene<br />
Prothese ist, während er selbst nichts vom<br />
Händedruck spürt. Bewegt er Arme und<br />
Hände, surrt es, als ob ein Roboter zugegen<br />
wäre. Nimmt er den Silikonbezug erst einmal<br />
ab, wird klar, dass dem tatsächlich so ist:<br />
Sein linker Arm ist nichts anderes als ein Roboter<br />
aus Metall, Kabeln, programmierten<br />
Mikrochips, einem Akkuladegerät und allem,<br />
was dazugehört.<br />
Die anfängliche Irritation weicht dem ganz<br />
grossen Staunen, sobald man Christian<br />
Kandlbauers Geschichte erfährt: Er ist einer<br />
der wenigen Menschen weltweit, die ihre<br />
künstlichen Gliedmassen allein kraft ihrer<br />
Gedanken bewegen und steuern können.<br />
Mehr noch: Er ist in der Lage, seinen linken<br />
Arm wieder zu spüren und mit dem Zeigefinger<br />
seiner Hightech-Prothese Gegenstände<br />
zu erfühlen. Fast so, wie es die Natur<br />
ursprünglich für den gesunden Menschen<br />
vorgesehen hat.<br />
Totalverlust der Selbständigkeit<br />
Voraussetzung für die Anwendung der gedankengesteuerten<br />
Prothese ist eine komplexe Operation,<br />
bei der eine Verlagerung der Nerven erfolgt. Durch<br />
den so genannten selektiven Nerventransfer können<br />
die Signale, die auch ursprünglich für die Steuerung<br />
des Arms verantwortlich waren, für die Steuerung<br />
der Prothese genutzt werden. Im Prothesenschaft<br />
sind Elektroden eingearbeitet, die diese Steuerungssignale<br />
aufnehmen. Ein elektronisches Analyseverfahren<br />
im Inneren der Prothese setzt die empfangenen<br />
Signale um und erkennt die vom Träger gewünschte<br />
<strong>Bewegung</strong>.<br />
Handgelenk zu drehen sowie den Unterarm<br />
zu heben und zu senken. Ich kann allerdings<br />
nur eine <strong>Bewegung</strong> auf einmal ausführen.<br />
Die Steuerung der Prothese ist zudem ziemlich<br />
anstrengend, weil sie enorme Konzentration<br />
erfordert. Und – abgesehen von den<br />
Phantomschmerzen, die mir gelegentlich vorgaukeln,<br />
dass ich meine Hand noch habe – ,<br />
fühle ich rechts leider gar nichts mehr.» Für<br />
Kandlbauers linke Seite sah es anfänglich<br />
sogar noch schlechter aus: Der Arm war<br />
durch den Stromschlag so stark verletzt worden,<br />
dass man ihn samt Schulter amputieren<br />
musste. Da nicht einmal mehr ein Stumpf<br />
bestand, mit dessen Muskelkraft er eine Prothese<br />
hätte bedienen können, konnten die<br />
Orthopädietechniker Kandlbauer lediglich<br />
Das Operationsverfahren<br />
Sehr schlechte Aussichten für einen Menschen,<br />
der eben erst ins Leben starten wollte.<br />
Wunderwerk der Technik<br />
Doch Kandlbauers Schicksal sollte noch einmal<br />
eine unvorhersehbare Wendung nehmen.<br />
So unvorstellbar, dass man meinen<br />
könnte, die Geschichte entstamme einem<br />
Science-Fiction-Roman. Es war der ehemalige<br />
Leiter des Rehabilitationszentrums Weisser<br />
Hof in Klosterneuburg, Dr. Herbert<br />
Kristen, der sich mit der Wiener Forschungszentrale<br />
des Medizintechnikunternehmens<br />
Otto Bock in Verbindung setzte, um zu erfahren,<br />
ob es nicht doch irgendeine Möglichkeit<br />
gäbe, eine Versorgung für Kandlbauers<br />
schwer verletzte linke Seite zu finden. Tat-<br />
Christian Kandlbauer war gerade 18 Jahre<br />
alt, als ihm nach einem Starkstromunfall<br />
mit 20 000 Volt beide Arme abgenommen<br />
werden mussten. Ein Psychologe half dem<br />
jungen Mann, der soeben seine Ausbildung<br />
zum Kfz-Mechaniker begonnen hatte, den<br />
gewaltigen seelischen Schock zu verarbeiten.<br />
Ein kleiner Selbstversuch von fünf Minuten<br />
reicht aus, um sich in etwa vorstellen zu können,<br />
wie es für einen Menschen sein muss,<br />
ohne beide Arme und Hände zu leben: Zähne<br />
putzen, sich die Jacke anziehen, eine Türe<br />
öffnen – alles Tätigkeiten, die der Durchschnittsmensch<br />
permanent, bewusst oder<br />
unbewusst, und mit grosser Selbstverständlichkeit<br />
ausführt. Der Verlust der Arme bedeutet<br />
unweigerlich den Verlust der Selbständigkeit.<br />
Auch sein Körper musste erst lernen, sich<br />
an die völlig veränderte Situation anzupassen.<br />
In monatelanger Reha lernte Kandlbauer, wie<br />
er über die Muskulatur des Stumpfs an seinem<br />
rechten Arm eine Prothese mit drei Gelenken<br />
steuern kann. «Nach intensivem Training<br />
war ich irgendwann wieder in der Lage,<br />
mit einer herkömmlichen Prothese die rechte<br />
Hand zu öffnen und zu schliessen, das eine funktionslose «Schmuckhand» anbieten. sächlich arbeiteten die Ingenieure von ><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
20 <strong>Bewegung</strong> Prothese<br />
Otto Bock genau zu dieser Zeit an der Umsetzung<br />
einer neuen, von Todd Kuiken – einem<br />
Chirurgen des Rehabilitation Institute of Chicago<br />
– entwickelten Technik. Das Verfahren<br />
soll Patienten ein gedankliches, rein intuitives<br />
Steuern ihrer Prothese ermöglichen –<br />
eine nie da gewesene Simulation der Natur,<br />
die den Willen ihres Trägers erkennt und <strong>Bewegung</strong>sbefehle<br />
des Hirns in Echtzeit umsetzt.<br />
Kandlbauer wurde angefragt, ob er an<br />
diesem revolutionären Forschungsprojekt<br />
mitwirken und den Prototypen des ersten<br />
intelligenten Cyber-Arms testen wolle. «Als<br />
sie mir vom neuen Verfahren erzählten, habe<br />
ich nicht geglaubt, dass so etwas überhaupt<br />
möglich sein könnte. Aber lange überlegen<br />
musste ich nicht. Schliesslich war das die<br />
Chance, meine Selbständigkeit zurückzuerobern»,<br />
so Kandlbauer.<br />
Technologie der Zukunft<br />
Phantomhand und Cyber-Arm<br />
Ein halbes Jahr nach Abschluss der Reha<br />
konnte das Gemeinschaftsprojekt von Todd<br />
Kuiken, Otto Bock und dem Allgemeinen<br />
Krankenhaus (AKH) Wien beginnen. Der entscheidende<br />
Schlüssel, der eine Benutzung<br />
der Hightech-Prothese überhaupt erst möglich<br />
machte, war das von Kuiken entwickelte<br />
Operationsverfahren des selektiven Nerventransfers.<br />
Die komplexe Operation wurde<br />
weltweit bislang erst von drei Chirurgen durchgeführt.<br />
Einer davon ist Univ.-Prof. Manfred<br />
Frey, plastischer Chirurg am AKH Wien. Er<br />
und sein Team führten den Eingriff bei Kandlbauer<br />
durch: «Dabei musste ich die noch verbliebenen<br />
Armnervenreste aus der Schulter<br />
zum Brustmuskel umleiten und mit dessen<br />
Nervensträngen vernähen. Bevor der Brustmuskel<br />
dann definitiv zur «Phantomhand»<br />
umfunktioniert werden konnte, mussten<br />
allerdings erst die Nerven, die mit einer Geschwindigkeit<br />
von rund einem Millimeter pro<br />
Tag wachsen, in die entsprechende Zone des<br />
Brustmuskels einwachsen», erklärt Dr. Frey.<br />
Das erste Mal, als Christian Kandlbauer<br />
nach dem Unfall seine Phantomhand spürte,<br />
stand er gerade unter der Dusche. «Ich habe<br />
gefühlt, wie das Wasser an meiner linken<br />
Hand herunterlief. Ein Gefühl an einer Hand,<br />
die ich verloren hatte und die physisch nicht<br />
mehr vorhanden war! Dieser Moment war<br />
unbeschreiblich», erinnert sich Kandlbauer.<br />
Der selektive Nerventransfer in den Brustmuskel<br />
war geglückt: «Teile der Brustkorbmuskulatur<br />
wurden erfolgreich zur Handmuskulatur<br />
umfunktioniert. Klopft man Christian<br />
auf die Brust, empfindet er das so, als ob man<br />
ihm auf die Hand tippt», erklärt Dr. Hubert<br />
Die intelligente Prothese kann gezielt über jene<br />
Nerven angesteuert werden, die auch ursprünglich für<br />
die <strong>Bewegung</strong> des Arms zuständig waren. Der Träger<br />
führt die <strong>Bewegung</strong>en rein intuitiv, kraft seiner Gedanken,<br />
aus und kann durch sieben aktive Gelenke<br />
viele Fähigkeiten wiedererlangen, die durch die Amputation<br />
nicht mehr möglich waren.<br />
Egger, Leiter des Projekts «Gedankengesteuerte<br />
Prothese» bei der Otto Bock GmbH.<br />
Nach der OP ging es darum, die «Phantomhand»<br />
zum Leben zu erwecken, sodass<br />
Kandlbauer sie mit Hilfe seines Cyber-Arms<br />
auch wieder benutzen konnte. «Alle Befehle,<br />
die früher von Gehirn und Rückenmark in den<br />
Arm oder in die Hand gesendet worden<br />
wären, kommen durch die Nervenumleitung<br />
jetzt auf dem Brustmuskel an, der – in seiner<br />
Eigenschaft als Muskel – jeweils bei Erhalt<br />
eines Impulses kontrahiert. Die Kontraktionen<br />
lassen direkte Rückschlüsse auf die<br />
Steuersignale des Hirns an die Phantomhand<br />
‹Brustmuskel› zu und werden durch Elektroden<br />
auf der Hautoberfläche messbar»,<br />
erklärt Dr. Egger.<br />
Visualisierung der Gedanken<br />
Das raffinierte Verfahren ermöglichte es den<br />
Elektroingenieuren der Otto Bock Forschungszentrale,<br />
Daten zu erheben, auf die Mutter<br />
Natur bisher das absolute Monopol hatte –<br />
ein Durchbruch für die Technik. Im nächsten<br />
Schritt galt es, die verschiedenen Hirnströme<br />
zu entschlüsseln. Um die Prothese programmieren<br />
und auf die entsprechenden Impulse<br />
von Kandlbauers Hirn abstimmen zu können,<br />
musste erst herausgefunden werden, welche<br />
Hirnströme jeweils für welchen <strong>Bewegung</strong>sablauf<br />
stehen. Keine leichte Aufgabe, wenn<br />
die Arme des Patienten nicht mehr vorhanden<br />
sind. Otto Bock musste sich etwas<br />
einfallen lassen. «Wir entwickelten ein spezielles<br />
Trainingsverfahren, bei welchem wir<br />
Christian Kandlbauers Hirnströme auf einen<br />
Computerbildschirm projizierten. Während<br />
Christian sich vorstellen musste, wie er beispielsweise<br />
mit der Hand einen Gegenstand<br />
ergreift, unterstützte ein Kollege diese Vorstellung<br />
visuell, indem er hinter ihm stand<br />
und seine Arme – ähnlich wie beim Puppen-<br />
Fotos: Lukas Ilgner<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Prothese <strong>Bewegung</strong> 21<br />
Mobil im Auto<br />
Videosequenz<br />
Sehen Sie, wie die gedankengesteuerte<br />
Prothese funktioniert.<br />
So gehts: Den BeeTagg Reader gratis auf<br />
das Smartphone laden, Code fotografieren,<br />
Link erhalten.<br />
Traum erfüllt: Mit Hilfe seiner gedankengesteuerten<br />
Prothese konnte Christian Kandlbauer<br />
sogar den Führerschein machen. Mittlerweile<br />
fährt er in einem nach seinen Bedürfnissen umgebauten<br />
Subaru Impreza täglich selbständig<br />
zur Arbeit.<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.ottobock.com<br />
theater – zur Verfügung stellte. Auf diese<br />
Weise war es uns möglich, die einzelnen<br />
Hirnströme als spezifische <strong>Bewegung</strong>sbefehle<br />
zu entschlüsseln und danach die Prothese<br />
entsprechend zu programmieren», erklärt<br />
Projektleiter Egger.<br />
Forschung für mehr Lebensqualität<br />
Heute, Hunderte von Labor-Trainingsstunden<br />
später, denkt Christian Kandlbauer lediglich<br />
noch «Kaffeetasse ergreifen und hochheben»,<br />
und sein Cyber-Arm mit sieben Gelenken<br />
führt die beiden <strong>Bewegung</strong>en kombiniert,<br />
präzise und in Echtzeit aus. Nach so<br />
vielen Stunden im Labor wissen wohl auch<br />
die Ingenieure, wie die Kurve auf dem Bildschirm<br />
aussieht, die Kandlbauers Gedanke<br />
«Kaffeetasse ergreifen und hochheben» erzeugt.<br />
Weder Projektteam noch Patient geben<br />
sich mit dem bisherigen Erfolg zufrieden.<br />
Es scheint, dass das gemeinsame Streben<br />
nach «Quality for Life» – offizieller Slogan von<br />
Otto Bock und erklärtes Ziel von Christian<br />
Kandlbauer – dem eingeschworenen Forschungsteam<br />
immer neue Innovationskraft<br />
verleiht. Jüngster Coup ist die fühlende<br />
Hand: die Weiterentwicklung der gedankengesteuerten<br />
Prothese. Mikrorezeptoren an<br />
Kandlbauers Zeigefinger übernehmen die<br />
Funktion der natürlichen Sensoren der Hand<br />
und melden dem Gehirn, was der Träger fühlt.<br />
«Wenn man mir einen Eiswürfel in die linke<br />
Hand gibt, kann ich das spüren», so Kandlbauer.<br />
«Ich bin überzeugt, dass ich irgendwann<br />
nicht nur alle Finger meiner Prothese<br />
einzeln bewegen kann, sondern dass ich damit<br />
auch wieder fühlen kann.»<br />
Vorsprung durch Technik<br />
Christian Kandlbauer hat sein Leben und<br />
seine Unabhängigkeit zurück. Er ist nahezu<br />
wieder selbständig, arbeitet im selben Betrieb<br />
wie vor dem Unfall und fährt sogar Auto –<br />
wobei er und sein Auto TÜV-geprüft sind. Daher<br />
stört es ihn nicht, dass er seinen Cyber-<br />
Arm nachts aufladen muss wie andere Leute<br />
ihr Handy. Es stört ihn auch nicht, dass es<br />
schon ein wenig gruselig wirkt, wenn Mensch<br />
und Maschine so roboterhaft miteinander<br />
verschmelzen, dass sich die Passanten auf<br />
der Strasse bisweilen ungläubig nach ihm<br />
umdrehen. «Only God can judge me» – nur<br />
Gott kann über mich urteilen, steht als Tattoo<br />
auf Christian Kandlbauers Hals geschrieben.<br />
Auch Vergleiche zu Science-Fiction-Geschichten<br />
wie James Camerons «Avatar» sind<br />
ihm egal. Denn seine Geschichte besteht<br />
zugegebenermassen aus sehr viel Science,<br />
nicht aber aus Fiction. Allein das ist es, was<br />
zählt. Und «Avatar» war gestern. <<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
22 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />
Im Einklang mit der Natur: Mitglieder der Modern-Dance-Gruppe von Anna Halprin tanzen in den Hügeln von Stinson Beach, Kalifornien.<br />
Foto: Ted Streshinsky, Corbis<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 23<br />
Breath<br />
Made<br />
le<br />
VisAnnai<br />
Hablprin<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
24 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />
Sie ist eine der grössten <strong>Bewegung</strong>s künstlerinnen der Nachkriegszeit,<br />
eine Rebellin, die stets radikal mit Konventionen brach.<br />
Tanzen sei den Atem sichtbar machen (breath made visible), sagt<br />
Anna Halprin. Denn: Tanz ist Leben ist Tanz.<br />
Text: Ute Eberle<br />
Die Tänzerin Anna Halprin<br />
befand sich im Ferienhaus,<br />
das sie und ihr Mann – der<br />
jüngst verstorbene Landschaftsarchitekt<br />
Lawrence<br />
Halprin – an Nordkaliforniens<br />
Küste unterhielten,<br />
als sie an einem Tag im Jahr 1975 merkte,<br />
dass sie innerlich blutete. Halprin hatte damals<br />
bereits seit drei Jahren einen künstlichen<br />
Darmausgang in ihrem Nabel – die Folge<br />
eines Tumors, der ihren Arzt gezwungen<br />
hatte, Teile ihres Verdauungstrakts sowie<br />
einen Eierstock zu entfernen. Die Blutung,<br />
die sie sah, signalisierte ihr, dass der Krebs<br />
zurückgekehrt war. Halprin war 55 Jahre alt.<br />
Ihr Arzt riet ihr, sofort in die Praxis zu kommen.<br />
Doch Halprin bat ihn, ihr vier Wochen<br />
Aufschub zu gönnen. «Ich hatte Angst», sagt<br />
sie. Und das bedeutete für Halprin fast<br />
zwangsläufig eines: Sie musste tanzen.<br />
Tanz als Überlebensmechanismus<br />
Tanzen ist Halprins Beruf und sie hat dafür<br />
viele Preise gewonnen. Aber es ist auch weit<br />
mehr. Über die Jahre ist Tanz für sie eine Art<br />
Überlebensmechanismus geworden, ein<br />
Weg, um Antworten auf existenzielle Fragen<br />
zu suchen. «Menschen haben schon immer<br />
Formen von Tanz genutzt, um das Mysterium<br />
des Lebens zu verstehen», sagt Halprin. Viele<br />
sehen in ihr eine der grössten <strong>Bewegung</strong>skünstlerinnen<br />
der Nachkriegszeit, eine legendäre<br />
Rebellin, die half, den avantgardistischen<br />
Tanz in die Theater der Welt zu<br />
bringen, indem sie radikal mit Konventionen<br />
brach. Sie war eine der Ersten, die nackte<br />
Tänzer auf die Bühne schickte (und dafür fast<br />
verhaftet wurde); die Erste, die – nach den<br />
Rassenkrawallen in Los Angeles von 1965<br />
– ein schwarz-weiss gemischtes Tanzensemble<br />
gründete; die Erste, die Jahrzehnte später<br />
eine Tanztruppe allein mit HIV-positiven<br />
Männern besetzte.<br />
«Anna hinterfragte und änderte vieles im<br />
Tanz», erklärt Janice Ross, eine Theaterprofessorin<br />
der Universität Stanford, die jüngst<br />
eine Biografie über Halprin schrieb. «Sie<br />
fragte: Wer darf tanzen? Wie muss Tanz aussehen?<br />
Wo darf er stattfinden?»<br />
Nach welchen Tänzen ruft die Seele?<br />
Andere sehen Halprin weniger schmeichelhaft:<br />
als Ikone und Mitbegründerin jener Touchy-Feely-Kultur,<br />
für die Kalifornien heute<br />
berüchtigt ist. Mit ihrer Tochter Daria gründete<br />
Halprin 1978 das «Tamalpa Institute»<br />
nahe San Francisco, in dem Gäste etwa lernen<br />
können, durch <strong>Bewegung</strong> die «Weisheit<br />
des Körpers» anzuzapfen, Gefühle aufzuarbeiten<br />
oder ihre Selbstheilungskräfte zu<br />
mobilisieren. «Alles im Leben ist <strong>Bewegung</strong>,<br />
alles im Universum bewegt sich. Was sind<br />
die Tänze, nach denen unsere Seele ruft ?»,<br />
fragt die Website des Instituts.<br />
Für Halprin liegt darin kein Widerspruch.<br />
Sie sieht sich als Schülerin all dessen, was<br />
<strong>Bewegung</strong> bewirkt. Während ihrer Tanzlehre<br />
an der Universität von Wisconsin sezierte sie<br />
Leichen, um zu lernen, wie die Muskeln und<br />
Sehnen zusammenarbeiten, um eine Hand<br />
zu drehen oder ein Knie zu beugen. Bis heute<br />
hängt in ihrem Studio ein Skelett für solche<br />
Demonstrationen. Sie gesteht noch der profansten<br />
Alltagsgeste tänzerisches Potenzial<br />
Die amerikanische<br />
Tanzpionierin<br />
Anna Halprin tanzt, seit sie vier<br />
ist. Immer wieder hat sie revolutionäre<br />
Richtungen für diese<br />
Kunstform entwickelt und andere<br />
dazu inspiriert, den modernen<br />
Tanz in neue Dimensionen zu<br />
führen. Halprin zählt zu den Pionieren<br />
der Expressive-Arts-Heilungsbewegung.<br />
Sie hat viele Tanzprogramme<br />
mit unheilbar kranken<br />
Patienten durchgeführt, denn<br />
sie hat erfahren, dass der <strong>Bewegung</strong><br />
des Tanzes Heilkraft innewohnen<br />
kann. Im Laufe ihres<br />
Lebens hat sie 150 Tanzwerke<br />
für das Theater geschaffen und<br />
dafür viele Ehrungen und Auszeichnungen<br />
erhalten. Für die<br />
Neunzigjährige gilt: Alter schützt<br />
vor Tanzen nicht, ihr Motto lautet<br />
«Altern ist wie eine Erleuchtung<br />
mit vorge haltener Pistole.»<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 25<br />
wenigen Juden im kleinen Winnetka nördlich<br />
von Chicago fühlte sie sich oft als Aussenseiterin.<br />
«Die anderen Kinder in der Schule<br />
waren blond und blauäugig und die Mädchen<br />
warfen ihre Haare durch die Luft. Wenn ich<br />
meinen Kopf herumwarf, stellte sich mein<br />
Haar auf und kam nicht mehr runter », so Anna.<br />
«Zu bestimmten Anlässen wurde ich nie<br />
eingeladen.»<br />
«Ich dachte, Gott sei ein Tänzer»<br />
Halprin besetzte eine Aufführung mit<br />
69 Altersheimbewohnern im Schaukelstuhl.<br />
zu. Eines ihrer Stücke in den 1960er-Jahren<br />
etwa enthielt eine Sequenz, in der Halprin<br />
<strong>10</strong>0 leere Weinflaschen einzeln auf die Bühne<br />
trug. Einen italienischen Zuschauer erboste<br />
dies derart, dass er aufs Podium<br />
stürmte und rief: «Dafür musste Kolumbus<br />
Amerika entdecken?»<br />
Halprin tanzte, als ihre Mutter starb; sie<br />
tanzte, als ihr Mann auf der Intensivstation<br />
lag. «<strong>Bewegung</strong> kann uns ins Heim der Seele<br />
bringen, in die innere Welt, für die wir keinen<br />
Namen haben», schreibt Halprin in ihrem<br />
Buch «Tanz, Ausdruck und Heilung».<br />
zwei älteren Brüdern, als ihre Mutter sie erstmals<br />
zum Ballett brachte. Halprins Vater war<br />
als Teenager fast ein Jahr aus dem russischen<br />
Odessa nach London gelaufen, um ein<br />
Boot nach Amerika zu nehmen, wo er sich<br />
mit Textilien und Häusern ein Vermögen verdiente.<br />
«Brauchte mein Vater einen Kaschmirpulli,<br />
kaufte er sechs», erinnert sich Anna,<br />
die darunter litt, dass die Familie ständig umzog,<br />
weil ihr Vater ein neues Immobilienschnäppchen<br />
gemacht hatte. Als eine von<br />
Weil man im Ballett über die ungestüme Vierjährige<br />
lachte, fand Annas Mutter eine jener<br />
neuen Tanzschulen für sie, in denen die Kinder<br />
nicht Demi-Pliés an der Stange übten,<br />
sondern frei zu Klaviermusik umhersprangen.<br />
So begann ein Hobby, dem Halprin bereits<br />
als Teenager, ihr Leben zu widmen beschloss.<br />
Obwohl nicht tief religiös, prägte ihre jüdische<br />
Herkunft ihr Tanzleben. Als Kind sah<br />
sie gern zu, wie ihr orthodox-gläubiger Opa<br />
in der Synagoge betete, den Kopf in den Nacken<br />
geworfen, die Hände erhoben, der<br />
weisse Bart pendelnd, während sein Körper<br />
in Ekstase schwang. «Mein ganzes Leben<br />
habe ich nach einem Tanz gesucht, der mich<br />
so tief berühren würde, wie mein Grossvater<br />
damals berührt war», sagt Halprin. «Für mich<br />
sah er aus wie Gott und so dachte ich, Gott<br />
sei ein Tänzer.»<br />
Sie heiratete an der Universität und zog –<br />
nach einem Zwischenspiel am New Yorker<br />
Broadway – nach San Francisco, wo Lawrence<br />
eine Stelle annahm. Und es war hier,<br />
isoliert von der kulturell dominierenden<br />
US-Ostküste, wo Halprin alles, was sie ><br />
Fotos: Kent Reno | aus «Breath Made Visible»<br />
Ein Körper, flink wie eine Ziege<br />
Die heute 90-Jährige ist zierlich mit einem<br />
schalkhaften, zerfurchten Gesicht und einem<br />
Körper, der noch immer «flink wie eine Ziege»<br />
sei, wie der «New-York-Times»-Kritiker John<br />
Rockwell vor einigen Jahren bemerkte. Ihre<br />
Vitalität lässt sie Jahrzehnte jünger wirken.<br />
Als der Filmemacher Ruedi Gerber jüngst<br />
eine Dokumentation über Halprin drehte<br />
(unter dem Titel «Breath Made Visible» ab<br />
Herbst auf DVD zu kaufen), fing er eine Szene<br />
ein, in der sich Halprin einem Passanten<br />
vorstellt, der eine Probe ihrer Tanztruppe<br />
beobachtet. «Aber es heisst, Anna Halprin<br />
sei richtig alt», protestiert der Mann. «Ich BIN<br />
richtig alt!», erwidert Halprin.<br />
Sie tanzt seit bald 86 Jahren. Sie war vier,<br />
ein Kobold mit rotem Krauseschopf und das<br />
einzige Mädchen unter zwölf Vettern und<br />
«Vor dem Krebs<br />
lebte ich,<br />
um zu tanzen.<br />
Seither tanze ich,<br />
um zu leben.»<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
26 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />
über Tanzkonventionen gelernt hatte, abwarf<br />
(«wie ein Trikot, das zu warm und klebrig wurde»,<br />
schrieb ein Reporter) und danach zu<br />
suchen begann, was sie als den emotionalen<br />
Kern von <strong>Bewegung</strong>en sieht. «Tanz muss<br />
nicht anmutig, hübsch oder spektakulär wirken.<br />
Tanz kann Konflikte zum Ausdruck bringen.<br />
Tanz kann stapfen, fallen, angreifen,<br />
umklammern und sich ausstrecken», schrieb<br />
sie später.<br />
Workshops in moderndem Laub<br />
Das Paar baute ein Haus auf einem steil abfallenden<br />
Grundstück auf der stadtabgewandten<br />
Seite der Golden Gate Bridge, wo<br />
Lawrence – der unter anderem den Ghirardelli<br />
Square in San Francisco und das Washingtoner<br />
Roosevelt Memorial entwerfen<br />
sollte – ein Tanzdeck für Anna erdachte, das<br />
in der Szene legendär wurde. Ungleichmässig<br />
gezackt erhebt es sich in einem Hain von<br />
Bäumen bis zu neun Meter über den Boden.<br />
Obwohl es keinen Schutz vor dem Wetter<br />
bietet, diente es Halprin lange als ihr einziges<br />
Studio. Umgeben von raschelnden Blättern,<br />
zwitschernden Vögeln und dem «süssen Geruch»<br />
modernden Laubs, hielt sie hier Workshops<br />
ab – zu ihren Schülern zählten so berühmt<br />
werdende Performer wie Trisha Brown,<br />
Yvonne Rainer oder Meredith Monk – und<br />
entwickelte Tänze, die reflektieren sollten,<br />
was in ihrem Leben und in der Gesellschaft<br />
vor sich ging. Manchmal sei es so kalt gewesen,<br />
dass sie in Fäustlingen oder Schuhen<br />
getanzt habe, sagt Halprin. Andere Male verharrte<br />
sie bewegungslos, bis ein Insekt oder<br />
ein Vogel vorbeiflog, um sich von seinen<br />
<strong>Bewegung</strong>en inspirieren zu lassen.<br />
Viele Tänze, die sie in jener Zeit entwarf,<br />
ähneln eher sozialkritischer Performance als<br />
ästhetischer <strong>Bewegung</strong>skunst. Wie der<br />
«Blank Placard Dance», bei dem Halprins Ensemble,<br />
der San Francisco Dancers’ Workshop,<br />
durch die Stadt zog und vermeintliche<br />
Protestplakate hochhielt, die jedoch irritierenderweise<br />
unbeschrieben waren. Oder<br />
«Apartment 6», ein Stück, in dem Halprin<br />
wochenlang auf der Bühne Pfannkuchen buk,<br />
während sie und zwei männliche Partner<br />
ohne Skript ihre Beziehung «auslebten».<br />
Ihre kulturellen Provokationen brachten<br />
ihr Bewunderung, aber auch viel Rage ein.<br />
Es kam oft vor, dass Zuschauer buhten, Beleidigungen<br />
schrien oder Objekte wie Schuhe<br />
auf die Bühne warfen. Nach einem Auftritt<br />
von Halprins Tänzern 1963 in Jugoslawien,<br />
bei dem sie so unkonventionelle Dinge taten<br />
wie monoton eine Treppe auf- und abzusteigen<br />
oder Weintrauben zu essen, brach eine<br />
solche Kontroverse aus, dass die Truppe gebeten<br />
wurde, länger zu bleiben, um sich auf<br />
einer hastig einberufenen, landesweit übertragenen<br />
Pressekonferenz zu erklären.<br />
«Nach langer Debatte beschlossen die 150<br />
versammelten Tanzkritiker und Theaterlehrer,<br />
dass die Arbeit entweder die grösste künstlerische<br />
Leistung seit Jahren gewesen war<br />
oder die Tänzer nicht wussten, was sie taten»,<br />
berichtet Janice Ross.<br />
Halprin staunte oft, wie heftig die Zuschauer<br />
reagierten. Doch temperamentvoll<br />
und eigensinnig – einmal durchstach sie<br />
nach einem Streit mit Lawrence alle Reifen<br />
an seinem Auto, damit er nicht wegfahren<br />
konnte –, liess sie sich nie lang irritieren.<br />
Schon früh fühlte sie sich nicht allein an die<br />
Hier gehts zu den<br />
tanzenden Bildern<br />
«Breath Made Visible» – der Trailer<br />
Ein Auge voll Tanz nehmen? So gehts:<br />
Den BeeTagg Reader gratis auf das<br />
Smartphone laden, Code fotografieren,<br />
Link zum Trailer erhalten.<br />
Der Schweizer<br />
Regisseur<br />
«Tanz kann<br />
Konflikte zum<br />
Ausdruck<br />
bringen.»<br />
Ruedi Gerber hat schon diverse<br />
preisgekrönte Dokumentarfilme<br />
gedreht, darunter «Meta-Mecano»<br />
über Bottas Tinguely-Museum<br />
oder «Living with the Spill» für den<br />
britischen Sender Channel 4, der<br />
die Ölpest vor der Küste Alaskas<br />
thematisiert. Vor seiner Arbeit als<br />
Regisseur tourte Gerber unter<br />
anderm mit seiner Ein-Mann-<br />
Show «Spiwit of Spwing» durch<br />
Europa.<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 27<br />
Anna Halprin hielt ihre Workshops gerne<br />
auf ihrem Grundstück ab. Ihr legendärer<br />
Tanzboden unter freiem Himmel lockte viele<br />
junge Talente an. Vor der Kälte schützten<br />
Fäustlinge und das innere Feuer.<br />
Fotos: Kent Reno | aus «Breath Made Visible» | Ted Streshinsky, Corbis<br />
Bühne gebunden, sondern führte ihre Tänze<br />
auch an Orten wie einem Flugzeughangar,<br />
zwischen den Felsen ihres Grundstücks oder<br />
in Höhlen auf. «Meine Mission war es, die<br />
Grenzen, die man um den Tanz gezogen hatte,<br />
immer weiter aufzubrechen», sagt sie.<br />
Der Krebs brachte einen Einschnitt. Nachdem<br />
Halprin im Ferienhaus die Blutung entdeckt<br />
hatte, lud sie zehn Freunde und Angehörige<br />
ein, um als «Zeugen» einem Solo<br />
beizuwohnen, in dem sie versuchen wollte,<br />
ihre Ängste zu exorzieren. Die Aufnahmen<br />
von jenem Tag sind auch für Menschen, die<br />
Halprin nicht persönlich kennen, nur mit<br />
Überwindung anzusehen. Gehüllt in eine<br />
schwarze Kutte windet sich die Tänzerin vor<br />
einem Selbstporträt aus kantigen, dunklen<br />
Linien. Sie heult, kreischt, schluchzt, ballt die<br />
Fäuste, fällt auf die Knie und stöhnt wie ein<br />
waidwundes Tier, bis sie erschöpft zusammenbricht.<br />
Später tanzte sie einen versöhnlichen<br />
zweiten Akt vor einer fröhlicher gehaltenen<br />
Selbstdarstellung.<br />
Als Halprin anschliessend – ihre Gnadenfrist<br />
war aufgebraucht – zum Arzt ging, war<br />
kein Krebs mehr festzustellen. Bis heute<br />
glaubt die Tänzerin, dass ihr «reinigendes»<br />
Solo eine Spontanremission bewirkte. Sie<br />
zog sich von der öffentlichen Bühne zurück<br />
und arbeitete zunehmend mit Nichttänzern,<br />
darunter unheilbar Aids-Kranke und Krebspatienten,<br />
mit denen sie die therapeutische<br />
Wirkung von Tanz zu erforschen suchte.<br />
«Jeder ist ein Tänzer», sagt Halprin, die<br />
einmal eine Aufführung mit 69 Altersheimbewohnern<br />
besetzte, bei dem diese in Schaukelstühlen<br />
sitzend koordiniert vor- und zurückwippten.<br />
«Nie habe ich seelenvolleres Tanzen<br />
gesehen», sagt sie über diese Erfahrung.<br />
Massentanz fungiert als Heilungsritual<br />
Besonders stolz ist sie jedoch auf den «Planetary<br />
Dance», ein Massentanz, bei dem zum<br />
Teil Hunderte von Tanzlaien auf vorgegebenen<br />
Bahnen im Kreis herumrennen oder hüpfen.<br />
Anna und Lawrence hatten den Vorläufer<br />
dazu 1981 als Heilungsritual für ihre<br />
Nachbarschaft erdacht, nachdem ein Serienmörder<br />
sieben Frauen auf einem nahe gelegenen<br />
Berg getötet hatte (drei Tage nach<br />
der Aufführung wurde der Täter gefasst).<br />
Seither wurde der Tanz in abgewandelter<br />
Form jedes Jahr wiederholt und hat sich<br />
schliesslich bis in 36 Länder von Australien<br />
bis Deutschland verbreitet.<br />
Noch immer unterrichtet Halprin zwei Mal<br />
pro Woche. Mittlerweile ist sie auch auf die<br />
Bühne zurückgekehrt. Ihre jüngsten Projekte<br />
beschäftigen sich meist mit Verfall und<br />
Sterben. Mit 83 Jahren liess sie sich filmen,<br />
wie sie nackt tanzte – den Körper mit blauer<br />
Farbe beschmiert und eine Perücke aus<br />
Zweigen auf dem Kopf. Auch trat sie in dem<br />
von ihr kreierten Stück «Intensivstation» an<br />
der Seite von drei jüngeren Partnern auf. In<br />
teils offenen, klaffenden Krankenhemden mimen<br />
die Darsteller körperlichen Schmerz,<br />
Terror und Aufbegehren, bevor sie schliesslich<br />
akzeptierend in den Tod sinken. Es sei<br />
«schwer hinzugucken, aber unmöglich wegzuschauen»,<br />
urteilte ein Kritiker. Halprin stelle<br />
«noch immer die richtigen Fragen», schrieb<br />
kürzlich ein anderer.<br />
«Vor dem Krebs lebte ich, um zu tanzen»,<br />
sagt Halprin. «Seither tanze ich, um zu leben.»<br />
Und damit ist sie noch nicht fertig. Sie<br />
arbeite an neuen Stücken, versichert die<br />
90-Jährige. <<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
28 <strong>Bewegung</strong> Dauerläufer<br />
Der Mensch ist ein <strong>Bewegung</strong>stier. Bei<br />
grosser Hitze sind wir über lange Strecken<br />
unschlagbar. Das hat es unseren Vorfahren<br />
ermöglicht, ihre Beutetiere buchstäblich<br />
zu Tode zu hetzen.<br />
Wir<br />
Text: Mathias Plüss<br />
Bernd Heinrich ist kürzlich 70<br />
geworden und läuft noch immer.<br />
Drei seiner US-Rekorde<br />
aus den 1980er-Jahren<br />
sind ungebrochen – über<br />
<strong>10</strong>0 Kilometer, <strong>10</strong>0 Meilen<br />
und über zwölf Stunden auf<br />
der Bahn. In fünf Jahren will er einen neuen<br />
Weltrekord aufstellen: im Hundertkilometerlauf<br />
in der Kategorie der 75+.<br />
Der Langstreckenlauf boomt. Volksrennen<br />
verzeichnen Rekordbeteiligungen. Wer<br />
noch nie einen Marathon absolviert hat, muss<br />
sich beinahe schon rechtfertigen. Keine noch<br />
so grosse Distanz scheint die Teilnehmer abzuschrecken:<br />
Der Europalauf 2009 führte<br />
über 4488 Kilometer von Bari bis ans Nordkap<br />
– durchschnittlich 70 Kilometer täglich,<br />
kein einziger Tag Pause. Ist dieser Rennboom<br />
eine Modeerscheinung, in ein paar Jahren<br />
wieder vergessen? Wohl kaum. Viele Läufer<br />
empfinden ihr Tun vielmehr als Rückkehr zum<br />
menschlichen Urzustand. «Als Läufer hangeln<br />
wir uns direkt an der endlosen Kette der<br />
Geschichte entlang», schrieb etwa Jim Fixx<br />
in seinem «Complete Book of Running». «Wir<br />
erfahren, was wir empfunden hätten, wenn<br />
wir vor <strong>10</strong> 000 Jahren gelebt und Herz, Lunge<br />
und Muskeln durch ständige <strong>Bewegung</strong><br />
gesund gehalten hätten. Wir vergewissern<br />
uns, was dem modernen Menschen selten<br />
gelingt, unserer Verwandtschaft mit dem<br />
frühzeitlichen Menschen.»<br />
«Wir werden als Läufer geboren»<br />
Manchen gilt das Laufen gar als Essenz des<br />
Menschseins. Es sei «in unserem kollektiven<br />
Gedächtnis verankert», sagt der südafrikanische<br />
Anthropologe Louis Liebenberg. «Das<br />
Rennen ist die Superkraft, die uns zu Menschen<br />
machte.» «Tief in unserem Innern»,<br />
meint auch Bernd Heinrich, «sind wir immer<br />
noch Läufer. Wir alle werden als Läufer geboren.»<br />
Am schönsten hat es der legendäre<br />
tschechische Langstreckler Emil Zátopek<br />
gefasst: «Vogel fliegt, Fisch schwimmt,<br />
Mensch läuft.» Der Deutsch-Amerikaner<br />
Bernd Heinrich ist auch unter den Ultraläufern<br />
eine Ausnahmeerscheinung: Als Sportler<br />
lotet er seine Leistungsgrenzen aus – als<br />
Zoologe erforscht er die Evolution und stellt<br />
Experimente an. Seit er als Sechsjähriger<br />
barfuss über Sandwege lief, den Tigerkäfern<br />
hinterher, ist Laufen seine Leidenschaft.<br />
Mit richtigem Training fing er erst an, als<br />
er auf die 40 zuging. Ein Freund hatte ihm<br />
eingeflüstert, er könne einen Marathon unter<br />
2:30 schaffen. Noch am gleichen Tag begann<br />
Heinrich zu trainieren. Als ihm ein Arzt<br />
wegen eines degenerierten Knorpels zum<br />
Aufhören riet, ignorierte er Schmerzen und<br />
Warnung: «Ich stellte mir einfach vor, wie ich<br />
dieses kleine Stück Knorpel durch verstärktes<br />
Laufen langsam, aber sicher zu Pulver<br />
zerrieb.» Das Knie hielt. Seinen ersten Marathon<br />
schaffte er in 2:25.<br />
Dann verlegte er sich auf noch grössere<br />
Distanzen. Am 4. Oktober 1981 kam sein<br />
grosser Tag: der Hundertkilometerlauf von<br />
Chicago. Bernd Heinrich, 41 Jahre alt, ohne<br />
Socken, sich ausschliesslich von Preiselbeersaft<br />
ernährend, gewann das Rennen mit<br />
einer Dreiviertelstunde Vorsprung und in<br />
amerikanischer Rekordzeit. Über seine Erfahrungen<br />
und Erkenntnisse schrieb er ein<br />
Buch, das unter dem legendären Titel «Why<br />
we run» zum Bestseller wurde. Heinrichs<br />
These: Der Mensch sei jahrtausendelang ein<br />
«Ausdauerräuber» gewesen, der seine Beutetiere<br />
in der Hitze des Mittags buchstäblich<br />
zu Tode gehetzt habe. Das tönt vielleicht ein<br />
wenig lächerlich, wenn man es zum ersten<br />
Mal hört, weil wir das Vorurteil im Kopf haben,<br />
der Mensch sei ein Meister des Mittelmasses,<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Dauerläufer <strong>Bewegung</strong> 29<br />
Ausdauerräuber<br />
Fotos: Getty Images | Martin Ruegner, Getty Images | Grant Faint, Getty Images | Martin Barraud, Getty Images<br />
der alles könne, aber nichts richtig: ein bisschen<br />
schwimmen, ein bisschen klettern, ein<br />
bisschen rennen.<br />
Das stimmt zwar grundsätzlich, aber unter<br />
speziellen Bedingungen ist der Mensch tatsächlich<br />
allen anderen Läufern überlegen:<br />
über sehr grosse Distanzen bei grosser Hitze.<br />
Hasen sind hervorragende Sprinter – sie<br />
halten 45 Sekunden bei Tempo 70 durch.<br />
Das ist ihre Rettung, denn Füchse schaffen<br />
kurzzeitig maximal 60 Stundenkilometer. Die<br />
schnellsten Landtiere überhaupt, die Geparde,<br />
erwischen ihre Beute meist innerhalb<br />
einer halben Minute oder sie lassen sie ziehen.<br />
Auch Wölfe verfolgen ein Tier kaum je<br />
länger als eine Viertelstunde, sonst sterben<br />
sie an Überhitzung. Als beste Mittelstreckenläufer<br />
gelten die Antilopen – manche Arten<br />
schaffen zehn Kilometer in zehn Minuten.<br />
Doch fehlt es ihren schlanken Körpern an<br />
Energiereserven; spätestens nach 30 Kilometern<br />
sind sie erschöpft. Deshalb vermögen<br />
trainierte Menschen, so sie die Fährte<br />
nicht verlieren, selbst Antilopen zu Tode zu<br />
hetzen.<br />
Der beste Beweis dafür ist die Tatsache,<br />
dass viele Urvölker noch bis vor Kurzem tatsächlich<br />
die Ausdauerjagd pflegten. Der<br />
Volkskundler Barre Toelken berichtet, er habe<br />
noch in den 1950er-Jahren erlebt, wie<br />
ein Navajo-Indianer Hirsche jagte: «Der<br />
Hirsch setzte in wilden Sprüngen davon,<br />
hielt inne und flüchtete erneut. Der Jäger,<br />
der in gleichmässigem Tempo der Spur des<br />
Tiers folgte, ermüdete es schliesslich. Dann<br />
näherte er sich dem erschöpften Hirsch,<br />
legte ihm die Hand über Maul und Nüstern<br />
und erstickte ihn.»<br />
Ausdauerjagd bei mindestens 37 Grad<br />
Der Anthropologe Louis Liebenberg war selber<br />
mehrmals bei der Antilopenjagd der<br />
Buschmänner in der Kalahariwüste in Botswana<br />
mit von der Partie. Am Ende, sagt er,<br />
kollabiere die Antilope vollends, «oder sie<br />
verlangsamt so sehr, bis sie nur noch dasteht,<br />
mit glasigen Augen. Letztlich wird das<br />
Tier zum Überhitzen gebracht.» Die Jäger<br />
rennen dabei in zwei bis sieben Stunden<br />
nonstop bis zu 35 Kilometer. Und das bei<br />
Temperaturen von mindestens 37 Grad – darunter<br />
ziehen sie nicht los, weil die Antilope<br />
zu schnell wäre. Das ist der springende<br />
Punkt: Kein anderes Tier kann so gut mit<br />
Hitze umgehen. Der Mensch ist Weltmeister<br />
im Schwitzen. Sogar das Fell haben wir ><br />
Läufer aus<br />
Leidenschaft<br />
Bernd Heinrich, geboren 1940,<br />
wurde als Zoologe für seine Forschungen<br />
über Hummeln, Wildgänse<br />
und Raben bekannt. Mit<br />
40 startete er seine Karriere als<br />
Marathon- und Ultralangstreckenläufer.<br />
Zu seinen Bestsellern<br />
gehören «Die Seele der Raben»<br />
und «Laufen. Geschichte einer<br />
Leidenschaft». Heinrich lebt in<br />
einer Blockhütte in Maine (USA).<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli/August 20<strong>10</strong><br />
30 <strong>Bewegung</strong> Dauerläufer<br />
abgeworfen, damit das Wasser auf unserer<br />
Haut besser verdunsten kann. Bis zu zwei<br />
Liter Wasser können unsere drei Millionen<br />
Schweissdrüsen pro Stunde abgeben. Viele<br />
Tiere können schlecht oder gar nicht schwitzen.<br />
Hunde etwa, die nur hecheln können,<br />
sind dem Menschen an Hitzetagen hoffnungslos<br />
unterlegen. Ein Gepard vermag in<br />
der Sonne nicht mehr als ein paar Minuten<br />
zu rennen, sonst erleidet er einen Hitzschlag.<br />
Offenbar sind die meisten Tiere auf Wasserersparnis<br />
angelegt – der Mensch aber gerade<br />
nicht. Indem er den Wasserverlust in Kauf<br />
nimmt, kann er auch bei grösster Hitze rennen<br />
und hat sich so eine ökologische Nische<br />
geschaffen.<br />
Das Schwitzen und der Fellverlust sind<br />
aber nur die auffälligsten Merkmale. «Wir<br />
sind von Kopf bis Fuss voller Anpassungen,<br />
von denen viele beim Gehen keine Rolle spielen»,<br />
sagt der Anthropologe Daniel Lieberman<br />
von der Harvard University. Vielmehr<br />
handle es sich dabei um charakteristische<br />
Eigenschaften eines Langstreckenläufers.<br />
Ein paar Beispiele:<br />
Die Zweibeinigkeit: Auf zwei Beinen<br />
lässt es sich schneller laufen als auf<br />
vier. Die Amerikanische Schabe stellt sich<br />
auf die Hinterbeine, wenn sie es pressant<br />
hat – genauso macht es der Leguan. Die<br />
<strong>Bewegung</strong><br />
Der Mensch ist zum Laufen geboren. Doch nur<br />
wenige sind so schnell wie Dave Dollé. Lassen<br />
Sie den mehrfachen Schweizer Meister auf Ihrem<br />
Bildschirm lossprinten! (Anleitung auf Seite 30)<br />
Globale Initiative Credit Suisse ist treibhausgasneutral<br />
KMU-Studie Die Globalisierungswelle rollt<br />
Wolfgang Rihm Der deutsche Komponist im Gespräch<br />
Mit dem Magazin entrepreneur<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> mit Augmented<br />
Reality – so haben Sie Papier noch<br />
nie erlebt.<br />
Website aufrufen:<br />
www.credit-suisse.com/<br />
bewegung<br />
Da läuft etwas<br />
schnellsten Mittelstreckenläufer bei den<br />
Dinosauriern waren Zweibeiner. Der aufrechte<br />
Gang hat in der Hitze aber noch<br />
einen weiteren Vorteil: Die Sonneneinstrahlung<br />
verringert sich um 60 Prozent.<br />
Der Nachteil ist, dass bei Zweibeinern<br />
ausgerechnet der Kopf der Sonne ausgesetzt<br />
ist, aber zu dessen Schutz hat sich<br />
ja unser üppiges Haupthaar entwickelt.<br />
Zusätzlich leitet ein spezielles Netz von<br />
Blutgefässen die Wärme vom empfindlichen<br />
Gehirn ab.<br />
Die Sehnen: Sie sind die Speicherkraftwerke<br />
des Läufers. Die Achillessehne absorbiert<br />
bei jedem Aufsetzen 40 Prozent<br />
der Energie, die sonst verloren ginge, und<br />
gibt sie beim nächsten Schritt wieder frei.<br />
Für das blosse Gehen haben diese Sehnen<br />
keine grosse Bedeutung. «In der Evolution<br />
haben sich grosse Sehnen ausschliesslich<br />
bei Läufern entwickelt », sagt<br />
der Anthropologe Lieberman.<br />
Das Gesäss: Im Vergleich zu den anderen<br />
Primaten ist unser Hintern riesig. Der<br />
Gesässmuskel ist der grösste Muskel des<br />
Menschen. Beim Gehen ist er wenig gefordert,<br />
beim Rennen aber sorgt er für<br />
Stabilität. Alle andern zweibeinigen Renner<br />
(Beispiel Känguru) haben einen grossen<br />
Schwanz, der als Gegengewicht zum<br />
Machen Sie Dave Dollé<br />
Beine mit dem<br />
<strong>bull</strong>etin Special Effect!<br />
Papier ist geduldig? Papier ist ein Wunderding! Machen<br />
Sie den Test und staunen Sie selbst: Das Titelblatt<br />
des <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> wurde mit einer speziellen Technik, der<br />
Augmented Reality (Erweiterte Realität), produziert.<br />
Rufen Sie unsere Website auf und befolgen Sie die Anweisungen.<br />
Dave Dollé, ehemaliger Schweizer Leichtathlet<br />
amerikanischer Herkunft und mehrmaliger<br />
Schweizer Meister, läuft exklusiv für Sie. Mal schneller,<br />
mal langsamer, ganz wie es Ihnen gefällt. Vielleicht<br />
gelingt es mit Ihrer Hilfe sogar, seinen Schweizer Rekord<br />
von 1995 über <strong>10</strong>0 Meter (<strong>10</strong>,16 Sekunden) zu brechen?<br />
Es liegt ganz in Ihrer Hand.<br />
Titelblatt vor Webcam halten<br />
Video schauen<br />
nach vorne geneigten Rumpf dient. Beim<br />
Menschen übernimmt der Gesässmuskel<br />
diese Aufgabe. Dazu kommt ein spezielles<br />
Nackenband zur Stabilisierung des Kopfs.<br />
Die Theorie ist umstritten. Das Problem<br />
ist, dass man in der Evolution eigentlich<br />
nie beweisen kann, was die Ursache<br />
für eine Anpassung war. Besonders deutlich<br />
lässt sich das beim aufrechten Gang<br />
zeigen, der zahlreiche Vorteile mit sich<br />
brachte: die grössere Übersicht in der<br />
Savan ne, nachdem unsere Vorfahren von<br />
den Bäumen gestiegen waren; die frei<br />
werdenden Hände, die zum Werkzeuggebrauch,<br />
Waffen- oder Kindertragen genutzt<br />
werden konnten; oder eben die grössere<br />
Geschwindigkeit beim Rennen. Was<br />
der Auslöser war und was nur willkommener<br />
Nebeneffekt, ist schwierig zu sagen.<br />
Vom Aasfresser zum Fleischjäger<br />
Die Entwicklung zum herausragenden Läufer<br />
kann aber nur langsam vonstattengegangen<br />
sein. Bernd Heinrich vermutet, dass die ersten<br />
Zweibeiner ihre – anfangs noch bescheidene<br />
– Geschwindigkeit zunächst nutzten,<br />
um möglichst rasch bei frischem Aas zu sein.<br />
Einmal auf den Geschmack des Fleischs gekommen,<br />
hätten sie dann begonnen, selber<br />
Tiere zu jagen. Die energiereiche Fleischnahrung<br />
hatte offenbar so viele Vorteile, dass<br />
die läuferischen Fähigkeiten über die Jahrmillionen<br />
immer besser wurden.<br />
Auch die Entwicklung unseres Gehirns<br />
korreliert durchaus mit der erfolgreicheren<br />
Jagd. Denn bei der Ausdauerjagd ist das<br />
Fährtenlesen wichtig, weil ja das Beutetier<br />
am Anfang viel schneller ist, und Fährtenlesen<br />
setzt Intelligenz voraus. Es braucht<br />
aber auch Durchhaltevermögen und die Fähigkeit,<br />
sich die Zukunft vorzustellen – weitere<br />
typisch menschliche Eigenschaften.<br />
Bernd Heinrich spricht in diesem Zusammenhang<br />
von der visionären Kraft, ohne die der<br />
Mensch nicht imstande wäre, all die Schmerzen<br />
und Strapazen bei der Verfolgung eines<br />
ambitiösen Ziels auf sich zu nehmen. «Wir<br />
können uns Dinge vorstellen, die weit in der<br />
Zukunft liegen», schreibt Heinrich. «Wir sehen<br />
unsere ‹Beute› vor uns, selbst wenn sie<br />
hinter Hügeln oder im Dunst verschwunden<br />
ist. Dann wird die Vorstellung zu unserem<br />
wichtigsten Antrieb. Ihre Kraft ist es, die<br />
es uns ermöglicht, nach der Zukunft zu greifen,<br />
ob es nun darum geht, ein Mammut oder<br />
eine Antilope zu erlegen, ein Buch zu schreiben<br />
oder eine Rekordzeit in einem Rennen<br />
aufzustellen.» <<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 31<br />
Credit Suisse<br />
Business / Sponsoring / In der Gesellschaft<br />
<strong>10</strong>0 Jahre Kunsthaus Zürich<br />
Pablo Picassos erste<br />
Retrospektive – live<br />
1932 fand die weltweit erste Retrospektive<br />
von Pablo Picasso (1881–<br />
1973) statt. Der spanische Maler<br />
hatte die Ausstellung, die drei<br />
Monate lang im Kunsthaus Zürich<br />
gezeigt wurde, persönlich zusammengestellt.<br />
Nun wird sie auf<br />
eindrückl iche Weise in Erinnerung<br />
gerufen, indem vom 15. Oktober<br />
20<strong>10</strong> bis zum 30. Januar 2011 über<br />
70 der damals gezeigten Spitzenwerke<br />
ausgestellt werden. In Erwartung<br />
eines grossen Andrangs hat<br />
der Vorverkauf bereits begonnen.<br />
Gegenwärtig laufen zwei andere<br />
sehenswerte Sonderausstellungen<br />
mit Fotografien von Thomas Struth<br />
(bis 12. September) sowie «Motion<br />
Picture(s)» von Adrian Paci (bis<br />
22. August). schi<br />
www.kunsthaus.ch<br />
sie streben auch in der Einzelwertung<br />
gute Platzierungen an.<br />
Der Grossanlass wird mitunterstützt<br />
vom Fonds Schach Schweiz<br />
der Stiftung Accentus.<br />
Nach dem sensationellen Abschneiden<br />
der Hochschulsportler<br />
an den beiden letzten Universiaden<br />
im Winter in China (14 Medaillen)<br />
und im Sommer in Serbien (5 Medaillen)<br />
interessiert sich der<br />
Schweizer Hochschulsport-Verband<br />
(SHSV) mit Präsident<br />
Andreas Csonka für die Durchführung<br />
der Winteruniversiade 2017.<br />
Als langjähriger Partner ist die<br />
Credit Suisse im Stiftungsrat durch<br />
Verwaltungsratspräsident Hans-<br />
Ulrich Doerig vertreten. schi<br />
www.wucc20<strong>10</strong>.ch; www.shsv.ch<br />
SVC Unternehmerpreis Zentralschweiz<br />
Geistlich Pharma dank<br />
Tradition und Qualität<br />
Fotos: Martin Stollenwerk<br />
Hochschulsport<br />
Zürich kürt neue<br />
Schachweltmeister<br />
Trafen sich letztes Jahr in Zürich<br />
sämtliche noch lebenden Schachweltmeister<br />
zu einer viel beachteten<br />
Simultanvorstellung und einem<br />
Rapidturnier, das Vladimir Kramnik<br />
vor Viswanathan Anand gewann, so<br />
werden nun vom 4. bis 12. September<br />
in der Limmatstadt gar Schachweltmeister<br />
erkoren. Bei der elften<br />
World University Chess Championship<br />
sind die Namen der 150 Teilnehmer<br />
aus 20 Nationen zwar etwas<br />
weniger klingend, aber das Niveau<br />
wird trotzdem äusserst hoch sein.<br />
Das Reservoir an Spitzenspielern in<br />
Osteuropa ist unerschöpflich. Die<br />
Teamwertung wurde bis jetzt fünfmal<br />
von Russland gewonnen, je<br />
zweimal schwangen Georgien und<br />
China obenaus, einmal schaffte jedoch<br />
Spanien eine Überraschung.<br />
Diesmal die Schweiz ? Das wäre<br />
wohl zu viel verlangt, aber mit den<br />
internationalen Meistern Oliver<br />
Kurmann, Julien Carron und Monika<br />
Seps an der Spitze stellen die Einheimischen<br />
eine starke Equipe und<br />
Sie produziert im luzernischen<br />
Wolhusen Biomaterialien für die<br />
Regeneration von Knochen und<br />
Gewebe in der Zahnmedizin, Mund-,<br />
Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />
der Ortho pädie und Traumatologie,<br />
und das in einer derart hohen<br />
Qualität, dass Jurypräsident Elmar<br />
Wolge singer den Unternehmerpreis<br />
Zentralschweiz des Swiss Venture<br />
Club dem 1851 gegründeten Familienunternehmen<br />
Geistlich mit<br />
CEO Paul Note an der Spitze zusprach.<br />
Ebenfalls in den Final<br />
gelang ten Arthu r Weber, Opacc<br />
Software, ABL, Enz Technik sowie<br />
Ricardo.ch. schi<br />
www.swiss-venture-club.ch<br />
Anzeige<br />
Bild oben: Reto Isenegger (links) und Johannes Suter (Dritter von links),<br />
Verwaltungs ratspräsident und CEO der neuen SVC-AG für KMU Risikokapital,<br />
mit Hans-Ulrich Müller (Zweiter von links), Präsident SVC, und Hans-Ulrich<br />
Meister (rechts), CEO Credit Suisse Schweiz. Bild unten: Hans-Ulrich Meister<br />
stellt im Forum St. Peter die neue Tochtergesellschaft der Credit Suisse vor.<br />
«Ein Traum geht für den Swiss Venture Club und mich in Erfüllung»,<br />
erklärte SVC-Präsident Hans-Ulrich Müller anlässlich<br />
der öffentlichen Vorstellung der SVC-AG für KMU Risikokapital<br />
am 3. Juni. Schon seit seiner Gründung habe sich der Swiss<br />
Venture Club stark gemacht für alternative Finanzierungsmöglichkeiten<br />
für Unternehmer, wobei die mit der Credit Suisse realisierte<br />
Mezzanine-Finanzierung ein Meilen stein gewesen sei.<br />
Nun aber sei mit der Gründung einer Risikokapitalgesellschaft<br />
der «logische nächste Schritt» voll zogen worden. «Wir setzen<br />
ein starkes Ausrufezeichen!» Die Credit Suisse stellt dazu <strong>10</strong>0<br />
Millionen Franken zur Verfügung, wie Hans-Ulrich Meister, CEO<br />
Credit Suisse Schweiz, erläuterte. Damit habe sie auf die – gemäss<br />
Sorgen barometer des <strong>bull</strong>etin – seit Jahren grösste Sorge<br />
der Schweize rinnen und Schweizer reagiert: die Arbeitslosigkeit.<br />
Weitere Massnahmen seien die Aufstockung der Lehrstellen<br />
um 25 Prozent, verbunden mit der Garantie der<br />
Weiterbeschäftigung, sowie 30 Millionen Franken für die Initiative<br />
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (siehe Seite 52)<br />
und <strong>10</strong> Millionen Franken für zusätzliche IT-Lehrstellen. schi<br />
Interview mit Johannes Suter, CEO SVC-AG für KMU Risikokapital<br />
auf Seite 42<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
32 Credit Suisse<br />
Zwei Jubiläen fallen zusammen<br />
kammerorchesterbasel<br />
glänzte in Südamerika<br />
Die Jury freut sich ganz entspannt über das hohe<br />
Niveau beim Investment Game (von links): Wolfgang<br />
Jenewein und Daniel C. Heine, Universität<br />
St. Gallen, sowie Stephan Uebersax, Ursin Bernard<br />
und Hanspeter Ackermann, Credit Suisse Engadin.<br />
Moderne Leadership<br />
«Die Idee des Fussballspiels hat sich<br />
geän dert. Es ist schneller geworden und<br />
erfordert ein besseres Zusammenspiel»,<br />
erklärte Wolfgang Jenewein, ehemaliger<br />
Spitzenfussballer bei 1860 München<br />
und nun an der Universität St. Gallen und<br />
an der Technischen Hochschule Aachen<br />
spezialisiert auf Fragen der Personalführung.<br />
Die 30 jungen Zuhörerinnen und<br />
Zuhörer des Lyceum Alpinum Zuoz erfuhren,<br />
dass diese simple Tatsache<br />
enorm e Konsequenzen hat: Der Spielmacher<br />
kann nicht mehr, sich auf einem<br />
«BierdeckelRadius» bewegend, alle<br />
Bäll e verlangen, sondern muss sich ins<br />
Team integrieren und dieses emotional<br />
mitreissen. «Auch die Anforderungen an<br />
den Trainer sind gestiegen, die Zeit der<br />
Spielertrainer ist vorbei.» Jenewein betonte<br />
dies am Boarding School Event in<br />
der Credit Suisse Geschäftsstelle St. Moritz<br />
weniger wegen der Fussballweltmeisterschaft,<br />
sondern vor allem weil<br />
sich diese Bilder auf die Wirtschaft übertragen<br />
lassen. «Der grösste Fehler der<br />
Wirtschaftsführer ist, dass sie zu weni g<br />
Zeit aufs Führen verwenden.» Und<br />
dass sie nicht realisieren, wie die Idee<br />
des Spiels sich geändert hat. Wie sagte<br />
doch der deutsche Teammanager Oliver<br />
Bierhoff: «Sage es mir, und ich werde es<br />
erklären, zeige es mir, und ich werde<br />
mich daran erinnern, involviere mich, und<br />
ich werde es verstehen.» Daneben standen<br />
wie gewohnt eine Einführung in die<br />
Finanzmärkte durch Daniel C. Heine<br />
(sieh e <strong>bull</strong>etin 1/20<strong>10</strong>) und das praxisorientierte<br />
Investment Game im Zentrum<br />
des zweitägigen Anlasses «Invest in your<br />
future». Hanspeter Ackermann, Leiter<br />
Credit Suisse Engadin, sowie Beat und<br />
Ursula Sommer vom Lyceum Alpinum<br />
Zuoz bekräftigten, die Partnerschaft weiter<br />
zu vertiefen. schi<br />
Mehr unter www.creditsuisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
Auszeichnungen<br />
für Leadership<br />
Am 16. Juni übergab<br />
Brady Dougan im Forum<br />
St. Peter in Zürich<br />
fünf bankinterne CEO<br />
Leadership Awards.<br />
Gleich zwei der Auszeichnungen<br />
blieben<br />
in der Schweiz: Pascal<br />
Besnard, Private Banking<br />
Genf, erhielt den<br />
Award «Client Leadership»<br />
und John Zafiriou,<br />
Private Banking Zürich,<br />
jenen für «Innovation<br />
Leadership».<br />
Viviane Leurin, Credit<br />
Suisse Luxemburg,<br />
wurde der Award<br />
«Leadership in Compliance<br />
and Control»<br />
zugesprochen, Carol<br />
C. Chan, Credit Suisse<br />
Singapur, gewann den<br />
Award «Leadership<br />
in Diversit y». Den<br />
wich tigsten Preis, den<br />
auf Oswald Aeppli,<br />
Verwaltungsratspräsident<br />
1977–1983, zurück<br />
gehenden Aeppli<br />
Preis, erhielt Paul<br />
Douglas, Credit Suisse<br />
New York. schi<br />
Das kammerorchesterbasel ist das<br />
Schweizer Orchester, das mit Abstand<br />
am häufigsten im Ausland<br />
spielt und dabei namhafte Solisten<br />
wie etwa Cecilia Bartoli begleitet;<br />
doch den Sprung über den grossen<br />
Teich hat es sich zum Jubiläum<br />
aufge spart. Das vor 25 Jahren gegründete<br />
Spitzenorchester spielte<br />
anlässlich der 200-Jahr-Unabhängigkeitsfeier<br />
Argentiniens in Buenos<br />
Aires. Die Cellistin Sol Gabetta,<br />
die 2004 den Credit Suisse Young<br />
Artist Award erhalten hatte, begeisterte<br />
dabei als Solistin im<br />
gleichsam blinden Zusammenspiel<br />
mit ihrem älteren Bruder Andrés,<br />
der als Konzertmeister fungierte.<br />
Auf der vom 24. Mai bis zum 1. Juni<br />
dauernden Tournee besuchte das<br />
kammerorchesterbasel auch Montevideo<br />
(Uruguay) und São Paulo<br />
(Brasilien). Bianca Veraguth<br />
www.kammerorchesterbasel.ch<br />
Ausstellung in Zürich<br />
Zaha Hadid und die<br />
russische Avantgarde<br />
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aboard world‘s best<br />
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Original-Kataloge • ermässigte $-Preise<br />
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Nüschelerstrasse 35 Zürich-City<br />
Tel. 044-211 30 00<br />
M A S T E R<br />
C RUISES<br />
Die Skulptur «Aura» im GriederHaus<br />
der Credit Suisse in Zürich.<br />
Die Architektin und Künstlerin Zaha<br />
Hadid, die vom «Time Magazine» zu<br />
den <strong>10</strong>0 einflussreichsten Menschen<br />
des Jahres 20<strong>10</strong> gerechnet wird,<br />
hat im Grieder-Haus der Credit Suisse<br />
beim Parade platz ihre Installation<br />
«Aura» (Vene dig, 2008) ausgestellt.<br />
Dies im Zusammenhang mit<br />
ihrer Ausstellung «Zaha Hadid and<br />
Suprematism», die noch bis zum<br />
30. September in der nahe gelegenen<br />
Galerie Gmurzynska gezeigt<br />
wird. In dieser von der Künstlerin<br />
selbst kuratierten Ausstellung wird<br />
die enge Bezie hung zwischen ihrem<br />
Werk und dem der russischen Suprematisten<br />
des frühen 20. Jahrhunderts<br />
aufgezeigt und erforscht.<br />
Zu sehen sind Arbeiten von Illya<br />
Chasni k, El Lissitzky, Kasimir<br />
Malevic h, Alexander Rodchenko<br />
und Nikolai Suetin. schi<br />
Interview mit Zaha Hadid unter<br />
www.creditsuisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
6. Zurich Film Festival<br />
Nachwuchsfilmer aus aller<br />
Welt zu Gast in Zürich<br />
Wiederum nehmen 32 junge Regisseure<br />
mit ihrer ersten bis dritten<br />
Arbeit an den drei Wettbewerben<br />
«Internationaler Spielfilm», «Deutschsprachiger<br />
Spielfilm» und «Internationaler<br />
Dokumentarfilm» teil. Die<br />
Eingabefrist dazu ist am 15. Juli<br />
abgelaufen. Geschäftsführerin<br />
Nadja Schildknecht und Karl Spoerri<br />
als Künstlerischer Leiter geben<br />
unter www.zurichfilmfestival.org<br />
laufend aktuelle Informationen<br />
bekann t. Das Nachwuchsfilmfestival<br />
dauert vom 23. September bis zum<br />
3. Oktober. schi<br />
Musikkollegium Winterthur<br />
Saisonauftakt neu mit<br />
MozartFestival<br />
Das Musikkollegium Winterthur<br />
überzeugt immer wieder durch seine<br />
Projekte für und mit Jugend lichen,<br />
so zuletzt am 19. Juni mit einem<br />
grossen Edgar-Varèse-Konzert, zu<br />
dem Schülerinnen und Schüler der<br />
Kantonsschulen Rychen berg und<br />
Im Lee ihre eigenen elektronischen<br />
Live-Improvisationen beisteuerten<br />
und jene der International School<br />
Winterthur eine Fotomontage. Zum<br />
Auftakt der neuen Saison führen<br />
die Winterthurer unter der Leitung<br />
von Douglas Boyd vom 25. August<br />
bis zum 25. September ein grosses<br />
Mozart-Festival durch. schi<br />
Mehr unter www.creditsuisse.com/<br />
<strong>bull</strong>etin<br />
Fotos: Fabio Lenzlinger | Martin Stollenwerk<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
34 Credit Suisse<br />
1<br />
2 3<br />
1 Präsentieren ein attraktives Programm (von links): Thomas Oberender (Schauspiel), Markus Hinterhäuser (Konzert), Präsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant<br />
Jürgen Flimm, Kaufmännischer Direktor Gerbert Schwaighofer. 2 Max Reinhardt 1936 bei einer Probe. 3 Jonathan Meese mit Bühnenbildmodell zu «Dionysos».<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 35<br />
Dem klassischen Besitz der Welt dienen<br />
Das Grosse Festspielhaus wird 50 Jahre alt, die Salzburger Festspiele feiern gar ihr<br />
90-jähriges Bestehen – und die Credit Suisse darf sich über ihre fünfjährige Partnerschaft<br />
mit diesem wohl wichtigsten sommerlichen Kulturfest der Welt freuen. Mythen gilt es zu<br />
erforschen, junge Talente zu entdecken – vom 25. Juli bis zum 30. August.<br />
Fotos: Wolfgang Lienbacher | Ellinger | Jan Bauer, Courtesy JonathanMeese.Com | Credit Suisse<br />
Am 22. August 1920 begannen die ersten<br />
Salzburger Festspiele mit einer Aufführung<br />
von Hugo von Hoffmannsthals «Jedermann»<br />
unter der Regie von Max Reinhardt. Sie standen<br />
noch ganz unter dem Eindruck des Grossen<br />
Krieges. Die Gründer, zu denen auch<br />
Richard Strauss, Franz Schalk und Alfred<br />
Roller zählten, wollten «geistigen Frieden»<br />
bringen. Und mit den Festspielen sollte der<br />
«Glaube an Europa» als «Fundament unseres<br />
geistigen Daseins» seinen neuen Ausdruck<br />
finden.<br />
Was in 90 Jahren nicht alles geschah,<br />
was an genau diesem Fundament zweifeln,<br />
verzweifeln, aber, keine Frage, auch hoffen<br />
liess! Die Kultur und nicht zuletzt die Salzburger<br />
Festspiele sorgten für viele lichte<br />
Momente und boten, wie programmatisch<br />
verkündet, «edelsten Genuss», boten «Oper<br />
und Schauspiel, und von beiden das Höchste»,<br />
boten Begegnungen, die zunehmend globalen<br />
und nicht mehr rein europäischen Charakter<br />
aufwiesen.<br />
Die Welt zu Gast in Salzburg<br />
2009 setzten sich die 248 657 Besucherinnen<br />
und Besucher aus 68 Nationen zusammen.<br />
Und betrachtet man die Künstler,<br />
so trifft man ebenfalls auf eine breite Provenienz.<br />
Letztes Jahr führte Daniel Barenboim<br />
mit seinem West-Eastern Divan Orchestra<br />
die Befreiungsoper «Fidelio» auf, dieses Jahr<br />
bringen die Festspiele ein Wiedersehen<br />
mit dem World Orchestra for Peace unter<br />
der Leitung von Valery Gergiev, mit dem die<br />
Credit Suisse 2005 eine Tournee nach<br />
London, Berlin, Moskau und Beijing durchgeführt<br />
hatte. In Salzburg spielt das WOP am<br />
5. August die Symphonien Nr. 4 und 5 von<br />
Gustav Mahler, der vor 150 Jahren, am 7. Juli<br />
1860, im böhmischen Kalischt das Licht<br />
der Welt erblickt hatte.<br />
Im Zentrum stehen heute wie zu Beginn<br />
die «Freuden Mozart’scher Reinheit und<br />
Schön heit». Gegeben wird, mit Premiere am<br />
9. August, «Don Giovanni» unter der musikalischen<br />
Leitung von Yannick Nézet-Séguin<br />
2006 schenkte die Credit Suisse den Salzburger<br />
Festspielen «<strong>10</strong>00 Tears» von Not Vital.<br />
mit Claus Guth als Regisseur. Es spielt das<br />
Hausorchester der Salzburger Festspiele:<br />
die Wiener Philharmoniker. Mit ihnen pflegt<br />
die Credit Suisse eine lange Partnerschaft,<br />
ermöglicht sie doch seit 1993 als Residential<br />
Sponsor die Auftritte dieses Weltklasseorchesters<br />
am Lucerne Festival. Seit 2000<br />
sind die Wiener Philharmoniker wesentlich<br />
mitbeteiligt bei der Jurierung und Verleihung<br />
des mit 75 000 Franken dotierten Credit<br />
Suisse Young Artist Award, den der Cellist<br />
Nicolas Altstaedt (siehe Seite 38) erhält.<br />
So werden die Salzburger Festspiele tatsächlich<br />
immer wieder zu Sommerbegegnungen.<br />
Mit Anne-Sophie Mutter etwa, die<br />
nächste Saison als Artist-in-Residence beim<br />
New York Philharmonic wirkt (Seite 40) und<br />
hier in Salzburg am 8. und <strong>10</strong>. August Wolfgang<br />
Rihms «Gesungene Zeit» aufführt. Damit<br />
sind wir beim Erfolgsrezept der Salzburger<br />
Festspiele angelangt, die, gleichsam in<br />
Ergänzung des traditionellen Kerns, immer<br />
auch den Aufbruch zu anderen Kontinenten<br />
wagen: Scelsi, Sciarrone, Varèse, Rihm.<br />
Am 27. Juli wird Wolfgang Rihms Oper<br />
«Dionysos» uraufgeführt, die rechtzeitig, aber<br />
keinen Tag früher fertig geschrieben wurde<br />
und der die Credit Suisse ihre traditionelle<br />
«Sommerbegegnung» für Journalisten widmet<br />
– und auch das aktuelle <strong>bull</strong>etin Leaderinterview<br />
(siehe Seite 78).<br />
Elektra und Lisa della Casa<br />
Gemäss dem Motto «Mythen. Wo Gott und<br />
Mensch zusammenstossen, entsteht Tragödie»<br />
lassen auch andere Veranstaltungen<br />
den Blick nach hinten – und nach innen – werfen.<br />
Erwähnt sei hier einzig «Elektra» (Premiere<br />
am 8. August) von Richard Strauss und<br />
Hugo von Hoffmannsthal, die von Daniele<br />
Gatti, dem Chefdirigenten des Opernhauses<br />
Zürich, geleitet wird. «Elektra» wird in Salzburg<br />
zum sechsten Mal aufgeführt, das letzte<br />
Mal, 1996, wurde sie von Lorin Maazel<br />
dirigiert, das erste Mal, 1957, finden wir in<br />
der Rolle der Chrysothemis die Schweizerin<br />
Lisa della Casa.<br />
In Salzburg trat Lisa della Casa bis 1960<br />
in 20 Rollen auf. Als Zdenka debütierte sie<br />
1947 in Richard Strauss’ «Ara bella», einem<br />
musikalischen Meisterwerk, bei der Arabellissima<br />
1958 die Titelrolle auf unvergessliche<br />
Weise interpretierte – nachzuhören im Rahmen<br />
der «Festspieldokumente» und bis<br />
13. August nachzusehen in der Ausstellung<br />
über Lisa della Casa und die Salzburger<br />
Festspiele am Paradeplatz in Zürich.<br />
Salzburg bietet aber auch vorausweisende<br />
Begegnungen. Hier erhalten junge Künstlerinnen<br />
und Künstler den letzten Schliff für<br />
eine Karriere, die sie an die meisten grossen<br />
Kulturhäuser bringen wird. Erstmals wird ein<br />
junger Komponist ausgezeichnet, schon länger<br />
wird das Young Directors Project mit<br />
Wettbewerbscharakter durchgeführt. Die<br />
Credit Suisse engagiert sich seit letztem Jahr<br />
beim Young Singers Project. Hier gibt es nur<br />
Sieger, die acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer,<br />
aber auch das Publikum, das zu vier<br />
Meisterkursen Zutritt erhält und am 26. August<br />
das Abschlusskonzert mit Dirigent Ivor<br />
Bolton nicht verpassen sollte. schi<br />
www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
36 Credit Suisse<br />
Erste Bühnenerfahrung<br />
für acht junge Sänger<br />
Junge, noch relativ unerfahrene Sänger stehen plötzlich im Rampenlicht,<br />
weil die Medien unaufhörlich Künstler ohne Falten sehen wollen.<br />
Mit dem Young Singers Project vermitteln die Salzburger Festspiele<br />
diesen Sängerinnen und Sängern wertvolle praktische Erfahrungen.<br />
Das Programm steht Talenten unter 30 Jahren<br />
offen. Ziel ist es, diese Sänger bekannt<br />
zu machen, ihnen eine internationale Bühne<br />
zur Verfügung zu stellen und zusätzliche<br />
Erfahrungen zu vermitteln. «Die praktische<br />
Erfahrung auf der Opernbühne ist genau das,<br />
was dem Nachwuchs oft fehlt», weiss die<br />
Leiterin des Young Singers Project, die<br />
Mezzosopranistin Marjana Lipovšek. «Junge<br />
Sänger finden sich heute oft plötzlich auf<br />
einer Opernbühne wieder, obwohl ihnen jegliche<br />
Erfahrung fehlt. Schuld daran sind<br />
die Medien und die führenden Plattenfirmen,<br />
die attraktive, schöne und vor allem faltenlose<br />
Interpreten sehen wollen. Hinzu kommt,<br />
dass das Publikum heute Zugang zu unzähligen<br />
hervorragenden Einspielungen all jener<br />
Opern hat, deren Aufführung sie beiwohnen.<br />
So können sie die Leistungen der Sänger auf<br />
der Bühne mit den Plattenaufnahmen zu<br />
Hause vergleichen. Für junge Opernsänger<br />
erhöht dies den Druck enorm.»<br />
Den acht ausgewählten Teilnehmenden<br />
steht ein arbeitsreicher Sommer bevor. Für<br />
Eine engagierte Ausbildnerin: Marjana Lipovšek mit Christina Daletska (2009).<br />
indi vi duelle Gesangsstunden sind Marjana<br />
Lipovšek und ihr Mann, der Bass Alfred<br />
Burg staller, zuständig. Daneben gibt es vier<br />
Meisterklassen. Diese werden von bekannten<br />
Künstlern geleitet, zu denen auch die<br />
deutsche Mezzosopranistin Christa Ludwig<br />
sowie der englische Bariton Sir Thomas Allen<br />
gehören. Auch wenn der Name dies suggerieren<br />
mag, geht es beim Young Singers<br />
Project nicht nur um die Gesangsausbildung:<br />
Schauspielerei, <strong>Bewegung</strong>straining, Tanz<br />
und Sprachunterricht gehören ebenfalls zu<br />
den Lehrinhalten, die von Berufsschauspielern<br />
und -tänzern vermittelt werden.<br />
«Unsere Talente haben die Möglichkeit,<br />
Bühnenproben beizuwohnen, hinter die Kulissen<br />
der Salzburger Festspiele zu blicken und<br />
so nachzuvollziehen, wie profes sionelle Opernsänger<br />
sich auf ihre Rollen vorbereiten. Dies<br />
ist eine unschätzbare praktische Erfahrung.<br />
Es werden ihnen auch die Fehler gezeigt, die<br />
man auf einer Bühne unbedingt vermeiden<br />
sollte», fügt Marjana Lipovšek hinzu. Durch<br />
ihre Teilnahme an den Proben können die<br />
Nachwuchssänger sehen, wie berühmte Regisseure,<br />
Dirigenten und Kollegen arbeiten.<br />
Profitieren von langjähriger Erfahrung<br />
Die bekannte Opernsängerin hat die Projektleitung<br />
übernommen, weil sie ihre Erfahrung<br />
mit Nachwuchssängern teilen wollte. «In<br />
meinen jungen Jahren standen mir erfahrene<br />
Opernsänger mit Rat und Tat zur Seite.<br />
Das hat mir sehr geholfen», betont Marjana<br />
Lipovšek. In den vergangenen 30 Jahren ist<br />
sie in mehr als 80 Opernaufführungen, Konzerten<br />
und Liederabenden im Rahmen der<br />
Salzburger Festspiele aufgetreten. «Man wird<br />
nicht über Nacht und selbst nicht innerhalb<br />
von zehn Jahren zu einem Opernstar. Das ist<br />
ein Prozess, der fast ein ganzes Leben lang<br />
dauert. Es gilt, Körper und Seele mit den<br />
Werken zu verbinden. Ein Sänger erreicht<br />
seinen gesanglichen Höhepunkt mit 40 oder<br />
45, wenn nicht sogar erst mit 50 Jahren»,<br />
weiss Marjana Lipovšek. Sie wird die Leitung<br />
des Young Singers Project sicher bis 2012<br />
ausüben. Und warum nicht auch noch darüber<br />
hinaus! «Das ist eine einzigartige Erfahrung,<br />
eine Aufgabe, die ich gerne und mit<br />
ganzem Herzen übernehme.»<br />
Strenges Auswahlverfahren<br />
Die Zulassung zum Young Singers Project<br />
ist sehr begehrt und wird als Qualitätssiegel<br />
betrachtet. Sänger aus der ganzen Welt, von<br />
Chicago bis Salzburg, werden zum Vorsingen<br />
eingeladen. «Die Stimme ist das wichtigste<br />
Qualitätskriterium. Sie muss bereits eine bestimmte<br />
Reife aufweisen», erläutert Marjana<br />
Lipovšek, die am diesjährigen Auswahlverfahren<br />
teilnahm. «Eine weitere Anforderung<br />
ist, dass die Sänger in der Lage sind, die<br />
vorgesehenen Opernpartien zu singen.»<br />
Dieses Jahr werden die Teilnehmenden<br />
Partien aus Mozarts «Don Giovanni», Richard<br />
Strauss’ «Elektra», Charles Gounods<br />
«Roméo et Juliette» und Christopher Glucks<br />
«Orfeo ed Euridice» einstudieren. Abschluss<br />
des Projekts wird ein Konzert sein, das am<br />
26. Au gust um 18 Uhr im grossen Auditorium<br />
der Stiftung Mozarteum in Salzburg stattfindet.<br />
Alle acht Sängerinnen und Sänger –<br />
Lena Belkina, Claudia Boyle, Wladimir Kapshuk,<br />
Antonio Poli, Emily Righter, André<br />
Schuen, Regine Isabella Sturm und Erika<br />
Wueschner – werden vom Mozarteumorchester<br />
Salzburg unter dem Dirigenten Ivor Bolton<br />
begleitet. Dorothee Enskog<br />
www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />
Foto: Wolfgang Lienbacher<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
38 Credit Suisse<br />
unbe deutenden Studenten, sein Lob mitzuteilen.<br />
Umgekehrt hatte ich selber seinem<br />
Meisterkurs so oft wie möglich beigewohnt.<br />
Seine Art zu spielen und zu unterrichten hat<br />
mich in den Bann gezogen. Als er versprach,<br />
mich in seine Klasse aufzunehmen, war das<br />
für mich gewissermassen der musikalische<br />
Ritterschlag.» Tatsächlich konnte Altstaedt<br />
bald schon einen Kurs bei ihm absolvieren,<br />
danach musste er aber noch ein Jahr warten,<br />
bis im Oktober 20<strong>03</strong> in Berlin ein Platz<br />
frei wurde.<br />
Auch menschlich ein Vorbild<br />
Spielt am 24. und 25. Juli sowie am 3. und 4. August am Davos Festival und danach am 24. August und am<br />
17. September am Lucerne Festival: Nicolas Altstaedt, Gewinner des Credit Suisse Young Artist Award 20<strong>10</strong>.<br />
«Boris Pergamenschikow<br />
hat mich stark geprägt»<br />
Nicolas Altstaedt ist der sechste Gewinner des Credit Suisse Young Artist<br />
Award. Am 17. September ist er zusammen mit den Wiener Philharmonikern<br />
unter der Leitung von Gustavo Dudamel am Lucerne Festival zu hören.<br />
«Wenn ich Beet hoven mit Nikolaus Harnoncourt<br />
höre, dann ist das in diesem Moment<br />
das Grösste für mich. Dasselbe gilt aber<br />
auch, wenn Carlos Kleiber ‹Tristan und Isolde›<br />
dirigiert. Es gibt so viele Beispiele, dass<br />
es unfair den anderen gegenüber wäre, wenn<br />
ich Einzelne allzu stark hervorheben würde»,<br />
erklärt Nicolas Altstaedt auf die Frage nach<br />
seinen Vorbildern. «Es gibt viele Künstler, die<br />
ich auf eine ganz eigene, individuelle Art<br />
bewundere und liebe. Gidon Kremer. Friedrich<br />
Gulda. Martha Argerich. Es müssen keineswegs<br />
immer Cellisten sein. Und auch ein<br />
Bild von van Gogh oder eine Kathedrale kann<br />
bei mir ähnliche Emotionen und Inspirationen<br />
auslösen.» Natürlich kommt man danach auf<br />
die verschiedenen Lehrer zu sprechen. Entscheidend<br />
geprägt wurde der junge Cellist<br />
von Boris Pergamenschikow.<br />
«2002 besuchte ich in Lübeck einen Meisterkurs<br />
bei Lynn Harrell. Nach dem Abschlusskonzert<br />
kam Boris Pergamenschikow<br />
auf mich zu und sagte mir, mein Vortrag eines<br />
virtuosen Stücks von Rostropowitsch habe<br />
ihm sehr gefallen», erinnert sich Altstaedt.<br />
«Ich war berührt, dass er sich extra die<br />
Zeit genommen hat, bei den Schülern des<br />
anderen Kurses zuzuhören und mir, dem<br />
«Wir waren eine tolle Klasse, fast wie eine<br />
Familie», schwärmt er. «Wir haben zusammen<br />
gegessen und einander beim Unterricht zugehört.<br />
Pergamenschikow hat sich viel Zeit<br />
für uns genommen und sich rührend um uns<br />
gekümmert. Nie werde ich vergessen, wie er<br />
gleich zu Beginn zu mir sagte: ‹Ich bin dein<br />
Sklave, ich bin jederzeit dafür da, dir zu helfen.›<br />
Das war keine Floskel. Er hat uns nie<br />
von oben herab unterrichtet, sondern jeden<br />
bei der Suche nach seinem eigenen Weg tatkräftig<br />
unterstützt.»<br />
Sein Tod kam 2004 – trotz längerer Krankheit<br />
– letztlich sehr plötzlich und war für seine<br />
Schüler ein tiefer Schock. Um wenigstens<br />
indirekt noch weiter profitieren zu können,<br />
liess sich Altstaedt in einer Übergangsphase<br />
von Pergamenschikows Assistent Claudio<br />
Bohorquez unterrichten.<br />
Die ersten Weichen waren indes bereits<br />
im Kindesalter gestellt worden. Nicolas<br />
Altstaedt, in Heidelberg geboren und in<br />
Gütersloh aufgewachsen, stammt aus einer<br />
Ärztefamilie. «Ich bin aber mit Musik aufgewachsen»,<br />
so der Preisträger des Credit<br />
Suisse Young Artist Award. «Mein Vater<br />
spielte Klavier und Cello und pflegte die<br />
Hausmusik.» Die Söhne erbten gewissermassen<br />
diese beiden Instrumente, Christoph<br />
verlegte sich aufs Klavier, der zwei Jahre<br />
jüngere Nicolas mit etwa sechs Jahren aufs<br />
Cello, dies auch, weil sein Vater fand, seine<br />
kräftigen Hände würden ausgezeichnet zum<br />
Cello passen.<br />
Von französischer in russische Schule<br />
Mit Marcio Carneiro fand Nicolas Altstaedt<br />
in Detmold den idealen Lehrer, bei dem er<br />
fünf Jahre lang blieb. «Ein hervorragender<br />
Cellist. Und ein hoch gebildeter Fanatiker,<br />
der völlig für die Musik lebt. Für mich als<br />
14-Jährigen genau der Richtige», weiss<br />
Nicolas Altstaedt. Seine Mutter ist Französin.<br />
Fotos: Terry Linke | Davos Festival<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 39<br />
Mag sein, dass er deshalb dem Vertreter der<br />
französischen Schule von André Navarra so<br />
zugetan war. Doch nach dem Abitur spürte<br />
Nicolas, dass er dringend eine Veränderung<br />
brauchte. Eine andere musikalische Luft atmen<br />
musste. In einem Meisterkurs lernte er<br />
Ivan Monighetti kennen und ging 2001 für<br />
zwei Jahre zu ihm nach Basel. Monighetti war<br />
ein Schüler von Mstislaw Leopoldowitsch<br />
Rostropowitsch, einem Vertreter der russischen<br />
Schule also – und doch nicht. «Er ist<br />
ein Individualist, nur schwierig einzuordnen.<br />
Ich schätze seine grosse Bandbreite. Er ist<br />
stilkundig in Barockmusik, aber ebenso in<br />
zeitgenössischer Musik.»<br />
Berlin als neuer Lebensmittelpunkt<br />
Eigentlich hätte Altstaedt länger bleiben können.<br />
Aber der Drang zu Pergamenschikow,<br />
einem engen Freund Monighettis, war stärker.<br />
«Ich bin dankbar, dass Ivan Monighetti<br />
Verständnis für meinen Entscheid zeigte»,<br />
blickt er zurück. «2008 hat er mich eingeladen,<br />
in Basel an einem Gedenkkonzert für<br />
Rostropowitsch teilzunehmen. Das war ein<br />
sehr gelungener, stimmungsvoller Anlass – so<br />
hat sich der Kreis geschlossen.»<br />
In Berlin traf Nicolas wieder auf seinen<br />
Bruder Christoph. Dieser hatte noch in Detmold<br />
den Entschluss gefasst, sich ganz aufs<br />
Dirigieren zu konzentrieren, und deshalb bereits<br />
2002 das Young Sound Forum of Central<br />
Europe gegründet.<br />
Nach dem Tode Pergamenschikows studierte<br />
Nicolas Altstaedt drei Jahre bei David<br />
Geringas, bei dem er 2008 das Konzertdiplom<br />
absolvierte. Seit April 2009 arbeitet<br />
er nun mit Eberhard Feltz zusammen. An ihm<br />
schätzt er vor allem die kammermusikalische<br />
und musikphilosophische Kompetenz.<br />
Das Repertoire des jungen Künstlers<br />
umfasst zahlreiche zeitgenössische Komponisten,<br />
so etwa Sofia Gubaidulina. Von<br />
Franghiz Ali-Zadeh interpretierte er beim<br />
Zermatt Festival ein ihm gewidmetes Werk<br />
als Uraufführung. Das Klavierquintett von<br />
Thomas Ades spielte er mit dem Komponisten<br />
in New York. Zu nennen sind auch Wolfgang<br />
Rihm, mit dem er am Davos Festival<br />
zusammenarbeitete, und Wilhelm Killmayer,<br />
den er ganz besonders schätzt. Doch auch<br />
mit der Musik des Barocks und der Klassik<br />
hat der vielseitige Preisträger des Credit<br />
Suisse Young Artist Award keinerlei Berührungsängste.<br />
schi<br />
www.nicolasaltstaedt.com;<br />
www.credit-suisse.com/lucernefestival<br />
Schatzalp ist Zauberberg<br />
«Zum Raum wird hier die Zeit», lautet das Motto des 25. Davos Festival<br />
vom 24. Juli bis zum 7. August für junge Talente aus der ganzen Welt.<br />
Das von Intendantin Graziella Contratto zusammengestellte<br />
Programm von 22 Konzerten<br />
mit 67 jungen Künstlern aus mehr als<br />
<strong>10</strong> Ländern enthält viele Höhepunkte. Die<br />
Wunschkonzerte der Intendanten Michael<br />
Haefliger (1986–1998), Dirk Nabering<br />
(1999–2000) und Thomas Demenga (2001–<br />
2006) etwa. Oder die vom Hornquartett David<br />
Guerrier gespielten Geburtstagsfanfaren.<br />
Und am Freitag, 30. Juli, wird im Hotel<br />
Schatzalp die Oper «Zauberberg – eine Oper<br />
im Kurhotel» uraufgeführt! Auf der gleichen<br />
Schatzalp, wo Literaturnobelpreisträger Thomas<br />
Mann in seinem Roman das legendäre<br />
«Curhaus» ansiedelt. Erst ein Mal wagte sich<br />
zuvor ein Opernkomponist an diesen Stoff<br />
heran, Robert Grossmann, der 2002 die Oper<br />
«Zauberberg» in Chur uraufführte. Und nun<br />
im Jahr 20<strong>10</strong> also Gregory Vajda.<br />
«Nur ein paar wenige Jahre nach meiner<br />
ersten Lektüre von Manns Zauberberg, natürlich<br />
auf Ungarisch, war ich zum ersten Mal<br />
Gast als Young Artist in Davos. Als junger<br />
Klarinettist war ich von diesem Ort hingerissen,<br />
fühlte mich magisch angezogen und<br />
heimisch zugleich. Fast 20 Jahre später kam<br />
ich als Dirigent des Ensemble Laboratorium<br />
2009 zurück», erklärt der 37-jährige Komponist<br />
und Dirigent. «Nach dem Konzert in<br />
der Lobby des Hotels Schatzalp schlug es<br />
mich wie vor den Kopf: Ich sah und hörte –<br />
einer filmischen Traumsequenz nicht unähnlich<br />
– eine Art Oper mit ein paar Sängern und<br />
einem Salonorchester. Ich fühlte mich mitten<br />
Das Hotel Schatzalp hat sich in den letzten Jahren als aussergewöhnlicher Konzertort<br />
etabliert. 2009 weilte Gregory Vajda mit dem Ensemble Laboratorium in Davos.<br />
in die Walpurgisnacht-Party versetzt. Der<br />
Zauberberg ist für mich ‹wortgewordene Musik›.<br />
Der Text ist jedenfalls viel zu musikalisch,<br />
um ihn nicht zu komponieren.»<br />
Ist Manns Zauberberg wortgewordene<br />
Musik, so ist Vajdas Zauberberg musikgewordenes<br />
Wort, ist die Rückführung des<br />
künstlerischen Flusses an seine Quelle. Regisseurin<br />
und Librettistin Bettina Geyer kann<br />
dabei nicht nur mit Künstlern wie Falko Hönisch<br />
(Hans Castorp), Sylvia Vadimova (Clawdia<br />
Chauchat), Michael Leibundgut oder<br />
Reto Hofstetter zusammenarbeiten, sondern<br />
spannt gleich auch noch die Zuschauer als<br />
Kurgäste ein. Gerry Hofstetter, den wir 2009<br />
auf seine Light Art Expedition nach Grönland<br />
begleiteten (siehe <strong>bull</strong>etin 3/2009), rückt zudem<br />
für die Credit Suisse das Hotel Schatzalp<br />
ins beste Licht, ins künstlerische Licht.<br />
«Musikinteressierte mit der Entdeckung<br />
von jungen Spitzentalenten zu überraschen –<br />
das gelingt dem Davos Festival beeindruckend<br />
gut », führt Almiro Carigiet, Leiter Private<br />
Banking Nordbünden der Credit Suisse,<br />
aus und freut sich, dass gleich drei Träger<br />
des internationalen Credit Suisse Young Artist<br />
Award zu hören sein werden. «Die Konzerte<br />
des Pianisten Michael Helmchen, des<br />
Bratschisten Antoine Tamestit und des Cellisten<br />
Nicolas Altstaedt sind eine einmalige<br />
Gelegenheit, Virtuosen zu hören, die inzwischen<br />
auf den grossen Bühnen der Welt zu<br />
Hause sind.» schi<br />
www.davosfestival.ch<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
40 Credit Suisse<br />
New York Philharmonic erstmals<br />
zu Gast in Georgien und Litauen<br />
Das älteste Symphonieorchester der USA und die Credit Suisse haben ihre erfolgreiche Partnerschaft<br />
bis Ende der Saison 2012/2013 verlängert. Verstärkt wird die Zusammenarbeit mit der Unterstützung eines<br />
jährlichen internationalen Bildungsprojekts.<br />
Ein historischer Moment im Mai 20<strong>10</strong>: Das New York Philharmonic spielt sein 15 000. Konzer t.<br />
Das Jahr 1842 ging in die Kulturgeschichte<br />
ein, denn damals wurden mit dem New York<br />
Philharmonic und den Wiener Philharmonikern<br />
gleich zwei der ältesten und renommiertesten<br />
Orchester der Welt ge gründet. Die<br />
Berliner Philharmoniker (1867), das Tonhalle-Orchester<br />
Zürich (1868), das Royal<br />
Concertgebouw Orchestra in Amsterdam<br />
(1888) oder auch das London Symphony<br />
Orches tra (1904) sind erst später entstanden;<br />
aber es gibt natürlich trotzdem einige<br />
noch ältere Orchester, die Sächsische<br />
Staats kapelle Dresden etwa oder das Gewandhausorchester<br />
Leipzig. Was die Anzahl<br />
Konzer te anbelangt, ist das New York Philharmonic<br />
jedoch klar führend: Am 5. Mai<br />
20<strong>10</strong> verbesserte das Orchester mit dem<br />
15 000. Konzert seinen eigenen Weltrekord<br />
und setzte einen weiteren, viel beachteten<br />
musikalischen Meilen stein.<br />
Neu ein Philharmonic-Festival<br />
Das Jubiläumskonzert fand im Rahmen eines<br />
von Alan Gilbert neu geschaffenen dreiwöchigen<br />
Philharmonic-Festivals in der Avery<br />
Fisher Hall im Lincoln Center statt, das<br />
dieses Jahr Igor Strawinsky gewidmet war.<br />
Der bekannte russische Komponist hatte<br />
85 Jahre zuvor mit dem New York Philharmonic<br />
sein Amerikadebüt als Dirigent gegeben.<br />
Geleitet wurde das Festival – und<br />
damit auch das Jubiläumskonzert – von Valery<br />
Gergiev. Der musikalische Leiter des<br />
Mariinskij Teatr in St. Petersburg und Dirigent<br />
des London Symphony Orchestra ist in<br />
New York bestens bekannt, da er von 1997<br />
bis 2008 als Hausdirigent der Metropolitan<br />
Opera gewirkt hat.<br />
Seit seiner Gründung spielten übrigens<br />
1590 Musikerinnen und Musiker als Mitglied<br />
des New York Philharmonic, und knapp<br />
47 Millionen Besucher konnten die 15 000<br />
Musikalische Meilensteine<br />
20<strong>10</strong><br />
5. Mai, 15 000. Konzert, Valery Gergiev<br />
1982<br />
3. Juli, <strong>10</strong> 000. Konzert, Zubin Mehta<br />
1959<br />
13. Dezember, 5000. Konzert, George Szell<br />
1916<br />
3. Mai, <strong>10</strong>00. Konzert, Josef Stransky<br />
Kon zerte live mitverfolgen. Indirekt waren es<br />
natürlich Unzählige mehr, denn kaum ein<br />
anderes Orchester der Welt hat derart viele<br />
Tonträger veröffentlicht wie das New York<br />
Philharmonic. Seit 1922 ist das Orchester<br />
praktisch ununterbrochen im Radio präsent,<br />
und heute gibt es eine preisgekrönte Podcast-Serie<br />
heraus.<br />
Partnerschaft um drei Jahre verlängert<br />
Gary W. Parr, Chairman der New York Philharmonic,<br />
Zarin Mehta, Präsident und Executive<br />
Director des Orchesters, und Paul Calello,<br />
CEO Credit Suisse Investment Banking, nutzten<br />
die Gelegenheit des Jubiläumskonzerts,<br />
um die Verlängerung der globalen Partnerschaft<br />
um weitere drei Jahre bekannt zu<br />
geben, das heisst bis zum Ende der Saison<br />
2012/2013. Die Credit Suisse sei ein fantastischer<br />
Partner des Orchesters, erklärte Parr,<br />
ein Unternehmen mit klarem Bekenntnis zu<br />
Qualität, Integrität und Innovation.<br />
Der bekannte Schauspieler Alec Baldwin,<br />
der jeweils die Radioübertragungen des<br />
Orchesters moderiert, wies generell auf die<br />
Bedeutung von Sponsorpartnern für die klassische<br />
Musik hin und betonte: «Wir können<br />
der Credit Suisse nicht genug dafür danken,<br />
was sie für die Kultur leistet – und speziell<br />
für die Kultur hier in New York.»<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 41<br />
Foto: New York Philharmonic<br />
Paul Calello, der Einsitz in den Vorstand des<br />
New York Philharmonic genommen hat,<br />
unterstrich die Bedeutung der Partnerschaft,<br />
welche den Kunden, den Mitarbeitenden und<br />
der Öffentlichkeit aussergewöhnliche Erlebnisse<br />
ermögliche. Das Orchester leiste zudem<br />
einen wichtigen Beitrag als lebendige<br />
und innovative Institution von New York City<br />
und sei, dank seiner ausgedehnten Tourneen,<br />
ein weltweit hoch geachtetes amerikanisches<br />
Kulturgut.<br />
Die Partnerschaft umfasst alle Konzerte<br />
des Orchesters weltweit sowie jährlich zwei<br />
Tourneen. Seit Beginn der Partnerschaft ermöglicht<br />
die Bank der Bevölkerung von New<br />
York zudem, die Generalprobe des Saisoneröffnungskonzerts<br />
gratis zu besuchen.<br />
Talentförderung und Bildungsprojekte<br />
Wie Toni J. Krein, Leiter Corporate Kultursponsoring<br />
Credit Suisse, erklärt, geniesst<br />
die Unterstützung junger Talente innerhalb<br />
der Bank hohe Priorität. Deshalb verfolgt die<br />
Credit Suisse dieses Ziel auch bei den von<br />
ihr unterstützten Kulturinstitutionen, indem<br />
sie ihnen hilft, den musikalischen Nachwuchs<br />
zu fördern. Das New York Philharmonic<br />
verfügt über ein umfassendes<br />
Förderprogramm sowohl in New York als<br />
auch international. Die Credit Suisse und das<br />
New York Philharmonic verstärken hierbei<br />
die Zusammenarbeit mit der Unterstützung<br />
eines jährlichen internationalen Bildungsprojekts<br />
in Form eines während mehrerer Monate<br />
durchgeführten Programms im Rahmen<br />
der Tourneetätigkeit des Orchesters.<br />
The Europe/Autumn 20<strong>10</strong><br />
Erstmals wird dieses Education Project auf<br />
die Tournee vom Mai 2011 hin umgesetzt.<br />
Zuvor steht aber die Tournee Europe/Autumn<br />
20<strong>10</strong> des New York Philharmonic an. Zwische<br />
n dem 21. Oktober und dem 4. November<br />
besucht das Orchester acht europäische<br />
Länder, darunter erstmals Georgien und<br />
Litauen. Für die Konzerte in Georgien konnte<br />
man als Solistin die aus Georgien stammende<br />
Violinistin Lisa Batiashvili gewinnen.<br />
In Deutschland, Serbien und Luxemburg<br />
hingegen wird Leonidas Kavakos das Violinkonzert<br />
von Jean Sibelius vortragen. Und in<br />
Warschau wird ein dritter Instrumentalist zu<br />
hören sein, nämlich der derzeit noch nicht<br />
bestimmte Gewinner des Internationalen<br />
Frédéric Chopin Klavier-Wettbewerbs 20<strong>10</strong>.<br />
Wie schon im ersten Jahr unter der Leitung<br />
von Music Director Alan Gilbert arbeitet das<br />
Orchester eng mit einem Komponisten und<br />
zwei Künstlern zusammen. Der Finne Magnus<br />
Lindberg, dessen Werk «EXPO» am 16. September<br />
2009 mit Erfolg uraufgeführt wurde,<br />
ist auch in der kommenden Saison als The<br />
Marie-Josée Kravis Composer-in-Residence<br />
tätig und wird ein weiteres Werk komponieren.<br />
Zudem wird am 7. Oktober sein Stück<br />
«Kraft» (1985) als New Yorker Premiere<br />
aufgeführt. Darüber hinaus leitet Lindberg<br />
zusammen mit Alan Gilbert, der dirigieren<br />
wird, am 19./20. November und am 17./<br />
18. Dezember zwei so genannte «CONTACT!»-<br />
Programme. In diesen werden Werke von<br />
James Matheson, Jay Alan Yim und ihm selbst<br />
als Weltpremieren zu hören sein. Zudem wird<br />
der Komponist das Publikum ins Programm<br />
einführen und dieses mit ihm diskutieren.<br />
Anne-Sophie Mutter in New York<br />
Nach dem Bariton Thomas Hampson konnte<br />
neu die deutsche Violinistin Anne-Sophie<br />
Mutter als The Mary and James G. Wallach<br />
Artist-in-Residence der Saison 20<strong>10</strong>/2011<br />
verpflichtet werden. Anne-Sophie Mutter<br />
spielte 1980 erstmals mit dem Orchester zusammen<br />
und begleitete dieses 1996 auf eine<br />
Europatournee. Letztmals trat sie am 2. April<br />
2009 mit dem New York Philharmonic unter<br />
Kurt Masur auf.<br />
Am 18. November wird Anne-Sophie<br />
Mutter, die bekannte Mozart- und Beethoven-<br />
Interpretin, als Weltpremiere «Lichtes Spiel»<br />
von Wolfgang Rihm (siehe Interview Seite 78)<br />
spielen und am 2. Juni 2011 Sebastian<br />
Curriers «Time Machines». Dazu führt sie<br />
am 3. April zusammen mit dem Bassisten<br />
Roman Patkoló als Weltpremieren zwei Kammermusikstücke<br />
von Wolfgang Rihm und<br />
Krzysztof Penderecki auf.<br />
Schliesslich wird im Frühjahr unter dem<br />
Titel «Hungarian Echos» das dreiwöchige<br />
Philharmonic-Festival wieder durchgeführt.<br />
Gastdirigent ist der bekannte finnische Komponist<br />
Esa-Pekka Salonen.<br />
Erwähnenswert ist auch das <strong>10</strong>0. Konz e r t<br />
des Pianisten Emanuel Ax als Solist beim<br />
New York Philharmonic im April 2011. Und<br />
noch etwas später, im Juni 2011, wird Alan<br />
Gilbert «Das schlaue Füchslein» des Komponisten<br />
Leos Janacek aufführen.<br />
Informative Website<br />
Das detaillierte Programm der neuen Saison<br />
20<strong>10</strong>/2011 kann auf der Website des New<br />
York Philharmonic unter http://nyphil.org<br />
eingesehen werden. schi<br />
New York Philharmonic<br />
und Alan Gilbert<br />
Zum dritten Mal begleitet die Credit Suisse als<br />
Global Sponsor das New York Philharmonic<br />
auf einer Europatournee. Sie führt in neun Städte<br />
in acht verschiedenen Ländern. Auf der Europakarte<br />
unten sind auch die Städte eingezeichnet, die<br />
das Orchester 2008 und 2009 besucht hat.<br />
The Europe/Autumn 20<strong>10</strong><br />
21. Oktober<br />
Tiflis<br />
Georgien<br />
22. Oktober<br />
Batumi<br />
Georgien<br />
24. Oktober<br />
Belgrad<br />
Serbien<br />
26. Oktober<br />
Ljubljana<br />
Slowenien<br />
28. und 29. Oktober<br />
Warschau<br />
Polen<br />
30. Oktober<br />
Vilnius<br />
Litauen<br />
1. November<br />
Hamburg<br />
Deutschland<br />
2. November<br />
Paris<br />
Frankreich<br />
3. und 4. November<br />
Luxemburg<br />
Luxemburg<br />
2008 2009 20<strong>10</strong><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
42 Credit Suisse<br />
Johannes Suter: «Die SVC-AG für KMU Risikokapital kümmert sich nicht nur um Hightechunternehmen,<br />
sondern kann auch das Gewerbe unterstützen, beispielsweise bei einem Management-Buy-out.»<br />
«Unsere Ziele sind Stärkung<br />
des Industriestandorts und<br />
neue Arbeitsplätze»<br />
Die Credit Suisse hat auf die Hauptsorge des Sorgenbarometers des <strong>bull</strong>etin<br />
reagiert und drei Initiativen lanciert: die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit<br />
(siehe Seite 52), die Schaffung von IT-Arbeitsplätzen sowie die Förderung<br />
etablierter und neuer KMU durch Risikokapital. Wir unterhielten uns mit Johannes<br />
Suter, CEO der SVC-AG für KMU Risikokapital (siehe auch Seite 31).<br />
<strong>bull</strong>etin: Die SVC-AG für KMU Risikokapital<br />
wurde am 5. Mai 20<strong>10</strong> gegründet<br />
und verfügt über <strong>10</strong>0 Millionen Franken.<br />
Wie lange reicht dieses Kapital aus?<br />
Johannes Suter: Unser Unternehmen hat<br />
dauerhaften Bestand. Man darf das Wort<br />
«Risiko» nicht falsch verstehen. Es bedeutet,<br />
dass der betreffende Partner die erforderlichen<br />
Kriterien für einen herkömmlichen<br />
Bankkredit nicht erfüllt. In der Regel verfügt<br />
er über zu wenige Eigenmittel, um den geplanten<br />
Entwicklungsschritt vorzunehmen.<br />
Aber wir gehen kein Hasardspiel ein, sondern<br />
investieren nach kaufmännischen Gesichtspunkten<br />
und sind deshalb vom Erfolg des<br />
jeweiligen Geschäftspartners überzeugt. Von<br />
Vorteil für uns ist sicher auch, dass wir<br />
von der Credit Suisse, unserer Muttergesellschaft,<br />
das Kapital zur Verfügung gestellt<br />
bekommen, ohne konkrete Dividendenerwartungen<br />
erfüllen zu müssen und dass wir auch<br />
vom Know-how und von der Vernetzung des<br />
Swiss Venture Club unentgeltlich pro fitieren<br />
können. Es findet ein Kreislauf statt: Die<br />
zurückbezahlten Darlehen mitsamt Zinsen<br />
und Gewinnbeteiligungen werden erneut in<br />
innovative Unternehmen zur Stärkung des<br />
Industriestandorts Schweiz investiert, womit<br />
wiederum neue Arbeitsplätze geschaffen<br />
werden können.<br />
Fragen wir also korrekt: Wann sind<br />
die <strong>10</strong>0 Millionen Franken investiert und in<br />
wie viele Unternehmen?<br />
Wir gehen davon aus, dass wir in drei bis vier<br />
Jahren, das heisst Ende 2013, voll investiert<br />
sind. Unser kleines Team wird schätzungsweise<br />
<strong>10</strong>00 bis 1500 Investment-Anfragen<br />
analysieren und davon rund <strong>10</strong> Prozent an<br />
das Investment Committee weiterleiten. Dieses<br />
wird unsere Anträge nicht einfach abnicken,<br />
sondern sie nochmals sehr kritisch<br />
prüfen. Schliesslich werden 60 bis 80 Investments<br />
in der Höhe von in der Regel maximal<br />
zwei Millionen Franken getätigt.<br />
Wer profitiert ? Beim Begriff Risikokapital<br />
denkt man an Start-up-Unternehmen.<br />
Jungunternehmen gehören selbstverständlich<br />
zu unserer Zielgruppe. Deshalb arbeiten<br />
wir möglichst eng mit den Schweizer Universitäten<br />
und Hochschulen zusammen. Dabei<br />
konzentrieren wir uns auf die Förderung<br />
von Unternehmerprojekten, die kurz vor der<br />
Marktlancierung stehen. Unser Engagement<br />
ist jeweils auf fünf bis sieben Jahre angelegt<br />
und beinhaltet eine enge Begleitung dieser<br />
Jungunternehmer, insbesondere natürlich<br />
deren Unterstützung durch Fachexpertise.<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 43<br />
Fotos: Sebastian Schiendorfer | Martin Stollenwerk<br />
Können sich auch bestehende Unternehmen<br />
an Sie wenden?<br />
Ja, die Mehrzahl unserer Investments wird<br />
etablierte KMU betreffen. Damit wollen wir<br />
die Leistung anerkennen, welche die KMU seit<br />
jeher für den Werkplatz Schweiz er bring e n<br />
Sie sind das Rückgrat unserer Wirtschaft.<br />
2009 hat die Credit Suisse zusammen mit<br />
der Hochschule St. Gallen eine Studie über<br />
Unternehmensnachfolge publiziert. Diese hat<br />
gezeigt, dass innert fünf Jahren ein Viertel<br />
aller Schweizer KMU, die total knapp eine<br />
Million Menschen beschäftigen, eine Nachfolgeregelung<br />
treffen müssen. Dabei fehlt<br />
es für ein vielversprechendes Management-<br />
Buy-out (MBO) oder Management-Buy-in<br />
(MBI) oftmals am nötigen Eigenkapital. In<br />
solchen Fällen sind wir zur Stelle.<br />
Sind weitere Fälle denkbar?<br />
Wir können auch bei der Umsetzung von<br />
innovativen Wachstumsprojekten helfen, die<br />
zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Dabei<br />
kann es sich um neue Produkte oder Dienstleistungen,<br />
die Erschliessung neuer Märkte,<br />
aber auch um Akquisitionen oder Joint Ventures<br />
handeln. Hier dauern die Investitionen<br />
vier bis fünf Jahre. Die Beteiligung wird 49<br />
Prozent des Eigenkapitals nie überschreiten,<br />
und es ist keine kontrollie rende Einflussnahme,<br />
etwa durch Einsitz in den Verwaltungsrat,<br />
vorgesehen.<br />
Was zeichnet die SVC-AG für KMU<br />
Risikokapital speziell aus?<br />
Wir haben zwar klare Regeln aufgestellt hinsichtlich<br />
der Leistungsausweise des Managements,<br />
der branchenüblichen Kennzahlen<br />
und der Schaffung neuer Arbeitsplätze, aber<br />
wir sind gleichzeitig sehr flexibel, sowohl was<br />
die Situation der unterstützten Unternehmen<br />
als auch was die konkrete Finanzierungslösung<br />
anbelangt. Die «ungesicherten» Darlehen<br />
mit Eigenkapitalcharakter, welche die<br />
Finanzierungsstruktur der KMU verbessern,<br />
werden zu vorteilhaften Konditionen gewährt,<br />
dafür profitieren wir dann von einer partnerschaftlichen<br />
Erfolgsbeteiligung.<br />
Wie fielen die ersten Reaktionen aus?<br />
Ich bin erfreut, wie schnell sich unsere Existenz<br />
bei den KMU und an den Hochschulen<br />
herumgesprochen hat, nachdem wir ja erst<br />
am 3. Juni mit Orientierungsveranstaltungen<br />
in Zürich, Bern und Lausanne an die Öffentlichkeit<br />
getreten sind. Und die Reaktionen<br />
sind durchwegs positiv und motivierend. schi<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.svc-risikokapital.ch<br />
Die Firmenfahrzeuge<br />
effizient bewirtschaften<br />
Die Credit Suisse Fleetmanagement AG bietet Unternehmen seit zehn<br />
Jahren flexible und kostengünstige Lösungen für eine effiziente Bewirtschaftung<br />
und Finanzierung von Firmenfahrzeugen. Wie gross der Bedarf für solche<br />
Dienstleistungen ist, zeigt das Beispiel der Burkhalter Gruppe, der grössten<br />
Kundin der von Roger Merki geführten Tochtergesellschaft der Credit Suisse.<br />
«Mobilität nimmt bei uns einen sehr hohen<br />
Stellenwert ein. Deshalb ist ein professionelles<br />
Management unserer Fahrzeuge unerlässlich»,<br />
betont Yvonne Lamprecht, Fahrzeugver<br />
antwortliche der Burkhalter Gruppe.<br />
Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich<br />
und rund 2800 Mitarbeitenden bietet Elektrotechnikleistungen<br />
für Wohngebäude, Industrie-<br />
und Gewerbebauten sowie Infrastrukturanlagen<br />
an.<br />
Da die meisten Arbeiten direkt beim Kunden<br />
ausgeführt werden, ist man darauf angewiesen,<br />
dass sich die Firmenfahrzeuge<br />
stets in einwandfreiem Zustand befinden,<br />
damit die Mitarbeitenden einfach und schnell<br />
von Ort zu Ort gelangen. Um die Bewirtschaftung<br />
ihrer Fahrzeugflotte in Bezug auf die<br />
Kosten effizienter und transparenter zu gestalten,<br />
entschloss sich die Burkhalter Gruppe<br />
im Jahr 2001 nach Prüfung verschiedener<br />
Optionen, die gesamte Firmenflotte – es sind<br />
dies bis zu <strong>10</strong>00 Fahrzeuge – von der Credit<br />
Suisse Fleetmanagement AG betreuen zu<br />
lassen. Die hundertprozentige Tochtergesellschaft<br />
der Credit Suisse, die im Mai 20<strong>10</strong> ihr<br />
zehnjähriges Jubiläum feiern konnte, bietet<br />
eine Vielzahl von Lösungen für das professionelle<br />
Management von Firmenfahrzeugen<br />
an. Den Kunden stehen verschiedene im Baukastenprinzip<br />
wählbare Dienstleistungen zur<br />
Verfügung, wie Geschäftsführer Roger Merki<br />
ausführt. Neben dem vollen Angebot von<br />
Finanzierung und Bewirtschaftung der ganzen<br />
Flotte kann beispielsweise auch nur die<br />
Bewirtschaftung oder die Finanzierung ausgelagert<br />
werden. Weiter werden Lösungen für<br />
Kadermitarbeiter sowie die Über nahme einer<br />
bestehenden Flotte ins Leasing angeboten.<br />
Betriebskosten können gespart werden<br />
«Das Flottenleasing ist nur ein erster Schritt<br />
in Richtung Kostenreduktion. Mit der optimalen<br />
Verwaltung der Fahrzeuge können noch<br />
weitere Kosten gespart werden, beispielsweise<br />
bei der Reifenbeschaffung oder beim<br />
Fahrzeugkauf», streicht Roger Merki zwei der<br />
Vorteile hervor. Für den Erfolg sei es wichtig,<br />
dass die Spezialisten des Flottenmanagements<br />
die Bedürfnisse der Kunden umfassend<br />
verstehen. Nur so könnten sie flexible<br />
Lösungen entwickeln, die den individuellen<br />
Anforderungen der Kunden entsprechen. ><br />
Yvonne Lamprecht und Roger Merki besichtigen die gelben Visitenkarten der Burkhalter Gruppe.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
44 Credit Suisse<br />
Angestrebt werden dabei möglichst langfristige<br />
Partnerschaften, damit die direkten und<br />
indirekten Kosten optimiert werden können.<br />
Eine einheitliche gelbe Visitenkarte<br />
Für den Marktauftritt der Burkhalter Gruppe<br />
ist es zum Beispiel von entscheidender Bedeutung,<br />
dass die ganze Flotte korrekt und<br />
ein heitlich angeschrieben ist. Was heute als<br />
eine Selbstverständlichkeit erscheint, war in<br />
der Vergangenheit nur selten der Fall.<br />
«Unsere gelben Fahrzeuge sind die Visitenkarten<br />
unserer Mitarbeitenden», führt Yvonne<br />
Lamprecht dazu aus. Mit über 40 To c ht e r-<br />
gesellschaften und entsprechenden Submarken<br />
sei das einheitliche Erscheinungsbild<br />
jedoch nicht leicht umsetzbar gewesen.<br />
«Seit wir mit der Credit Suisse Fleet management<br />
AG zusammenarbeiten, können wir<br />
die Fahrzeuge fixfertig beschriftet ausliefern<br />
und somit die Einhaltung un seres Corporate<br />
Design sehr ge nau kontrol lieren», erklärt sie<br />
zufrieden. «Dies ist angesichts des dezentralen<br />
Geschäftsmodells ein grosser Vorteil.»<br />
Bald 5000 Einzelleasingverträge<br />
«Immer mehr Firmen wollen sich auf ihr Kerngeschäft<br />
konzentrieren und das Bewirtschaften<br />
ihrer Fahrzeugflotte auslagern. Dies umso<br />
mehr, als sie auf diese Weise auch ihre<br />
Liquidität schonen können», zieht Christoph<br />
Zeller, Verwaltungsratspräsident der Credit<br />
Suisse Fleetmanagement AG, Bilanz. «Das<br />
Baukastensystem und die Fachkom petenz<br />
der Mitarbeitenden ermöglichen flexible Lösungen.<br />
Mittlerweile bestehen über 4800<br />
Einzelleasingverträge. Flottenleasing ist für<br />
unsere Kunden in der ganzen Schweiz zu<br />
einem Schlüssel für mehr Un terneh menserfolg<br />
geworden.» Wenn die Entwicklung im<br />
gleichen Tempo weitergeht, wird man bald<br />
ein nächstes Jubiläum feiern können – den<br />
5000. Einzelleasingvertrag. Fabienne de Lannay<br />
Wieder vermehrt <strong>Bewegung</strong><br />
in der Geschäftsluftfahrt<br />
Die Jubiläumsausstellung EBACE auf dem Genfer Flughafenareal hat<br />
ein drücklich aufgezeigt, dass die Geschäftsluftfahrt ihre knapp zwei Jahre<br />
dauernde Baisse überwunden hat und allmählich wieder durchstartet.<br />
Dabei erhält neben Sicherheit und Komfort zusehends auch der Umweltschutzaspekt<br />
zusätzliches Gewicht.<br />
An der dreitägigen Business-Aviation-Fachmesse<br />
EBACE (European Business Aviation<br />
Convention & Exhibition) wurden Anfang Mai in<br />
Genf die aktuellen Entwicklungen in der Geschäftsluftfahrt<br />
vorgestellt. So betonte beispielsweise<br />
der Flugzeughersteller Dassault<br />
Falcon seine Anstrengungen im Bereich Umweltschutz.<br />
Gleichzeitig konnte er den Platinum<br />
Safety of Flight Award für 50 Jahre oder<br />
<strong>10</strong>0 000 Flugstunden ohne Unfall entgegennehmen;<br />
vier weitere Unternehmen wurden<br />
für 20 bis 40 unfallfreie Jahre ausgezeichnet.<br />
Verlorene Geschäftszeit ist teuer<br />
« Es ist für die breite Öffentlichkeit nicht einfach,<br />
sich ein stimmiges Bild von der Business<br />
Aviation zu machen. Fest steht: In der<br />
Luft hat es keinen Platz für Abenteurer, welche<br />
ihre eigene Sicherheit und die von anderen<br />
gefährden. Und die Flugzeuge sind mit<br />
wenigen Ausnahmen keine Prestigeobjekte,<br />
mit denen man Luxusreisen unternimmt, mit<br />
dem einzigen Ziel, in die Medien zu kommen»,<br />
meint dazu Michael Rentsch, seit April 20<strong>10</strong><br />
Leiter Aviation Finance Credit Suisse. «Die<br />
Jets unserer Kunden werden gezielt eingesetzt,<br />
um in Regionen, die durch die öffentliche<br />
Luftfahrt nicht gut erschlossen<br />
sind, wertvolle Geschäftszeit zu sparen. Diese<br />
Flüge wurden aus Kostengründen schon<br />
immer auf ein Minimum reduziert.» Wird diese<br />
technologisch hoch spezialisierte wie schillernde<br />
Industrie tatsächlich nur von rationalen<br />
Entscheiden geprägt? «Wir sind ein führender<br />
Anbieter im oberen Segment. Was diese<br />
Kundschaft betrifft, dominieren in erster Linie<br />
unternehmerische Ansätze zur Deckung<br />
der Mobilitätsbedürfnisse», ergänzt Rentsch.<br />
«Allerdings gilt es die hohe emotionale Bindung,<br />
die den Unternehmer mit seinem Flugzeug<br />
verbindet, nicht zu unterschätzen. Nicht<br />
selten ist das Flugzeug sein ‹Zuhause› zwischen<br />
zwei Kontinenten – und dies mehrmals<br />
die Woche. Deshalb wird grosser Wert auf<br />
eine individuelle Innenausstattung gelegt.<br />
Und hier wird in der Regel nicht gespart. Aber<br />
wenn ich sehe, was etwa Jet Aviation in Basel<br />
in Sachen Design und Komfort zus t a n d e<br />
bringt, muss ich gestehen: Mir gefällts.»<br />
Die EBACE ist zwar öffentlich zugänglich,<br />
aber nicht als Publikumsmesse konzipiert. Die<br />
über 11 000 Personen, die vor den 400 Ständen<br />
in der Palexpo und bei den 63 Flugzeug e n<br />
auf dem Static Display für ein or dent liches<br />
Gedränge sorgten, sind also nicht gewöhnliche<br />
Aviatikbegeisterte, sondern meist Business-Aviation-Fachleute,<br />
An wälte, Makler,<br />
Betreiber (Operator) und auch Kaufinteressierte.<br />
Deshalb dient die EBACE auch als<br />
gutes Stimmungsbarometer. Und da könnte<br />
der Kontrast zur letztjährigen Messe kaum<br />
grösser sein. «Der Himmel ist zwar noch<br />
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1 2<br />
1 Michael Rentsch, Leiter Aviation Finance, hat gut lachen: Am Stand der Credit Suisse fanden viele<br />
Gespräche mit Partnern statt. 2 Bei den Business Jets wird Wert auf die Innenausstattung gelegt.<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 45<br />
leicht bedeckt, aber die dunklen Gewitterwolken<br />
haben sich verzogen», veranschaulicht<br />
Michael Rentsch. «Es geht eindeutig<br />
wieder aufwärts, zumal sich ein gewisser<br />
Nachholbedarf bemerkbar macht.»<br />
Piloten, Juristen und Ingenieure im Team<br />
Die letzten zwei Jahre seien auch an der<br />
Credit Suisse nicht spurlos vorbeigegangen,<br />
erklärt Rentsch, aber man gehe gestärkt aus<br />
der Krise hervor. «Spreu und Weizen haben<br />
sich getrennt», begründet er. «Einige Finanzdienstleister,<br />
die allzu knapp kalkuliert haben,<br />
sind vom Markt verschwunden. Umgekehrt<br />
wird unser ganzheitlicher Relationship-Ansatz<br />
noch mehr gewürdigt.» Tatsächlich befinden<br />
sich im rund 20-köpfigen Aviation-Finance-<br />
Team der Credit Suisse neben Finanzspezialisten<br />
auch Piloten, Juristen oder Ingenieure.<br />
Denn bis ein Flugzeug wirklich abheben<br />
kann, muss mehr als nur der Kauf bewerkstelligt<br />
sein. Die Vertragswerke füllen gut und<br />
gerne zwei Bundesordner, und die Kunden<br />
schätzen es, wenn der Finanzspezialist diese<br />
zu lesen versteht.<br />
Michael Rentsch zur Zukunft: «Die Finanzierung<br />
von Business Jets ist ein Nischenprodukt<br />
für Unternehmer mit globalen F i n a n z -<br />
und Mobilitätsbedürfnissen, die oft in jungen,<br />
dynamischen Volkswirtschaften agieren und<br />
investieren. Das grösste Wachstumspotenzial<br />
sehe ich in den BRIC-Staaten, in Brasilien,<br />
Russland, Indien und China.» schi<br />
An der EBACE in Genf wurde eine eindrückliche Flotte verschiedener Geschäftsflugzeuge vorgestellt. In der<br />
globalisierten Wirtschaftswelt sind solche Flugzeuge für viele Unternehmer ein unentbehrliches Hilfsmittel.<br />
Fotos: Cédric Widmer<br />
Ein Märchen geht weiter und erhält einen Preis<br />
Mit Jet Aviation ist die Schweiz 1967 im grossen Stil ins Geschäft mit Businessflugzeugen<br />
eingestiegen. Einer der Pioniere, Elie Zelouf, wurde nun geehrt. Noch wichtiger<br />
ist aber, dass eine Nachfolgeregelung mit Zukunftspotenzial gefunden wurde.<br />
Alljährlich vergeben die Organisatoren der<br />
Ausstellung, die European Business Aviation<br />
Association (EBAA) und die amerikanische<br />
National Business Aviation Association<br />
(NBAA), neben den Sicherheitsauszeichnungen<br />
auch zwei European Business Aviation<br />
Awards. Den einen erhielt der Pariser Flughafen<br />
Le Bourget, weil er sich als erster<br />
euro päischer Flughafen auf Geschäftsflüge<br />
konzentrierte und in den nächsten 20 Jahren<br />
rund 170 Millionen Euro in den Ausbau<br />
investieren will.<br />
Geehrt wurde indes auch Elie Zelouf, ein<br />
«wahrer visionärer Leader der Geschäftsluftfahrt»,<br />
so EBAA-Verwaltungsratspräsident<br />
Rodolfo Baviera in seiner Laudatio. Der Name<br />
Elie Zelouf wiederum ist untrennbar mit<br />
der 1967 von Carl W. Hirschmann in Basel<br />
gegründeten Jet Aviation verbunden. Erst<br />
2009 zog sich Zelouf im Alter von 75 Jahren<br />
in den wohlverdienten Ruhestand zurück –<br />
und doch nicht, denn nach wie vor stellt<br />
er sich an zwei Tagen pro Woche als Berater<br />
zur Verfügung. Jet Aviation hat gewissermassen<br />
die Idee der Geschäftsluftfahrt nach<br />
Europa gebracht und sich zunächst auf die<br />
Wartung und Reparatur von Flugzeugen und<br />
deren elektrischen und elektronischen Geräten<br />
(Avionik) spezialisiert. Später kamen<br />
Airtaxi-Dienstleistungen, Flugzeugmanagement<br />
und Flight-Support, Abfertigung und<br />
Bodendienste sowie Flugzeuginnenausstattungen<br />
hinzu. Mittlerweile beschäftigt das<br />
Unternehmen über 5000 Mitarbeitende und<br />
konnte 2008 auch eine optimale Nachfolgeregelung<br />
umsetzen. «Der Zusammenschluss<br />
mit dem amerikanischen Rüstungskonzern<br />
General Dynamics, zu welchem die Aerospace<br />
Gruppe mit Gulfstream (Flugzeugbauer)<br />
und Jet Aviation gehört, erweist sich<br />
für beide Seiten als Win-win-Situation», betont<br />
Peter Graham Edwards, President Jet<br />
Aviation. «Wir können sehr vom Know-how<br />
und vom globalen Beziehungsnetz von General<br />
Dynamics profi tieren. Deshalb bin ich<br />
sehr zuversichtlich in Bezug auf Arbeitsplätze,<br />
insbesondere jene in der Schweiz.» schi<br />
<br />
Mehr über Jet Aviation unter<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
46 Credit Suisse<br />
Business School:<br />
international tätig,<br />
international akkreditiert<br />
Die Business School der Credit Suisse hat Anfang Juni in Wiesbaden zum<br />
zweiten Mal den CLIP Award erhalten: Diese Auszeichnung der European<br />
Foundation for Management Development (EFMD) belegt, dass die Bank zu<br />
den Besten in der Entwicklung und Förderung ihrer Mitarbeitenden gehört.<br />
Corporate Learning Improvement Process –<br />
kurz CLIP – ist eine der höchsten Anerkennungen,<br />
die unternehmenseigene Weiterbildungsorganisationen<br />
erhalten können.<br />
Wer diesen Zertifizierungsprozess besteht,<br />
hat die Bescheinigung, über ein erstklassiges<br />
und richtungsweisendes Aus- und Weiterbildungsangebot<br />
zu verfügen.<br />
Unternehmen stehen heute mehr denn je<br />
unter Druck und müssen ihre Prozesse für<br />
die Weiterbildung und Entwicklung der Mitarbeitenden<br />
strategisch lenken und einbetten:<br />
Es gilt, die fähigsten Führungspersonen<br />
zu gewinnen und im Unternehmen zu be halten,<br />
Führungskräfte fit zu machen, Strateg i e,<br />
Kompetenzen und Verhaltensweisen miteinander<br />
in Einklang zu bringen sowie Leistungsvermögen<br />
und Innovationskraft zu fördern.<br />
Entsprechend nehmen Weiterbildungsbereiche<br />
in Unternehmen eine strategische<br />
Funktion ein. Das Mandat der Business<br />
School basiert denn auch auf den strategischen<br />
Geschäftszielen der Bank und beinhaltet<br />
die konsequente Beurteilung, Förderung<br />
und Weiterbildung der Mitarbeitenden<br />
sowie der Führungskräfte weltweit.<br />
Der Qualität verpflichtet<br />
Wie bedeutend und wirksam eine Lernor ganisation<br />
ist, zeigt sich einerseits in der internen<br />
Qualitätskontrolle. Andererseits ist ein<br />
anspruchsvolles externes Assessment ein<br />
geeigneter Gradmesser für die Effektivität.<br />
CLIP – basierend auf der EQUIS-Qualitätsbeurteilungs-Methode<br />
– identifiziert die<br />
Schlüsselfaktoren, die für Lernorganisationen<br />
erfolgsbestimmend sind. Die Business<br />
School hat diesen Prozess nun zum zweiten<br />
Mal durchlaufen, nachdem sie bereits 2005<br />
als erste Bank mit dem CLIP Award ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Nach einer umfassenden Selbstbeurteilung,<br />
die einem detaillierten Kriterienraster<br />
Übergabe des CLIP Award an Siegfried Hoenle<br />
(Zweiter von links) in Wiesbaden.<br />
folgt, überprüften im Mai dieses Jahres mehrere<br />
EFMD-Repräsentanten die Business<br />
School auf Herz und Nieren. Die Grundlage<br />
dazu bildete eine breite Palette von Kriterien,<br />
deren Erfüllung zusätzlich durch Interviews<br />
mit Kunden und Stakeholdern der Business<br />
School beurteilt wurde: Dazu gehören etwa<br />
Positionierung und Angebot der Lernorganisation,<br />
die Qualität des Lernprozesses, Instrumentarien<br />
für das Messen des Lernerfolgs,<br />
Innovationen oder die globale Ausrichtung.<br />
Zur Qualitätskontrolle gehören selbstredend<br />
auch extensive Gespräche mit den<br />
internen Partnern im Linienmanagement:<br />
Trägt die Business School zur Erreichung<br />
strategischer Ziele bei? Versteht die Business<br />
School den internen und externen<br />
Markt ? Wie wird die Qualität der Prozesse<br />
und Programme beurteilt ? Welches ist die<br />
Kernkompetenz der Lernorganisation? Misst<br />
diese den Einfluss der Lernprogramme auf<br />
den Geschäftserfolg und wie? Für die CLIP-<br />
Rezertifizierung wurden innerhalb von zwei<br />
Tagen Interviews mit 27 Führungspersönlichkeiten<br />
in der Credit Suisse geführt, unter<br />
anderen mit Walter Berchtold, CEO Private<br />
Banking, Kai Nargolwala, CEO APAC, sowie<br />
Pamela Thomas-Graham, Chief Talent,<br />
Branding and Communications Officer, zu<br />
deren Verantwortungsbereich die Business<br />
School gehört.<br />
«Die Messlatte war hoch gelegt – als<br />
‹Areas of Excellence› der Business School<br />
wurden besonders folgende hervorgehoben:<br />
Integration von Human Capital Management,<br />
Lernen und Organisationsentwicklung, globale<br />
Positionierung der Business School,<br />
Integration im Bereich Human Resources,<br />
Nähe zu den internen Partnern und unsere<br />
mannigfaltigen Lernmethoden», sagt Siegfried<br />
Hoenle, Leiter Business School. «Es<br />
ist das Ziel der Business School, die Mitarbeitenden<br />
zu befähigen, zum Erfolg der<br />
Bank beizutragen – dies wurde nun erneut<br />
auch extern anerkannt, und darauf sind wir<br />
stolz.» Nicole Baumann<br />
4883 Kurse, 70 000 Teilnehmende<br />
Die Vermittlung und Förderung<br />
von Fachwissen gehört zu den<br />
Kern aufgaben der Business School.<br />
In enger Zusammenarbeit mit den<br />
Geschäftsbereichen verfeinert sie<br />
laufend ihr Angebot im Bereich<br />
Leadership und Management und<br />
unterstützt die Mitarbeitenden darin,<br />
ihre Führungskompetenzen<br />
zu festigen. Um einen leichten Zugang<br />
zu relevantem Wissen zu ermöglichen,<br />
investiert die Business<br />
School kontinuierlich in techno logie<br />
basierte Methoden. 2009 führte<br />
die Business School 4883 Kurse<br />
durch, wovon 587 Leadership Trainings.<br />
Fast 70 000 Teilnehmende<br />
weltweit besuchten ein Angebot<br />
der Business School, und 495 0 50<br />
Mit arbeitende absolvierten einen<br />
E-Learning-Kurs. Zude m stellt<br />
die Business School mit den weltweiten<br />
Human-Capital-Management-Prozessen<br />
wirksame Instrumente<br />
für die Planung und Umsetzung<br />
aller Entwicklungsm a s s -<br />
nahmen der Mitarbeitenden zur<br />
Verfügung. Dazu gehören Performance<br />
Management, Beförderungsprozesse,<br />
die Einschätzung<br />
des Entwick lungspotenzials oder<br />
auch die Nach folgeplanung für<br />
das Unternehmen.<br />
Fotos: Credit Suisse | Dirk Altenkirch<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 47<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Credit Suisse AG<br />
Postfach 2<br />
CH-8070 Zürich<br />
Telefon +41 44 333 11 11<br />
Fax +41 44 332 55 55<br />
Redaktion<br />
Daniel Huber (dhu, Chefredaktion), Dorothee Enskog (de; Wirtschaft<br />
International), Mandana Razavi (mar; Corporate Citizenship),<br />
Andreas Schiendorfer (schi; Markt Schweiz, Sponsoring);<br />
Regula Brechbühl (rb), Valérie Clapasson Fahrni (cfv), Michael<br />
Krobath (mk), Fabienne de Lannay (fdl)<br />
E-Mail<br />
redaktion.<strong>bull</strong>etin@credit-suisse.com<br />
Mitarbeit an dieser Ausgabe<br />
Nicole Baumann, Maria Becker, Ute Eberle, Christian<br />
Etzensperger, Thomas Herrmann, Anja Hochberg, Ian Lewis,<br />
Max Nyffeler, Mathias Plüss, Andreas Russenberger, Stefanie<br />
Schramm, Claude Settele, Bernard Van Dierendonk<br />
Internet<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
Marketing<br />
Veronica Zimnic (vz)<br />
Korrektorat<br />
Claudia Marolf, notabene<br />
Übersetzungen<br />
Credit Suisse Language Services<br />
Gestaltung<br />
www.arnold.inhaltundform.com:<br />
Arno Bandli, Raphael Bertschinger, Monika Häfliger,<br />
Karin Cappellazzo (Projektmanagement), Carola Bächi<br />
(Korrektorat)<br />
Reto Leibundgut, Scent of Matter, 20<strong>10</strong><br />
Gesamtansicht des Kunst-und-Bau-Projekts im Innenhof mit Wandrelief und<br />
zugehöriger Bepflanzung mit Bodengrün und Sträuchern sowie mit Parkbänken.<br />
Scent of Matter, 20<strong>10</strong><br />
Scent of Matter, ein Wandrelief von Reto Leibundgut im Innenhof der Credit<br />
Suisse Basel-Untere Rebgasse, besteht aus vorgefundenen, teils polierten<br />
Restplattenstücken von Steinmetzbetrieben: Marmor, bunter Granit, Schiefer,<br />
Travertin und aussereuropäische Steine formieren sich zu einer kostbar erscheinenden<br />
künstlerischen Intervention, die je nach Wetter- und Lichtsituation<br />
im Innenhof immer neue Farbschönheit gewinnt. Das Materialrecycling ist<br />
Programm: Nichts wurde zugeschnitten, sondern vor Ort nach Form und Grösse<br />
zusammengefügt und montiert. Verkantungen und Lücken zwischen den<br />
Platten wurden belassen. Das virtuoser Arbeit entsprungene Steinrelief aus Restmaterial<br />
ist wie viele Arbeiten des Berner Oberländer Künstlers auch ein Werk<br />
der Antiperfektion, das unsere heutige zu absoluter maschineller Exaktheit<br />
getriebene Handwerkswelt konterkariert. Es entsteht ein sich über alle Etagen<br />
des Bankgebäudes spannendes Werk, das den nüchternen Innenhof in ein<br />
beziehungsreiches Schauspiel verwandelt. Mehr Informationen unter<br />
www.credit-suisse.com > Wir über uns > Sponsoring > Kunst > Sammlung<br />
Credit Suisse Maria Becker<br />
Inserate<br />
print-ad kretz gmbh, Andrea Hossmann und Esther Kretz,<br />
General-Wille-Strasse 147, CH-8706 Feldmeilen,<br />
Telefon +41 44 924 20 70, <strong>bull</strong>etin@kretzgmbh.ch<br />
Beglaubigte WEMF-Auflage 2009<br />
145 504<br />
ISSN-Registrierung<br />
ISSN 1423-1360<br />
Druck<br />
Swissprinters Zürich AG<br />
Redaktions kommission<br />
Richard Bachem (Head Marketing Private and Business<br />
Banking Switzerland), René Buholzer (Head Public Policy), Urs<br />
P. Gauch (Leiter Firmenkunden Schweiz – Grossunternehmen),<br />
Fritz Gutbrodt (Direktor Credit Suisse Foundation), Anja Hochberg<br />
(Head Investment Strategy Asset Management), Angelika<br />
Jahn (Investment Services & Products), Bettina Junker Kränzle<br />
(Head Internal Corporate Publishing & Services), Hanspeter<br />
Kurzmeyer (Head Private Clients Switzerland), Martin Lanz<br />
(Economic Research), Andrés Luther (Head Group Communications),<br />
Charles Naylor (Head Corporate Communications),<br />
Christian Vonesch (Head Private & Business Banking Aarau)<br />
Erschei nt im 116. Jahrgang<br />
(5 x pro Jahr in deutscher, französischer, italienischer und<br />
englischer Sprache) Nachdruck von Texten gestattet mit dem<br />
Hinweis «Aus dem <strong>bull</strong>etin der Credit Suisse».<br />
Adress änderungen<br />
Bitte schriftlich und unter Beilage des Original-Zustellcouverts<br />
an Ihre Credit Suisse Geschäftsstelle oder an:<br />
Credit Suisse AG, SULA 213, Postfach <strong>10</strong>0, CH-8070 Zürich.<br />
Diese Publikation dient nur zu Informationszwecken.<br />
Sie bedeutet kein Angebot und keine Aufforderung seitens<br />
der Credit Suisse zum Kauf oder Verkauf von Wertschriften.<br />
Hinweise auf die frühere Performance garantieren nicht<br />
notwendi gerweise positive Entwicklungen in der Zukunft.<br />
Die Analysen und Schlussfolgerungen in dieser Publikation<br />
wurden durch die Credit Suisse erarbeitet und könnten<br />
vor ihrer Weitergabe an die Kunden von Credit Suisse bereits<br />
für Transaktionen von Gesellschaften der Credit Suisse<br />
Group verwendet worden sein. Die in diesem Dokument vertretenen<br />
Ansichten sind diejenigen der Credit Suisse<br />
zum Zeitpunkt der Drucklegung. (Änderungen bleiben vorbehalten.)<br />
Credit Suisse ist eine Schweizer Bank.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
48 Credit Suisse<br />
Die Credit Suisse arbeitet weltweit<br />
treibhausgasneutral<br />
Seit mehr als zehn Jahren setzt sich die Credit Suisse aktiv für den Klimaschutz ein.<br />
In der Schweiz arbeitet sie bereits seit 2006 treibhausgasneutral. Durch unsere<br />
globale Initiative Credit Suisse Cares for Climate, die 2007 ins Leben gerufen wurde,<br />
haben wir die Treib hausgasneutralität nun auch global erreicht.<br />
Im Naturpark rund um das Verwaltungszentrum Uetlihof in Zürich finden sich unter anderem kleine Teiche und Feuchtwiesen. Er bietet heute Lebensraum<br />
für rund 350 verschiedene Pflanzenarten und wurde mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise von der Stiftung Natur & Wirtschaft.<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 49<br />
Foto: Alberto Venzago<br />
Der Klimawandel gehört zu den grössten<br />
Herausforderungen der Gegenwart. Basierend<br />
auf Beobachtungen der Vergangenheit<br />
und Prognosen für die Zukunft sagt<br />
die Wis senschaft global steigende Durchschnittstemperaturen<br />
voraus. Hitzewellen,<br />
schmelzende Gletscher und Polkappen sowie<br />
Dürren sind als wahrscheinliche Folge<br />
dieser Entwicklung bereits heute spürbar.<br />
Da durch die Zunahme wetterbedingter<br />
Naturereignisse neben ökologischen und gesellschaftlichen<br />
Auswirkungen auch volkswirtschaftliche<br />
Schäden verursacht werden,<br />
sucht die Staatengemeinschaft intensiv nach<br />
Massnahmen, um dem weltweiten Klimawandel<br />
zu begegnen.<br />
Entsprechend war das Ziel der Klimakonferenz<br />
vom Dezember 2009 in Kopenhagen,<br />
gemeinsam ein Nachfolgeabkommen<br />
für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu<br />
erarbeiten. Die ernüchternden Ergebnisse<br />
nach der Konferenz verdeutlichten jedoch<br />
einmal mehr, vor welch komplexen Herausforderungen<br />
die Weltgemeinschaft steht –<br />
zumal sich Grossmächte, Schwellenländer<br />
und Kleinstaaten über die notwendigen<br />
Massnahmen uneins sind. Gefragt sind aber<br />
nicht nur Regierungen, auch Unternehmen<br />
sind dringend zum Handeln aufgerufen.<br />
Hans-Ulrich Doerig, Präsident des Verwaltungsrats<br />
der Credit Suisse, über die Rolle<br />
von Unternehmen in der Klimadebatte: «Neben<br />
unserer gesellschaftlichen Verantwortung<br />
liegt es auch in unserem wirtschaftlichen<br />
Interesse, Massnahmen gegen den<br />
Klimawandel zu ergreifen, statt unkalkulierbare<br />
Risiken einzugehen und später möglicherweise<br />
Schäden beheben zu müssen.<br />
Ich bin überzeugt, dass ein global wirksamer<br />
Klimaschutz auch wirtschaftlich von grosser<br />
Tipps zur CO 2 -Reduktion:<br />
1. Elektronische Geräte nicht im<br />
Stand-by-Modus laufen lassen.<br />
2. Bei Verlassen eines Raums<br />
Lichter löschen. Glühbirnen<br />
durch Energiesparlampen<br />
ersetzen.<br />
3. Strom aus erneuerbaren Energien<br />
beziehen.<br />
4. Konsequent rezyklieren.<br />
5. Wann immer möglich, öffent liche<br />
Verkehrsmittel benutzen oder<br />
zu Fuss gehen.<br />
6. Geschäftsflüge kompensieren<br />
und soweit als möglich durch<br />
Videokonferenzen ersetzen.<br />
Bedeutung ist.» So engagierte sich auch die<br />
Credit Suisse im Vorfeld des Klimagipfels für<br />
verbindliche und international abgestimmte<br />
Rahmenbedingungen, die ein klimaschonendes<br />
Wirtschaften fördern. Sie unterstützte<br />
unter anderem einen Brief des WWF an den<br />
Schweizer Bundesrat und nahm an der Vernehmlassung<br />
zur Re vision des Schweizer<br />
CO 2 -Gesetzes teil. Darüber hinaus unterzeichnete<br />
Brady W. Dougan, CEO der Credit<br />
Suisse, im Jahr 2008 zusammen mit weiteren<br />
Wirtschaftsführern an die Regierungschefs<br />
der G8-Staaten gerich tete Empfehlungen<br />
zur Klimapolitik.<br />
Globale Initiative für den Klimaschutz<br />
Bereits seit 2006 arbeitet die Credit Suisse<br />
als erstes Grossunter neh men in der Schweiz<br />
treibhausgasneutral. Um dieses Ziel auch<br />
global zu erreichen, wurde 2007 die globale<br />
Initiative Credit Suisse Cares for Climate lanciert.<br />
Mit Erfolg: Seit Juni 20<strong>10</strong> ist die Credit<br />
Suisse nun weltweit treibhausgasneutral. «Angesichts<br />
der grossen Herausforderungen, vor<br />
denen die Staatengemeinschaft steht, wollen<br />
wir unser Engagement für den Klimaschutz<br />
möglichst ef fektiv gestalten. Mit der Initiative<br />
setzen wir daher sowohl auf Massnahmen zur<br />
Verbesserung der eigenen Klimabilanz als<br />
auch auf Bereiche, in denen wir durch unsere<br />
Funktion als globaler Finanzdienstleister<br />
die Rolle eines Katalysators einnehmen können.<br />
Ob im Kontakt zu unseren Mitarbeitenden,<br />
Kunden und Geschäftspartnern oder im<br />
Dialog mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik<br />
und weiteren Gruppierungen: Wir wollen<br />
möglichst viele Ansatzpunkte nutzen, um<br />
Fortschritte beim Klimaschutz zu erzielen»,<br />
erklärt René Buholzer, Leiter der Abteilung<br />
Public Policy.<br />
Klimabilanz verbessern<br />
Um die betrieblich verursachten Treibhausgas<br />
emissionen zu senken – 2009 waren<br />
dies konzernweit knapp 273 000 Tonnen –<br />
setzt die Credit Suisse bei den grössten CO 2 -<br />
Verursachern an, dem Energieverbrauch der<br />
Gebäude und den Geschäftsflügen. So wird<br />
der Energieverbrauch in allen Niederlassungen<br />
konsequent optimiert, bei Neu- und Umbauten<br />
wird in energiesparende Technik,<br />
hoch isolierende Baustoffe sowie eine energieeffiziente<br />
IT-Infrastruktur investiert. «Für<br />
die Schweizer Liegenschaften haben wir<br />
eigens eine spezielle Software entwickelt,<br />
um einerseits beim Energieverbrauch Transparenz<br />
zu schaffen und andererseits die<br />
Bereiche zu identifizieren, in denen Optimierungen<br />
den grössten Nutzen bringen. Zudem<br />
erarbeiten wir zusammen mit unseren Liegen<br />
schaftsdienstleistern verbindliche Vorgaben<br />
zur Steigerung der Energieeffizienz<br />
unserer Gebäude. Durch die Sensibilisierung<br />
und Einbindung unserer externen Partner<br />
wollen wir dem Klimaschutz auch über unser<br />
eigenes Unternehmen hinaus mehr Dynamik<br />
verleihen», erklärt Rolf Krummenacher, Head<br />
of Corporate Real Estate and Services<br />
Switzer land, die verschiedenen betrieblichen<br />
Massnahmen.<br />
Im Wissen darum, welche Bedeutung dem<br />
Einsatz von klimaschonenden Energieträgern<br />
zukommt, ersetzt die Credit Suisse zudem<br />
gezielt fossile durch erneuerbare Energien<br />
wie Wasser- und Windkraft sowie Sonnenenergie.<br />
Für 20<strong>10</strong> wurden beispielsweise in<br />
der Schweiz neue Stromverträge abgeschlossen,<br />
im Rahmen derer die Bank weiterhin <strong>10</strong>0<br />
Prozent Energie aus zertifizierter Wasserkraft<br />
für ihre rund 400 Gebäude in der Schweiz<br />
bezieht. Verbleibende Emissionen werden<br />
mit hochwertigen Emissionsreduktionszertifikaten<br />
kompensiert. «Durch all diese Massnahmen<br />
konnten wir seit Anfang 2007 die<br />
Energieeffizienz weltweit steigern, den Energieverbrauch<br />
auf tiefem Niveau stabilisieren<br />
und die resultierenden Gesamtemissionen<br />
sogar leicht senken», so Krummenacher. Gewisse<br />
Herausforderungen bleiben jedoch<br />
bestehen: «Mit einem Anteil von rund einem<br />
Viertel an unseren Gesamtemissionen stellen<br />
Geschäftsflüge unverändert einen grossen<br />
Posten in unserer Klimabilanz dar. Um möglichst<br />
viele Flüge einzusparen, motivieren wir<br />
unsere Mitarbeitenden daher aktiv, für kürzere<br />
Strecken den Zug zu nutzen oder auf<br />
Telefon- und Videokonferenzen auszuweichen»,<br />
erklärt Krummenacher weiter.<br />
Mitarbeitende sensibilisieren<br />
Ein weiteres wichtiges Ziel der Initiative ist<br />
es, das Engagement für den Klimaschutz<br />
auch bei den Credit Suisse Mitarbeitenden<br />
zu verankern. Durch Aufklärungskampagnen<br />
wie der Energieeffizienzwoche in Zürich werden<br />
die Mitarbeitenden für Klimathemen<br />
sensibilisiert und im beruflichen wie im privaten<br />
Umfeld zum Energiesparen animiert.<br />
Zudem wurde ein interaktives Lernprogramm<br />
entwickelt, das ein Modul zum Umwelt- und<br />
Klimaschutz enthält. Mandana Razavi<br />
Mehr Informationen zum Thema unter<br />
www.credit-suisse.com/verantwortung/<br />
initiativen<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
50 Credit Suisse<br />
Schulbildung für Tansanias<br />
Nomadenkinder<br />
Die Lebensweise nomadischer Hirtenvölker in Tansania ist bedroht, denn sie<br />
konkurrieren mit sesshaften Dorfgemeinschaften um immer knapper werdende<br />
Ressourcen. Um überhaupt eine Chance in der sich schnell wandelnden<br />
Gesellschaft zu haben, müssen die Nomadenkinder die Schule besuchen<br />
können. Ein Schulbildungsprojekt eröffnet jetzt neue Möglichkeiten.<br />
Gemäss einem der Millenniumsentwicklungsziele<br />
der Vereinten Nationen zur weltweiten<br />
Armutsbekämpfung soll allen Kindern<br />
der Welt eine komplette Grundschulbildung<br />
ermöglicht werden. Auf dem Weg zu diesem<br />
Ziel sind Fortschritte zu verzeichnen: Zwischen<br />
1999 und 2006 fiel die Zahl der Kinder<br />
im Grundschulalter, die keine Schule besuchen,<br />
von <strong>10</strong>3 Millionen auf 73 Millionen.<br />
Dennoch bleibt weiterhin viel zu tun, insbesondere<br />
in Afrika, wo noch immer mehr als<br />
35 Millionen Kinder nicht eingeschult sind.<br />
Nirgendwo ist dieses Problem schwieriger zu<br />
lösen als unter den Hirtenvölkern. Die Lebensweise<br />
der nomadischen Viehhüter ist bedroht,<br />
kulturelle und sprachliche Eigen heiten drängen<br />
sie ins gesellschaftliche Abseits und erschweren<br />
die Eingliederung ihrer Kinder<br />
in das Schulsystem. Dank Partner schaft e n<br />
zwischen Lokalbehörden, Nichtre gie rungsorganisationen<br />
(NGOs), Wohl tätigkeits organisationen<br />
und deren Förderern verbessert<br />
sich die Situation nun aber langsam.<br />
Neue Chancen<br />
In Tansania versucht die Wohltätigkeitsorganisation<br />
CARE, unterstützt von der Credit<br />
Suisse, Kinder aus Hirtenvölkern vermehrt<br />
ins allgemeine Schulsystem einzugliedern.<br />
Seit Dezember 2008 realisieren CARE und<br />
die Credit Suisse gemeinsam ein Projekt,<br />
das 3500 Kindern aus vier Gemeinden der<br />
Region Morogoro im südlichen Zentraltansania<br />
eine qualitativ gute Grundschulbildung<br />
ermöglicht. Die schulische Infrastruktur wurde<br />
verbessert, die Unterrichts- und Lernqualität<br />
wurden ebenso gestärkt wie die Verantwortung<br />
und das Engagement der Gemeinden<br />
für die Schulbildung. Mit SAWA<br />
unterstützt eine lokale NGO die Durchführung<br />
und Kontrolle des Projekts.<br />
«Die Nomadenvölker erkennen zunehmend,<br />
wie wichtig die Schulbildung ihrer Kinder ist,<br />
um deren künftiges Auskommen zu sichern»,<br />
erklärt Stephanie Baric, Programmleiterin<br />
von CARE. «Die Eltern haben zwar nicht<br />
aufgehört umherzuziehen, aber sie lassen<br />
es allmählich zu, dass ihre Kinder zurückbleiben<br />
und ihre Ausbildung ohne Unterbrüche<br />
absolvieren.» Dies spiegelt sich in der<br />
Zahl von Kindern, die in den vier zum Projekt<br />
zählenden Schulen angemeldet sind: Die<br />
Anmeldungen stiegen zwischen März und<br />
Oktober 2009 um 33 Prozent auf insgesamt<br />
<strong>10</strong>66 Schü ler. Dieser Wert wurde erreicht,<br />
bevor das gesamte Spektrum an strukturellen<br />
Verbesserungen und Bemühungen zur Gemeinschaftsmobilisierung<br />
umgesetzt wurde.<br />
Mädchen im Fokus<br />
Die Schulen sind bereits gemischt, doch<br />
möchte man vor allem Mädchen den Schulbesuch<br />
ermöglichen, zumal sie – wie in vielen<br />
anderen Kulturen auch – hier oft von der Bildung<br />
ferngehalten werden, damit sie häusliche<br />
Pflichten übernehmen können. Mariam<br />
Seleka, zweitältestes Kind in ihrer Familie,<br />
ist eines der Mädchen, die von dem Projekt<br />
profitieren. Sie wurde 2006 zusammen mit<br />
ihrem älteren Bruder Majku eingeschult,<br />
aber ein Jahr später wieder von der Schule<br />
genommen. «Meine Eltern konnten sich die<br />
Uniformen und Schulgebühren für mich und<br />
meinen Bruder nicht leisten und mussten<br />
Die Bildungsinitiative der Credit Suisse<br />
sich entscheiden, ob ich weiter zur Schule<br />
gehen sollte oder Majku. Weil Majku ein<br />
Jung e ist, durfte er in der Schule bleiben. Zu<br />
Hause musste ich Wasser holen, Holz<br />
sammeln, kochen und mich um meine jüngeren<br />
Geschwister kümmern.» Mariam blieb<br />
schlicht keine Zeit, um richtig lesen und<br />
schreiben zu lernen. Doch als CARE und<br />
SAWA in ihrem Dorf ein Non-Formal Education<br />
Center (NFE) einrichteten, konnte sie<br />
ihre Grundschulausbildung fortsetzen. «Ich<br />
lernte lesen und schreiben und konnte in<br />
meine reguläre Schule zurückkehren. Auch<br />
an der Schule hatte sich in der Zwischenzeit<br />
einiges geändert: Die Lehrer schienen interessierter<br />
und besser vorbereitet zu sein.<br />
Und wir verfügten über neues Material. Es<br />
gab sogar eine Bibliothek mit Büchern und<br />
Zeitungen. Jetzt nutze ich meine Freizeit, um<br />
meinen Freunden und jüngeren Geschwistern<br />
Geschichten vorzulesen, damit sie wie<br />
ich lesen und schreiben lernen.»<br />
Langfristiges Engagement<br />
Es genüge nicht, dem Problem mit Geld und<br />
Material zu begegnen, meint Eva Halper, Leiterin<br />
der Global Education Initiative bei der<br />
Credit Suisse: «Projekte wie dieses erfordern<br />
ein langfristiges Engagement, um die Auswirkungen<br />
zu ermitteln. Es ist wichtig, nicht<br />
nur Schulen und Unterrichtsmaterialien bereitzustellen,<br />
sondern auch für die geeigneten<br />
Rahmenbedingungen zu sorgen. Selbst<br />
wenn eine Schule errichtet werden konnte,<br />
stellen sich Fragen: Gefällt den Kindern der<br />
Unterricht ? Erzielen sie gute Ergebnisse?<br />
Was bedeutet die Schule für die Zukunft ?»<br />
Das Projekt beinhaltet nicht nur den Bau<br />
und die Instandhaltung von schulischer Infrastruktur,<br />
sondern auch die Entwicklung eines<br />
Lehrplans in Zusammenarbeit mit dem tan-<br />
Das tansanische Projekt ist Teil der weltweiten Bildungsinitiative, mit<br />
der die Credit Suisse internationale Entwicklungsorganisationen unterstützt,<br />
um Tausenden von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen<br />
Alter Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu verschaffen. Mit der 2008<br />
lancierten Initiative fördert die Credit Suisse Massnahmen, die die<br />
spezifischen und regionalen Anforderungen für einen geregelten Schulbesuch<br />
berücksichtigen. Die Credit Suisse unterstützt zurzeit sechs<br />
führende internationale Wohltätigkeitsorganisationen: Camfed, CARE,<br />
Plan International, Room to Read, Teach For All und Worldfund. Diese<br />
Organisationen verfolgen mit Projekten einen nachhaltigen Ansatz zur<br />
Beseitigung der Zugangsbeschränkungen, Verbesserung der Qualität<br />
und Zweckmässigkeit des Bildungsangebots sowie zur Erhöhung der<br />
Nachhaltigkeit und des Nutzens. www.credit-suisse.com/verantwortung/initiativen<br />
Fotos: Ingrid Kimario | Joseph Mbasha | Gibons Mwabukusi<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 51<br />
1<br />
2<br />
sanischen Erziehungsministerium. Dieses<br />
formale Programm soll es den Schülern erlauben,<br />
problemlos ins staatliche Mittelschulsystem<br />
zu wechseln. Die Lehrerausbildung<br />
ist ein weiterer wichtiger Baustein des<br />
Projekts, denn in der Lokalbevölkerung fehlt<br />
es an ausreichend geschultem Personal.<br />
Diejenigen, die aus sesshaften Gemeinschaften<br />
anderer Regionen kommen, müssen<br />
nicht nur als Lehrkräfte geschult, sondern<br />
auch auf die Anliegen und Probleme der<br />
Nomaden aufmerksam gemacht werden,<br />
damit sie die Bedürfnisse ihrer Schüler besser<br />
verstehen. Daneben müssen Anreize für<br />
die Lehrer geschaffen werden, um sie zur<br />
Arbeit in diesen isolierten Dörfern zu bewegen,<br />
beispielsweise ansprechende Unterkünfte.<br />
CARE und ihre tansanischen Partner<br />
übernehmen die Lehrerausbildung und kümmern<br />
sich um den Bau von Schulen. Dennoch<br />
gilt der Einbezug der Lokalbevölkerung<br />
für den langfristigen Projekterfolg als entscheidend,<br />
sei es als Lehrer und Schulverwalter<br />
oder für den Bau und die Instandhaltung<br />
der Schulgebäude.<br />
«Es ist sehr wichtig, der Lokalbevölkerung<br />
ein Gefühl von Verantwortung für diese<br />
Schulen zu vermitteln. Auf diese Weise können<br />
wir die Leute am besten motivieren, die<br />
Schulen auch nach Abschluss des Projekts<br />
instand zu halten. Das ist entscheidend für<br />
den Erfolg eines Projekts», erklärt Stephanie<br />
Baric von CARE.<br />
3<br />
1 Ein Massai-Hof, genannt «Boma», in Nyakonge, einem Dorf der Region Morogoro (Tansania). Zum<br />
Zeitpunkt der Aufnahme wohnten hier rund 50 Personen. 2 Eines der im Bau befindlichen Klassenzimmer<br />
der Primarschule von Mwenge in der Region Morogoro. Die Schreibpulte für die Schüler wurden mit<br />
Unterstützung der Credit Suisse und Care geliefert. 3 Schüler beantworten Fragen von Care-Mitarbeitern<br />
während eines Monitoring-Besuchs in der Primarschule von Mwenge, einer von mehreren Schulen der<br />
Region, die von der Credit Suisse unterstützt werden.<br />
Lokale Eigenverantwortung<br />
Mitglieder der Gemeinden beteiligen sich<br />
schon heute am Bau und an der Renovation<br />
von Schulgebäuden, ermuntern Kinder und<br />
Jugendliche, sich an den Schulen anzumelden<br />
und diese regelmässig zu besuchen, und<br />
engagieren sich zudem in Planungsausschüssen.<br />
Auch in der Lokalbevölkerung<br />
wurde bereits viel unternommen, um Sportarten<br />
wie Fussball und Volleyball zu fördern.<br />
Besonders Mädchen sollen zur Teilnahme<br />
bewogen werden, da sie bisher von sportlichen<br />
Aktivitäten ausgeschlossen waren.<br />
Alle diese Massnahmen können bei den<br />
nomadischen Hirtenvölkern zu grundlegenden<br />
Veränderungen beitragen. Weil es immer<br />
schwieriger wird, von der Wanderviehhaltung<br />
zu leben, wollen viele Eltern ihren Kindern<br />
eine Schulbildung bieten, die ihnen neue<br />
Chancen eröffnet. Bereits der regelmässige<br />
Schulbesuch bringt die Kinder mit der anderen<br />
Kultur in Kontakt und erhöht ihre Bereitschaft,<br />
sesshaft zu werden. Ian Lewis<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
52 Credit Suisse<br />
Frisch diplomiert und arbeitslos<br />
Die erste Stelle nach der Ausbildung darf nicht das Arbeitsamt sein. «Jeunes@Work»<br />
ist ein Genfer Projekt, das junge und bestens ausgebildete, jedoch arbeitslose Erwachsene<br />
mit einem soliden Konzept in die Arbeitswelt integriert. Die erfolgreiche Initiative expandiert<br />
nun in weitere Westschweizer Kantone.<br />
Frau nicht immer aus. Als sie mit dem Masterabschluss<br />
In ternationale Beziehungen die<br />
Universität verliess, war sie ratlos. «Es war<br />
purer Idea lismus, der mich diese Studienrichtung<br />
wählen liess. Ich wollte die Welt<br />
verändern, doch merkte bald, dass es dazu<br />
eine ‹Super woman› und nicht eine junge<br />
Frau ohne Berufserfahrung braucht. Mein<br />
Selbstwertgefühl sank ins Bodenlose.» Nach<br />
einigen erfolglosen Bewerbungen meldete<br />
sie sich beim Ar beitsamt.<br />
Für diplomierte junge Arbeitslose<br />
Borjana Ristic hat dank ihrem Praktikum auch im «richtigen» Arbeitsleben ihre Rolle gefunden.<br />
Auf dem Weg zur Kantine des Grand Théâtre<br />
de Genève grüsst Borjana Ristic hier einen<br />
Bühnenarbeiter und da eine Schauspielerin.<br />
Die 26-jährige Praktikantin fühlt sich an<br />
ihrem Arbeitsort daheim. Sogar ihre Kleidung<br />
– das schwarze Deuxpièces und die<br />
Bluse mit klassischem Rüschenkragen –<br />
passt zum Theater. «Hier hat alles einen<br />
künstlerischen Touch. Selbst die Omelette<br />
aus der Kantinenküche ist ein Kunstwerk!»,<br />
erzählt Borjana Ristic. Seit fünf Monaten<br />
arbeitet sie als Assistentin in der Kommunikationsabteilung<br />
des Genfer Stadttheaters:<br />
«Meine dynamische Chefin gab mir immer<br />
komplexere, verantwortungsvollere Aufgaben.<br />
Zuletzt betreute ich die Neugestaltung<br />
der Internetseite, redigierte und lektorierte<br />
die Theaterzeitschrift «Act-O», und im Moment<br />
engagiere ich mich in der Sponsorensuche.»<br />
Doch so positiv sah es für die junge<br />
So wie Borjana Ristic geht es vielen Absolventen<br />
vor allem der nicht technischen Studienrichtungen,<br />
der kaufmännischen Lehre<br />
oder der Handelsschule. «Wer nicht weiss,<br />
was er will, hat heute schlechte Chancen auf<br />
dem Arbeitsmarkt. Frisch diplomiert beim<br />
Arbeitsamt anzuklopfen, ist ein schlechter<br />
Start ins Berufsleben. Auch der Gesellschaft<br />
und der Wirtschaft geht so viel Know-how<br />
verloren», sagt Christine Théodoloz. Sie ist<br />
die Generaldirektorin von Intégration pour<br />
tous (IPT), einem grossen Arbeitslosenhilfswerk<br />
mit Hauptsitz in Vevey. Das IPT half<br />
bis vor zwei Jahren ausschliesslich gesundheitlich<br />
oder psychisch angeschlagenen<br />
Menschen beim Wiedereinstieg ins Berufsleben.<br />
Christine Théodoloz: «Dann kam der<br />
Genfer Privatbankier Patrick Odier mit dem<br />
Projekt Jeunes@Work auf uns zu. Sein Anliegen,<br />
diese bestens qualifizierten, jungen<br />
Menschen möglichst schnell und mit Hilfe<br />
einer Praktikumsstelle in den Arbeitsmarkt<br />
zu integrieren, fanden wir eine gute Sache.<br />
Für diese Leute fehlte eine passende Anlaufstelle.»<br />
2008 startete das Projekt in Genf.<br />
Vage Vorstellung wird realer Job<br />
In den Räumen eines Bürogebäudes im Stadtteil<br />
Petit-Lancy sitzen die Nachfolgerinnen<br />
und Nachfolger von Borjana Ristic. In einem<br />
Zimmer hören sechs Männer den Ausführungen<br />
ihres Lehrers zu. Nachdem sie in der<br />
ersten Woche ihre beruflichen Träume mit<br />
ihren Fähigkeiten und dem aktuellen Job-<br />
Fotos: Bernard van Dierendonk<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 53<br />
angebot in Einklang gebracht haben, bereiten<br />
sie sich nun theoretisch und später mit<br />
einem Interviewtraining auf das Bewerbungsgespräch<br />
vor. Im Raum nebenan, im «Atelier<br />
emploi», sichten drei Frauen und ein Mann<br />
ihre Bewerbungen. Die 22-jährige Edjenia<br />
kommt direkt von der Handelsschule und<br />
bewirbt sich für eine Praktikumsstelle als<br />
Buchhalterin. Sie rühmt, wie sie hier endlich<br />
gelernt habe, ihr Curriculum Vitae professionell<br />
zu gestalten. Neben ihr sitzt Igor (27),<br />
ein Schweizer mit russisch-amerikanischen<br />
Wurzeln. Er studierte Betriebswirtschaft und<br />
fand trotz seiner Vielsprachigkeit keine Stelle.<br />
Der Verzweiflung nahe und trotzdem zu stolz,<br />
um beim Arbeitsamt anzuklopfen, wurde er<br />
schliesslich in der Universität auf Jeunes@<br />
Work aufmerksam. Jetzt erzählt Igor strahlend,<br />
wie ihm dank dem Beziehungsnetz der<br />
Organisation zum Gewerbe eine 13 Monate<br />
dauernde, bezahlte Praktikumsstelle, mit der<br />
Perspektive einer festen Anstellung, bei der<br />
Firma Caterpillar vermittelt wurde.<br />
1<br />
Eine beeindruckende Erfolgsgeschichte<br />
Das kombinierte System von Beratung, Schulung<br />
und Vermittlung einer Praktikumsstelle<br />
bewährt sich. Oft werden aus Praktika feste<br />
Anstellungen im selben Betrieb oder die erste<br />
Erfahrung in der Berufswelt erhöht die<br />
Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. So konnte<br />
Jeunes@Work letztes Jahr von den 137<br />
jungen Erwachsenen 70 Prozent nicht nur<br />
eine Praktikums-, sondern eine fixe Arbeitsstelle<br />
vermitteln. Die rund 200 Unternehmen,<br />
die bis heute mit der Organisation zusammenarbeiten,<br />
sind davon ebenso angetan.<br />
Sie können hoch qualifizierte Arbeitskräfte<br />
als Praktikanten vor einer definitiven Anstellung<br />
prüfen und in ihren Betrieb einarbeiten.<br />
Neu unterstützt auch die Credit Suisse das<br />
Projekt finanziell. Die Idee ist, Jeunes@Work<br />
2 3<br />
1 Jeunes@Work in Genf – eine Klasse mit lauter motivierten Schülern. 2 Pausendiskussion mit<br />
Igor ( 27), Daniel (21), Daliborka (21), Edjenia (22), Emerson (32) sowie Lehrer Jean-Pierre Mathys.<br />
3 Christine Théodoloz, Generaldirektorin von Intégration pour tous (IPT) in Vevey.<br />
auf weitere Westschweizer Kantone auszuweiten.<br />
Bereits im Oktober werden für die<br />
Kantone Neuchâtel, Jura und die Region<br />
Berner Jura die nächsten Zweigstellen eröffnet.<br />
2011 expandiert das Projekt in die<br />
Kantone Waadt und Wallis.<br />
Das fünf Monate dauernde Praktikum von<br />
Borjana Ristic ist bald abgelaufen. Ist sie nicht<br />
traurig, so kurz vor Ende ihrer ersten Traumstelle?<br />
Borjana Ristic: «Dank dieser Praktikumsstelle<br />
weiss ich, was ich will, und kann.<br />
Und bei der Stellensuche hat sie sich als entscheidendes<br />
Plus erwiesen: Ich habe eine<br />
neue Traumstelle als Assistentin im Marketing<br />
und Verkauf gefunden!» Bernard van Dierendonk<br />
Bereits vorgestellt:<br />
Stiftung Die Chance (<strong>bull</strong>etin 2/20<strong>10</strong>)<br />
<br />
<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.credit-suisse.com/verantwortung<br />
Mehr Informationen zu Jeunes@Work unter<br />
www.jeunesatwork.ch<br />
Die Initiative Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit<br />
Als Beitrag zur langfristigen Förderung des Bildungs- und Werkplatzes Schweiz engagiert sich<br />
die Credit Suisse für die Verbesserung der Berufschancen von Jugendlichen. Im Rahmen<br />
der Initiative Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stellt sie 30 Millionen Franken bereit. Dabei<br />
arbeitet sie in den nächsten drei bis fünf Jahren mit sieben kompetenten Partnern zusammen.<br />
Mehr Informationen unter www.credit-suisse.com/verantwortung<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
54 Credit Suisse<br />
Michèle Constantin und Max Lippuner übergeben Bundespräsidentin<br />
Doris Leuthard die Forderungen der Patienten-Koalition.<br />
Die Credit Suisse Corporate Volunteers hatten alle Hände voll zu tun,<br />
denn die orangenen Leibchen der Krebsliga fanden reissenden Absatz.<br />
Krebs wird zunehmend<br />
zur chronischen Krankheit<br />
Unterwegs gegen Krebs: Mit einem Sternmarsch und einem Fest auf dem<br />
Bundesplatz in Bern brach die Krebsliga Schweiz am 29. Mai in eine neue Ära<br />
auf. Die Krebspatienten zeigten Mut zum Sprechen – über ihre Krankheit – und<br />
Mut zur Mitsprache: Eine neu gegründete Patienten-Koalition konfrontierte<br />
Bun despräsidentin Doris Leuthard mit fünf konkreten politischen Forderungen.<br />
19<strong>10</strong>, als die Krebsliga Schweiz gegründet<br />
wurde, endete nahezu jeder Krebsfall tödlich.<br />
Dies ist heute dank enormer Fortschritte in<br />
Forschung und Behandlung nicht mehr so.<br />
« Befindet sich die Tumorerkrankung in einem<br />
fortgeschrittenen Stadium, kann man den<br />
Krebs zwar meist nicht besiegen, aber kontrollieren.<br />
Entdeckt man ihn frühzeitig, stehen<br />
bei diversen Krebskrankheiten die Chancen<br />
auf eine erfolgreiche Therapie gut bis sehr<br />
gut», erklärt Professor Thomas Cerny, Krebsspezialist<br />
am Kantonsspital St. Gallen und bis<br />
April Präsident der Krebsliga Schweiz. «Sogar<br />
bei einem nicht heilbaren Tumor lebt die<br />
Hälfte der Patienten länger als fünf Jahre.<br />
Das war bis vor Kurzem noch ganz anders.»<br />
Diese Tatsache stellt unsere Gesellschaft vor<br />
neue Herausforderungen: Bei den älteren<br />
Langzeitpatienten stellt sich die Frage der<br />
Pflege und nach deren Finanzierung, bei den<br />
jüngeren nach der Wiedereingliederung in<br />
den Arbeitsprozess.<br />
Die häufigste Todesursache<br />
Dem auf den ersten Blick widersprechend,<br />
sterben genau im Jubiläumsjahr der Krebsliga<br />
weltweit erstmals mehr Menschen an<br />
Krebs als an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />
«Zwei Drittel aller Krebserkrankungen treten<br />
erst nach dem 60. Lebensjahr auf», führt der<br />
aktuelle Präsident der Krebsliga – Jakob<br />
R. Passweg vom Universitätsspital Genf –<br />
aus. «Genau in diesem Alterssegment ist in<br />
den industrialisierten Ländern die stärkste<br />
Bevölkerungs zunahme zu erwarten: Die Babyboomer<br />
kommen ins Krebsalter. Und<br />
gleichzeitig steigt die Lebenserwartung.»<br />
Deshalb kämpft die Krebsliga für eine bessere<br />
Prävention. Sie beinhaltet einerseits das<br />
Aufzeigen der Risikofaktoren und die Möglichkeiten,<br />
diesen entgegenzuwirken, und<br />
anderseits die Früherkennung. Noch dieses<br />
Jahr soll im Parlament ein Präventionsgesetz<br />
zur Sprache kommen. Für ein gutes Gesetz<br />
sprechen laut Cerny und Passweg nicht allein<br />
die menschlichen Aspekte: «Die Verhinderung<br />
von Krebs ist angesichts der hohen<br />
Therapiekosten auch aus finanzieller Hinsicht<br />
eine Notwendigkeit.»<br />
Bei der Jubiläumsaktion «Unterwegs<br />
gegen Krebs» marschierten am 29. Mai über<br />
<strong>10</strong> 000 Personen auf einer Solidaritätswanderung<br />
von rund 30 Orten aus zwischen<br />
6 und 16 Kilometer in Richtung Bern. Dort<br />
folgte auf dem Bundesplatz ein Solidaritätsevent<br />
mit diversen Konzerten. Als bewegender<br />
Höhepunkt des Anlasses übergaben mit<br />
Michèle Constantin und Max Lippuner zwei<br />
von Krebs Betroffene der amtierenden Bundespräsidentin<br />
Doris Leuthard eine Resolution<br />
mit fünf Forderungen einer am gleichen<br />
Tag neu gegründeten Patienten-Koalition:<br />
1. Mehr Mitsprache für Patientinnen und<br />
Patienten;<br />
2. verbesserte berufliche Eingliederung<br />
von Menschen mit einer chronischen<br />
Krankheit;<br />
3. neue Modelle, um Erwerbstätigkeit<br />
und Pflege zu vereinbaren;<br />
4. obligatorische Krankentaggeld-<br />
Versicherung;<br />
5. Kommunikationstraining für alle<br />
Ärztinnen und Ärzte.<br />
Am 28. August folgt die Charity-Radtour<br />
«Race against Cancer». Dort geht die <strong>Bewegung</strong><br />
gegen den Krebs weiter: Es gilt, mit<br />
dem Rad von Airolo auf den Gotthard hinaufzufahren.<br />
Neuer Corporate Volunteering Partner<br />
Die Credit Suisse unterstützt seit 20<strong>10</strong> die<br />
Krebsliga Schweiz als nationaler Partner, genauso<br />
wie den WWF, die Ernst Schmidheiny<br />
Stiftung, Right To Play sowie die Dampfbahn<br />
Furka-Bergstrecke. Für den Solidaritätsevent,<br />
den nationalen Blumenverkauf vom<br />
5. Juni sowie die Charity-Radtour «Race<br />
against Cancer» haben sich über 400 Volunteers<br />
der Credit Suisse als Helferinnen und<br />
Helfer gemeldet.» schi<br />
Video «Unterwegs gegen Krebs» auf<br />
www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />
Fotos: KLS | Benjamin Zurbriggen | Pro Velo Schweiz<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 55<br />
Internationales Menschenrechtsforum<br />
Digitalisierung des Alltags<br />
Mit dem Ziel, Menschenrechtsfragen<br />
auch über das unmittelbare<br />
Geschäft hinaus voranzutreiben,<br />
ist die Credit Suisse 2009 eine<br />
Partnerschaft mit dem Internationalen<br />
Menschenrechtsforum Luzern<br />
(IHRF) eingegangen. Das Forum<br />
dient verschiedenen Akteuren aus<br />
Politik, Wirtschaft, Medien und<br />
Wissenschaft als Diskussionsplattform<br />
und soll die Öffentlichkeit<br />
für Probleme im Bereich der Menschenrechte<br />
sensibilisieren. Am<br />
18. und 19. Mai 20<strong>10</strong> fand das<br />
7. Internationale Menschenrechtsforum<br />
Luzern zum Thema «Digi talisierung<br />
des Alltags» statt. Vertreten<br />
war neben nationalen und internationalen<br />
Expertinnen und<br />
Experten wie der iranischen Friedensnobelpreisträgerin<br />
Shirin<br />
Ebadi auch die Credit Suisse mit<br />
einem Referenten der Abteilung<br />
Public Policy – Sustainability Affairs.<br />
Dabei wurden in einer Panel-<br />
Diskussion die Rolle der Credit<br />
Suisse bei der Förderung des<br />
Mikrofinanz-Sektors sowie die<br />
technologische Entwicklung von<br />
Finanzdienstleistungen in Entwicklungsländern<br />
erörtert. Zum<br />
Abschluss des Forums wurde im<br />
Kultu r- und Kongresszentrum<br />
Luzern erstmals das Benefizkonzert<br />
IHRF Concert Classic durchgeführt,<br />
an dem die Ausnahmepianistin Maria<br />
João Pires g e m e i n s a m<br />
mit dem Human Right Orchestra<br />
auftrat. Fabian Huwyler<br />
Credit Suisse Bildungsinitiative<br />
Neue Partnerschaft mit<br />
Worldfund<br />
Mit der weltweiten Bildungsinitiative<br />
verfolgt die Credit Suisse das Ziel,<br />
Tausenden von Kindern und Jugendlichen<br />
im schulpflichtigen Alter<br />
Zugang zu einem Ausbildungsplatz<br />
zu verschaffen und die Qualität<br />
der Bildungsangebote zu verbessern.<br />
Zu den ausgewählten Partnerorganisationen<br />
der Initiative zählt seit<br />
Mai 20<strong>10</strong> neu auch Worldfund,<br />
eine Organisation, die sich in Lateinamerika<br />
für benachteiligte Kinder<br />
und Jugendliche einsetzt. Um<br />
die Lehrstandards an öffentlichen<br />
Schulen Brasiliens zu verbessern,<br />
hat Worldfund ein projektbasiertes<br />
Lernprogramm entwickelt, in dessen<br />
Rahmen Lehrer für Mathematik<br />
und Naturwissenschaften mit<br />
interaktiven Lerntechniken und Lernmodulen<br />
vertraut gemacht werden.<br />
Zudem bietet es Schülern die Möglichkeit,<br />
ihre Kenntnisse in Mathematik<br />
und Naturwissenschaften<br />
durch zusätzliche Lehrveranstaltungen<br />
zu vertiefen. Die Credit Suisse<br />
unterstützt das Programm in drei<br />
Sekundarschulen in Recife.<br />
2400 Schüler profitieren von der<br />
Weiter bildung ihrer Lehrer und<br />
800 Schüler von den zusätzlichen<br />
Lehrver anstaltungen.<br />
Fabienne de Lannay<br />
Sustainable Forest Investment Forum<br />
Chancen und Risiken in der<br />
asiatischen Forstwirtschaft<br />
Bei Geschäften mit Unternehmen,<br />
deren Aktivitäten Auswirkungen<br />
auf die Umwelt haben könnten,<br />
trägt die Credit Suisse den sozialen<br />
und ökologischen Risiken Rechnung.<br />
Aus diesem Grund pflegen<br />
wir im Rahmen von Veranstaltungen,<br />
bei bilateralen Gesprächen oder<br />
durch die Mitarbeit in Netzwerken<br />
und Initiativen den Kontakt zu<br />
NGOs. Als Mitglied der Association<br />
for Sustainable and Responsible<br />
I nvestment in Asia (ASrIA) war die<br />
Credit Suisse Gastgeberin des<br />
Sustainable Forest Investment<br />
Forum, das am 27. Mai 20<strong>10</strong> unter<br />
dem Motto «Chancen und Risiken<br />
der asiatischen Forstwirtschaft » in<br />
Hongkong stattfand. Die Veranstaltung<br />
bot Vertretern von NGOs –<br />
darunter Greenpeace und der<br />
WWF – als auch Investoren die<br />
Möglichkeit, sich über soziale und<br />
ökologische Risiken in der Agrarund<br />
Papierindustrie auszutauschen.<br />
Ben Ridley<br />
«bike to work» 20<strong>10</strong><br />
Mit dem Fahrrad zur Arbeit<br />
Im Juni 20<strong>10</strong> nahm die Credit Suisse zum dritten Mal in Folge<br />
an der Aktion «bike to work» der Non-Profit-Organisation<br />
Pro Velo teil. Ziel der Aktion war es, möglichst viele Pendler<br />
und Pendlerinnen zu motivieren, ihren Arbeitsweg mit dem<br />
Fahrrad zurückzulegen. Denn wer mit dem Rad zur Arbeit<br />
fährt, bringt <strong>Bewegung</strong> in den Alltag und schont gleichzeitig<br />
die Umwelt. Als eines von über 1200 Unternehmen (plus<br />
zwölf Prozent gegenüber 2009) ermutigte die Credit Suisse<br />
ihre Mitarbeitenden, für einen Monat auf das Velo umzusatteln.<br />
Gesucht wurden Viererteams, die an mindestens der<br />
Hälfte der Arbeitstage einen Teil des Arbeitswegs mit dem<br />
Rad zurück legten. «Velofahrer sind am Morgen schon munter,<br />
seltener krank und resistenter gegen Stress», erklärt Otti<br />
Bisang, Koordina tor der Aktion bei der Credit Suisse.<br />
Zudem stehe die Aktion im Einklang mit dem Engagement<br />
der Credit Suisse für den Umweltschutz. Die Credit Suisse<br />
lässt seit Jahren ökologische Aspekte in ihre Geschäftstätigkeit<br />
einfliessen. Im Rahmen der Initiative Credit Suisse<br />
Cares for Climate werden auch die Mitarbeitenden aufgefordert,<br />
einen Beitrag zur Reduktion von Emissionen<br />
zu leisten. Fabienne de Lannay<br />
Die Credit Suisse ist überzeugt, dass die unter nehme rische Verantwortung gegen über<br />
der Gesellschaft und der Umwelt ein wichtiger Faktor für den wirtschaft lichen Erfolg ist.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
56 Wirtschaft KMU-Studie<br />
Export Welt<br />
180 287 Mio. CHF<br />
Export Europa<br />
114 786 Mio. CHF<br />
Mannheim<br />
Heidelberg<br />
BADEN-WÜRTTEMBERG<br />
11 Mio.<br />
Einwohner<br />
Metz<br />
Heilbronn<br />
Deutschland<br />
Karlsruhe<br />
Nancy<br />
Pforzheim<br />
Stuttgart<br />
42 Mio.<br />
Konsumenten<br />
60 000<br />
ausländische Arbeitnehmer<br />
Strasbourg<br />
Freiburg<br />
Alsace<br />
Reutlingen<br />
Ulm<br />
Augsburg<br />
Schwaben<br />
München<br />
France<br />
Freiburg<br />
Tübingen<br />
Oberbayern<br />
3 Mio.<br />
Einwohner<br />
FRANCHE-COMTÉ/ALSACE<br />
Besançon<br />
Mulhouse<br />
Basel<br />
Zürich<br />
Vorarlberg<br />
Tirol<br />
Innsbruck<br />
Bern<br />
Lausanne<br />
Provincia<br />
autonoma<br />
di Trento<br />
Genève<br />
Trento<br />
Lyon<br />
Saint-Etienne<br />
Valle d’Aosta<br />
Novara<br />
Monza<br />
Milano<br />
Bergamo<br />
Brescia<br />
Grenoble<br />
Torino<br />
Piemonte<br />
Italia<br />
RHÔNE-ALPES<br />
6 Mio.<br />
Einwohner<br />
Import Europa<br />
130 476 Mio. CHF<br />
LOMBARDIA<br />
<strong>10</strong> Mio.<br />
Einwohner<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
KMU-Studie Wirtschaft 57<br />
KMU reiten auf der<br />
Globalisierungswelle<br />
Wirtschaftliche Dynamik wird in den nächsten Jahren verstärkt aus aufstrebenden Schwellenländern<br />
kommen. Für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Schweiz<br />
bedeutet dies Exportchancen, die es zu packen, aber auch Importdruck, vor dem es sich<br />
zu wappnen gilt. Da exportieren erprobt sein will, drängen sich heimmarktnahe Gebiete<br />
wie Baden-Württemberg oder die Lombardei für erste Erfahrungen auf. Ganz generell zeigt<br />
eine Umfrage der Credit Suisse unter 1800 KMU: Die Globalisierungswelle rollt.<br />
SÜD-BAYERN<br />
6 Mio.<br />
Einwohner<br />
Österreich<br />
Import Welt<br />
160 123 Mio. CHF<br />
Bevölkerung<br />
> 500000<br />
> <strong>10</strong>0000–500000<br />
> 5 Mio.<br />
> 2–5 Mio.<br />
> 1–2 Mio.<br />
> 0.5–1 Mio.<br />
> 0.5 Mio.<br />
Text: Christian Etzensperger, Economist, Credit Suisse Economic Research<br />
Die jüngste Weltwirtschaftskrise hat die<br />
Handelsströme schärfer einbrechen lassen<br />
als in den Zeiten der Grossen Depression.<br />
Dies hängt damit zusammen, dass die Welt<br />
vernetzter geworden ist. Wertschöpfungsketten<br />
haben sich aufgespaltet und Handelsströme<br />
sich geografisch immer weiter verzweigt.<br />
Die stärkere Arbeitsteilung im globalen<br />
Massstab hat zu einem noch nie da<br />
gewesenen Wachstum der Weltwirtschaft<br />
geführt, in dessen Kontext der jüngste Einbruch<br />
gesehen werden muss. Gleichzeitig<br />
hat die Globalisierung (relative) Gewinner<br />
und Verlierer geschaffen. Intensivierte Handelsstreitigkeiten<br />
auf der Weltbühne lassen<br />
eine gestiegene Nervosität erkennen. Auch<br />
scheint laut der neusten Umfrage der Credit<br />
Suisse das Vertrauen der Schweizer KMU<br />
hinsichtlich Globalisierung deutlich geringer<br />
als noch im Vorjahr. Die Einschätzung des<br />
Megatrends Globalisierung hat sich zusammen<br />
mit derjenigen des Wertewandels und<br />
des demografischen Wandels 20<strong>10</strong> am<br />
stärksten eingetrübt (siehe Abbildung 1). Augenscheinlich<br />
ist die Euphorie über die Globalisierung<br />
verflogen und die Risiken treten wieder<br />
stärker hervor.<br />
Rasante Entwicklung seit dem Mauerfall<br />
Die Welt der KMU hat sich nach dem Ende<br />
des Kalten Kriegs grundlegend verändert.<br />
Operierten die kleinen und mittleren Fische<br />
der Unternehmenslandschaft zuvor in den<br />
Binnengewässern abgeschotteter regionaler<br />
Märkte, brachen zu Beginn der 1990er-Jahre<br />
die Dämme zum offenen Meer. Die Zölle<br />
wurden für die meisten Warengruppen deutlich<br />
gesenkt oder ganz abgeschafft. Technische<br />
Handelshemmnisse (Bestimmungen<br />
über Beschaffenheit, Verpackung, Beschriftung<br />
oder Hygiene) wurden reduziert. Der<br />
Kapital- und Zahlungsverkehr wurde zumindest<br />
europaweit massiv vereinfacht. Die Eröffnung<br />
ausländischer Bankkonti, die Direktinvestitionen<br />
in ausländische Unternehmen<br />
oder der Immobilienerwerb im Ausland wurden<br />
dadurch erleichtert. Grosse Änderungen<br />
erfuhren die Ausschreibeverfahren für Aufträge<br />
der öffentlichen Hand. So werden beispielsweise<br />
die Auftragsbekanntmachungen<br />
in Europa über die Internetseite TED (Tenders<br />
Electronic Daily) täglich in 23 Sprachen<br />
elektronisch publiziert.<br />
Meist gehen Marktöffnungen mit einer<br />
Stärkung des Privatsektors gegenüber dem<br />
Staat einher, wovon kleine Firmen, die nicht<br />
über den gleichen Zugang zu Regierungsinstitutionen<br />
verfügen wie Grossunternehmen,<br />
überdurchschnittlich profitieren. Ein<br />
weiterer wichtiger Aspekt ist die Personenfreizügigkeit,<br />
die für eine stark erhöhte Verfüg<br />
barkeit ausländischer Arbeitskräfte sorgte.<br />
Zu den wirtschaftspolitischen Veränderung e n<br />
gesellte sich der rasante technologische<br />
Fortschritt, namentlich in der Tele kom munikation<br />
und der Informationstechnologie, der<br />
zu gesunkenen Transaktions kosten einerseits<br />
sowie zur nie gekannten Verfügbarkeit<br />
von Preissignalen und Marktinformationen<br />
andererseits führte.<br />
Der Beginn der neuen Globalisierungsphase<br />
nach dem Mauerfall ging in der ><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
58 Wirtschaft KMU-Studie<br />
Schweiz mit einer langen Phase wirtschaftlicher<br />
Stagnation sowie schmerzhaften<br />
Strukturwandels einher. Offensichtlich hatte<br />
man sich in den vermeintlich stabilen politischen<br />
und wirtschaftlichen Strukturen der<br />
Nachkriegszeit allzu gemütlich eingerichtet.<br />
Auf die euphorische Stimmung Ende der<br />
1980er-Jahre folgte die grosse Ernüchterung<br />
in Form einer schweren Immobilienkrise,<br />
hoher Arbeitslosigkeit und eines schleppenden<br />
Konsums. Im Zuge des EWR-Neins<br />
schlitterte die Schweiz zudem in eine Identitätskrise.<br />
Zwischen 1991 und 1996 stagnierte<br />
die Schweizer Volkswirtschaft (BIP-<br />
Wachstum von 0,4% p. a.) und wurde nicht<br />
nur von Nordamerika und Asien, sondern<br />
auch von den grossen Handelspartnern<br />
Deutschland (1,2% p. a.), Frankreich (1,1%<br />
p. a.) und Italien (1,2% p. a.) in den Schatten<br />
gestellt. Einst strahlende Schweizer Industrie-Ikonen<br />
wie die Schweizerische Lokomotiv-<br />
und Maschinenfabrik (SLM), Saurer,<br />
Bally oder Sulzer verschwanden oder wurden<br />
zu Sanierungsfällen.<br />
Chancen teilweise verpasst<br />
Die Credit Suisse als strategischer<br />
Partner der KMU<br />
Die erste KMU-Umfrage wurde<br />
Anfang 2007 lanciert, mit dem<br />
Ziel, als strategischer Partner der<br />
KMU Gedanken anzustossen und<br />
einen Diskussionsbeitrag im<br />
Hinblick auf die Megatrends zu<br />
leisten. Sowohl Kunden als auch<br />
Nichtkunden nehmen an der<br />
Umfrage teil. Die jährlich erscheinende<br />
Publikation finden Sie<br />
im Internet unter www.creditsuisse.com/research<br />
(Schweizer<br />
Wirtschaft/Branchen). Zudem<br />
werden die Ergebnisse in regionalen<br />
Anlässen vertieft behandelt<br />
und Handlungsmöglichkeiten<br />
diskutiert.<br />
Auch bei neueren Technologien wurde der<br />
Zug teilweise verpasst. So verkauften Anfang<br />
der 1990er-Jahre Ericsson erste Mobiltelefone<br />
in Schweden, Nokia in Finnland und die<br />
Ascom in der Schweiz. Heute beschäftigt<br />
Nokia 120 000 Mitarbeitende und Ericsson<br />
82 000. Die Ascom – traditionelle Partnerin<br />
der PTT/Swisscom sowie der Schweizer<br />
Armee – konnte technologisch nicht mithalten<br />
und agierte im Ausland erfolglos. Sie be schäftigt<br />
heute noch 2<strong>10</strong>0 Mitarbeitende. Aus dieser<br />
Position der Verunsicherung heraus und<br />
aus der Einsicht, dass das vermeintlich einfache<br />
Erfolgsrezept «Made in Switzerland»<br />
nicht mehr genügte, nahmen die Schweizer<br />
Unternehmen die Globalisierung in Angriff.<br />
Bereits in der nächsten Phase, von 1997 bis<br />
zum Höhepunkt des Dotcom-Booms im Jahr<br />
2000, trugen die Anpassungsbemühungen<br />
der Schweizer Firmen an die eingangs beschriebenen<br />
neuen Realitäten erste Früchte.<br />
1997 wuchsen die Exporte erstmals seit<br />
1989 im zweistelligen Bereich. Im Jahr 2000<br />
vermochte die Exportwirtschaft das Kunststück<br />
zu wiederholen (siehe Abbildung 2).<br />
Das Platzen der Dotcom-Blase hinterliess<br />
in der Industrie vergleichsweise geringe Spuren.<br />
Dies belegen die Exportzahlen eindrücklich:<br />
Im Rezessionsjahr 20<strong>03</strong> stagnierten die<br />
Ausfuhren (–0,2%), wuchsen aber in den<br />
fünf Folgejahren im Durchschnitt um sagenhafte<br />
8,8 Prozent pro Jahr. Über die Zeit<br />
hatte sich die Exportgeografie zudem deutlich<br />
gewandelt. Zwischen 1991 und 2009<br />
wuchsen die Exporte in die BRIC-Staaten<br />
(Brasilien, Russland, Indien, China) exakt um<br />
das Fünffache.<br />
Hinter diesem Wachstum stehen viele Firmen,<br />
die sich erstmals auf die Auslandmärkte<br />
wagten. Aufgrund der Senkung der Exporthürden<br />
durch technologische wie politische<br />
Mittel ist das früher den Grossfirmen<br />
vorbehaltene Exportgeschäft auch für kleinere<br />
Firmen attraktiv geworden. Die Schweiz<br />
verfügt über einen im Vergleich mit den<br />
europäischen Nachbarländern und den USA<br />
überdurch schnittlich hohen Anteil an kleinen<br />
(<strong>10</strong> –49 Mitarbeitende) und mittleren Unternehmen<br />
(50–249 Mitarbeitende), die mit<br />
ihrer tendenziell höheren Finanzkraft und<br />
professionellen Strukturen für den Export<br />
eher in Frage kommen als die in anderen<br />
Ländern stärker vertretenen Mikrounternehmen<br />
mit weniger als zehn Mitarbeitenden.<br />
Erweiterter Heimmarkt<br />
Das offene Meer, in dem die KMU-Kapitäne<br />
navigieren, ist natürlich voller Risiken, und so<br />
halten es viele KMU für ratsam, sich vorerst<br />
in Ufernähe aufzuhalten. So hat sich die<br />
Präsenz von Schweizer Unternehmen in<br />
den Nachbarländern massiv vergrössert. Wie<br />
gross das dortige Absatzpotenzial ist, wird<br />
oft unterschätzt. Die nahe an der Schweiz<br />
liegenden Regionen Baden-Württemberg<br />
(11 Mio. Einwohner), Süd-Bayern (6 Mio.),<br />
Rhône-Alpes (6 Mio.), Franche-Comté/<br />
Alsace (3 Mio.) und Lombardia (<strong>10</strong> Mio.) umfassen<br />
rund 42 Millionen Konsumenten und<br />
sind im europäischen Vergleich kaufkraftstark<br />
(siehe Abbildung S. 57). Aufgrund ihrer Bevölkerungsdichte<br />
und ihrer guten Erreichbarkeit<br />
sind Baden-Württemberg für Deutschschweizer,<br />
Rhône-Alpes für Welsche sowie<br />
die Lombardei für Tessiner KMU besonders<br />
attraktiv. Überdies können sie Geschäfte jeweils<br />
in ihrer Muttersprache abwickeln.<br />
Interregionale Kooperationen sind auch<br />
deshalb äusserst sinnvoll, weil sich durch sie<br />
einige der grössten Exporthemmnisse umge<br />
hen lassen. Namentlich ist die Nachfragestruktur<br />
ähnlich, die Transaktions- und Informationskosten<br />
sind tiefer, und die Partnersuche<br />
gestaltet sich in aller Regel einfacher.<br />
Importdruck: Kehrseite der Globalisierung<br />
Als Importdruck bezeichnen wir die Konkurrenz,<br />
die den heimischen Anbietern durch<br />
den Import von Waren oder durch die direkte<br />
Präsenz ausländischer Mitbewerber entsteht.<br />
Diese ergeben sich vor allem durch<br />
Preis-, Technologie- (Produktionsverfahren,<br />
Innovationen) und Kostenvorteile der ausländischen<br />
Anbieter. Importdruck ist in praktisch<br />
jeder Branche der Schweizer Wirtschaft<br />
ein Thema. Die meisten Branchen erlebten<br />
den Abbau der Kartelle und die Liberalisierung<br />
der Märkte als einigermassen langsam<br />
fortschreitenden Prozess, so dass sich vorausschauende<br />
Unternehmer in aller Regel<br />
anzupassen vermochten.<br />
Der Druck zur Anpassung kam einerseits<br />
von den Konsumenten, die auf tiefe Preise<br />
pochten, sowie von der Exportwirtschaft, die<br />
ihre Chancen im Aussenhandel verbessern<br />
wollte, andererseits von Vorgaben aus den<br />
GATT/WTO-Verhandlungen oder den bilateralen<br />
Verträgen mit der EU. Aktuell ist Marktöffnung<br />
insbesondere im Nahrungsmittelsektor<br />
ein Thema. Im Nahrungsmitteldetailhandel<br />
sind mit Aldi und Lidl namhafte neue<br />
ausländische Mitbewerber in den Markt eingetreten.<br />
Stiess die Migros bis in die 1960er-<br />
Jahre als Emporkömmling auf den Widerstand<br />
des alteingesessenen Handels, teilt<br />
sie sich heute mit Coop die Rolle der Etablierten<br />
und gerät so in Bedrängnis durch<br />
neue Mitbewerber.<br />
Die Nahrungsmittelindustrie konnte jüngst<br />
zusammen mit der Agrarwirtschaft die Auswirkungen<br />
der 2007 erfolgten Liberalisierung<br />
im Käsemarkt beobachten. Andere<br />
Nahrungsmittel wie Fleisch, Getreide, Obst<br />
und Gemüse sind nach wie vor durch Zollschranken<br />
geschützt. Die in der Schweiz aufgezogenen<br />
Salatsetzlinge stammen aller-<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
KMU-Studie Wirtschaft 59<br />
dings oft aus dem Ausland, und die einheimische<br />
Fleischproduktion könnte ohne<br />
Import des für die Aufzucht benötigten Kraftfutters<br />
gar nicht existieren. Nach dem Scheitern<br />
der Referendumsbemühungen gegen<br />
das Cassis-de-Dijon-Prinzip ist die Umsetzung<br />
desselben gewiss, und weitere Liberalisierungsschritte<br />
im Nahrungsmittelsektor<br />
sind absehbar. Während das Cassis-de-Dijon-Prinzip<br />
den Abbau technischer Handelshemmnisse<br />
wie abweichende Etikettierungsvorschriften<br />
mit sich bringt, würde das vom<br />
Bundesrat anvisierte Agrarfreihandelsabkommen<br />
mit der EU auch bisher ausgeklammerte<br />
landwirtschaftsnahe Bereiche wie die<br />
Milchwirtschaft und die Fleischproduktion<br />
den Marktkräften aussetzen.<br />
Präsenz ausländischer Konkurrenten<br />
In den vollständig liberalisierten Wirtschaftsbranchen<br />
macht sich zunehmender Importdruck<br />
durch stark wachsende Importvolumen<br />
oder aber durch die Präsenz ausländischer<br />
Firmen im Binnenmarkt bemerkbar. Beispiele<br />
stark gewachsener Importvolumen sind die<br />
früher hauptsächlich in der Schweiz hergestellten<br />
Schienenfahrzeuge. Hier darf das<br />
Wachstum von Stadler Rail nicht über die<br />
Schrumpfung der traditionellen Standorte<br />
Pratteln (Schindler Waggon) und Winterthur<br />
(SLM) hinwegtäuschen.<br />
Ob des Aufsehens, das neue Marken und<br />
Ladenkonzepte hervorrufen, geht oft vergessen,<br />
dass beispielsweise der Kleiderdetailhandel<br />
(H&M, Zara, C&A, Dosenbach) oder<br />
der Möbeldetailhandel (IKEA, Conforama)<br />
von ausländischen Anbietern dominiert wird.<br />
Dass Toblerone, ein Inbegriff von Swissness,<br />
sich längst nicht mehr in Schweizer Besitz<br />
befindet, ist bekannt. Mittlerweile sind aber<br />
Traditionsunternehmen unterschiedlichster<br />
Branchen wie Käsehersteller (Baer), Maschinenbauer<br />
(Netstal), Metallerzeuger (Emmenbrücke,<br />
Gerlafingen) oder Elektrotechnikkonzerne<br />
(Alstom Power Baden) in ausländischer<br />
Hand.<br />
Offener Arbeitsmarkt sehr wichtig<br />
Die Schweiz verzeichnete 2009 einen Zuzug<br />
von rund 60 000 ausländischen Arbeitnehmern.<br />
Im Vorjahr waren es gar 72 000. Trotz<br />
dieser Zuwanderung bleibt das Finden qualifizierter<br />
Arbeitskräfte eines der grössten<br />
Probleme der Schweizer KMU. In der Umfrage<br />
der Credit Suisse bezeichnen es 40<br />
Prozent der KMU als grösste Herausforderung<br />
für das Wachstum des Unternehmens.<br />
Dies notabene zu einem Zeitpunkt, da sich<br />
die Wirtschaft noch mit einem Bein in der<br />
Rezession befindet. Offensichtlich vermag<br />
die Zuwanderung die Rekrutierungsprobleme<br />
der KMU nicht vollständig zu lösen. Am<br />
stärksten ächzen die Bauwirtschaft und die<br />
Unternehmensdienstleistungen unter der<br />
Mitarbeiterknappheit. Auf Platz drei folgt die<br />
Investitionsgüterindustrie.<br />
Die Ursachen der Knappheit an qualifizierten<br />
Arbeitskräften sind vielfältig. Einerseits<br />
werden Schulabgängern mangelndes<br />
Ausbildungsniveau und fehlende Motivation<br />
angekreidet. Andererseits führt die demografische<br />
Verschiebung hin zu weniger erwerbstätigen<br />
und mehr älteren Menschen zu<br />
einer schleichenden Verknappung an Humankapital.<br />
Diese wird in der Unternehmensnachfolge<br />
von einer Generation zur nächsten<br />
besonders deutlich. Für KMU heisst dies,<br />
dass sie traditionelle Wege der Personalrekrutierung<br />
sowie des Personal- und Humankapitalmanagements<br />
verlassen müssen.<br />
Auch hat sich der Fokus auf ungenutztes<br />
Potenzial, namentlich Frauen und Senioren,<br />
ausgeweitet. Der Erfahrungsschatz eines<br />
rüstigen Seniors im Unruhestand kann unverzichtbar<br />
sein.<br />
Zudem erscheint die stärkere Anbindung<br />
der bestehenden Mitarbeitenden an das<br />
Unternehmen erstrebenswert. Dies geschieht<br />
über mehrjährige Weiterbildungspläne oder<br />
durch Massnahmen zur Stärkung der Identifikation<br />
mit der Firma wie beispielsweise<br />
einer Unternehmensbeteiligung seitens der<br />
Angestellten. Namentlich die gezielte Weiterbildungsplanung<br />
bindet die Mitarbeitenden<br />
via hohe Zufriedenheit an das Unternehmen.<br />
Gemäss unserer Umfrage ist die Weiterbildung<br />
mit über einem Drittel Nennungen denn<br />
auch die am häufi gsten genannte Massnahme<br />
zur Verbesserung der Mitarbeiterretention.<br />
Fazit: KMU sind gerüstet<br />
Insgesamt scheinen die KMU für die nächste<br />
Globalisierungswelle gerüstet. Die Turbulenzen<br />
der letzten Jahre haben sie für die<br />
Exportmärkte agiler und gegen Importdruck<br />
resistenter gemacht. Mit kulturellen Unterschieden<br />
wissen Schweizer KMU dank langjähriger<br />
Einwanderung vergleichsweise gut<br />
umzugehen. Da sich die weltwirtschaftlichen<br />
Gewichte in Richtung der weniger vertrauten<br />
Schwellenländer verschoben haben und weil<br />
bald zusätzliche, bisher wenig liberalisierte<br />
Teile des Binnenmarkts auch ausländischen<br />
Konkurrenten offenstehen werden, ist die<br />
unternehmerische Aufgabe indes im Ausland<br />
wie zu Hause anspruchsvoller geworden. <<br />
1 Einschätzung der Megatrends<br />
Wie positiv oder negativ schätzen die KMU<br />
die grossen Megatrends ein und wie hat<br />
sich das im Verlauf der letzten vier Jahre<br />
verändert? Quelle: Credit Suisse<br />
Wissensgesellschaft<br />
Technologie<br />
Wertewandel<br />
Demografie<br />
Ressourcenknappheit<br />
Globalisierung<br />
in % –20 0 20 40 60 80<br />
20<strong>10</strong> 2009 2008 2007<br />
2 Schweizer Aussenhandel<br />
(in Milliarden CHF pro Quartal)<br />
Nach dem Rezessionsjahr 20<strong>03</strong> stiegen<br />
die Exporte in den fünf Folgejahren um<br />
durchschnittlich 8,8 Prozent. Quelle: Credit Suisse<br />
in Mrd. CHF pro Quartal<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Importe<br />
Exporte<br />
90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 <strong>10</strong><br />
3 Grösste Exporthindernisse<br />
Folgende Punkte erachten exportwillige KMU<br />
als grösste Hindernisse. Quelle: Credit Suisse<br />
Fehlende Nachfrage<br />
Admin. Aufwand mit ausl. Behörden<br />
Fehlende Partner im Ausland<br />
Admin. Aufwand mit CH-Behörden<br />
Mangelnde Kenntnisse Zielmarkt<br />
Transportkosten<br />
Technische Vorschriften<br />
Finanzierung<br />
Sprache<br />
in % 0 5 <strong>10</strong> 15 20<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
60 Wirtschaft Multikulturalismus<br />
Ausland als Chance<br />
Globalisierung ist zum Alltagsbegriff geworden, aber nicht nur für Mama und Papa.<br />
Die Auswirkungen der neuen multipolaren Welt machen sich insbesondere auch bei<br />
den Kindern und Jugendlichen in den USA bemerkbar.<br />
Text: Robert Weissenstein, Chief Investment Officer, Private Banking Americas,<br />
und Jessie Zhu, Investment Strategy & Advisory Group, Private Banking Americas<br />
Früher als je zuvor machen Kinder in den USA<br />
und vielen anderen Ländern während der<br />
Ausbildung und beim täglichen Surfen im<br />
Internet multikulturelle Erfahrungen. Sie nutzen<br />
technische Hilfsmittel wie Laptops oder<br />
Mobiltelefone wie ihre Eltern einst Kugelschreiber<br />
und Papier. Dank einem beispiellosen<br />
Zugang zu Informationen wissen sie<br />
besser über Ressourcenverknappung,<br />
saube re Energien und den globalen Treibhauseffekt<br />
Bescheid als so mancher Erwachsene.<br />
Das aufstrebende China spielt für<br />
sie bereits keine Rolle mehr, da China in ihrer<br />
Welt schon lange im Mittelpunkt steht. Sie<br />
navigieren mühelos im Internet und nehmen<br />
Informationen auf, die womöglich aus einer<br />
nicht gelesenen Zeitung stammen, oder sie<br />
knüpfen Kontakte zu Menschen, deren Heimat<br />
ihnen fremd ist.<br />
Multikulturelle Kinder werden im Jahr 2015<br />
schätzungsweise 46 Prozent der amerikanischen<br />
Bevölkerung im Alter von drei bis elf<br />
Jahren ausmachen. Eltern versuchen ihren<br />
Kindern Wettbewerbsvorteile zu verschaffen,<br />
indem sie ihnen fremde Sprachen und Kulturen<br />
näherbringen. Europa und Asien sind<br />
den USA beim Sprachunterricht unter anderem<br />
deshalb voraus, weil sie früher damit beginnen<br />
(Grundschule statt High School) und<br />
die Kinder daher länger und intensiver lernen.<br />
Dies kann insofern zum Thema werden, als<br />
Mehrsprachigkeit im wirtschaftlichen Wettbewerb<br />
immer wichtiger wird.<br />
Spanisch in den USA führend<br />
Spanisch ist bei 80 Prozent aller Schüler in<br />
den USA, die in der Grundschule oder High<br />
School eine Fremdsprache lernen, erste<br />
Wahl. Chinesisch erfreut sich wachsender<br />
Beliebtheit, was darauf zurückzuführen ist,<br />
dass Schulen und Eltern China zunehmend<br />
als aufstrebende Wirtschaftsmacht wahrnehmen<br />
und die Kinder entsprechend vorbereiten<br />
wollen. Im Jahr 2000 lernten von insgesamt<br />
sieben Millionen Fremdsprachenschülern rund<br />
5000 Siebt- bis Zwölftklässler Chinesisch.<br />
Heute pauken 66 000 Schüler Chinesisch.<br />
Die Zahl der Programme, in denen Chinesisch<br />
vom Kindergarten bis zur zwölften<br />
Klasse unterrichtet wird, hat sich seit<br />
2004 verdreifacht. Bei 27 500 US-amerikanischen<br />
Middle Schools (Mittelstufe) und<br />
High Schools, die mindestens eine Fremdsprache<br />
anbieten, stieg der Anteil der Schulen<br />
mit Chinesischunterricht zwischen 1997<br />
und 2008 von einem auf vier Prozent (siehe<br />
Abbildung 1). Die Zahl der Absolventen des<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Multikulturalismus Wirtschaft 61<br />
Foto: Gaetan Bally, Keystone<br />
2007 eingeführten Einstufungstests für Chinesisch<br />
nimmt rasant zu, sodass es Deutsch<br />
als dritthäufigste Prüfungssprache nach<br />
Spanisch und Französisch noch in diesem<br />
Jahr überflügeln dürfte.<br />
An der privaten Brearley School in New<br />
York werden neben dem bisherigen Unterricht<br />
für die Fünft- bis Zwölftklässler seit<br />
2008 alle 50 Erstklässler in Chinesisch<br />
unterrichtet. Die Yu Ying Charter School in<br />
Washington bietet vom ersten Kindergartenjahr<br />
bis zur zweiten Klasse an abwechselnden<br />
Tagen Unterricht in Chinesisch und<br />
Englisch an. An der Yinghua Academy, einer<br />
öffentlichen Schule im Mittleren Westen,<br />
werden verschiedene Fächer von Mathematik<br />
bis zu amerikanischer Geschichte auf<br />
Mandarin unterrichtet. Früher waren die<br />
Schüler der Yinghua Academy zu 70 Prozent<br />
asiatisch, während heute 50 Prozent weisser,<br />
schwarzer oder hispanischer Herkunft sind.<br />
Diese Schulen bilden in den USA die Vorhut<br />
der <strong>Bewegung</strong> zur Förderung von Chinesisch<br />
als Unterrichtssprache.<br />
Englisch im Rest der Welt die Nummer 1<br />
Andere Länder fördern den Englischunterricht.<br />
In Südkorea stehen Grammatik und Lesen<br />
im Vordergrund, aber viele Schüler können<br />
sich auch nach zehn Jahren Unterricht<br />
nicht auf Englisch unterhalten. Zur Kompensation<br />
geben Südkoreaner jährlich 16 Milliarden<br />
US-Dollar für Englischkurse aus; fünf<br />
Milliarden US-Dollar fliessen in die Ausbildung<br />
der Kinder im Ausland (dies entspricht<br />
20 Prozent der gesamten staatlichen Bildungsausgaben).<br />
Für koreanische Kinder ist<br />
es nicht ungewöhnlich, mit der Mutter in<br />
einem englischsprachigen Land zu leben,<br />
während der Vater zu Hause bleibt – das so<br />
genannte Wildgänse-Phänomen. Landesweit<br />
gibt es schätzungsweise 200 000 «Wildgänse-Väter».<br />
Im Jahr 2008 stellte die Regierung<br />
4,2 Milliarden US-Dollar für die Umgestaltung<br />
des Englischunterrichts an öffentlichen<br />
Schulen bereit. Paradoxerweise wollen<br />
die Eltern sogar noch mehr für Privatstunden<br />
ausgeben, da sie fürchten, ihre Kinder könnten<br />
im neuen System zurückfallen.<br />
Mehr als 300 Millionen Chinesen lernen<br />
heute Englisch; ein gewaltiger «nationaler<br />
Hunger» hat Englisch über den Stellenwert<br />
einer Sprache erhoben. Es ist zu einem<br />
wesent lichen Massstab für die Aussicht auf<br />
sozialen Aufstieg geworden. Wohlhabende<br />
Eltern von Kindern im Vorschul- und Kindergartenalter<br />
in Grossstädten wählen spezielle<br />
Schulen, die Amerikaner, Kanadier und Philippinos<br />
beschäftigen. Das grösste englischsprachige<br />
Schulsystem, New Oriental Education,<br />
erzielte 2009 einen Umsatz in Höhe<br />
von 370 Millionen US-Dollar.<br />
Erwachter Drang ins Ausland<br />
Im Bestreben, globale Kompetenzen zu erwerben,<br />
studiert heute eine Rekordzahl amerikanischer<br />
Universitätsstudenten im Ausland.<br />
Im Jahr 2008 waren es 262 000 Studenten.<br />
Dies entspricht einer Zunahme von<br />
50 Prozent gegenüber dem Stand von vor<br />
fünf Jahren und einer Verdoppelung gegenüber<br />
vor zehn Jahren (siehe Abbildung 2). Ihr<br />
Anteil beträgt dennoch nur zwei Prozent aller<br />
College-Studenten, sodass weiterhin viel<br />
Spielraum für Wachstum bleibt.<br />
Grossbritannien ist seit Langem das beliebteste<br />
Zielland für amerikanische Studierende<br />
im Ausland, gefolgt von Italien, Spanien<br />
und Frankreich. Von den führenden 20<br />
Ländern liegen 11 ausserhalb Europas. China,<br />
Argentinien und Indien haben sich gegenüber<br />
dem Vorjahr auf die Ränge 5, 12 und 17 verbessert<br />
und verzeichnen Wachstumsraten<br />
von 19, 14 und 20 Prozent. Auch Südafrika<br />
hat als Zentrum für Auslandstudien an Bedeutung<br />
gewonnen und erreichte gegenüber<br />
dem Vorjahr ein Wachstum von 15 Prozent.<br />
Immer mehr Studenten entscheiden sich für<br />
nicht englischsprachige, nicht traditionelle<br />
Destinationen, einschliesslich Schwellenländer<br />
(siehe Abbildung 3). Manche absolvieren<br />
neben der sprachlichen und kulturellen Ausbildung<br />
auch ein Praktikum, um Berufserfahrung<br />
zu sammeln und sich auf einem hart<br />
umkämpften globalen Arbeitsmarkt zusätzliche<br />
Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.<br />
Herausforderung für unsere Kinder<br />
Aufstiegsaspiranten interessieren sich für die<br />
Welt jenseits der eigenen Grenzen und bauen<br />
globale Komponenten in ihren Ausbildungsprozess<br />
ein. Dies mag aus wirtschaftlichem<br />
Eigeninteresse geschehen, aber letztlich<br />
dient es auch dem nationalen Interesse.<br />
Es wird immer schwieriger, mit einem insularen<br />
Ansatz Wohlstand zu schaffen. Das<br />
Internet spielt im Cyberspace dieselbe Rolle<br />
wie der Fall der Berliner Mauer vor 20 Jahren:<br />
Es ermöglicht den Verkehrs- und Informationsfluss<br />
zwischen vormals isolierten Kulturen.<br />
Ausbildungsinvestitionen bedeuten Investitionen<br />
in die Infrastruktur, die unsere<br />
Kinder und Jugendlichen in einer wahrhaft<br />
globalisierten Welt unterstützen wird. Wer<br />
dies richtig anpacken will, muss frühzeitig<br />
beginnen. <<br />
1 Nachfrage nach Chinesisch steigt<br />
Im Jahr 2008 boten vier Prozent aller amerikanischen<br />
Schulen Chinesischunterricht<br />
an. Praktisch überall wird Spanisch gelehrt.<br />
Dagegen sinkt die Zahl der Schulen in<br />
den USA, an denen Französisch, Deutsch<br />
und Japanisch unterrichtet wird.<br />
Quelle: «The New York Times», Center for Applied Linguistics<br />
250 000<br />
200 000<br />
150 000<br />
<strong>10</strong>0 000<br />
50 000<br />
11%<br />
% %<br />
15<br />
<strong>10</strong><br />
–5<br />
– <strong>10</strong><br />
– 15 – 75<br />
– 20<br />
5 25<br />
0<br />
Prozentuale Veränderung seit 1997<br />
Fremdsprachenangebot in Schulen 2008 (rechte Skala)<br />
1% 6%<br />
5%<br />
5%<br />
15%<br />
0<br />
Französisch<br />
Deutsch<br />
Japanisch<br />
1999 2002 2005 2008<br />
56%<br />
Spanisch<br />
2 US-Studenten im Ausland<br />
Chinesisch<br />
Die Zahl amerikanischer Studenten im<br />
Ausland nimmt rapide zu und hat sich<br />
innerhalb von nur zehn Jahren auf 260 000<br />
verdoppelt. Quelle: Institute of International Education<br />
3 Zielländer für US-amerikanische<br />
Studierende im Ausland<br />
75<br />
50<br />
0<br />
– 25<br />
– 50<br />
– <strong>10</strong>0<br />
Grossbritannien bleibt das bevorzugte Zielland<br />
für amerikanische Studierende im Ausland,<br />
gefolgt von Italien, Spanien und Frankreich.<br />
Die beliebtesten aussereuropäischen<br />
Länder sind China, Argentinien und<br />
Indien. Quelle: Institute of International Education<br />
Europa<br />
Lateinamerika<br />
Asien<br />
Ozeanien<br />
Afrika<br />
Mittlerer Osten<br />
Übrige<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
62 Wirtschaft Indien<br />
Indien:<br />
Pulsierendes Land der<br />
Gegensätze und Chancen<br />
Bereits zum siebten Mal organisierte die Credit Suisse im Frühling einen so genannten<br />
Interactive Fieldtrip für Kunden und Investoren. Die straff durchorganisierte Reise führte<br />
nach Neu-Delhi und Mumbai. Dabei wurden für Anleger interessante Bereiche wie der<br />
Auf- und Ausbau von Infrastrukturen, die Massenproduktion von Konsumgütern, das<br />
Bildungswesen, aber auch Bollywood bis hin zum mehrfach ausgezeichneten Dabbawala-<br />
Lunchbüchsen-Lieferdienst in Mumbai angeschaut.<br />
Text: Daniel Huber<br />
1<br />
1 Die traurige Kulisse zum Film «Slumdog<br />
Millionaire»: In den Slums von Mumbai leben<br />
über sechs Millionen Menschen. 2 Prunk<br />
und moderne Architektur in einem Luxushotel<br />
von Neu-Delhi. 3 Die moderne Fabrik<br />
von Moser Baer im Industrievorort Noida<br />
bei Neu-Delhi. 4 Die neue, 5,6 Kilometer<br />
lange Bandra-Worli-Brücke verbindet<br />
Downtown Mumbai mit den westlichen<br />
Vororten. 5 Motorrikschas in Neu-Delhi.<br />
2<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Indien Wirtschaft 63<br />
3<br />
5<br />
4<br />
Fotos: André Springer<br />
Die Kennzahlen Indiens sind beeindruckend.<br />
Mit 3,3 Millionen Quadratkilometern ist Indien<br />
zwar nur das siebtgrösste Land der<br />
Welt, aber mit über 1,2 Milliarden Einwohnern<br />
hinter China auf Platz zwei bei der Bevölkerungszahl.<br />
Noch 1925 waren es lediglich 263<br />
Millionen! Mit ungeheurer Wucht ist in den<br />
vergangenen Jahren auch die indische Wirtschaft<br />
gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt<br />
ist in der letzten Dekade jedes Jahr um durchschnittlich<br />
7,2 Prozent gestiegen. Selbst im<br />
Krisenjahr 2008/2009 (das Finanzjahr in Indien<br />
dauert von April bis Ende März) verzeichnete<br />
Indien zwar einen Rückgang des<br />
BIP gegenüber dem Boomjahr 2007/2008<br />
(9,2 Prozent), blieb aber klar auf der Wachstumsstrasse<br />
mit 6,7 Prozent. Und 2009/<br />
20<strong>10</strong> waren es bereits wieder 7,2 Prozent.<br />
Gleichzeitig gibt es kaum ein Land, das<br />
derart von Gegensätzen geprägt ist wie Indien<br />
– nicht zuletzt auch bei der Schere zwischen<br />
Reichtum und Armut. So wuchs laut der<br />
jüngsten Erhebung des US-Magazins «Forbes»<br />
die Zahl der indischen Milliardäre innerhalb<br />
von einem Jahr von 24 auf 50. Und in<br />
den Top-Fünf der reichsten Menschen dieser<br />
Welt sind mit Mukesh Ambani (29 Milliarden<br />
US-Dollar) und Lakshmi Mittal (28,7 Milliarden<br />
US-Dollar) gleich zwei Inder vertreten.<br />
Auf der anderen Seite geht die Weltbank<br />
davon aus, dass über 40 Prozent der indischen<br />
Bevölkerung unter der Armutsgrenze<br />
lebt, die bei einem Einkommen von weniger<br />
als 1,25 Dollar pro Kopf und Tag liegt.<br />
Millionen von Landflüchtlingen<br />
Aufgrund der grossen Armut der Landbevölkerung<br />
machen sich jeden Tag Tausende auf,<br />
ihr Glück in den Städten zu suchen, allen<br />
voran in Mumbai, in dessen Grossraum rund<br />
20 Millionen Menschen leben, und in Neu-<br />
Delhi mit zirka 18 Millionen. Genaue Zahlen<br />
gibt es keine. Die letzte offizielle Volkszählung<br />
fand 2001 statt, und jeden Tag strömen<br />
Tausende von neuen Landflüchtlingen in die<br />
Metropolen, wo sie zuerst auf der Strasse<br />
und dann in den Slums stranden, die sich<br />
überall in den Grossstädten ausbreiten. Insgesamt<br />
gibt es in Indien zurzeit 34 Städte mit<br />
über einer Million Einwohnern. Angesichts<br />
der aus allen Nähten platzenden Zentren ist<br />
in Indien das Thema Auf- und Ausbau von<br />
Infrastrukturen allgegenwärtig und damit auch<br />
der erste Programm punkt des Fieldtrip. Verschiedene<br />
staatliche Agenturen gehen davon<br />
aus, dass in den nächsten Jahren Investitionen<br />
von rund 500 Milliarden US-Dollar<br />
notwendig werden, um den ungeheuren<br />
Nach holbedarf im Transport wesen (Strassen,<br />
Brücken, Tunnels etc.) und in der Energie-,<br />
Gas- und Wasserversorgung abzudecken.<br />
Entsprechend steht für die erste Gastreferentin<br />
Bidisha Ganguly in Delhi fest: «Das weltweite<br />
Wachstumszentrum hat sich nach Osten<br />
und insbesondere nach China und Indien verschoben.»<br />
Die Leiterin der Research-Abteilung<br />
der Confederation of Indian Industry in<br />
Neu-Delhi gibt eine erste Grobübersicht der<br />
grössten Herausforderungen im Bereich Infrastruktur<br />
und macht auch keinen Hehl daraus,<br />
dass viele dieser Projekte häufig durch<br />
politische und bürokratische Hemmnisse erschwert<br />
würden. Gleichwohl sieht die nächste<br />
Referentin, Sanja Sethi von Kotak Capital,<br />
auch in dieser Beziehung deutliche Fortschritte<br />
und damit auch grössere Chancen.<br />
So würden in Indien jeden Tag 23 Highway-<br />
Kilometer fertiggestellt.<br />
Moser Baer in der Industriestadt Noida<br />
Dass der Strassenbau noch stark auf einfacher<br />
Handarbeit, nicht zuletzt von Frauen,<br />
basiert, ist auf der Busfahrt nach Noida zu<br />
sehen. «Schliesslich müssen wir unsere Massen<br />
irgendwie beschäftigen», erklärt die indische<br />
Reisebegleiterin. Noida ist die Abkürzung<br />
für New Okhla Industrial Development<br />
Authority. Dabei handelt es sich um<br />
eine in den 1970er-Jahren auf dem Reissbrett<br />
geplante Industriestadt im Osten von ><br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
64 Wirtschaft Indien<br />
1 Das Nanotech-Laboratorium des Indian<br />
Institute of Technology (IIT) von Mumbai.<br />
2 Eine Bollywood-Filmcrew dreht in<br />
den Hügeln von Film City in Mumbai eine<br />
Beerdigung. 3 Liefert das Mittagessen<br />
mit Blechboxen vom heimischen Herd<br />
direkt an den Arbeitsplatz in Downtown<br />
Mumbai: ein Dabbawala-Bote. 4 Bietet<br />
zum Preis von 2500 US-Dollar Platz für<br />
vier Personen und ein Mindestmass an<br />
Autokomfort: der Tata Nano. 5 Unterwegs<br />
in einem Vorort von Mumbai.<br />
1 2<br />
3<br />
4<br />
Neu-Delhi, wo mittlerweile rund zwei Millionen<br />
Menschen leben. Dass die Millionenvorstadt<br />
bereits zum angrenzenden Bundesstaat<br />
Uttar Pradesh gehört, birgt offenbar gewissen<br />
politischen Konfliktstoff.<br />
Eines der dort in den 1980er-Jahren angesiedelten<br />
Unternehmen ist Moser Baer.<br />
Dabei handelte es sich ursprünglich um ein<br />
Joint Venture mit der Schweizer Firma Moser<br />
Baer in Sumiswald, die heute aber nicht mehr<br />
beteiligt ist. Moser Baer in Indien ist der weltweit<br />
zweitgrösste Hersteller von optischen<br />
Speichermedien, sprich CDs, DVDs aller<br />
Art bis hin zu Blue-ray Discs mit bis zu<br />
25 Gigabyte Speicherkapazität, die danach<br />
unter verschiedensten Labels in den Handel<br />
gelangen. Daneben stieg das Technologieunternehmen<br />
2005 aufgrund gewisser Synergien<br />
in der Produktionstechnik in die Herstellung<br />
von Fotovoltaik-Zellen ein. Dazu<br />
kam 2006 die Herstellung und der Vertrieb<br />
von eigenen Home-Entertainment- sowie<br />
gewissen Heimelektronik-Produkten wie<br />
Kopfhörern, DVD-Playern oder optischen<br />
Computer-Mäusen. Moser Baer beschäftigt<br />
in Indien an vier Standorten über 7000 Mitarbeitende.<br />
In der Diskussion mit dem Verantwortlichen<br />
von Moser Baer kommt unweigerlich<br />
die Rede auf die Vor- und Nachteile<br />
des Produktionsstandorts Indien gegenüber<br />
China. Dabei wird von Abhinav Kanchan, Leiter<br />
Corporate Communications, das aufstrebende<br />
Markt- und Geschäftsumfeld, die breite<br />
Unterstützung seitens der Regierung, die<br />
höheren Ausbildungsstandards und vor allem<br />
auch der Vorteil der englischen Sprache, die<br />
in Indien von grossen Teilen der gebildeten<br />
Bevölkerung sehr gut gesprochen wird, ins<br />
Feld geführt.<br />
Das erste moderne Auto Indiens<br />
Der zweite Werksbesuch führt in den Westen<br />
von Delhi in das Industriegebiet von Gurgaon.<br />
Dort fuhr am 14. Dezember 1983 mit dem<br />
Maruti 800 der erste moderne indische Personenwagen<br />
vom Band. Maruti wurde 1981<br />
von der indischen Regierung als Joint Venture<br />
mit Suzuki gegründet. Heute gehören<br />
54 Prozent dem japanischen Hersteller. Das<br />
Land Indien ist weltweit der zwölft grösste<br />
Fahrzeughersteller. Rund elf Millionen zwei-,<br />
drei- und vierrädrige Fahrzeuge werden hier<br />
produziert. Der mit Abstand grösste Personenwagenhersteller<br />
ist Suzuki Maruti. Mit<br />
722 144 verkauften Autos im Jahr 2008/<br />
2009 betrug der Marktanteil auf dem Heimmarkt<br />
55 Prozent. Gleichzeitig gehen mittlerweile<br />
fast <strong>10</strong>0 000 Fahrzeuge in den Export,<br />
allen voran der vor zwei Jahren lancierte<br />
Kleinwagen A-Star, der in Europa unter dem<br />
Namen Alto verkauft wird. Ajay Seth, CFO<br />
von Suzuki Maruti, ist überzeugt, dass für die<br />
Muttergesellschaft Suzuki Indien als Produktionsstandort<br />
noch wichtiger werden wird:<br />
«So werden wir auch als erster Standort<br />
ausserhalb Japans einen eigenen R&D-Bereich<br />
bekommen. Damit können wir noch<br />
schneller auf den boomenden Heimmarkt reagieren.»<br />
Spannend ist in diesem Zusammenhang<br />
auch die Diskussion rund um die<br />
neue Konkurrenz durch den Tata Nano. Der<br />
bis anhin vor allem im Geländewagen und<br />
Lastwagen-Segment beheimatete indische<br />
Hersteller stellte vor zwei Jahren dieses Billigauto<br />
vor, das mit einem Preis von 2500<br />
US-Dollar für Millionen von Indern den Traum<br />
von einem motorisierten Fahrzeug auf vier<br />
Rädern Wirklichkeit werden lassen soll. Dazu<br />
Seth: «Natürlich beobachten wir die Entwicklungen<br />
um den Nano sehr genau. Doch<br />
grundsätzlich interessiert uns dieses Billigstsegment<br />
nicht. Auch liegen die Verkaufszahlen<br />
des Nano zurzeit noch weit hinter den<br />
Erwartungen von Tata zurück.» Seth macht<br />
Fotos: André Springer<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Indien Wirtschaft 65<br />
1 Indiens demografische Dividende<br />
Im Gegensatz zu vielen westlichen Industrieländern<br />
ist die indische Bevölkerung jung. Der<br />
Anteil der über 50-Jährigen dürfte im Lauf<br />
des nächsten Jahrzehnts eher zurückgehen.<br />
Quelle: Vereinte Nationen<br />
Einwohner (Mio.)<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
<strong>10</strong>0<br />
0<br />
0 –14 15–24 25–49 50–59 60+<br />
Alter<br />
2000 2020E<br />
5<br />
auch deutlich, dass der Marktanteil zwar<br />
wich tig sei, aber nicht um jeden Preis.<br />
Der anschliessende Besuch der Produktions<br />
halle präsentiert eine effizient funktionierende<br />
Fertigungslinie mit einem relativ<br />
grossen Anteil an Handarbeit. Suzuki Maruti<br />
beschäftigt an zwei Standorten rund 7500<br />
Mitarbeitende, wobei Seth stolz herausstreicht,<br />
dass ihre Mitarbeitenden im Durchschnitt<br />
seit 15 Jahren für Maruti arbeiteten,<br />
was für die guten Ar beits bedingungen<br />
sprech e. Der Lohn eines Arbeiters, der seit<br />
zehn Jahren bei der Firma sei, betrage um<br />
die 600 US-Dollar im Monat.<br />
Sechs Millionen Pendler in Mumbai<br />
Nach dem Besuch von Suzuki Maruti geht<br />
die Reise weiter nach Mumbai. Bis 1995<br />
hiess die Stadt Bombay und für die meisten<br />
Einheimischen ist es immer noch so. Doch<br />
offiziell trägt sie seither den Namen der Göttin<br />
der regionalen Koli-Fischer namens Mumbai.<br />
Jeden Tag pendeln rund sechs Millionen<br />
Menschen in überfüllten Zügen aus den Vorstädten<br />
ins Zentrum. Im 45- Sekunden-Takt<br />
treffen die Züge im ehrwürdigen Victoria-<br />
Terminal ein. Abends treffen sich jeweils Tausende<br />
auf den ausladenden Sandstränden<br />
und geniessen dicht gedrängt den Sonnenuntergang<br />
am arabischen Meer. Zum Schwimmen<br />
ist das Meer zu verdreckt, aber das stört<br />
niemanden.<br />
Nach verschiedenen Vorträgen zu Private<br />
Equity und sonstigen Investmentmöglich keiten<br />
sowie zu steuerlichen Eigenheiten von<br />
Indien – so machte ein vorteilhaftes Doppelbesteuerungsabkommen<br />
Mauritius zum grössten<br />
ausländischen Investorenland – ist die<br />
Reihe an Virat Khullar, Brand Manager von<br />
Tata Nano Car. Er stellt das Konzept des Billigautos<br />
vor. Der Nano soll weit unten in der<br />
Fahrzeugpyramide die preislich grosse Lücke<br />
zwischen den motorisierten Zweirädern und<br />
dem bislang preiswertesten Auto schliessen.<br />
Das Potenzial scheint riesig, schliesslich<br />
werden in Indien pro Jahr rund zehn Millionen<br />
Zweiräder verkauft. Dabei hat Tata aber keineswegs<br />
die urbane Bevölkerung im Visier,<br />
sondern vielmehr die untere Mittelschicht auf<br />
dem Land. Ihnen soll für 2500 US-Dollar Platz<br />
für vier Personen, geschützt vor Wind und<br />
Wetter, mit allen gängigen Sicherheitsstandards<br />
geboten werden. Herausgekommen<br />
ist ein kleines, rundliches Auto mit vier Türen,<br />
einem 35 PS starken Zweizylindermotor unt e r<br />
dem Rücksitz und etwas Stauraum darüber, ><br />
2 Beiträge zum BIP-Wachstum<br />
in Indien<br />
Der Anteil der Landwirtschaft am indischen<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht rasch zurück,<br />
während die Sektoren Handel, Hotellerie,<br />
Verkehr und Kommunikation an Bedeutung<br />
gewinnen. Quelle: Credit Suisse<br />
%<br />
<strong>10</strong>0<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
01 02 <strong>03</strong> 04 05 06 07 08<br />
Landwirtschaft<br />
Bergbau<br />
Verarbeitendes Gewerbe<br />
Strom-, Gas- und Wasserversorgung<br />
Handel, Hotellerie, Verkehr und<br />
Kommunikation<br />
Finanz-, Immobilien- und<br />
Geschäftsdienstleistungen<br />
Gemeinde- und Sozialwesen<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
66 Wirtschaft Indien<br />
War bereits zum siebten Mal Gastgeber bei<br />
einem Interachtive Fieldtrip: Arthur Vayloyan,<br />
Leiter Investment Services and Products in<br />
der Division Private Banking.<br />
Interactive Fieldtrips Seit 2006<br />
organisiert das Private Banking<br />
der Credit Suisse für Kunden und<br />
Investoren so genannte Interactive<br />
Fieldtrips. Diese führen in der<br />
Regel in Märkte, die noch relativ<br />
unbekannt sind und gleichzeitig<br />
ein interessantes Potenzial für<br />
Investitionen bergen. Initiator und<br />
Organisator der bislang sieben<br />
Interactive Fieldtrips ist Arthur<br />
Vayloyan, Leiter Investment<br />
Services and Products im Private<br />
Banking. Für ihn steht fest: «Mit<br />
diesen Reisen bieten wir den<br />
Teilnehmern die einmalige Chance,<br />
vor Ort vertiefte Einblicke in<br />
spannende Regionen und Märkte<br />
zu gewinnen. Darüber hinaus<br />
kommt es bei diesen Fieldtrips<br />
auch immer zu angeregten Diskussionen<br />
mit unseren Experten,<br />
aber auch direkt unter den Teilnehmern.<br />
Auf so einer Reise<br />
trifft enorm viel Wissen und Erfahrung<br />
aufeinander.»<br />
das eine Spitzengeschwindigkeit von rund<br />
<strong>10</strong>0 km/h erreicht und zirka 4,5 Liter Benzin<br />
auf <strong>10</strong>0 Kilometer verbraucht. Bei der Sitzprobe<br />
erweist sich das Billigauto als erstaunlich<br />
geräumig und die Ausstattung ist zwar<br />
sehr einfach, aber bedienungsfreundlich.<br />
Proteste verzögern Nano-Produktionsstart<br />
Zurzeit lässt sich noch nicht abschätzen, ob<br />
das Konzept an der Verkaufsfront langfristig<br />
Erfolg haben wird. Die Produktion ist immer<br />
noch in der Anlaufphase. Ungereimtheiten<br />
beim Kauf des Lands führten zu Protesten<br />
bei der Baustelle des ursprünglichen Standorts.<br />
Obwohl Tata vor Gericht recht bekommen<br />
habe und immer noch im Besitz des<br />
Lands sei, hätte es die Konzernleitung vorgezogen,<br />
die Produktion an einen neuen<br />
Standort zu verlegen, erzählt Virat Khullar.<br />
«Vor allem auch, um die Arbeiter nicht diesen<br />
Protesten auszusetzen.» Entsprechend konnten<br />
erst 25 000 der über 200 000 bereits bestellten<br />
Nanos ausgeliefert werden. «Interessanterweise<br />
haben <strong>10</strong>0 000 das Auto bereits<br />
im Voraus bezahlt und warten nun geduldig,<br />
bis sie es bekommen.» Läuft die Produktion<br />
und Nachfrage nach Wunsch, so soll in fünf<br />
Jahren der Sprung ins Ausland erfolgen.<br />
Passend zum Zeitpunkt erfolgt kurz vor<br />
dem Mittagessen die Präsentation der über<br />
<strong>10</strong>0-jährigen Dabbawala-Erfolgsgeschichte.<br />
Dabei handelt es sich um eine Art Lunchbox-<br />
Lieferservice. Für umgerechnet sechs Dollar<br />
im Monat holt ein Dabbawala-Bote um <strong>10</strong><br />
Uhr morgens das frisch zubereitete Mittagessen<br />
und liefert es dank einem ausgeklügelten<br />
Sammel-, Transport- und Verteilsystem<br />
rechtzeitig zur Mittagspause beim Auftraggeber<br />
ab. So werden tagtäglich über<br />
200 000 Lunchboxen von 5000 Boten nach<br />
Mumbai geliefert. Fehlerquote: eine fehlgeleitete<br />
Blechbox auf 16 Millionen Aufträge.<br />
Zuerst das Essen und dann das Kino<br />
Der Nachmittag ist ganz dem Thema Bollywood<br />
gewidmet. Zuerst gibt Filmproduzent<br />
Bobby Bedi eine kurze Einführung. Für ihn<br />
steht fest, dass für einen Inder auf der Bedürfnispyramide<br />
knapp nach dem Essen das<br />
Kino kommt (siehe Interview Seite 68). Film City<br />
in Mumbai entpuppt sich als wenig glamouröser<br />
Ort. Die Kulissen an den verschiedenen<br />
Drehorten sind sehr behelfsmässig hingestellt.<br />
Überall auf dem hügeligen Gelände<br />
drehen irgendwelche Crews Outdoor-Szenen.<br />
Aufschlussreich ist der Besuch der digitalen<br />
Studios von Prime Focus, einer auf<br />
tionsfirma. 1995 von vier jungen Filmfans<br />
gegründet, ist es heute ein global agierendes<br />
Unternehmen, das sieben Tage in der Woche<br />
und rund um die Uhr im Einsatz steht. Ein<br />
wichtiger Bereich ist das Umwandeln von<br />
2D-Aufnahmen in 3D-Erlebnisse. So hat Prime<br />
Focus auch bei rund 200 Einstellungen<br />
des Kassenschlagers Avatar mitgewirkt.<br />
Mittlerweile ist Prime Focus auf drei Kontinenten<br />
und in fünf Zeitzonen mit 15 Studios<br />
aktiv. Nebst der Postproduktion von Kinofilmen<br />
ist die Firma auch für Werbefilme ein<br />
begehrter Partner. Und dieser Bereich explodiert<br />
zurzeit in Indien. 2009 wurden über<br />
50 000 TV- und Kino-Werbespots gedreht –<br />
20<strong>10</strong> sollen es 85 000 werden.<br />
Jeder Hundertste schaffts ans IIT<br />
Bleiben am letzten Tag in Mumbai die Besuche<br />
des Indian Institute of Technology (IIT)<br />
und eines wohltätigen Ausbildungsprojekts.<br />
Das Institut bildet weltweit begehrte IT-Ingenieure<br />
aus, obwohl die Infrastruktur auf den<br />
ersten Blick kaum nach Hightech aussieht.<br />
In Indien gibt es insgesamt sieben Institutes<br />
of Technology. Sie gelten als eigentliche Karrieresprungbretter.<br />
Wer einen Studienplatz<br />
haben will, muss ein knallhartes Auswahl verfahren<br />
überstehen. So melden sich jedes Jahr<br />
500 000 Studenten zum Einstiegstest an,<br />
doch nur ein Prozent, sprich die 5000 Besten,<br />
bekommen einen Platz. Und wer nach dem<br />
Bachelor noch den Master machen will, muss<br />
erneut eine Aufnahmeprüfung absolvieren,<br />
die nur jeder Dritte besteht. Auf der anderen<br />
Seite gibt es gemäss Rajeev Deshpande,<br />
dem Chief Development Officer des IIT,<br />
praktisch keine Aussteiger während des<br />
Studiums. «Wer hier ist, hat bewiesen, dass<br />
er dazu fähig ist, und will unbedingt seine<br />
Chance wahrnehmen.» So erhalten viele der<br />
Absolventen schon während des letzten Semesters<br />
lukrative Jobangebote von zumeist<br />
global agierenden Firmen. «Die meisten verdienen<br />
von Beginn weg mehr als wir Professoren»,<br />
sagt Deshpande und spricht von<br />
durchschnittlich 15 000 US-Dollar Jahresgehalt.<br />
Doch damit gehörten sie in Indien<br />
bereits zur oberen Mittelschicht. Wer wirklich<br />
Glück habe, der würde von einem globalen<br />
Konzern in Indien einen westlichen Lohn erhalten,<br />
der häufig bei 70 000 US-Dollar und<br />
mehr Einstiegsgehalt liege.<br />
Berufsanlehre als Chance<br />
Mehrheitlich weniger als <strong>10</strong>00 US-Dollar pro<br />
Jahr verdienen dagegen die Bewohner des<br />
visuelle Spezialeffekte fokussierten Produk- Armenviertels Bandra Ost in Mumbai, wo ><br />
Foto: André Springer<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Indien Wirtschaft 67<br />
3 Indiens unterschiedliche Sektoren<br />
Indien ist eine marktwirtschaftliche Demokratie. In strategischen Sektoren finden sich öffentlich-private Partnerschaften. Indiens Unternehmenskultur<br />
begünstigte das Wachstum florierender Sektoren des verarbeitenden Gewerbes und der kompetenzorientierten Dienstleisungsindustrie.<br />
Ausser dem ist Indien reich an Bodenschätzen. Quelle: Indian Automotive Mission Pan, SIAM, Economic Survey, India Brand Equity Foundation, Ministry of Textiles, Investment Commission of India<br />
HIMACHAL PRADESH<br />
LUDHIANA<br />
GURGAON<br />
DELHI<br />
NOIDA<br />
JAIPUR<br />
ASSAM<br />
MADHYA PRADESH<br />
JHARKAND<br />
SURAT<br />
CHHATTISGARH<br />
WEST BENGAL<br />
ORISSA<br />
MUMBAI<br />
PUNE<br />
HYDERABAD<br />
BANGALORE<br />
TAMIL NADU<br />
AUTO<br />
EDELSTEINE UND SCHMUCK<br />
IT-INDUSTRIE<br />
TEXTILINDUSTRIE<br />
Indische<br />
Automobilindustrie<br />
Norden – Delhi, Gurgaon, Noida;<br />
Süden – Tamil Nadu;<br />
Westen – Pune<br />
Umfang des Auto- und<br />
Zuliefermarkts<br />
50 Milliarden US-Dollar<br />
In Indien verkaufte Fahrzeuge<br />
2008–2009<br />
11 Millionen Fahrzeuge<br />
Davon Exporte<br />
1,5 Millionen<br />
BIP-Anteil<br />
7 Prozent<br />
Rang in der Weltproduktion<br />
12<br />
Beschäftigte in der Industrie<br />
13 Millionen<br />
Indische Textilindustrie<br />
Norden – Ludhiana, Jaipur,<br />
Himachal Pradesh;<br />
Süden – Tamil Nadu<br />
Marktumfang<br />
52 Milliarden US-Dollar<br />
Davon Exporte<br />
36 Prozent<br />
BIP-Anteil<br />
4 Prozent<br />
Davon Exporte<br />
12 Prozent<br />
Rang in der Weltproduktion<br />
7. Rang bei Textilien,<br />
6. bei Bekleidung,<br />
drittgrösster Baumwollproduzent,<br />
zweitgrösster Seidenproduzent<br />
Beschäftigte in der Industrie<br />
35 Millionen (zweitgrösster<br />
Sekto r nach der Landwirtschaft)<br />
Indische IT- und ITeS-<br />
Industrie<br />
Süden – Bangalore, Hyderabad;<br />
Westen – Pune, Mumbai;<br />
Norden – Delhi, Gurgaon, Noida<br />
Marktumfang<br />
72 Milliarden US-Dollar<br />
Davon Exporte<br />
67 Prozent<br />
BIP-Anteil<br />
6 Prozent<br />
Weltmarktanteil<br />
5 Prozent<br />
Beschäftigte in der Industrie<br />
<strong>10</strong> Millionen<br />
Indische Edelstein- und<br />
Schmuckindustrie<br />
Westen – Surat, Mumbai<br />
Marktumfang<br />
27 Milliarden US-Dollar<br />
Davon Exporte<br />
40 Prozent<br />
Weltmarktanteil im Bereich<br />
Diamantschleifen und -polieren<br />
82 Prozent nach Karat,<br />
60 Prozent nach Wert<br />
Rang beim weltweiten Goldverbrauch<br />
1; 20 Prozent der weltweiten<br />
Nachfrage<br />
Rang beim weltweiten<br />
Diamantverbrauch<br />
3<br />
Beschäftigte in der Industrie<br />
1,3 Millionen<br />
Indiens Reichtümer an<br />
Bodenschätzen<br />
Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Jharkand,<br />
Orissa, West Bengal, Assam<br />
Natürliche<br />
Ressourcen<br />
Kohle<br />
Eisenerz<br />
Bauxit<br />
Mangan<br />
Chrom<br />
Reserven<br />
96 Milliarden<br />
Tonnen<br />
24 Milliarden<br />
Tonnen<br />
2,4 Milliarden<br />
Tonnen<br />
240 Millionen<br />
Tonnen<br />
57 Millionen<br />
Tonnen<br />
Rang<br />
Drittgrösste<br />
Reservenbasis<br />
der Welt<br />
Fünftgrösste<br />
Reservenbasis<br />
der Welt<br />
Viertgrösste<br />
Reservenbasis<br />
der Welt<br />
Zweitgrösste<br />
Reservenbasis<br />
der Welt<br />
Drittgrösste<br />
Reservenbasis<br />
der Welt<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
68 Wirtschaft Indien<br />
die Kherwadi Social Welfare Association<br />
ein Berufsausbildungszentrum für junge Erwachsene<br />
betreibt. Dort durchlaufen Jugendliche<br />
im Alter von 16 bis 25 Jahren Anlehren<br />
zu Mechanikern, Klimaanlagen- und Kühlschrank-Monteuren,<br />
Datenverarbeitern oder<br />
auch zu Kosmetikerinnen und Pflegerinnen.<br />
Bei der Einführung unter einem heissen<br />
Blech dach erhalten auch noch weitere Hilfsund<br />
Mikrofinanzorganisationen die Gelegenheit,<br />
sich und ihre verschiedenen Lösungsansätze<br />
vorzustellen. Der Besuch des Armenviertels<br />
von Bandra Ost setzt dem viertägigen<br />
Fieldtrip nach Indien einen eindrücklichen<br />
Schlusspunkt. Die Teilnehmer kehren vollgepackt<br />
mit Eindrücken und Einschätzungen<br />
von einem Land im Aufbruch nach Hause<br />
zurück, das in seiner Vielfalt und Gegensätzlichkeit<br />
kaum zu übertreffen ist und neben all<br />
den Problemen auch unübersehbar eine Fülle<br />
von Chancen und Möglichkeiten bietet. <<br />
Wettstreit der Metro polen Obwohl<br />
Neu -Delhi die Hauptstadt und<br />
mit 18 Millionen Einwohnern nur<br />
unwesentlich kleiner ist, steht es<br />
für die meisten Inder im Schatten<br />
von Mumbai. Dieser gigantische<br />
Moloch, eingepfercht auf einer<br />
Halbinsel an der Westküste, ist für<br />
die Inder, was für die Amerikaner<br />
Los Angeles: Die Stadt der Träume,<br />
wo Tellerwäscher-Karrie ren wahr<br />
werden, wo Bollywood aus einfachen<br />
Landmädchen Stars macht,<br />
wo das Finanzzentrum Indiens<br />
ist, wo alle grossen Welt konzerne<br />
ihre Büros mit gut bezahlten Jobs<br />
haben. Dagegen ticken in Neu-<br />
Delh i die Uhren geruhsamer im Beamtentakt.<br />
Und Platz zum Wachsen<br />
gibt es in alle Richtungen beliebig.<br />
Die Hauptstadt verfügt über<br />
ausladende Prachtalleen, einen<br />
gigantischen Präsidenten palast,<br />
eine Unzahl an Ministerien, Wohnvillen<br />
von Parlamentsmit gliedern,<br />
Botschaften und ein funktionierendes<br />
Transportsystem inklusive<br />
neu erstellter, schmucker U-Bahn.<br />
«Das normale Leben<br />
will niemand sehen»<br />
Bobby Bedi gehört zu den wenigen Filmproduzenten Indiens, die auch<br />
im Ausland erfolgreich sind. Sein Film «The Rising» war 2005 der Eröffnungsfilm<br />
am Filmfestival Locarno. Er spricht über die Rolle des indischen<br />
Films, das Indien von morgen und die Beziehung Bollywoods zur Schweiz.<br />
«Das Kino gibt den Indern die Möglichkeit, in die<br />
Welt zu verreisen», Bobby Bedi, Filmproduzent.<br />
<strong>bull</strong>etin: Welche Bedeutung hat das Kino<br />
in Indien?<br />
Bobby Bedi: Indien ist ein extrem vielfältiges<br />
Land. Wir haben nur zwei verbindende<br />
Elemente: Die englische Sprache und das<br />
Kino. Die indischen Filme sind ein wichtiges<br />
Mittel, um die 1,3 Milliarden Menschen zusammenzuhalten.<br />
Ist das Kino nicht auch ein Mittel, um<br />
die Armen in den Slums ruhigzustellen?<br />
Nein, das glaube ich nicht. Natürlich hilft<br />
das Kino, aus dem Alltag zu flüchten, und<br />
hat somit eine stabilisierende Wirkung. Das<br />
gilt aber für alle Menschen. Auch sehen<br />
sich Leute in den Slums nicht als arm. Sie<br />
sind es im Vergleich zu einem Touristen aus<br />
dem Westen. Aber die meisten haben irgendeine<br />
Art von Auskommen und können<br />
sich Dinge leisten. So finden Sie auf jeder<br />
Hütte eine Satelliten-Schüssel und die<br />
meisten haben einen DVD-Player.<br />
Haben Sie auch das Geld, um ins<br />
Kino zu gehen?<br />
Ja, alle gehen ins Kino. Der Eintritt kostet<br />
ja auch nur 20 bis 30 Cents oder so.<br />
Wo verdienen Sie bei diesen Ticketpreisen<br />
als Produzent Ihr Geld?<br />
Es ist schwierig, aber die schiere Zahl von<br />
1,3 Milliarden Einwohnern hilft.<br />
Für wen machen Sie Ihre Filme?<br />
Indische Filme müssen für die Massen sein.<br />
Wenn Sie nur die Oberklasse ansprechen<br />
wollen, dann wird es ein Flop. Man muss die<br />
Massen erreichen.<br />
Dann will die Oberklasse lieber<br />
intel lektuelle Filme aus Frankreich<br />
ansehen?<br />
Nein, niemand will die intellektuellen französischen<br />
Filme, ausser vielleicht die Franzosen<br />
selber.<br />
Wer ist Ihr Vorbild?<br />
Ich mag Filme mit einer Botschaft.<br />
Aber solche Filme sind nicht unbedingt<br />
für die Masse?<br />
Warum nicht ? Die Botschaft kann sehr einfach<br />
sein. Ein Mann verliebt sich in eine<br />
Frau, wirbt und kämpft für sie, damit sie am<br />
Schluss zueinanderfinden.<br />
Gibt es keine politischen Filme<br />
in Indien?<br />
Die zeigen das normale Leben. Dafür will<br />
niemand bezahlen.<br />
Und wie ist die Beziehung von Bollywood<br />
zur Regierung?<br />
Wir sind eines der wenigen Länder, wo<br />
die Filmindustrie die Regierung subventioniert<br />
und nicht umgekehrt. Klar gibt es gewisse<br />
Richtlinien und Grenzen, die man<br />
nicht überschreiten darf. Aber die sind kein<br />
Problem.<br />
Wie sehen Sie die Zukunft der<br />
indischen Filmindustrie?<br />
Die Welt hat eine schwierige Zeit hinter sich.<br />
Und Filme, die eine heile, schöne Welt vorgaukeln,<br />
werden noch wichtiger.<br />
Wie sind Sie persönlich zum Film<br />
gekommen?<br />
Foto: André Springer<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Ursprünglich habe ich für eine Computerfirma<br />
gearbeitet. Danach war ich für zwei<br />
Grosskonzerne der Unterhaltungselektronik<br />
tätig. Eines Tages habe ich mich dann entschieden,<br />
mein ganzes Geld in eine eigene<br />
Filmproduktionsfirma zu stecken.<br />
Offenbar mit Erfolg.<br />
Ich hatte enorm viel Glück. Gleich der erste<br />
Film, den ich machte, war ein Erfolg.<br />
Und von dort kam dann auch das Geld,<br />
um weiterzumachen.<br />
Von dort kam das Selbstvertrauen, um weiterzumachen.<br />
Wie viele Filme produzieren Sie im Jahr?<br />
Drei bis vier.<br />
Was ist Ihre Triebfeder?<br />
Ich will den Menschen mit meinen Filmen<br />
Hoffnung und eine Botschaft geben. Ich sehe<br />
das als eine Art Lebenssinn für mich. Und<br />
ich bin glücklich, das zu machen.<br />
Was halten Sie von der Schweiz ?<br />
Indiens Filmindustrie pflegt sehr gute Beziehungen<br />
zur Schweiz. Der indische Filmproduzent<br />
und Regisseur Yash Chopra bekam<br />
sogar die Schweizer Ehrenbürgerschaft verliehen<br />
und ein kleiner Bergsee wurde inoffiziell<br />
nach ihm benannt. Er war der erste<br />
indische Filmemacher, der in der Schweiz<br />
drehte. Dank dieser Filme vor Schweizer<br />
Kulis se hat sich der indische Tourismus in<br />
der Schweiz innert weniger Jahre auf das<br />
700-Fache vergrössert.<br />
Warum gerade die Schweiz ? Es gibt<br />
viele schöne Orte auf der Welt .<br />
Früher hat Chopra häufig in den Bergen von<br />
Kaschmir gedreht. Dann ging das wegen des<br />
Grenzkonflikts nicht mehr. Da waren die<br />
Alpen eine wunderschöne Alternative. Das<br />
Kino gibt den Indern die Möglichkeit, in die<br />
Welt zu verreisen, sei es zu den Tulpen nach<br />
Holland oder zu den Bergen in der Schweiz<br />
oder in Österreich. Und sobald es ihnen ökonomisch<br />
etwas besser geht, dann wollen sie<br />
diese schönen Orte selber sehen. Die meisten<br />
Inder reisen in die Schweiz wegen der<br />
Bollywood-Filme.<br />
Wo wird Indien in 20 Jahren sein?<br />
Das ist eine relativ kurze Zeit. Doch Indien<br />
wird sicher ein bevorzugtes Ziel sein, um Geschäfte<br />
zu machen. Ich glaube nicht, dass es<br />
je reich sein wird oder dass die Armut verschwinden<br />
wird. Doch wenn man Reichtum<br />
nicht nur mit der Anzahl Dollars misst, sondern<br />
mit Zufriedenheit und Glück, dann wird<br />
Indien in 20 Jahren zu den bevorzugten Destinationen<br />
gehören. dhu<br />
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und 084 800 01 04
70 Wirtschaft Asset Allocation<br />
Vom Papier zum Port folio:<br />
So wird die Anlagestrategie<br />
umgesetzt<br />
In den jüngsten Ausgaben des <strong>bull</strong>etin zeigten wir auf, wie die Anlagestrategie der<br />
Credit Suisse erarbeitet wird. Lebendig wird das Portfolio jedoch erst durch die<br />
konkrete Umsetzung. Kunden der privaten Vermögensverwaltung können hierbei auf<br />
das Know-how der Portfoliomanager des Asset Management zählen.<br />
Text: Anja Hochberg, Head of Investment Strategy, und Andreas Russenberger, Head of MACS Mandates and Funds<br />
Ein gut diversifiziertes Portfolio ist der<br />
Grundbaustein einer erfolgreichen Anlagestrategie.<br />
Dies wird durch eine langfristige<br />
Anlagestrategie sichergestellt. Die Aufstellung<br />
des Portfolios anhand einer so genannten<br />
Benchmark Asset Allocation ist dabei der<br />
Anker dieser Anlagestrategie. Darüber hinaus<br />
ergeben sich taktische Inves titions möglichkeiten,<br />
die auf einen Zeitraum von einem<br />
bis sechs Monaten ausgerichtet sind und innerhalb<br />
der privaten Vermögensverwaltung<br />
zeitnah, effizient und transparent umgesetzt<br />
werden können.<br />
Grundrezept und genaue Zutaten<br />
Ist die taktische Asset Allocation einmal definiert,<br />
geht es darum, die Anlagestrategie<br />
unter Berücksichtigung des gewählten Risikos<br />
in den einzelnen Mandaten in eine praktisch<br />
umsetzbare und transparente Vermögensaufteilung<br />
umzuwandeln. Denn die Investmentstrategie<br />
gibt nur den allgemeinen,<br />
allerdings sehr wichtigen, Rahmen vor. So<br />
wird in der Asset Allocation festgelegt, wie<br />
hoch zum Beispiel der Aktienanteil in einem<br />
bestimmten Risikoprofil sein soll. Die Vermögensaufteilung<br />
stellt sozusagen das<br />
Grundrezept dar, die genauen Zutaten werden<br />
erst später beigegeben und das Gericht<br />
je nach Typ «abgeschmeckt». Die Portfoliomanager<br />
konstruieren anschliessend das<br />
Portfolio auf Basis der empfohlenen Vermögensaufteilung<br />
und der am besten geeigneten<br />
Wertpapiere. Je nach Mandatstyp können<br />
die Portfoliomanager in verschiedene<br />
Instrumente investieren, die von Einzeltiteln<br />
über Fonds nach dem Best-Manager-Ansatz<br />
bis hin zu indexorientierten Anlagen, den so<br />
genannten Exchange-Traded Funds (ETF),<br />
reichen. Dabei prüfen die Portfoliomanager<br />
die Anlageentscheide hinsichtlich der Umsetzungsmöglichkeiten<br />
und erarbeiten gegebenenfalls<br />
eine individuelle Lösung für den<br />
spezifischen Mandatstyp.<br />
Aktien untergewichten, auf Gold setzen<br />
Wie wir gesehen haben, ist die Umsetzung<br />
der Anlagestrategie in den Gesamtanlageprozess<br />
eingebettet. Damit wird ein Portfolio<br />
vom Anlageentscheid bis zum tatsächlichen<br />
Portfolio nachvollziehbar. Ausserdem werden<br />
damit Kontinuität und Konsistenz sichergestellt.<br />
Nehmen wir ein Beispiel: Entsprechend<br />
der aktuellen Anlagestrategie, die<br />
monat lich, bei Bedarf aber auch häufiger<br />
angepasst werden kann, werden Aktien in<br />
einem Balanced-Mandat mit der Referenzwährung<br />
Euro aufgrund der Unsicherheiten<br />
im Markt neu untergewichtet (siehe dazu auch<br />
die Grafik auf Seite 71 oben). Die Aktienquote<br />
soll per Anlageentscheid verkleinert werden,<br />
und zwar hauptsächlich dadurch, dass Aktien<br />
aus der Eurozone reduziert werden. Der<br />
Portfoliomanager wird nach eingehender<br />
Prüfung der Zusammensetzung seines Portfolios<br />
nun einen Teil der Aktien verkaufen. Es<br />
zeigt sich, dass das Engagement in Deutschland<br />
kaum reduziert werden soll, da das exportlastige<br />
Deutschland aufgrund der positiven<br />
Auswirkungen der Euroschwäche auf<br />
seine Exporte und der relativ gesunden<br />
Staatsfinanzen positiv gesehen wird. Gleichzeitig<br />
soll der Anteil des Finanzsektors im<br />
Portfolio verkleinert werden. Der Portfoliomanager<br />
steht nun vor der Aufgabe, die richtigen<br />
Instrumente auszuwählen, um diese<br />
Anlagestrategie umzusetzen. Dabei stehen<br />
je nach Mandatstyp verschiedene Instrumente<br />
zur Verfügung. Er kann das europäische<br />
Aktienmarkt-Exposure reduzieren über entsprechende<br />
marktbreite Regionen-ETF, spezielle<br />
Länder-ETF wie zum Beispiel auf den<br />
Deutschen Aktienindex Dax, Stil-ETF ( EMU<br />
Large Cap, EMU Mid Cap, EMU Small Cap),<br />
Sektor-ETF, aktive Investmentfonds nach<br />
dem Best-Manager-Ansatz oder Einzeltitelverkäufe.<br />
Im vorliegenden Fall wird der Portfoliomanager<br />
den Verkauf durch eine Reduktion<br />
des ETF auf den MSCI EMU Large Cap<br />
und durch einen Verkauf des Sektor-ETF Fi-<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Asset Allocation Wirtschaft 71<br />
EUR – Ausgewogen<br />
Total Aktien<br />
Benchmark<br />
(in %) 36.22 40.00<br />
Aktien Schweiz 1.89 1.00<br />
Equis Switzerland 1.89<br />
Aktien EMU 13.01 16.00<br />
Equis Europe (BM EMU) 2.05<br />
CS ETF on EMU Large Cap 1.<strong>03</strong><br />
CS ETF on EMU Mid Cap 1.28<br />
ST ETF on Consumer Staples 0.95<br />
BASF 1.37<br />
Vinci 1.00<br />
Total 0.83<br />
Münchner Rück 1.18<br />
PPR 1.15<br />
RWE 1.11<br />
Siemens 1.06<br />
Aktien Grossbritannien 0.00 2.50<br />
Aktien USA 9.82 12.00<br />
Equis North America 2.89<br />
Growth V Basket 0.89<br />
SPDR ETF on Materials 0.97<br />
General Electric 1.00<br />
Hewlett-Packard 1.06<br />
Nike 1.16<br />
Occidental Petroleum 0.99<br />
Pepsico 0.86<br />
Aktien Japan 5.15 2.50<br />
Equis Japan 1.05<br />
CS ETF on MSCI Japan Large Cap 4.<strong>10</strong><br />
Aktien Kanada 1.06 0.00<br />
iShares ETF on S&P TSX60 1.06<br />
Aktien Emerging Markets 5.29 6.00<br />
Equis LEA 3.30<br />
CS ETF on EM 1.99<br />
EUR – Ausgewogen<br />
Benchmark<br />
Total Liquidität, Bonds,<br />
Alternative Anlagen<br />
(in %) 63.79 60.00<br />
Liquidität<br />
Cash<br />
8.83<br />
8.83<br />
5.00<br />
Bonds 30.74 35.00<br />
Core Bonds EUR 19.79 35.00<br />
EUR 3 – 5 9.87<br />
Orchis EUR Short Term 1.46<br />
Orchis EUR Medium Term 2.14<br />
Orchis EUR Fixed Income 6.32<br />
Non-Core Bonds <strong>10</strong>.95 0.00<br />
CS Global Convertibles 1.48<br />
CS Global Enhanced FI 9.47<br />
Alternative Anlagen<br />
CS Commodity Allocation<br />
24.22<br />
1.02<br />
20.00<br />
2.50<br />
CS ETF on Gold 5.89 2.50<br />
Hedge Funds<br />
13.46 <strong>10</strong>.00<br />
CS Opp Alt Str EUR<br />
9.41<br />
CS Core Alt Str EUR 4.05<br />
Absolute Private Equity<br />
Realis<br />
1.32<br />
2.53<br />
0.00<br />
5.00<br />
Quelle: Exemplarisches Vermögensverwaltungsportfolio in der Referenzwährung EUR, Anlageprofil<br />
Ausgewogen per <strong>10</strong>. Mai 20<strong>10</strong>, basierend auf der taktischen Asset Allocation von Anfang<br />
Mai 20<strong>10</strong>.<br />
nancials umsetzen. Damit ist Deutschland<br />
entsprechend der Anlagestrategie weiterhin<br />
stärker als andere europäische Länder im<br />
Portfolio vertreten, und Finanztitel haben ein<br />
geringeres Gewicht als vorher.<br />
Bei den Anleihen ist man entsprechend<br />
der Anlagestrategie aufgrund strategischer<br />
Risiken wie Staatsverschuldung, geldpolitischer<br />
Normalisierung und unsicheren Inflationsausblicks<br />
vorsichtig positioniert. Deshalb<br />
wird eine etwas kürzere Duration (durchschnittliche<br />
Kapitalbindungsdauer) als die<br />
Benchmark beibehalten; neben Staatsanleihen<br />
wird unter anderem auch in ausgewähl-<br />
ten Anleihen in Unternehmen respektive<br />
Schwellenländer investiert. Diese Positionierung<br />
wird zum einen Teil über hauseigene<br />
Fonds wie Orchis abgedeckt (siehe Tabelle<br />
oben, rechte Spalte). Hauseigene Fonds haben<br />
den Vorteil, dass sie über die positiven Eigenschaften<br />
einer Kollektivanlage wie Diversifikation<br />
verfügen, jedoch je nach Bedarf<br />
gesteuert werden können und insgesamt<br />
weniger Transaktionskosten für das Portfolio<br />
anfallen.<br />
Gold wird aufgrund seiner strategischen<br />
Attraktivität gegenüber der Benchmark übergewichtet,<br />
denn Gold fungiert häufig als<br />
Risiko puffer beziehungsweise als eine interessante<br />
«Alternativwährung» in unsicheren<br />
Zeiten. So investiert der Portfoliomanager im<br />
Sinne einer transparenten und kosteneffizienten<br />
Investmentphilosophie nicht in verschiedene<br />
Goldvehikel, sondern bündelt die Goldposition<br />
in einem einzigen Instrument, dem<br />
CS ETF auf Gold, das physisch in der Schweiz<br />
gelagert wird (siehe Tabelle oben).<br />
Dem Kunden wird so auf der Basis<br />
eines sehr konsistenten Anlageprozesses ein<br />
aktiv gemanagtes Portfolio zur Verfügung<br />
gestellt, das seinem gewählten Risikoprofil<br />
entspricht. <<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
72 Wirtschaft Anlagestrategien<br />
<strong>Bewegung</strong> als<br />
Strategie und Taktik<br />
Andreas Russenberger, Leiter von Multi Asset Class Solutions (MACS) Mandate<br />
s and Funds der Credit Suisse, erklärt, wie «<strong>Bewegung</strong>» im Zusammenhang<br />
mit der Entwicklung von Anlagestrategien interpretiert werden kann.<br />
Interview: Daniel Huber<br />
<strong>bull</strong>etin: Natürlich ist die ganze Welt in<br />
<strong>Bewegung</strong>. Aber was kommt Ihnen<br />
im Zusammenhang mit <strong>Bewegung</strong> spontan<br />
in den Sinn?<br />
Andreas Russenberger: Grundsätzlich unterscheiden<br />
wir im Portfolio Management zwischen<br />
langfristigen und kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en.<br />
Die langfristigen sind die Trends, auf<br />
die wir unsere Strategien ausrichten. Auf diesen<br />
langfristigen Einschätzungen basieren<br />
die Produktedesigns unserer Strategiefonds<br />
und der Vermögensverwaltungsmandate.<br />
Und in welche Richtung bewegen wir<br />
uns zurzeit anlagestrategisch?<br />
Für mich bleiben ganz klar die aufstrebenden<br />
Märkte Asiens wichtig. Da bewegt sich zurzeit<br />
enorm viel. Das ist auch vor Ort, beispielsweise<br />
in Hongkong, Schanghai oder Singapur,<br />
geradezu physisch spürbar.<br />
Was heisst das konkret für Ihre<br />
Portfolios?<br />
Dass wir die Aktienquote in Märkten, wo wir<br />
viel positive <strong>Bewegung</strong> ausmachen, erhöhen.<br />
Welche anderen grossen <strong>Bewegung</strong>en<br />
respektive Trends machen Sie zurzeit<br />
noch aus?<br />
Wir gehen davon aus, dass die so genannten<br />
Realwerte sich überdurchschnittlich gut entwickeln<br />
werden. Realwerte sind zum Beispiel<br />
Aktien, Immobilien, Rohstoffe oder Gold. Also<br />
alles, wo echte Werte zum Anfassen dahinterstehen.<br />
Diese sollten in den nächsten<br />
Jahren Nominalwerte wie zum Beispiel Zinspapiere<br />
übertreffen.<br />
Was machen Sie mit den kurzfristigen<br />
<strong>Bewegung</strong>en?<br />
Auf die kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en reagieren<br />
wir mit taktischen Anpassungen, indem wir<br />
gewisse Anlagen über- oder untergewichten.<br />
Lassen Sie mich die Unterscheidung von<br />
Strategie und Taktik am Beispiel einer Wanderung<br />
veranschaulichen. Dabei wäre die<br />
«In den aufstrebenden Märkten Asiens<br />
bewegt sich zurzeit enorm viel», sagt<br />
Andreas Russenberger.<br />
Routenplanung die Strategie. Und dann<br />
kommt Ihnen auf dem Bergweg eine Kuh<br />
entgegen oder ihr Weg ist versperrt und Sie<br />
müssen sehr schnell taktisch reagieren und<br />
ausweichen. Es gibt immer Strategie und<br />
Taktik – beides ist wichtig.<br />
Wie stark ist die langfristige Planung in<br />
Stein gemeisselt?<br />
Wir gehen schon davon aus, dass die Trends,<br />
die wir heute ausgemacht haben, längere<br />
Zeit Gültigkeit haben. Die letzten grossen<br />
Anpassungen haben wir 2001 vorgenommen.<br />
Damals nahmen wir Alternative Anlagen in<br />
unsere Strategie auf, also Hedge-Funds und<br />
Private Equity. Diese haben sich bis in die<br />
Finanzkrise 2008 gut bewährt. Seit dieser<br />
Krise wollten die Leute aber wieder Produkte,<br />
die sie verstehen und die real fassbar sind.<br />
Das meine ich sehr wörtlich. Häuser oder<br />
Gold sind auch noch da, wenn die Börse zusammenbricht.<br />
Kehren wir zu den kurzfristigen,<br />
taktischen <strong>Bewegung</strong>en im Anlagebereich<br />
zurück. Was wären da konkrete Beispiele?<br />
Nichts bewegt sich im Anlagebereich so<br />
schnell wie die Aktienmärkte. Dort ist meiner<br />
Meinung nach die Kaufen-und-halten-<br />
Phase ganz klar vorbei. Ein Gewinn von zehn<br />
Prozent kann morgen schon wieder weg sein.<br />
Auch wir können nicht immer beim Tiefstpreis<br />
kaufen und beim Höchstpreis verkaufen.<br />
Doch nehme ich für uns in Anspruch, dass<br />
wir einen Mehrwert generieren können.<br />
Ebenfalls von kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en<br />
geprägt sind Währungen. So kann der US-<br />
Dollar oder der Euro innerhalb weniger Tage<br />
zehn Prozent an Wert gewinnen oder verlieren.<br />
Anlagen in Fremdwährungen müssen<br />
daher im Auge behalten und allenfalls abgesichert<br />
werden.<br />
Gibt es auch noch Anlagen, die Sie<br />
physisch bewegen?<br />
Ja, wir bewegen auch ganz handfest selber<br />
Dinge. So haben wir vor Kurzem einen ETF auf<br />
Gold lanciert und diesen zwecks bestmöglicher<br />
Absicherung physisch mit Gold unterlegt.<br />
Wir haben also ganz konkret Gold im<br />
Wert von einer Milliarde Franken in einen Tresor<br />
der Credit Suisse bewegt und eingelagert.<br />
Lange galt Stillstand, also keine<br />
<strong>Bewegung</strong>, als Rückschritt. Sehen Sie<br />
das auch so?<br />
Ganz im Gegenteil. Ich finde es sogar sehr<br />
wichtig, dass man sowohl geschäftlich als<br />
auch privat nicht ständig in <strong>Bewegung</strong> ist,<br />
sondern ab und zu stehen bleibt, sich Zeit<br />
nimmt für eine Standortbestimmung und sich<br />
fragt: Stimmt der Setup noch? Hat sich die<br />
Welt draussen tatsächlich so entwickelt, wie<br />
wir es angenommen haben? Gibt es Punkte,<br />
die wir verbessern müssen? Für mich ist Stillstand<br />
überhaupt nicht zwingend negativ behaftet.<br />
Gerade bei uns im Portfolio Management<br />
ist die Qualität über lange Zeit wichtig,<br />
da muss man nicht hektisch jedem kurzfristigen<br />
Trend nachrennen. <<br />
Fotos: Rainer Wolfsberger | Sandro Campardo, Keystone<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 73<br />
Invest<br />
Analysen und Prognosen<br />
Konjunktur Global<br />
Erholung setzt<br />
sich fort<br />
Das Wachstum der Weltwirtschaft wird<br />
zuneh mend von den Schwellenländern<br />
getrie ben. Allfällige Schwächen in den<br />
Industrieländern aufgrund der Fiskalkonsolidierung<br />
dürften die globale Erholung<br />
kaum aus der Bahn werfen. mt<br />
Globales Wirtschaftswachstum zunehmend<br />
von Schwellenländern dominiert<br />
Quelle: Bloomberg, IMF, Credit Suisse/IDC<br />
Beitrag zum Wachstum des globalen BIP (YoY) in %<br />
Gold<br />
Gold hat in den letzten<br />
Monaten von einer<br />
steigenden Nachfrage<br />
nach sicheren Häfen<br />
profitiert. Niedrige<br />
Zinsen dürften auch<br />
weiterhin für eine hohe<br />
Nachfrage nach Gold<br />
als Geldanlage sorgen.<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
–1<br />
–2<br />
–3<br />
02.98 02.00 02.02 02.04 02.06 02.08 02.<strong>10</strong><br />
Globales BIP<br />
Nordamerika<br />
Naher Osten und Afrika<br />
Lateinamerika<br />
Europa<br />
Asien-Pazifik<br />
Die Weltwirtschaft dürfte nach der rasanten Erholung des vergangenen<br />
Jahres etwas an Dynamik verlieren, ohne jedoch in eine erneute Schwächephase<br />
zu geraten. Befürchtungen bezüglich der Auswirkungen der Fiskalkonsolidierung<br />
in den Industrieländern halten wir für übertrieben. Ohnehin wird<br />
das Wachstum derzeit hauptsächlich von den Schwellenländern bestimmt.<br />
Die allgemein gesunde finanzielle Verfassung der Unternehmen sowie<br />
attraktive Bewertungen unterstützen unsere positive strategische Einschätzung<br />
der Aktienmärkte.<br />
Die Geldpolitik dürfte in den meisten Industrieländern noch für geraume<br />
Zeit expansiv bleiben, während viele Schwellenländer bereits eine restriktivere<br />
Richtung eingeschlagen haben.<br />
Rohstoffe bergen derzeit noch weitere Risiken. Wir empfehlen kurzfristig<br />
Edelmetalle. Im Sommer dürften sich jedoch Einstiegsmöglichkeiten in anderen<br />
Bereichen ergeben.<br />
Bei den Währungen sehen wir weiteres Aufwärtspotenzial für den Franken<br />
und den Yen, aber auch für Währungen von Schwellenländern.<br />
Konjunktur Schweiz<br />
PMI: Industrie nimmt<br />
Fuss vom Gas<br />
Der PMI-Index schloss im Juli unter dem<br />
historischen Höchststand, der im Juni<br />
verzeichnet wurde. Der Indexrückgang ist<br />
ein Indiz dafür, dass sich das rekord hohe<br />
Temp o der Erholung der Industriekonjunktur<br />
abschwächt. cm<br />
PMI konnte Höchststand nicht halten<br />
Quelle: Credit Suisse<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
95 98 01 04 07 <strong>10</strong><br />
Index<br />
Index (saisonbereinigt)<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
74 Credit Suisse<br />
Übersicht<br />
Ausblick Global<br />
Die Schuldenkrise dürfte auch<br />
weiterhin eine prominente Rolle an<br />
den Märkten einnehmen. Wir gehen<br />
nicht davon aus, dass die Haushaltskonsolidierung<br />
zu einer markanten<br />
Abschwächung des Wachstums<br />
führen wird. Eine länger expansive<br />
Geldpolitik sowie ein schwächerer<br />
Wechselkurs fungieren als wichtige<br />
Ausgleichsmechanismen. Während<br />
eine Umstrukturierung der griechischen<br />
Schulden nicht ausgeschlossen<br />
werden kann, halten wir ein solches<br />
Resultat in anderen europäischen<br />
Ländern für unwahrscheinlich.<br />
Zinsen und Obligationen<br />
Geldpolitische Divergenz<br />
Der Inflationsdruck in den Industrieländern<br />
bleibt gering. Infolgedessen dürften die<br />
grossen Notenbanken in der Eurozone,<br />
den USA und Grossbritannien die Leitzinsen<br />
bis in die zweite Jahreshälfte 2011 tief<br />
belassen. Dagegen beginnen immer mehr<br />
Notenbanken in kleineren Ländern, die eine<br />
stärkere Erholung erleben, die Zinsen zu<br />
erhöhen (Schweden, Kanada). Auch in den<br />
Schwellenländern, die generell besser durch<br />
die Krise gekommen sind, ist der Inflationsdruck<br />
höher, und die Straffung der Geldpolitik<br />
dürfte sich fortsetzen. Jüngst hat<br />
die chinesische Regierung eine Aufwertung<br />
der Währung angekündigt. An den Anleihenmärkten<br />
dürfte eine abnehmende Risikoaversion<br />
zu steigenden Renditen führen. mt<br />
Kerninfl ation in Industrieländern fällt weiter<br />
Quelle: Datastream, IMF, Credit Suisse<br />
YoY, in %<br />
2.5<br />
2<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
0<br />
01 02 <strong>03</strong> 04 05 06 07 08 09 <strong>10</strong><br />
Kerninflation Japan, Eurozone, USA<br />
Aktienmarkt<br />
Gewinndynamik könnte<br />
Erholungstempo dämpfen<br />
Die Märkte dürften in den nächsten Monaten<br />
unter anderem vor dem Problem stehen,<br />
dass sowohl die Konjunktur als auch die Gewinndynamik<br />
nachlassen sollten. Dies dürfte<br />
das Wachstumstempo der Aktienmärkte<br />
etwas dämpfen, hat aber in der Vergangenheit<br />
einen Aufwärtstrend an den Aktienmärkten<br />
nicht gestoppt. Bei der bevorstehenden<br />
US-Berichtssaison sollte beachtet<br />
werden, dass sich bei einer nachlassenden<br />
Gewinndynamik frühzyklische Sektoren häufig<br />
unterdurchschnittlich, einige defensive<br />
Sektoren allerding überdurchschnittlich entwickeln.<br />
Daher kombinieren wir Über ge wichtungen<br />
im zyklischen IT- und Investitionsgütersektor<br />
mit einer Übergewichtung im<br />
Basiskonsumgütersektor. rs<br />
Bewertungen (erwartetes P/E für die nächsten<br />
zwölf Monate) sind auf tiefem Niveau.<br />
Quelle: Datastream, MSCI, IBES<br />
MSCI World 12-Monats-Forward-P/E<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
<strong>10</strong><br />
5<br />
0<br />
90 94 98 02 06 <strong>10</strong><br />
12-Monats-Forward-P/E<br />
+/–1 Standardabweichung<br />
Durchschnitt<br />
Währungen<br />
USD-Risiken steigen<br />
Die Finanzmärkte haben ihr Augenmerk auf<br />
die europäische Schuldenkrise gerichtet.<br />
Der Fiskalausblick in den USA ist jedoch längerfristig<br />
keineswegs besser. Das charttech<br />
nische Bild hat sich jüngst für den USD<br />
gegenüber dem CHF verschlechtert, und<br />
die fundamentalen Faktoren (fehlende Zinsprämie<br />
des USD, US-Leistungsbilanzdefizit)<br />
sind weiterhin negativ. Der CHF steht zusammen<br />
mit dem JPY in diesem Umfeld sehr<br />
gut da: Leistungsbilanzüberschuss (Schweiz,<br />
Japan) und tiefe Zinsen (USA, Eurozone)<br />
sind normalerweise mit Franken- und Yen-<br />
Stärke verbunden. Für die Währungen der<br />
aufstrebenden Volkswirtschaften sehen wir<br />
während der globalen Erholung weiteres Aufwärtspotenzial.<br />
mh<br />
Die Aussichten auf tiefe Zinsen in den USA<br />
sind als negativ für USD/CHF zu sehen.<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
USD/CHF<br />
1.40<br />
1.30<br />
1.20<br />
1.<strong>10</strong><br />
1.00<br />
0.90<br />
Rohstoffe verfügen nach den letzten Abschlägen<br />
über Aufholpotenzial Quelle: Bloomberg<br />
Indexwerte YoY-Veränderung in %<br />
60<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
01.04 01.05 01.06 01.07 01.08 01.09 01.<strong>10</strong><br />
USD/CHF<br />
2-jährige Zinsdifferenz Swap USD minus CHF (r.S.)<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe mit Aufholpotenzial<br />
01.99 01.01 01.<strong>03</strong> 01.05 01.07 01.09<br />
in %<br />
3.5<br />
2.5<br />
1.5<br />
0.5<br />
–0.5<br />
Im Mai und Anfang Juni kamen Rohstoffe<br />
aufgrund der Risiko- und Schuldenreduzierung<br />
infolge der europäischen Staatsschuldenkrise<br />
unter Abgabedruck. Im Zuge<br />
der Krise trocknete die Liquidität am Interbankenmarkt<br />
aus, und die Volatilität an den<br />
Finanzmärkten erhöhte sich. Da es erste<br />
Anzeichen einer Stabilisierung der Finanzmärkte<br />
gibt und die Rohstoffmärkte über<br />
Aufholpotenzial verfügen, dürften sich Kaufgelegenheiten<br />
ergeben. Kurzfristig bestehen<br />
aber weiterhin Risiken. Anleger sollten<br />
sich auf einen Wiedereinstieg in Rohstoffe<br />
mit einem strategischen Anlagehorizont<br />
vorbereiten. Auf kurze Sicht favorisieren wir<br />
weiter Edelmetalle. Im Sommer könnten die<br />
Anleger jedoch ihr Rohstoff-Exposure als<br />
Ganzes verstärken. et<br />
40<br />
20<br />
0<br />
–20<br />
–40<br />
–60<br />
PMI China PMI USA Global Composite PMI<br />
Dow Jones UBS Rohstoffindex mit 6-monatiger Verzögerung<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Credit Suisse 75<br />
Übersicht<br />
Ausblick Schweiz<br />
Der Konjunkturausblick bleibt in der<br />
Schweiz auch für das zweite Halbjahr<br />
positiv. Die Konjunkturindikatoren<br />
deuten weiterhin auf eine deutliche<br />
Expan sion der Wirtschaftsaktivität hin,<br />
und die Arbeitslosenquote zeigt<br />
eine Stabilisierung auf überraschend<br />
tiefen Niveaus. Gleichzeitig führte<br />
die Verunsicherung an den Märkten<br />
bezüglich der Schuldensituation in<br />
Europa zu einer starken Frankenaufwertung.<br />
Vor diesem Hintergrund<br />
dürfte das Zinsumfeld auch im zweiten<br />
Halbjahr äusserst expansiv bleiben.<br />
Aktienmarkt<br />
Bewertungen attraktiv,<br />
Unsicherheiten bleiben<br />
Die Bewertungen von Schweizer Aktien sind<br />
u. E. attraktiv. Das erwartete P/E der nächsten<br />
zwölf Monate befindet sich auf dem tiefsten<br />
Stand seit April 2009. Wir erwarten, dass<br />
die anstehende Berichtssaison die positive<br />
Gewinnentwicklung durch steigende Umsätze<br />
und Kosteneinsparungen bestätigt,<br />
jedoch nicht so deutlich wie in den Vorquartalen.<br />
Wegen der anhaltenden Unsicherheiten<br />
behalten wir unsere neutrale Empfehlung für<br />
Schweizer Aktien bei. rs<br />
Der Schweizer Markt weist eine bessere<br />
Performance auf als die globalen entwickelten<br />
Märkte (MSCI World) Quelle: Datastream, MSCI<br />
Performance MSCI World und MSCI Switzerland in CHF<br />
125<br />
120<br />
Währungen<br />
Schweizer Franken dürfte<br />
stark bleiben<br />
Der Schweizer Franken dürfte auf zwölf Monate<br />
gegenüber dem EUR weiter unter Aufwertungsdruck<br />
bleiben. Erstens erwarten wir<br />
wenige bis keine Devisenmarktinterventionen<br />
der Schweizerischen Nationalbank (SNB)<br />
mehr. Zweitens dürfte sich die Zinsdifferenz<br />
zugunsten des Frankens entwickeln. Drittens<br />
spricht der Leistungsbilanzüberschuss für<br />
den Franken. Einzig die inzwischen leichte<br />
Überbewertung des CHF dürfte eine mass i v e<br />
Aufwertung begrenzen. mh<br />
Der Schweizer Franken notiert nun auf leicht<br />
überbewertem Niveau gegenüber dem Euro.<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
EUR /CHF<br />
2.40<br />
2.20<br />
Zinsen und Obligationen<br />
Zinsumfeld bleibt<br />
unterstützend<br />
Die Schweizerische Nationalbank (SNB)<br />
hat im Juni ihr Zielband für den 3-Monats-<br />
LIBOR erwartungsgemäss bei 0%– 0.75%<br />
belassen. Da sie ausserdem davon ausgeht,<br />
dass die Deflationsrisiken inzwischen «weitgehend<br />
verschwunden» sind, signalisierte<br />
sie auch eine höhere Bereitschaft, den Frankenkurs<br />
wieder vermehrt den Marktkräften<br />
zu überlassen. In der Folge wertete der<br />
Franken deutlich auf, was zu einer gewissen<br />
Straffung der geldpolitischen Bedingungen<br />
führte. Doch während der Preisdruck kurzfristig<br />
tief bleibt, sieht die mittelfristige Inflationsprognose<br />
der SNB durchaus wieder<br />
Risiken. Angesichts der soliden Konjunkturerholung<br />
erachten wir daher eine erste Zinserhöhung<br />
bereits ab Ende Jahr für realistisch.<br />
fh<br />
SNB-Inflationsprognose ab 2012 deutlich<br />
über dem Zielbereich Quelle: SNB, Credit Suisse<br />
115<br />
1<strong>10</strong><br />
<strong>10</strong>5<br />
<strong>10</strong>0<br />
95<br />
90<br />
07.09 09.09 11.09 01.<strong>10</strong> <strong>03</strong>.<strong>10</strong> 05.<strong>10</strong> 07.<strong>10</strong><br />
MSCI World in CHF<br />
MSCI Switzerland in CHF<br />
+1 Standardabweichung<br />
Fair Value EUR/CHF<br />
–1 Standardabweichung<br />
30.06.20<strong>10</strong><br />
Anstieg der Arbeitslosigkeit weniger lang andauernd<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Zahl der Arbeitslosen, indexiert, Beginn des Anstiegs = <strong>10</strong>0<br />
250<br />
2.00<br />
1.80<br />
1.60<br />
1.40<br />
1.20<br />
82 86 90 94 98 02 06 <strong>10</strong><br />
Top-Thema<br />
Arbeitsmarkt: Bessere Ausgangslage<br />
Die Arbeitslosigkeit hat sich früher als nach der Dot.com-Rezession stabilisiert und<br />
ist tiefer, als es die Erfahrungswerte erwarten liessen. Dafür gibt es neben der starken<br />
Beanspruchung der Kurzarbeit auch strukturelle Gründe. Erstens gab es im Gegensatz<br />
zur Phase vor dem Platzen der Dot.com-Blase keine Übertreibungen im Beschäftigungsaufbau<br />
in Branchen wie der IT, die in der Rezession korrigiert werden mussten.<br />
Zweitens hat der Finanzsektor Stellen hauptsächlich im Ausland abgebaut, während<br />
in der Dot.com-Rezession der Abbau das Inland betraf. Drittens wachsen staatsnahe<br />
Branchen wie der Gesundheitssektor stärker als in der Dot.com-Rezession. cm<br />
%<br />
3.0<br />
2.0<br />
1.0<br />
0.0<br />
<strong>03</strong>.<strong>10</strong> <strong>03</strong>.11 <strong>03</strong>.12 <strong>03</strong>.13<br />
SNB-Definition von Preisstabilität<br />
SNB-Inflationsprognose Juni 20<strong>10</strong><br />
SNB-Inflationsprognose März 20<strong>10</strong><br />
225<br />
200<br />
175<br />
150<br />
125<br />
<strong>10</strong>0<br />
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39<br />
Dot.com-Rezession<br />
Heute<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
76 Credit Suisse<br />
30. Juni 20<strong>10</strong><br />
Überblick Prognosen<br />
Aktien und Rohstoffe: Ausgewählte Indizes<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Auswahl 30.06.20<strong>10</strong> YTD Ausblick 3M 12M-Ziele<br />
S&P 500 1’022.58 –8.3 % 1’173<br />
SMI 5’974.3 –8.7 % 7’350<br />
FTSE-<strong>10</strong>0 4’838.09 –<strong>10</strong>.6 % 5’677<br />
DJ Euro Stoxx 50 2’522.36 –14.9 % 2’897<br />
Nikkei 225 9’2<strong>03</strong>.71 –12.7 % 12’000<br />
Gold 1’211.6 <strong>10</strong>.5 % 1’250<br />
WTI Erdöl 72.14 –9.1 % 87.5<br />
Dow Jones UBS Commodity Index 248.9381 –<strong>10</strong>.9 % 280<br />
Devisen (Wechselkurse)<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Reales BIP-Wachstum in %<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
Wichtige Information<br />
Die Informationen und Meinungen in diesem Bericht wurden<br />
von Credit Suisse per angegebenem Datum erstellt und<br />
können sich ohne vorherige Mitteilung ändern. Der Bericht<br />
wurde einzig zu Informationszwecken publiziert und ist weder<br />
ein Angebot noch eine Auf forderung seitens oder im Auftrag<br />
von Credit Suisse zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren<br />
oder ähnlichen Finanzinstrumenten oder zur Teilnahme an<br />
einer spezifischen Handelsstrategie in irgendeiner<br />
Rechts ordnung. Der Bericht wurde ohne Berücksichtigung<br />
der Zielsetzungen, der finanziellen Situation oder der<br />
Bedürfnisse eines bestimmten Anlegers erstellt. Der Bericht<br />
enthält keinerlei Empfehlungen rechtlicher Natur oder<br />
hinsichtlich Inves titionen, Rechnungslegung oder Steuern. Er<br />
stellt auch in keiner Art und Weise eine auf die persönlichen<br />
Umstände eines Anlegers zugeschnittene oder für diesen<br />
angemessene Inves tition oder Strategie oder eine andere an<br />
einen bestimmten Anleger gerichtete Empfehlung dar.<br />
Ver weise auf frühere Entwicklungen sind nicht unbedingt<br />
mass gebend für künftige Ergebnisse.<br />
Die Informationen stammen aus oder basieren auf Quellen,<br />
die Credit Suisse als zuver lässig erachtet. Dennoch<br />
kann keine Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit<br />
der Informationen geleistet werden. Credit Suisse<br />
lehnt jede Haftung für Verluste aus der Verwendung dieses<br />
Berichts ab.<br />
30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />
USD/CHF 1.08 1.04 – 1.08<br />
EUR/CHF 1.32 1.33 – 1.37<br />
JPY/CHF 1.22 1.23 – 1.27<br />
EUR/USD 1.23 1.25 – 1.29<br />
USD/JPY 89 83 – 87<br />
EUR/JPY <strong>10</strong>9 <strong>10</strong>6 – 1<strong>10</strong><br />
EUR/GBP 0.82 0.83 – 0.87<br />
GBP/USD 1.50 1.48 – 1.52<br />
EUR/SEK 9.52 8.80 – 9.20<br />
EUR/NOK 7.96 7.65 – 8.05<br />
AUD/USD 0.85 0.88 – 0.92<br />
NZD/USD 0.69 0.68 – 0.72<br />
USD/CAD 1.06 0.98 – 1.02<br />
2009 20<strong>10</strong> 2011<br />
CH –1.5 0.9 2.0<br />
EWU –4 1.5 2.1<br />
USA –2.4 3.5 2.8<br />
GB –4.9 1.4 2.7<br />
Japan –5.2 3.3 1.8<br />
Kurzfristzinsen 3M-LIBOR<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />
CHF 0.11 0.7 – 0.9<br />
EUR 0.77 1.1 – 1.3<br />
USD 0.53 0.3 – 0.5<br />
GBP 0.73 0.6 – 0.8<br />
JPY 0.24 0.2 – 0.4<br />
WEDER DER VORLIEGENDE BERICHT NOCH KOPIEN<br />
DAVON DÜRFEN IN DIE VEREINIGTEN STAATEN<br />
VERSANDT, DORTHIN MITGENOMMEN ODER AN<br />
US- PERSONEN ABGEGEBEN WERDEN. Örtliche Gesetze<br />
oder Vorschriften können die Verteilung von Research-<br />
Berichten in bestimmten Rechtsordnungen einschränken.<br />
Dieser Bericht wird von der Schweizer Bank Credit Suisse<br />
verteilt, die der Zulassung und Re gulierung der<br />
Eidge nössischen Finanzmarktaufsicht untersteht.<br />
Das vorliegende Dokument darf ohne schriftliche Genehmigung<br />
der Credit Suisse weder ganz noch auszugsweise ver vielfältigt<br />
werden. Copyright © 20<strong>10</strong> Credit Suisse Group AG<br />
und/oder mit ihr verbundene Unternehmen. Alle Rechte<br />
vor behalten.<br />
Schweizer Wirtschaft<br />
(Veränderung gegenüber Vorjahr in %)<br />
Quelle: Credit Suisse<br />
2009 20<strong>10</strong><br />
Bruttoinlandprodukt, real –1.5 0.9<br />
Privater Konsum 1.2 1<br />
Öffentlicher Konsum 2.5 1<br />
Bauinvestitionen 1.3 –1.5<br />
Ausrüstungsinvestitionen –7.5 –1.5<br />
Importe –5.9 3<br />
Exporte –<strong>10</strong> 5<br />
Beschäftigung (Vollzeitäquivalente) –0.1 0<br />
Arbeitslosenquote 3.7 4.1<br />
Inflation in %<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
2009 20<strong>10</strong> 2011<br />
CH –0.5 0.8 1.0<br />
EWU 0.4 1.1 1.3<br />
USA –0.4 2.2 1.2<br />
GB 2.2 2.3 1.4<br />
Japan –1.4 –1.2 –0.4<br />
Rendite <strong>10</strong>-j. Staatsanleihen<br />
Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />
30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />
CHF 1.48 2.1 – 2.3<br />
EUR 2.58 3.2 – 3.4<br />
USD 2.93 3.4 – 3.6<br />
GBP 3.36 4 – 4.2<br />
JPY 1.09 1.2 – 1.4<br />
Impressum Invest<br />
Herausgeber Credit Suisse, Global Research,<br />
Uetlibergstrasse 231, Postfach 300, CH-8070 Zürich<br />
Redaktion Marcus Hettinger (mh), Thomas Herrmann (th),<br />
Fabian Heller (fh), Eliane Tanner (et), Marcel Thieliant (mt),<br />
Claude Maurer (cm), Roger Signer (rs)<br />
Weitere Research-Publikationen finden Sie im Internet<br />
oder auf Anfrage.<br />
E-Mail publications.research@credit-suisse.com<br />
Internet www.credit-suisse.com/research<br />
Nachdruck gestattet mit dem Hinweis «Aus dem Bulletin<br />
der Credit Suisse»<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Wissenswert Wirtschaft 77<br />
Wissenswert<br />
Begriffe und Bücher aus der Wirtschaft<br />
Fairer-Handel-<strong>Bewegung</strong><br />
[Engage ment für mehr Gerechtigkeit<br />
im Welthandel]: Welche Form<br />
der Entwicklungshilfe ist am wirkungsvollsten?<br />
Über diese Frage<br />
streiten sich seit Jahren Ökonomen,<br />
Politiker und NGOs. Eine mögliche<br />
Antwort lautet «Trade not aid»<br />
(Handel statt Hilfe), was bedeutet,<br />
dass im Kampf gegen die Armut<br />
nicht wohltätige Aktionen, sondern<br />
gezielte Massnahmen zur Liberalisierung<br />
der weltweiten Märkte die<br />
grösste Wirkung haben. Die<br />
Fairer-Handel-<strong>Bewegung</strong>, entstanden<br />
in den 1960er-Jahren als<br />
Antwort auf die Ungerechtigkeit<br />
in der internationalen Handelspraxis<br />
und -politik, verfolgt das Ziel, allen<br />
Menschen Zugang zu den Märkten<br />
zu ermöglichen. Im Rahmen der<br />
Gesamt bewegung findet ein wirtschaftlicher<br />
und kommunikativer<br />
Austausch zwischen Produzenten,<br />
Konsumenten, Handelsorganisationen<br />
und NGOs statt. Dabei werden<br />
Möglichkeiten für wirtschaftlich<br />
be nachteiligte Produzenten geschaffen,<br />
Kapazitäten und Knowhow<br />
gefördert sowie die weltweiten<br />
Arbeits- und Lebens bedingungen<br />
verbessert. Die Erfah rung hat gezeigt,<br />
dass sowohl faire Handelsbeziehungen<br />
als auch sozial- und<br />
umweltgerechte Bedingungen zu<br />
einem Welthandel beitragen, in dem<br />
alle eine Chance bekommen.<br />
Konjunktur [Gesamtheit der<br />
Schwankungen der volkswirtschaftlichen<br />
Leistung]: Auf und ab, ab<br />
und auf: Wirtschaftliche Aktivität<br />
gleicht einer Achterbahnfahrt, da<br />
sie einem bestimmten <strong>Bewegung</strong>smuster<br />
folgt. In mehr oder weniger<br />
regelmässigen Abständen entstehen<br />
in einer Volkswirtschaft Phasen<br />
des Wirtschaftsaufschwungs sowie<br />
Zeiten des Wirtschaftsabschwungs.<br />
Diese Schwankungen der wichtigen<br />
ökonomischen Grössen wie Produktion,<br />
Beschäftigung, Preise und<br />
Zinssatz werden als Konjunktur<br />
bezeichnet. Aus ihnen ergeben sich<br />
zyklische <strong>Bewegung</strong>en, die eine<br />
wiederkehrende Tendenz aufzeigen<br />
und anhand derer die Wirtschaftslage<br />
charakterisiert werden kann.<br />
Die Länge der Zyklen ist ausschlaggebend<br />
für die Art der Wirtschaftsschwankung:<br />
Saisonale Schwankungen<br />
sind meist wetterbedingt,<br />
mittel fristige Schwankungen resultieren<br />
aus Unterschieden in der<br />
gesamt wirtschaftlichen Nachfrage<br />
und im Angebot. Langfristige<br />
Schwankungen wiederum werden<br />
durch tiefgreifende Veränderungen<br />
in der Wirtschaft wie zum Beispiel<br />
Innovationen ausgelöst.<br />
Branchless Banking [Aus dem<br />
Englischen: Bankgeschäft ohne<br />
Filia len]: In Entwicklungs- und<br />
Schwellenländern kann die Fahrt<br />
zu einer Bankfiliale für Menschen<br />
aus ländlichen Gegenden stundenlange<br />
Anreisen und damit verbundene<br />
Umsatzeinbussen bedeuten.<br />
Branchless Banking bietet hierfür<br />
eine Lösung. Mit Hilfe alternativer<br />
Zahlungsinstrumente wie Mobiltelefone<br />
und bewegliche Bankautomaten<br />
können Transaktionen abgewickelt<br />
werden, ohne dass die<br />
Auftraggeber eine Bankfiliale aufsuchen<br />
müssen. Mobile Banken<br />
fahren in Dörfer und ermöglichen<br />
so den ärmsten Unternehmern<br />
in abgeschiedenen Gebieten einen<br />
Zugang zu Bankdienstleistungen.<br />
Aufgrund der zunehmenden Anzahl<br />
Mobiltelefonbesitzer – 2009 wurden<br />
weltweit mehr als vier Milliarden<br />
Mobiltelefonnutzer verzeichnet,<br />
davon 80 Prozent in Entwick lungsund<br />
Schwellenländern – werden<br />
zudem auch immer mehr Dienstleistungen<br />
entwickelt, die Zahlungen<br />
über das Mobiltelefon ermöglichen.<br />
Indem Branchless<br />
Bankin g benachteiligte Menschen<br />
in die Wirtschaft eingliedert,<br />
unterstüt zt es das globale Wirtschaftswachstum.<br />
Fabienne de Lannay<br />
Anzeige<br />
Führen, gestalten, bewegen: Werte und Weisheit<br />
für eine globalisierte Welt<br />
Dalai Lama und Laurens van den Muyzenberg<br />
Campus, 2008<br />
255 Seiten, ISBN-13: 978-3593386874<br />
Was haben unternehmerische und spirituelle Führung gemeinsam?<br />
Beide möchten möglichst viel <strong>Bewegung</strong> auslösen. Und wer könnte<br />
die Frage, wie das gelingt, besser diskutieren als ein buddhistischer<br />
Mönch und ein westlicher Wirtschaftsexperte? Seit rund 20 Jahren<br />
debattieren der Dalai Lama und der Managementberater Laurens<br />
van den Muyzenberg über die Herausforderungen und Probleme<br />
der globalen Wirtschaft und darüber, welche Vorschläge und<br />
Richtlinien die Weltanschauung des Buddhismus beisteuern kann,<br />
um den Schattenseiten der Globalisierung entgegenzuwirken und<br />
ein verant wortliches Wirtschaften im Dienste aller zu fördern.<br />
Aus dieser Diskussion entstand dieses gemeinsame Buchprojekt.<br />
Neben ethischen Appellen, Führungskonzepten und Erfolgsbeispielen<br />
bietet das gut strukturierte Buch auch zwei Übungsteile zur<br />
Schärfung des Geistes. Nicht nur Führungskräfte und Unternehmensberater<br />
sind eingeladen, sich von diesem Werk inspirieren zu<br />
lassen. Schliesslich muss doch jeder führen – zumindest sich<br />
selbst. © getAbstract<br />
Was Sie hierher gebracht hat, wird Sie nicht weiter<br />
bringen: Wie Erfolgreiche noch erfolgreicher werden<br />
Marshall Goldsmith und Mark Reiter<br />
Riemann, 2007<br />
382 Seiten, ISBN-13: 978-3570500859<br />
Wer Erfolg hat, hält den meist für ebenso wohlverdient wie unendlich.<br />
Marshall Goldsmith will seinen Lesern die Illusion nehmen,<br />
sich auf ihren Lorbeeren ausruhen zu können. Im Gegenteil, wir<br />
sollten immer in <strong>Bewegung</strong> bleiben. Ein fester Glaube an uns<br />
selbst ist zwar nützlich, aber er hält uns von weiterem Erfolg ab.<br />
Weil er blind macht für Schwächen, insbesondere für schlechte<br />
Angewohnheiten, mit denen man seine Mitmenschen verärgert.<br />
Je höher man aufsteigt, desto eher können einen die eigenen<br />
unrühmlichen Verhaltensweisen behindern. Zu dieser Erkenntnis<br />
will Goldsmith jeden seiner Leser leiten. Das gelingt ihm mit viel<br />
Verständnis für die alltäglichen Schwächen und mit unterhaltsamen<br />
Beispielen auch aus seinem eigenen Verhaltensrepertoire. Die<br />
typisch amerikanische Erfolgsfixiertheit wird hier zwar noch eine<br />
Schraube weitergedreht nach dem Motto «Du bist zwar schon<br />
erfolgreich, aber du musst noch viel erfolgreicher werden!».<br />
Trotzdem ist dieses Buch empfehlenswert: Idealerweise werden<br />
seine Leser nach der Lektüre nicht nur sich selbst zu noch mehr<br />
Erfolg verhelfen, sondern auch anderen mehr Aufmerksamkeit<br />
und Freude schenken. © getAbstract<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
78 Leader Wolfgang Rihm<br />
Die Gemüsefrau<br />
und die Musik<br />
Am 27. Juli wird an den Salzburger Festspielen die Oper «Dionysos» von Wolfgang Rihm<br />
uraufgeführt. Kurz nach deren Fertigstellung sprachen wir mit ihm über die Rolle<br />
des Komponisten und die Überlebenschancen der Musik in der heutigen Gesellschaft.<br />
Interview: Max Nyffeler<br />
<strong>bull</strong>etin: Man sagt, der Künstler wolle geliebt werden vom<br />
Publikum. Gilt das auch für Sie?<br />
Wolfgang Rihm: Natürlich. Aber nicht um jeden Preis.<br />
Liebe dienern sollte man nicht.<br />
Sie hätten dazu auch lange keine Gelegenheit gehabt.<br />
Zu Beginn Ihrer Karriere in den frühen 1970er-Jahren schlug<br />
Ihnen heftige Ablehnung entgegen. Wie war das für Sie?<br />
Hart und abhärtend zugleich. Aber man muss sich klar sein:<br />
Die Ablehnung kam meistens aus der so genannten zweiten<br />
Reihe – von Positionen, die sich auf Seiten des «guten» und<br />
«richtigen» Avantgardismus wähnten.<br />
Sie galten damals als Inbegriff eines deutschen Komponisten:<br />
zu schwer, zu tiefgründig, zu konfliktreich. Schon im eigenen<br />
Land wurde das von der Kritik negativ vermerkt. Wie waren die<br />
Reaktionen im Ausland?<br />
In England, Amerika, den Niederlanden und teilweise auch in<br />
Frankreich, ja sogar in Italien, wurde ich anfänglich scheinbar als<br />
willkommene Verkörperung des «bösen Deutschen» wahrgenommen.<br />
Als hätte ich bei Hitler studiert. Da konnte man noch spüren,<br />
dass der Krieg erst 30 Jahre zurücklag. Und während mir zu<br />
Hause vorgeworfen wurde, ich sei eine Art neuer Sibelius, wurde<br />
in Ländern, wo man gern Sibelius hört, meine Musik als « t y p i s c h<br />
deutsch», nämlich «intellektuell» und «schlecht klingend», abqualifiziert.<br />
Gespielt wurden Sie aber trotzdem.<br />
Weil es zum Glück überall kenntnisreiche Menschen gab, die mich<br />
unterstützten. Es waren immer Einzelne, die sich an entscheidender<br />
Stelle für meine Musik einsetzten. Das Gros, für das auch die<br />
Musikkritiker sprachen, war aus den verschiedensten Gründen<br />
zunächst vorwiegend ablehnend bis feindlich. Doch mit der Zeit<br />
hat sich das dann geändert. Und das Publikum reagierte sowieso<br />
meist viel positiver als die so genannte Fachwelt.<br />
Robert Spaemann, der Doyen der deutschen Gegenwartsphilosophie,<br />
hat einmal die Aufgabe der Philosophie so definiert:<br />
Sie habe «im Grunde genommen nichts anderes zu tun, als<br />
das, was die Gemüsefrau schon immer wusste, in Schutz zu<br />
nehmen gegen den fortschreitenden Versuch einer gigantischen<br />
Sophistik, es ihr auszureden». Ein Plädoyer für den gesunden<br />
Menschenverstand, doch leider, sagt Spaemann, sei das heute<br />
auch nicht mehr so einfach. Zeigt sich hier nicht auch etwas<br />
vom Problem, das die zeitgenössische Musik mit ihrem Publi-<br />
kum hat?<br />
Ich möchte die Gemüsefrau nicht zwingen, sich mit Kunstmusik<br />
zu beschäftigen. Aber ihr sollte die Möglichkeit auch nicht genommen<br />
werden, sich dieser Musik zu öffnen; sie sollte ihr begegnen<br />
dürfen. Leider wird ihr heute von den Massenmedien eine<br />
Welt vorgestellt, in der nur das Platz hat, was mehrheitsfähig ist.<br />
Es sollte aber möglich sein, dass jeder in seiner sozialen Wirklichkeit<br />
irgendwann in Berührung kommen darf mit Kunstformen,<br />
die von den Formaten, die die Massenmedien bereithalten, nicht<br />
vorgesehen sind! Das wäre ein Moment von Freiheit.<br />
Wie kann man dahin gelangen?<br />
Man sollte sich vorbereiten können und den entsprechenden<br />
Ausdrucksformen immer wieder begegnen. Bei der Beschäftigung<br />
mit Kunst braucht es ein Minimum an Wissen. Es herrscht ein<br />
Widerspruch: Wir wünschen uns den «Zuspruch der Massen», aber<br />
wir erlauben ihnen nicht, sich auf die Begegnung mit der neuen<br />
Kunst vorzubereiten. Und wenn sie dann nicht ruckartig in Jubel<br />
ausbrechen, wird das als Argument gegen jede neue Kunst<br />
benutzt. Das ist ein grosser Fehler.<br />
Vom Münchner Volkskomiker Karl Valentin stammt der<br />
Ausspruch: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.<br />
Wie immer hat er recht. Beim Sport ist es doch allen klar:<br />
Niemand kann ohne Übung etwas leisten. Auch als Zuschauer<br />
muss man ein Wissen haben, um zu verstehen, um was es<br />
geht. Kunst wird aber mit einer falschen Aura versehen, wo man<br />
als Rezipient nichts mehr leisten darf, sondern sich nur noch<br />
bedienen lassen will und konsumiert. Die Eigenleistung sollte<br />
><br />
Foto: Annette Hausschild, OSTKREUZ<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Wolfgang Rihm Leader 79<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
80 Leader Wolfgang Rihm<br />
Wolfgang Rihm wurde am 13. März 1952 in<br />
Karlsruhe geboren und unternahm bereits mit<br />
elf Jahren erste Kompositionsversuche.<br />
Parallel zum Abitur legte er 1972 das Staatsexamen<br />
in Komposition und Musiktheorie<br />
ab. 1974 erhielt er mit dem Kompositionspreis<br />
der Stadt Stuttgart die erste bedeutende<br />
Auszeichnung. Viele weitere folgten, so 1981<br />
der Beethoven-Preis der Stadt Bonn, 1986<br />
der Rolf-Liebermann-Preis und 20<strong>03</strong> der<br />
Ernst-von-Siemens-Musikpreis. 1989 bekam<br />
Rihm das Bundesverdienstkreuz und 2004<br />
die Verdienstmedaille des Landes Baden-<br />
Württemberg. Seit 1985 hat er den Lehrstuhl<br />
für Komposition an der Musikhochschule<br />
Karlsruhe inne. In der Schweiz wirkte Rihm<br />
1997 beim Lucerne Festival und 2007 beim<br />
Davos Festival als Composer-in-Residence;<br />
1998 erhielt er den Jacob-Burckhardt-Preis der<br />
Johann Wolfgang von Goethe-Stiftung Basel.<br />
Nach Stipendien in Rom (1979/80) und Paris<br />
(1983) erhielt Rihm 1997 den Prix Composition<br />
Musical de la Fondation Prince Pierre<br />
de Monaco als ersten wichtigen Preis ausserhalb<br />
des deutschsprachigen Raums. 2001<br />
folgte der Royal Philharmonic Society Award<br />
und 20<strong>10</strong> an der Biennale in Venedig der<br />
Leone d’oro. Sein Œuvre umfasst derzeit<br />
rund 300 Kompositionen. schi<br />
wieder einen Wert darstellen dürfen: das Wissen von der Kunst<br />
und der Wunsch, mit ihr in Dialog treten zu können. Sich anstrengen,<br />
um ein Verständnis für eine Sache zu entwickeln, wird<br />
allerdings von vielen schon als Zumutung empfunden. Das<br />
scheint aber leider ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen<br />
zu sein und ist nicht auf die Kunst beschränkt.<br />
Argumentiert wird dann: «Mozart ist ja auch angenehm<br />
zu hören.»<br />
Mozart ist bis heute eine Herausforderung und war es schon<br />
für seine Zeitgenossen. Der Zürcher Musikschriftsteller<br />
Hans Georg Nägeli warf 1826 Mozart vor, er sei zu kompliziert:<br />
Er vermische Vokal- und Instrumentalstil und arbeite zu sehr<br />
aus dem Kontrastprinzip heraus.<br />
Da hat man bereits die heutige Forderung nach einer<br />
Wohlfühl-Ästhetik. Sogar auf Kosten Mozarts.<br />
Ich will ja keine Volkserziehung. Mir würde schon genügen,<br />
wenn dieses Prinzip des anstrengungslosen Gefallens ein wenig<br />
in Frage gestellt würde. Man will Spass haben und meint, die<br />
Voraussetzung dazu sei Ahnungslosigkeit. Ich habe nichts gegen<br />
Spass. Aber ich möchte, dass man auch gescheit sein darf,<br />
um vielleicht noch mehr Spass zu haben.<br />
Heute ist weltweit eine Ökonomisierung des Lebens zu<br />
beo bachten. Alles wird am Geldwert gemessen. Welche<br />
Über lebenschancen haben da die Künste, deren Wert sich<br />
nicht einfach nach Geld bemessen lässt ?<br />
Man sollte zunächst zwischen den verschiedenen Künsten unterscheiden.<br />
Ein Bild ist das Kunstwerk selbst – somit ein Wert –,<br />
eine Partitur aber ist nur eine Handlungsanweisung – sie weist<br />
auf einen Wert hin. Das musikalische Kunstwerk entsteht erst<br />
in der Aufführung und muss jedes Mal wieder neu hergestellt<br />
werden. Die CD ist nur eine Konserve, die einen längst vergangenen<br />
Moment in die Gegenwart hinein verlängert.<br />
Und was bedeutet das für das Überleben des Kunstwerks?<br />
In der bildenden Kunst genügen ein oder zwei potente Sammler,<br />
die sich um einen Künstler bemühen, und seine Arbeit und er<br />
selbst sind gerettet. Vielleicht steht die Skulptur dann im Garten<br />
i rgendeines Plutokraten oder das Bild verschwindet im Banksafe,<br />
aber im Prinzip ist ihr Überleben damit garantiert. Die Musik<br />
hingegen ist ein sozialer Vorgang, in den viele Menschen involviert<br />
sind: Es braucht einen Verlag, der das Aufführungsmaterial<br />
herstellt, Veranstalter, die das Werk programmieren, Interpreten,<br />
die die Musik zum Erklingen bringen, und es braucht ein zahlreiches<br />
Publikum, das sie hört. Erst dann kann der Urheber überhaupt<br />
von seinem Werk leben.<br />
Besteht heute die Gefahr, dass die Gesellschaft das Geld<br />
für diesen komplizierten Prozess nicht mehr aufbringen will?<br />
Es ist eine Frage der Werte. Wichtiger als die Verkäuflichkeit<br />
der Musik, die ja ein Faktum darstellt, ist ihr geistiger Gehalt, ihre<br />
emotive Energie: Will man diese Werte auch weiterhin fördern,<br />
oder gibt man sie preis? Der Impuls dazu muss letztlich von einzelnen<br />
Verantwortlichen kommen, die über das Geld und Veranstalterkapazitäten<br />
verfügen. Sie müssen sich zu diesen Werten<br />
bekennen und dem breiten Publikum damit die Möglichkeit geben,<br />
sich weiterhin mit Musik als Kunst auseinanderzusetzen, die etwas<br />
über unsere Gegenwart aussagt. Wenn diese Verantwortlichen<br />
aber der Meinung sind, sie müssten ihre Verantwortung abgeben<br />
an Statistiken, momentane Vorlieben von Mehrheiten und Moden,<br />
dann sieht es schlecht aus. Aber ich bin optimistisch.<br />
><br />
Fotos: Annette Hausschild, OSTKREUZ | Betty Freeman, Lebrecht Music & Arts | Marion Kalter, Lebrecht Music & Arts | Sven Paustian, Agentur Focus | Davos Festival<br />
<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse
Wolfgang Rihm Leader 81<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
1 Ein Streichquartett entsteht. 2 Gerne gibt Wolfgang Rihm seine Erfahrungen an den Nachwuchs weiter, als Professor für Komposition<br />
an der Musikhochschule Karlsruhe oder, wie hier, im Rahmen einer Meisterklasse. 3 «Ich habe die Partie so für sie massgeschneidert,<br />
wie Mozart oder Richard Strauss für ihre Sängerinnen geschrieben haben», sagt der Komponist Wolfgang Rihm über Proserpina beziehungsweise<br />
die Sopranistin Mojca Erdmann. Die Uraufführung der Vertonung des Goethe-Gedichtes fand am 2. Mai 2009 im Schlosstheater<br />
Schwetzingen statt, unter der Regie von Hans Neuenfels. Kein Wunder also, singt Mojca Erdmann auch in «Dionysos». 4 Im Gespräch mit<br />
Graziella Contratto, der Intendantin von Davos Festival, wo Wolfgang Rihm 2007 Composer-in-Residence war.<br />
Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>
82 Leader Wolfgang Rihm<br />
Sie haben schon an vielen Festivals als Composer-in-<br />
Residence teilgenommen, und in diesem Sommer steht nun<br />
auch bei den Salzburger Festspielen wieder eine grosse<br />
Werkschau auf dem Programm; schon 2000 waren Sie dort zu<br />
Gast. Was bedeutet es für Sie, an einem so repräsentativen<br />
Ort ausgiebig gefeiert zu werden?<br />
Ein Festival ist ja keine anonyme Struktur, sondern dort agieren<br />
immer engagierte Individuen – eben «Verantwortliche» –, die ein<br />
Programm zusammenbauen. In diesem Fall ist es Markus Hinterhäuser,<br />
2000 war es Hans Landesmann. Ob ich mich jeweils<br />
«repräsentiert» fühle, ist für mich nebensächlich. Zur Darstellung<br />
kommt ohnehin immer nur ein schmaler Ausschnitt des gesamten<br />
Schaffens. Viel wichtiger ist, dass da ein kompetenter Mensch,<br />
mit dem ich mich obendrein gut verstehe, Interesse an meinem<br />
Werk zeigt und es in wohlüberlegter Dramaturgie an die Öffentlichkeit<br />
bringt. Das ist genau das, worüber ich vorhin sprach:<br />
kundige Verantwortung.<br />
Gemessen an den Salzburger Festspielen ist das vor<br />
25 Jahren gegründete Davos Festival ein kleines, aber feines<br />
Festival. Auch hier waren Sie vor einigen Jahren eingeladen.<br />
Was war hier das Besondere?<br />
Es ist eigentlich dasselbe wie in Salzburg: Alles hängt an Einzelpersonen,<br />
die einem Festival sein Profil verleihen. In Davos ist<br />
das Graziella Contratto. Die Mittel sind natürlich viel bescheidener<br />
als in Salzburg, aber trotzdem wurde ein optimales Ergebnis erzielt.<br />
Zusätzlich wurden auch einige meiner Schüler einbezogen, man<br />
hat viel Kammermusik gemacht, und ich hatte das Gefühl, ich sei<br />
nicht ein «Repräsentant» der neuen Musik, die man «leider machen<br />
muss», sondern ich wurde als Künstler ernst genommen, dessen<br />
Werke dem Publikum etwas «wert» werden konnten.<br />
Sie sind heute ein international viel gespielter Komponist,<br />
obwohl Sie es dem Publikum nie einfach gemacht haben …<br />
… vielleicht gerade deswegen!<br />
… und Ihr Werkverzeichnis, das um 1970 einsetzt, verzeichnet<br />
inzwischen über 300 Titel. Bei der Fülle an Werken und Aufführungen<br />
könnte einem ja fast ein bisschen schwindlig werden.<br />
Wem? Mir? Auch wenn das jetzt ein bisschen provokant klingt:<br />
Ich habe eher das Gefühl, es ist zu wenig. Was ich gemacht habe,<br />
kommt mir sowieso vorläufig vor, und wie es rezipiert wird, ist<br />
ja die Vorläufigkeit selbst. Aber das stört mich nicht. Die Vorläufigkeit<br />
gehört zum menschlichen Dasein. Schwindlig werden kann<br />
einem nur, wenn man glaubt, man hätte ein Anrecht auf Heiligsprechung.<br />
Das wünsche ich nicht. Ich will am Leben teilhaben.<br />
Ich bin mit allen meinen Fehlern und Vorzügen ein Mensch und<br />
nicht der «Steinerne Gast» im «Don Giovanni». <<br />
Weitere Interviews mit Wolfgang Rihm unter<br />
www.beckmesser.de<br />
Fünfte Uraufführung eines Rihm-Werks<br />
an den Salzburger Festspielen<br />
Wolfgang Rihm steht im Zentrum<br />
der diesjährigen Salzburger Festspiele.<br />
Neben der Oper « Dionysos»<br />
sind 14 weitere Veranstaltungen<br />
dem deutschen Komponisten gewidmet.<br />
An Wolfgang Rihm kommt dieses Jahr kein<br />
Festspielbesucher vorbei. Hoffentlich! Glücklicherweise!<br />
Seine Oper «Dionysos» wird<br />
am 27. Juli unter der Leitung von Ingo Metzmacher<br />
uraufgeführt. Weitere Aufführungen<br />
folgen am 30. Juli sowie am 5. und 8. August.<br />
Inspiration und Ausgangspunkt ist Friedrich<br />
Nietzsches später Gedichtzyklus «Dionysos-<br />
Dithyramben». Für die Regie zeichnet Pierre<br />
Audi verantwortlich, für das Bühnenbild Jonathan<br />
Meese, für die Kostüme Jorge Jara,<br />
für das Licht Jean Kalman und für die Dramaturgie<br />
Klaus Bertisch. In der Titelrolle ist<br />
Johannes Martin Kränzle zu hören, als weitere<br />
Solisten darf man sich auf Mojca Erdmann,<br />
Virpi Räisänen sowie Matthias Klink<br />
freuen. Es singt die Konzertvereinigung Wiener<br />
Staatsopernchor, es spielt das Deutsche<br />
Symphonie-Orchester Berlin.<br />
Bühnenbildskizze zur Oper «Dionysos»<br />
von Jonathan Meese.<br />
Begleitet wird die Oper nicht nur von der<br />
Credit Suisse Sommerbegegnung für Medienschaffende,<br />
sondern auch von der vierteiligen<br />
Gesprächsreihe «Exegese Rihm» im<br />
Schüttkasten. Die Reihe «Kontinent Rihm»<br />
enthält zehn von Markus Hinterhäuser zusammengestellte<br />
Konzerte zwischen dem<br />
29. Juli und dem 22. August, darunter auch<br />
zwei mit den Wiener Philharmonikern.<br />
Bereits 2000 hatten die Salzburger Festspiele<br />
Wolfgang Rihm eine Konzertreihe<br />
unter der «kundigen Verantwortung» (Rihm)<br />
von Hans Landesmann gewidmet. Zu diesem<br />
Zeitpunkt konnte man Wolfgang Rihm schon<br />
zu den etablierten Komponisten zählen.<br />
Das war bei seinem ersten Besuch am<br />
17. August 1982 noch nicht im gleichen Masse<br />
der Fall. Die Internationale Stiftung Mozarteum<br />
Salzburg hatte ihm dazu das Werk<br />
«Fremde Szene» in Auftrag gegeben. Die<br />
nächste Uraufführung im Rahmen der Salzburger<br />
Festspiele folgte am 16. August<br />
1990 mit dem Requiem «Mein Tod» mit einem<br />
Text von Wolf Wondratschek. Während Rihm<br />
1991 die Festspiele als Redner eröffnete,<br />
musste man sich für die nächste Uraufführung<br />
bis zum 11. August 20<strong>03</strong> gedulden:<br />
Marjana Lipovšek interpretierte die Lavant-<br />
Gesänge nach Gedichten von Christine Lavant.<br />
Am 15. August 2006 folgte dann, als<br />
Auftragswerk der Salzburger Festspiele, ein<br />
Konzert für Violoncello und Orchester unter<br />
der Leitung von Paavo Järvi. schi<br />
<br />
www.salzburgerfestspiele.at;<br />
www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />
Foto: Jan Bauer, Courtesy JonathanMeese.Com<br />
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