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bull_10_03_Bewegung

Credit Suisse bulletin, 2010/03

Credit Suisse bulletin, 2010/03

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Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli/August 20<strong>10</strong><br />

<strong>Bewegung</strong><br />

Der Mensch ist zum Laufen geboren. Doch nur<br />

wenige sind so schnell wie Dave Dollé. Lassen<br />

Sie den mehrfachen Schweizer Meister auf Ihrem<br />

Bildschirm lossprinten! (Anleitung auf Seite 30)<br />

Globale Initiative Credit Suisse ist treibhausgasneutral<br />

KMU-Studie Die Globalisierungswelle rollt<br />

Wolfgang Rihm Der deutsche Komponist im Gespräch<br />

Mit dem Magazin entrepreneur


Der neue BMW X5<br />

www.bmw.ch<br />

Freude am Fahren<br />

FREUDE VEREINT LUXUS<br />

UND EFFIZIENZ.<br />

Das Beste aus zwei Welten zu vereinen, bedeutet, sich nicht zwischen exklusivem Komfort und sparsamen Höchstleistungen<br />

entscheiden zu müssen. Der neue BMW X5 bietet beides. Dank seiner souveränen Eleganz, kraftvollen Sportlichkeit<br />

und wegweisenden Technologie reisen Sie auf höchstem Niveau mit tiefen Emissionen. Neue, noch durchzugsstärkere<br />

Motoren mit serienmässigem Achtgang-Automatikgetriebe sorgen in Ver bindung mit BMW EfficientDynamics für noch<br />

effizientere Verbrauchs- und Leistungswerte. Entscheiden Sie sich jetzt für den BMW X5, die perfekte Kombination aus<br />

Luxus und Effizienz. Jetzt bei Ihrem BMW Partner oder auf www.bmw.ch/x5<br />

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Gratis-Service bis <strong>10</strong>0 000 km oder <strong>10</strong> Jahre, Garantie bis <strong>10</strong>0 000 km oder 3 Jahre.<br />

DER NEUE BMW X5.


Editorial 3<br />

Wenn Mathias Plüss in seiner Geschichte auf Seite 28 über den Menschen als<br />

<strong>Bewegung</strong>stier schreibt, der in früheren Zeiten die Beute buchstäblich zu Tode<br />

gehetzt haben soll, dann ist das für mich völlig nachvollziehbar. Schliesslich habe ich<br />

mich schon als Kind vorzugsweise im Laufschritt von A nach B bewegt. Mir war das<br />

gemütliche Spazieren immer etwas zu langsam und als Fussball-Junior überzeugte<br />

ich eher durch Ausdauer denn durch technische Raffinesse und Antrittsstärke.<br />

Erweiterte Realität<br />

Anleitung zum bewegten Titelbild mit<br />

Augmented-Reality-Technik Seite 30<br />

Bilderkennung<br />

Anleitung und Beschreibung der kooaba-<br />

Anwendungen Seite <strong>10</strong><br />

QR CODE<br />

Anleitung für den mobilen Link zum Internet<br />

Seite 11<br />

Und ja, natürlich bin auch ich irgendwann meinen ersten Marathon gerannt. Nicht<br />

weil es mittlerweile zum guten Ton gehört, wie Plüss moniert, sondern weil<br />

mich der Mythos Marathon schon immer fasziniert hat und das Glücksgefühl im<br />

Ziel beim ersten Mal einfach unbeschreiblich ist. Doch dem nächsten in der<br />

Geschich te beschriebenen Trend, hin zu immer noch extremeren Herausforderungen<br />

wie etwa dem Jungfrau-Marathon mit 1829 Höhenmetern, bin ich (bislang) nicht<br />

gefolgt. Gehen Sie einfach mal am Montagmorgen nach dem Marathon in die<br />

Zürcher Bahnhofsunterführung und beobachten Sie, wie schwer sich viele mit<br />

42,195 Kilometern in den Beinen beim Überwinden von ein paar Stufen tun, dann<br />

wissen Sie, warum. Mediziner sind sich denn auch einig: Für die Gesundheit muss<br />

keiner einen Marathon rennen.<br />

Unser Mann auf dem Titelbild ist aber nicht etwa ein Langstreckenläufer, sondern<br />

der in Kalifornien geborene Schweizer Sprinter Dave Dollé, der mit <strong>10</strong>,16 Sekunden<br />

immer noch den Schweizer Rekord über <strong>10</strong>0 Meter hält. Er stand (und rannte)<br />

für unser spezielles Titelblatt Modell, das Ihnen auf spielerische Art und Weise die<br />

neusten Möglichkeiten modernster Computertechnik veranschaulicht. Alles,<br />

was Sie brauchen, ist ein Computer mit einer Web-Kamera und die Anleitung auf<br />

Seite 30 zu befolgen. Sie werden staunen.<br />

Das <strong>bull</strong>etin macht mit dieser Ausgabe noch weitere Schritte in Richtung mobile<br />

Kommunikation. So genannte QR Codes verlinken Ihr internettaugliches Handy<br />

direkt mit zusätzlichen Bildern, Videos und sonstigen Infos. Und über das Bilderkennungssystem<br />

kooaba gibt es weiterführende Links und Dienstleistungen rund um<br />

die jeweilige <strong>bull</strong>etin Geschichte oder das ganze Heft. Die Anleitungen zu diesen<br />

neuen Dienstleistungen finden Sie auf den Seiten <strong>10</strong> und 11.<br />

Fotos: Cédric Widmer | Mathias Hofstetter | vitronic.ch<br />

Der QR Code fürs mobile <strong>bull</strong>etin:<br />

Um mit dem Browser Ihres Smartphones auf<br />

das mobile <strong>bull</strong>etin zuzugreifen, tippen Sie folgende<br />

URL ein: www.credit-suisse.com/m<strong>bull</strong>etin<br />

Und zu guter Letzt eine freudige Nachricht in eigener Sache: Bereits zum sechsten<br />

Mal seit 1993 wurde das <strong>bull</strong>etin bei den Best of Corporate Publishing Awards<br />

in Deutschland in der Kategorie Finanzen und Versicherungen mit einer Medaille<br />

ausgezeichnet und zwar wie schon im vergangenen Jahr mit Silber. Eine Ehrung,<br />

die die Redaktion überaus freudig bewegt!<br />

Daniel Huber, Chefredaktor <strong>bull</strong>etin<br />

Preisträger


Inhalt 5<br />

Coverfoto: Mathias Hofstetter | Foto: Lukas Ilgner<br />

18<br />

<strong>Bewegung</strong> Christian Kandlbauer bewegt seine linke<br />

Armprothese nur kraft seiner Gedanken. Die bewegende<br />

Geschichte eines jungen Mannes, der sich mit modernster<br />

Technik und eisernem Willen seine Selbständigkeit Schritt<br />

für Schritt zurückerkämpft(e).<br />

Credit Suisse<br />

31 _ Kurzmeldungen Massnahmen zur nachhaltigen<br />

Förderung der Schweizer Wirtschaft<br />

34 _ Salzburger Festspiele Am Anfang stand<br />

der Wunsch nach «geistigem Frieden»<br />

36 _ Marjana Lipovšek Damit die faltenlosen<br />

Talente für ihre Aufgabe wirklich gerüstet sind<br />

38_ Nicolas Altstaedt Der Schüler von Pergamenschikow<br />

macht seinem Meister alle Ehre<br />

39 _ Davos Festival Zum Jubiläum wird auf der<br />

Schatzalp eine Zauberberg-Oper uraufgeführt<br />

42 _ Risikokapital Wie Johannes Suter<br />

<strong>10</strong>0 Millionen Franken sinnvoll einsetzen will<br />

43 _ Gesunde Tochter Credit Suisse Fleetmanagement<br />

AG feiert ihren zehnten Geburtstag<br />

44 _ Business Aviation In vielen Regionen gibt<br />

es keine Alternative zu Geschäftsflugzeugen<br />

46 _ Weiterbildung Die firmeninterne Weiterbildung<br />

ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg<br />

48 _ Klimaschutz Die Credit Suisse arbeitet nun<br />

weltweit treibhausgasneutral<br />

50 _ Schulbildung Tansanias Nomadenkinder<br />

sollen auch zur Schule gehen können<br />

52 _ Jugendarbeitslosigkeit «Jeunes@Work»<br />

erleichtert den Einstieg in die Arbeitswelt<br />

54 _ Krebsliga In der Schweiz seit <strong>10</strong>0 Jahren<br />

unterwegs im Kampf gegen den Krebs<br />

55 _ Kurzfutter Bildung, Menschenrechte und<br />

Aktivitäten zum Klimaschutz<br />

6 _ Die Zukunft ist mobil Handys werden immer mehr zum<br />

zentralen Monitor der vernetzten Welt.<br />

14 _ Perpetuum mobile Der Traum von der Maschine, die<br />

sich ewig von selbst bewegt, ist noch nicht ausgeträumt.<br />

18 _ Gedankengesteuerte Prothesen Modernste Technik<br />

und viel Willenskraft machen es möglich.<br />

22 _ Modern Dance Die 90-jährige Anna Halprin gilt als eine<br />

der grössten <strong>Bewegung</strong>skünstlerinnen der Nachkriegszeit.<br />

28 _ Ausdauerräuber Bei grosser Hitze ist der Mensch über<br />

lange Strecken jedem Tier überlegen.<br />

Wirtschaft<br />

56 _ KMU-Studie Schweizer Unternehmen sind<br />

für die nächste Globalisierungswelle gerüstet<br />

60 _ Multikulturell In den USA lernen immer<br />

mehr Kinder und Jugendliche Chinesisch<br />

62 _ Indien-Fieldtrip Unterwegs auf dem<br />

Subkontinent der Kontraste und Chancen<br />

70 _ Asset Allocation Vom Papier zum Portfolio –<br />

so wird die Anlagestrategie umgesetzt<br />

72 _ Experten-Interview <strong>Bewegung</strong> als Strategie<br />

und Taktik<br />

Invest<br />

73 _ Aktuelle Analysen und Trends<br />

Leader<br />

78 _ Wolfgang Rihm Die Gemüsefrau soll die<br />

Möglichkeit haben, neuer Kunst zu begegnen<br />

Service<br />

47 _ Impressum<br />

77 _ Wissenswert/Nachlese<br />

Der Forest Stewardship Council (FSC) setzt mit <strong>10</strong> Prinzipien und Kriterien den Standard für eine umwelt- und<br />

sozialver trägliche Waldbewirtschaftung. Schweizer Papier (Z-Offset, mit 30% FSC-Anteil), aus europäischem Zellstoff,<br />

hergestellt von der ISO-14001-zertifizierten Ziegler Papier AG, Grellingen.<br />

Ihr Link zu unserem Know-how: www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin


6 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />

Die Zukunft<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 7<br />

ist mobil<br />

Kommunikation aus einer Hand<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


8 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />

Mit schnelleren Netzen, neuen Anwendungen und<br />

innovativen Bedienungskonzepten wird das Handy der Zukunft<br />

zum zentralen Monitor der vernetzten Welt.<br />

Fotos: Mathias Hofstetter | Nokia | nttdocomo.com | Itsuo Inouye, Keystone<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 9<br />

Per Mobiltelefon bezahlen<br />

Ticket<br />

Text: Claude Settele<br />

Key/ID<br />

Shopping<br />

Drei Dinge hat der Mensch<br />

dabei, wenn er seine Wohnung<br />

verlässt: Portemonnaie,<br />

Hausschlüssel und<br />

Handy. In Zukunft wird es<br />

vielleicht nur noch das Mobiltelefon<br />

sein. Als Sprechapparat<br />

hat seine Karriere begonnen, als<br />

portabler Musik- und Videoplayer hat es sich<br />

weiterentwickelt und nun öffnet das Handy<br />

dank Internetanschluss die Türen zur vernetzten<br />

Welt. Inzwischen ist die Verbreitung<br />

des Mobiltelefons förmlich explodiert. Laut<br />

der International Telecom Union (ITU) gibt es<br />

weltweit über vier Milliarden Handy-Benutzer.<br />

Stimmen die Prognosen der Marktforscherin<br />

Gartner Group, werden 2013 bereits 80 Prozent<br />

der Handys für die Datenkommunikation<br />

gerüstet sein und neue Anwendungen das<br />

mobile Internet erst richtig lancieren.<br />

Elastische Handys und mehr Tempo<br />

Der Erfolg des iPhones war der Startschuss<br />

für das mobile Internet, der gleich auch die<br />

Grenzen der Datennetze aufgezeigt hat. In<br />

Ballungszentren reicht die Bandbreite oft<br />

nicht mehr für eine flüssige Nutzung. Beim<br />

US-Provider AT&T ist der Datenverkehr in<br />

Nokia will in Zukunft<br />

neue Werkstoffe verwenden,<br />

um dehnbare<br />

und biegsame<br />

Telefone zu bauen.<br />

Member’s Card<br />

Transportation<br />

Online<br />

Shopping<br />

Keitai Credit<br />

Den Japanern dient das Handy schon<br />

seit Jahren als elektronisches Portemonnaie<br />

für Einkäufe und andere Zahlungen.<br />

drei Jahren um 7000 Prozent gestiegen. Abhilfe<br />

soll demnächst die vierte Generation<br />

(4G) der Mobilfunktechnik bringen. Leistungsfähigere<br />

Netze sind denn auch dringend<br />

nötig. IBM prognostiziert, dass sich der<br />

mobile Datenverkehr von 20<strong>10</strong> bis 2013 mehr<br />

als verzehnfachen und pro Monat auf über<br />

2000 Petabytes (2 Milliarden Gigabytes) belaufen<br />

wird. Swisscom hat bereits Tests für<br />

das 4G-Netz gestartet, das mit 150 MBit/s<br />

schon in der ersten Phase <strong>10</strong>- bis 20-mal<br />

mehr Tempo bringt als heute. Diese Bandbreite<br />

wird Anwendungen wie HDTV oder<br />

Online Gaming in 3D-Welten möglich machen.<br />

Vor der Türe steht auch die Funktechnik<br />

Near Field Communication (NFC), die der<br />

elektronischen Bezahlung per Handy auf die<br />

Sprünge helfen soll. Dank einer vergleichbaren<br />

Nahfunktechnik können die Handyverrückten<br />

Japaner schon seit Jahren mit<br />

Mobiltelefonen kontaktlos bezahlen. Osaifu-<br />

7000%<br />

... Wachstum beim Datenverkehr<br />

verzeichnete AT&T in drei Jahren seit<br />

dem Durchbruch der mobilen<br />

Internetnutzung.<br />

Keitai heisst das elektronische Portemonnaie,<br />

mit dem man Tickets und Zeitungen<br />

kaufen kann und das auch als elektronischer<br />

Schlüssel für Türen sowie als Identitäts- und<br />

als Kreditkarte dient.<br />

Und wie wird das Handy der Zukunft aussehen?<br />

Sehr anpassungsfähig, sind Nokias<br />

Ingenieure überzeugt. Zusammen mit dem<br />

Cambridge Nanoscience Centre in Grossbritannien<br />

hat Nokia ein Handy-Konzept namens<br />

Morph entwickelt, das aus neuen, auf<br />

Nanotechnologie basierenden Materia- ><br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


<strong>10</strong> <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />

lien gebaut ist und auf transparente Elektronik<br />

setzt. Es kann die klassische Form<br />

annehmen, lässt sich in die Breite dehnen<br />

oder um den Arm wickeln wie ein Schmuckstück.<br />

Auch Sony setzt auf Dynamik und experimentiert<br />

mit biegsamen Farbdisplays,<br />

während Patentanträge von Apple vermuten<br />

lassen, dass sich bei künftigen iPhones<br />

Funktionen auf dem Display erfühlen lassen<br />

und Tasten je nach Kontext verschwinden.<br />

Geht es nach der Firma Dynamic Digital<br />

Depth, werden wir künftig auf dem Handy<br />

2D-Inhalte in 3D anschauen. Die Firma hat<br />

hierfür eine Software und ein «autostereoskopisches»<br />

Display entwickelt. Kippt man das<br />

Handy in die Horizontale, erheben sich etwa<br />

Figuren eines Games scheinbar aus dem Display<br />

heraus. Zu sehen ist der Effekt ohne<br />

Spezialbrille. Samsung will im spielverrückten<br />

Korea noch dieses Jahr ein entsprechendes<br />

Mobiltelefon lancieren.<br />

Ferndiagnose mit Tele-Medizin<br />

2000<br />

Petabytes Daten sollen laut einer<br />

Prognose von IBM bis im<br />

Jahr 2013 jeden Monat über die<br />

weltweiten Mobilfunknetze<br />

transportiert werden.<br />

<strong>bull</strong>etin<br />

Bilderkennung<br />

kooaba erkennt Fotos von CDs, Büchern<br />

und Zeitungen und liefert Infos aus dem Web.<br />

Neu auch fürs <strong>bull</strong>etin!<br />

So gehts: kooaba-App Paperboy gratis<br />

laden (iPhone/Android), fotografieren,<br />

Links erhalten.<br />

Mit der kooaba-App das Titelblatt<br />

des <strong>bull</strong>etin fotografieren und per<br />

Taste «Verwenden» bestätigen.<br />

Anschliessend zeigt die App eine<br />

Liste aller verfügbaren Informationen,<br />

Links und Optionen.<br />

Wer ein kostenloses Web-Konto<br />

bei kooaba besitzt, findet online alle<br />

geknipsten Objekte samt Infos.<br />

Drahtlose Geräte für die Überwachung von<br />

Patienten gibt es seit Längerem, nun drängt<br />

auch das Mobiltelefon in diesen Markt. Sein<br />

Einsatz kann insbesondere in ländlichen Gegenden<br />

fern von ärztlicher Versorgung gute<br />

Dienste leisten. Nokia testet in einem malariagefährdeten<br />

Gebiet in Indien einen Health-<br />

Radar genannten Service, der vor Ort mit<br />

einem Handy einfach Daten erfassen und zur<br />

schnellen Auswertung des Verlaufs von<br />

Krankheiten und Epidemien an einen Server<br />

senden kann. Der Papierweg ist zu langsam,<br />

um die Ausbreitung zu stoppen.<br />

Ein grosses Thema wird die Überwachung<br />

von Patienten werden, zahlreiche Anwendungen<br />

für das iPhone und andere Geräte sind<br />

in Entwicklung oder schon verfügbar. Die<br />

US-Firma Corventis hat einen unter dem<br />

Hemd tragbaren Sensor entwickelt, der permanent<br />

ein Kardiogramm aufzeichnet und via<br />

Handy an einen Server sendet. Die Information<br />

kann der Arzt live abrufen, auch unterwegs<br />

auf dem Mobiltelefon. Auch Krankheiten<br />

wie Schlafstörungen, Asthma oder Diabetes<br />

eignen sich für die Überwachung. Ein<br />

grosses Potenzial hat die Tele-Medizin bei<br />

der Ferndiagnose. Bill Gates, der über seine<br />

Stiftung viele Gesundheitsprojekte in Afrika<br />

unterstützt, betont die Bedeutung des Mobiltelefons<br />

für Länder mit weniger entwickelter<br />

Infrastruktur. Er interessiert sich für ein von<br />

der Universität U.C. Berkeley entwickeltes<br />

Minimikroskop, das mit einem Mobiltelefon<br />

gekoppelt wird und im Feld anhand von Blutoder<br />

Speichelproben Malaria, Tuberkulose<br />

und andere Krankheiten diagnostizieren<br />

kann. In Entwicklung sind auch einfache<br />

Ultra schall-Scanner mit iPhone-Anschluss,<br />

mit denen das Handy weit weg von jeder medizinischen<br />

Infrastruktur sogar als Stethoskop<br />

eingesetzt werden kann.<br />

Link zwischen realer und virtueller Welt<br />

Eine interessante Entwicklung ist das so genannte<br />

Internet der Dinge. Damit wird die<br />

Vernetzung der physischen und der virtuellen<br />

Welt bezeichnet. Objekte werden mit einer<br />

Identifikationsnummer versehen, die erlaubt,<br />

im Internet Informationen abzurufen. Kamera-<br />

Handys kommt dabei eine Brückenfunktion<br />

zu. Am besten bekannt sind auf Produkten<br />

aufgedruckte Codes wie der herkömmliche<br />

Strichcode und die mehr Informationen enthaltenden<br />

Varianten wie Quick Response<br />

Code (QR), Data Matrix oder der an der ETH<br />

Zürich entwickelte EZcode. Mit dieser Ausgabe<br />

setzt auch das Credit Suisse <strong>bull</strong>etin<br />

QR Codes ein, um seinen Lesern zu ausgewählten<br />

Artikeln Links zu weiterführenden<br />

Informationen anzubieten.<br />

Strichcodes und deren Nachfolger gibt es<br />

schon lange, doch erst mit der neuen Handy-<br />

Generation und Dutzenden von Apps wird<br />

das Mobiltelefon jetzt auch als Scanner genutzt.<br />

Damit lassen sich etwa Zutaten und<br />

Kalorien von Lebensmitteln abrufen, Preisvergleiche<br />

nachschlagen oder auf der Städtetour<br />

Informationen zu einer Touristenattraktion<br />

abrufen. Wohin die Reise gehen kann,<br />

zeigt eine New Yorker Boutique, bei der man<br />

mit dem Scannen des Codes einen Modeartikel<br />

gleich kaufen kann – sogar nach Ladenschluss,<br />

indem man das Kleidungsstück im<br />

Schaufenster knipst. Einen Schritt weiter<br />

geht die visuelle Suche, die ohne Codes ><br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 11<br />

Das alles ist und noch vieles mehr<br />

kann ein Smartphone<br />

Mit einem Klick im<br />

Internet<br />

11<br />

16<br />

1<br />

5<br />

2<br />

8<br />

7<br />

<strong>10</strong><br />

17 15 4<br />

9 14<br />

6<br />

3<br />

12<br />

18<br />

Ein QR Code führt in drei Schritten zu<br />

nützlichen Informationen im Internet.<br />

So einfach funktioniert ein QR Code:<br />

Den BeeTagg Reader gratis auf das<br />

Smartphone laden, Code fotografieren,<br />

Link erhalten.<br />

13<br />

Fotos: Mathias Hofstetter<br />

1 Fahrplan Egal ob Bus, Zug oder<br />

Flugzeug, das Smartphone kann nicht<br />

nur innert Sekunden die beste Verbindung<br />

anzeigen, sondern zumeist auch<br />

gleich die Tickets kaufen.<br />

(App-Beispiel: SBB)<br />

<strong>10</strong> Sterngucker Auch beim Blick hinauf<br />

zum Sternenhimmel kann das Smartphone<br />

hilfreich zur Seite stehen.<br />

(Pocket Universe)<br />

11 Fernsehen Mein Handy ist auch ein<br />

TV. (TV-App von «20 Minuten»)<br />

Die kostenlose, für alle Handy-<br />

Typen erhältliche App BeeTagg<br />

Reader Pro starten.<br />

2 Satellit Die ganze Welt aus der<br />

Vogelperspektive anschauen – Google<br />

12 Spielen Mein Smartphone ist auch<br />

Earth machts auch mobil möglich.<br />

eine Spielkonsole, auf dem Hunderte<br />

von Games gespielt werden können.<br />

3<br />

(SimCity)<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

Produktscanner Mit dem Smartphone<br />

im Supermarkt den Strichcode<br />

einscannen und ausführliche Infos<br />

zum Produkt erhalten. (Codecheck)<br />

Radioempfänger Tausende Radiosender<br />

für jeden Geschmack auf das<br />

Smartphone holen. (Radiobox)<br />

Bücher lesen Spezielle Anwendungen<br />

holen Bücher gut lesbar aufs<br />

Handy. (Stanza)<br />

Einkaufstasche Auf den Online-<br />

Einkauf vom Schreibtisch aus folgt nun<br />

der smarte Einkauf von unterwegs.<br />

(LeShop)<br />

Malen Kreatives Finger-Painting auf<br />

dem Display. (Brushes)<br />

Bergführer Wie heisst schon wieder<br />

der Berg da? Die Handy-Kamera<br />

drauf richten und die richtige Antwort<br />

erhalten. (Swiss Peaks)<br />

Grünes Gewissen Errechnet die<br />

Ökobilanz einer Reise. (greenMeter)<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

Tourenführer Dank GPS können<br />

Wanderungen, Jogging- und Bike-<br />

Touren inklusive Karte aufgezeichnet<br />

werden. (Endomondo)<br />

Gratistelefon Über die Skype-Anwendung<br />

kann rund um die Erde gratis<br />

telefoniert werden.<br />

Musiklexikon Das Smartphone kann<br />

über ein eingebautes Mikrofon einen<br />

Musiktitel erkennen und Infos dazu<br />

liefern. (Shazam)<br />

Videoplayer Videos vom PC können<br />

drahtlos aufs Smartphone geholt<br />

werden. (Air Video)<br />

Navigationssystem Da permanent im<br />

Kontakt mit Satelliten, findet das Handy<br />

auch als Navigationssystem den Weg.<br />

(TomTom Europe)<br />

Networker Zeigt auf dem Display an,<br />

welche Freunde gerade in der Nähe<br />

sind. (Foursquare)<br />

Den QR Code fokussieren, bis der<br />

Rahmen grün erscheint und das<br />

Handy vibriert.<br />

Automatisch öffnet sich ein<br />

Browser mit zusätzlichen Informationen<br />

zum Thema.<br />

Der QR Code fürs mobile <strong>bull</strong>etin:<br />

Um mit dem Browser<br />

Ihres Smartphones<br />

auf das mobile <strong>bull</strong>etin<br />

zuzugreifen, tippen<br />

Sie folgende URL ein:<br />

www.credit-suisse.com/<br />

m<strong>bull</strong>etin<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


12 <strong>Bewegung</strong> Mobile Zukunft<br />

auskommt. Hier analysiert ein Programm mit<br />

einem Handy geknipste Objekte, vergleicht<br />

diese mit einer Datenbank und liefert via<br />

Internet Informationen dazu. Das Zürcher<br />

Start-up kooaba, ein Spin-off der ETH, ist<br />

in diesem Feld an vorderster Front und kann<br />

dank exzellenter Software fotografierte Ausschnitte<br />

von über zehn Millionen Objekten<br />

erkennen. Dazu gehören neben Büchern,<br />

CDs und Filmplakaten auch Artikel ausgewählter<br />

Zeitungen und Magazine, allen voran<br />

das <strong>bull</strong>etin (siehe Anleitung Seite <strong>10</strong>). Auch<br />

Google laboriert mit der visuellen Suche. Ein<br />

Goggles genanntes Projekt kann Objekte<br />

wie Bücher, Weine, Strassenlokale oder<br />

Werke der bildenden Kunst erkennen. Kombiniert<br />

mit der Bilddatenbank von Google<br />

Streetview ist das Szenario denkbar, dass<br />

man in Zukunft ein Gebäude fotografieren<br />

kann und dazu postwendend auf das Mobiltelefon<br />

Informationen über das Baujahr, den<br />

Besitzer, die Bewohner und frei werdende<br />

Wohnungen geliefert bekommt.<br />

Ganz andere Anwendungen möglich machen<br />

Sensoren, Funketiketten (RFID) und<br />

Funk-Chips für Netzwerke mit grösserer<br />

Reichweite. Damit bestückte Objekte können<br />

mit anderen Objekten Kontakt aufnehmen.<br />

Damit können Autos untereinander Verkehrsdaten<br />

austauschen, Fahrzeuge mit Ampeln<br />

kommunizieren oder Parksäulen mit<br />

Handys. Ein entsprechender Versuch läuft in<br />

den USA. Sensoren im Asphalt registrieren<br />

freie Parkplätze und stellen für Mobiltelefone<br />

eine entsprechende Live-Karte zum Abruf<br />

bereit. Städteplaner hoffen, so den Suchverkehr<br />

einzuschränken. Einen unnötigen Fussmarsch<br />

erspart dereinst der vernetzte Parkingmeter.<br />

Der macht es möglich, dass man<br />

nach Ablauf der Parkzeit über eine Telefon-<br />

App bequem vom Strassencafé aus nachzahlen<br />

kann.<br />

Boom bei Geo-Lokalisation<br />

Schon viele Anwendungen nutzen die Lokalisierungsfunktion<br />

von GPS-Handys, doch<br />

laut Marktbeobachtern steht der grosse<br />

Boom der Anwendungen mit Geo-Lokalisation<br />

erst bevor. Das Routen-Tracking des Firmenwagens<br />

oder der Radeltour des Bikers<br />

ist heute ebenso Alltag wie Anwendungen,<br />

die informieren, wenn sich Freunde in der<br />

Nähe befinden. Vielversprechend ist ein Reality<br />

Mining genanntes Feld, bei dem Daten<br />

von Aktivitäten in Raum und Zeit erhoben,<br />

auf einer Karte visualisiert und analysiert<br />

werden. Die Navigationsherstellerin TomTom<br />

nutzt bereits anonymisierte Daten von Handy-Standorten;<br />

noch weiter geht die Firma<br />

Skyhook Wireless, die in den USA kürzlich<br />

einen Dienst gestartet hat. Sie sammelt über<br />

Wifi-Hotspots und den Standort von Millionen<br />

von Handys Daten über Personenbewegungen.<br />

Via Internet kann man auf einer<br />

Karte live sehen, wo sich in Städten gerade<br />

viele Leute aufhalten. Da Skyhook die Daten<br />

auch Dritten zur Verfügung stellen will, werden<br />

einige Anwendungen erwartet, die diese<br />

Daten nutzen.<br />

Die Positionierungsfunktion macht noch<br />

weitere Szenarien möglich, etwa die Verknüpfung<br />

von persönlichen Informationen mit<br />

einem Standort. Eine Idee davon gibt die Anwendung<br />

Geominder, die auf eine zu erledigende<br />

Aufgabe hinweist. Das Kriterium für<br />

die Erinnerung ist jedoch nicht die Zeit, sondern<br />

der Ort. So erinnert das Handy in dem<br />

Moment, wo man den Laden betritt, welche<br />

Lebensmittel noch zu kaufen sind.<br />

Neben neuen Gerätetypen und Anwendungen<br />

wird sich im nächsten Jahrzehnt auch<br />

die Art und Weise ändern, wie Mobiltelefone<br />

bedient werden. Sicher werden berührungsempfindliche<br />

Displays noch mehr Gesten ver-<br />

Wettbewerb<br />

Mitmachen und ein Apple iPad gewinnen!<br />

Geo-Lokalisation<br />

Mit etwas Glück können Sie das iPad-<br />

Topmodell Wi-Fi + 3G mit 64 GB gewinnen<br />

und die neuste mobile Kommunikation<br />

im Grossformat erleben.<br />

Teilnehmen<br />

mit beigelegtem Talon hinten im Heft<br />

online unter www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

mobil über den QR Code<br />

So gehts: Den BeeTagg Reader<br />

gratis auf das Smartphone laden,<br />

Code fotografieren, Link erhalten.<br />

Kluge Apps lotsen künftig<br />

Autofahrer auf freie Park plätze<br />

und helfen in Städten den<br />

Suchverkehr minimieren.<br />

Fotos: Mathias Hofstetter | Gaetan Bally, Keystone | Sam Ogden, SciencePhoto Library<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Mobile Zukunft <strong>Bewegung</strong> 13<br />

Mit der Welt<br />

musizieren<br />

Das Handy ist<br />

auch ein Klavier, eine<br />

Flöte, eine Gitarre …<br />

Mit Apps von Smule kann man auf dem<br />

iPhone musizieren, auf dem iPad sogar mit<br />

anderen Onlinern rund um den Globus.<br />

stehen können, doch Wissenschafter planen<br />

bereits die Ablösung des Touch-Zeitalters<br />

durch die Touchless-Ära. Am amerikanischen<br />

Dartmouth College haben Wissenschafter<br />

gezeigt, wie man mittels eines handelsüblichen<br />

Headsets zur Erstellung eines<br />

Elektroenzephalogramms ein iPhone per<br />

Gedanken steuern kann. Auch die augengesteuerte<br />

Bedienung wird in den Labors<br />

bereits erprobt, beide Methoden sind aber<br />

erst im Stadium der Grundlagenforschung.<br />

Schneller realisierbar scheint ein Projekt<br />

namens SixthSense, das nicht weniger futuristisch<br />

klingt. Pranav Mistry vom Media Lab<br />

des Massachusetts Institute of Technology<br />

(MIT) entwickelt ein Bedienungskonzept mit<br />

kon taktfreien Gesten. Was sein Video demonstriert,<br />

erinnert an Magie: Er «zeichnet»<br />

mit blossen Fingern farbige Lichtformen an<br />

die Wand, knipst ein Foto, indem er mit den<br />

Fingern in der Luft ein Rechteck formt, projiziert<br />

dieses anschliessend auf eine beliebige<br />

Wand und zoomt das Bild durch pantomimische<br />

Fingerbewegungen in der Luft. Eindrücklich<br />

ist auch ein Telefonat via Sixth-<br />

Sense: Die Zahlen der Handy-Tastatur werden<br />

auf die Hand projiziert, tippt man diese<br />

an, wird der Anruf gestartet. Möglich macht<br />

dieser Zauber ein um den Hals gehängtes<br />

Set aus Webcam und Miniprojektor mit Spiegel,<br />

das mit einem Handy in der Hosentasche<br />

kommuniziert. So futuristisch sich dieses<br />

Szenario präsentiert, setzt das Konzept<br />

abgesehen von cleverer Software auf Zubehör,<br />

das es laut MIT für 350 US-Dollar ab<br />

Stange zu kaufen gibt.<br />

Noch weiter in der Zukunft angesiedelt ist<br />

ein Projekt, das den Stoff für einen Science-<br />

Fiction-Film liefern könnte. An der University<br />

of Washington arbeitet ein Forscher an<br />

einer Kontaktlinse mit integrierten LED-Elementen<br />

und Miniantenne. Die Linse soll als<br />

Display dienen, auf dem der Linsenträger<br />

vom Mobiltelefon gefunkte Informationen sehen<br />

kann – zum Beispiel für Anwendungen<br />

der erweiterten Realität (Augmented Reality),<br />

bei denen Informationen zu einem Objekt auf<br />

der Linse erscheinen, das man gerade im<br />

Blickfeld hat. Sollte diese Technik eines Tages<br />

machbar werden, wird das Handy nicht<br />

mehr der Monitor des vernetzten Universums<br />

sein, aber immer noch die Brücke zwischen<br />

der virtuellen und der realen Welt. <<br />

Mobile Geräte als sechster Sinn<br />

Am MIT Media Lab lässt Pranav Mistry<br />

mit SixthSense die physische Welt mit der<br />

Welt der Daten interagieren.<br />

Das Video zeigt konkrete Anwendungen<br />

des Forschungsprojekts SixthSense.<br />

So gehts: Den BeeTagg Reader gratis auf<br />

das Smartphone laden, Code fotografieren,<br />

Link erhalten.<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


14 <strong>Bewegung</strong> Perpetuum mobile<br />

Modell des indischen Mathematikers Bhaskara<br />

aus dem 12. Jahrhundert<br />

Der Traum<br />

vom Perpetuum<br />

mobile<br />

Fotos: Foto: J.L Muster Charmet, Mustermann Science | Photo Muster Library, Mustermann Keystone<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Perpetuum mobile <strong>Bewegung</strong> 15<br />

Seit Jahrhunderten werkeln Erfinder an einer Maschine, die sich<br />

ewig von selbst bewegt. «Unmöglich!», sagt die Physik. Doch das<br />

treibt die Jagd nach dem Perpetuum mobile nur weiter an.<br />

Text: Stefanie Schramm<br />

Es ist kinderleicht: Zwei Magnetsteine<br />

mit Schnur an einen<br />

Holzbalken binden, den<br />

an eine Lokomotive montieren,<br />

sodann die beiden Steine<br />

mit einem eisernen Schürhaken<br />

kurzschliessen, und<br />

los gehts! Im Handumdrehen hat Lukas der<br />

Lokomotivführer im Kinderroman von Michael<br />

Ende das Gefährt konstruiert und düst<br />

mit seinem Freund Jim Knopf über Gebirge<br />

und durch Wüsten. Das Ding kann sogar<br />

rückwärts fahren, schwimmen, tauchen und<br />

fliegen – ganz ohne Kohlefeuerung. Der Name<br />

des Eigenbaus: Perpetumobil.<br />

Ein Apparat, der sich von selbst bewegt,<br />

immerfort, ohne Energie zu verlieren, das ist<br />

seit acht Jahrhunderten ein Menschheitstraum.<br />

Er verheisst Überwindung des Stillstands,<br />

Energie aus dem Nichts, Erlösung<br />

von der Mühsal – gleichsam einen energetischen<br />

Garten Eden. Doch seit Julius Robert<br />

von Mayer vor 165 Jahren seinen Energieerhaltungssatz<br />

formulierte, steht für die Wissenschaft<br />

fest: Das Schlaraffenland gibt es<br />

nicht, aus nichts entsteht nichts, das Perpetuum<br />

mobile ist ein Ding der Unmöglichkeit.<br />

Das hält Bastler und Tüftler, Spinner und<br />

Schwindler aber nicht davon ab, es immer<br />

und immer wieder zu versuchen. Ihr kontinuierliches<br />

Scheitern scheint die Jagd nach der<br />

Dauerlauf-Maschine nur weiter anzutreiben.<br />

Der Mensch will seine Grenzen überwinden<br />

Eine regelrechte Perpetuum-mobile-Sucht<br />

diagnostiziert der Wissenschaftshistoriker<br />

Ernst Peter Fischer. Die Faszination für die<br />

unaufhörliche <strong>Bewegung</strong> liege in der Natur<br />

des Menschen, meint er: «Der Mensch ist<br />

das Tier, das seine Grenzen erkennen kann<br />

und sie zu überwinden versucht.» Für die<br />

Überwindung von Distanzen zu Land, zu<br />

Wasser und in der Luft hat er allerhand Gerätschaften<br />

erfunden; er blickt mit Fernrohren<br />

in die Welt des astronomisch Grossen<br />

und mit Mikroskopen in die des atomisch<br />

Kleinen. Von praktischen Rückschlägen und<br />

selbst theoretischen Widerlegungen lasse<br />

sich dieser Trieb nicht aufhalten, sagt Fischer.<br />

Ein Immerlauf-Gerät wäre die ultimative<br />

Grenzüberschreitung: Energie ohne Limite.<br />

Dass das Perpetuum mobile es dem Homo<br />

sapiens so besonders angetan hat, liege<br />

auch am Reiz des Kreislaufs, sagt Fischer:<br />

«Der Himmel ist voller Kreisbahnen, wir sprechen<br />

vom Lebenskreis, sogar das Universum<br />

zieht sich nach einer kosmologischen Theorie<br />

irgendwann wieder zusammen und dehnt<br />

sich neu aus.» Etwas ewig Kreisendes ist<br />

offenbar unwiderstehlich. Vielleicht ist es<br />

also kein Zufall, dass der erste überlieferte<br />

Entwurf eines Perpetuum mobile – eine Radkonstruktion<br />

– aus Indien stammt, wo das<br />

Leben als Kreislauf immer neuer Wiedergeburten<br />

gedacht wird. Der Astronom und Mathematiker<br />

Bhaskara beschrieb um 1150 ein<br />

Holzrad mit hohlen, quecksilbergefüllten<br />

Speichen. Weil die schwere Flüssigkeit auf<br />

der einen Seite weiter vom Mittelpunkt entfernt<br />

war als auf der anderen, sollte sich das<br />

Rad ohne Zutun für alle Zeit drehen.<br />

Bruch mit dem antiken Weltbild<br />

Keine <strong>10</strong>0 Jahre später konstruierte der französische<br />

Architekt Villard de Honnecourt ein<br />

ganz ähnliches Gerät, das von einer un- ><br />

«Die Lust am<br />

Widerspruch<br />

hielt die Idee<br />

am Leben.»<br />

Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


16 <strong>Bewegung</strong> Perpetuum mobile<br />

geraden Zahl beweglicher Hämmer angetrieben<br />

werden sollte. Damit war die Idee des<br />

Perpetuum mobile – nach einem Zwischenstopp<br />

im Orient – in Europa angelangt. Bis<br />

dahin hatte das Abendland nicht daran gedacht,<br />

es mit dem Stillstand aufzunehmen.<br />

Aristoteles hatte unendliche <strong>Bewegung</strong><br />

unterhalb des Mondes ausgeschlossen, nur<br />

die Gestirne kreisten seiner Meinung nach<br />

ewig umeinander. Als die Menschen ab dem<br />

13. Jahrhundert versuchten, auf Erden den<br />

himmlischen Dauerlauf zu kopieren, brachen<br />

sie auch mit dem antiken Weltbild.<br />

Selbst Leonardo da Vinci konnte sich offenbar<br />

dem Reiz der endlosen <strong>Bewegung</strong><br />

nicht entziehen. In seinem Notizbuch skizzierte<br />

er sich selbst antreibende Maschinen<br />

und eine Vorrichtung, die die heisse Luft in<br />

einem Kamin nutzen sollte, um einen Bratspiess<br />

über dem Feuer zu drehen. Öffentlich<br />

distanzierte er sich jedoch von der Idee:<br />

«O ihr Erforscher der immerwährenden <strong>Bewegung</strong>,<br />

wie viele eitle Entwürfe in solcherlei<br />

Unterfangen habt ihr geschaffen! Gesellt<br />

euch doch den Goldmachern zu!»<br />

Solche Miesmacherei von höchster Stelle<br />

konnte die Tüftler der Renaissance jedoch<br />

nicht von ihrem Treiben abhalten. Zudem versorgte<br />

sie ein anderes Grossgenie mit neuer<br />

Motivation: Galileo Galilei verkündete, dass<br />

überall dieselbe Mechanik gelte, wie im Himmel<br />

so auf Erden. Vorbei war es mit der aristotelischen<br />

Zweiteilung in oben und unten.<br />

Dann aber müsste doch auch hernieden perpetuelle<br />

<strong>Bewegung</strong> möglich sein, oder etwa<br />

nicht ?<br />

Energie bürgte für Macht und Reichtum<br />

«Die Naturphilosophie war sicher eine Quelle<br />

der Faszination für das Perpetuum mobile»,<br />

sagt Friedrich Steinle, Wissenschaftshistoriker<br />

an der Technischen Universität Berlin.<br />

«Eine andere war natürlich die praktische Anwendung.»<br />

Der Zugang zu Energie bedeutete<br />

– und das ist heute nicht anders – Reichtum<br />

und Macht. Jahrtausendelang hatte der<br />

Mensch mit seiner eigenen Muskelkraft auskommen<br />

müssen, ein Fünftel einer Pferdestärke.<br />

Die Erfindung von Landwirtschaft<br />

und Viehzucht nach dem Ende der letzten<br />

Eiszeit revolutionierte die Energieversorgung,<br />

Pferde und Ochsen zogen Pflug und Wagen,<br />

die Menschen verfügten über mehr Energie<br />

als jemals zuvor. Städte wurden gegründet,<br />

die Gesellschaft konnte sich Künstler, Architekten,<br />

Bauherren und Schreiber leisten – die<br />

überschüssige Energie liess die Zivilisation<br />

blühen. Was erst hätte unendliche Energie<br />

geschaffen? Kein Wunder, dass gerade die<br />

europäischen Höfe im 17. und 18. Jahrhundert<br />

am Perpetuum mobile interessiert waren.<br />

Und wenn schon nicht die energetische<br />

Weltherrschaft heraussprang, so waren die<br />

Apparate mit all ihren Rädchen, Hebeln und<br />

Hämmern doch ausserordentlich unterhaltsam,<br />

und jede neue Vorführung stachelte die<br />

Sensationsgier an: Bewegt es sich dieses<br />

Mal? Ein Paradies für Trickser! Der berühmteste<br />

soll erst einmal seinen Namen per<br />

Buchstaben-beschriftetem Rad verschlüsselt<br />

haben: Aus dem sächsischen Mechaniker<br />

Bessler wurde erst Orffyre, dann mit lateinischer<br />

Schmuckendung der geheimnisvolle<br />

Orffyreus. Sodann konstruierte er eine Maschine,<br />

die mit Seilen ein grosses Holzrad in<br />

Schwung halten sollte. Auf dem Schloss, des<br />

Landgrafen von Hessen-Kassel setzte er<br />

das Ding in Gang, liess die Türen des Versuchsraums<br />

verschliessen und sein Publikum<br />

zwei Wochen warten. Dann öffnete er, und<br />

siehe da: Es lief! Der englische Physiker<br />

David Jones ist trotzdem sicher, dass Orffyreus<br />

nur ein findiger Betrüger war. Der innere<br />

Mechanismus seines Geräts war zwar nicht<br />

zu durchschauen, das lag aber vor allem daran,<br />

dass der Erfinder ihn mit Wachstüchern<br />

verhüllt hatte.<br />

Anno 1775 hatte die Königliche Akademie<br />

der Wissenschaften in Paris genug von all<br />

den Bastlern und Spinnern. Sie beschloss,<br />

«keine Vorschläge mehr anzunehmen oder zu<br />

bearbeiten, die sich mit nie endender <strong>Bewegung</strong><br />

befassen» – und das allein aufgrund<br />

der permanent negativen Empirie, ohne theoretische<br />

Widerlegung des Prinzips. «Das war<br />

schon eine erstaunlich harte Entscheidung»,<br />

sagt der Wissenschaftshistoriker Steinle.<br />

Energieerhaltungssatz setzt Schlussstrich<br />

Die Theorie lieferte Julius Robert von Mayer<br />

1845 nach. Einst hatte er sich selbst mit Immerlauf-Apparaten<br />

beschäftigt, bis ihm klar<br />

wurde: Von nichts kommt nichts! Er formulierte<br />

den Energieerhaltungssatz, nach dem<br />

in einem abgeschlossenen System der Gesamtbetrag<br />

der Energie gleich bleibt, Energie<br />

also weder geschaffen noch vernichtet werden<br />

kann. Damit war das Perpetuum mobile<br />

wissenschaftlich tot.<br />

«Wer danach noch daran arbeitete,» sagt<br />

Steinle, «stellte sich automatisch ausserhalb<br />

der wissenschaftlichen Community.» Eine<br />

Position, die manchem äusserst attraktiv erschien,<br />

meint sein Kollege Fischer: «Die Lust<br />

am Widerspruch hielt die Idee am Leben.»<br />

Der Dichter Paul Scheerbart war so ein Re-<br />

Trickser, Tüftler,<br />

Tausendsassa<br />

Bessler, Johann Ernst Elias,<br />

(1681–1745), war Abenteurer,<br />

Mediziner, Uhrmacher – und er war<br />

sein Leben lang der Idee des<br />

Perpetuum mobile verfallen. Auch<br />

von Selbstmarketing hatte der<br />

Sachse eine Ahnung: Er nannte<br />

sich geheimnisvoll Orffyreus. So<br />

abwechslungsreich sein Leben,<br />

so spektakulär sein Tod: Er starb<br />

beim Sturz von einer Windmühle.<br />

Fotos: Wikipedia | DRS A. Yazdani & D. J. Hornbaker, Science Photo Library<br />

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Perpetuum mobile <strong>Bewegung</strong> 17<br />

voluzzer, er verwandelte 1908 die Waschküche<br />

seines Hauses in eine Perpetuummobile-Werkstatt.<br />

Seine Frau war wenig<br />

begeistert. «Du, ich kann das Wort Rad nicht<br />

mehr hören», soll sie geklagt haben, «mir wird<br />

schlimm, wenn du das Wort aussprichst.»<br />

Die Obsession für die immerwährende<br />

<strong>Bewegung</strong> dreht sich zwar seit Jahrhunderten<br />

im Kreis, aber nicht ohne Nutzen für die<br />

Wissenschaft. «Aus der Beschäftigung mit<br />

verrückten Dingen können grosse Einsichten<br />

entstehen», sagt Fischer. Der Energieerhaltungssatz<br />

selbst, der erste Hauptsatz der<br />

Thermodynamik, ist ja ein Ergebnis des Strebens<br />

nach dem Perpetuum mobile. Auch der<br />

zweite Hauptsatz ergab sich aus solchen Versuchen:<br />

Die Entropie, die Unordnung also,<br />

nimmt stets zu. Das bedeutet, dass aus Wärme<br />

nicht höherwertige Energie wie Strom<br />

gewonnen werden kann, ohne dass man<br />

dafür wiederum Energie aufwendet. Konstruktionen,<br />

die allein mit der Wärme der Umgebung<br />

für immer laufen sollen, sind deshalb<br />

zum Scheitern verurteilt. Die Beschäftigung<br />

mit dem Unmöglichen trug letztlich dennoch<br />

zu einer ganz praktischen Erfindung bei: der<br />

Dampfmaschine.<br />

Und noch heute kratzt auch die ernsthafte<br />

Wissenschaft hin und wieder an der Pforte<br />

zum Energieparadies. 1989 versetzte die<br />

«Kalte Fusion» die Fachwelt in helle Aufregung.<br />

Zwei Chemiker hatten behauptet, sie<br />

hätten Atomkerne bei Zimmertemperatur<br />

verschmolzen. Aus einer Kernfusion lässt<br />

sich zwar Energie gewinnen, dafür sind aber<br />

normalerweise sehr grosse Hitze oder extrem<br />

starke Laser nötig. Ohne diesen Energieaufwand<br />

würde die Fusion zu einer Art<br />

Perpetuum mobile. Weltweit versuchten Forscher,<br />

das Experiment zu wiederholen. Es<br />

gelang nicht.<br />

Grösstmögliche Annäherung: Supraleitung<br />

Am nächsten kommt der Immerlauf-Maschine<br />

heute die Supraleitung. In speziellen tiefgekühlten<br />

Materialien kann Strom auf ewig<br />

kreisen, weil sich ihm kein elektrischer Widerstand<br />

mehr entgegenstellt. Für die Kühlung<br />

ist natürlich Energie nötig – allerdings<br />

immer weniger: Funktionierte der erste entdeckte<br />

Supraleiter erst bei minus 269 Grad<br />

Celsius, so gibt heute der beste Leiter aus<br />

Keramik schon bei moderaten 135 Minusgraden<br />

seinen Widerstand auf. «Wenn man<br />

ein Material finden würde, das um den Gefrierpunkt<br />

supraleitend wird, wäre das eine<br />

Sensation», sagt Ernst Peter Fischer. «Das<br />

ist wohl noch das wahrscheinlichste Perpetuum<br />

mobile.»<br />

Trotzdem versuchen sich immer wieder<br />

Einzelkämpfer und ganze Firmen am Unwahrscheinlichen.<br />

Im Jahr 2007 konnte man<br />

im Internet die Konstruktion des irischen<br />

Unternehmens Steorn beobachten, die dem<br />

Modell von Bhaskara aus dem 12. Jahrhundert<br />

erstaunlich ähnelte – ein Plexiglasrad,<br />

an das Magnete montiert waren. Die Welt<br />

schaute also und sah: Es bewegte sich nicht.<br />

Doch der nächste ewig drehende Apparat<br />

ist sicher schon in Arbeit. Die Idee selbst ist<br />

offenbar ein Perpetuum mobile, angetrieben<br />

von Neugier und Starrsinn. Da nützt es auch<br />

nichts, wenn Autoritäten zur Ordnung rufen,<br />

wie Vater Homer in der Fernsehserie «Die<br />

Simpsons», als Tochter Lisa an einer Dauerlauf-Maschine<br />

schraubt: «Lisa, komm rein!<br />

In diesem Haus gehorchen wir den Sätzen<br />

der Thermodynamik!» <<br />

Supraleiter – eiskalt<br />

und widerstandslos<br />

Supraleiter sind Materialien,<br />

deren spezifischer elektrischer<br />

Widerstand auf null fällt, wenn<br />

eine kritische Temperatur unterschritten<br />

wird; die externen<br />

Magnet felder werden aus dem<br />

Inneren des Materials verdrängt.<br />

Der holländische Physiker Heike<br />

Kamerlingh Onnes entdeckte<br />

die Supraleitung bereits 1911<br />

beim Metall Quecksilber.<br />

«Lisa, komm rein! In<br />

diesem Haus gehorchen<br />

wir den Sätzen der<br />

Thermodynamik!»<br />

Homer Simpson, amerikanischer Zeichentrickheld<br />

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18 <strong>Bewegung</strong> Prothese<br />

Text: Mandana Razavi<br />

Kraft der<br />

Gedanken<br />

Ein Unfall veränderte Christian Kandlbauers Leben auf<br />

radikalste Art und Weise. Die Amputation beider Arme beraubte<br />

ihn seiner (<strong>Bewegung</strong>s-)Freiheit und Selbständigkeit. Ein<br />

Wunderwerk der Technik, die gedanken gesteuerte Armprothese,<br />

gab dem jungen Mann jedoch sein Leben zurück – eine Geschichte<br />

aus der Cyber-Welt.<br />

Fotos: Muster Otto Bock Mustermann Health Care | Muster Mustermann<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Prothese <strong>Bewegung</strong> 19<br />

Christian Kandlbauer das<br />

erste Mal zu begegnen, ist<br />

irritierend. Denn spätestens<br />

wenn der sympathische junge<br />

Mann einem die Hand<br />

zum Gruss reicht, bemerkt<br />

man, dass Kandlbauers<br />

Hand eine mit Silikonhaut überzogene<br />

Prothese ist, während er selbst nichts vom<br />

Händedruck spürt. Bewegt er Arme und<br />

Hände, surrt es, als ob ein Roboter zugegen<br />

wäre. Nimmt er den Silikonbezug erst einmal<br />

ab, wird klar, dass dem tatsächlich so ist:<br />

Sein linker Arm ist nichts anderes als ein Roboter<br />

aus Metall, Kabeln, programmierten<br />

Mikrochips, einem Akkuladegerät und allem,<br />

was dazugehört.<br />

Die anfängliche Irritation weicht dem ganz<br />

grossen Staunen, sobald man Christian<br />

Kandlbauers Geschichte erfährt: Er ist einer<br />

der wenigen Menschen weltweit, die ihre<br />

künstlichen Gliedmassen allein kraft ihrer<br />

Gedanken bewegen und steuern können.<br />

Mehr noch: Er ist in der Lage, seinen linken<br />

Arm wieder zu spüren und mit dem Zeigefinger<br />

seiner Hightech-Prothese Gegenstände<br />

zu erfühlen. Fast so, wie es die Natur<br />

ursprünglich für den gesunden Menschen<br />

vorgesehen hat.<br />

Totalverlust der Selbständigkeit<br />

Voraussetzung für die Anwendung der gedankengesteuerten<br />

Prothese ist eine komplexe Operation,<br />

bei der eine Verlagerung der Nerven erfolgt. Durch<br />

den so genannten selektiven Nerventransfer können<br />

die Signale, die auch ursprünglich für die Steuerung<br />

des Arms verantwortlich waren, für die Steuerung<br />

der Prothese genutzt werden. Im Prothesenschaft<br />

sind Elektroden eingearbeitet, die diese Steuerungssignale<br />

aufnehmen. Ein elektronisches Analyseverfahren<br />

im Inneren der Prothese setzt die empfangenen<br />

Signale um und erkennt die vom Träger gewünschte<br />

<strong>Bewegung</strong>.<br />

Handgelenk zu drehen sowie den Unterarm<br />

zu heben und zu senken. Ich kann allerdings<br />

nur eine <strong>Bewegung</strong> auf einmal ausführen.<br />

Die Steuerung der Prothese ist zudem ziemlich<br />

anstrengend, weil sie enorme Konzentration<br />

erfordert. Und – abgesehen von den<br />

Phantomschmerzen, die mir gelegentlich vorgaukeln,<br />

dass ich meine Hand noch habe – ,<br />

fühle ich rechts leider gar nichts mehr.» Für<br />

Kandlbauers linke Seite sah es anfänglich<br />

sogar noch schlechter aus: Der Arm war<br />

durch den Stromschlag so stark verletzt worden,<br />

dass man ihn samt Schulter amputieren<br />

musste. Da nicht einmal mehr ein Stumpf<br />

bestand, mit dessen Muskelkraft er eine Prothese<br />

hätte bedienen können, konnten die<br />

Orthopädietechniker Kandlbauer lediglich<br />

Das Operationsverfahren<br />

Sehr schlechte Aussichten für einen Menschen,<br />

der eben erst ins Leben starten wollte.<br />

Wunderwerk der Technik<br />

Doch Kandlbauers Schicksal sollte noch einmal<br />

eine unvorhersehbare Wendung nehmen.<br />

So unvorstellbar, dass man meinen<br />

könnte, die Geschichte entstamme einem<br />

Science-Fiction-Roman. Es war der ehemalige<br />

Leiter des Rehabilitationszentrums Weisser<br />

Hof in Klosterneuburg, Dr. Herbert<br />

Kristen, der sich mit der Wiener Forschungszentrale<br />

des Medizintechnikunternehmens<br />

Otto Bock in Verbindung setzte, um zu erfahren,<br />

ob es nicht doch irgendeine Möglichkeit<br />

gäbe, eine Versorgung für Kandlbauers<br />

schwer verletzte linke Seite zu finden. Tat-<br />

Christian Kandlbauer war gerade 18 Jahre<br />

alt, als ihm nach einem Starkstromunfall<br />

mit 20 000 Volt beide Arme abgenommen<br />

werden mussten. Ein Psychologe half dem<br />

jungen Mann, der soeben seine Ausbildung<br />

zum Kfz-Mechaniker begonnen hatte, den<br />

gewaltigen seelischen Schock zu verarbeiten.<br />

Ein kleiner Selbstversuch von fünf Minuten<br />

reicht aus, um sich in etwa vorstellen zu können,<br />

wie es für einen Menschen sein muss,<br />

ohne beide Arme und Hände zu leben: Zähne<br />

putzen, sich die Jacke anziehen, eine Türe<br />

öffnen – alles Tätigkeiten, die der Durchschnittsmensch<br />

permanent, bewusst oder<br />

unbewusst, und mit grosser Selbstverständlichkeit<br />

ausführt. Der Verlust der Arme bedeutet<br />

unweigerlich den Verlust der Selbständigkeit.<br />

Auch sein Körper musste erst lernen, sich<br />

an die völlig veränderte Situation anzupassen.<br />

In monatelanger Reha lernte Kandlbauer, wie<br />

er über die Muskulatur des Stumpfs an seinem<br />

rechten Arm eine Prothese mit drei Gelenken<br />

steuern kann. «Nach intensivem Training<br />

war ich irgendwann wieder in der Lage,<br />

mit einer herkömmlichen Prothese die rechte<br />

Hand zu öffnen und zu schliessen, das eine funktionslose «Schmuckhand» anbieten. sächlich arbeiteten die Ingenieure von ><br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


20 <strong>Bewegung</strong> Prothese<br />

Otto Bock genau zu dieser Zeit an der Umsetzung<br />

einer neuen, von Todd Kuiken – einem<br />

Chirurgen des Rehabilitation Institute of Chicago<br />

– entwickelten Technik. Das Verfahren<br />

soll Patienten ein gedankliches, rein intuitives<br />

Steuern ihrer Prothese ermöglichen –<br />

eine nie da gewesene Simulation der Natur,<br />

die den Willen ihres Trägers erkennt und <strong>Bewegung</strong>sbefehle<br />

des Hirns in Echtzeit umsetzt.<br />

Kandlbauer wurde angefragt, ob er an<br />

diesem revolutionären Forschungsprojekt<br />

mitwirken und den Prototypen des ersten<br />

intelligenten Cyber-Arms testen wolle. «Als<br />

sie mir vom neuen Verfahren erzählten, habe<br />

ich nicht geglaubt, dass so etwas überhaupt<br />

möglich sein könnte. Aber lange überlegen<br />

musste ich nicht. Schliesslich war das die<br />

Chance, meine Selbständigkeit zurückzuerobern»,<br />

so Kandlbauer.<br />

Technologie der Zukunft<br />

Phantomhand und Cyber-Arm<br />

Ein halbes Jahr nach Abschluss der Reha<br />

konnte das Gemeinschaftsprojekt von Todd<br />

Kuiken, Otto Bock und dem Allgemeinen<br />

Krankenhaus (AKH) Wien beginnen. Der entscheidende<br />

Schlüssel, der eine Benutzung<br />

der Hightech-Prothese überhaupt erst möglich<br />

machte, war das von Kuiken entwickelte<br />

Operationsverfahren des selektiven Nerventransfers.<br />

Die komplexe Operation wurde<br />

weltweit bislang erst von drei Chirurgen durchgeführt.<br />

Einer davon ist Univ.-Prof. Manfred<br />

Frey, plastischer Chirurg am AKH Wien. Er<br />

und sein Team führten den Eingriff bei Kandlbauer<br />

durch: «Dabei musste ich die noch verbliebenen<br />

Armnervenreste aus der Schulter<br />

zum Brustmuskel umleiten und mit dessen<br />

Nervensträngen vernähen. Bevor der Brustmuskel<br />

dann definitiv zur «Phantomhand»<br />

umfunktioniert werden konnte, mussten<br />

allerdings erst die Nerven, die mit einer Geschwindigkeit<br />

von rund einem Millimeter pro<br />

Tag wachsen, in die entsprechende Zone des<br />

Brustmuskels einwachsen», erklärt Dr. Frey.<br />

Das erste Mal, als Christian Kandlbauer<br />

nach dem Unfall seine Phantomhand spürte,<br />

stand er gerade unter der Dusche. «Ich habe<br />

gefühlt, wie das Wasser an meiner linken<br />

Hand herunterlief. Ein Gefühl an einer Hand,<br />

die ich verloren hatte und die physisch nicht<br />

mehr vorhanden war! Dieser Moment war<br />

unbeschreiblich», erinnert sich Kandlbauer.<br />

Der selektive Nerventransfer in den Brustmuskel<br />

war geglückt: «Teile der Brustkorbmuskulatur<br />

wurden erfolgreich zur Handmuskulatur<br />

umfunktioniert. Klopft man Christian<br />

auf die Brust, empfindet er das so, als ob man<br />

ihm auf die Hand tippt», erklärt Dr. Hubert<br />

Die intelligente Prothese kann gezielt über jene<br />

Nerven angesteuert werden, die auch ursprünglich für<br />

die <strong>Bewegung</strong> des Arms zuständig waren. Der Träger<br />

führt die <strong>Bewegung</strong>en rein intuitiv, kraft seiner Gedanken,<br />

aus und kann durch sieben aktive Gelenke<br />

viele Fähigkeiten wiedererlangen, die durch die Amputation<br />

nicht mehr möglich waren.<br />

Egger, Leiter des Projekts «Gedankengesteuerte<br />

Prothese» bei der Otto Bock GmbH.<br />

Nach der OP ging es darum, die «Phantomhand»<br />

zum Leben zu erwecken, sodass<br />

Kandlbauer sie mit Hilfe seines Cyber-Arms<br />

auch wieder benutzen konnte. «Alle Befehle,<br />

die früher von Gehirn und Rückenmark in den<br />

Arm oder in die Hand gesendet worden<br />

wären, kommen durch die Nervenumleitung<br />

jetzt auf dem Brustmuskel an, der – in seiner<br />

Eigenschaft als Muskel – jeweils bei Erhalt<br />

eines Impulses kontrahiert. Die Kontraktionen<br />

lassen direkte Rückschlüsse auf die<br />

Steuersignale des Hirns an die Phantomhand<br />

‹Brustmuskel› zu und werden durch Elektroden<br />

auf der Hautoberfläche messbar»,<br />

erklärt Dr. Egger.<br />

Visualisierung der Gedanken<br />

Das raffinierte Verfahren ermöglichte es den<br />

Elektroingenieuren der Otto Bock Forschungszentrale,<br />

Daten zu erheben, auf die Mutter<br />

Natur bisher das absolute Monopol hatte –<br />

ein Durchbruch für die Technik. Im nächsten<br />

Schritt galt es, die verschiedenen Hirnströme<br />

zu entschlüsseln. Um die Prothese programmieren<br />

und auf die entsprechenden Impulse<br />

von Kandlbauers Hirn abstimmen zu können,<br />

musste erst herausgefunden werden, welche<br />

Hirnströme jeweils für welchen <strong>Bewegung</strong>sablauf<br />

stehen. Keine leichte Aufgabe, wenn<br />

die Arme des Patienten nicht mehr vorhanden<br />

sind. Otto Bock musste sich etwas<br />

einfallen lassen. «Wir entwickelten ein spezielles<br />

Trainingsverfahren, bei welchem wir<br />

Christian Kandlbauers Hirnströme auf einen<br />

Computerbildschirm projizierten. Während<br />

Christian sich vorstellen musste, wie er beispielsweise<br />

mit der Hand einen Gegenstand<br />

ergreift, unterstützte ein Kollege diese Vorstellung<br />

visuell, indem er hinter ihm stand<br />

und seine Arme – ähnlich wie beim Puppen-<br />

Fotos: Lukas Ilgner<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Prothese <strong>Bewegung</strong> 21<br />

Mobil im Auto<br />

Videosequenz<br />

Sehen Sie, wie die gedankengesteuerte<br />

Prothese funktioniert.<br />

So gehts: Den BeeTagg Reader gratis auf<br />

das Smartphone laden, Code fotografieren,<br />

Link erhalten.<br />

Traum erfüllt: Mit Hilfe seiner gedankengesteuerten<br />

Prothese konnte Christian Kandlbauer<br />

sogar den Führerschein machen. Mittlerweile<br />

fährt er in einem nach seinen Bedürfnissen umgebauten<br />

Subaru Impreza täglich selbständig<br />

zur Arbeit.<br />

Mehr Informationen unter<br />

www.ottobock.com<br />

theater – zur Verfügung stellte. Auf diese<br />

Weise war es uns möglich, die einzelnen<br />

Hirnströme als spezifische <strong>Bewegung</strong>sbefehle<br />

zu entschlüsseln und danach die Prothese<br />

entsprechend zu programmieren», erklärt<br />

Projektleiter Egger.<br />

Forschung für mehr Lebensqualität<br />

Heute, Hunderte von Labor-Trainingsstunden<br />

später, denkt Christian Kandlbauer lediglich<br />

noch «Kaffeetasse ergreifen und hochheben»,<br />

und sein Cyber-Arm mit sieben Gelenken<br />

führt die beiden <strong>Bewegung</strong>en kombiniert,<br />

präzise und in Echtzeit aus. Nach so<br />

vielen Stunden im Labor wissen wohl auch<br />

die Ingenieure, wie die Kurve auf dem Bildschirm<br />

aussieht, die Kandlbauers Gedanke<br />

«Kaffeetasse ergreifen und hochheben» erzeugt.<br />

Weder Projektteam noch Patient geben<br />

sich mit dem bisherigen Erfolg zufrieden.<br />

Es scheint, dass das gemeinsame Streben<br />

nach «Quality for Life» – offizieller Slogan von<br />

Otto Bock und erklärtes Ziel von Christian<br />

Kandlbauer – dem eingeschworenen Forschungsteam<br />

immer neue Innovationskraft<br />

verleiht. Jüngster Coup ist die fühlende<br />

Hand: die Weiterentwicklung der gedankengesteuerten<br />

Prothese. Mikrorezeptoren an<br />

Kandlbauers Zeigefinger übernehmen die<br />

Funktion der natürlichen Sensoren der Hand<br />

und melden dem Gehirn, was der Träger fühlt.<br />

«Wenn man mir einen Eiswürfel in die linke<br />

Hand gibt, kann ich das spüren», so Kandlbauer.<br />

«Ich bin überzeugt, dass ich irgendwann<br />

nicht nur alle Finger meiner Prothese<br />

einzeln bewegen kann, sondern dass ich damit<br />

auch wieder fühlen kann.»<br />

Vorsprung durch Technik<br />

Christian Kandlbauer hat sein Leben und<br />

seine Unabhängigkeit zurück. Er ist nahezu<br />

wieder selbständig, arbeitet im selben Betrieb<br />

wie vor dem Unfall und fährt sogar Auto –<br />

wobei er und sein Auto TÜV-geprüft sind. Daher<br />

stört es ihn nicht, dass er seinen Cyber-<br />

Arm nachts aufladen muss wie andere Leute<br />

ihr Handy. Es stört ihn auch nicht, dass es<br />

schon ein wenig gruselig wirkt, wenn Mensch<br />

und Maschine so roboterhaft miteinander<br />

verschmelzen, dass sich die Passanten auf<br />

der Strasse bisweilen ungläubig nach ihm<br />

umdrehen. «Only God can judge me» – nur<br />

Gott kann über mich urteilen, steht als Tattoo<br />

auf Christian Kandlbauers Hals geschrieben.<br />

Auch Vergleiche zu Science-Fiction-Geschichten<br />

wie James Camerons «Avatar» sind<br />

ihm egal. Denn seine Geschichte besteht<br />

zugegebenermassen aus sehr viel Science,<br />

nicht aber aus Fiction. Allein das ist es, was<br />

zählt. Und «Avatar» war gestern. <<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


22 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />

Im Einklang mit der Natur: Mitglieder der Modern-Dance-Gruppe von Anna Halprin tanzen in den Hügeln von Stinson Beach, Kalifornien.<br />

Foto: Ted Streshinsky, Corbis<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 23<br />

Breath<br />

Made<br />

le<br />

VisAnnai<br />

Hablprin<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


24 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />

Sie ist eine der grössten <strong>Bewegung</strong>s künstlerinnen der Nachkriegszeit,<br />

eine Rebellin, die stets radikal mit Konventionen brach.<br />

Tanzen sei den Atem sichtbar machen (breath made visible), sagt<br />

Anna Halprin. Denn: Tanz ist Leben ist Tanz.<br />

Text: Ute Eberle<br />

Die Tänzerin Anna Halprin<br />

befand sich im Ferienhaus,<br />

das sie und ihr Mann – der<br />

jüngst verstorbene Landschaftsarchitekt<br />

Lawrence<br />

Halprin – an Nordkaliforniens<br />

Küste unterhielten,<br />

als sie an einem Tag im Jahr 1975 merkte,<br />

dass sie innerlich blutete. Halprin hatte damals<br />

bereits seit drei Jahren einen künstlichen<br />

Darmausgang in ihrem Nabel – die Folge<br />

eines Tumors, der ihren Arzt gezwungen<br />

hatte, Teile ihres Verdauungstrakts sowie<br />

einen Eierstock zu entfernen. Die Blutung,<br />

die sie sah, signalisierte ihr, dass der Krebs<br />

zurückgekehrt war. Halprin war 55 Jahre alt.<br />

Ihr Arzt riet ihr, sofort in die Praxis zu kommen.<br />

Doch Halprin bat ihn, ihr vier Wochen<br />

Aufschub zu gönnen. «Ich hatte Angst», sagt<br />

sie. Und das bedeutete für Halprin fast<br />

zwangsläufig eines: Sie musste tanzen.<br />

Tanz als Überlebensmechanismus<br />

Tanzen ist Halprins Beruf und sie hat dafür<br />

viele Preise gewonnen. Aber es ist auch weit<br />

mehr. Über die Jahre ist Tanz für sie eine Art<br />

Überlebensmechanismus geworden, ein<br />

Weg, um Antworten auf existenzielle Fragen<br />

zu suchen. «Menschen haben schon immer<br />

Formen von Tanz genutzt, um das Mysterium<br />

des Lebens zu verstehen», sagt Halprin. Viele<br />

sehen in ihr eine der grössten <strong>Bewegung</strong>skünstlerinnen<br />

der Nachkriegszeit, eine legendäre<br />

Rebellin, die half, den avantgardistischen<br />

Tanz in die Theater der Welt zu<br />

bringen, indem sie radikal mit Konventionen<br />

brach. Sie war eine der Ersten, die nackte<br />

Tänzer auf die Bühne schickte (und dafür fast<br />

verhaftet wurde); die Erste, die – nach den<br />

Rassenkrawallen in Los Angeles von 1965<br />

– ein schwarz-weiss gemischtes Tanzensemble<br />

gründete; die Erste, die Jahrzehnte später<br />

eine Tanztruppe allein mit HIV-positiven<br />

Männern besetzte.<br />

«Anna hinterfragte und änderte vieles im<br />

Tanz», erklärt Janice Ross, eine Theaterprofessorin<br />

der Universität Stanford, die jüngst<br />

eine Biografie über Halprin schrieb. «Sie<br />

fragte: Wer darf tanzen? Wie muss Tanz aussehen?<br />

Wo darf er stattfinden?»<br />

Nach welchen Tänzen ruft die Seele?<br />

Andere sehen Halprin weniger schmeichelhaft:<br />

als Ikone und Mitbegründerin jener Touchy-Feely-Kultur,<br />

für die Kalifornien heute<br />

berüchtigt ist. Mit ihrer Tochter Daria gründete<br />

Halprin 1978 das «Tamalpa Institute»<br />

nahe San Francisco, in dem Gäste etwa lernen<br />

können, durch <strong>Bewegung</strong> die «Weisheit<br />

des Körpers» anzuzapfen, Gefühle aufzuarbeiten<br />

oder ihre Selbstheilungskräfte zu<br />

mobilisieren. «Alles im Leben ist <strong>Bewegung</strong>,<br />

alles im Universum bewegt sich. Was sind<br />

die Tänze, nach denen unsere Seele ruft ?»,<br />

fragt die Website des Instituts.<br />

Für Halprin liegt darin kein Widerspruch.<br />

Sie sieht sich als Schülerin all dessen, was<br />

<strong>Bewegung</strong> bewirkt. Während ihrer Tanzlehre<br />

an der Universität von Wisconsin sezierte sie<br />

Leichen, um zu lernen, wie die Muskeln und<br />

Sehnen zusammenarbeiten, um eine Hand<br />

zu drehen oder ein Knie zu beugen. Bis heute<br />

hängt in ihrem Studio ein Skelett für solche<br />

Demonstrationen. Sie gesteht noch der profansten<br />

Alltagsgeste tänzerisches Potenzial<br />

Die amerikanische<br />

Tanzpionierin<br />

Anna Halprin tanzt, seit sie vier<br />

ist. Immer wieder hat sie revolutionäre<br />

Richtungen für diese<br />

Kunstform entwickelt und andere<br />

dazu inspiriert, den modernen<br />

Tanz in neue Dimensionen zu<br />

führen. Halprin zählt zu den Pionieren<br />

der Expressive-Arts-Heilungsbewegung.<br />

Sie hat viele Tanzprogramme<br />

mit unheilbar kranken<br />

Patienten durchgeführt, denn<br />

sie hat erfahren, dass der <strong>Bewegung</strong><br />

des Tanzes Heilkraft innewohnen<br />

kann. Im Laufe ihres<br />

Lebens hat sie 150 Tanzwerke<br />

für das Theater geschaffen und<br />

dafür viele Ehrungen und Auszeichnungen<br />

erhalten. Für die<br />

Neunzigjährige gilt: Alter schützt<br />

vor Tanzen nicht, ihr Motto lautet<br />

«Altern ist wie eine Erleuchtung<br />

mit vorge haltener Pistole.»<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 25<br />

wenigen Juden im kleinen Winnetka nördlich<br />

von Chicago fühlte sie sich oft als Aussenseiterin.<br />

«Die anderen Kinder in der Schule<br />

waren blond und blauäugig und die Mädchen<br />

warfen ihre Haare durch die Luft. Wenn ich<br />

meinen Kopf herumwarf, stellte sich mein<br />

Haar auf und kam nicht mehr runter », so Anna.<br />

«Zu bestimmten Anlässen wurde ich nie<br />

eingeladen.»<br />

«Ich dachte, Gott sei ein Tänzer»<br />

Halprin besetzte eine Aufführung mit<br />

69 Altersheimbewohnern im Schaukelstuhl.<br />

zu. Eines ihrer Stücke in den 1960er-Jahren<br />

etwa enthielt eine Sequenz, in der Halprin<br />

<strong>10</strong>0 leere Weinflaschen einzeln auf die Bühne<br />

trug. Einen italienischen Zuschauer erboste<br />

dies derart, dass er aufs Podium<br />

stürmte und rief: «Dafür musste Kolumbus<br />

Amerika entdecken?»<br />

Halprin tanzte, als ihre Mutter starb; sie<br />

tanzte, als ihr Mann auf der Intensivstation<br />

lag. «<strong>Bewegung</strong> kann uns ins Heim der Seele<br />

bringen, in die innere Welt, für die wir keinen<br />

Namen haben», schreibt Halprin in ihrem<br />

Buch «Tanz, Ausdruck und Heilung».<br />

zwei älteren Brüdern, als ihre Mutter sie erstmals<br />

zum Ballett brachte. Halprins Vater war<br />

als Teenager fast ein Jahr aus dem russischen<br />

Odessa nach London gelaufen, um ein<br />

Boot nach Amerika zu nehmen, wo er sich<br />

mit Textilien und Häusern ein Vermögen verdiente.<br />

«Brauchte mein Vater einen Kaschmirpulli,<br />

kaufte er sechs», erinnert sich Anna,<br />

die darunter litt, dass die Familie ständig umzog,<br />

weil ihr Vater ein neues Immobilienschnäppchen<br />

gemacht hatte. Als eine von<br />

Weil man im Ballett über die ungestüme Vierjährige<br />

lachte, fand Annas Mutter eine jener<br />

neuen Tanzschulen für sie, in denen die Kinder<br />

nicht Demi-Pliés an der Stange übten,<br />

sondern frei zu Klaviermusik umhersprangen.<br />

So begann ein Hobby, dem Halprin bereits<br />

als Teenager, ihr Leben zu widmen beschloss.<br />

Obwohl nicht tief religiös, prägte ihre jüdische<br />

Herkunft ihr Tanzleben. Als Kind sah<br />

sie gern zu, wie ihr orthodox-gläubiger Opa<br />

in der Synagoge betete, den Kopf in den Nacken<br />

geworfen, die Hände erhoben, der<br />

weisse Bart pendelnd, während sein Körper<br />

in Ekstase schwang. «Mein ganzes Leben<br />

habe ich nach einem Tanz gesucht, der mich<br />

so tief berühren würde, wie mein Grossvater<br />

damals berührt war», sagt Halprin. «Für mich<br />

sah er aus wie Gott und so dachte ich, Gott<br />

sei ein Tänzer.»<br />

Sie heiratete an der Universität und zog –<br />

nach einem Zwischenspiel am New Yorker<br />

Broadway – nach San Francisco, wo Lawrence<br />

eine Stelle annahm. Und es war hier,<br />

isoliert von der kulturell dominierenden<br />

US-Ostküste, wo Halprin alles, was sie ><br />

Fotos: Kent Reno | aus «Breath Made Visible»<br />

Ein Körper, flink wie eine Ziege<br />

Die heute 90-Jährige ist zierlich mit einem<br />

schalkhaften, zerfurchten Gesicht und einem<br />

Körper, der noch immer «flink wie eine Ziege»<br />

sei, wie der «New-York-Times»-Kritiker John<br />

Rockwell vor einigen Jahren bemerkte. Ihre<br />

Vitalität lässt sie Jahrzehnte jünger wirken.<br />

Als der Filmemacher Ruedi Gerber jüngst<br />

eine Dokumentation über Halprin drehte<br />

(unter dem Titel «Breath Made Visible» ab<br />

Herbst auf DVD zu kaufen), fing er eine Szene<br />

ein, in der sich Halprin einem Passanten<br />

vorstellt, der eine Probe ihrer Tanztruppe<br />

beobachtet. «Aber es heisst, Anna Halprin<br />

sei richtig alt», protestiert der Mann. «Ich BIN<br />

richtig alt!», erwidert Halprin.<br />

Sie tanzt seit bald 86 Jahren. Sie war vier,<br />

ein Kobold mit rotem Krauseschopf und das<br />

einzige Mädchen unter zwölf Vettern und<br />

«Vor dem Krebs<br />

lebte ich,<br />

um zu tanzen.<br />

Seither tanze ich,<br />

um zu leben.»<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


26 <strong>Bewegung</strong> Überlebenstanz<br />

über Tanzkonventionen gelernt hatte, abwarf<br />

(«wie ein Trikot, das zu warm und klebrig wurde»,<br />

schrieb ein Reporter) und danach zu<br />

suchen begann, was sie als den emotionalen<br />

Kern von <strong>Bewegung</strong>en sieht. «Tanz muss<br />

nicht anmutig, hübsch oder spektakulär wirken.<br />

Tanz kann Konflikte zum Ausdruck bringen.<br />

Tanz kann stapfen, fallen, angreifen,<br />

umklammern und sich ausstrecken», schrieb<br />

sie später.<br />

Workshops in moderndem Laub<br />

Das Paar baute ein Haus auf einem steil abfallenden<br />

Grundstück auf der stadtabgewandten<br />

Seite der Golden Gate Bridge, wo<br />

Lawrence – der unter anderem den Ghirardelli<br />

Square in San Francisco und das Washingtoner<br />

Roosevelt Memorial entwerfen<br />

sollte – ein Tanzdeck für Anna erdachte, das<br />

in der Szene legendär wurde. Ungleichmässig<br />

gezackt erhebt es sich in einem Hain von<br />

Bäumen bis zu neun Meter über den Boden.<br />

Obwohl es keinen Schutz vor dem Wetter<br />

bietet, diente es Halprin lange als ihr einziges<br />

Studio. Umgeben von raschelnden Blättern,<br />

zwitschernden Vögeln und dem «süssen Geruch»<br />

modernden Laubs, hielt sie hier Workshops<br />

ab – zu ihren Schülern zählten so berühmt<br />

werdende Performer wie Trisha Brown,<br />

Yvonne Rainer oder Meredith Monk – und<br />

entwickelte Tänze, die reflektieren sollten,<br />

was in ihrem Leben und in der Gesellschaft<br />

vor sich ging. Manchmal sei es so kalt gewesen,<br />

dass sie in Fäustlingen oder Schuhen<br />

getanzt habe, sagt Halprin. Andere Male verharrte<br />

sie bewegungslos, bis ein Insekt oder<br />

ein Vogel vorbeiflog, um sich von seinen<br />

<strong>Bewegung</strong>en inspirieren zu lassen.<br />

Viele Tänze, die sie in jener Zeit entwarf,<br />

ähneln eher sozialkritischer Performance als<br />

ästhetischer <strong>Bewegung</strong>skunst. Wie der<br />

«Blank Placard Dance», bei dem Halprins Ensemble,<br />

der San Francisco Dancers’ Workshop,<br />

durch die Stadt zog und vermeintliche<br />

Protestplakate hochhielt, die jedoch irritierenderweise<br />

unbeschrieben waren. Oder<br />

«Apartment 6», ein Stück, in dem Halprin<br />

wochenlang auf der Bühne Pfannkuchen buk,<br />

während sie und zwei männliche Partner<br />

ohne Skript ihre Beziehung «auslebten».<br />

Ihre kulturellen Provokationen brachten<br />

ihr Bewunderung, aber auch viel Rage ein.<br />

Es kam oft vor, dass Zuschauer buhten, Beleidigungen<br />

schrien oder Objekte wie Schuhe<br />

auf die Bühne warfen. Nach einem Auftritt<br />

von Halprins Tänzern 1963 in Jugoslawien,<br />

bei dem sie so unkonventionelle Dinge taten<br />

wie monoton eine Treppe auf- und abzusteigen<br />

oder Weintrauben zu essen, brach eine<br />

solche Kontroverse aus, dass die Truppe gebeten<br />

wurde, länger zu bleiben, um sich auf<br />

einer hastig einberufenen, landesweit übertragenen<br />

Pressekonferenz zu erklären.<br />

«Nach langer Debatte beschlossen die 150<br />

versammelten Tanzkritiker und Theaterlehrer,<br />

dass die Arbeit entweder die grösste künstlerische<br />

Leistung seit Jahren gewesen war<br />

oder die Tänzer nicht wussten, was sie taten»,<br />

berichtet Janice Ross.<br />

Halprin staunte oft, wie heftig die Zuschauer<br />

reagierten. Doch temperamentvoll<br />

und eigensinnig – einmal durchstach sie<br />

nach einem Streit mit Lawrence alle Reifen<br />

an seinem Auto, damit er nicht wegfahren<br />

konnte –, liess sie sich nie lang irritieren.<br />

Schon früh fühlte sie sich nicht allein an die<br />

Hier gehts zu den<br />

tanzenden Bildern<br />

«Breath Made Visible» – der Trailer<br />

Ein Auge voll Tanz nehmen? So gehts:<br />

Den BeeTagg Reader gratis auf das<br />

Smartphone laden, Code fotografieren,<br />

Link zum Trailer erhalten.<br />

Der Schweizer<br />

Regisseur<br />

«Tanz kann<br />

Konflikte zum<br />

Ausdruck<br />

bringen.»<br />

Ruedi Gerber hat schon diverse<br />

preisgekrönte Dokumentarfilme<br />

gedreht, darunter «Meta-Mecano»<br />

über Bottas Tinguely-Museum<br />

oder «Living with the Spill» für den<br />

britischen Sender Channel 4, der<br />

die Ölpest vor der Küste Alaskas<br />

thematisiert. Vor seiner Arbeit als<br />

Regisseur tourte Gerber unter<br />

anderm mit seiner Ein-Mann-<br />

Show «Spiwit of Spwing» durch<br />

Europa.<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Überlebenstanz <strong>Bewegung</strong> 27<br />

Anna Halprin hielt ihre Workshops gerne<br />

auf ihrem Grundstück ab. Ihr legendärer<br />

Tanzboden unter freiem Himmel lockte viele<br />

junge Talente an. Vor der Kälte schützten<br />

Fäustlinge und das innere Feuer.<br />

Fotos: Kent Reno | aus «Breath Made Visible» | Ted Streshinsky, Corbis<br />

Bühne gebunden, sondern führte ihre Tänze<br />

auch an Orten wie einem Flugzeughangar,<br />

zwischen den Felsen ihres Grundstücks oder<br />

in Höhlen auf. «Meine Mission war es, die<br />

Grenzen, die man um den Tanz gezogen hatte,<br />

immer weiter aufzubrechen», sagt sie.<br />

Der Krebs brachte einen Einschnitt. Nachdem<br />

Halprin im Ferienhaus die Blutung entdeckt<br />

hatte, lud sie zehn Freunde und Angehörige<br />

ein, um als «Zeugen» einem Solo<br />

beizuwohnen, in dem sie versuchen wollte,<br />

ihre Ängste zu exorzieren. Die Aufnahmen<br />

von jenem Tag sind auch für Menschen, die<br />

Halprin nicht persönlich kennen, nur mit<br />

Überwindung anzusehen. Gehüllt in eine<br />

schwarze Kutte windet sich die Tänzerin vor<br />

einem Selbstporträt aus kantigen, dunklen<br />

Linien. Sie heult, kreischt, schluchzt, ballt die<br />

Fäuste, fällt auf die Knie und stöhnt wie ein<br />

waidwundes Tier, bis sie erschöpft zusammenbricht.<br />

Später tanzte sie einen versöhnlichen<br />

zweiten Akt vor einer fröhlicher gehaltenen<br />

Selbstdarstellung.<br />

Als Halprin anschliessend – ihre Gnadenfrist<br />

war aufgebraucht – zum Arzt ging, war<br />

kein Krebs mehr festzustellen. Bis heute<br />

glaubt die Tänzerin, dass ihr «reinigendes»<br />

Solo eine Spontanremission bewirkte. Sie<br />

zog sich von der öffentlichen Bühne zurück<br />

und arbeitete zunehmend mit Nichttänzern,<br />

darunter unheilbar Aids-Kranke und Krebspatienten,<br />

mit denen sie die therapeutische<br />

Wirkung von Tanz zu erforschen suchte.<br />

«Jeder ist ein Tänzer», sagt Halprin, die<br />

einmal eine Aufführung mit 69 Altersheimbewohnern<br />

besetzte, bei dem diese in Schaukelstühlen<br />

sitzend koordiniert vor- und zurückwippten.<br />

«Nie habe ich seelenvolleres Tanzen<br />

gesehen», sagt sie über diese Erfahrung.<br />

Massentanz fungiert als Heilungsritual<br />

Besonders stolz ist sie jedoch auf den «Planetary<br />

Dance», ein Massentanz, bei dem zum<br />

Teil Hunderte von Tanzlaien auf vorgegebenen<br />

Bahnen im Kreis herumrennen oder hüpfen.<br />

Anna und Lawrence hatten den Vorläufer<br />

dazu 1981 als Heilungsritual für ihre<br />

Nachbarschaft erdacht, nachdem ein Serienmörder<br />

sieben Frauen auf einem nahe gelegenen<br />

Berg getötet hatte (drei Tage nach<br />

der Aufführung wurde der Täter gefasst).<br />

Seither wurde der Tanz in abgewandelter<br />

Form jedes Jahr wiederholt und hat sich<br />

schliesslich bis in 36 Länder von Australien<br />

bis Deutschland verbreitet.<br />

Noch immer unterrichtet Halprin zwei Mal<br />

pro Woche. Mittlerweile ist sie auch auf die<br />

Bühne zurückgekehrt. Ihre jüngsten Projekte<br />

beschäftigen sich meist mit Verfall und<br />

Sterben. Mit 83 Jahren liess sie sich filmen,<br />

wie sie nackt tanzte – den Körper mit blauer<br />

Farbe beschmiert und eine Perücke aus<br />

Zweigen auf dem Kopf. Auch trat sie in dem<br />

von ihr kreierten Stück «Intensivstation» an<br />

der Seite von drei jüngeren Partnern auf. In<br />

teils offenen, klaffenden Krankenhemden mimen<br />

die Darsteller körperlichen Schmerz,<br />

Terror und Aufbegehren, bevor sie schliesslich<br />

akzeptierend in den Tod sinken. Es sei<br />

«schwer hinzugucken, aber unmöglich wegzuschauen»,<br />

urteilte ein Kritiker. Halprin stelle<br />

«noch immer die richtigen Fragen», schrieb<br />

kürzlich ein anderer.<br />

«Vor dem Krebs lebte ich, um zu tanzen»,<br />

sagt Halprin. «Seither tanze ich, um zu leben.»<br />

Und damit ist sie noch nicht fertig. Sie<br />

arbeite an neuen Stücken, versichert die<br />

90-Jährige. <<br />

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28 <strong>Bewegung</strong> Dauerläufer<br />

Der Mensch ist ein <strong>Bewegung</strong>stier. Bei<br />

grosser Hitze sind wir über lange Strecken<br />

unschlagbar. Das hat es unseren Vorfahren<br />

ermöglicht, ihre Beutetiere buchstäblich<br />

zu Tode zu hetzen.<br />

Wir<br />

Text: Mathias Plüss<br />

Bernd Heinrich ist kürzlich 70<br />

geworden und läuft noch immer.<br />

Drei seiner US-Rekorde<br />

aus den 1980er-Jahren<br />

sind ungebrochen – über<br />

<strong>10</strong>0 Kilometer, <strong>10</strong>0 Meilen<br />

und über zwölf Stunden auf<br />

der Bahn. In fünf Jahren will er einen neuen<br />

Weltrekord aufstellen: im Hundertkilometerlauf<br />

in der Kategorie der 75+.<br />

Der Langstreckenlauf boomt. Volksrennen<br />

verzeichnen Rekordbeteiligungen. Wer<br />

noch nie einen Marathon absolviert hat, muss<br />

sich beinahe schon rechtfertigen. Keine noch<br />

so grosse Distanz scheint die Teilnehmer abzuschrecken:<br />

Der Europalauf 2009 führte<br />

über 4488 Kilometer von Bari bis ans Nordkap<br />

– durchschnittlich 70 Kilometer täglich,<br />

kein einziger Tag Pause. Ist dieser Rennboom<br />

eine Modeerscheinung, in ein paar Jahren<br />

wieder vergessen? Wohl kaum. Viele Läufer<br />

empfinden ihr Tun vielmehr als Rückkehr zum<br />

menschlichen Urzustand. «Als Läufer hangeln<br />

wir uns direkt an der endlosen Kette der<br />

Geschichte entlang», schrieb etwa Jim Fixx<br />

in seinem «Complete Book of Running». «Wir<br />

erfahren, was wir empfunden hätten, wenn<br />

wir vor <strong>10</strong> 000 Jahren gelebt und Herz, Lunge<br />

und Muskeln durch ständige <strong>Bewegung</strong><br />

gesund gehalten hätten. Wir vergewissern<br />

uns, was dem modernen Menschen selten<br />

gelingt, unserer Verwandtschaft mit dem<br />

frühzeitlichen Menschen.»<br />

«Wir werden als Läufer geboren»<br />

Manchen gilt das Laufen gar als Essenz des<br />

Menschseins. Es sei «in unserem kollektiven<br />

Gedächtnis verankert», sagt der südafrikanische<br />

Anthropologe Louis Liebenberg. «Das<br />

Rennen ist die Superkraft, die uns zu Menschen<br />

machte.» «Tief in unserem Innern»,<br />

meint auch Bernd Heinrich, «sind wir immer<br />

noch Läufer. Wir alle werden als Läufer geboren.»<br />

Am schönsten hat es der legendäre<br />

tschechische Langstreckler Emil Zátopek<br />

gefasst: «Vogel fliegt, Fisch schwimmt,<br />

Mensch läuft.» Der Deutsch-Amerikaner<br />

Bernd Heinrich ist auch unter den Ultraläufern<br />

eine Ausnahmeerscheinung: Als Sportler<br />

lotet er seine Leistungsgrenzen aus – als<br />

Zoologe erforscht er die Evolution und stellt<br />

Experimente an. Seit er als Sechsjähriger<br />

barfuss über Sandwege lief, den Tigerkäfern<br />

hinterher, ist Laufen seine Leidenschaft.<br />

Mit richtigem Training fing er erst an, als<br />

er auf die 40 zuging. Ein Freund hatte ihm<br />

eingeflüstert, er könne einen Marathon unter<br />

2:30 schaffen. Noch am gleichen Tag begann<br />

Heinrich zu trainieren. Als ihm ein Arzt<br />

wegen eines degenerierten Knorpels zum<br />

Aufhören riet, ignorierte er Schmerzen und<br />

Warnung: «Ich stellte mir einfach vor, wie ich<br />

dieses kleine Stück Knorpel durch verstärktes<br />

Laufen langsam, aber sicher zu Pulver<br />

zerrieb.» Das Knie hielt. Seinen ersten Marathon<br />

schaffte er in 2:25.<br />

Dann verlegte er sich auf noch grössere<br />

Distanzen. Am 4. Oktober 1981 kam sein<br />

grosser Tag: der Hundertkilometerlauf von<br />

Chicago. Bernd Heinrich, 41 Jahre alt, ohne<br />

Socken, sich ausschliesslich von Preiselbeersaft<br />

ernährend, gewann das Rennen mit<br />

einer Dreiviertelstunde Vorsprung und in<br />

amerikanischer Rekordzeit. Über seine Erfahrungen<br />

und Erkenntnisse schrieb er ein<br />

Buch, das unter dem legendären Titel «Why<br />

we run» zum Bestseller wurde. Heinrichs<br />

These: Der Mensch sei jahrtausendelang ein<br />

«Ausdauerräuber» gewesen, der seine Beutetiere<br />

in der Hitze des Mittags buchstäblich<br />

zu Tode gehetzt habe. Das tönt vielleicht ein<br />

wenig lächerlich, wenn man es zum ersten<br />

Mal hört, weil wir das Vorurteil im Kopf haben,<br />

der Mensch sei ein Meister des Mittelmasses,<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Dauerläufer <strong>Bewegung</strong> 29<br />

Ausdauerräuber<br />

Fotos: Getty Images | Martin Ruegner, Getty Images | Grant Faint, Getty Images | Martin Barraud, Getty Images<br />

der alles könne, aber nichts richtig: ein bisschen<br />

schwimmen, ein bisschen klettern, ein<br />

bisschen rennen.<br />

Das stimmt zwar grundsätzlich, aber unter<br />

speziellen Bedingungen ist der Mensch tatsächlich<br />

allen anderen Läufern überlegen:<br />

über sehr grosse Distanzen bei grosser Hitze.<br />

Hasen sind hervorragende Sprinter – sie<br />

halten 45 Sekunden bei Tempo 70 durch.<br />

Das ist ihre Rettung, denn Füchse schaffen<br />

kurzzeitig maximal 60 Stundenkilometer. Die<br />

schnellsten Landtiere überhaupt, die Geparde,<br />

erwischen ihre Beute meist innerhalb<br />

einer halben Minute oder sie lassen sie ziehen.<br />

Auch Wölfe verfolgen ein Tier kaum je<br />

länger als eine Viertelstunde, sonst sterben<br />

sie an Überhitzung. Als beste Mittelstreckenläufer<br />

gelten die Antilopen – manche Arten<br />

schaffen zehn Kilometer in zehn Minuten.<br />

Doch fehlt es ihren schlanken Körpern an<br />

Energiereserven; spätestens nach 30 Kilometern<br />

sind sie erschöpft. Deshalb vermögen<br />

trainierte Menschen, so sie die Fährte<br />

nicht verlieren, selbst Antilopen zu Tode zu<br />

hetzen.<br />

Der beste Beweis dafür ist die Tatsache,<br />

dass viele Urvölker noch bis vor Kurzem tatsächlich<br />

die Ausdauerjagd pflegten. Der<br />

Volkskundler Barre Toelken berichtet, er habe<br />

noch in den 1950er-Jahren erlebt, wie<br />

ein Navajo-Indianer Hirsche jagte: «Der<br />

Hirsch setzte in wilden Sprüngen davon,<br />

hielt inne und flüchtete erneut. Der Jäger,<br />

der in gleichmässigem Tempo der Spur des<br />

Tiers folgte, ermüdete es schliesslich. Dann<br />

näherte er sich dem erschöpften Hirsch,<br />

legte ihm die Hand über Maul und Nüstern<br />

und erstickte ihn.»<br />

Ausdauerjagd bei mindestens 37 Grad<br />

Der Anthropologe Louis Liebenberg war selber<br />

mehrmals bei der Antilopenjagd der<br />

Buschmänner in der Kalahariwüste in Botswana<br />

mit von der Partie. Am Ende, sagt er,<br />

kollabiere die Antilope vollends, «oder sie<br />

verlangsamt so sehr, bis sie nur noch dasteht,<br />

mit glasigen Augen. Letztlich wird das<br />

Tier zum Überhitzen gebracht.» Die Jäger<br />

rennen dabei in zwei bis sieben Stunden<br />

nonstop bis zu 35 Kilometer. Und das bei<br />

Temperaturen von mindestens 37 Grad – darunter<br />

ziehen sie nicht los, weil die Antilope<br />

zu schnell wäre. Das ist der springende<br />

Punkt: Kein anderes Tier kann so gut mit<br />

Hitze umgehen. Der Mensch ist Weltmeister<br />

im Schwitzen. Sogar das Fell haben wir ><br />

Läufer aus<br />

Leidenschaft<br />

Bernd Heinrich, geboren 1940,<br />

wurde als Zoologe für seine Forschungen<br />

über Hummeln, Wildgänse<br />

und Raben bekannt. Mit<br />

40 startete er seine Karriere als<br />

Marathon- und Ultralangstreckenläufer.<br />

Zu seinen Bestsellern<br />

gehören «Die Seele der Raben»<br />

und «Laufen. Geschichte einer<br />

Leidenschaft». Heinrich lebt in<br />

einer Blockhütte in Maine (USA).<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Nummer 3 Juli/August 20<strong>10</strong><br />

30 <strong>Bewegung</strong> Dauerläufer<br />

abgeworfen, damit das Wasser auf unserer<br />

Haut besser verdunsten kann. Bis zu zwei<br />

Liter Wasser können unsere drei Millionen<br />

Schweissdrüsen pro Stunde abgeben. Viele<br />

Tiere können schlecht oder gar nicht schwitzen.<br />

Hunde etwa, die nur hecheln können,<br />

sind dem Menschen an Hitzetagen hoffnungslos<br />

unterlegen. Ein Gepard vermag in<br />

der Sonne nicht mehr als ein paar Minuten<br />

zu rennen, sonst erleidet er einen Hitzschlag.<br />

Offenbar sind die meisten Tiere auf Wasserersparnis<br />

angelegt – der Mensch aber gerade<br />

nicht. Indem er den Wasserverlust in Kauf<br />

nimmt, kann er auch bei grösster Hitze rennen<br />

und hat sich so eine ökologische Nische<br />

geschaffen.<br />

Das Schwitzen und der Fellverlust sind<br />

aber nur die auffälligsten Merkmale. «Wir<br />

sind von Kopf bis Fuss voller Anpassungen,<br />

von denen viele beim Gehen keine Rolle spielen»,<br />

sagt der Anthropologe Daniel Lieberman<br />

von der Harvard University. Vielmehr<br />

handle es sich dabei um charakteristische<br />

Eigenschaften eines Langstreckenläufers.<br />

Ein paar Beispiele:<br />

Die Zweibeinigkeit: Auf zwei Beinen<br />

lässt es sich schneller laufen als auf<br />

vier. Die Amerikanische Schabe stellt sich<br />

auf die Hinterbeine, wenn sie es pressant<br />

hat – genauso macht es der Leguan. Die<br />

<strong>Bewegung</strong><br />

Der Mensch ist zum Laufen geboren. Doch nur<br />

wenige sind so schnell wie Dave Dollé. Lassen<br />

Sie den mehrfachen Schweizer Meister auf Ihrem<br />

Bildschirm lossprinten! (Anleitung auf Seite 30)<br />

Globale Initiative Credit Suisse ist treibhausgasneutral<br />

KMU-Studie Die Globalisierungswelle rollt<br />

Wolfgang Rihm Der deutsche Komponist im Gespräch<br />

Mit dem Magazin entrepreneur<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> mit Augmented<br />

Reality – so haben Sie Papier noch<br />

nie erlebt.<br />

Website aufrufen:<br />

www.credit-suisse.com/<br />

bewegung<br />

Da läuft etwas<br />

schnellsten Mittelstreckenläufer bei den<br />

Dinosauriern waren Zweibeiner. Der aufrechte<br />

Gang hat in der Hitze aber noch<br />

einen weiteren Vorteil: Die Sonneneinstrahlung<br />

verringert sich um 60 Prozent.<br />

Der Nachteil ist, dass bei Zweibeinern<br />

ausgerechnet der Kopf der Sonne ausgesetzt<br />

ist, aber zu dessen Schutz hat sich<br />

ja unser üppiges Haupthaar entwickelt.<br />

Zusätzlich leitet ein spezielles Netz von<br />

Blutgefässen die Wärme vom empfindlichen<br />

Gehirn ab.<br />

Die Sehnen: Sie sind die Speicherkraftwerke<br />

des Läufers. Die Achillessehne absorbiert<br />

bei jedem Aufsetzen 40 Prozent<br />

der Energie, die sonst verloren ginge, und<br />

gibt sie beim nächsten Schritt wieder frei.<br />

Für das blosse Gehen haben diese Sehnen<br />

keine grosse Bedeutung. «In der Evolution<br />

haben sich grosse Sehnen ausschliesslich<br />

bei Läufern entwickelt », sagt<br />

der Anthropologe Lieberman.<br />

Das Gesäss: Im Vergleich zu den anderen<br />

Primaten ist unser Hintern riesig. Der<br />

Gesässmuskel ist der grösste Muskel des<br />

Menschen. Beim Gehen ist er wenig gefordert,<br />

beim Rennen aber sorgt er für<br />

Stabilität. Alle andern zweibeinigen Renner<br />

(Beispiel Känguru) haben einen grossen<br />

Schwanz, der als Gegengewicht zum<br />

Machen Sie Dave Dollé<br />

Beine mit dem<br />

<strong>bull</strong>etin Special Effect!<br />

Papier ist geduldig? Papier ist ein Wunderding! Machen<br />

Sie den Test und staunen Sie selbst: Das Titelblatt<br />

des <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> wurde mit einer speziellen Technik, der<br />

Augmented Reality (Erweiterte Realität), produziert.<br />

Rufen Sie unsere Website auf und befolgen Sie die Anweisungen.<br />

Dave Dollé, ehemaliger Schweizer Leichtathlet<br />

amerikanischer Herkunft und mehrmaliger<br />

Schweizer Meister, läuft exklusiv für Sie. Mal schneller,<br />

mal langsamer, ganz wie es Ihnen gefällt. Vielleicht<br />

gelingt es mit Ihrer Hilfe sogar, seinen Schweizer Rekord<br />

von 1995 über <strong>10</strong>0 Meter (<strong>10</strong>,16 Sekunden) zu brechen?<br />

Es liegt ganz in Ihrer Hand.<br />

Titelblatt vor Webcam halten<br />

Video schauen<br />

nach vorne geneigten Rumpf dient. Beim<br />

Menschen übernimmt der Gesässmuskel<br />

diese Aufgabe. Dazu kommt ein spezielles<br />

Nackenband zur Stabilisierung des Kopfs.<br />

Die Theorie ist umstritten. Das Problem<br />

ist, dass man in der Evolution eigentlich<br />

nie beweisen kann, was die Ursache<br />

für eine Anpassung war. Besonders deutlich<br />

lässt sich das beim aufrechten Gang<br />

zeigen, der zahlreiche Vorteile mit sich<br />

brachte: die grössere Übersicht in der<br />

Savan ne, nachdem unsere Vorfahren von<br />

den Bäumen gestiegen waren; die frei<br />

werdenden Hände, die zum Werkzeuggebrauch,<br />

Waffen- oder Kindertragen genutzt<br />

werden konnten; oder eben die grössere<br />

Geschwindigkeit beim Rennen. Was<br />

der Auslöser war und was nur willkommener<br />

Nebeneffekt, ist schwierig zu sagen.<br />

Vom Aasfresser zum Fleischjäger<br />

Die Entwicklung zum herausragenden Läufer<br />

kann aber nur langsam vonstattengegangen<br />

sein. Bernd Heinrich vermutet, dass die ersten<br />

Zweibeiner ihre – anfangs noch bescheidene<br />

– Geschwindigkeit zunächst nutzten,<br />

um möglichst rasch bei frischem Aas zu sein.<br />

Einmal auf den Geschmack des Fleischs gekommen,<br />

hätten sie dann begonnen, selber<br />

Tiere zu jagen. Die energiereiche Fleischnahrung<br />

hatte offenbar so viele Vorteile, dass<br />

die läuferischen Fähigkeiten über die Jahrmillionen<br />

immer besser wurden.<br />

Auch die Entwicklung unseres Gehirns<br />

korreliert durchaus mit der erfolgreicheren<br />

Jagd. Denn bei der Ausdauerjagd ist das<br />

Fährtenlesen wichtig, weil ja das Beutetier<br />

am Anfang viel schneller ist, und Fährtenlesen<br />

setzt Intelligenz voraus. Es braucht<br />

aber auch Durchhaltevermögen und die Fähigkeit,<br />

sich die Zukunft vorzustellen – weitere<br />

typisch menschliche Eigenschaften.<br />

Bernd Heinrich spricht in diesem Zusammenhang<br />

von der visionären Kraft, ohne die der<br />

Mensch nicht imstande wäre, all die Schmerzen<br />

und Strapazen bei der Verfolgung eines<br />

ambitiösen Ziels auf sich zu nehmen. «Wir<br />

können uns Dinge vorstellen, die weit in der<br />

Zukunft liegen», schreibt Heinrich. «Wir sehen<br />

unsere ‹Beute› vor uns, selbst wenn sie<br />

hinter Hügeln oder im Dunst verschwunden<br />

ist. Dann wird die Vorstellung zu unserem<br />

wichtigsten Antrieb. Ihre Kraft ist es, die<br />

es uns ermöglicht, nach der Zukunft zu greifen,<br />

ob es nun darum geht, ein Mammut oder<br />

eine Antilope zu erlegen, ein Buch zu schreiben<br />

oder eine Rekordzeit in einem Rennen<br />

aufzustellen.» <<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 31<br />

Credit Suisse<br />

Business / Sponsoring / In der Gesellschaft<br />

<strong>10</strong>0 Jahre Kunsthaus Zürich<br />

Pablo Picassos erste<br />

Retrospektive – live<br />

1932 fand die weltweit erste Retrospektive<br />

von Pablo Picasso (1881–<br />

1973) statt. Der spanische Maler<br />

hatte die Ausstellung, die drei<br />

Monate lang im Kunsthaus Zürich<br />

gezeigt wurde, persönlich zusammengestellt.<br />

Nun wird sie auf<br />

eindrückl iche Weise in Erinnerung<br />

gerufen, indem vom 15. Oktober<br />

20<strong>10</strong> bis zum 30. Januar 2011 über<br />

70 der damals gezeigten Spitzenwerke<br />

ausgestellt werden. In Erwartung<br />

eines grossen Andrangs hat<br />

der Vorverkauf bereits begonnen.<br />

Gegenwärtig laufen zwei andere<br />

sehenswerte Sonderausstellungen<br />

mit Fotografien von Thomas Struth<br />

(bis 12. September) sowie «Motion<br />

Picture(s)» von Adrian Paci (bis<br />

22. August). schi<br />

www.kunsthaus.ch<br />

sie streben auch in der Einzelwertung<br />

gute Platzierungen an.<br />

Der Grossanlass wird mitunterstützt<br />

vom Fonds Schach Schweiz<br />

der Stiftung Accentus.<br />

Nach dem sensationellen Abschneiden<br />

der Hochschulsportler<br />

an den beiden letzten Universiaden<br />

im Winter in China (14 Medaillen)<br />

und im Sommer in Serbien (5 Medaillen)<br />

interessiert sich der<br />

Schweizer Hochschulsport-Verband<br />

(SHSV) mit Präsident<br />

Andreas Csonka für die Durchführung<br />

der Winteruniversiade 2017.<br />

Als langjähriger Partner ist die<br />

Credit Suisse im Stiftungsrat durch<br />

Verwaltungsratspräsident Hans-<br />

Ulrich Doerig vertreten. schi<br />

www.wucc20<strong>10</strong>.ch; www.shsv.ch<br />

SVC Unternehmerpreis Zentralschweiz<br />

Geistlich Pharma dank<br />

Tradition und Qualität<br />

Fotos: Martin Stollenwerk<br />

Hochschulsport<br />

Zürich kürt neue<br />

Schachweltmeister<br />

Trafen sich letztes Jahr in Zürich<br />

sämtliche noch lebenden Schachweltmeister<br />

zu einer viel beachteten<br />

Simultanvorstellung und einem<br />

Rapidturnier, das Vladimir Kramnik<br />

vor Viswanathan Anand gewann, so<br />

werden nun vom 4. bis 12. September<br />

in der Limmatstadt gar Schachweltmeister<br />

erkoren. Bei der elften<br />

World University Chess Championship<br />

sind die Namen der 150 Teilnehmer<br />

aus 20 Nationen zwar etwas<br />

weniger klingend, aber das Niveau<br />

wird trotzdem äusserst hoch sein.<br />

Das Reservoir an Spitzenspielern in<br />

Osteuropa ist unerschöpflich. Die<br />

Teamwertung wurde bis jetzt fünfmal<br />

von Russland gewonnen, je<br />

zweimal schwangen Georgien und<br />

China obenaus, einmal schaffte jedoch<br />

Spanien eine Überraschung.<br />

Diesmal die Schweiz ? Das wäre<br />

wohl zu viel verlangt, aber mit den<br />

internationalen Meistern Oliver<br />

Kurmann, Julien Carron und Monika<br />

Seps an der Spitze stellen die Einheimischen<br />

eine starke Equipe und<br />

Sie produziert im luzernischen<br />

Wolhusen Biomaterialien für die<br />

Regeneration von Knochen und<br />

Gewebe in der Zahnmedizin, Mund-,<br />

Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />

der Ortho pädie und Traumatologie,<br />

und das in einer derart hohen<br />

Qualität, dass Jurypräsident Elmar<br />

Wolge singer den Unternehmerpreis<br />

Zentralschweiz des Swiss Venture<br />

Club dem 1851 gegründeten Familienunternehmen<br />

Geistlich mit<br />

CEO Paul Note an der Spitze zusprach.<br />

Ebenfalls in den Final<br />

gelang ten Arthu r Weber, Opacc<br />

Software, ABL, Enz Technik sowie<br />

Ricardo.ch. schi<br />

www.swiss-venture-club.ch<br />

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Bild oben: Reto Isenegger (links) und Johannes Suter (Dritter von links),<br />

Verwaltungs ratspräsident und CEO der neuen SVC-AG für KMU Risikokapital,<br />

mit Hans-Ulrich Müller (Zweiter von links), Präsident SVC, und Hans-Ulrich<br />

Meister (rechts), CEO Credit Suisse Schweiz. Bild unten: Hans-Ulrich Meister<br />

stellt im Forum St. Peter die neue Tochtergesellschaft der Credit Suisse vor.<br />

«Ein Traum geht für den Swiss Venture Club und mich in Erfüllung»,<br />

erklärte SVC-Präsident Hans-Ulrich Müller anlässlich<br />

der öffentlichen Vorstellung der SVC-AG für KMU Risikokapital<br />

am 3. Juni. Schon seit seiner Gründung habe sich der Swiss<br />

Venture Club stark gemacht für alternative Finanzierungsmöglichkeiten<br />

für Unternehmer, wobei die mit der Credit Suisse realisierte<br />

Mezzanine-Finanzierung ein Meilen stein gewesen sei.<br />

Nun aber sei mit der Gründung einer Risikokapitalgesellschaft<br />

der «logische nächste Schritt» voll zogen worden. «Wir setzen<br />

ein starkes Ausrufezeichen!» Die Credit Suisse stellt dazu <strong>10</strong>0<br />

Millionen Franken zur Verfügung, wie Hans-Ulrich Meister, CEO<br />

Credit Suisse Schweiz, erläuterte. Damit habe sie auf die – gemäss<br />

Sorgen barometer des <strong>bull</strong>etin – seit Jahren grösste Sorge<br />

der Schweize rinnen und Schweizer reagiert: die Arbeitslosigkeit.<br />

Weitere Massnahmen seien die Aufstockung der Lehrstellen<br />

um 25 Prozent, verbunden mit der Garantie der<br />

Weiterbeschäftigung, sowie 30 Millionen Franken für die Initiative<br />

Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (siehe Seite 52)<br />

und <strong>10</strong> Millionen Franken für zusätzliche IT-Lehrstellen. schi<br />

Interview mit Johannes Suter, CEO SVC-AG für KMU Risikokapital<br />

auf Seite 42<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


32 Credit Suisse<br />

Zwei Jubiläen fallen zusammen<br />

kammerorchesterbasel<br />

glänzte in Südamerika<br />

Die Jury freut sich ganz entspannt über das hohe<br />

Niveau beim Investment Game (von links): Wolfgang<br />

Jenewein und Daniel C. Heine, Universität<br />

St. Gallen, sowie Stephan Uebersax, Ursin Bernard<br />

und Hanspeter Ackermann, Credit Suisse Engadin.<br />

Moderne Leadership<br />

«Die Idee des Fussballspiels hat sich<br />

geän dert. Es ist schneller geworden und<br />

erfordert ein besseres Zusammenspiel»,<br />

erklärte Wolfgang Jenewein, ehemaliger<br />

Spitzenfussballer bei 1860 München<br />

und nun an der Universität St. Gallen und<br />

an der Technischen Hochschule Aachen<br />

spezialisiert auf Fragen der Personalführung.<br />

Die 30 jungen Zuhörerinnen und<br />

Zuhörer des Lyceum Alpinum Zuoz erfuhren,<br />

dass diese simple Tatsache<br />

enorm e Konsequenzen hat: Der Spielmacher<br />

kann nicht mehr, sich auf einem<br />

«Bierdeckel­Radius» bewegend, alle<br />

Bäll e verlangen, sondern muss sich ins<br />

Team integrieren und dieses emotional<br />

mitreissen. «Auch die Anforderungen an<br />

den Trainer sind gestiegen, die Zeit der<br />

Spielertrainer ist vorbei.» Jenewein betonte<br />

dies am Boarding School Event in<br />

der Credit Suisse Geschäftsstelle St. Moritz<br />

weniger wegen der Fussballweltmeisterschaft,<br />

sondern vor allem weil<br />

sich diese Bilder auf die Wirtschaft übertragen<br />

lassen. «Der grösste Fehler der<br />

Wirtschaftsführer ist, dass sie zu weni g<br />

Zeit aufs Führen verwenden.» Und<br />

dass sie nicht realisieren, wie die Idee<br />

des Spiels sich geändert hat. Wie sagte<br />

doch der deutsche Teammanager Oliver<br />

Bierhoff: «Sage es mir, und ich werde es<br />

erklären, zeige es mir, und ich werde<br />

mich daran erinnern, involviere mich, und<br />

ich werde es verstehen.» Daneben standen<br />

wie gewohnt eine Einführung in die<br />

Finanzmärkte durch Daniel C. Heine<br />

(sieh e <strong>bull</strong>etin 1/20<strong>10</strong>) und das praxisorientierte<br />

Investment Game im Zentrum<br />

des zweitägigen Anlasses «Invest in your<br />

future». Hanspeter Ackermann, Leiter<br />

Credit Suisse Engadin, sowie Beat und<br />

Ursula Sommer vom Lyceum Alpinum<br />

Zuoz bekräftigten, die Partnerschaft weiter<br />

zu vertiefen. schi<br />

Mehr unter www.credit­suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

Auszeichnungen<br />

für Leadership<br />

Am 16. Juni übergab<br />

Brady Dougan im Forum<br />

St. Peter in Zürich<br />

fünf bankinterne CEO<br />

Leadership Awards.<br />

Gleich zwei der Auszeichnungen<br />

blieben<br />

in der Schweiz: Pascal<br />

Besnard, Private Banking<br />

Genf, erhielt den<br />

Award «Client Leadership»<br />

und John Zafiriou,<br />

Private Banking Zürich,<br />

jenen für «Innovation<br />

Leadership».<br />

Viviane Leurin, Credit<br />

Suisse Luxemburg,<br />

wurde der Award<br />

«Leadership in Compliance<br />

and Control»<br />

zugesprochen, Carol<br />

C. Chan, Credit Suisse<br />

Singapur, gewann den<br />

Award «Leadership<br />

in Diversit y». Den<br />

wich tigsten Preis, den<br />

auf Oswald Aeppli,<br />

Verwaltungsratspräsident<br />

1977–1983, zurück<br />

gehenden Aeppli­<br />

Preis, erhielt Paul<br />

Douglas, Credit Suisse<br />

New York. schi<br />

Das kammerorchesterbasel ist das<br />

Schweizer Orchester, das mit Abstand<br />

am häufigsten im Ausland<br />

spielt und dabei namhafte Solisten<br />

wie etwa Cecilia Bartoli begleitet;<br />

doch den Sprung über den grossen<br />

Teich hat es sich zum Jubiläum<br />

aufge spart. Das vor 25 Jahren gegründete<br />

Spitzenorchester spielte<br />

anlässlich der 200-Jahr-Unabhängigkeitsfeier<br />

Argentiniens in Buenos<br />

Aires. Die Cellistin Sol Gabetta,<br />

die 2004 den Credit Suisse Young<br />

Artist Award erhalten hatte, begeisterte<br />

dabei als Solistin im<br />

gleichsam blinden Zusammenspiel<br />

mit ihrem älteren Bruder Andrés,<br />

der als Konzertmeister fungierte.<br />

Auf der vom 24. Mai bis zum 1. Juni<br />

dauernden Tournee besuchte das<br />

kammerorchesterbasel auch Montevideo<br />

(Uruguay) und São Paulo<br />

(Brasilien). Bianca Veraguth<br />

www.kammerorchesterbasel.ch<br />

Ausstellung in Zürich<br />

Zaha Hadid und die<br />

russische Avantgarde<br />

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C RUISES<br />

Die Skulptur «Aura» im Grieder­Haus<br />

der Credit Suisse in Zürich.<br />

Die Architektin und Künstlerin Zaha<br />

Hadid, die vom «Time Magazine» zu<br />

den <strong>10</strong>0 einflussreichsten Menschen<br />

des Jahres 20<strong>10</strong> gerechnet wird,<br />

hat im Grieder-Haus der Credit Suisse<br />

beim Parade platz ihre Installation<br />

«Aura» (Vene dig, 2008) ausgestellt.<br />

Dies im Zusammenhang mit<br />

ihrer Ausstellung «Zaha Hadid and<br />

Suprematism», die noch bis zum<br />

30. September in der nahe gelegenen<br />

Galerie Gmurzynska gezeigt<br />

wird. In dieser von der Künstlerin<br />

selbst kuratierten Ausstellung wird<br />

die enge Bezie hung zwischen ihrem<br />

Werk und dem der russischen Suprematisten<br />

des frühen 20. Jahrhunderts<br />

aufgezeigt und erforscht.<br />

Zu sehen sind Arbeiten von Illya<br />

Chasni k, El Lissitzky, Kasimir<br />

Malevic h, Alexander Rodchenko<br />

und Nikolai Suetin. schi<br />

Interview mit Zaha Hadid unter<br />

www.credit­suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

6. Zurich Film Festival<br />

Nachwuchsfilmer aus aller<br />

Welt zu Gast in Zürich<br />

Wiederum nehmen 32 junge Regisseure<br />

mit ihrer ersten bis dritten<br />

Arbeit an den drei Wettbewerben<br />

«Internationaler Spielfilm», «Deutschsprachiger<br />

Spielfilm» und «Internationaler<br />

Dokumentarfilm» teil. Die<br />

Eingabefrist dazu ist am 15. Juli<br />

abgelaufen. Geschäftsführerin<br />

Nadja Schildknecht und Karl Spoerri<br />

als Künstlerischer Leiter geben<br />

unter www.zurichfilmfestival.org<br />

laufend aktuelle Informationen<br />

bekann t. Das Nachwuchsfilmfestival<br />

dauert vom 23. September bis zum<br />

3. Oktober. schi<br />

Musikkollegium Winterthur<br />

Saisonauftakt neu mit<br />

Mozart­Festival<br />

Das Musikkollegium Winterthur<br />

überzeugt immer wieder durch seine<br />

Projekte für und mit Jugend lichen,<br />

so zuletzt am 19. Juni mit einem<br />

grossen Edgar-Varèse-Konzert, zu<br />

dem Schülerinnen und Schüler der<br />

Kantonsschulen Rychen berg und<br />

Im Lee ihre eigenen elektronischen<br />

Live-Improvisationen beisteuerten<br />

und jene der International School<br />

Winterthur eine Fotomontage. Zum<br />

Auftakt der neuen Saison führen<br />

die Winterthurer unter der Leitung<br />

von Douglas Boyd vom 25. August<br />

bis zum 25. September ein grosses<br />

Mozart-Festival durch. schi<br />

Mehr unter www.credit­suisse.com/<br />

<strong>bull</strong>etin<br />

Fotos: Fabio Lenzlinger | Martin Stollenwerk<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


34 Credit Suisse<br />

1<br />

2 3<br />

1 Präsentieren ein attraktives Programm (von links): Thomas Oberender (Schauspiel), Markus Hinterhäuser (Konzert), Präsidentin Helga Rabl-Stadler, Intendant<br />

Jürgen Flimm, Kaufmännischer Direktor Gerbert Schwaighofer. 2 Max Reinhardt 1936 bei einer Probe. 3 Jonathan Meese mit Bühnenbildmodell zu «Dionysos».<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 35<br />

Dem klassischen Besitz der Welt dienen<br />

Das Grosse Festspielhaus wird 50 Jahre alt, die Salzburger Festspiele feiern gar ihr<br />

90-jähriges Bestehen – und die Credit Suisse darf sich über ihre fünfjährige Partnerschaft<br />

mit diesem wohl wichtigsten sommerlichen Kulturfest der Welt freuen. Mythen gilt es zu<br />

erforschen, junge Talente zu entdecken – vom 25. Juli bis zum 30. August.<br />

Fotos: Wolfgang Lienbacher | Ellinger | Jan Bauer, Courtesy JonathanMeese.Com | Credit Suisse<br />

Am 22. August 1920 begannen die ersten<br />

Salzburger Festspiele mit einer Aufführung<br />

von Hugo von Hoffmannsthals «Jedermann»<br />

unter der Regie von Max Reinhardt. Sie standen<br />

noch ganz unter dem Eindruck des Grossen<br />

Krieges. Die Gründer, zu denen auch<br />

Richard Strauss, Franz Schalk und Alfred<br />

Roller zählten, wollten «geistigen Frieden»<br />

bringen. Und mit den Festspielen sollte der<br />

«Glaube an Europa» als «Fundament unseres<br />

geistigen Daseins» seinen neuen Ausdruck<br />

finden.<br />

Was in 90 Jahren nicht alles geschah,<br />

was an genau diesem Fundament zweifeln,<br />

verzweifeln, aber, keine Frage, auch hoffen<br />

liess! Die Kultur und nicht zuletzt die Salzburger<br />

Festspiele sorgten für viele lichte<br />

Momente und boten, wie programmatisch<br />

verkündet, «edelsten Genuss», boten «Oper<br />

und Schauspiel, und von beiden das Höchste»,<br />

boten Begegnungen, die zunehmend globalen<br />

und nicht mehr rein europäischen Charakter<br />

aufwiesen.<br />

Die Welt zu Gast in Salzburg<br />

2009 setzten sich die 248 657 Besucherinnen<br />

und Besucher aus 68 Nationen zusammen.<br />

Und betrachtet man die Künstler,<br />

so trifft man ebenfalls auf eine breite Provenienz.<br />

Letztes Jahr führte Daniel Barenboim<br />

mit seinem West-Eastern Divan Orchestra<br />

die Befreiungsoper «Fidelio» auf, dieses Jahr<br />

bringen die Festspiele ein Wiedersehen<br />

mit dem World Orchestra for Peace unter<br />

der Leitung von Valery Gergiev, mit dem die<br />

Credit Suisse 2005 eine Tournee nach<br />

London, Berlin, Moskau und Beijing durchgeführt<br />

hatte. In Salzburg spielt das WOP am<br />

5. August die Symphonien Nr. 4 und 5 von<br />

Gustav Mahler, der vor 150 Jahren, am 7. Juli<br />

1860, im böhmischen Kalischt das Licht<br />

der Welt erblickt hatte.<br />

Im Zentrum stehen heute wie zu Beginn<br />

die «Freuden Mozart’scher Reinheit und<br />

Schön heit». Gegeben wird, mit Premiere am<br />

9. August, «Don Giovanni» unter der musikalischen<br />

Leitung von Yannick Nézet-Séguin<br />

2006 schenkte die Credit Suisse den Salzburger<br />

Festspielen «<strong>10</strong>00 Tears» von Not Vital.<br />

mit Claus Guth als Regisseur. Es spielt das<br />

Hausorchester der Salzburger Festspiele:<br />

die Wiener Philharmoniker. Mit ihnen pflegt<br />

die Credit Suisse eine lange Partnerschaft,<br />

ermöglicht sie doch seit 1993 als Residential<br />

Sponsor die Auftritte dieses Weltklasseorchesters<br />

am Lucerne Festival. Seit 2000<br />

sind die Wiener Philharmoniker wesentlich<br />

mitbeteiligt bei der Jurierung und Verleihung<br />

des mit 75 000 Franken dotierten Credit<br />

Suisse Young Artist Award, den der Cellist<br />

Nicolas Altstaedt (siehe Seite 38) erhält.<br />

So werden die Salzburger Festspiele tatsächlich<br />

immer wieder zu Sommerbegegnungen.<br />

Mit Anne-Sophie Mutter etwa, die<br />

nächste Saison als Artist-in-Residence beim<br />

New York Philharmonic wirkt (Seite 40) und<br />

hier in Salzburg am 8. und <strong>10</strong>. August Wolfgang<br />

Rihms «Gesungene Zeit» aufführt. Damit<br />

sind wir beim Erfolgsrezept der Salzburger<br />

Festspiele angelangt, die, gleichsam in<br />

Ergänzung des traditionellen Kerns, immer<br />

auch den Aufbruch zu anderen Kontinenten<br />

wagen: Scelsi, Sciarrone, Varèse, Rihm.<br />

Am 27. Juli wird Wolfgang Rihms Oper<br />

«Dionysos» uraufgeführt, die rechtzeitig, aber<br />

keinen Tag früher fertig geschrieben wurde<br />

und der die Credit Suisse ihre traditionelle<br />

«Sommerbegegnung» für Journalisten widmet<br />

– und auch das aktuelle <strong>bull</strong>etin Leaderinterview<br />

(siehe Seite 78).<br />

Elektra und Lisa della Casa<br />

Gemäss dem Motto «Mythen. Wo Gott und<br />

Mensch zusammenstossen, entsteht Tragödie»<br />

lassen auch andere Veranstaltungen<br />

den Blick nach hinten – und nach innen – werfen.<br />

Erwähnt sei hier einzig «Elektra» (Premiere<br />

am 8. August) von Richard Strauss und<br />

Hugo von Hoffmannsthal, die von Daniele<br />

Gatti, dem Chefdirigenten des Opernhauses<br />

Zürich, geleitet wird. «Elektra» wird in Salzburg<br />

zum sechsten Mal aufgeführt, das letzte<br />

Mal, 1996, wurde sie von Lorin Maazel<br />

dirigiert, das erste Mal, 1957, finden wir in<br />

der Rolle der Chrysothemis die Schweizerin<br />

Lisa della Casa.<br />

In Salzburg trat Lisa della Casa bis 1960<br />

in 20 Rollen auf. Als Zdenka debütierte sie<br />

1947 in Richard Strauss’ «Ara bella», einem<br />

musikalischen Meisterwerk, bei der Arabellissima<br />

1958 die Titelrolle auf unvergessliche<br />

Weise interpretierte – nachzuhören im Rahmen<br />

der «Festspieldokumente» und bis<br />

13. August nachzusehen in der Ausstellung<br />

über Lisa della Casa und die Salzburger<br />

Festspiele am Paradeplatz in Zürich.<br />

Salzburg bietet aber auch vorausweisende<br />

Begegnungen. Hier erhalten junge Künstlerinnen<br />

und Künstler den letzten Schliff für<br />

eine Karriere, die sie an die meisten grossen<br />

Kulturhäuser bringen wird. Erstmals wird ein<br />

junger Komponist ausgezeichnet, schon länger<br />

wird das Young Directors Project mit<br />

Wettbewerbscharakter durchgeführt. Die<br />

Credit Suisse engagiert sich seit letztem Jahr<br />

beim Young Singers Project. Hier gibt es nur<br />

Sieger, die acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer,<br />

aber auch das Publikum, das zu vier<br />

Meisterkursen Zutritt erhält und am 26. August<br />

das Abschlusskonzert mit Dirigent Ivor<br />

Bolton nicht verpassen sollte. schi<br />

www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


36 Credit Suisse<br />

Erste Bühnenerfahrung<br />

für acht junge Sänger<br />

Junge, noch relativ unerfahrene Sänger stehen plötzlich im Rampenlicht,<br />

weil die Medien unaufhörlich Künstler ohne Falten sehen wollen.<br />

Mit dem Young Singers Project vermitteln die Salzburger Festspiele<br />

diesen Sängerinnen und Sängern wertvolle praktische Erfahrungen.<br />

Das Programm steht Talenten unter 30 Jahren<br />

offen. Ziel ist es, diese Sänger bekannt<br />

zu machen, ihnen eine internationale Bühne<br />

zur Verfügung zu stellen und zusätzliche<br />

Erfahrungen zu vermitteln. «Die praktische<br />

Erfahrung auf der Opernbühne ist genau das,<br />

was dem Nachwuchs oft fehlt», weiss die<br />

Leiterin des Young Singers Project, die<br />

Mezzosopranistin Marjana Lipovšek. «Junge<br />

Sänger finden sich heute oft plötzlich auf<br />

einer Opernbühne wieder, obwohl ihnen jegliche<br />

Erfahrung fehlt. Schuld daran sind<br />

die Medien und die führenden Plattenfirmen,<br />

die attraktive, schöne und vor allem faltenlose<br />

Interpreten sehen wollen. Hinzu kommt,<br />

dass das Publikum heute Zugang zu unzähligen<br />

hervorragenden Einspielungen all jener<br />

Opern hat, deren Aufführung sie beiwohnen.<br />

So können sie die Leistungen der Sänger auf<br />

der Bühne mit den Plattenaufnahmen zu<br />

Hause vergleichen. Für junge Opernsänger<br />

erhöht dies den Druck enorm.»<br />

Den acht ausgewählten Teilnehmenden<br />

steht ein arbeitsreicher Sommer bevor. Für<br />

Eine engagierte Ausbildnerin: Marjana Lipovšek mit Christina Daletska (2009).<br />

indi vi duelle Gesangsstunden sind Marjana<br />

Lipovšek und ihr Mann, der Bass Alfred<br />

Burg staller, zuständig. Daneben gibt es vier<br />

Meisterklassen. Diese werden von bekannten<br />

Künstlern geleitet, zu denen auch die<br />

deutsche Mezzosopranistin Christa Ludwig<br />

sowie der englische Bariton Sir Thomas Allen<br />

gehören. Auch wenn der Name dies suggerieren<br />

mag, geht es beim Young Singers<br />

Project nicht nur um die Gesangsausbildung:<br />

Schauspielerei, <strong>Bewegung</strong>straining, Tanz<br />

und Sprachunterricht gehören ebenfalls zu<br />

den Lehrinhalten, die von Berufsschauspielern<br />

und -tänzern vermittelt werden.<br />

«Unsere Talente haben die Möglichkeit,<br />

Bühnenproben beizuwohnen, hinter die Kulissen<br />

der Salzburger Festspiele zu blicken und<br />

so nachzuvollziehen, wie profes sionelle Opernsänger<br />

sich auf ihre Rollen vorbereiten. Dies<br />

ist eine unschätzbare praktische Erfahrung.<br />

Es werden ihnen auch die Fehler gezeigt, die<br />

man auf einer Bühne unbedingt vermeiden<br />

sollte», fügt Marjana Lipovšek hinzu. Durch<br />

ihre Teilnahme an den Proben können die<br />

Nachwuchssänger sehen, wie berühmte Regisseure,<br />

Dirigenten und Kollegen arbeiten.<br />

Profitieren von langjähriger Erfahrung<br />

Die bekannte Opernsängerin hat die Projektleitung<br />

übernommen, weil sie ihre Erfahrung<br />

mit Nachwuchssängern teilen wollte. «In<br />

meinen jungen Jahren standen mir erfahrene<br />

Opernsänger mit Rat und Tat zur Seite.<br />

Das hat mir sehr geholfen», betont Marjana<br />

Lipovšek. In den vergangenen 30 Jahren ist<br />

sie in mehr als 80 Opernaufführungen, Konzerten<br />

und Liederabenden im Rahmen der<br />

Salzburger Festspiele aufgetreten. «Man wird<br />

nicht über Nacht und selbst nicht innerhalb<br />

von zehn Jahren zu einem Opernstar. Das ist<br />

ein Prozess, der fast ein ganzes Leben lang<br />

dauert. Es gilt, Körper und Seele mit den<br />

Werken zu verbinden. Ein Sänger erreicht<br />

seinen gesanglichen Höhepunkt mit 40 oder<br />

45, wenn nicht sogar erst mit 50 Jahren»,<br />

weiss Marjana Lipovšek. Sie wird die Leitung<br />

des Young Singers Project sicher bis 2012<br />

ausüben. Und warum nicht auch noch darüber<br />

hinaus! «Das ist eine einzigartige Erfahrung,<br />

eine Aufgabe, die ich gerne und mit<br />

ganzem Herzen übernehme.»<br />

Strenges Auswahlverfahren<br />

Die Zulassung zum Young Singers Project<br />

ist sehr begehrt und wird als Qualitätssiegel<br />

betrachtet. Sänger aus der ganzen Welt, von<br />

Chicago bis Salzburg, werden zum Vorsingen<br />

eingeladen. «Die Stimme ist das wichtigste<br />

Qualitätskriterium. Sie muss bereits eine bestimmte<br />

Reife aufweisen», erläutert Marjana<br />

Lipovšek, die am diesjährigen Auswahlverfahren<br />

teilnahm. «Eine weitere Anforderung<br />

ist, dass die Sänger in der Lage sind, die<br />

vorgesehenen Opernpartien zu singen.»<br />

Dieses Jahr werden die Teilnehmenden<br />

Partien aus Mozarts «Don Giovanni», Richard<br />

Strauss’ «Elektra», Charles Gounods<br />

«Roméo et Juliette» und Christopher Glucks<br />

«Orfeo ed Euridice» einstudieren. Abschluss<br />

des Projekts wird ein Konzert sein, das am<br />

26. Au gust um 18 Uhr im grossen Auditorium<br />

der Stiftung Mozarteum in Salzburg stattfindet.<br />

Alle acht Sängerinnen und Sänger –<br />

Lena Belkina, Claudia Boyle, Wladimir Kapshuk,<br />

Antonio Poli, Emily Righter, André<br />

Schuen, Regine Isabella Sturm und Erika<br />

Wueschner – werden vom Mozarteumorchester<br />

Salzburg unter dem Dirigenten Ivor Bolton<br />

begleitet. Dorothee Enskog<br />

www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />

Foto: Wolfgang Lienbacher<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


38 Credit Suisse<br />

unbe deutenden Studenten, sein Lob mitzuteilen.<br />

Umgekehrt hatte ich selber seinem<br />

Meisterkurs so oft wie möglich beigewohnt.<br />

Seine Art zu spielen und zu unterrichten hat<br />

mich in den Bann gezogen. Als er versprach,<br />

mich in seine Klasse aufzunehmen, war das<br />

für mich gewissermassen der musikalische<br />

Ritterschlag.» Tatsächlich konnte Altstaedt<br />

bald schon einen Kurs bei ihm absolvieren,<br />

danach musste er aber noch ein Jahr warten,<br />

bis im Oktober 20<strong>03</strong> in Berlin ein Platz<br />

frei wurde.<br />

Auch menschlich ein Vorbild<br />

Spielt am 24. und 25. Juli sowie am 3. und 4. August am Davos Festival und danach am 24. August und am<br />

17. September am Lucerne Festival: Nicolas Altstaedt, Gewinner des Credit Suisse Young Artist Award 20<strong>10</strong>.<br />

«Boris Pergamenschikow<br />

hat mich stark geprägt»<br />

Nicolas Altstaedt ist der sechste Gewinner des Credit Suisse Young Artist<br />

Award. Am 17. September ist er zusammen mit den Wiener Philharmonikern<br />

unter der Leitung von Gustavo Dudamel am Lucerne Festival zu hören.<br />

«Wenn ich Beet hoven mit Nikolaus Harnoncourt<br />

höre, dann ist das in diesem Moment<br />

das Grösste für mich. Dasselbe gilt aber<br />

auch, wenn Carlos Kleiber ‹Tristan und Isolde›<br />

dirigiert. Es gibt so viele Beispiele, dass<br />

es unfair den anderen gegenüber wäre, wenn<br />

ich Einzelne allzu stark hervorheben würde»,<br />

erklärt Nicolas Altstaedt auf die Frage nach<br />

seinen Vorbildern. «Es gibt viele Künstler, die<br />

ich auf eine ganz eigene, individuelle Art<br />

bewundere und liebe. Gidon Kremer. Friedrich<br />

Gulda. Martha Argerich. Es müssen keineswegs<br />

immer Cellisten sein. Und auch ein<br />

Bild von van Gogh oder eine Kathedrale kann<br />

bei mir ähnliche Emotionen und Inspirationen<br />

auslösen.» Natürlich kommt man danach auf<br />

die verschiedenen Lehrer zu sprechen. Entscheidend<br />

geprägt wurde der junge Cellist<br />

von Boris Pergamenschikow.<br />

«2002 besuchte ich in Lübeck einen Meisterkurs<br />

bei Lynn Harrell. Nach dem Abschlusskonzert<br />

kam Boris Pergamenschikow<br />

auf mich zu und sagte mir, mein Vortrag eines<br />

virtuosen Stücks von Rostropowitsch habe<br />

ihm sehr gefallen», erinnert sich Altstaedt.<br />

«Ich war berührt, dass er sich extra die<br />

Zeit genommen hat, bei den Schülern des<br />

anderen Kurses zuzuhören und mir, dem<br />

«Wir waren eine tolle Klasse, fast wie eine<br />

Familie», schwärmt er. «Wir haben zusammen<br />

gegessen und einander beim Unterricht zugehört.<br />

Pergamenschikow hat sich viel Zeit<br />

für uns genommen und sich rührend um uns<br />

gekümmert. Nie werde ich vergessen, wie er<br />

gleich zu Beginn zu mir sagte: ‹Ich bin dein<br />

Sklave, ich bin jederzeit dafür da, dir zu helfen.›<br />

Das war keine Floskel. Er hat uns nie<br />

von oben herab unterrichtet, sondern jeden<br />

bei der Suche nach seinem eigenen Weg tatkräftig<br />

unterstützt.»<br />

Sein Tod kam 2004 – trotz längerer Krankheit<br />

– letztlich sehr plötzlich und war für seine<br />

Schüler ein tiefer Schock. Um wenigstens<br />

indirekt noch weiter profitieren zu können,<br />

liess sich Altstaedt in einer Übergangsphase<br />

von Pergamenschikows Assistent Claudio<br />

Bohorquez unterrichten.<br />

Die ersten Weichen waren indes bereits<br />

im Kindesalter gestellt worden. Nicolas<br />

Altstaedt, in Heidelberg geboren und in<br />

Gütersloh aufgewachsen, stammt aus einer<br />

Ärztefamilie. «Ich bin aber mit Musik aufgewachsen»,<br />

so der Preisträger des Credit<br />

Suisse Young Artist Award. «Mein Vater<br />

spielte Klavier und Cello und pflegte die<br />

Hausmusik.» Die Söhne erbten gewissermassen<br />

diese beiden Instrumente, Christoph<br />

verlegte sich aufs Klavier, der zwei Jahre<br />

jüngere Nicolas mit etwa sechs Jahren aufs<br />

Cello, dies auch, weil sein Vater fand, seine<br />

kräftigen Hände würden ausgezeichnet zum<br />

Cello passen.<br />

Von französischer in russische Schule<br />

Mit Marcio Carneiro fand Nicolas Altstaedt<br />

in Detmold den idealen Lehrer, bei dem er<br />

fünf Jahre lang blieb. «Ein hervorragender<br />

Cellist. Und ein hoch gebildeter Fanatiker,<br />

der völlig für die Musik lebt. Für mich als<br />

14-Jährigen genau der Richtige», weiss<br />

Nicolas Altstaedt. Seine Mutter ist Französin.<br />

Fotos: Terry Linke | Davos Festival<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 39<br />

Mag sein, dass er deshalb dem Vertreter der<br />

französischen Schule von André Navarra so<br />

zugetan war. Doch nach dem Abitur spürte<br />

Nicolas, dass er dringend eine Veränderung<br />

brauchte. Eine andere musikalische Luft atmen<br />

musste. In einem Meisterkurs lernte er<br />

Ivan Monighetti kennen und ging 2001 für<br />

zwei Jahre zu ihm nach Basel. Monighetti war<br />

ein Schüler von Mstislaw Leopoldowitsch<br />

Rostropowitsch, einem Vertreter der russischen<br />

Schule also – und doch nicht. «Er ist<br />

ein Individualist, nur schwierig einzuordnen.<br />

Ich schätze seine grosse Bandbreite. Er ist<br />

stilkundig in Barockmusik, aber ebenso in<br />

zeitgenössischer Musik.»<br />

Berlin als neuer Lebensmittelpunkt<br />

Eigentlich hätte Altstaedt länger bleiben können.<br />

Aber der Drang zu Pergamenschikow,<br />

einem engen Freund Monighettis, war stärker.<br />

«Ich bin dankbar, dass Ivan Monighetti<br />

Verständnis für meinen Entscheid zeigte»,<br />

blickt er zurück. «2008 hat er mich eingeladen,<br />

in Basel an einem Gedenkkonzert für<br />

Rostropowitsch teilzunehmen. Das war ein<br />

sehr gelungener, stimmungsvoller Anlass – so<br />

hat sich der Kreis geschlossen.»<br />

In Berlin traf Nicolas wieder auf seinen<br />

Bruder Christoph. Dieser hatte noch in Detmold<br />

den Entschluss gefasst, sich ganz aufs<br />

Dirigieren zu konzentrieren, und deshalb bereits<br />

2002 das Young Sound Forum of Central<br />

Europe gegründet.<br />

Nach dem Tode Pergamenschikows studierte<br />

Nicolas Altstaedt drei Jahre bei David<br />

Geringas, bei dem er 2008 das Konzertdiplom<br />

absolvierte. Seit April 2009 arbeitet<br />

er nun mit Eberhard Feltz zusammen. An ihm<br />

schätzt er vor allem die kammermusikalische<br />

und musikphilosophische Kompetenz.<br />

Das Repertoire des jungen Künstlers<br />

umfasst zahlreiche zeitgenössische Komponisten,<br />

so etwa Sofia Gubaidulina. Von<br />

Franghiz Ali-Zadeh interpretierte er beim<br />

Zermatt Festival ein ihm gewidmetes Werk<br />

als Uraufführung. Das Klavierquintett von<br />

Thomas Ades spielte er mit dem Komponisten<br />

in New York. Zu nennen sind auch Wolfgang<br />

Rihm, mit dem er am Davos Festival<br />

zusammenarbeitete, und Wilhelm Killmayer,<br />

den er ganz besonders schätzt. Doch auch<br />

mit der Musik des Barocks und der Klassik<br />

hat der vielseitige Preisträger des Credit<br />

Suisse Young Artist Award keinerlei Berührungsängste.<br />

schi<br />

www.nicolasaltstaedt.com;<br />

www.credit-suisse.com/lucernefestival<br />

Schatzalp ist Zauberberg<br />

«Zum Raum wird hier die Zeit», lautet das Motto des 25. Davos Festival<br />

vom 24. Juli bis zum 7. August für junge Talente aus der ganzen Welt.<br />

Das von Intendantin Graziella Contratto zusammengestellte<br />

Programm von 22 Konzerten<br />

mit 67 jungen Künstlern aus mehr als<br />

<strong>10</strong> Ländern enthält viele Höhepunkte. Die<br />

Wunschkonzerte der Intendanten Michael<br />

Haefliger (1986–1998), Dirk Nabering<br />

(1999–2000) und Thomas Demenga (2001–<br />

2006) etwa. Oder die vom Hornquartett David<br />

Guerrier gespielten Geburtstagsfanfaren.<br />

Und am Freitag, 30. Juli, wird im Hotel<br />

Schatzalp die Oper «Zauberberg – eine Oper<br />

im Kurhotel» uraufgeführt! Auf der gleichen<br />

Schatzalp, wo Literaturnobelpreisträger Thomas<br />

Mann in seinem Roman das legendäre<br />

«Curhaus» ansiedelt. Erst ein Mal wagte sich<br />

zuvor ein Opernkomponist an diesen Stoff<br />

heran, Robert Grossmann, der 2002 die Oper<br />

«Zauberberg» in Chur uraufführte. Und nun<br />

im Jahr 20<strong>10</strong> also Gregory Vajda.<br />

«Nur ein paar wenige Jahre nach meiner<br />

ersten Lektüre von Manns Zauberberg, natürlich<br />

auf Ungarisch, war ich zum ersten Mal<br />

Gast als Young Artist in Davos. Als junger<br />

Klarinettist war ich von diesem Ort hingerissen,<br />

fühlte mich magisch angezogen und<br />

heimisch zugleich. Fast 20 Jahre später kam<br />

ich als Dirigent des Ensemble Laboratorium<br />

2009 zurück», erklärt der 37-jährige Komponist<br />

und Dirigent. «Nach dem Konzert in<br />

der Lobby des Hotels Schatzalp schlug es<br />

mich wie vor den Kopf: Ich sah und hörte –<br />

einer filmischen Traumsequenz nicht unähnlich<br />

– eine Art Oper mit ein paar Sängern und<br />

einem Salonorchester. Ich fühlte mich mitten<br />

Das Hotel Schatzalp hat sich in den letzten Jahren als aussergewöhnlicher Konzertort<br />

etabliert. 2009 weilte Gregory Vajda mit dem Ensemble Laboratorium in Davos.<br />

in die Walpurgisnacht-Party versetzt. Der<br />

Zauberberg ist für mich ‹wortgewordene Musik›.<br />

Der Text ist jedenfalls viel zu musikalisch,<br />

um ihn nicht zu komponieren.»<br />

Ist Manns Zauberberg wortgewordene<br />

Musik, so ist Vajdas Zauberberg musikgewordenes<br />

Wort, ist die Rückführung des<br />

künstlerischen Flusses an seine Quelle. Regisseurin<br />

und Librettistin Bettina Geyer kann<br />

dabei nicht nur mit Künstlern wie Falko Hönisch<br />

(Hans Castorp), Sylvia Vadimova (Clawdia<br />

Chauchat), Michael Leibundgut oder<br />

Reto Hofstetter zusammenarbeiten, sondern<br />

spannt gleich auch noch die Zuschauer als<br />

Kurgäste ein. Gerry Hofstetter, den wir 2009<br />

auf seine Light Art Expedition nach Grönland<br />

begleiteten (siehe <strong>bull</strong>etin 3/2009), rückt zudem<br />

für die Credit Suisse das Hotel Schatzalp<br />

ins beste Licht, ins künstlerische Licht.<br />

«Musikinteressierte mit der Entdeckung<br />

von jungen Spitzentalenten zu überraschen –<br />

das gelingt dem Davos Festival beeindruckend<br />

gut », führt Almiro Carigiet, Leiter Private<br />

Banking Nordbünden der Credit Suisse,<br />

aus und freut sich, dass gleich drei Träger<br />

des internationalen Credit Suisse Young Artist<br />

Award zu hören sein werden. «Die Konzerte<br />

des Pianisten Michael Helmchen, des<br />

Bratschisten Antoine Tamestit und des Cellisten<br />

Nicolas Altstaedt sind eine einmalige<br />

Gelegenheit, Virtuosen zu hören, die inzwischen<br />

auf den grossen Bühnen der Welt zu<br />

Hause sind.» schi<br />

www.davosfestival.ch<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


40 Credit Suisse<br />

New York Philharmonic erstmals<br />

zu Gast in Georgien und Litauen<br />

Das älteste Symphonieorchester der USA und die Credit Suisse haben ihre erfolgreiche Partnerschaft<br />

bis Ende der Saison 2012/2013 verlängert. Verstärkt wird die Zusammenarbeit mit der Unterstützung eines<br />

jährlichen internationalen Bildungsprojekts.<br />

Ein historischer Moment im Mai 20<strong>10</strong>: Das New York Philharmonic spielt sein 15 000. Konzer t.<br />

Das Jahr 1842 ging in die Kulturgeschichte<br />

ein, denn damals wurden mit dem New York<br />

Philharmonic und den Wiener Philharmonikern<br />

gleich zwei der ältesten und renommiertesten<br />

Orchester der Welt ge gründet. Die<br />

Berliner Philharmoniker (1867), das Tonhalle-Orchester<br />

Zürich (1868), das Royal<br />

Concertgebouw Orchestra in Amsterdam<br />

(1888) oder auch das London Symphony<br />

Orches tra (1904) sind erst später entstanden;<br />

aber es gibt natürlich trotzdem einige<br />

noch ältere Orchester, die Sächsische<br />

Staats kapelle Dresden etwa oder das Gewandhausorchester<br />

Leipzig. Was die Anzahl<br />

Konzer te anbelangt, ist das New York Philharmonic<br />

jedoch klar führend: Am 5. Mai<br />

20<strong>10</strong> verbesserte das Orchester mit dem<br />

15 000. Konzert seinen eigenen Weltrekord<br />

und setzte einen weiteren, viel beachteten<br />

musikalischen Meilen stein.<br />

Neu ein Philharmonic-Festival<br />

Das Jubiläumskonzert fand im Rahmen eines<br />

von Alan Gilbert neu geschaffenen dreiwöchigen<br />

Philharmonic-Festivals in der Avery<br />

Fisher Hall im Lincoln Center statt, das<br />

dieses Jahr Igor Strawinsky gewidmet war.<br />

Der bekannte russische Komponist hatte<br />

85 Jahre zuvor mit dem New York Philharmonic<br />

sein Amerikadebüt als Dirigent gegeben.<br />

Geleitet wurde das Festival – und<br />

damit auch das Jubiläumskonzert – von Valery<br />

Gergiev. Der musikalische Leiter des<br />

Mariinskij Teatr in St. Petersburg und Dirigent<br />

des London Symphony Orchestra ist in<br />

New York bestens bekannt, da er von 1997<br />

bis 2008 als Hausdirigent der Metropolitan<br />

Opera gewirkt hat.<br />

Seit seiner Gründung spielten übrigens<br />

1590 Musikerinnen und Musiker als Mitglied<br />

des New York Philharmonic, und knapp<br />

47 Millionen Besucher konnten die 15 000<br />

Musikalische Meilensteine<br />

20<strong>10</strong><br />

5. Mai, 15 000. Konzert, Valery Gergiev<br />

1982<br />

3. Juli, <strong>10</strong> 000. Konzert, Zubin Mehta<br />

1959<br />

13. Dezember, 5000. Konzert, George Szell<br />

1916<br />

3. Mai, <strong>10</strong>00. Konzert, Josef Stransky<br />

Kon zerte live mitverfolgen. Indirekt waren es<br />

natürlich Unzählige mehr, denn kaum ein<br />

anderes Orchester der Welt hat derart viele<br />

Tonträger veröffentlicht wie das New York<br />

Philharmonic. Seit 1922 ist das Orchester<br />

praktisch ununterbrochen im Radio präsent,<br />

und heute gibt es eine preisgekrönte Podcast-Serie<br />

heraus.<br />

Partnerschaft um drei Jahre verlängert<br />

Gary W. Parr, Chairman der New York Philharmonic,<br />

Zarin Mehta, Präsident und Executive<br />

Director des Orchesters, und Paul Calello,<br />

CEO Credit Suisse Investment Banking, nutzten<br />

die Gelegenheit des Jubiläumskonzerts,<br />

um die Verlängerung der globalen Partnerschaft<br />

um weitere drei Jahre bekannt zu<br />

geben, das heisst bis zum Ende der Saison<br />

2012/2013. Die Credit Suisse sei ein fantastischer<br />

Partner des Orchesters, erklärte Parr,<br />

ein Unternehmen mit klarem Bekenntnis zu<br />

Qualität, Integrität und Innovation.<br />

Der bekannte Schauspieler Alec Baldwin,<br />

der jeweils die Radioübertragungen des<br />

Orchesters moderiert, wies generell auf die<br />

Bedeutung von Sponsorpartnern für die klassische<br />

Musik hin und betonte: «Wir können<br />

der Credit Suisse nicht genug dafür danken,<br />

was sie für die Kultur leistet – und speziell<br />

für die Kultur hier in New York.»<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 41<br />

Foto: New York Philharmonic<br />

Paul Calello, der Einsitz in den Vorstand des<br />

New York Philharmonic genommen hat,<br />

unterstrich die Bedeutung der Partnerschaft,<br />

welche den Kunden, den Mitarbeitenden und<br />

der Öffentlichkeit aussergewöhnliche Erlebnisse<br />

ermögliche. Das Orchester leiste zudem<br />

einen wichtigen Beitrag als lebendige<br />

und innovative Institution von New York City<br />

und sei, dank seiner ausgedehnten Tourneen,<br />

ein weltweit hoch geachtetes amerikanisches<br />

Kulturgut.<br />

Die Partnerschaft umfasst alle Konzerte<br />

des Orchesters weltweit sowie jährlich zwei<br />

Tourneen. Seit Beginn der Partnerschaft ermöglicht<br />

die Bank der Bevölkerung von New<br />

York zudem, die Generalprobe des Saisoneröffnungskonzerts<br />

gratis zu besuchen.<br />

Talentförderung und Bildungsprojekte<br />

Wie Toni J. Krein, Leiter Corporate Kultursponsoring<br />

Credit Suisse, erklärt, geniesst<br />

die Unterstützung junger Talente innerhalb<br />

der Bank hohe Priorität. Deshalb verfolgt die<br />

Credit Suisse dieses Ziel auch bei den von<br />

ihr unterstützten Kulturinstitutionen, indem<br />

sie ihnen hilft, den musikalischen Nachwuchs<br />

zu fördern. Das New York Philharmonic<br />

verfügt über ein umfassendes<br />

Förderprogramm sowohl in New York als<br />

auch international. Die Credit Suisse und das<br />

New York Philharmonic verstärken hierbei<br />

die Zusammenarbeit mit der Unterstützung<br />

eines jährlichen internationalen Bildungsprojekts<br />

in Form eines während mehrerer Monate<br />

durchgeführten Programms im Rahmen<br />

der Tourneetätigkeit des Orchesters.<br />

The Europe/Autumn 20<strong>10</strong><br />

Erstmals wird dieses Education Project auf<br />

die Tournee vom Mai 2011 hin umgesetzt.<br />

Zuvor steht aber die Tournee Europe/Autumn<br />

20<strong>10</strong> des New York Philharmonic an. Zwische<br />

n dem 21. Oktober und dem 4. November<br />

besucht das Orchester acht europäische<br />

Länder, darunter erstmals Georgien und<br />

Litauen. Für die Konzerte in Georgien konnte<br />

man als Solistin die aus Georgien stammende<br />

Violinistin Lisa Batiashvili gewinnen.<br />

In Deutschland, Serbien und Luxemburg<br />

hingegen wird Leonidas Kavakos das Violinkonzert<br />

von Jean Sibelius vortragen. Und in<br />

Warschau wird ein dritter Instrumentalist zu<br />

hören sein, nämlich der derzeit noch nicht<br />

bestimmte Gewinner des Internationalen<br />

Frédéric Chopin Klavier-Wettbewerbs 20<strong>10</strong>.<br />

Wie schon im ersten Jahr unter der Leitung<br />

von Music Director Alan Gilbert arbeitet das<br />

Orchester eng mit einem Komponisten und<br />

zwei Künstlern zusammen. Der Finne Magnus<br />

Lindberg, dessen Werk «EXPO» am 16. September<br />

2009 mit Erfolg uraufgeführt wurde,<br />

ist auch in der kommenden Saison als The<br />

Marie-Josée Kravis Composer-in-Residence<br />

tätig und wird ein weiteres Werk komponieren.<br />

Zudem wird am 7. Oktober sein Stück<br />

«Kraft» (1985) als New Yorker Premiere<br />

aufgeführt. Darüber hinaus leitet Lindberg<br />

zusammen mit Alan Gilbert, der dirigieren<br />

wird, am 19./20. November und am 17./<br />

18. Dezember zwei so genannte «CONTACT!»-<br />

Programme. In diesen werden Werke von<br />

James Matheson, Jay Alan Yim und ihm selbst<br />

als Weltpremieren zu hören sein. Zudem wird<br />

der Komponist das Publikum ins Programm<br />

einführen und dieses mit ihm diskutieren.<br />

Anne-Sophie Mutter in New York<br />

Nach dem Bariton Thomas Hampson konnte<br />

neu die deutsche Violinistin Anne-Sophie<br />

Mutter als The Mary and James G. Wallach<br />

Artist-in-Residence der Saison 20<strong>10</strong>/2011<br />

verpflichtet werden. Anne-Sophie Mutter<br />

spielte 1980 erstmals mit dem Orchester zusammen<br />

und begleitete dieses 1996 auf eine<br />

Europatournee. Letztmals trat sie am 2. April<br />

2009 mit dem New York Philharmonic unter<br />

Kurt Masur auf.<br />

Am 18. November wird Anne-Sophie<br />

Mutter, die bekannte Mozart- und Beethoven-<br />

Interpretin, als Weltpremiere «Lichtes Spiel»<br />

von Wolfgang Rihm (siehe Interview Seite 78)<br />

spielen und am 2. Juni 2011 Sebastian<br />

Curriers «Time Machines». Dazu führt sie<br />

am 3. April zusammen mit dem Bassisten<br />

Roman Patkoló als Weltpremieren zwei Kammermusikstücke<br />

von Wolfgang Rihm und<br />

Krzysztof Penderecki auf.<br />

Schliesslich wird im Frühjahr unter dem<br />

Titel «Hungarian Echos» das dreiwöchige<br />

Philharmonic-Festival wieder durchgeführt.<br />

Gastdirigent ist der bekannte finnische Komponist<br />

Esa-Pekka Salonen.<br />

Erwähnenswert ist auch das <strong>10</strong>0. Konz e r t<br />

des Pianisten Emanuel Ax als Solist beim<br />

New York Philharmonic im April 2011. Und<br />

noch etwas später, im Juni 2011, wird Alan<br />

Gilbert «Das schlaue Füchslein» des Komponisten<br />

Leos Janacek aufführen.<br />

Informative Website<br />

Das detaillierte Programm der neuen Saison<br />

20<strong>10</strong>/2011 kann auf der Website des New<br />

York Philharmonic unter http://nyphil.org<br />

eingesehen werden. schi<br />

New York Philharmonic<br />

und Alan Gilbert<br />

Zum dritten Mal begleitet die Credit Suisse als<br />

Global Sponsor das New York Philharmonic<br />

auf einer Europatournee. Sie führt in neun Städte<br />

in acht verschiedenen Ländern. Auf der Europakarte<br />

unten sind auch die Städte eingezeichnet, die<br />

das Orchester 2008 und 2009 besucht hat.<br />

The Europe/Autumn 20<strong>10</strong><br />

21. Oktober<br />

Tiflis<br />

Georgien<br />

22. Oktober<br />

Batumi<br />

Georgien<br />

24. Oktober<br />

Belgrad<br />

Serbien<br />

26. Oktober<br />

Ljubljana<br />

Slowenien<br />

28. und 29. Oktober<br />

Warschau<br />

Polen<br />

30. Oktober<br />

Vilnius<br />

Litauen<br />

1. November<br />

Hamburg<br />

Deutschland<br />

2. November<br />

Paris<br />

Frankreich<br />

3. und 4. November<br />

Luxemburg<br />

Luxemburg<br />

2008 2009 20<strong>10</strong><br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


42 Credit Suisse<br />

Johannes Suter: «Die SVC-AG für KMU Risikokapital kümmert sich nicht nur um Hightechunternehmen,<br />

sondern kann auch das Gewerbe unterstützen, beispielsweise bei einem Management-Buy-out.»<br />

«Unsere Ziele sind Stärkung<br />

des Industriestandorts und<br />

neue Arbeitsplätze»<br />

Die Credit Suisse hat auf die Hauptsorge des Sorgenbarometers des <strong>bull</strong>etin<br />

reagiert und drei Initiativen lanciert: die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit<br />

(siehe Seite 52), die Schaffung von IT-Arbeitsplätzen sowie die Förderung<br />

etablierter und neuer KMU durch Risikokapital. Wir unterhielten uns mit Johannes<br />

Suter, CEO der SVC-AG für KMU Risikokapital (siehe auch Seite 31).<br />

<strong>bull</strong>etin: Die SVC-AG für KMU Risikokapital<br />

wurde am 5. Mai 20<strong>10</strong> gegründet<br />

und verfügt über <strong>10</strong>0 Millionen Franken.<br />

Wie lange reicht dieses Kapital aus?<br />

Johannes Suter: Unser Unternehmen hat<br />

dauerhaften Bestand. Man darf das Wort<br />

«Risiko» nicht falsch verstehen. Es bedeutet,<br />

dass der betreffende Partner die erforderlichen<br />

Kriterien für einen herkömmlichen<br />

Bankkredit nicht erfüllt. In der Regel verfügt<br />

er über zu wenige Eigenmittel, um den geplanten<br />

Entwicklungsschritt vorzunehmen.<br />

Aber wir gehen kein Hasardspiel ein, sondern<br />

investieren nach kaufmännischen Gesichtspunkten<br />

und sind deshalb vom Erfolg des<br />

jeweiligen Geschäftspartners überzeugt. Von<br />

Vorteil für uns ist sicher auch, dass wir<br />

von der Credit Suisse, unserer Muttergesellschaft,<br />

das Kapital zur Verfügung gestellt<br />

bekommen, ohne konkrete Dividendenerwartungen<br />

erfüllen zu müssen und dass wir auch<br />

vom Know-how und von der Vernetzung des<br />

Swiss Venture Club unentgeltlich pro fitieren<br />

können. Es findet ein Kreislauf statt: Die<br />

zurückbezahlten Darlehen mitsamt Zinsen<br />

und Gewinnbeteiligungen werden erneut in<br />

innovative Unternehmen zur Stärkung des<br />

Industriestandorts Schweiz investiert, womit<br />

wiederum neue Arbeitsplätze geschaffen<br />

werden können.<br />

Fragen wir also korrekt: Wann sind<br />

die <strong>10</strong>0 Millionen Franken investiert und in<br />

wie viele Unternehmen?<br />

Wir gehen davon aus, dass wir in drei bis vier<br />

Jahren, das heisst Ende 2013, voll investiert<br />

sind. Unser kleines Team wird schätzungsweise<br />

<strong>10</strong>00 bis 1500 Investment-Anfragen<br />

analysieren und davon rund <strong>10</strong> Prozent an<br />

das Investment Committee weiterleiten. Dieses<br />

wird unsere Anträge nicht einfach abnicken,<br />

sondern sie nochmals sehr kritisch<br />

prüfen. Schliesslich werden 60 bis 80 Investments<br />

in der Höhe von in der Regel maximal<br />

zwei Millionen Franken getätigt.<br />

Wer profitiert ? Beim Begriff Risikokapital<br />

denkt man an Start-up-Unternehmen.<br />

Jungunternehmen gehören selbstverständlich<br />

zu unserer Zielgruppe. Deshalb arbeiten<br />

wir möglichst eng mit den Schweizer Universitäten<br />

und Hochschulen zusammen. Dabei<br />

konzentrieren wir uns auf die Förderung<br />

von Unternehmerprojekten, die kurz vor der<br />

Marktlancierung stehen. Unser Engagement<br />

ist jeweils auf fünf bis sieben Jahre angelegt<br />

und beinhaltet eine enge Begleitung dieser<br />

Jungunternehmer, insbesondere natürlich<br />

deren Unterstützung durch Fachexpertise.<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 43<br />

Fotos: Sebastian Schiendorfer | Martin Stollenwerk<br />

Können sich auch bestehende Unternehmen<br />

an Sie wenden?<br />

Ja, die Mehrzahl unserer Investments wird<br />

etablierte KMU betreffen. Damit wollen wir<br />

die Leistung anerkennen, welche die KMU seit<br />

jeher für den Werkplatz Schweiz er bring e n<br />

Sie sind das Rückgrat unserer Wirtschaft.<br />

2009 hat die Credit Suisse zusammen mit<br />

der Hochschule St. Gallen eine Studie über<br />

Unternehmensnachfolge publiziert. Diese hat<br />

gezeigt, dass innert fünf Jahren ein Viertel<br />

aller Schweizer KMU, die total knapp eine<br />

Million Menschen beschäftigen, eine Nachfolgeregelung<br />

treffen müssen. Dabei fehlt<br />

es für ein vielversprechendes Management-<br />

Buy-out (MBO) oder Management-Buy-in<br />

(MBI) oftmals am nötigen Eigenkapital. In<br />

solchen Fällen sind wir zur Stelle.<br />

Sind weitere Fälle denkbar?<br />

Wir können auch bei der Umsetzung von<br />

innovativen Wachstumsprojekten helfen, die<br />

zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Dabei<br />

kann es sich um neue Produkte oder Dienstleistungen,<br />

die Erschliessung neuer Märkte,<br />

aber auch um Akquisitionen oder Joint Ventures<br />

handeln. Hier dauern die Investitionen<br />

vier bis fünf Jahre. Die Beteiligung wird 49<br />

Prozent des Eigenkapitals nie überschreiten,<br />

und es ist keine kontrollie rende Einflussnahme,<br />

etwa durch Einsitz in den Verwaltungsrat,<br />

vorgesehen.<br />

Was zeichnet die SVC-AG für KMU<br />

Risikokapital speziell aus?<br />

Wir haben zwar klare Regeln aufgestellt hinsichtlich<br />

der Leistungsausweise des Managements,<br />

der branchenüblichen Kennzahlen<br />

und der Schaffung neuer Arbeitsplätze, aber<br />

wir sind gleichzeitig sehr flexibel, sowohl was<br />

die Situation der unterstützten Unternehmen<br />

als auch was die konkrete Finanzierungslösung<br />

anbelangt. Die «ungesicherten» Darlehen<br />

mit Eigenkapitalcharakter, welche die<br />

Finanzierungsstruktur der KMU verbessern,<br />

werden zu vorteilhaften Konditionen gewährt,<br />

dafür profitieren wir dann von einer partnerschaftlichen<br />

Erfolgsbeteiligung.<br />

Wie fielen die ersten Reaktionen aus?<br />

Ich bin erfreut, wie schnell sich unsere Existenz<br />

bei den KMU und an den Hochschulen<br />

herumgesprochen hat, nachdem wir ja erst<br />

am 3. Juni mit Orientierungsveranstaltungen<br />

in Zürich, Bern und Lausanne an die Öffentlichkeit<br />

getreten sind. Und die Reaktionen<br />

sind durchwegs positiv und motivierend. schi<br />

Mehr Informationen unter<br />

www.svc-risikokapital.ch<br />

Die Firmenfahrzeuge<br />

effizient bewirtschaften<br />

Die Credit Suisse Fleetmanagement AG bietet Unternehmen seit zehn<br />

Jahren flexible und kostengünstige Lösungen für eine effiziente Bewirtschaftung<br />

und Finanzierung von Firmenfahrzeugen. Wie gross der Bedarf für solche<br />

Dienstleistungen ist, zeigt das Beispiel der Burkhalter Gruppe, der grössten<br />

Kundin der von Roger Merki geführten Tochtergesellschaft der Credit Suisse.<br />

«Mobilität nimmt bei uns einen sehr hohen<br />

Stellenwert ein. Deshalb ist ein professionelles<br />

Management unserer Fahrzeuge unerlässlich»,<br />

betont Yvonne Lamprecht, Fahrzeugver<br />

antwortliche der Burkhalter Gruppe.<br />

Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich<br />

und rund 2800 Mitarbeitenden bietet Elektrotechnikleistungen<br />

für Wohngebäude, Industrie-<br />

und Gewerbebauten sowie Infrastrukturanlagen<br />

an.<br />

Da die meisten Arbeiten direkt beim Kunden<br />

ausgeführt werden, ist man darauf angewiesen,<br />

dass sich die Firmenfahrzeuge<br />

stets in einwandfreiem Zustand befinden,<br />

damit die Mitarbeitenden einfach und schnell<br />

von Ort zu Ort gelangen. Um die Bewirtschaftung<br />

ihrer Fahrzeugflotte in Bezug auf die<br />

Kosten effizienter und transparenter zu gestalten,<br />

entschloss sich die Burkhalter Gruppe<br />

im Jahr 2001 nach Prüfung verschiedener<br />

Optionen, die gesamte Firmenflotte – es sind<br />

dies bis zu <strong>10</strong>00 Fahrzeuge – von der Credit<br />

Suisse Fleetmanagement AG betreuen zu<br />

lassen. Die hundertprozentige Tochtergesellschaft<br />

der Credit Suisse, die im Mai 20<strong>10</strong> ihr<br />

zehnjähriges Jubiläum feiern konnte, bietet<br />

eine Vielzahl von Lösungen für das professionelle<br />

Management von Firmenfahrzeugen<br />

an. Den Kunden stehen verschiedene im Baukastenprinzip<br />

wählbare Dienstleistungen zur<br />

Verfügung, wie Geschäftsführer Roger Merki<br />

ausführt. Neben dem vollen Angebot von<br />

Finanzierung und Bewirtschaftung der ganzen<br />

Flotte kann beispielsweise auch nur die<br />

Bewirtschaftung oder die Finanzierung ausgelagert<br />

werden. Weiter werden Lösungen für<br />

Kadermitarbeiter sowie die Über nahme einer<br />

bestehenden Flotte ins Leasing angeboten.<br />

Betriebskosten können gespart werden<br />

«Das Flottenleasing ist nur ein erster Schritt<br />

in Richtung Kostenreduktion. Mit der optimalen<br />

Verwaltung der Fahrzeuge können noch<br />

weitere Kosten gespart werden, beispielsweise<br />

bei der Reifenbeschaffung oder beim<br />

Fahrzeugkauf», streicht Roger Merki zwei der<br />

Vorteile hervor. Für den Erfolg sei es wichtig,<br />

dass die Spezialisten des Flottenmanagements<br />

die Bedürfnisse der Kunden umfassend<br />

verstehen. Nur so könnten sie flexible<br />

Lösungen entwickeln, die den individuellen<br />

Anforderungen der Kunden entsprechen. ><br />

Yvonne Lamprecht und Roger Merki besichtigen die gelben Visitenkarten der Burkhalter Gruppe.<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


44 Credit Suisse<br />

Angestrebt werden dabei möglichst langfristige<br />

Partnerschaften, damit die direkten und<br />

indirekten Kosten optimiert werden können.<br />

Eine einheitliche gelbe Visitenkarte<br />

Für den Marktauftritt der Burkhalter Gruppe<br />

ist es zum Beispiel von entscheidender Bedeutung,<br />

dass die ganze Flotte korrekt und<br />

ein heitlich angeschrieben ist. Was heute als<br />

eine Selbstverständlichkeit erscheint, war in<br />

der Vergangenheit nur selten der Fall.<br />

«Unsere gelben Fahrzeuge sind die Visitenkarten<br />

unserer Mitarbeitenden», führt Yvonne<br />

Lamprecht dazu aus. Mit über 40 To c ht e r-<br />

gesellschaften und entsprechenden Submarken<br />

sei das einheitliche Erscheinungsbild<br />

jedoch nicht leicht umsetzbar gewesen.<br />

«Seit wir mit der Credit Suisse Fleet management<br />

AG zusammenarbeiten, können wir<br />

die Fahrzeuge fixfertig beschriftet ausliefern<br />

und somit die Einhaltung un seres Corporate<br />

Design sehr ge nau kontrol lieren», erklärt sie<br />

zufrieden. «Dies ist angesichts des dezentralen<br />

Geschäftsmodells ein grosser Vorteil.»<br />

Bald 5000 Einzelleasingverträge<br />

«Immer mehr Firmen wollen sich auf ihr Kerngeschäft<br />

konzentrieren und das Bewirtschaften<br />

ihrer Fahrzeugflotte auslagern. Dies umso<br />

mehr, als sie auf diese Weise auch ihre<br />

Liquidität schonen können», zieht Christoph<br />

Zeller, Verwaltungsratspräsident der Credit<br />

Suisse Fleetmanagement AG, Bilanz. «Das<br />

Baukastensystem und die Fachkom petenz<br />

der Mitarbeitenden ermöglichen flexible Lösungen.<br />

Mittlerweile bestehen über 4800<br />

Einzelleasingverträge. Flottenleasing ist für<br />

unsere Kunden in der ganzen Schweiz zu<br />

einem Schlüssel für mehr Un terneh menserfolg<br />

geworden.» Wenn die Entwicklung im<br />

gleichen Tempo weitergeht, wird man bald<br />

ein nächstes Jubiläum feiern können – den<br />

5000. Einzelleasingvertrag. Fabienne de Lannay<br />

Wieder vermehrt <strong>Bewegung</strong><br />

in der Geschäftsluftfahrt<br />

Die Jubiläumsausstellung EBACE auf dem Genfer Flughafenareal hat<br />

ein drücklich aufgezeigt, dass die Geschäftsluftfahrt ihre knapp zwei Jahre<br />

dauernde Baisse überwunden hat und allmählich wieder durchstartet.<br />

Dabei erhält neben Sicherheit und Komfort zusehends auch der Umweltschutzaspekt<br />

zusätzliches Gewicht.<br />

An der dreitägigen Business-Aviation-Fachmesse<br />

EBACE (European Business Aviation<br />

Convention & Exhibition) wurden Anfang Mai in<br />

Genf die aktuellen Entwicklungen in der Geschäftsluftfahrt<br />

vorgestellt. So betonte beispielsweise<br />

der Flugzeughersteller Dassault<br />

Falcon seine Anstrengungen im Bereich Umweltschutz.<br />

Gleichzeitig konnte er den Platinum<br />

Safety of Flight Award für 50 Jahre oder<br />

<strong>10</strong>0 000 Flugstunden ohne Unfall entgegennehmen;<br />

vier weitere Unternehmen wurden<br />

für 20 bis 40 unfallfreie Jahre ausgezeichnet.<br />

Verlorene Geschäftszeit ist teuer<br />

« Es ist für die breite Öffentlichkeit nicht einfach,<br />

sich ein stimmiges Bild von der Business<br />

Aviation zu machen. Fest steht: In der<br />

Luft hat es keinen Platz für Abenteurer, welche<br />

ihre eigene Sicherheit und die von anderen<br />

gefährden. Und die Flugzeuge sind mit<br />

wenigen Ausnahmen keine Prestigeobjekte,<br />

mit denen man Luxusreisen unternimmt, mit<br />

dem einzigen Ziel, in die Medien zu kommen»,<br />

meint dazu Michael Rentsch, seit April 20<strong>10</strong><br />

Leiter Aviation Finance Credit Suisse. «Die<br />

Jets unserer Kunden werden gezielt eingesetzt,<br />

um in Regionen, die durch die öffentliche<br />

Luftfahrt nicht gut erschlossen<br />

sind, wertvolle Geschäftszeit zu sparen. Diese<br />

Flüge wurden aus Kostengründen schon<br />

immer auf ein Minimum reduziert.» Wird diese<br />

technologisch hoch spezialisierte wie schillernde<br />

Industrie tatsächlich nur von rationalen<br />

Entscheiden geprägt? «Wir sind ein führender<br />

Anbieter im oberen Segment. Was diese<br />

Kundschaft betrifft, dominieren in erster Linie<br />

unternehmerische Ansätze zur Deckung<br />

der Mobilitätsbedürfnisse», ergänzt Rentsch.<br />

«Allerdings gilt es die hohe emotionale Bindung,<br />

die den Unternehmer mit seinem Flugzeug<br />

verbindet, nicht zu unterschätzen. Nicht<br />

selten ist das Flugzeug sein ‹Zuhause› zwischen<br />

zwei Kontinenten – und dies mehrmals<br />

die Woche. Deshalb wird grosser Wert auf<br />

eine individuelle Innenausstattung gelegt.<br />

Und hier wird in der Regel nicht gespart. Aber<br />

wenn ich sehe, was etwa Jet Aviation in Basel<br />

in Sachen Design und Komfort zus t a n d e<br />

bringt, muss ich gestehen: Mir gefällts.»<br />

Die EBACE ist zwar öffentlich zugänglich,<br />

aber nicht als Publikumsmesse konzipiert. Die<br />

über 11 000 Personen, die vor den 400 Ständen<br />

in der Palexpo und bei den 63 Flugzeug e n<br />

auf dem Static Display für ein or dent liches<br />

Gedränge sorgten, sind also nicht gewöhnliche<br />

Aviatikbegeisterte, sondern meist Business-Aviation-Fachleute,<br />

An wälte, Makler,<br />

Betreiber (Operator) und auch Kaufinteressierte.<br />

Deshalb dient die EBACE auch als<br />

gutes Stimmungsbarometer. Und da könnte<br />

der Kontrast zur letztjährigen Messe kaum<br />

grösser sein. «Der Himmel ist zwar noch<br />

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1 2<br />

1 Michael Rentsch, Leiter Aviation Finance, hat gut lachen: Am Stand der Credit Suisse fanden viele<br />

Gespräche mit Partnern statt. 2 Bei den Business Jets wird Wert auf die Innenausstattung gelegt.<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 45<br />

leicht bedeckt, aber die dunklen Gewitterwolken<br />

haben sich verzogen», veranschaulicht<br />

Michael Rentsch. «Es geht eindeutig<br />

wieder aufwärts, zumal sich ein gewisser<br />

Nachholbedarf bemerkbar macht.»<br />

Piloten, Juristen und Ingenieure im Team<br />

Die letzten zwei Jahre seien auch an der<br />

Credit Suisse nicht spurlos vorbeigegangen,<br />

erklärt Rentsch, aber man gehe gestärkt aus<br />

der Krise hervor. «Spreu und Weizen haben<br />

sich getrennt», begründet er. «Einige Finanzdienstleister,<br />

die allzu knapp kalkuliert haben,<br />

sind vom Markt verschwunden. Umgekehrt<br />

wird unser ganzheitlicher Relationship-Ansatz<br />

noch mehr gewürdigt.» Tatsächlich befinden<br />

sich im rund 20-köpfigen Aviation-Finance-<br />

Team der Credit Suisse neben Finanzspezialisten<br />

auch Piloten, Juristen oder Ingenieure.<br />

Denn bis ein Flugzeug wirklich abheben<br />

kann, muss mehr als nur der Kauf bewerkstelligt<br />

sein. Die Vertragswerke füllen gut und<br />

gerne zwei Bundesordner, und die Kunden<br />

schätzen es, wenn der Finanzspezialist diese<br />

zu lesen versteht.<br />

Michael Rentsch zur Zukunft: «Die Finanzierung<br />

von Business Jets ist ein Nischenprodukt<br />

für Unternehmer mit globalen F i n a n z -<br />

und Mobilitätsbedürfnissen, die oft in jungen,<br />

dynamischen Volkswirtschaften agieren und<br />

investieren. Das grösste Wachstumspotenzial<br />

sehe ich in den BRIC-Staaten, in Brasilien,<br />

Russland, Indien und China.» schi<br />

An der EBACE in Genf wurde eine eindrückliche Flotte verschiedener Geschäftsflugzeuge vorgestellt. In der<br />

globalisierten Wirtschaftswelt sind solche Flugzeuge für viele Unternehmer ein unentbehrliches Hilfsmittel.<br />

Fotos: Cédric Widmer<br />

Ein Märchen geht weiter und erhält einen Preis<br />

Mit Jet Aviation ist die Schweiz 1967 im grossen Stil ins Geschäft mit Businessflugzeugen<br />

eingestiegen. Einer der Pioniere, Elie Zelouf, wurde nun geehrt. Noch wichtiger<br />

ist aber, dass eine Nachfolgeregelung mit Zukunftspotenzial gefunden wurde.<br />

Alljährlich vergeben die Organisatoren der<br />

Ausstellung, die European Business Aviation<br />

Association (EBAA) und die amerikanische<br />

National Business Aviation Association<br />

(NBAA), neben den Sicherheitsauszeichnungen<br />

auch zwei European Business Aviation<br />

Awards. Den einen erhielt der Pariser Flughafen<br />

Le Bourget, weil er sich als erster<br />

euro päischer Flughafen auf Geschäftsflüge<br />

konzentrierte und in den nächsten 20 Jahren<br />

rund 170 Millionen Euro in den Ausbau<br />

investieren will.<br />

Geehrt wurde indes auch Elie Zelouf, ein<br />

«wahrer visionärer Leader der Geschäftsluftfahrt»,<br />

so EBAA-Verwaltungsratspräsident<br />

Rodolfo Baviera in seiner Laudatio. Der Name<br />

Elie Zelouf wiederum ist untrennbar mit<br />

der 1967 von Carl W. Hirschmann in Basel<br />

gegründeten Jet Aviation verbunden. Erst<br />

2009 zog sich Zelouf im Alter von 75 Jahren<br />

in den wohlverdienten Ruhestand zurück –<br />

und doch nicht, denn nach wie vor stellt<br />

er sich an zwei Tagen pro Woche als Berater<br />

zur Verfügung. Jet Aviation hat gewissermassen<br />

die Idee der Geschäftsluftfahrt nach<br />

Europa gebracht und sich zunächst auf die<br />

Wartung und Reparatur von Flugzeugen und<br />

deren elektrischen und elektronischen Geräten<br />

(Avionik) spezialisiert. Später kamen<br />

Airtaxi-Dienstleistungen, Flugzeugmanagement<br />

und Flight-Support, Abfertigung und<br />

Bodendienste sowie Flugzeuginnenausstattungen<br />

hinzu. Mittlerweile beschäftigt das<br />

Unternehmen über 5000 Mitarbeitende und<br />

konnte 2008 auch eine optimale Nachfolgeregelung<br />

umsetzen. «Der Zusammenschluss<br />

mit dem amerikanischen Rüstungskonzern<br />

General Dynamics, zu welchem die Aerospace<br />

Gruppe mit Gulfstream (Flugzeugbauer)<br />

und Jet Aviation gehört, erweist sich<br />

für beide Seiten als Win-win-Situation», betont<br />

Peter Graham Edwards, President Jet<br />

Aviation. «Wir können sehr vom Know-how<br />

und vom globalen Beziehungsnetz von General<br />

Dynamics profi tieren. Deshalb bin ich<br />

sehr zuversichtlich in Bezug auf Arbeitsplätze,<br />

insbesondere jene in der Schweiz.» schi<br />

<br />

Mehr über Jet Aviation unter<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


46 Credit Suisse<br />

Business School:<br />

international tätig,<br />

international akkreditiert<br />

Die Business School der Credit Suisse hat Anfang Juni in Wiesbaden zum<br />

zweiten Mal den CLIP Award erhalten: Diese Auszeichnung der European<br />

Foundation for Management Development (EFMD) belegt, dass die Bank zu<br />

den Besten in der Entwicklung und Förderung ihrer Mitarbeitenden gehört.<br />

Corporate Learning Improvement Process –<br />

kurz CLIP – ist eine der höchsten Anerkennungen,<br />

die unternehmenseigene Weiterbildungsorganisationen<br />

erhalten können.<br />

Wer diesen Zertifizierungsprozess besteht,<br />

hat die Bescheinigung, über ein erstklassiges<br />

und richtungsweisendes Aus- und Weiterbildungsangebot<br />

zu verfügen.<br />

Unternehmen stehen heute mehr denn je<br />

unter Druck und müssen ihre Prozesse für<br />

die Weiterbildung und Entwicklung der Mitarbeitenden<br />

strategisch lenken und einbetten:<br />

Es gilt, die fähigsten Führungspersonen<br />

zu gewinnen und im Unternehmen zu be halten,<br />

Führungskräfte fit zu machen, Strateg i e,<br />

Kompetenzen und Verhaltensweisen miteinander<br />

in Einklang zu bringen sowie Leistungsvermögen<br />

und Innovationskraft zu fördern.<br />

Entsprechend nehmen Weiterbildungsbereiche<br />

in Unternehmen eine strategische<br />

Funktion ein. Das Mandat der Business<br />

School basiert denn auch auf den strategischen<br />

Geschäftszielen der Bank und beinhaltet<br />

die konsequente Beurteilung, Förderung<br />

und Weiterbildung der Mitarbeitenden<br />

sowie der Führungskräfte weltweit.<br />

Der Qualität verpflichtet<br />

Wie bedeutend und wirksam eine Lernor ganisation<br />

ist, zeigt sich einerseits in der internen<br />

Qualitätskontrolle. Andererseits ist ein<br />

anspruchsvolles externes Assessment ein<br />

geeigneter Gradmesser für die Effektivität.<br />

CLIP – basierend auf der EQUIS-Qualitätsbeurteilungs-Methode<br />

– identifiziert die<br />

Schlüsselfaktoren, die für Lernorganisationen<br />

erfolgsbestimmend sind. Die Business<br />

School hat diesen Prozess nun zum zweiten<br />

Mal durchlaufen, nachdem sie bereits 2005<br />

als erste Bank mit dem CLIP Award ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Nach einer umfassenden Selbstbeurteilung,<br />

die einem detaillierten Kriterienraster<br />

Übergabe des CLIP Award an Siegfried Hoenle<br />

(Zweiter von links) in Wiesbaden.<br />

folgt, überprüften im Mai dieses Jahres mehrere<br />

EFMD-Repräsentanten die Business<br />

School auf Herz und Nieren. Die Grundlage<br />

dazu bildete eine breite Palette von Kriterien,<br />

deren Erfüllung zusätzlich durch Interviews<br />

mit Kunden und Stakeholdern der Business<br />

School beurteilt wurde: Dazu gehören etwa<br />

Positionierung und Angebot der Lernorganisation,<br />

die Qualität des Lernprozesses, Instrumentarien<br />

für das Messen des Lernerfolgs,<br />

Innovationen oder die globale Ausrichtung.<br />

Zur Qualitätskontrolle gehören selbstredend<br />

auch extensive Gespräche mit den<br />

internen Partnern im Linienmanagement:<br />

Trägt die Business School zur Erreichung<br />

strategischer Ziele bei? Versteht die Business<br />

School den internen und externen<br />

Markt ? Wie wird die Qualität der Prozesse<br />

und Programme beurteilt ? Welches ist die<br />

Kernkompetenz der Lernorganisation? Misst<br />

diese den Einfluss der Lernprogramme auf<br />

den Geschäftserfolg und wie? Für die CLIP-<br />

Rezertifizierung wurden innerhalb von zwei<br />

Tagen Interviews mit 27 Führungspersönlichkeiten<br />

in der Credit Suisse geführt, unter<br />

anderen mit Walter Berchtold, CEO Private<br />

Banking, Kai Nargolwala, CEO APAC, sowie<br />

Pamela Thomas-Graham, Chief Talent,<br />

Branding and Communications Officer, zu<br />

deren Verantwortungsbereich die Business<br />

School gehört.<br />

«Die Messlatte war hoch gelegt – als<br />

‹Areas of Excellence› der Business School<br />

wurden besonders folgende hervorgehoben:<br />

Integration von Human Capital Management,<br />

Lernen und Organisationsentwicklung, globale<br />

Positionierung der Business School,<br />

Integration im Bereich Human Resources,<br />

Nähe zu den internen Partnern und unsere<br />

mannigfaltigen Lernmethoden», sagt Siegfried<br />

Hoenle, Leiter Business School. «Es<br />

ist das Ziel der Business School, die Mitarbeitenden<br />

zu befähigen, zum Erfolg der<br />

Bank beizutragen – dies wurde nun erneut<br />

auch extern anerkannt, und darauf sind wir<br />

stolz.» Nicole Baumann<br />

4883 Kurse, 70 000 Teilnehmende<br />

Die Vermittlung und Förderung<br />

von Fachwissen gehört zu den<br />

Kern aufgaben der Business School.<br />

In enger Zusammenarbeit mit den<br />

Geschäftsbereichen verfeinert sie<br />

laufend ihr Angebot im Bereich<br />

Leadership und Management und<br />

unterstützt die Mitarbeitenden darin,<br />

ihre Führungskompetenzen<br />

zu festigen. Um einen leichten Zugang<br />

zu relevantem Wissen zu ermöglichen,<br />

investiert die Business<br />

School kontinuierlich in techno logie<br />

basierte Methoden. 2009 führte<br />

die Business School 4883 Kurse<br />

durch, wovon 587 Leadership Trainings.<br />

Fast 70 000 Teilnehmende<br />

weltweit besuchten ein Angebot<br />

der Business School, und 495 0 50<br />

Mit arbeitende absolvierten einen<br />

E-Learning-Kurs. Zude m stellt<br />

die Business School mit den weltweiten<br />

Human-Capital-Management-Prozessen<br />

wirksame Instrumente<br />

für die Planung und Umsetzung<br />

aller Entwicklungsm a s s -<br />

nahmen der Mitarbeitenden zur<br />

Verfügung. Dazu gehören Performance<br />

Management, Beförderungsprozesse,<br />

die Einschätzung<br />

des Entwick lungspotenzials oder<br />

auch die Nach folgeplanung für<br />

das Unternehmen.<br />

Fotos: Credit Suisse | Dirk Altenkirch<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 47<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

Credit Suisse AG<br />

Postfach 2<br />

CH-8070 Zürich<br />

Telefon +41 44 333 11 11<br />

Fax +41 44 332 55 55<br />

Redaktion<br />

Daniel Huber (dhu, Chefredaktion), Dorothee Enskog (de; Wirtschaft<br />

International), Mandana Razavi (mar; Corporate Citizenship),<br />

Andreas Schiendorfer (schi; Markt Schweiz, Sponsoring);<br />

Regula Brechbühl (rb), Valérie Clapasson Fahrni (cfv), Michael<br />

Krobath (mk), Fabienne de Lannay (fdl)<br />

E-Mail<br />

redaktion.<strong>bull</strong>etin@credit-suisse.com<br />

Mitarbeit an dieser Ausgabe<br />

Nicole Baumann, Maria Becker, Ute Eberle, Christian<br />

Etzensperger, Thomas Herrmann, Anja Hochberg, Ian Lewis,<br />

Max Nyffeler, Mathias Plüss, Andreas Russenberger, Stefanie<br />

Schramm, Claude Settele, Bernard Van Dierendonk<br />

Internet<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

Marketing<br />

Veronica Zimnic (vz)<br />

Korrektorat<br />

Claudia Marolf, notabene<br />

Übersetzungen<br />

Credit Suisse Language Services<br />

Gestaltung<br />

www.arnold.inhaltundform.com:<br />

Arno Bandli, Raphael Bertschinger, Monika Häfliger,<br />

Karin Cappellazzo (Projektmanagement), Carola Bächi<br />

(Korrektorat)<br />

Reto Leibundgut, Scent of Matter, 20<strong>10</strong><br />

Gesamtansicht des Kunst-und-Bau-Projekts im Innenhof mit Wandrelief und<br />

zugehöriger Bepflanzung mit Bodengrün und Sträuchern sowie mit Parkbänken.<br />

Scent of Matter, 20<strong>10</strong><br />

Scent of Matter, ein Wandrelief von Reto Leibundgut im Innenhof der Credit<br />

Suisse Basel-Untere Rebgasse, besteht aus vorgefundenen, teils polierten<br />

Restplattenstücken von Steinmetzbetrieben: Marmor, bunter Granit, Schiefer,<br />

Travertin und aussereuropäische Steine formieren sich zu einer kostbar erscheinenden<br />

künstlerischen Intervention, die je nach Wetter- und Lichtsituation<br />

im Innenhof immer neue Farbschönheit gewinnt. Das Materialrecycling ist<br />

Programm: Nichts wurde zugeschnitten, sondern vor Ort nach Form und Grösse<br />

zusammengefügt und montiert. Verkantungen und Lücken zwischen den<br />

Platten wurden belassen. Das virtuoser Arbeit entsprungene Steinrelief aus Restmaterial<br />

ist wie viele Arbeiten des Berner Oberländer Künstlers auch ein Werk<br />

der Antiperfektion, das unsere heutige zu absoluter maschineller Exaktheit<br />

getriebene Handwerkswelt konterkariert. Es entsteht ein sich über alle Etagen<br />

des Bankgebäudes spannendes Werk, das den nüchternen Innenhof in ein<br />

beziehungsreiches Schauspiel verwandelt. Mehr Informationen unter<br />

www.credit-suisse.com > Wir über uns > Sponsoring > Kunst > Sammlung<br />

Credit Suisse Maria Becker<br />

Inserate<br />

print-ad kretz gmbh, Andrea Hossmann und Esther Kretz,<br />

General-Wille-Strasse 147, CH-8706 Feldmeilen,<br />

Telefon +41 44 924 20 70, <strong>bull</strong>etin@kretzgmbh.ch<br />

Beglaubigte WEMF-Auflage 2009<br />

145 504<br />

ISSN-Registrierung<br />

ISSN 1423-1360<br />

Druck<br />

Swissprinters Zürich AG<br />

Redaktions kommission<br />

Richard Bachem (Head Marketing Private and Business<br />

Banking Switzerland), René Buholzer (Head Public Policy), Urs<br />

P. Gauch (Leiter Firmenkunden Schweiz – Grossunternehmen),<br />

Fritz Gutbrodt (Direktor Credit Suisse Foundation), Anja Hochberg<br />

(Head Investment Strategy Asset Management), Angelika<br />

Jahn (Investment Services & Products), Bettina Junker Kränzle<br />

(Head Internal Corporate Publishing & Services), Hanspeter<br />

Kurzmeyer (Head Private Clients Switzerland), Martin Lanz<br />

(Economic Research), Andrés Luther (Head Group Communications),<br />

Charles Naylor (Head Corporate Communications),<br />

Christian Vonesch (Head Private & Business Banking Aarau)<br />

Erschei nt im 116. Jahrgang<br />

(5 x pro Jahr in deutscher, französischer, italienischer und<br />

englischer Sprache) Nachdruck von Texten gestattet mit dem<br />

Hinweis «Aus dem <strong>bull</strong>etin der Credit Suisse».<br />

Adress änderungen<br />

Bitte schriftlich und unter Beilage des Original-Zustellcouverts<br />

an Ihre Credit Suisse Geschäftsstelle oder an:<br />

Credit Suisse AG, SULA 213, Postfach <strong>10</strong>0, CH-8070 Zürich.<br />

Diese Publikation dient nur zu Informationszwecken.<br />

Sie bedeutet kein Angebot und keine Aufforderung seitens<br />

der Credit Suisse zum Kauf oder Verkauf von Wertschriften.<br />

Hinweise auf die frühere Performance garantieren nicht<br />

notwendi gerweise positive Entwicklungen in der Zukunft.<br />

Die Analysen und Schlussfolgerungen in dieser Publikation<br />

wurden durch die Credit Suisse erarbeitet und könnten<br />

vor ihrer Weitergabe an die Kunden von Credit Suisse bereits<br />

für Transaktionen von Gesellschaften der Credit Suisse<br />

Group verwendet worden sein. Die in diesem Dokument vertretenen<br />

Ansichten sind diejenigen der Credit Suisse<br />

zum Zeitpunkt der Drucklegung. (Änderungen bleiben vorbehalten.)<br />

Credit Suisse ist eine Schweizer Bank.<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


48 Credit Suisse<br />

Die Credit Suisse arbeitet weltweit<br />

treibhausgasneutral<br />

Seit mehr als zehn Jahren setzt sich die Credit Suisse aktiv für den Klimaschutz ein.<br />

In der Schweiz arbeitet sie bereits seit 2006 treibhausgasneutral. Durch unsere<br />

globale Initiative Credit Suisse Cares for Climate, die 2007 ins Leben gerufen wurde,<br />

haben wir die Treib hausgasneutralität nun auch global erreicht.<br />

Im Naturpark rund um das Verwaltungszentrum Uetlihof in Zürich finden sich unter anderem kleine Teiche und Feuchtwiesen. Er bietet heute Lebensraum<br />

für rund 350 verschiedene Pflanzenarten und wurde mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise von der Stiftung Natur & Wirtschaft.<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 49<br />

Foto: Alberto Venzago<br />

Der Klimawandel gehört zu den grössten<br />

Herausforderungen der Gegenwart. Basierend<br />

auf Beobachtungen der Vergangenheit<br />

und Prognosen für die Zukunft sagt<br />

die Wis senschaft global steigende Durchschnittstemperaturen<br />

voraus. Hitzewellen,<br />

schmelzende Gletscher und Polkappen sowie<br />

Dürren sind als wahrscheinliche Folge<br />

dieser Entwicklung bereits heute spürbar.<br />

Da durch die Zunahme wetterbedingter<br />

Naturereignisse neben ökologischen und gesellschaftlichen<br />

Auswirkungen auch volkswirtschaftliche<br />

Schäden verursacht werden,<br />

sucht die Staatengemeinschaft intensiv nach<br />

Massnahmen, um dem weltweiten Klimawandel<br />

zu begegnen.<br />

Entsprechend war das Ziel der Klimakonferenz<br />

vom Dezember 2009 in Kopenhagen,<br />

gemeinsam ein Nachfolgeabkommen<br />

für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu<br />

erarbeiten. Die ernüchternden Ergebnisse<br />

nach der Konferenz verdeutlichten jedoch<br />

einmal mehr, vor welch komplexen Herausforderungen<br />

die Weltgemeinschaft steht –<br />

zumal sich Grossmächte, Schwellenländer<br />

und Kleinstaaten über die notwendigen<br />

Massnahmen uneins sind. Gefragt sind aber<br />

nicht nur Regierungen, auch Unternehmen<br />

sind dringend zum Handeln aufgerufen.<br />

Hans-Ulrich Doerig, Präsident des Verwaltungsrats<br />

der Credit Suisse, über die Rolle<br />

von Unternehmen in der Klimadebatte: «Neben<br />

unserer gesellschaftlichen Verantwortung<br />

liegt es auch in unserem wirtschaftlichen<br />

Interesse, Massnahmen gegen den<br />

Klimawandel zu ergreifen, statt unkalkulierbare<br />

Risiken einzugehen und später möglicherweise<br />

Schäden beheben zu müssen.<br />

Ich bin überzeugt, dass ein global wirksamer<br />

Klimaschutz auch wirtschaftlich von grosser<br />

Tipps zur CO 2 -Reduktion:<br />

1. Elektronische Geräte nicht im<br />

Stand-by-Modus laufen lassen.<br />

2. Bei Verlassen eines Raums<br />

Lichter löschen. Glühbirnen<br />

durch Energiesparlampen<br />

ersetzen.<br />

3. Strom aus erneuerbaren Energien<br />

beziehen.<br />

4. Konsequent rezyklieren.<br />

5. Wann immer möglich, öffent liche<br />

Verkehrsmittel benutzen oder<br />

zu Fuss gehen.<br />

6. Geschäftsflüge kompensieren<br />

und soweit als möglich durch<br />

Videokonferenzen ersetzen.<br />

Bedeutung ist.» So engagierte sich auch die<br />

Credit Suisse im Vorfeld des Klimagipfels für<br />

verbindliche und international abgestimmte<br />

Rahmenbedingungen, die ein klimaschonendes<br />

Wirtschaften fördern. Sie unterstützte<br />

unter anderem einen Brief des WWF an den<br />

Schweizer Bundesrat und nahm an der Vernehmlassung<br />

zur Re vision des Schweizer<br />

CO 2 -Gesetzes teil. Darüber hinaus unterzeichnete<br />

Brady W. Dougan, CEO der Credit<br />

Suisse, im Jahr 2008 zusammen mit weiteren<br />

Wirtschaftsführern an die Regierungschefs<br />

der G8-Staaten gerich tete Empfehlungen<br />

zur Klimapolitik.<br />

Globale Initiative für den Klimaschutz<br />

Bereits seit 2006 arbeitet die Credit Suisse<br />

als erstes Grossunter neh men in der Schweiz<br />

treibhausgasneutral. Um dieses Ziel auch<br />

global zu erreichen, wurde 2007 die globale<br />

Initiative Credit Suisse Cares for Climate lanciert.<br />

Mit Erfolg: Seit Juni 20<strong>10</strong> ist die Credit<br />

Suisse nun weltweit treibhausgasneutral. «Angesichts<br />

der grossen Herausforderungen, vor<br />

denen die Staatengemeinschaft steht, wollen<br />

wir unser Engagement für den Klimaschutz<br />

möglichst ef fektiv gestalten. Mit der Initiative<br />

setzen wir daher sowohl auf Massnahmen zur<br />

Verbesserung der eigenen Klimabilanz als<br />

auch auf Bereiche, in denen wir durch unsere<br />

Funktion als globaler Finanzdienstleister<br />

die Rolle eines Katalysators einnehmen können.<br />

Ob im Kontakt zu unseren Mitarbeitenden,<br />

Kunden und Geschäftspartnern oder im<br />

Dialog mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik<br />

und weiteren Gruppierungen: Wir wollen<br />

möglichst viele Ansatzpunkte nutzen, um<br />

Fortschritte beim Klimaschutz zu erzielen»,<br />

erklärt René Buholzer, Leiter der Abteilung<br />

Public Policy.<br />

Klimabilanz verbessern<br />

Um die betrieblich verursachten Treibhausgas<br />

emissionen zu senken – 2009 waren<br />

dies konzernweit knapp 273 000 Tonnen –<br />

setzt die Credit Suisse bei den grössten CO 2 -<br />

Verursachern an, dem Energieverbrauch der<br />

Gebäude und den Geschäftsflügen. So wird<br />

der Energieverbrauch in allen Niederlassungen<br />

konsequent optimiert, bei Neu- und Umbauten<br />

wird in energiesparende Technik,<br />

hoch isolierende Baustoffe sowie eine energieeffiziente<br />

IT-Infrastruktur investiert. «Für<br />

die Schweizer Liegenschaften haben wir<br />

eigens eine spezielle Software entwickelt,<br />

um einerseits beim Energieverbrauch Transparenz<br />

zu schaffen und andererseits die<br />

Bereiche zu identifizieren, in denen Optimierungen<br />

den grössten Nutzen bringen. Zudem<br />

erarbeiten wir zusammen mit unseren Liegen<br />

schaftsdienstleistern verbindliche Vorgaben<br />

zur Steigerung der Energieeffizienz<br />

unserer Gebäude. Durch die Sensibilisierung<br />

und Einbindung unserer externen Partner<br />

wollen wir dem Klimaschutz auch über unser<br />

eigenes Unternehmen hinaus mehr Dynamik<br />

verleihen», erklärt Rolf Krummenacher, Head<br />

of Corporate Real Estate and Services<br />

Switzer land, die verschiedenen betrieblichen<br />

Massnahmen.<br />

Im Wissen darum, welche Bedeutung dem<br />

Einsatz von klimaschonenden Energieträgern<br />

zukommt, ersetzt die Credit Suisse zudem<br />

gezielt fossile durch erneuerbare Energien<br />

wie Wasser- und Windkraft sowie Sonnenenergie.<br />

Für 20<strong>10</strong> wurden beispielsweise in<br />

der Schweiz neue Stromverträge abgeschlossen,<br />

im Rahmen derer die Bank weiterhin <strong>10</strong>0<br />

Prozent Energie aus zertifizierter Wasserkraft<br />

für ihre rund 400 Gebäude in der Schweiz<br />

bezieht. Verbleibende Emissionen werden<br />

mit hochwertigen Emissionsreduktionszertifikaten<br />

kompensiert. «Durch all diese Massnahmen<br />

konnten wir seit Anfang 2007 die<br />

Energieeffizienz weltweit steigern, den Energieverbrauch<br />

auf tiefem Niveau stabilisieren<br />

und die resultierenden Gesamtemissionen<br />

sogar leicht senken», so Krummenacher. Gewisse<br />

Herausforderungen bleiben jedoch<br />

bestehen: «Mit einem Anteil von rund einem<br />

Viertel an unseren Gesamtemissionen stellen<br />

Geschäftsflüge unverändert einen grossen<br />

Posten in unserer Klimabilanz dar. Um möglichst<br />

viele Flüge einzusparen, motivieren wir<br />

unsere Mitarbeitenden daher aktiv, für kürzere<br />

Strecken den Zug zu nutzen oder auf<br />

Telefon- und Videokonferenzen auszuweichen»,<br />

erklärt Krummenacher weiter.<br />

Mitarbeitende sensibilisieren<br />

Ein weiteres wichtiges Ziel der Initiative ist<br />

es, das Engagement für den Klimaschutz<br />

auch bei den Credit Suisse Mitarbeitenden<br />

zu verankern. Durch Aufklärungskampagnen<br />

wie der Energieeffizienzwoche in Zürich werden<br />

die Mitarbeitenden für Klimathemen<br />

sensibilisiert und im beruflichen wie im privaten<br />

Umfeld zum Energiesparen animiert.<br />

Zudem wurde ein interaktives Lernprogramm<br />

entwickelt, das ein Modul zum Umwelt- und<br />

Klimaschutz enthält. Mandana Razavi<br />

Mehr Informationen zum Thema unter<br />

www.credit-suisse.com/verantwortung/<br />

initiativen<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


50 Credit Suisse<br />

Schulbildung für Tansanias<br />

Nomadenkinder<br />

Die Lebensweise nomadischer Hirtenvölker in Tansania ist bedroht, denn sie<br />

konkurrieren mit sesshaften Dorfgemeinschaften um immer knapper werdende<br />

Ressourcen. Um überhaupt eine Chance in der sich schnell wandelnden<br />

Gesellschaft zu haben, müssen die Nomadenkinder die Schule besuchen<br />

können. Ein Schulbildungsprojekt eröffnet jetzt neue Möglichkeiten.<br />

Gemäss einem der Millenniumsentwicklungsziele<br />

der Vereinten Nationen zur weltweiten<br />

Armutsbekämpfung soll allen Kindern<br />

der Welt eine komplette Grundschulbildung<br />

ermöglicht werden. Auf dem Weg zu diesem<br />

Ziel sind Fortschritte zu verzeichnen: Zwischen<br />

1999 und 2006 fiel die Zahl der Kinder<br />

im Grundschulalter, die keine Schule besuchen,<br />

von <strong>10</strong>3 Millionen auf 73 Millionen.<br />

Dennoch bleibt weiterhin viel zu tun, insbesondere<br />

in Afrika, wo noch immer mehr als<br />

35 Millionen Kinder nicht eingeschult sind.<br />

Nirgendwo ist dieses Problem schwieriger zu<br />

lösen als unter den Hirtenvölkern. Die Lebensweise<br />

der nomadischen Viehhüter ist bedroht,<br />

kulturelle und sprachliche Eigen heiten drängen<br />

sie ins gesellschaftliche Abseits und erschweren<br />

die Eingliederung ihrer Kinder<br />

in das Schulsystem. Dank Partner schaft e n<br />

zwischen Lokalbehörden, Nichtre gie rungsorganisationen<br />

(NGOs), Wohl tätigkeits organisationen<br />

und deren Förderern verbessert<br />

sich die Situation nun aber langsam.<br />

Neue Chancen<br />

In Tansania versucht die Wohltätigkeitsorganisation<br />

CARE, unterstützt von der Credit<br />

Suisse, Kinder aus Hirtenvölkern vermehrt<br />

ins allgemeine Schulsystem einzugliedern.<br />

Seit Dezember 2008 realisieren CARE und<br />

die Credit Suisse gemeinsam ein Projekt,<br />

das 3500 Kindern aus vier Gemeinden der<br />

Region Morogoro im südlichen Zentraltansania<br />

eine qualitativ gute Grundschulbildung<br />

ermöglicht. Die schulische Infrastruktur wurde<br />

verbessert, die Unterrichts- und Lernqualität<br />

wurden ebenso gestärkt wie die Verantwortung<br />

und das Engagement der Gemeinden<br />

für die Schulbildung. Mit SAWA<br />

unterstützt eine lokale NGO die Durchführung<br />

und Kontrolle des Projekts.<br />

«Die Nomadenvölker erkennen zunehmend,<br />

wie wichtig die Schulbildung ihrer Kinder ist,<br />

um deren künftiges Auskommen zu sichern»,<br />

erklärt Stephanie Baric, Programmleiterin<br />

von CARE. «Die Eltern haben zwar nicht<br />

aufgehört umherzuziehen, aber sie lassen<br />

es allmählich zu, dass ihre Kinder zurückbleiben<br />

und ihre Ausbildung ohne Unterbrüche<br />

absolvieren.» Dies spiegelt sich in der<br />

Zahl von Kindern, die in den vier zum Projekt<br />

zählenden Schulen angemeldet sind: Die<br />

Anmeldungen stiegen zwischen März und<br />

Oktober 2009 um 33 Prozent auf insgesamt<br />

<strong>10</strong>66 Schü ler. Dieser Wert wurde erreicht,<br />

bevor das gesamte Spektrum an strukturellen<br />

Verbesserungen und Bemühungen zur Gemeinschaftsmobilisierung<br />

umgesetzt wurde.<br />

Mädchen im Fokus<br />

Die Schulen sind bereits gemischt, doch<br />

möchte man vor allem Mädchen den Schulbesuch<br />

ermöglichen, zumal sie – wie in vielen<br />

anderen Kulturen auch – hier oft von der Bildung<br />

ferngehalten werden, damit sie häusliche<br />

Pflichten übernehmen können. Mariam<br />

Seleka, zweitältestes Kind in ihrer Familie,<br />

ist eines der Mädchen, die von dem Projekt<br />

profitieren. Sie wurde 2006 zusammen mit<br />

ihrem älteren Bruder Majku eingeschult,<br />

aber ein Jahr später wieder von der Schule<br />

genommen. «Meine Eltern konnten sich die<br />

Uniformen und Schulgebühren für mich und<br />

meinen Bruder nicht leisten und mussten<br />

Die Bildungsinitiative der Credit Suisse<br />

sich entscheiden, ob ich weiter zur Schule<br />

gehen sollte oder Majku. Weil Majku ein<br />

Jung e ist, durfte er in der Schule bleiben. Zu<br />

Hause musste ich Wasser holen, Holz<br />

sammeln, kochen und mich um meine jüngeren<br />

Geschwister kümmern.» Mariam blieb<br />

schlicht keine Zeit, um richtig lesen und<br />

schreiben zu lernen. Doch als CARE und<br />

SAWA in ihrem Dorf ein Non-Formal Education<br />

Center (NFE) einrichteten, konnte sie<br />

ihre Grundschulausbildung fortsetzen. «Ich<br />

lernte lesen und schreiben und konnte in<br />

meine reguläre Schule zurückkehren. Auch<br />

an der Schule hatte sich in der Zwischenzeit<br />

einiges geändert: Die Lehrer schienen interessierter<br />

und besser vorbereitet zu sein.<br />

Und wir verfügten über neues Material. Es<br />

gab sogar eine Bibliothek mit Büchern und<br />

Zeitungen. Jetzt nutze ich meine Freizeit, um<br />

meinen Freunden und jüngeren Geschwistern<br />

Geschichten vorzulesen, damit sie wie<br />

ich lesen und schreiben lernen.»<br />

Langfristiges Engagement<br />

Es genüge nicht, dem Problem mit Geld und<br />

Material zu begegnen, meint Eva Halper, Leiterin<br />

der Global Education Initiative bei der<br />

Credit Suisse: «Projekte wie dieses erfordern<br />

ein langfristiges Engagement, um die Auswirkungen<br />

zu ermitteln. Es ist wichtig, nicht<br />

nur Schulen und Unterrichtsmaterialien bereitzustellen,<br />

sondern auch für die geeigneten<br />

Rahmenbedingungen zu sorgen. Selbst<br />

wenn eine Schule errichtet werden konnte,<br />

stellen sich Fragen: Gefällt den Kindern der<br />

Unterricht ? Erzielen sie gute Ergebnisse?<br />

Was bedeutet die Schule für die Zukunft ?»<br />

Das Projekt beinhaltet nicht nur den Bau<br />

und die Instandhaltung von schulischer Infrastruktur,<br />

sondern auch die Entwicklung eines<br />

Lehrplans in Zusammenarbeit mit dem tan-<br />

Das tansanische Projekt ist Teil der weltweiten Bildungsinitiative, mit<br />

der die Credit Suisse internationale Entwicklungsorganisationen unterstützt,<br />

um Tausenden von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen<br />

Alter Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu verschaffen. Mit der 2008<br />

lancierten Initiative fördert die Credit Suisse Massnahmen, die die<br />

spezifischen und regionalen Anforderungen für einen geregelten Schulbesuch<br />

berücksichtigen. Die Credit Suisse unterstützt zurzeit sechs<br />

führende internationale Wohltätigkeitsorganisationen: Camfed, CARE,<br />

Plan International, Room to Read, Teach For All und Worldfund. Diese<br />

Organisationen verfolgen mit Projekten einen nachhaltigen Ansatz zur<br />

Beseitigung der Zugangsbeschränkungen, Verbesserung der Qualität<br />

und Zweckmässigkeit des Bildungsangebots sowie zur Erhöhung der<br />

Nachhaltigkeit und des Nutzens. www.credit-suisse.com/verantwortung/initiativen<br />

Fotos: Ingrid Kimario | Joseph Mbasha | Gibons Mwabukusi<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 51<br />

1<br />

2<br />

sanischen Erziehungsministerium. Dieses<br />

formale Programm soll es den Schülern erlauben,<br />

problemlos ins staatliche Mittelschulsystem<br />

zu wechseln. Die Lehrerausbildung<br />

ist ein weiterer wichtiger Baustein des<br />

Projekts, denn in der Lokalbevölkerung fehlt<br />

es an ausreichend geschultem Personal.<br />

Diejenigen, die aus sesshaften Gemeinschaften<br />

anderer Regionen kommen, müssen<br />

nicht nur als Lehrkräfte geschult, sondern<br />

auch auf die Anliegen und Probleme der<br />

Nomaden aufmerksam gemacht werden,<br />

damit sie die Bedürfnisse ihrer Schüler besser<br />

verstehen. Daneben müssen Anreize für<br />

die Lehrer geschaffen werden, um sie zur<br />

Arbeit in diesen isolierten Dörfern zu bewegen,<br />

beispielsweise ansprechende Unterkünfte.<br />

CARE und ihre tansanischen Partner<br />

übernehmen die Lehrerausbildung und kümmern<br />

sich um den Bau von Schulen. Dennoch<br />

gilt der Einbezug der Lokalbevölkerung<br />

für den langfristigen Projekterfolg als entscheidend,<br />

sei es als Lehrer und Schulverwalter<br />

oder für den Bau und die Instandhaltung<br />

der Schulgebäude.<br />

«Es ist sehr wichtig, der Lokalbevölkerung<br />

ein Gefühl von Verantwortung für diese<br />

Schulen zu vermitteln. Auf diese Weise können<br />

wir die Leute am besten motivieren, die<br />

Schulen auch nach Abschluss des Projekts<br />

instand zu halten. Das ist entscheidend für<br />

den Erfolg eines Projekts», erklärt Stephanie<br />

Baric von CARE.<br />

3<br />

1 Ein Massai-Hof, genannt «Boma», in Nyakonge, einem Dorf der Region Morogoro (Tansania). Zum<br />

Zeitpunkt der Aufnahme wohnten hier rund 50 Personen. 2 Eines der im Bau befindlichen Klassenzimmer<br />

der Primarschule von Mwenge in der Region Morogoro. Die Schreibpulte für die Schüler wurden mit<br />

Unterstützung der Credit Suisse und Care geliefert. 3 Schüler beantworten Fragen von Care-Mitarbeitern<br />

während eines Monitoring-Besuchs in der Primarschule von Mwenge, einer von mehreren Schulen der<br />

Region, die von der Credit Suisse unterstützt werden.<br />

Lokale Eigenverantwortung<br />

Mitglieder der Gemeinden beteiligen sich<br />

schon heute am Bau und an der Renovation<br />

von Schulgebäuden, ermuntern Kinder und<br />

Jugendliche, sich an den Schulen anzumelden<br />

und diese regelmässig zu besuchen, und<br />

engagieren sich zudem in Planungsausschüssen.<br />

Auch in der Lokalbevölkerung<br />

wurde bereits viel unternommen, um Sportarten<br />

wie Fussball und Volleyball zu fördern.<br />

Besonders Mädchen sollen zur Teilnahme<br />

bewogen werden, da sie bisher von sportlichen<br />

Aktivitäten ausgeschlossen waren.<br />

Alle diese Massnahmen können bei den<br />

nomadischen Hirtenvölkern zu grundlegenden<br />

Veränderungen beitragen. Weil es immer<br />

schwieriger wird, von der Wanderviehhaltung<br />

zu leben, wollen viele Eltern ihren Kindern<br />

eine Schulbildung bieten, die ihnen neue<br />

Chancen eröffnet. Bereits der regelmässige<br />

Schulbesuch bringt die Kinder mit der anderen<br />

Kultur in Kontakt und erhöht ihre Bereitschaft,<br />

sesshaft zu werden. Ian Lewis<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


52 Credit Suisse<br />

Frisch diplomiert und arbeitslos<br />

Die erste Stelle nach der Ausbildung darf nicht das Arbeitsamt sein. «Jeunes@Work»<br />

ist ein Genfer Projekt, das junge und bestens ausgebildete, jedoch arbeitslose Erwachsene<br />

mit einem soliden Konzept in die Arbeitswelt integriert. Die erfolgreiche Initiative expandiert<br />

nun in weitere Westschweizer Kantone.<br />

Frau nicht immer aus. Als sie mit dem Masterabschluss<br />

In ternationale Beziehungen die<br />

Universität verliess, war sie ratlos. «Es war<br />

purer Idea lismus, der mich diese Studienrichtung<br />

wählen liess. Ich wollte die Welt<br />

verändern, doch merkte bald, dass es dazu<br />

eine ‹Super woman› und nicht eine junge<br />

Frau ohne Berufserfahrung braucht. Mein<br />

Selbstwertgefühl sank ins Bodenlose.» Nach<br />

einigen erfolglosen Bewerbungen meldete<br />

sie sich beim Ar beitsamt.<br />

Für diplomierte junge Arbeitslose<br />

Borjana Ristic hat dank ihrem Praktikum auch im «richtigen» Arbeitsleben ihre Rolle gefunden.<br />

Auf dem Weg zur Kantine des Grand Théâtre<br />

de Genève grüsst Borjana Ristic hier einen<br />

Bühnenarbeiter und da eine Schauspielerin.<br />

Die 26-jährige Praktikantin fühlt sich an<br />

ihrem Arbeitsort daheim. Sogar ihre Kleidung<br />

– das schwarze Deuxpièces und die<br />

Bluse mit klassischem Rüschenkragen –<br />

passt zum Theater. «Hier hat alles einen<br />

künstlerischen Touch. Selbst die Omelette<br />

aus der Kantinenküche ist ein Kunstwerk!»,<br />

erzählt Borjana Ristic. Seit fünf Monaten<br />

arbeitet sie als Assistentin in der Kommunikationsabteilung<br />

des Genfer Stadttheaters:<br />

«Meine dynamische Chefin gab mir immer<br />

komplexere, verantwortungsvollere Aufgaben.<br />

Zuletzt betreute ich die Neugestaltung<br />

der Internetseite, redigierte und lektorierte<br />

die Theaterzeitschrift «Act-O», und im Moment<br />

engagiere ich mich in der Sponsorensuche.»<br />

Doch so positiv sah es für die junge<br />

So wie Borjana Ristic geht es vielen Absolventen<br />

vor allem der nicht technischen Studienrichtungen,<br />

der kaufmännischen Lehre<br />

oder der Handelsschule. «Wer nicht weiss,<br />

was er will, hat heute schlechte Chancen auf<br />

dem Arbeitsmarkt. Frisch diplomiert beim<br />

Arbeitsamt anzuklopfen, ist ein schlechter<br />

Start ins Berufsleben. Auch der Gesellschaft<br />

und der Wirtschaft geht so viel Know-how<br />

verloren», sagt Christine Théodoloz. Sie ist<br />

die Generaldirektorin von Intégration pour<br />

tous (IPT), einem grossen Arbeitslosenhilfswerk<br />

mit Hauptsitz in Vevey. Das IPT half<br />

bis vor zwei Jahren ausschliesslich gesundheitlich<br />

oder psychisch angeschlagenen<br />

Menschen beim Wiedereinstieg ins Berufsleben.<br />

Christine Théodoloz: «Dann kam der<br />

Genfer Privatbankier Patrick Odier mit dem<br />

Projekt Jeunes@Work auf uns zu. Sein Anliegen,<br />

diese bestens qualifizierten, jungen<br />

Menschen möglichst schnell und mit Hilfe<br />

einer Praktikumsstelle in den Arbeitsmarkt<br />

zu integrieren, fanden wir eine gute Sache.<br />

Für diese Leute fehlte eine passende Anlaufstelle.»<br />

2008 startete das Projekt in Genf.<br />

Vage Vorstellung wird realer Job<br />

In den Räumen eines Bürogebäudes im Stadtteil<br />

Petit-Lancy sitzen die Nachfolgerinnen<br />

und Nachfolger von Borjana Ristic. In einem<br />

Zimmer hören sechs Männer den Ausführungen<br />

ihres Lehrers zu. Nachdem sie in der<br />

ersten Woche ihre beruflichen Träume mit<br />

ihren Fähigkeiten und dem aktuellen Job-<br />

Fotos: Bernard van Dierendonk<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 53<br />

angebot in Einklang gebracht haben, bereiten<br />

sie sich nun theoretisch und später mit<br />

einem Interviewtraining auf das Bewerbungsgespräch<br />

vor. Im Raum nebenan, im «Atelier<br />

emploi», sichten drei Frauen und ein Mann<br />

ihre Bewerbungen. Die 22-jährige Edjenia<br />

kommt direkt von der Handelsschule und<br />

bewirbt sich für eine Praktikumsstelle als<br />

Buchhalterin. Sie rühmt, wie sie hier endlich<br />

gelernt habe, ihr Curriculum Vitae professionell<br />

zu gestalten. Neben ihr sitzt Igor (27),<br />

ein Schweizer mit russisch-amerikanischen<br />

Wurzeln. Er studierte Betriebswirtschaft und<br />

fand trotz seiner Vielsprachigkeit keine Stelle.<br />

Der Verzweiflung nahe und trotzdem zu stolz,<br />

um beim Arbeitsamt anzuklopfen, wurde er<br />

schliesslich in der Universität auf Jeunes@<br />

Work aufmerksam. Jetzt erzählt Igor strahlend,<br />

wie ihm dank dem Beziehungsnetz der<br />

Organisation zum Gewerbe eine 13 Monate<br />

dauernde, bezahlte Praktikumsstelle, mit der<br />

Perspektive einer festen Anstellung, bei der<br />

Firma Caterpillar vermittelt wurde.<br />

1<br />

Eine beeindruckende Erfolgsgeschichte<br />

Das kombinierte System von Beratung, Schulung<br />

und Vermittlung einer Praktikumsstelle<br />

bewährt sich. Oft werden aus Praktika feste<br />

Anstellungen im selben Betrieb oder die erste<br />

Erfahrung in der Berufswelt erhöht die<br />

Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. So konnte<br />

Jeunes@Work letztes Jahr von den 137<br />

jungen Erwachsenen 70 Prozent nicht nur<br />

eine Praktikums-, sondern eine fixe Arbeitsstelle<br />

vermitteln. Die rund 200 Unternehmen,<br />

die bis heute mit der Organisation zusammenarbeiten,<br />

sind davon ebenso angetan.<br />

Sie können hoch qualifizierte Arbeitskräfte<br />

als Praktikanten vor einer definitiven Anstellung<br />

prüfen und in ihren Betrieb einarbeiten.<br />

Neu unterstützt auch die Credit Suisse das<br />

Projekt finanziell. Die Idee ist, Jeunes@Work<br />

2 3<br />

1 Jeunes@Work in Genf – eine Klasse mit lauter motivierten Schülern. 2 Pausendiskussion mit<br />

Igor ( 27), Daniel (21), Daliborka (21), Edjenia (22), Emerson (32) sowie Lehrer Jean-Pierre Mathys.<br />

3 Christine Théodoloz, Generaldirektorin von Intégration pour tous (IPT) in Vevey.<br />

auf weitere Westschweizer Kantone auszuweiten.<br />

Bereits im Oktober werden für die<br />

Kantone Neuchâtel, Jura und die Region<br />

Berner Jura die nächsten Zweigstellen eröffnet.<br />

2011 expandiert das Projekt in die<br />

Kantone Waadt und Wallis.<br />

Das fünf Monate dauernde Praktikum von<br />

Borjana Ristic ist bald abgelaufen. Ist sie nicht<br />

traurig, so kurz vor Ende ihrer ersten Traumstelle?<br />

Borjana Ristic: «Dank dieser Praktikumsstelle<br />

weiss ich, was ich will, und kann.<br />

Und bei der Stellensuche hat sie sich als entscheidendes<br />

Plus erwiesen: Ich habe eine<br />

neue Traumstelle als Assistentin im Marketing<br />

und Verkauf gefunden!» Bernard van Dierendonk<br />

Bereits vorgestellt:<br />

Stiftung Die Chance (<strong>bull</strong>etin 2/20<strong>10</strong>)<br />

<br />

<br />

Mehr Informationen unter<br />

www.credit-suisse.com/verantwortung<br />

Mehr Informationen zu Jeunes@Work unter<br />

www.jeunesatwork.ch<br />

Die Initiative Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit<br />

Als Beitrag zur langfristigen Förderung des Bildungs- und Werkplatzes Schweiz engagiert sich<br />

die Credit Suisse für die Verbesserung der Berufschancen von Jugendlichen. Im Rahmen<br />

der Initiative Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stellt sie 30 Millionen Franken bereit. Dabei<br />

arbeitet sie in den nächsten drei bis fünf Jahren mit sieben kompetenten Partnern zusammen.<br />

Mehr Informationen unter www.credit-suisse.com/verantwortung<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


54 Credit Suisse<br />

Michèle Constantin und Max Lippuner übergeben Bundespräsidentin<br />

Doris Leuthard die Forderungen der Patienten-Koalition.<br />

Die Credit Suisse Corporate Volunteers hatten alle Hände voll zu tun,<br />

denn die orangenen Leibchen der Krebsliga fanden reissenden Absatz.<br />

Krebs wird zunehmend<br />

zur chronischen Krankheit<br />

Unterwegs gegen Krebs: Mit einem Sternmarsch und einem Fest auf dem<br />

Bundesplatz in Bern brach die Krebsliga Schweiz am 29. Mai in eine neue Ära<br />

auf. Die Krebspatienten zeigten Mut zum Sprechen – über ihre Krankheit – und<br />

Mut zur Mitsprache: Eine neu gegründete Patienten-Koalition konfrontierte<br />

Bun despräsidentin Doris Leuthard mit fünf konkreten politischen Forderungen.<br />

19<strong>10</strong>, als die Krebsliga Schweiz gegründet<br />

wurde, endete nahezu jeder Krebsfall tödlich.<br />

Dies ist heute dank enormer Fortschritte in<br />

Forschung und Behandlung nicht mehr so.<br />

« Befindet sich die Tumorerkrankung in einem<br />

fortgeschrittenen Stadium, kann man den<br />

Krebs zwar meist nicht besiegen, aber kontrollieren.<br />

Entdeckt man ihn frühzeitig, stehen<br />

bei diversen Krebskrankheiten die Chancen<br />

auf eine erfolgreiche Therapie gut bis sehr<br />

gut», erklärt Professor Thomas Cerny, Krebsspezialist<br />

am Kantonsspital St. Gallen und bis<br />

April Präsident der Krebsliga Schweiz. «Sogar<br />

bei einem nicht heilbaren Tumor lebt die<br />

Hälfte der Patienten länger als fünf Jahre.<br />

Das war bis vor Kurzem noch ganz anders.»<br />

Diese Tatsache stellt unsere Gesellschaft vor<br />

neue Herausforderungen: Bei den älteren<br />

Langzeitpatienten stellt sich die Frage der<br />

Pflege und nach deren Finanzierung, bei den<br />

jüngeren nach der Wiedereingliederung in<br />

den Arbeitsprozess.<br />

Die häufigste Todesursache<br />

Dem auf den ersten Blick widersprechend,<br />

sterben genau im Jubiläumsjahr der Krebsliga<br />

weltweit erstmals mehr Menschen an<br />

Krebs als an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />

«Zwei Drittel aller Krebserkrankungen treten<br />

erst nach dem 60. Lebensjahr auf», führt der<br />

aktuelle Präsident der Krebsliga – Jakob<br />

R. Passweg vom Universitätsspital Genf –<br />

aus. «Genau in diesem Alterssegment ist in<br />

den industrialisierten Ländern die stärkste<br />

Bevölkerungs zunahme zu erwarten: Die Babyboomer<br />

kommen ins Krebsalter. Und<br />

gleichzeitig steigt die Lebenserwartung.»<br />

Deshalb kämpft die Krebsliga für eine bessere<br />

Prävention. Sie beinhaltet einerseits das<br />

Aufzeigen der Risikofaktoren und die Möglichkeiten,<br />

diesen entgegenzuwirken, und<br />

anderseits die Früherkennung. Noch dieses<br />

Jahr soll im Parlament ein Präventionsgesetz<br />

zur Sprache kommen. Für ein gutes Gesetz<br />

sprechen laut Cerny und Passweg nicht allein<br />

die menschlichen Aspekte: «Die Verhinderung<br />

von Krebs ist angesichts der hohen<br />

Therapiekosten auch aus finanzieller Hinsicht<br />

eine Notwendigkeit.»<br />

Bei der Jubiläumsaktion «Unterwegs<br />

gegen Krebs» marschierten am 29. Mai über<br />

<strong>10</strong> 000 Personen auf einer Solidaritätswanderung<br />

von rund 30 Orten aus zwischen<br />

6 und 16 Kilometer in Richtung Bern. Dort<br />

folgte auf dem Bundesplatz ein Solidaritätsevent<br />

mit diversen Konzerten. Als bewegender<br />

Höhepunkt des Anlasses übergaben mit<br />

Michèle Constantin und Max Lippuner zwei<br />

von Krebs Betroffene der amtierenden Bundespräsidentin<br />

Doris Leuthard eine Resolution<br />

mit fünf Forderungen einer am gleichen<br />

Tag neu gegründeten Patienten-Koalition:<br />

1. Mehr Mitsprache für Patientinnen und<br />

Patienten;<br />

2. verbesserte berufliche Eingliederung<br />

von Menschen mit einer chronischen<br />

Krankheit;<br />

3. neue Modelle, um Erwerbstätigkeit<br />

und Pflege zu vereinbaren;<br />

4. obligatorische Krankentaggeld-<br />

Versicherung;<br />

5. Kommunikationstraining für alle<br />

Ärztinnen und Ärzte.<br />

Am 28. August folgt die Charity-Radtour<br />

«Race against Cancer». Dort geht die <strong>Bewegung</strong><br />

gegen den Krebs weiter: Es gilt, mit<br />

dem Rad von Airolo auf den Gotthard hinaufzufahren.<br />

Neuer Corporate Volunteering Partner<br />

Die Credit Suisse unterstützt seit 20<strong>10</strong> die<br />

Krebsliga Schweiz als nationaler Partner, genauso<br />

wie den WWF, die Ernst Schmidheiny<br />

Stiftung, Right To Play sowie die Dampfbahn<br />

Furka-Bergstrecke. Für den Solidaritätsevent,<br />

den nationalen Blumenverkauf vom<br />

5. Juni sowie die Charity-Radtour «Race<br />

against Cancer» haben sich über 400 Volunteers<br />

der Credit Suisse als Helferinnen und<br />

Helfer gemeldet.» schi<br />

Video «Unterwegs gegen Krebs» auf<br />

www.credit-suisse.com/<strong>bull</strong>etin<br />

Fotos: KLS | Benjamin Zurbriggen | Pro Velo Schweiz<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 55<br />

Internationales Menschenrechtsforum<br />

Digitalisierung des Alltags<br />

Mit dem Ziel, Menschenrechtsfragen<br />

auch über das unmittelbare<br />

Geschäft hinaus voranzutreiben,<br />

ist die Credit Suisse 2009 eine<br />

Partnerschaft mit dem Internationalen<br />

Menschenrechtsforum Luzern<br />

(IHRF) eingegangen. Das Forum<br />

dient verschiedenen Akteuren aus<br />

Politik, Wirtschaft, Medien und<br />

Wissenschaft als Diskussionsplattform<br />

und soll die Öffentlichkeit<br />

für Probleme im Bereich der Menschenrechte<br />

sensibilisieren. Am<br />

18. und 19. Mai 20<strong>10</strong> fand das<br />

7. Internationale Menschenrechtsforum<br />

Luzern zum Thema «Digi talisierung<br />

des Alltags» statt. Vertreten<br />

war neben nationalen und internationalen<br />

Expertinnen und<br />

Experten wie der iranischen Friedensnobelpreisträgerin<br />

Shirin<br />

Ebadi auch die Credit Suisse mit<br />

einem Referenten der Abteilung<br />

Public Policy – Sustainability Affairs.<br />

Dabei wurden in einer Panel-<br />

Diskussion die Rolle der Credit<br />

Suisse bei der Förderung des<br />

Mikrofinanz-Sektors sowie die<br />

technologische Entwicklung von<br />

Finanzdienstleistungen in Entwicklungsländern<br />

erörtert. Zum<br />

Abschluss des Forums wurde im<br />

Kultu r- und Kongresszentrum<br />

Luzern erstmals das Benefizkonzert<br />

IHRF Concert Classic durchgeführt,<br />

an dem die Ausnahmepianistin Maria<br />

João Pires g e m e i n s a m<br />

mit dem Human Right Orchestra<br />

auftrat. Fabian Huwyler<br />

Credit Suisse Bildungsinitiative<br />

Neue Partnerschaft mit<br />

Worldfund<br />

Mit der weltweiten Bildungsinitiative<br />

verfolgt die Credit Suisse das Ziel,<br />

Tausenden von Kindern und Jugendlichen<br />

im schulpflichtigen Alter<br />

Zugang zu einem Ausbildungsplatz<br />

zu verschaffen und die Qualität<br />

der Bildungsangebote zu verbessern.<br />

Zu den ausgewählten Partnerorganisationen<br />

der Initiative zählt seit<br />

Mai 20<strong>10</strong> neu auch Worldfund,<br />

eine Organisation, die sich in Lateinamerika<br />

für benachteiligte Kinder<br />

und Jugendliche einsetzt. Um<br />

die Lehrstandards an öffentlichen<br />

Schulen Brasiliens zu verbessern,<br />

hat Worldfund ein projektbasiertes<br />

Lernprogramm entwickelt, in dessen<br />

Rahmen Lehrer für Mathematik<br />

und Naturwissenschaften mit<br />

interaktiven Lerntechniken und Lernmodulen<br />

vertraut gemacht werden.<br />

Zudem bietet es Schülern die Möglichkeit,<br />

ihre Kenntnisse in Mathematik<br />

und Naturwissenschaften<br />

durch zusätzliche Lehrveranstaltungen<br />

zu vertiefen. Die Credit Suisse<br />

unterstützt das Programm in drei<br />

Sekundarschulen in Recife.<br />

2400 Schüler profitieren von der<br />

Weiter bildung ihrer Lehrer und<br />

800 Schüler von den zusätzlichen<br />

Lehrver anstaltungen.<br />

Fabienne de Lannay<br />

Sustainable Forest Investment Forum<br />

Chancen und Risiken in der<br />

asiatischen Forstwirtschaft<br />

Bei Geschäften mit Unternehmen,<br />

deren Aktivitäten Auswirkungen<br />

auf die Umwelt haben könnten,<br />

trägt die Credit Suisse den sozialen<br />

und ökologischen Risiken Rechnung.<br />

Aus diesem Grund pflegen<br />

wir im Rahmen von Veranstaltungen,<br />

bei bilateralen Gesprächen oder<br />

durch die Mitarbeit in Netzwerken<br />

und Initiativen den Kontakt zu<br />

NGOs. Als Mitglied der Association<br />

for Sustainable and Responsible<br />

I nvestment in Asia (ASrIA) war die<br />

Credit Suisse Gastgeberin des<br />

Sustainable Forest Investment<br />

Forum, das am 27. Mai 20<strong>10</strong> unter<br />

dem Motto «Chancen und Risiken<br />

der asiatischen Forstwirtschaft » in<br />

Hongkong stattfand. Die Veranstaltung<br />

bot Vertretern von NGOs –<br />

darunter Greenpeace und der<br />

WWF – als auch Investoren die<br />

Möglichkeit, sich über soziale und<br />

ökologische Risiken in der Agrarund<br />

Papierindustrie auszutauschen.<br />

Ben Ridley<br />

«bike to work» 20<strong>10</strong><br />

Mit dem Fahrrad zur Arbeit<br />

Im Juni 20<strong>10</strong> nahm die Credit Suisse zum dritten Mal in Folge<br />

an der Aktion «bike to work» der Non-Profit-Organisation<br />

Pro Velo teil. Ziel der Aktion war es, möglichst viele Pendler<br />

und Pendlerinnen zu motivieren, ihren Arbeitsweg mit dem<br />

Fahrrad zurückzulegen. Denn wer mit dem Rad zur Arbeit<br />

fährt, bringt <strong>Bewegung</strong> in den Alltag und schont gleichzeitig<br />

die Umwelt. Als eines von über 1200 Unternehmen (plus<br />

zwölf Prozent gegenüber 2009) ermutigte die Credit Suisse<br />

ihre Mitarbeitenden, für einen Monat auf das Velo umzusatteln.<br />

Gesucht wurden Viererteams, die an mindestens der<br />

Hälfte der Arbeitstage einen Teil des Arbeitswegs mit dem<br />

Rad zurück legten. «Velofahrer sind am Morgen schon munter,<br />

seltener krank und resistenter gegen Stress», erklärt Otti<br />

Bisang, Koordina tor der Aktion bei der Credit Suisse.<br />

Zudem stehe die Aktion im Einklang mit dem Engagement<br />

der Credit Suisse für den Umweltschutz. Die Credit Suisse<br />

lässt seit Jahren ökologische Aspekte in ihre Geschäftstätigkeit<br />

einfliessen. Im Rahmen der Initiative Credit Suisse<br />

Cares for Climate werden auch die Mitarbeitenden aufgefordert,<br />

einen Beitrag zur Reduktion von Emissionen<br />

zu leisten. Fabienne de Lannay<br />

Die Credit Suisse ist überzeugt, dass die unter nehme rische Verantwortung gegen über<br />

der Gesellschaft und der Umwelt ein wichtiger Faktor für den wirtschaft lichen Erfolg ist.<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


56 Wirtschaft KMU-Studie<br />

Export Welt<br />

180 287 Mio. CHF<br />

Export Europa<br />

114 786 Mio. CHF<br />

Mannheim<br />

Heidelberg<br />

BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

11 Mio.<br />

Einwohner<br />

Metz<br />

Heilbronn<br />

Deutschland<br />

Karlsruhe<br />

Nancy<br />

Pforzheim<br />

Stuttgart<br />

42 Mio.<br />

Konsumenten<br />

60 000<br />

ausländische Arbeitnehmer<br />

Strasbourg<br />

Freiburg<br />

Alsace<br />

Reutlingen<br />

Ulm<br />

Augsburg<br />

Schwaben<br />

München<br />

France<br />

Freiburg<br />

Tübingen<br />

Oberbayern<br />

3 Mio.<br />

Einwohner<br />

FRANCHE-COMTÉ/ALSACE<br />

Besançon<br />

Mulhouse<br />

Basel<br />

Zürich<br />

Vorarlberg<br />

Tirol<br />

Innsbruck<br />

Bern<br />

Lausanne<br />

Provincia<br />

autonoma<br />

di Trento<br />

Genève<br />

Trento<br />

Lyon<br />

Saint-Etienne<br />

Valle d’Aosta<br />

Novara<br />

Monza<br />

Milano<br />

Bergamo<br />

Brescia<br />

Grenoble<br />

Torino<br />

Piemonte<br />

Italia<br />

RHÔNE-ALPES<br />

6 Mio.<br />

Einwohner<br />

Import Europa<br />

130 476 Mio. CHF<br />

LOMBARDIA<br />

<strong>10</strong> Mio.<br />

Einwohner<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


KMU-Studie Wirtschaft 57<br />

KMU reiten auf der<br />

Globalisierungswelle<br />

Wirtschaftliche Dynamik wird in den nächsten Jahren verstärkt aus aufstrebenden Schwellenländern<br />

kommen. Für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Schweiz<br />

bedeutet dies Exportchancen, die es zu packen, aber auch Importdruck, vor dem es sich<br />

zu wappnen gilt. Da exportieren erprobt sein will, drängen sich heimmarktnahe Gebiete<br />

wie Baden-Württemberg oder die Lombardei für erste Erfahrungen auf. Ganz generell zeigt<br />

eine Umfrage der Credit Suisse unter 1800 KMU: Die Globalisierungswelle rollt.<br />

SÜD-BAYERN<br />

6 Mio.<br />

Einwohner<br />

Österreich<br />

Import Welt<br />

160 123 Mio. CHF<br />

Bevölkerung<br />

> 500000<br />

> <strong>10</strong>0000–500000<br />

> 5 Mio.<br />

> 2–5 Mio.<br />

> 1–2 Mio.<br />

> 0.5–1 Mio.<br />

> 0.5 Mio.<br />

Text: Christian Etzensperger, Economist, Credit Suisse Economic Research<br />

Die jüngste Weltwirtschaftskrise hat die<br />

Handelsströme schärfer einbrechen lassen<br />

als in den Zeiten der Grossen Depression.<br />

Dies hängt damit zusammen, dass die Welt<br />

vernetzter geworden ist. Wertschöpfungsketten<br />

haben sich aufgespaltet und Handelsströme<br />

sich geografisch immer weiter verzweigt.<br />

Die stärkere Arbeitsteilung im globalen<br />

Massstab hat zu einem noch nie da<br />

gewesenen Wachstum der Weltwirtschaft<br />

geführt, in dessen Kontext der jüngste Einbruch<br />

gesehen werden muss. Gleichzeitig<br />

hat die Globalisierung (relative) Gewinner<br />

und Verlierer geschaffen. Intensivierte Handelsstreitigkeiten<br />

auf der Weltbühne lassen<br />

eine gestiegene Nervosität erkennen. Auch<br />

scheint laut der neusten Umfrage der Credit<br />

Suisse das Vertrauen der Schweizer KMU<br />

hinsichtlich Globalisierung deutlich geringer<br />

als noch im Vorjahr. Die Einschätzung des<br />

Megatrends Globalisierung hat sich zusammen<br />

mit derjenigen des Wertewandels und<br />

des demografischen Wandels 20<strong>10</strong> am<br />

stärksten eingetrübt (siehe Abbildung 1). Augenscheinlich<br />

ist die Euphorie über die Globalisierung<br />

verflogen und die Risiken treten wieder<br />

stärker hervor.<br />

Rasante Entwicklung seit dem Mauerfall<br />

Die Welt der KMU hat sich nach dem Ende<br />

des Kalten Kriegs grundlegend verändert.<br />

Operierten die kleinen und mittleren Fische<br />

der Unternehmenslandschaft zuvor in den<br />

Binnengewässern abgeschotteter regionaler<br />

Märkte, brachen zu Beginn der 1990er-Jahre<br />

die Dämme zum offenen Meer. Die Zölle<br />

wurden für die meisten Warengruppen deutlich<br />

gesenkt oder ganz abgeschafft. Technische<br />

Handelshemmnisse (Bestimmungen<br />

über Beschaffenheit, Verpackung, Beschriftung<br />

oder Hygiene) wurden reduziert. Der<br />

Kapital- und Zahlungsverkehr wurde zumindest<br />

europaweit massiv vereinfacht. Die Eröffnung<br />

ausländischer Bankkonti, die Direktinvestitionen<br />

in ausländische Unternehmen<br />

oder der Immobilienerwerb im Ausland wurden<br />

dadurch erleichtert. Grosse Änderungen<br />

erfuhren die Ausschreibeverfahren für Aufträge<br />

der öffentlichen Hand. So werden beispielsweise<br />

die Auftragsbekanntmachungen<br />

in Europa über die Internetseite TED (Tenders<br />

Electronic Daily) täglich in 23 Sprachen<br />

elektronisch publiziert.<br />

Meist gehen Marktöffnungen mit einer<br />

Stärkung des Privatsektors gegenüber dem<br />

Staat einher, wovon kleine Firmen, die nicht<br />

über den gleichen Zugang zu Regierungsinstitutionen<br />

verfügen wie Grossunternehmen,<br />

überdurchschnittlich profitieren. Ein<br />

weiterer wichtiger Aspekt ist die Personenfreizügigkeit,<br />

die für eine stark erhöhte Verfüg<br />

barkeit ausländischer Arbeitskräfte sorgte.<br />

Zu den wirtschaftspolitischen Veränderung e n<br />

gesellte sich der rasante technologische<br />

Fortschritt, namentlich in der Tele kom munikation<br />

und der Informationstechnologie, der<br />

zu gesunkenen Transaktions kosten einerseits<br />

sowie zur nie gekannten Verfügbarkeit<br />

von Preissignalen und Marktinformationen<br />

andererseits führte.<br />

Der Beginn der neuen Globalisierungsphase<br />

nach dem Mauerfall ging in der ><br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


58 Wirtschaft KMU-Studie<br />

Schweiz mit einer langen Phase wirtschaftlicher<br />

Stagnation sowie schmerzhaften<br />

Strukturwandels einher. Offensichtlich hatte<br />

man sich in den vermeintlich stabilen politischen<br />

und wirtschaftlichen Strukturen der<br />

Nachkriegszeit allzu gemütlich eingerichtet.<br />

Auf die euphorische Stimmung Ende der<br />

1980er-Jahre folgte die grosse Ernüchterung<br />

in Form einer schweren Immobilienkrise,<br />

hoher Arbeitslosigkeit und eines schleppenden<br />

Konsums. Im Zuge des EWR-Neins<br />

schlitterte die Schweiz zudem in eine Identitätskrise.<br />

Zwischen 1991 und 1996 stagnierte<br />

die Schweizer Volkswirtschaft (BIP-<br />

Wachstum von 0,4% p. a.) und wurde nicht<br />

nur von Nordamerika und Asien, sondern<br />

auch von den grossen Handelspartnern<br />

Deutschland (1,2% p. a.), Frankreich (1,1%<br />

p. a.) und Italien (1,2% p. a.) in den Schatten<br />

gestellt. Einst strahlende Schweizer Industrie-Ikonen<br />

wie die Schweizerische Lokomotiv-<br />

und Maschinenfabrik (SLM), Saurer,<br />

Bally oder Sulzer verschwanden oder wurden<br />

zu Sanierungsfällen.<br />

Chancen teilweise verpasst<br />

Die Credit Suisse als strategischer<br />

Partner der KMU<br />

Die erste KMU-Umfrage wurde<br />

Anfang 2007 lanciert, mit dem<br />

Ziel, als strategischer Partner der<br />

KMU Gedanken anzustossen und<br />

einen Diskussionsbeitrag im<br />

Hinblick auf die Megatrends zu<br />

leisten. Sowohl Kunden als auch<br />

Nichtkunden nehmen an der<br />

Umfrage teil. Die jährlich erscheinende<br />

Publikation finden Sie<br />

im Internet unter www.creditsuisse.com/research<br />

(Schweizer<br />

Wirtschaft/Branchen). Zudem<br />

werden die Ergebnisse in regionalen<br />

Anlässen vertieft behandelt<br />

und Handlungsmöglichkeiten<br />

diskutiert.<br />

Auch bei neueren Technologien wurde der<br />

Zug teilweise verpasst. So verkauften Anfang<br />

der 1990er-Jahre Ericsson erste Mobiltelefone<br />

in Schweden, Nokia in Finnland und die<br />

Ascom in der Schweiz. Heute beschäftigt<br />

Nokia 120 000 Mitarbeitende und Ericsson<br />

82 000. Die Ascom – traditionelle Partnerin<br />

der PTT/Swisscom sowie der Schweizer<br />

Armee – konnte technologisch nicht mithalten<br />

und agierte im Ausland erfolglos. Sie be schäftigt<br />

heute noch 2<strong>10</strong>0 Mitarbeitende. Aus dieser<br />

Position der Verunsicherung heraus und<br />

aus der Einsicht, dass das vermeintlich einfache<br />

Erfolgsrezept «Made in Switzerland»<br />

nicht mehr genügte, nahmen die Schweizer<br />

Unternehmen die Globalisierung in Angriff.<br />

Bereits in der nächsten Phase, von 1997 bis<br />

zum Höhepunkt des Dotcom-Booms im Jahr<br />

2000, trugen die Anpassungsbemühungen<br />

der Schweizer Firmen an die eingangs beschriebenen<br />

neuen Realitäten erste Früchte.<br />

1997 wuchsen die Exporte erstmals seit<br />

1989 im zweistelligen Bereich. Im Jahr 2000<br />

vermochte die Exportwirtschaft das Kunststück<br />

zu wiederholen (siehe Abbildung 2).<br />

Das Platzen der Dotcom-Blase hinterliess<br />

in der Industrie vergleichsweise geringe Spuren.<br />

Dies belegen die Exportzahlen eindrücklich:<br />

Im Rezessionsjahr 20<strong>03</strong> stagnierten die<br />

Ausfuhren (–0,2%), wuchsen aber in den<br />

fünf Folgejahren im Durchschnitt um sagenhafte<br />

8,8 Prozent pro Jahr. Über die Zeit<br />

hatte sich die Exportgeografie zudem deutlich<br />

gewandelt. Zwischen 1991 und 2009<br />

wuchsen die Exporte in die BRIC-Staaten<br />

(Brasilien, Russland, Indien, China) exakt um<br />

das Fünffache.<br />

Hinter diesem Wachstum stehen viele Firmen,<br />

die sich erstmals auf die Auslandmärkte<br />

wagten. Aufgrund der Senkung der Exporthürden<br />

durch technologische wie politische<br />

Mittel ist das früher den Grossfirmen<br />

vorbehaltene Exportgeschäft auch für kleinere<br />

Firmen attraktiv geworden. Die Schweiz<br />

verfügt über einen im Vergleich mit den<br />

europäischen Nachbarländern und den USA<br />

überdurch schnittlich hohen Anteil an kleinen<br />

(<strong>10</strong> –49 Mitarbeitende) und mittleren Unternehmen<br />

(50–249 Mitarbeitende), die mit<br />

ihrer tendenziell höheren Finanzkraft und<br />

professionellen Strukturen für den Export<br />

eher in Frage kommen als die in anderen<br />

Ländern stärker vertretenen Mikrounternehmen<br />

mit weniger als zehn Mitarbeitenden.<br />

Erweiterter Heimmarkt<br />

Das offene Meer, in dem die KMU-Kapitäne<br />

navigieren, ist natürlich voller Risiken, und so<br />

halten es viele KMU für ratsam, sich vorerst<br />

in Ufernähe aufzuhalten. So hat sich die<br />

Präsenz von Schweizer Unternehmen in<br />

den Nachbarländern massiv vergrössert. Wie<br />

gross das dortige Absatzpotenzial ist, wird<br />

oft unterschätzt. Die nahe an der Schweiz<br />

liegenden Regionen Baden-Württemberg<br />

(11 Mio. Einwohner), Süd-Bayern (6 Mio.),<br />

Rhône-Alpes (6 Mio.), Franche-Comté/<br />

Alsace (3 Mio.) und Lombardia (<strong>10</strong> Mio.) umfassen<br />

rund 42 Millionen Konsumenten und<br />

sind im europäischen Vergleich kaufkraftstark<br />

(siehe Abbildung S. 57). Aufgrund ihrer Bevölkerungsdichte<br />

und ihrer guten Erreichbarkeit<br />

sind Baden-Württemberg für Deutschschweizer,<br />

Rhône-Alpes für Welsche sowie<br />

die Lombardei für Tessiner KMU besonders<br />

attraktiv. Überdies können sie Geschäfte jeweils<br />

in ihrer Muttersprache abwickeln.<br />

Interregionale Kooperationen sind auch<br />

deshalb äusserst sinnvoll, weil sich durch sie<br />

einige der grössten Exporthemmnisse umge<br />

hen lassen. Namentlich ist die Nachfragestruktur<br />

ähnlich, die Transaktions- und Informationskosten<br />

sind tiefer, und die Partnersuche<br />

gestaltet sich in aller Regel einfacher.<br />

Importdruck: Kehrseite der Globalisierung<br />

Als Importdruck bezeichnen wir die Konkurrenz,<br />

die den heimischen Anbietern durch<br />

den Import von Waren oder durch die direkte<br />

Präsenz ausländischer Mitbewerber entsteht.<br />

Diese ergeben sich vor allem durch<br />

Preis-, Technologie- (Produktionsverfahren,<br />

Innovationen) und Kostenvorteile der ausländischen<br />

Anbieter. Importdruck ist in praktisch<br />

jeder Branche der Schweizer Wirtschaft<br />

ein Thema. Die meisten Branchen erlebten<br />

den Abbau der Kartelle und die Liberalisierung<br />

der Märkte als einigermassen langsam<br />

fortschreitenden Prozess, so dass sich vorausschauende<br />

Unternehmer in aller Regel<br />

anzupassen vermochten.<br />

Der Druck zur Anpassung kam einerseits<br />

von den Konsumenten, die auf tiefe Preise<br />

pochten, sowie von der Exportwirtschaft, die<br />

ihre Chancen im Aussenhandel verbessern<br />

wollte, andererseits von Vorgaben aus den<br />

GATT/WTO-Verhandlungen oder den bilateralen<br />

Verträgen mit der EU. Aktuell ist Marktöffnung<br />

insbesondere im Nahrungsmittelsektor<br />

ein Thema. Im Nahrungsmitteldetailhandel<br />

sind mit Aldi und Lidl namhafte neue<br />

ausländische Mitbewerber in den Markt eingetreten.<br />

Stiess die Migros bis in die 1960er-<br />

Jahre als Emporkömmling auf den Widerstand<br />

des alteingesessenen Handels, teilt<br />

sie sich heute mit Coop die Rolle der Etablierten<br />

und gerät so in Bedrängnis durch<br />

neue Mitbewerber.<br />

Die Nahrungsmittelindustrie konnte jüngst<br />

zusammen mit der Agrarwirtschaft die Auswirkungen<br />

der 2007 erfolgten Liberalisierung<br />

im Käsemarkt beobachten. Andere<br />

Nahrungsmittel wie Fleisch, Getreide, Obst<br />

und Gemüse sind nach wie vor durch Zollschranken<br />

geschützt. Die in der Schweiz aufgezogenen<br />

Salatsetzlinge stammen aller-<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


KMU-Studie Wirtschaft 59<br />

dings oft aus dem Ausland, und die einheimische<br />

Fleischproduktion könnte ohne<br />

Import des für die Aufzucht benötigten Kraftfutters<br />

gar nicht existieren. Nach dem Scheitern<br />

der Referendumsbemühungen gegen<br />

das Cassis-de-Dijon-Prinzip ist die Umsetzung<br />

desselben gewiss, und weitere Liberalisierungsschritte<br />

im Nahrungsmittelsektor<br />

sind absehbar. Während das Cassis-de-Dijon-Prinzip<br />

den Abbau technischer Handelshemmnisse<br />

wie abweichende Etikettierungsvorschriften<br />

mit sich bringt, würde das vom<br />

Bundesrat anvisierte Agrarfreihandelsabkommen<br />

mit der EU auch bisher ausgeklammerte<br />

landwirtschaftsnahe Bereiche wie die<br />

Milchwirtschaft und die Fleischproduktion<br />

den Marktkräften aussetzen.<br />

Präsenz ausländischer Konkurrenten<br />

In den vollständig liberalisierten Wirtschaftsbranchen<br />

macht sich zunehmender Importdruck<br />

durch stark wachsende Importvolumen<br />

oder aber durch die Präsenz ausländischer<br />

Firmen im Binnenmarkt bemerkbar. Beispiele<br />

stark gewachsener Importvolumen sind die<br />

früher hauptsächlich in der Schweiz hergestellten<br />

Schienenfahrzeuge. Hier darf das<br />

Wachstum von Stadler Rail nicht über die<br />

Schrumpfung der traditionellen Standorte<br />

Pratteln (Schindler Waggon) und Winterthur<br />

(SLM) hinwegtäuschen.<br />

Ob des Aufsehens, das neue Marken und<br />

Ladenkonzepte hervorrufen, geht oft vergessen,<br />

dass beispielsweise der Kleiderdetailhandel<br />

(H&M, Zara, C&A, Dosenbach) oder<br />

der Möbeldetailhandel (IKEA, Conforama)<br />

von ausländischen Anbietern dominiert wird.<br />

Dass Toblerone, ein Inbegriff von Swissness,<br />

sich längst nicht mehr in Schweizer Besitz<br />

befindet, ist bekannt. Mittlerweile sind aber<br />

Traditionsunternehmen unterschiedlichster<br />

Branchen wie Käsehersteller (Baer), Maschinenbauer<br />

(Netstal), Metallerzeuger (Emmenbrücke,<br />

Gerlafingen) oder Elektrotechnikkonzerne<br />

(Alstom Power Baden) in ausländischer<br />

Hand.<br />

Offener Arbeitsmarkt sehr wichtig<br />

Die Schweiz verzeichnete 2009 einen Zuzug<br />

von rund 60 000 ausländischen Arbeitnehmern.<br />

Im Vorjahr waren es gar 72 000. Trotz<br />

dieser Zuwanderung bleibt das Finden qualifizierter<br />

Arbeitskräfte eines der grössten<br />

Probleme der Schweizer KMU. In der Umfrage<br />

der Credit Suisse bezeichnen es 40<br />

Prozent der KMU als grösste Herausforderung<br />

für das Wachstum des Unternehmens.<br />

Dies notabene zu einem Zeitpunkt, da sich<br />

die Wirtschaft noch mit einem Bein in der<br />

Rezession befindet. Offensichtlich vermag<br />

die Zuwanderung die Rekrutierungsprobleme<br />

der KMU nicht vollständig zu lösen. Am<br />

stärksten ächzen die Bauwirtschaft und die<br />

Unternehmensdienstleistungen unter der<br />

Mitarbeiterknappheit. Auf Platz drei folgt die<br />

Investitionsgüterindustrie.<br />

Die Ursachen der Knappheit an qualifizierten<br />

Arbeitskräften sind vielfältig. Einerseits<br />

werden Schulabgängern mangelndes<br />

Ausbildungsniveau und fehlende Motivation<br />

angekreidet. Andererseits führt die demografische<br />

Verschiebung hin zu weniger erwerbstätigen<br />

und mehr älteren Menschen zu<br />

einer schleichenden Verknappung an Humankapital.<br />

Diese wird in der Unternehmensnachfolge<br />

von einer Generation zur nächsten<br />

besonders deutlich. Für KMU heisst dies,<br />

dass sie traditionelle Wege der Personalrekrutierung<br />

sowie des Personal- und Humankapitalmanagements<br />

verlassen müssen.<br />

Auch hat sich der Fokus auf ungenutztes<br />

Potenzial, namentlich Frauen und Senioren,<br />

ausgeweitet. Der Erfahrungsschatz eines<br />

rüstigen Seniors im Unruhestand kann unverzichtbar<br />

sein.<br />

Zudem erscheint die stärkere Anbindung<br />

der bestehenden Mitarbeitenden an das<br />

Unternehmen erstrebenswert. Dies geschieht<br />

über mehrjährige Weiterbildungspläne oder<br />

durch Massnahmen zur Stärkung der Identifikation<br />

mit der Firma wie beispielsweise<br />

einer Unternehmensbeteiligung seitens der<br />

Angestellten. Namentlich die gezielte Weiterbildungsplanung<br />

bindet die Mitarbeitenden<br />

via hohe Zufriedenheit an das Unternehmen.<br />

Gemäss unserer Umfrage ist die Weiterbildung<br />

mit über einem Drittel Nennungen denn<br />

auch die am häufi gsten genannte Massnahme<br />

zur Verbesserung der Mitarbeiterretention.<br />

Fazit: KMU sind gerüstet<br />

Insgesamt scheinen die KMU für die nächste<br />

Globalisierungswelle gerüstet. Die Turbulenzen<br />

der letzten Jahre haben sie für die<br />

Exportmärkte agiler und gegen Importdruck<br />

resistenter gemacht. Mit kulturellen Unterschieden<br />

wissen Schweizer KMU dank langjähriger<br />

Einwanderung vergleichsweise gut<br />

umzugehen. Da sich die weltwirtschaftlichen<br />

Gewichte in Richtung der weniger vertrauten<br />

Schwellenländer verschoben haben und weil<br />

bald zusätzliche, bisher wenig liberalisierte<br />

Teile des Binnenmarkts auch ausländischen<br />

Konkurrenten offenstehen werden, ist die<br />

unternehmerische Aufgabe indes im Ausland<br />

wie zu Hause anspruchsvoller geworden. <<br />

1 Einschätzung der Megatrends<br />

Wie positiv oder negativ schätzen die KMU<br />

die grossen Megatrends ein und wie hat<br />

sich das im Verlauf der letzten vier Jahre<br />

verändert? Quelle: Credit Suisse<br />

Wissensgesellschaft<br />

Technologie<br />

Wertewandel<br />

Demografie<br />

Ressourcenknappheit<br />

Globalisierung<br />

in % –20 0 20 40 60 80<br />

20<strong>10</strong> 2009 2008 2007<br />

2 Schweizer Aussenhandel<br />

(in Milliarden CHF pro Quartal)<br />

Nach dem Rezessionsjahr 20<strong>03</strong> stiegen<br />

die Exporte in den fünf Folgejahren um<br />

durchschnittlich 8,8 Prozent. Quelle: Credit Suisse<br />

in Mrd. CHF pro Quartal<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

Importe<br />

Exporte<br />

90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 <strong>10</strong><br />

3 Grösste Exporthindernisse<br />

Folgende Punkte erachten exportwillige KMU<br />

als grösste Hindernisse. Quelle: Credit Suisse<br />

Fehlende Nachfrage<br />

Admin. Aufwand mit ausl. Behörden<br />

Fehlende Partner im Ausland<br />

Admin. Aufwand mit CH-Behörden<br />

Mangelnde Kenntnisse Zielmarkt<br />

Transportkosten<br />

Technische Vorschriften<br />

Finanzierung<br />

Sprache<br />

in % 0 5 <strong>10</strong> 15 20<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


60 Wirtschaft Multikulturalismus<br />

Ausland als Chance<br />

Globalisierung ist zum Alltagsbegriff geworden, aber nicht nur für Mama und Papa.<br />

Die Auswirkungen der neuen multipolaren Welt machen sich insbesondere auch bei<br />

den Kindern und Jugendlichen in den USA bemerkbar.<br />

Text: Robert Weissenstein, Chief Investment Officer, Private Banking Americas,<br />

und Jessie Zhu, Investment Strategy & Advisory Group, Private Banking Americas<br />

Früher als je zuvor machen Kinder in den USA<br />

und vielen anderen Ländern während der<br />

Ausbildung und beim täglichen Surfen im<br />

Internet multikulturelle Erfahrungen. Sie nutzen<br />

technische Hilfsmittel wie Laptops oder<br />

Mobiltelefone wie ihre Eltern einst Kugelschreiber<br />

und Papier. Dank einem beispiellosen<br />

Zugang zu Informationen wissen sie<br />

besser über Ressourcenverknappung,<br />

saube re Energien und den globalen Treibhauseffekt<br />

Bescheid als so mancher Erwachsene.<br />

Das aufstrebende China spielt für<br />

sie bereits keine Rolle mehr, da China in ihrer<br />

Welt schon lange im Mittelpunkt steht. Sie<br />

navigieren mühelos im Internet und nehmen<br />

Informationen auf, die womöglich aus einer<br />

nicht gelesenen Zeitung stammen, oder sie<br />

knüpfen Kontakte zu Menschen, deren Heimat<br />

ihnen fremd ist.<br />

Multikulturelle Kinder werden im Jahr 2015<br />

schätzungsweise 46 Prozent der amerikanischen<br />

Bevölkerung im Alter von drei bis elf<br />

Jahren ausmachen. Eltern versuchen ihren<br />

Kindern Wettbewerbsvorteile zu verschaffen,<br />

indem sie ihnen fremde Sprachen und Kulturen<br />

näherbringen. Europa und Asien sind<br />

den USA beim Sprachunterricht unter anderem<br />

deshalb voraus, weil sie früher damit beginnen<br />

(Grundschule statt High School) und<br />

die Kinder daher länger und intensiver lernen.<br />

Dies kann insofern zum Thema werden, als<br />

Mehrsprachigkeit im wirtschaftlichen Wettbewerb<br />

immer wichtiger wird.<br />

Spanisch in den USA führend<br />

Spanisch ist bei 80 Prozent aller Schüler in<br />

den USA, die in der Grundschule oder High<br />

School eine Fremdsprache lernen, erste<br />

Wahl. Chinesisch erfreut sich wachsender<br />

Beliebtheit, was darauf zurückzuführen ist,<br />

dass Schulen und Eltern China zunehmend<br />

als aufstrebende Wirtschaftsmacht wahrnehmen<br />

und die Kinder entsprechend vorbereiten<br />

wollen. Im Jahr 2000 lernten von insgesamt<br />

sieben Millionen Fremdsprachenschülern rund<br />

5000 Siebt- bis Zwölftklässler Chinesisch.<br />

Heute pauken 66 000 Schüler Chinesisch.<br />

Die Zahl der Programme, in denen Chinesisch<br />

vom Kindergarten bis zur zwölften<br />

Klasse unterrichtet wird, hat sich seit<br />

2004 verdreifacht. Bei 27 500 US-amerikanischen<br />

Middle Schools (Mittelstufe) und<br />

High Schools, die mindestens eine Fremdsprache<br />

anbieten, stieg der Anteil der Schulen<br />

mit Chinesischunterricht zwischen 1997<br />

und 2008 von einem auf vier Prozent (siehe<br />

Abbildung 1). Die Zahl der Absolventen des<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Multikulturalismus Wirtschaft 61<br />

Foto: Gaetan Bally, Keystone<br />

2007 eingeführten Einstufungstests für Chinesisch<br />

nimmt rasant zu, sodass es Deutsch<br />

als dritthäufigste Prüfungssprache nach<br />

Spanisch und Französisch noch in diesem<br />

Jahr überflügeln dürfte.<br />

An der privaten Brearley School in New<br />

York werden neben dem bisherigen Unterricht<br />

für die Fünft- bis Zwölftklässler seit<br />

2008 alle 50 Erstklässler in Chinesisch<br />

unterrichtet. Die Yu Ying Charter School in<br />

Washington bietet vom ersten Kindergartenjahr<br />

bis zur zweiten Klasse an abwechselnden<br />

Tagen Unterricht in Chinesisch und<br />

Englisch an. An der Yinghua Academy, einer<br />

öffentlichen Schule im Mittleren Westen,<br />

werden verschiedene Fächer von Mathematik<br />

bis zu amerikanischer Geschichte auf<br />

Mandarin unterrichtet. Früher waren die<br />

Schüler der Yinghua Academy zu 70 Prozent<br />

asiatisch, während heute 50 Prozent weisser,<br />

schwarzer oder hispanischer Herkunft sind.<br />

Diese Schulen bilden in den USA die Vorhut<br />

der <strong>Bewegung</strong> zur Förderung von Chinesisch<br />

als Unterrichtssprache.<br />

Englisch im Rest der Welt die Nummer 1<br />

Andere Länder fördern den Englischunterricht.<br />

In Südkorea stehen Grammatik und Lesen<br />

im Vordergrund, aber viele Schüler können<br />

sich auch nach zehn Jahren Unterricht<br />

nicht auf Englisch unterhalten. Zur Kompensation<br />

geben Südkoreaner jährlich 16 Milliarden<br />

US-Dollar für Englischkurse aus; fünf<br />

Milliarden US-Dollar fliessen in die Ausbildung<br />

der Kinder im Ausland (dies entspricht<br />

20 Prozent der gesamten staatlichen Bildungsausgaben).<br />

Für koreanische Kinder ist<br />

es nicht ungewöhnlich, mit der Mutter in<br />

einem englischsprachigen Land zu leben,<br />

während der Vater zu Hause bleibt – das so<br />

genannte Wildgänse-Phänomen. Landesweit<br />

gibt es schätzungsweise 200 000 «Wildgänse-Väter».<br />

Im Jahr 2008 stellte die Regierung<br />

4,2 Milliarden US-Dollar für die Umgestaltung<br />

des Englischunterrichts an öffentlichen<br />

Schulen bereit. Paradoxerweise wollen<br />

die Eltern sogar noch mehr für Privatstunden<br />

ausgeben, da sie fürchten, ihre Kinder könnten<br />

im neuen System zurückfallen.<br />

Mehr als 300 Millionen Chinesen lernen<br />

heute Englisch; ein gewaltiger «nationaler<br />

Hunger» hat Englisch über den Stellenwert<br />

einer Sprache erhoben. Es ist zu einem<br />

wesent lichen Massstab für die Aussicht auf<br />

sozialen Aufstieg geworden. Wohlhabende<br />

Eltern von Kindern im Vorschul- und Kindergartenalter<br />

in Grossstädten wählen spezielle<br />

Schulen, die Amerikaner, Kanadier und Philippinos<br />

beschäftigen. Das grösste englischsprachige<br />

Schulsystem, New Oriental Education,<br />

erzielte 2009 einen Umsatz in Höhe<br />

von 370 Millionen US-Dollar.<br />

Erwachter Drang ins Ausland<br />

Im Bestreben, globale Kompetenzen zu erwerben,<br />

studiert heute eine Rekordzahl amerikanischer<br />

Universitätsstudenten im Ausland.<br />

Im Jahr 2008 waren es 262 000 Studenten.<br />

Dies entspricht einer Zunahme von<br />

50 Prozent gegenüber dem Stand von vor<br />

fünf Jahren und einer Verdoppelung gegenüber<br />

vor zehn Jahren (siehe Abbildung 2). Ihr<br />

Anteil beträgt dennoch nur zwei Prozent aller<br />

College-Studenten, sodass weiterhin viel<br />

Spielraum für Wachstum bleibt.<br />

Grossbritannien ist seit Langem das beliebteste<br />

Zielland für amerikanische Studierende<br />

im Ausland, gefolgt von Italien, Spanien<br />

und Frankreich. Von den führenden 20<br />

Ländern liegen 11 ausserhalb Europas. China,<br />

Argentinien und Indien haben sich gegenüber<br />

dem Vorjahr auf die Ränge 5, 12 und 17 verbessert<br />

und verzeichnen Wachstumsraten<br />

von 19, 14 und 20 Prozent. Auch Südafrika<br />

hat als Zentrum für Auslandstudien an Bedeutung<br />

gewonnen und erreichte gegenüber<br />

dem Vorjahr ein Wachstum von 15 Prozent.<br />

Immer mehr Studenten entscheiden sich für<br />

nicht englischsprachige, nicht traditionelle<br />

Destinationen, einschliesslich Schwellenländer<br />

(siehe Abbildung 3). Manche absolvieren<br />

neben der sprachlichen und kulturellen Ausbildung<br />

auch ein Praktikum, um Berufserfahrung<br />

zu sammeln und sich auf einem hart<br />

umkämpften globalen Arbeitsmarkt zusätzliche<br />

Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.<br />

Herausforderung für unsere Kinder<br />

Aufstiegsaspiranten interessieren sich für die<br />

Welt jenseits der eigenen Grenzen und bauen<br />

globale Komponenten in ihren Ausbildungsprozess<br />

ein. Dies mag aus wirtschaftlichem<br />

Eigeninteresse geschehen, aber letztlich<br />

dient es auch dem nationalen Interesse.<br />

Es wird immer schwieriger, mit einem insularen<br />

Ansatz Wohlstand zu schaffen. Das<br />

Internet spielt im Cyberspace dieselbe Rolle<br />

wie der Fall der Berliner Mauer vor 20 Jahren:<br />

Es ermöglicht den Verkehrs- und Informationsfluss<br />

zwischen vormals isolierten Kulturen.<br />

Ausbildungsinvestitionen bedeuten Investitionen<br />

in die Infrastruktur, die unsere<br />

Kinder und Jugendlichen in einer wahrhaft<br />

globalisierten Welt unterstützen wird. Wer<br />

dies richtig anpacken will, muss frühzeitig<br />

beginnen. <<br />

1 Nachfrage nach Chinesisch steigt<br />

Im Jahr 2008 boten vier Prozent aller amerikanischen<br />

Schulen Chinesischunterricht<br />

an. Praktisch überall wird Spanisch gelehrt.<br />

Dagegen sinkt die Zahl der Schulen in<br />

den USA, an denen Französisch, Deutsch<br />

und Japanisch unterrichtet wird.<br />

Quelle: «The New York Times», Center for Applied Linguistics<br />

250 000<br />

200 000<br />

150 000<br />

<strong>10</strong>0 000<br />

50 000<br />

11%<br />

% %<br />

15<br />

<strong>10</strong><br />

–5<br />

– <strong>10</strong><br />

– 15 – 75<br />

– 20<br />

5 25<br />

0<br />

Prozentuale Veränderung seit 1997<br />

Fremdsprachenangebot in Schulen 2008 (rechte Skala)<br />

1% 6%<br />

5%<br />

5%<br />

15%<br />

0<br />

Französisch<br />

Deutsch<br />

Japanisch<br />

1999 2002 2005 2008<br />

56%<br />

Spanisch<br />

2 US-Studenten im Ausland<br />

Chinesisch<br />

Die Zahl amerikanischer Studenten im<br />

Ausland nimmt rapide zu und hat sich<br />

innerhalb von nur zehn Jahren auf 260 000<br />

verdoppelt. Quelle: Institute of International Education<br />

3 Zielländer für US-amerikanische<br />

Studierende im Ausland<br />

75<br />

50<br />

0<br />

– 25<br />

– 50<br />

– <strong>10</strong>0<br />

Grossbritannien bleibt das bevorzugte Zielland<br />

für amerikanische Studierende im Ausland,<br />

gefolgt von Italien, Spanien und Frankreich.<br />

Die beliebtesten aussereuropäischen<br />

Länder sind China, Argentinien und<br />

Indien. Quelle: Institute of International Education<br />

Europa<br />

Lateinamerika<br />

Asien<br />

Ozeanien<br />

Afrika<br />

Mittlerer Osten<br />

Übrige<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


62 Wirtschaft Indien<br />

Indien:<br />

Pulsierendes Land der<br />

Gegensätze und Chancen<br />

Bereits zum siebten Mal organisierte die Credit Suisse im Frühling einen so genannten<br />

Interactive Fieldtrip für Kunden und Investoren. Die straff durchorganisierte Reise führte<br />

nach Neu-Delhi und Mumbai. Dabei wurden für Anleger interessante Bereiche wie der<br />

Auf- und Ausbau von Infrastrukturen, die Massenproduktion von Konsumgütern, das<br />

Bildungswesen, aber auch Bollywood bis hin zum mehrfach ausgezeichneten Dabbawala-<br />

Lunchbüchsen-Lieferdienst in Mumbai angeschaut.<br />

Text: Daniel Huber<br />

1<br />

1 Die traurige Kulisse zum Film «Slumdog<br />

Millionaire»: In den Slums von Mumbai leben<br />

über sechs Millionen Menschen. 2 Prunk<br />

und moderne Architektur in einem Luxushotel<br />

von Neu-Delhi. 3 Die moderne Fabrik<br />

von Moser Baer im Industrievorort Noida<br />

bei Neu-Delhi. 4 Die neue, 5,6 Kilometer<br />

lange Bandra-Worli-Brücke verbindet<br />

Downtown Mumbai mit den westlichen<br />

Vororten. 5 Motorrikschas in Neu-Delhi.<br />

2<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Indien Wirtschaft 63<br />

3<br />

5<br />

4<br />

Fotos: André Springer<br />

Die Kennzahlen Indiens sind beeindruckend.<br />

Mit 3,3 Millionen Quadratkilometern ist Indien<br />

zwar nur das siebtgrösste Land der<br />

Welt, aber mit über 1,2 Milliarden Einwohnern<br />

hinter China auf Platz zwei bei der Bevölkerungszahl.<br />

Noch 1925 waren es lediglich 263<br />

Millionen! Mit ungeheurer Wucht ist in den<br />

vergangenen Jahren auch die indische Wirtschaft<br />

gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt<br />

ist in der letzten Dekade jedes Jahr um durchschnittlich<br />

7,2 Prozent gestiegen. Selbst im<br />

Krisenjahr 2008/2009 (das Finanzjahr in Indien<br />

dauert von April bis Ende März) verzeichnete<br />

Indien zwar einen Rückgang des<br />

BIP gegenüber dem Boomjahr 2007/2008<br />

(9,2 Prozent), blieb aber klar auf der Wachstumsstrasse<br />

mit 6,7 Prozent. Und 2009/<br />

20<strong>10</strong> waren es bereits wieder 7,2 Prozent.<br />

Gleichzeitig gibt es kaum ein Land, das<br />

derart von Gegensätzen geprägt ist wie Indien<br />

– nicht zuletzt auch bei der Schere zwischen<br />

Reichtum und Armut. So wuchs laut der<br />

jüngsten Erhebung des US-Magazins «Forbes»<br />

die Zahl der indischen Milliardäre innerhalb<br />

von einem Jahr von 24 auf 50. Und in<br />

den Top-Fünf der reichsten Menschen dieser<br />

Welt sind mit Mukesh Ambani (29 Milliarden<br />

US-Dollar) und Lakshmi Mittal (28,7 Milliarden<br />

US-Dollar) gleich zwei Inder vertreten.<br />

Auf der anderen Seite geht die Weltbank<br />

davon aus, dass über 40 Prozent der indischen<br />

Bevölkerung unter der Armutsgrenze<br />

lebt, die bei einem Einkommen von weniger<br />

als 1,25 Dollar pro Kopf und Tag liegt.<br />

Millionen von Landflüchtlingen<br />

Aufgrund der grossen Armut der Landbevölkerung<br />

machen sich jeden Tag Tausende auf,<br />

ihr Glück in den Städten zu suchen, allen<br />

voran in Mumbai, in dessen Grossraum rund<br />

20 Millionen Menschen leben, und in Neu-<br />

Delhi mit zirka 18 Millionen. Genaue Zahlen<br />

gibt es keine. Die letzte offizielle Volkszählung<br />

fand 2001 statt, und jeden Tag strömen<br />

Tausende von neuen Landflüchtlingen in die<br />

Metropolen, wo sie zuerst auf der Strasse<br />

und dann in den Slums stranden, die sich<br />

überall in den Grossstädten ausbreiten. Insgesamt<br />

gibt es in Indien zurzeit 34 Städte mit<br />

über einer Million Einwohnern. Angesichts<br />

der aus allen Nähten platzenden Zentren ist<br />

in Indien das Thema Auf- und Ausbau von<br />

Infrastrukturen allgegenwärtig und damit auch<br />

der erste Programm punkt des Fieldtrip. Verschiedene<br />

staatliche Agenturen gehen davon<br />

aus, dass in den nächsten Jahren Investitionen<br />

von rund 500 Milliarden US-Dollar<br />

notwendig werden, um den ungeheuren<br />

Nach holbedarf im Transport wesen (Strassen,<br />

Brücken, Tunnels etc.) und in der Energie-,<br />

Gas- und Wasserversorgung abzudecken.<br />

Entsprechend steht für die erste Gastreferentin<br />

Bidisha Ganguly in Delhi fest: «Das weltweite<br />

Wachstumszentrum hat sich nach Osten<br />

und insbesondere nach China und Indien verschoben.»<br />

Die Leiterin der Research-Abteilung<br />

der Confederation of Indian Industry in<br />

Neu-Delhi gibt eine erste Grobübersicht der<br />

grössten Herausforderungen im Bereich Infrastruktur<br />

und macht auch keinen Hehl daraus,<br />

dass viele dieser Projekte häufig durch<br />

politische und bürokratische Hemmnisse erschwert<br />

würden. Gleichwohl sieht die nächste<br />

Referentin, Sanja Sethi von Kotak Capital,<br />

auch in dieser Beziehung deutliche Fortschritte<br />

und damit auch grössere Chancen.<br />

So würden in Indien jeden Tag 23 Highway-<br />

Kilometer fertiggestellt.<br />

Moser Baer in der Industriestadt Noida<br />

Dass der Strassenbau noch stark auf einfacher<br />

Handarbeit, nicht zuletzt von Frauen,<br />

basiert, ist auf der Busfahrt nach Noida zu<br />

sehen. «Schliesslich müssen wir unsere Massen<br />

irgendwie beschäftigen», erklärt die indische<br />

Reisebegleiterin. Noida ist die Abkürzung<br />

für New Okhla Industrial Development<br />

Authority. Dabei handelt es sich um<br />

eine in den 1970er-Jahren auf dem Reissbrett<br />

geplante Industriestadt im Osten von ><br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


64 Wirtschaft Indien<br />

1 Das Nanotech-Laboratorium des Indian<br />

Institute of Technology (IIT) von Mumbai.<br />

2 Eine Bollywood-Filmcrew dreht in<br />

den Hügeln von Film City in Mumbai eine<br />

Beerdigung. 3 Liefert das Mittagessen<br />

mit Blechboxen vom heimischen Herd<br />

direkt an den Arbeitsplatz in Downtown<br />

Mumbai: ein Dabbawala-Bote. 4 Bietet<br />

zum Preis von 2500 US-Dollar Platz für<br />

vier Personen und ein Mindestmass an<br />

Autokomfort: der Tata Nano. 5 Unterwegs<br />

in einem Vorort von Mumbai.<br />

1 2<br />

3<br />

4<br />

Neu-Delhi, wo mittlerweile rund zwei Millionen<br />

Menschen leben. Dass die Millionenvorstadt<br />

bereits zum angrenzenden Bundesstaat<br />

Uttar Pradesh gehört, birgt offenbar gewissen<br />

politischen Konfliktstoff.<br />

Eines der dort in den 1980er-Jahren angesiedelten<br />

Unternehmen ist Moser Baer.<br />

Dabei handelte es sich ursprünglich um ein<br />

Joint Venture mit der Schweizer Firma Moser<br />

Baer in Sumiswald, die heute aber nicht mehr<br />

beteiligt ist. Moser Baer in Indien ist der weltweit<br />

zweitgrösste Hersteller von optischen<br />

Speichermedien, sprich CDs, DVDs aller<br />

Art bis hin zu Blue-ray Discs mit bis zu<br />

25 Gigabyte Speicherkapazität, die danach<br />

unter verschiedensten Labels in den Handel<br />

gelangen. Daneben stieg das Technologieunternehmen<br />

2005 aufgrund gewisser Synergien<br />

in der Produktionstechnik in die Herstellung<br />

von Fotovoltaik-Zellen ein. Dazu<br />

kam 2006 die Herstellung und der Vertrieb<br />

von eigenen Home-Entertainment- sowie<br />

gewissen Heimelektronik-Produkten wie<br />

Kopfhörern, DVD-Playern oder optischen<br />

Computer-Mäusen. Moser Baer beschäftigt<br />

in Indien an vier Standorten über 7000 Mitarbeitende.<br />

In der Diskussion mit dem Verantwortlichen<br />

von Moser Baer kommt unweigerlich<br />

die Rede auf die Vor- und Nachteile<br />

des Produktionsstandorts Indien gegenüber<br />

China. Dabei wird von Abhinav Kanchan, Leiter<br />

Corporate Communications, das aufstrebende<br />

Markt- und Geschäftsumfeld, die breite<br />

Unterstützung seitens der Regierung, die<br />

höheren Ausbildungsstandards und vor allem<br />

auch der Vorteil der englischen Sprache, die<br />

in Indien von grossen Teilen der gebildeten<br />

Bevölkerung sehr gut gesprochen wird, ins<br />

Feld geführt.<br />

Das erste moderne Auto Indiens<br />

Der zweite Werksbesuch führt in den Westen<br />

von Delhi in das Industriegebiet von Gurgaon.<br />

Dort fuhr am 14. Dezember 1983 mit dem<br />

Maruti 800 der erste moderne indische Personenwagen<br />

vom Band. Maruti wurde 1981<br />

von der indischen Regierung als Joint Venture<br />

mit Suzuki gegründet. Heute gehören<br />

54 Prozent dem japanischen Hersteller. Das<br />

Land Indien ist weltweit der zwölft grösste<br />

Fahrzeughersteller. Rund elf Millionen zwei-,<br />

drei- und vierrädrige Fahrzeuge werden hier<br />

produziert. Der mit Abstand grösste Personenwagenhersteller<br />

ist Suzuki Maruti. Mit<br />

722 144 verkauften Autos im Jahr 2008/<br />

2009 betrug der Marktanteil auf dem Heimmarkt<br />

55 Prozent. Gleichzeitig gehen mittlerweile<br />

fast <strong>10</strong>0 000 Fahrzeuge in den Export,<br />

allen voran der vor zwei Jahren lancierte<br />

Kleinwagen A-Star, der in Europa unter dem<br />

Namen Alto verkauft wird. Ajay Seth, CFO<br />

von Suzuki Maruti, ist überzeugt, dass für die<br />

Muttergesellschaft Suzuki Indien als Produktionsstandort<br />

noch wichtiger werden wird:<br />

«So werden wir auch als erster Standort<br />

ausserhalb Japans einen eigenen R&D-Bereich<br />

bekommen. Damit können wir noch<br />

schneller auf den boomenden Heimmarkt reagieren.»<br />

Spannend ist in diesem Zusammenhang<br />

auch die Diskussion rund um die<br />

neue Konkurrenz durch den Tata Nano. Der<br />

bis anhin vor allem im Geländewagen und<br />

Lastwagen-Segment beheimatete indische<br />

Hersteller stellte vor zwei Jahren dieses Billigauto<br />

vor, das mit einem Preis von 2500<br />

US-Dollar für Millionen von Indern den Traum<br />

von einem motorisierten Fahrzeug auf vier<br />

Rädern Wirklichkeit werden lassen soll. Dazu<br />

Seth: «Natürlich beobachten wir die Entwicklungen<br />

um den Nano sehr genau. Doch<br />

grundsätzlich interessiert uns dieses Billigstsegment<br />

nicht. Auch liegen die Verkaufszahlen<br />

des Nano zurzeit noch weit hinter den<br />

Erwartungen von Tata zurück.» Seth macht<br />

Fotos: André Springer<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Indien Wirtschaft 65<br />

1 Indiens demografische Dividende<br />

Im Gegensatz zu vielen westlichen Industrieländern<br />

ist die indische Bevölkerung jung. Der<br />

Anteil der über 50-Jährigen dürfte im Lauf<br />

des nächsten Jahrzehnts eher zurückgehen.<br />

Quelle: Vereinte Nationen<br />

Einwohner (Mio.)<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

<strong>10</strong>0<br />

0<br />

0 –14 15–24 25–49 50–59 60+<br />

Alter<br />

2000 2020E<br />

5<br />

auch deutlich, dass der Marktanteil zwar<br />

wich tig sei, aber nicht um jeden Preis.<br />

Der anschliessende Besuch der Produktions<br />

halle präsentiert eine effizient funktionierende<br />

Fertigungslinie mit einem relativ<br />

grossen Anteil an Handarbeit. Suzuki Maruti<br />

beschäftigt an zwei Standorten rund 7500<br />

Mitarbeitende, wobei Seth stolz herausstreicht,<br />

dass ihre Mitarbeitenden im Durchschnitt<br />

seit 15 Jahren für Maruti arbeiteten,<br />

was für die guten Ar beits bedingungen<br />

sprech e. Der Lohn eines Arbeiters, der seit<br />

zehn Jahren bei der Firma sei, betrage um<br />

die 600 US-Dollar im Monat.<br />

Sechs Millionen Pendler in Mumbai<br />

Nach dem Besuch von Suzuki Maruti geht<br />

die Reise weiter nach Mumbai. Bis 1995<br />

hiess die Stadt Bombay und für die meisten<br />

Einheimischen ist es immer noch so. Doch<br />

offiziell trägt sie seither den Namen der Göttin<br />

der regionalen Koli-Fischer namens Mumbai.<br />

Jeden Tag pendeln rund sechs Millionen<br />

Menschen in überfüllten Zügen aus den Vorstädten<br />

ins Zentrum. Im 45- Sekunden-Takt<br />

treffen die Züge im ehrwürdigen Victoria-<br />

Terminal ein. Abends treffen sich jeweils Tausende<br />

auf den ausladenden Sandstränden<br />

und geniessen dicht gedrängt den Sonnenuntergang<br />

am arabischen Meer. Zum Schwimmen<br />

ist das Meer zu verdreckt, aber das stört<br />

niemanden.<br />

Nach verschiedenen Vorträgen zu Private<br />

Equity und sonstigen Investmentmöglich keiten<br />

sowie zu steuerlichen Eigenheiten von<br />

Indien – so machte ein vorteilhaftes Doppelbesteuerungsabkommen<br />

Mauritius zum grössten<br />

ausländischen Investorenland – ist die<br />

Reihe an Virat Khullar, Brand Manager von<br />

Tata Nano Car. Er stellt das Konzept des Billigautos<br />

vor. Der Nano soll weit unten in der<br />

Fahrzeugpyramide die preislich grosse Lücke<br />

zwischen den motorisierten Zweirädern und<br />

dem bislang preiswertesten Auto schliessen.<br />

Das Potenzial scheint riesig, schliesslich<br />

werden in Indien pro Jahr rund zehn Millionen<br />

Zweiräder verkauft. Dabei hat Tata aber keineswegs<br />

die urbane Bevölkerung im Visier,<br />

sondern vielmehr die untere Mittelschicht auf<br />

dem Land. Ihnen soll für 2500 US-Dollar Platz<br />

für vier Personen, geschützt vor Wind und<br />

Wetter, mit allen gängigen Sicherheitsstandards<br />

geboten werden. Herausgekommen<br />

ist ein kleines, rundliches Auto mit vier Türen,<br />

einem 35 PS starken Zweizylindermotor unt e r<br />

dem Rücksitz und etwas Stauraum darüber, ><br />

2 Beiträge zum BIP-Wachstum<br />

in Indien<br />

Der Anteil der Landwirtschaft am indischen<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht rasch zurück,<br />

während die Sektoren Handel, Hotellerie,<br />

Verkehr und Kommunikation an Bedeutung<br />

gewinnen. Quelle: Credit Suisse<br />

%<br />

<strong>10</strong>0<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

01 02 <strong>03</strong> 04 05 06 07 08<br />

Landwirtschaft<br />

Bergbau<br />

Verarbeitendes Gewerbe<br />

Strom-, Gas- und Wasserversorgung<br />

Handel, Hotellerie, Verkehr und<br />

Kommunikation<br />

Finanz-, Immobilien- und<br />

Geschäftsdienstleistungen<br />

Gemeinde- und Sozialwesen<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


66 Wirtschaft Indien<br />

War bereits zum siebten Mal Gastgeber bei<br />

einem Interachtive Fieldtrip: Arthur Vayloyan,<br />

Leiter Investment Services and Products in<br />

der Division Private Banking.<br />

Interactive Fieldtrips Seit 2006<br />

organisiert das Private Banking<br />

der Credit Suisse für Kunden und<br />

Investoren so genannte Interactive<br />

Fieldtrips. Diese führen in der<br />

Regel in Märkte, die noch relativ<br />

unbekannt sind und gleichzeitig<br />

ein interessantes Potenzial für<br />

Investitionen bergen. Initiator und<br />

Organisator der bislang sieben<br />

Interactive Fieldtrips ist Arthur<br />

Vayloyan, Leiter Investment<br />

Services and Products im Private<br />

Banking. Für ihn steht fest: «Mit<br />

diesen Reisen bieten wir den<br />

Teilnehmern die einmalige Chance,<br />

vor Ort vertiefte Einblicke in<br />

spannende Regionen und Märkte<br />

zu gewinnen. Darüber hinaus<br />

kommt es bei diesen Fieldtrips<br />

auch immer zu angeregten Diskussionen<br />

mit unseren Experten,<br />

aber auch direkt unter den Teilnehmern.<br />

Auf so einer Reise<br />

trifft enorm viel Wissen und Erfahrung<br />

aufeinander.»<br />

das eine Spitzengeschwindigkeit von rund<br />

<strong>10</strong>0 km/h erreicht und zirka 4,5 Liter Benzin<br />

auf <strong>10</strong>0 Kilometer verbraucht. Bei der Sitzprobe<br />

erweist sich das Billigauto als erstaunlich<br />

geräumig und die Ausstattung ist zwar<br />

sehr einfach, aber bedienungsfreundlich.<br />

Proteste verzögern Nano-Produktionsstart<br />

Zurzeit lässt sich noch nicht abschätzen, ob<br />

das Konzept an der Verkaufsfront langfristig<br />

Erfolg haben wird. Die Produktion ist immer<br />

noch in der Anlaufphase. Ungereimtheiten<br />

beim Kauf des Lands führten zu Protesten<br />

bei der Baustelle des ursprünglichen Standorts.<br />

Obwohl Tata vor Gericht recht bekommen<br />

habe und immer noch im Besitz des<br />

Lands sei, hätte es die Konzernleitung vorgezogen,<br />

die Produktion an einen neuen<br />

Standort zu verlegen, erzählt Virat Khullar.<br />

«Vor allem auch, um die Arbeiter nicht diesen<br />

Protesten auszusetzen.» Entsprechend konnten<br />

erst 25 000 der über 200 000 bereits bestellten<br />

Nanos ausgeliefert werden. «Interessanterweise<br />

haben <strong>10</strong>0 000 das Auto bereits<br />

im Voraus bezahlt und warten nun geduldig,<br />

bis sie es bekommen.» Läuft die Produktion<br />

und Nachfrage nach Wunsch, so soll in fünf<br />

Jahren der Sprung ins Ausland erfolgen.<br />

Passend zum Zeitpunkt erfolgt kurz vor<br />

dem Mittagessen die Präsentation der über<br />

<strong>10</strong>0-jährigen Dabbawala-Erfolgsgeschichte.<br />

Dabei handelt es sich um eine Art Lunchbox-<br />

Lieferservice. Für umgerechnet sechs Dollar<br />

im Monat holt ein Dabbawala-Bote um <strong>10</strong><br />

Uhr morgens das frisch zubereitete Mittagessen<br />

und liefert es dank einem ausgeklügelten<br />

Sammel-, Transport- und Verteilsystem<br />

rechtzeitig zur Mittagspause beim Auftraggeber<br />

ab. So werden tagtäglich über<br />

200 000 Lunchboxen von 5000 Boten nach<br />

Mumbai geliefert. Fehlerquote: eine fehlgeleitete<br />

Blechbox auf 16 Millionen Aufträge.<br />

Zuerst das Essen und dann das Kino<br />

Der Nachmittag ist ganz dem Thema Bollywood<br />

gewidmet. Zuerst gibt Filmproduzent<br />

Bobby Bedi eine kurze Einführung. Für ihn<br />

steht fest, dass für einen Inder auf der Bedürfnispyramide<br />

knapp nach dem Essen das<br />

Kino kommt (siehe Interview Seite 68). Film City<br />

in Mumbai entpuppt sich als wenig glamouröser<br />

Ort. Die Kulissen an den verschiedenen<br />

Drehorten sind sehr behelfsmässig hingestellt.<br />

Überall auf dem hügeligen Gelände<br />

drehen irgendwelche Crews Outdoor-Szenen.<br />

Aufschlussreich ist der Besuch der digitalen<br />

Studios von Prime Focus, einer auf<br />

tionsfirma. 1995 von vier jungen Filmfans<br />

gegründet, ist es heute ein global agierendes<br />

Unternehmen, das sieben Tage in der Woche<br />

und rund um die Uhr im Einsatz steht. Ein<br />

wichtiger Bereich ist das Umwandeln von<br />

2D-Aufnahmen in 3D-Erlebnisse. So hat Prime<br />

Focus auch bei rund 200 Einstellungen<br />

des Kassenschlagers Avatar mitgewirkt.<br />

Mittlerweile ist Prime Focus auf drei Kontinenten<br />

und in fünf Zeitzonen mit 15 Studios<br />

aktiv. Nebst der Postproduktion von Kinofilmen<br />

ist die Firma auch für Werbefilme ein<br />

begehrter Partner. Und dieser Bereich explodiert<br />

zurzeit in Indien. 2009 wurden über<br />

50 000 TV- und Kino-Werbespots gedreht –<br />

20<strong>10</strong> sollen es 85 000 werden.<br />

Jeder Hundertste schaffts ans IIT<br />

Bleiben am letzten Tag in Mumbai die Besuche<br />

des Indian Institute of Technology (IIT)<br />

und eines wohltätigen Ausbildungsprojekts.<br />

Das Institut bildet weltweit begehrte IT-Ingenieure<br />

aus, obwohl die Infrastruktur auf den<br />

ersten Blick kaum nach Hightech aussieht.<br />

In Indien gibt es insgesamt sieben Institutes<br />

of Technology. Sie gelten als eigentliche Karrieresprungbretter.<br />

Wer einen Studienplatz<br />

haben will, muss ein knallhartes Auswahl verfahren<br />

überstehen. So melden sich jedes Jahr<br />

500 000 Studenten zum Einstiegstest an,<br />

doch nur ein Prozent, sprich die 5000 Besten,<br />

bekommen einen Platz. Und wer nach dem<br />

Bachelor noch den Master machen will, muss<br />

erneut eine Aufnahmeprüfung absolvieren,<br />

die nur jeder Dritte besteht. Auf der anderen<br />

Seite gibt es gemäss Rajeev Deshpande,<br />

dem Chief Development Officer des IIT,<br />

praktisch keine Aussteiger während des<br />

Studiums. «Wer hier ist, hat bewiesen, dass<br />

er dazu fähig ist, und will unbedingt seine<br />

Chance wahrnehmen.» So erhalten viele der<br />

Absolventen schon während des letzten Semesters<br />

lukrative Jobangebote von zumeist<br />

global agierenden Firmen. «Die meisten verdienen<br />

von Beginn weg mehr als wir Professoren»,<br />

sagt Deshpande und spricht von<br />

durchschnittlich 15 000 US-Dollar Jahresgehalt.<br />

Doch damit gehörten sie in Indien<br />

bereits zur oberen Mittelschicht. Wer wirklich<br />

Glück habe, der würde von einem globalen<br />

Konzern in Indien einen westlichen Lohn erhalten,<br />

der häufig bei 70 000 US-Dollar und<br />

mehr Einstiegsgehalt liege.<br />

Berufsanlehre als Chance<br />

Mehrheitlich weniger als <strong>10</strong>00 US-Dollar pro<br />

Jahr verdienen dagegen die Bewohner des<br />

visuelle Spezialeffekte fokussierten Produk- Armenviertels Bandra Ost in Mumbai, wo ><br />

Foto: André Springer<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Indien Wirtschaft 67<br />

3 Indiens unterschiedliche Sektoren<br />

Indien ist eine marktwirtschaftliche Demokratie. In strategischen Sektoren finden sich öffentlich-private Partnerschaften. Indiens Unternehmenskultur<br />

begünstigte das Wachstum florierender Sektoren des verarbeitenden Gewerbes und der kompetenzorientierten Dienstleisungsindustrie.<br />

Ausser dem ist Indien reich an Bodenschätzen. Quelle: Indian Automotive Mission Pan, SIAM, Economic Survey, India Brand Equity Foundation, Ministry of Textiles, Investment Commission of India<br />

HIMACHAL PRADESH<br />

LUDHIANA<br />

GURGAON<br />

DELHI<br />

NOIDA<br />

JAIPUR<br />

ASSAM<br />

MADHYA PRADESH<br />

JHARKAND<br />

SURAT<br />

CHHATTISGARH<br />

WEST BENGAL<br />

ORISSA<br />

MUMBAI<br />

PUNE<br />

HYDERABAD<br />

BANGALORE<br />

TAMIL NADU<br />

AUTO<br />

EDELSTEINE UND SCHMUCK<br />

IT-INDUSTRIE<br />

TEXTILINDUSTRIE<br />

Indische<br />

Automobilindustrie<br />

Norden – Delhi, Gurgaon, Noida;<br />

Süden – Tamil Nadu;<br />

Westen – Pune<br />

Umfang des Auto- und<br />

Zuliefermarkts<br />

50 Milliarden US-Dollar<br />

In Indien verkaufte Fahrzeuge<br />

2008–2009<br />

11 Millionen Fahrzeuge<br />

Davon Exporte<br />

1,5 Millionen<br />

BIP-Anteil<br />

7 Prozent<br />

Rang in der Weltproduktion<br />

12<br />

Beschäftigte in der Industrie<br />

13 Millionen<br />

Indische Textilindustrie<br />

Norden – Ludhiana, Jaipur,<br />

Himachal Pradesh;<br />

Süden – Tamil Nadu<br />

Marktumfang<br />

52 Milliarden US-Dollar<br />

Davon Exporte<br />

36 Prozent<br />

BIP-Anteil<br />

4 Prozent<br />

Davon Exporte<br />

12 Prozent<br />

Rang in der Weltproduktion<br />

7. Rang bei Textilien,<br />

6. bei Bekleidung,<br />

drittgrösster Baumwollproduzent,<br />

zweitgrösster Seidenproduzent<br />

Beschäftigte in der Industrie<br />

35 Millionen (zweitgrösster<br />

Sekto r nach der Landwirtschaft)<br />

Indische IT- und ITeS-<br />

Industrie<br />

Süden – Bangalore, Hyderabad;<br />

Westen – Pune, Mumbai;<br />

Norden – Delhi, Gurgaon, Noida<br />

Marktumfang<br />

72 Milliarden US-Dollar<br />

Davon Exporte<br />

67 Prozent<br />

BIP-Anteil<br />

6 Prozent<br />

Weltmarktanteil<br />

5 Prozent<br />

Beschäftigte in der Industrie<br />

<strong>10</strong> Millionen<br />

Indische Edelstein- und<br />

Schmuckindustrie<br />

Westen – Surat, Mumbai<br />

Marktumfang<br />

27 Milliarden US-Dollar<br />

Davon Exporte<br />

40 Prozent<br />

Weltmarktanteil im Bereich<br />

Diamantschleifen und -polieren<br />

82 Prozent nach Karat,<br />

60 Prozent nach Wert<br />

Rang beim weltweiten Goldverbrauch<br />

1; 20 Prozent der weltweiten<br />

Nachfrage<br />

Rang beim weltweiten<br />

Diamantverbrauch<br />

3<br />

Beschäftigte in der Industrie<br />

1,3 Millionen<br />

Indiens Reichtümer an<br />

Bodenschätzen<br />

Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Jharkand,<br />

Orissa, West Bengal, Assam<br />

Natürliche<br />

Ressourcen<br />

Kohle<br />

Eisenerz<br />

Bauxit<br />

Mangan<br />

Chrom<br />

Reserven<br />

96 Milliarden<br />

Tonnen<br />

24 Milliarden<br />

Tonnen<br />

2,4 Milliarden<br />

Tonnen<br />

240 Millionen<br />

Tonnen<br />

57 Millionen<br />

Tonnen<br />

Rang<br />

Drittgrösste<br />

Reservenbasis<br />

der Welt<br />

Fünftgrösste<br />

Reservenbasis<br />

der Welt<br />

Viertgrösste<br />

Reservenbasis<br />

der Welt<br />

Zweitgrösste<br />

Reservenbasis<br />

der Welt<br />

Drittgrösste<br />

Reservenbasis<br />

der Welt<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


68 Wirtschaft Indien<br />

die Kherwadi Social Welfare Association<br />

ein Berufsausbildungszentrum für junge Erwachsene<br />

betreibt. Dort durchlaufen Jugendliche<br />

im Alter von 16 bis 25 Jahren Anlehren<br />

zu Mechanikern, Klimaanlagen- und Kühlschrank-Monteuren,<br />

Datenverarbeitern oder<br />

auch zu Kosmetikerinnen und Pflegerinnen.<br />

Bei der Einführung unter einem heissen<br />

Blech dach erhalten auch noch weitere Hilfsund<br />

Mikrofinanzorganisationen die Gelegenheit,<br />

sich und ihre verschiedenen Lösungsansätze<br />

vorzustellen. Der Besuch des Armenviertels<br />

von Bandra Ost setzt dem viertägigen<br />

Fieldtrip nach Indien einen eindrücklichen<br />

Schlusspunkt. Die Teilnehmer kehren vollgepackt<br />

mit Eindrücken und Einschätzungen<br />

von einem Land im Aufbruch nach Hause<br />

zurück, das in seiner Vielfalt und Gegensätzlichkeit<br />

kaum zu übertreffen ist und neben all<br />

den Problemen auch unübersehbar eine Fülle<br />

von Chancen und Möglichkeiten bietet. <<br />

Wettstreit der Metro polen Obwohl<br />

Neu -Delhi die Hauptstadt und<br />

mit 18 Millionen Einwohnern nur<br />

unwesentlich kleiner ist, steht es<br />

für die meisten Inder im Schatten<br />

von Mumbai. Dieser gigantische<br />

Moloch, eingepfercht auf einer<br />

Halbinsel an der Westküste, ist für<br />

die Inder, was für die Amerikaner<br />

Los Angeles: Die Stadt der Träume,<br />

wo Tellerwäscher-Karrie ren wahr<br />

werden, wo Bollywood aus einfachen<br />

Landmädchen Stars macht,<br />

wo das Finanzzentrum Indiens<br />

ist, wo alle grossen Welt konzerne<br />

ihre Büros mit gut bezahlten Jobs<br />

haben. Dagegen ticken in Neu-<br />

Delh i die Uhren geruhsamer im Beamtentakt.<br />

Und Platz zum Wachsen<br />

gibt es in alle Richtungen beliebig.<br />

Die Hauptstadt verfügt über<br />

ausladende Prachtalleen, einen<br />

gigantischen Präsidenten palast,<br />

eine Unzahl an Ministerien, Wohnvillen<br />

von Parlamentsmit gliedern,<br />

Botschaften und ein funktionierendes<br />

Transportsystem inklusive<br />

neu erstellter, schmucker U-Bahn.<br />

«Das normale Leben<br />

will niemand sehen»<br />

Bobby Bedi gehört zu den wenigen Filmproduzenten Indiens, die auch<br />

im Ausland erfolgreich sind. Sein Film «The Rising» war 2005 der Eröffnungsfilm<br />

am Filmfestival Locarno. Er spricht über die Rolle des indischen<br />

Films, das Indien von morgen und die Beziehung Bollywoods zur Schweiz.<br />

«Das Kino gibt den Indern die Möglichkeit, in die<br />

Welt zu verreisen», Bobby Bedi, Filmproduzent.<br />

<strong>bull</strong>etin: Welche Bedeutung hat das Kino<br />

in Indien?<br />

Bobby Bedi: Indien ist ein extrem vielfältiges<br />

Land. Wir haben nur zwei verbindende<br />

Elemente: Die englische Sprache und das<br />

Kino. Die indischen Filme sind ein wichtiges<br />

Mittel, um die 1,3 Milliarden Menschen zusammenzuhalten.<br />

Ist das Kino nicht auch ein Mittel, um<br />

die Armen in den Slums ruhigzustellen?<br />

Nein, das glaube ich nicht. Natürlich hilft<br />

das Kino, aus dem Alltag zu flüchten, und<br />

hat somit eine stabilisierende Wirkung. Das<br />

gilt aber für alle Menschen. Auch sehen<br />

sich Leute in den Slums nicht als arm. Sie<br />

sind es im Vergleich zu einem Touristen aus<br />

dem Westen. Aber die meisten haben irgendeine<br />

Art von Auskommen und können<br />

sich Dinge leisten. So finden Sie auf jeder<br />

Hütte eine Satelliten-Schüssel und die<br />

meisten haben einen DVD-Player.<br />

Haben Sie auch das Geld, um ins<br />

Kino zu gehen?<br />

Ja, alle gehen ins Kino. Der Eintritt kostet<br />

ja auch nur 20 bis 30 Cents oder so.<br />

Wo verdienen Sie bei diesen Ticketpreisen<br />

als Produzent Ihr Geld?<br />

Es ist schwierig, aber die schiere Zahl von<br />

1,3 Milliarden Einwohnern hilft.<br />

Für wen machen Sie Ihre Filme?<br />

Indische Filme müssen für die Massen sein.<br />

Wenn Sie nur die Oberklasse ansprechen<br />

wollen, dann wird es ein Flop. Man muss die<br />

Massen erreichen.<br />

Dann will die Oberklasse lieber<br />

intel lektuelle Filme aus Frankreich<br />

ansehen?<br />

Nein, niemand will die intellektuellen französischen<br />

Filme, ausser vielleicht die Franzosen<br />

selber.<br />

Wer ist Ihr Vorbild?<br />

Ich mag Filme mit einer Botschaft.<br />

Aber solche Filme sind nicht unbedingt<br />

für die Masse?<br />

Warum nicht ? Die Botschaft kann sehr einfach<br />

sein. Ein Mann verliebt sich in eine<br />

Frau, wirbt und kämpft für sie, damit sie am<br />

Schluss zueinanderfinden.<br />

Gibt es keine politischen Filme<br />

in Indien?<br />

Die zeigen das normale Leben. Dafür will<br />

niemand bezahlen.<br />

Und wie ist die Beziehung von Bollywood<br />

zur Regierung?<br />

Wir sind eines der wenigen Länder, wo<br />

die Filmindustrie die Regierung subventioniert<br />

und nicht umgekehrt. Klar gibt es gewisse<br />

Richtlinien und Grenzen, die man<br />

nicht überschreiten darf. Aber die sind kein<br />

Problem.<br />

Wie sehen Sie die Zukunft der<br />

indischen Filmindustrie?<br />

Die Welt hat eine schwierige Zeit hinter sich.<br />

Und Filme, die eine heile, schöne Welt vorgaukeln,<br />

werden noch wichtiger.<br />

Wie sind Sie persönlich zum Film<br />

gekommen?<br />

Foto: André Springer<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Ursprünglich habe ich für eine Computerfirma<br />

gearbeitet. Danach war ich für zwei<br />

Grosskonzerne der Unterhaltungselektronik<br />

tätig. Eines Tages habe ich mich dann entschieden,<br />

mein ganzes Geld in eine eigene<br />

Filmproduktionsfirma zu stecken.<br />

Offenbar mit Erfolg.<br />

Ich hatte enorm viel Glück. Gleich der erste<br />

Film, den ich machte, war ein Erfolg.<br />

Und von dort kam dann auch das Geld,<br />

um weiterzumachen.<br />

Von dort kam das Selbstvertrauen, um weiterzumachen.<br />

Wie viele Filme produzieren Sie im Jahr?<br />

Drei bis vier.<br />

Was ist Ihre Triebfeder?<br />

Ich will den Menschen mit meinen Filmen<br />

Hoffnung und eine Botschaft geben. Ich sehe<br />

das als eine Art Lebenssinn für mich. Und<br />

ich bin glücklich, das zu machen.<br />

Was halten Sie von der Schweiz ?<br />

Indiens Filmindustrie pflegt sehr gute Beziehungen<br />

zur Schweiz. Der indische Filmproduzent<br />

und Regisseur Yash Chopra bekam<br />

sogar die Schweizer Ehrenbürgerschaft verliehen<br />

und ein kleiner Bergsee wurde inoffiziell<br />

nach ihm benannt. Er war der erste<br />

indische Filmemacher, der in der Schweiz<br />

drehte. Dank dieser Filme vor Schweizer<br />

Kulis se hat sich der indische Tourismus in<br />

der Schweiz innert weniger Jahre auf das<br />

700-Fache vergrössert.<br />

Warum gerade die Schweiz ? Es gibt<br />

viele schöne Orte auf der Welt .<br />

Früher hat Chopra häufig in den Bergen von<br />

Kaschmir gedreht. Dann ging das wegen des<br />

Grenzkonflikts nicht mehr. Da waren die<br />

Alpen eine wunderschöne Alternative. Das<br />

Kino gibt den Indern die Möglichkeit, in die<br />

Welt zu verreisen, sei es zu den Tulpen nach<br />

Holland oder zu den Bergen in der Schweiz<br />

oder in Österreich. Und sobald es ihnen ökonomisch<br />

etwas besser geht, dann wollen sie<br />

diese schönen Orte selber sehen. Die meisten<br />

Inder reisen in die Schweiz wegen der<br />

Bollywood-Filme.<br />

Wo wird Indien in 20 Jahren sein?<br />

Das ist eine relativ kurze Zeit. Doch Indien<br />

wird sicher ein bevorzugtes Ziel sein, um Geschäfte<br />

zu machen. Ich glaube nicht, dass es<br />

je reich sein wird oder dass die Armut verschwinden<br />

wird. Doch wenn man Reichtum<br />

nicht nur mit der Anzahl Dollars misst, sondern<br />

mit Zufriedenheit und Glück, dann wird<br />

Indien in 20 Jahren zu den bevorzugten Destinationen<br />

gehören. dhu<br />

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70 Wirtschaft Asset Allocation<br />

Vom Papier zum Port folio:<br />

So wird die Anlagestrategie<br />

umgesetzt<br />

In den jüngsten Ausgaben des <strong>bull</strong>etin zeigten wir auf, wie die Anlagestrategie der<br />

Credit Suisse erarbeitet wird. Lebendig wird das Portfolio jedoch erst durch die<br />

konkrete Umsetzung. Kunden der privaten Vermögensverwaltung können hierbei auf<br />

das Know-how der Portfoliomanager des Asset Management zählen.<br />

Text: Anja Hochberg, Head of Investment Strategy, und Andreas Russenberger, Head of MACS Mandates and Funds<br />

Ein gut diversifiziertes Portfolio ist der<br />

Grundbaustein einer erfolgreichen Anlagestrategie.<br />

Dies wird durch eine langfristige<br />

Anlagestrategie sichergestellt. Die Aufstellung<br />

des Portfolios anhand einer so genannten<br />

Benchmark Asset Allocation ist dabei der<br />

Anker dieser Anlagestrategie. Darüber hinaus<br />

ergeben sich taktische Inves titions möglichkeiten,<br />

die auf einen Zeitraum von einem<br />

bis sechs Monaten ausgerichtet sind und innerhalb<br />

der privaten Vermögensverwaltung<br />

zeitnah, effizient und transparent umgesetzt<br />

werden können.<br />

Grundrezept und genaue Zutaten<br />

Ist die taktische Asset Allocation einmal definiert,<br />

geht es darum, die Anlagestrategie<br />

unter Berücksichtigung des gewählten Risikos<br />

in den einzelnen Mandaten in eine praktisch<br />

umsetzbare und transparente Vermögensaufteilung<br />

umzuwandeln. Denn die Investmentstrategie<br />

gibt nur den allgemeinen,<br />

allerdings sehr wichtigen, Rahmen vor. So<br />

wird in der Asset Allocation festgelegt, wie<br />

hoch zum Beispiel der Aktienanteil in einem<br />

bestimmten Risikoprofil sein soll. Die Vermögensaufteilung<br />

stellt sozusagen das<br />

Grundrezept dar, die genauen Zutaten werden<br />

erst später beigegeben und das Gericht<br />

je nach Typ «abgeschmeckt». Die Portfoliomanager<br />

konstruieren anschliessend das<br />

Portfolio auf Basis der empfohlenen Vermögensaufteilung<br />

und der am besten geeigneten<br />

Wertpapiere. Je nach Mandatstyp können<br />

die Portfoliomanager in verschiedene<br />

Instrumente investieren, die von Einzeltiteln<br />

über Fonds nach dem Best-Manager-Ansatz<br />

bis hin zu indexorientierten Anlagen, den so<br />

genannten Exchange-Traded Funds (ETF),<br />

reichen. Dabei prüfen die Portfoliomanager<br />

die Anlageentscheide hinsichtlich der Umsetzungsmöglichkeiten<br />

und erarbeiten gegebenenfalls<br />

eine individuelle Lösung für den<br />

spezifischen Mandatstyp.<br />

Aktien untergewichten, auf Gold setzen<br />

Wie wir gesehen haben, ist die Umsetzung<br />

der Anlagestrategie in den Gesamtanlageprozess<br />

eingebettet. Damit wird ein Portfolio<br />

vom Anlageentscheid bis zum tatsächlichen<br />

Portfolio nachvollziehbar. Ausserdem werden<br />

damit Kontinuität und Konsistenz sichergestellt.<br />

Nehmen wir ein Beispiel: Entsprechend<br />

der aktuellen Anlagestrategie, die<br />

monat lich, bei Bedarf aber auch häufiger<br />

angepasst werden kann, werden Aktien in<br />

einem Balanced-Mandat mit der Referenzwährung<br />

Euro aufgrund der Unsicherheiten<br />

im Markt neu untergewichtet (siehe dazu auch<br />

die Grafik auf Seite 71 oben). Die Aktienquote<br />

soll per Anlageentscheid verkleinert werden,<br />

und zwar hauptsächlich dadurch, dass Aktien<br />

aus der Eurozone reduziert werden. Der<br />

Portfoliomanager wird nach eingehender<br />

Prüfung der Zusammensetzung seines Portfolios<br />

nun einen Teil der Aktien verkaufen. Es<br />

zeigt sich, dass das Engagement in Deutschland<br />

kaum reduziert werden soll, da das exportlastige<br />

Deutschland aufgrund der positiven<br />

Auswirkungen der Euroschwäche auf<br />

seine Exporte und der relativ gesunden<br />

Staatsfinanzen positiv gesehen wird. Gleichzeitig<br />

soll der Anteil des Finanzsektors im<br />

Portfolio verkleinert werden. Der Portfoliomanager<br />

steht nun vor der Aufgabe, die richtigen<br />

Instrumente auszuwählen, um diese<br />

Anlagestrategie umzusetzen. Dabei stehen<br />

je nach Mandatstyp verschiedene Instrumente<br />

zur Verfügung. Er kann das europäische<br />

Aktienmarkt-Exposure reduzieren über entsprechende<br />

marktbreite Regionen-ETF, spezielle<br />

Länder-ETF wie zum Beispiel auf den<br />

Deutschen Aktienindex Dax, Stil-ETF ( EMU<br />

Large Cap, EMU Mid Cap, EMU Small Cap),<br />

Sektor-ETF, aktive Investmentfonds nach<br />

dem Best-Manager-Ansatz oder Einzeltitelverkäufe.<br />

Im vorliegenden Fall wird der Portfoliomanager<br />

den Verkauf durch eine Reduktion<br />

des ETF auf den MSCI EMU Large Cap<br />

und durch einen Verkauf des Sektor-ETF Fi-<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Asset Allocation Wirtschaft 71<br />

EUR – Ausgewogen<br />

Total Aktien<br />

Benchmark<br />

(in %) 36.22 40.00<br />

Aktien Schweiz 1.89 1.00<br />

Equis Switzerland 1.89<br />

Aktien EMU 13.01 16.00<br />

Equis Europe (BM EMU) 2.05<br />

CS ETF on EMU Large Cap 1.<strong>03</strong><br />

CS ETF on EMU Mid Cap 1.28<br />

ST ETF on Consumer Staples 0.95<br />

BASF 1.37<br />

Vinci 1.00<br />

Total 0.83<br />

Münchner Rück 1.18<br />

PPR 1.15<br />

RWE 1.11<br />

Siemens 1.06<br />

Aktien Grossbritannien 0.00 2.50<br />

Aktien USA 9.82 12.00<br />

Equis North America 2.89<br />

Growth V Basket 0.89<br />

SPDR ETF on Materials 0.97<br />

General Electric 1.00<br />

Hewlett-Packard 1.06<br />

Nike 1.16<br />

Occidental Petroleum 0.99<br />

Pepsico 0.86<br />

Aktien Japan 5.15 2.50<br />

Equis Japan 1.05<br />

CS ETF on MSCI Japan Large Cap 4.<strong>10</strong><br />

Aktien Kanada 1.06 0.00<br />

iShares ETF on S&P TSX60 1.06<br />

Aktien Emerging Markets 5.29 6.00<br />

Equis LEA 3.30<br />

CS ETF on EM 1.99<br />

EUR – Ausgewogen<br />

Benchmark<br />

Total Liquidität, Bonds,<br />

Alternative Anlagen<br />

(in %) 63.79 60.00<br />

Liquidität<br />

Cash<br />

8.83<br />

8.83<br />

5.00<br />

Bonds 30.74 35.00<br />

Core Bonds EUR 19.79 35.00<br />

EUR 3 – 5 9.87<br />

Orchis EUR Short Term 1.46<br />

Orchis EUR Medium Term 2.14<br />

Orchis EUR Fixed Income 6.32<br />

Non-Core Bonds <strong>10</strong>.95 0.00<br />

CS Global Convertibles 1.48<br />

CS Global Enhanced FI 9.47<br />

Alternative Anlagen<br />

CS Commodity Allocation<br />

24.22<br />

1.02<br />

20.00<br />

2.50<br />

CS ETF on Gold 5.89 2.50<br />

Hedge Funds<br />

13.46 <strong>10</strong>.00<br />

CS Opp Alt Str EUR<br />

9.41<br />

CS Core Alt Str EUR 4.05<br />

Absolute Private Equity<br />

Realis<br />

1.32<br />

2.53<br />

0.00<br />

5.00<br />

Quelle: Exemplarisches Vermögensverwaltungsportfolio in der Referenzwährung EUR, Anlageprofil<br />

Ausgewogen per <strong>10</strong>. Mai 20<strong>10</strong>, basierend auf der taktischen Asset Allocation von Anfang<br />

Mai 20<strong>10</strong>.<br />

nancials umsetzen. Damit ist Deutschland<br />

entsprechend der Anlagestrategie weiterhin<br />

stärker als andere europäische Länder im<br />

Portfolio vertreten, und Finanztitel haben ein<br />

geringeres Gewicht als vorher.<br />

Bei den Anleihen ist man entsprechend<br />

der Anlagestrategie aufgrund strategischer<br />

Risiken wie Staatsverschuldung, geldpolitischer<br />

Normalisierung und unsicheren Inflationsausblicks<br />

vorsichtig positioniert. Deshalb<br />

wird eine etwas kürzere Duration (durchschnittliche<br />

Kapitalbindungsdauer) als die<br />

Benchmark beibehalten; neben Staatsanleihen<br />

wird unter anderem auch in ausgewähl-<br />

ten Anleihen in Unternehmen respektive<br />

Schwellenländer investiert. Diese Positionierung<br />

wird zum einen Teil über hauseigene<br />

Fonds wie Orchis abgedeckt (siehe Tabelle<br />

oben, rechte Spalte). Hauseigene Fonds haben<br />

den Vorteil, dass sie über die positiven Eigenschaften<br />

einer Kollektivanlage wie Diversifikation<br />

verfügen, jedoch je nach Bedarf<br />

gesteuert werden können und insgesamt<br />

weniger Transaktionskosten für das Portfolio<br />

anfallen.<br />

Gold wird aufgrund seiner strategischen<br />

Attraktivität gegenüber der Benchmark übergewichtet,<br />

denn Gold fungiert häufig als<br />

Risiko puffer beziehungsweise als eine interessante<br />

«Alternativwährung» in unsicheren<br />

Zeiten. So investiert der Portfoliomanager im<br />

Sinne einer transparenten und kosteneffizienten<br />

Investmentphilosophie nicht in verschiedene<br />

Goldvehikel, sondern bündelt die Goldposition<br />

in einem einzigen Instrument, dem<br />

CS ETF auf Gold, das physisch in der Schweiz<br />

gelagert wird (siehe Tabelle oben).<br />

Dem Kunden wird so auf der Basis<br />

eines sehr konsistenten Anlageprozesses ein<br />

aktiv gemanagtes Portfolio zur Verfügung<br />

gestellt, das seinem gewählten Risikoprofil<br />

entspricht. <<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


72 Wirtschaft Anlagestrategien<br />

<strong>Bewegung</strong> als<br />

Strategie und Taktik<br />

Andreas Russenberger, Leiter von Multi Asset Class Solutions (MACS) Mandate<br />

s and Funds der Credit Suisse, erklärt, wie «<strong>Bewegung</strong>» im Zusammenhang<br />

mit der Entwicklung von Anlagestrategien interpretiert werden kann.<br />

Interview: Daniel Huber<br />

<strong>bull</strong>etin: Natürlich ist die ganze Welt in<br />

<strong>Bewegung</strong>. Aber was kommt Ihnen<br />

im Zusammenhang mit <strong>Bewegung</strong> spontan<br />

in den Sinn?<br />

Andreas Russenberger: Grundsätzlich unterscheiden<br />

wir im Portfolio Management zwischen<br />

langfristigen und kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en.<br />

Die langfristigen sind die Trends, auf<br />

die wir unsere Strategien ausrichten. Auf diesen<br />

langfristigen Einschätzungen basieren<br />

die Produktedesigns unserer Strategiefonds<br />

und der Vermögensverwaltungsmandate.<br />

Und in welche Richtung bewegen wir<br />

uns zurzeit anlagestrategisch?<br />

Für mich bleiben ganz klar die aufstrebenden<br />

Märkte Asiens wichtig. Da bewegt sich zurzeit<br />

enorm viel. Das ist auch vor Ort, beispielsweise<br />

in Hongkong, Schanghai oder Singapur,<br />

geradezu physisch spürbar.<br />

Was heisst das konkret für Ihre<br />

Portfolios?<br />

Dass wir die Aktienquote in Märkten, wo wir<br />

viel positive <strong>Bewegung</strong> ausmachen, erhöhen.<br />

Welche anderen grossen <strong>Bewegung</strong>en<br />

respektive Trends machen Sie zurzeit<br />

noch aus?<br />

Wir gehen davon aus, dass die so genannten<br />

Realwerte sich überdurchschnittlich gut entwickeln<br />

werden. Realwerte sind zum Beispiel<br />

Aktien, Immobilien, Rohstoffe oder Gold. Also<br />

alles, wo echte Werte zum Anfassen dahinterstehen.<br />

Diese sollten in den nächsten<br />

Jahren Nominalwerte wie zum Beispiel Zinspapiere<br />

übertreffen.<br />

Was machen Sie mit den kurzfristigen<br />

<strong>Bewegung</strong>en?<br />

Auf die kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en reagieren<br />

wir mit taktischen Anpassungen, indem wir<br />

gewisse Anlagen über- oder untergewichten.<br />

Lassen Sie mich die Unterscheidung von<br />

Strategie und Taktik am Beispiel einer Wanderung<br />

veranschaulichen. Dabei wäre die<br />

«In den aufstrebenden Märkten Asiens<br />

bewegt sich zurzeit enorm viel», sagt<br />

Andreas Russenberger.<br />

Routenplanung die Strategie. Und dann<br />

kommt Ihnen auf dem Bergweg eine Kuh<br />

entgegen oder ihr Weg ist versperrt und Sie<br />

müssen sehr schnell taktisch reagieren und<br />

ausweichen. Es gibt immer Strategie und<br />

Taktik – beides ist wichtig.<br />

Wie stark ist die langfristige Planung in<br />

Stein gemeisselt?<br />

Wir gehen schon davon aus, dass die Trends,<br />

die wir heute ausgemacht haben, längere<br />

Zeit Gültigkeit haben. Die letzten grossen<br />

Anpassungen haben wir 2001 vorgenommen.<br />

Damals nahmen wir Alternative Anlagen in<br />

unsere Strategie auf, also Hedge-Funds und<br />

Private Equity. Diese haben sich bis in die<br />

Finanzkrise 2008 gut bewährt. Seit dieser<br />

Krise wollten die Leute aber wieder Produkte,<br />

die sie verstehen und die real fassbar sind.<br />

Das meine ich sehr wörtlich. Häuser oder<br />

Gold sind auch noch da, wenn die Börse zusammenbricht.<br />

Kehren wir zu den kurzfristigen,<br />

taktischen <strong>Bewegung</strong>en im Anlagebereich<br />

zurück. Was wären da konkrete Beispiele?<br />

Nichts bewegt sich im Anlagebereich so<br />

schnell wie die Aktienmärkte. Dort ist meiner<br />

Meinung nach die Kaufen-und-halten-<br />

Phase ganz klar vorbei. Ein Gewinn von zehn<br />

Prozent kann morgen schon wieder weg sein.<br />

Auch wir können nicht immer beim Tiefstpreis<br />

kaufen und beim Höchstpreis verkaufen.<br />

Doch nehme ich für uns in Anspruch, dass<br />

wir einen Mehrwert generieren können.<br />

Ebenfalls von kurzfristigen <strong>Bewegung</strong>en<br />

geprägt sind Währungen. So kann der US-<br />

Dollar oder der Euro innerhalb weniger Tage<br />

zehn Prozent an Wert gewinnen oder verlieren.<br />

Anlagen in Fremdwährungen müssen<br />

daher im Auge behalten und allenfalls abgesichert<br />

werden.<br />

Gibt es auch noch Anlagen, die Sie<br />

physisch bewegen?<br />

Ja, wir bewegen auch ganz handfest selber<br />

Dinge. So haben wir vor Kurzem einen ETF auf<br />

Gold lanciert und diesen zwecks bestmöglicher<br />

Absicherung physisch mit Gold unterlegt.<br />

Wir haben also ganz konkret Gold im<br />

Wert von einer Milliarde Franken in einen Tresor<br />

der Credit Suisse bewegt und eingelagert.<br />

Lange galt Stillstand, also keine<br />

<strong>Bewegung</strong>, als Rückschritt. Sehen Sie<br />

das auch so?<br />

Ganz im Gegenteil. Ich finde es sogar sehr<br />

wichtig, dass man sowohl geschäftlich als<br />

auch privat nicht ständig in <strong>Bewegung</strong> ist,<br />

sondern ab und zu stehen bleibt, sich Zeit<br />

nimmt für eine Standortbestimmung und sich<br />

fragt: Stimmt der Setup noch? Hat sich die<br />

Welt draussen tatsächlich so entwickelt, wie<br />

wir es angenommen haben? Gibt es Punkte,<br />

die wir verbessern müssen? Für mich ist Stillstand<br />

überhaupt nicht zwingend negativ behaftet.<br />

Gerade bei uns im Portfolio Management<br />

ist die Qualität über lange Zeit wichtig,<br />

da muss man nicht hektisch jedem kurzfristigen<br />

Trend nachrennen. <<br />

Fotos: Rainer Wolfsberger | Sandro Campardo, Keystone<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 73<br />

Invest<br />

Analysen und Prognosen<br />

Konjunktur Global<br />

Erholung setzt<br />

sich fort<br />

Das Wachstum der Weltwirtschaft wird<br />

zuneh mend von den Schwellenländern<br />

getrie ben. Allfällige Schwächen in den<br />

Industrieländern aufgrund der Fiskalkonsolidierung<br />

dürften die globale Erholung<br />

kaum aus der Bahn werfen. mt<br />

Globales Wirtschaftswachstum zunehmend<br />

von Schwellenländern dominiert<br />

Quelle: Bloomberg, IMF, Credit Suisse/IDC<br />

Beitrag zum Wachstum des globalen BIP (YoY) in %<br />

Gold<br />

Gold hat in den letzten<br />

Monaten von einer<br />

steigenden Nachfrage<br />

nach sicheren Häfen<br />

profitiert. Niedrige<br />

Zinsen dürften auch<br />

weiterhin für eine hohe<br />

Nachfrage nach Gold<br />

als Geldanlage sorgen.<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

–1<br />

–2<br />

–3<br />

02.98 02.00 02.02 02.04 02.06 02.08 02.<strong>10</strong><br />

Globales BIP<br />

Nordamerika<br />

Naher Osten und Afrika<br />

Lateinamerika<br />

Europa<br />

Asien-Pazifik<br />

Die Weltwirtschaft dürfte nach der rasanten Erholung des vergangenen<br />

Jahres etwas an Dynamik verlieren, ohne jedoch in eine erneute Schwächephase<br />

zu geraten. Befürchtungen bezüglich der Auswirkungen der Fiskalkonsolidierung<br />

in den Industrieländern halten wir für übertrieben. Ohnehin wird<br />

das Wachstum derzeit hauptsächlich von den Schwellenländern bestimmt.<br />

Die allgemein gesunde finanzielle Verfassung der Unternehmen sowie<br />

attraktive Bewertungen unterstützen unsere positive strategische Einschätzung<br />

der Aktienmärkte.<br />

Die Geldpolitik dürfte in den meisten Industrieländern noch für geraume<br />

Zeit expansiv bleiben, während viele Schwellenländer bereits eine restriktivere<br />

Richtung eingeschlagen haben.<br />

Rohstoffe bergen derzeit noch weitere Risiken. Wir empfehlen kurzfristig<br />

Edelmetalle. Im Sommer dürften sich jedoch Einstiegsmöglichkeiten in anderen<br />

Bereichen ergeben.<br />

Bei den Währungen sehen wir weiteres Aufwärtspotenzial für den Franken<br />

und den Yen, aber auch für Währungen von Schwellenländern.<br />

Konjunktur Schweiz<br />

PMI: Industrie nimmt<br />

Fuss vom Gas<br />

Der PMI-Index schloss im Juli unter dem<br />

historischen Höchststand, der im Juni<br />

verzeichnet wurde. Der Indexrückgang ist<br />

ein Indiz dafür, dass sich das rekord hohe<br />

Temp o der Erholung der Industriekonjunktur<br />

abschwächt. cm<br />

PMI konnte Höchststand nicht halten<br />

Quelle: Credit Suisse<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

95 98 01 04 07 <strong>10</strong><br />

Index<br />

Index (saisonbereinigt)<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


74 Credit Suisse<br />

Übersicht<br />

Ausblick Global<br />

Die Schuldenkrise dürfte auch<br />

weiterhin eine prominente Rolle an<br />

den Märkten einnehmen. Wir gehen<br />

nicht davon aus, dass die Haushaltskonsolidierung<br />

zu einer markanten<br />

Abschwächung des Wachstums<br />

führen wird. Eine länger expansive<br />

Geldpolitik sowie ein schwächerer<br />

Wechselkurs fungieren als wichtige<br />

Ausgleichsmechanismen. Während<br />

eine Umstrukturierung der griechischen<br />

Schulden nicht ausgeschlossen<br />

werden kann, halten wir ein solches<br />

Resultat in anderen europäischen<br />

Ländern für unwahrscheinlich.<br />

Zinsen und Obligationen<br />

Geldpolitische Divergenz<br />

Der Inflationsdruck in den Industrieländern<br />

bleibt gering. Infolgedessen dürften die<br />

grossen Notenbanken in der Eurozone,<br />

den USA und Grossbritannien die Leitzinsen<br />

bis in die zweite Jahreshälfte 2011 tief<br />

belassen. Dagegen beginnen immer mehr<br />

Notenbanken in kleineren Ländern, die eine<br />

stärkere Erholung erleben, die Zinsen zu<br />

erhöhen (Schweden, Kanada). Auch in den<br />

Schwellenländern, die generell besser durch<br />

die Krise gekommen sind, ist der Inflationsdruck<br />

höher, und die Straffung der Geldpolitik<br />

dürfte sich fortsetzen. Jüngst hat<br />

die chinesische Regierung eine Aufwertung<br />

der Währung angekündigt. An den Anleihenmärkten<br />

dürfte eine abnehmende Risikoaversion<br />

zu steigenden Renditen führen. mt<br />

Kerninfl ation in Industrieländern fällt weiter<br />

Quelle: Datastream, IMF, Credit Suisse<br />

YoY, in %<br />

2.5<br />

2<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

0<br />

01 02 <strong>03</strong> 04 05 06 07 08 09 <strong>10</strong><br />

Kerninflation Japan, Eurozone, USA<br />

Aktienmarkt<br />

Gewinndynamik könnte<br />

Erholungstempo dämpfen<br />

Die Märkte dürften in den nächsten Monaten<br />

unter anderem vor dem Problem stehen,<br />

dass sowohl die Konjunktur als auch die Gewinndynamik<br />

nachlassen sollten. Dies dürfte<br />

das Wachstumstempo der Aktienmärkte<br />

etwas dämpfen, hat aber in der Vergangenheit<br />

einen Aufwärtstrend an den Aktienmärkten<br />

nicht gestoppt. Bei der bevorstehenden<br />

US-Berichtssaison sollte beachtet<br />

werden, dass sich bei einer nachlassenden<br />

Gewinndynamik frühzyklische Sektoren häufig<br />

unterdurchschnittlich, einige defensive<br />

Sektoren allerding überdurchschnittlich entwickeln.<br />

Daher kombinieren wir Über ge wichtungen<br />

im zyklischen IT- und Investitionsgütersektor<br />

mit einer Übergewichtung im<br />

Basiskonsumgütersektor. rs<br />

Bewertungen (erwartetes P/E für die nächsten<br />

zwölf Monate) sind auf tiefem Niveau.<br />

Quelle: Datastream, MSCI, IBES<br />

MSCI World 12-Monats-Forward-P/E<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

<strong>10</strong><br />

5<br />

0<br />

90 94 98 02 06 <strong>10</strong><br />

12-Monats-Forward-P/E<br />

+/–1 Standardabweichung<br />

Durchschnitt<br />

Währungen<br />

USD-Risiken steigen<br />

Die Finanzmärkte haben ihr Augenmerk auf<br />

die europäische Schuldenkrise gerichtet.<br />

Der Fiskalausblick in den USA ist jedoch längerfristig<br />

keineswegs besser. Das charttech<br />

nische Bild hat sich jüngst für den USD<br />

gegenüber dem CHF verschlechtert, und<br />

die fundamentalen Faktoren (fehlende Zinsprämie<br />

des USD, US-Leistungsbilanzdefizit)<br />

sind weiterhin negativ. Der CHF steht zusammen<br />

mit dem JPY in diesem Umfeld sehr<br />

gut da: Leistungsbilanzüberschuss (Schweiz,<br />

Japan) und tiefe Zinsen (USA, Eurozone)<br />

sind normalerweise mit Franken- und Yen-<br />

Stärke verbunden. Für die Währungen der<br />

aufstrebenden Volkswirtschaften sehen wir<br />

während der globalen Erholung weiteres Aufwärtspotenzial.<br />

mh<br />

Die Aussichten auf tiefe Zinsen in den USA<br />

sind als negativ für USD/CHF zu sehen.<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

USD/CHF<br />

1.40<br />

1.30<br />

1.20<br />

1.<strong>10</strong><br />

1.00<br />

0.90<br />

Rohstoffe verfügen nach den letzten Abschlägen<br />

über Aufholpotenzial Quelle: Bloomberg<br />

Indexwerte YoY-Veränderung in %<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

01.04 01.05 01.06 01.07 01.08 01.09 01.<strong>10</strong><br />

USD/CHF<br />

2-jährige Zinsdifferenz Swap USD minus CHF (r.S.)<br />

Rohstoffe<br />

Rohstoffe mit Aufholpotenzial<br />

01.99 01.01 01.<strong>03</strong> 01.05 01.07 01.09<br />

in %<br />

3.5<br />

2.5<br />

1.5<br />

0.5<br />

–0.5<br />

Im Mai und Anfang Juni kamen Rohstoffe<br />

aufgrund der Risiko- und Schuldenreduzierung<br />

infolge der europäischen Staatsschuldenkrise<br />

unter Abgabedruck. Im Zuge<br />

der Krise trocknete die Liquidität am Interbankenmarkt<br />

aus, und die Volatilität an den<br />

Finanzmärkten erhöhte sich. Da es erste<br />

Anzeichen einer Stabilisierung der Finanzmärkte<br />

gibt und die Rohstoffmärkte über<br />

Aufholpotenzial verfügen, dürften sich Kaufgelegenheiten<br />

ergeben. Kurzfristig bestehen<br />

aber weiterhin Risiken. Anleger sollten<br />

sich auf einen Wiedereinstieg in Rohstoffe<br />

mit einem strategischen Anlagehorizont<br />

vorbereiten. Auf kurze Sicht favorisieren wir<br />

weiter Edelmetalle. Im Sommer könnten die<br />

Anleger jedoch ihr Rohstoff-Exposure als<br />

Ganzes verstärken. et<br />

40<br />

20<br />

0<br />

–20<br />

–40<br />

–60<br />

PMI China PMI USA Global Composite PMI<br />

Dow Jones UBS Rohstoffindex mit 6-monatiger Verzögerung<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Credit Suisse 75<br />

Übersicht<br />

Ausblick Schweiz<br />

Der Konjunkturausblick bleibt in der<br />

Schweiz auch für das zweite Halbjahr<br />

positiv. Die Konjunkturindikatoren<br />

deuten weiterhin auf eine deutliche<br />

Expan sion der Wirtschaftsaktivität hin,<br />

und die Arbeitslosenquote zeigt<br />

eine Stabilisierung auf überraschend<br />

tiefen Niveaus. Gleichzeitig führte<br />

die Verunsicherung an den Märkten<br />

bezüglich der Schuldensituation in<br />

Europa zu einer starken Frankenaufwertung.<br />

Vor diesem Hintergrund<br />

dürfte das Zinsumfeld auch im zweiten<br />

Halbjahr äusserst expansiv bleiben.<br />

Aktienmarkt<br />

Bewertungen attraktiv,<br />

Unsicherheiten bleiben<br />

Die Bewertungen von Schweizer Aktien sind<br />

u. E. attraktiv. Das erwartete P/E der nächsten<br />

zwölf Monate befindet sich auf dem tiefsten<br />

Stand seit April 2009. Wir erwarten, dass<br />

die anstehende Berichtssaison die positive<br />

Gewinnentwicklung durch steigende Umsätze<br />

und Kosteneinsparungen bestätigt,<br />

jedoch nicht so deutlich wie in den Vorquartalen.<br />

Wegen der anhaltenden Unsicherheiten<br />

behalten wir unsere neutrale Empfehlung für<br />

Schweizer Aktien bei. rs<br />

Der Schweizer Markt weist eine bessere<br />

Performance auf als die globalen entwickelten<br />

Märkte (MSCI World) Quelle: Datastream, MSCI<br />

Performance MSCI World und MSCI Switzerland in CHF<br />

125<br />

120<br />

Währungen<br />

Schweizer Franken dürfte<br />

stark bleiben<br />

Der Schweizer Franken dürfte auf zwölf Monate<br />

gegenüber dem EUR weiter unter Aufwertungsdruck<br />

bleiben. Erstens erwarten wir<br />

wenige bis keine Devisenmarktinterventionen<br />

der Schweizerischen Nationalbank (SNB)<br />

mehr. Zweitens dürfte sich die Zinsdifferenz<br />

zugunsten des Frankens entwickeln. Drittens<br />

spricht der Leistungsbilanzüberschuss für<br />

den Franken. Einzig die inzwischen leichte<br />

Überbewertung des CHF dürfte eine mass i v e<br />

Aufwertung begrenzen. mh<br />

Der Schweizer Franken notiert nun auf leicht<br />

überbewertem Niveau gegenüber dem Euro.<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

EUR /CHF<br />

2.40<br />

2.20<br />

Zinsen und Obligationen<br />

Zinsumfeld bleibt<br />

unterstützend<br />

Die Schweizerische Nationalbank (SNB)<br />

hat im Juni ihr Zielband für den 3-Monats-<br />

LIBOR erwartungsgemäss bei 0%– 0.75%<br />

belassen. Da sie ausserdem davon ausgeht,<br />

dass die Deflationsrisiken inzwischen «weitgehend<br />

verschwunden» sind, signalisierte<br />

sie auch eine höhere Bereitschaft, den Frankenkurs<br />

wieder vermehrt den Marktkräften<br />

zu überlassen. In der Folge wertete der<br />

Franken deutlich auf, was zu einer gewissen<br />

Straffung der geldpolitischen Bedingungen<br />

führte. Doch während der Preisdruck kurzfristig<br />

tief bleibt, sieht die mittelfristige Inflationsprognose<br />

der SNB durchaus wieder<br />

Risiken. Angesichts der soliden Konjunkturerholung<br />

erachten wir daher eine erste Zinserhöhung<br />

bereits ab Ende Jahr für realistisch.<br />

fh<br />

SNB-Inflationsprognose ab 2012 deutlich<br />

über dem Zielbereich Quelle: SNB, Credit Suisse<br />

115<br />

1<strong>10</strong><br />

<strong>10</strong>5<br />

<strong>10</strong>0<br />

95<br />

90<br />

07.09 09.09 11.09 01.<strong>10</strong> <strong>03</strong>.<strong>10</strong> 05.<strong>10</strong> 07.<strong>10</strong><br />

MSCI World in CHF<br />

MSCI Switzerland in CHF<br />

+1 Standardabweichung<br />

Fair Value EUR/CHF<br />

–1 Standardabweichung<br />

30.06.20<strong>10</strong><br />

Anstieg der Arbeitslosigkeit weniger lang andauernd<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Zahl der Arbeitslosen, indexiert, Beginn des Anstiegs = <strong>10</strong>0<br />

250<br />

2.00<br />

1.80<br />

1.60<br />

1.40<br />

1.20<br />

82 86 90 94 98 02 06 <strong>10</strong><br />

Top-Thema<br />

Arbeitsmarkt: Bessere Ausgangslage<br />

Die Arbeitslosigkeit hat sich früher als nach der Dot.com-Rezession stabilisiert und<br />

ist tiefer, als es die Erfahrungswerte erwarten liessen. Dafür gibt es neben der starken<br />

Beanspruchung der Kurzarbeit auch strukturelle Gründe. Erstens gab es im Gegensatz<br />

zur Phase vor dem Platzen der Dot.com-Blase keine Übertreibungen im Beschäftigungsaufbau<br />

in Branchen wie der IT, die in der Rezession korrigiert werden mussten.<br />

Zweitens hat der Finanzsektor Stellen hauptsächlich im Ausland abgebaut, während<br />

in der Dot.com-Rezession der Abbau das Inland betraf. Drittens wachsen staatsnahe<br />

Branchen wie der Gesundheitssektor stärker als in der Dot.com-Rezession. cm<br />

%<br />

3.0<br />

2.0<br />

1.0<br />

0.0<br />

<strong>03</strong>.<strong>10</strong> <strong>03</strong>.11 <strong>03</strong>.12 <strong>03</strong>.13<br />

SNB-Definition von Preisstabilität<br />

SNB-Inflationsprognose Juni 20<strong>10</strong><br />

SNB-Inflationsprognose März 20<strong>10</strong><br />

225<br />

200<br />

175<br />

150<br />

125<br />

<strong>10</strong>0<br />

1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39<br />

Dot.com-Rezession<br />

Heute<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


76 Credit Suisse<br />

30. Juni 20<strong>10</strong><br />

Überblick Prognosen<br />

Aktien und Rohstoffe: Ausgewählte Indizes<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Auswahl 30.06.20<strong>10</strong> YTD Ausblick 3M 12M-Ziele<br />

S&P 500 1’022.58 –8.3 % 1’173<br />

SMI 5’974.3 –8.7 % 7’350<br />

FTSE-<strong>10</strong>0 4’838.09 –<strong>10</strong>.6 % 5’677<br />

DJ Euro Stoxx 50 2’522.36 –14.9 % 2’897<br />

Nikkei 225 9’2<strong>03</strong>.71 –12.7 % 12’000<br />

Gold 1’211.6 <strong>10</strong>.5 % 1’250<br />

WTI Erdöl 72.14 –9.1 % 87.5<br />

Dow Jones UBS Commodity Index 248.9381 –<strong>10</strong>.9 % 280<br />

Devisen (Wechselkurse)<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Reales BIP-Wachstum in %<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

Wichtige Information<br />

Die Informationen und Meinungen in diesem Bericht wurden<br />

von Credit Suisse per angegebenem Datum erstellt und<br />

können sich ohne vorherige Mitteilung ändern. Der Bericht<br />

wurde einzig zu Informationszwecken publiziert und ist weder<br />

ein Angebot noch eine Auf forderung seitens oder im Auftrag<br />

von Credit Suisse zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren<br />

oder ähnlichen Finanzinstrumenten oder zur Teilnahme an<br />

einer spezifischen Handelsstrategie in irgendeiner<br />

Rechts ordnung. Der Bericht wurde ohne Berücksichtigung<br />

der Zielsetzungen, der finanziellen Situation oder der<br />

Bedürfnisse eines bestimmten Anlegers erstellt. Der Bericht<br />

enthält keinerlei Empfehlungen rechtlicher Natur oder<br />

hinsichtlich Inves titionen, Rechnungslegung oder Steuern. Er<br />

stellt auch in keiner Art und Weise eine auf die persönlichen<br />

Umstände eines Anlegers zugeschnittene oder für diesen<br />

angemessene Inves tition oder Strategie oder eine andere an<br />

einen bestimmten Anleger gerichtete Empfehlung dar.<br />

Ver weise auf frühere Entwicklungen sind nicht unbedingt<br />

mass gebend für künftige Ergebnisse.<br />

Die Informationen stammen aus oder basieren auf Quellen,<br />

die Credit Suisse als zuver lässig erachtet. Dennoch<br />

kann keine Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit<br />

der Informationen geleistet werden. Credit Suisse<br />

lehnt jede Haftung für Verluste aus der Verwendung dieses<br />

Berichts ab.<br />

30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />

USD/CHF 1.08 1.04 – 1.08<br />

EUR/CHF 1.32 1.33 – 1.37<br />

JPY/CHF 1.22 1.23 – 1.27<br />

EUR/USD 1.23 1.25 – 1.29<br />

USD/JPY 89 83 – 87<br />

EUR/JPY <strong>10</strong>9 <strong>10</strong>6 – 1<strong>10</strong><br />

EUR/GBP 0.82 0.83 – 0.87<br />

GBP/USD 1.50 1.48 – 1.52<br />

EUR/SEK 9.52 8.80 – 9.20<br />

EUR/NOK 7.96 7.65 – 8.05<br />

AUD/USD 0.85 0.88 – 0.92<br />

NZD/USD 0.69 0.68 – 0.72<br />

USD/CAD 1.06 0.98 – 1.02<br />

2009 20<strong>10</strong> 2011<br />

CH –1.5 0.9 2.0<br />

EWU –4 1.5 2.1<br />

USA –2.4 3.5 2.8<br />

GB –4.9 1.4 2.7<br />

Japan –5.2 3.3 1.8<br />

Kurzfristzinsen 3M-LIBOR<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />

CHF 0.11 0.7 – 0.9<br />

EUR 0.77 1.1 – 1.3<br />

USD 0.53 0.3 – 0.5<br />

GBP 0.73 0.6 – 0.8<br />

JPY 0.24 0.2 – 0.4<br />

WEDER DER VORLIEGENDE BERICHT NOCH KOPIEN<br />

DAVON DÜRFEN IN DIE VEREINIGTEN STAATEN<br />

VERSANDT, DORTHIN MITGENOMMEN ODER AN<br />

US- PERSONEN ABGEGEBEN WERDEN. Örtliche Gesetze<br />

oder Vorschriften können die Verteilung von Research-<br />

Berichten in bestimmten Rechtsordnungen einschränken.<br />

Dieser Bericht wird von der Schweizer Bank Credit Suisse<br />

verteilt, die der Zulassung und Re gulierung der<br />

Eidge nössischen Finanzmarktaufsicht untersteht.<br />

Das vorliegende Dokument darf ohne schriftliche Genehmigung<br />

der Credit Suisse weder ganz noch auszugsweise ver vielfältigt<br />

werden. Copyright © 20<strong>10</strong> Credit Suisse Group AG<br />

und/oder mit ihr verbundene Unternehmen. Alle Rechte<br />

vor behalten.<br />

Schweizer Wirtschaft<br />

(Veränderung gegenüber Vorjahr in %)<br />

Quelle: Credit Suisse<br />

2009 20<strong>10</strong><br />

Bruttoinlandprodukt, real –1.5 0.9<br />

Privater Konsum 1.2 1<br />

Öffentlicher Konsum 2.5 1<br />

Bauinvestitionen 1.3 –1.5<br />

Ausrüstungsinvestitionen –7.5 –1.5<br />

Importe –5.9 3<br />

Exporte –<strong>10</strong> 5<br />

Beschäftigung (Vollzeitäquivalente) –0.1 0<br />

Arbeitslosenquote 3.7 4.1<br />

Inflation in %<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

2009 20<strong>10</strong> 2011<br />

CH –0.5 0.8 1.0<br />

EWU 0.4 1.1 1.3<br />

USA –0.4 2.2 1.2<br />

GB 2.2 2.3 1.4<br />

Japan –1.4 –1.2 –0.4<br />

Rendite <strong>10</strong>-j. Staatsanleihen<br />

Quelle: Bloomberg, Credit Suisse<br />

30.06.20<strong>10</strong> 3M 12M<br />

CHF 1.48 2.1 – 2.3<br />

EUR 2.58 3.2 – 3.4<br />

USD 2.93 3.4 – 3.6<br />

GBP 3.36 4 – 4.2<br />

JPY 1.09 1.2 – 1.4<br />

Impressum Invest<br />

Herausgeber Credit Suisse, Global Research,<br />

Uetlibergstrasse 231, Postfach 300, CH-8070 Zürich<br />

Redaktion Marcus Hettinger (mh), Thomas Herrmann (th),<br />

Fabian Heller (fh), Eliane Tanner (et), Marcel Thieliant (mt),<br />

Claude Maurer (cm), Roger Signer (rs)<br />

Weitere Research-Publikationen finden Sie im Internet<br />

oder auf Anfrage.<br />

E-Mail publications.research@credit-suisse.com<br />

Internet www.credit-suisse.com/research<br />

Nachdruck gestattet mit dem Hinweis «Aus dem Bulletin<br />

der Credit Suisse»<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Wissenswert Wirtschaft 77<br />

Wissenswert<br />

Begriffe und Bücher aus der Wirtschaft<br />

Fairer-Handel-<strong>Bewegung</strong><br />

[Engage ment für mehr Gerechtigkeit<br />

im Welthandel]: Welche Form<br />

der Entwicklungshilfe ist am wirkungsvollsten?<br />

Über diese Frage<br />

streiten sich seit Jahren Ökonomen,<br />

Politiker und NGOs. Eine mögliche<br />

Antwort lautet «Trade not aid»<br />

(Handel statt Hilfe), was bedeutet,<br />

dass im Kampf gegen die Armut<br />

nicht wohltätige Aktionen, sondern<br />

gezielte Massnahmen zur Liberalisierung<br />

der weltweiten Märkte die<br />

grösste Wirkung haben. Die<br />

Fairer-Handel-<strong>Bewegung</strong>, entstanden<br />

in den 1960er-Jahren als<br />

Antwort auf die Ungerechtigkeit<br />

in der internationalen Handelspraxis<br />

und -politik, verfolgt das Ziel, allen<br />

Menschen Zugang zu den Märkten<br />

zu ermöglichen. Im Rahmen der<br />

Gesamt bewegung findet ein wirtschaftlicher<br />

und kommunikativer<br />

Austausch zwischen Produzenten,<br />

Konsumenten, Handelsorganisationen<br />

und NGOs statt. Dabei werden<br />

Möglichkeiten für wirtschaftlich<br />

be nachteiligte Produzenten geschaffen,<br />

Kapazitäten und Knowhow<br />

gefördert sowie die weltweiten<br />

Arbeits- und Lebens bedingungen<br />

verbessert. Die Erfah rung hat gezeigt,<br />

dass sowohl faire Handelsbeziehungen<br />

als auch sozial- und<br />

umweltgerechte Bedingungen zu<br />

einem Welthandel beitragen, in dem<br />

alle eine Chance bekommen.<br />

Konjunktur [Gesamtheit der<br />

Schwankungen der volkswirtschaftlichen<br />

Leistung]: Auf und ab, ab<br />

und auf: Wirtschaftliche Aktivität<br />

gleicht einer Achterbahnfahrt, da<br />

sie einem bestimmten <strong>Bewegung</strong>smuster<br />

folgt. In mehr oder weniger<br />

regelmässigen Abständen entstehen<br />

in einer Volkswirtschaft Phasen<br />

des Wirtschaftsaufschwungs sowie<br />

Zeiten des Wirtschaftsabschwungs.<br />

Diese Schwankungen der wichtigen<br />

ökonomischen Grössen wie Produktion,<br />

Beschäftigung, Preise und<br />

Zinssatz werden als Konjunktur<br />

bezeichnet. Aus ihnen ergeben sich<br />

zyklische <strong>Bewegung</strong>en, die eine<br />

wiederkehrende Tendenz aufzeigen<br />

und anhand derer die Wirtschaftslage<br />

charakterisiert werden kann.<br />

Die Länge der Zyklen ist ausschlaggebend<br />

für die Art der Wirtschaftsschwankung:<br />

Saisonale Schwankungen<br />

sind meist wetterbedingt,<br />

mittel fristige Schwankungen resultieren<br />

aus Unterschieden in der<br />

gesamt wirtschaftlichen Nachfrage<br />

und im Angebot. Langfristige<br />

Schwankungen wiederum werden<br />

durch tiefgreifende Veränderungen<br />

in der Wirtschaft wie zum Beispiel<br />

Innovationen ausgelöst.<br />

Branchless Banking [Aus dem<br />

Englischen: Bankgeschäft ohne<br />

Filia len]: In Entwicklungs- und<br />

Schwellenländern kann die Fahrt<br />

zu einer Bankfiliale für Menschen<br />

aus ländlichen Gegenden stundenlange<br />

Anreisen und damit verbundene<br />

Umsatzeinbussen bedeuten.<br />

Branchless Banking bietet hierfür<br />

eine Lösung. Mit Hilfe alternativer<br />

Zahlungsinstrumente wie Mobiltelefone<br />

und bewegliche Bankautomaten<br />

können Transaktionen abgewickelt<br />

werden, ohne dass die<br />

Auftraggeber eine Bankfiliale aufsuchen<br />

müssen. Mobile Banken<br />

fahren in Dörfer und ermöglichen<br />

so den ärmsten Unternehmern<br />

in abgeschiedenen Gebieten einen<br />

Zugang zu Bankdienstleistungen.<br />

Aufgrund der zunehmenden Anzahl<br />

Mobiltelefonbesitzer – 2009 wurden<br />

weltweit mehr als vier Milliarden<br />

Mobiltelefonnutzer verzeichnet,<br />

davon 80 Prozent in Entwick lungsund<br />

Schwellenländern – werden<br />

zudem auch immer mehr Dienstleistungen<br />

entwickelt, die Zahlungen<br />

über das Mobiltelefon ermöglichen.<br />

Indem Branchless<br />

Bankin g benachteiligte Menschen<br />

in die Wirtschaft eingliedert,<br />

unterstüt zt es das globale Wirtschaftswachstum.<br />

Fabienne de Lannay<br />

Anzeige<br />

Führen, gestalten, bewegen: Werte und Weisheit<br />

für eine globalisierte Welt<br />

Dalai Lama und Laurens van den Muyzenberg<br />

Campus, 2008<br />

255 Seiten, ISBN-13: 978-3593386874<br />

Was haben unternehmerische und spirituelle Führung gemeinsam?<br />

Beide möchten möglichst viel <strong>Bewegung</strong> auslösen. Und wer könnte<br />

die Frage, wie das gelingt, besser diskutieren als ein buddhistischer<br />

Mönch und ein westlicher Wirtschaftsexperte? Seit rund 20 Jahren<br />

debattieren der Dalai Lama und der Managementberater Laurens<br />

van den Muyzenberg über die Herausforderungen und Probleme<br />

der globalen Wirtschaft und darüber, welche Vorschläge und<br />

Richtlinien die Weltanschauung des Buddhismus beisteuern kann,<br />

um den Schattenseiten der Globalisierung entgegenzuwirken und<br />

ein verant wortliches Wirtschaften im Dienste aller zu fördern.<br />

Aus dieser Diskussion entstand dieses gemeinsame Buchprojekt.<br />

Neben ethischen Appellen, Führungskonzepten und Erfolgsbeispielen<br />

bietet das gut strukturierte Buch auch zwei Übungsteile zur<br />

Schärfung des Geistes. Nicht nur Führungskräfte und Unternehmensberater<br />

sind eingeladen, sich von diesem Werk inspirieren zu<br />

lassen. Schliesslich muss doch jeder führen – zumindest sich<br />

selbst. © getAbstract<br />

Was Sie hierher gebracht hat, wird Sie nicht weiter<br />

bringen: Wie Erfolgreiche noch erfolgreicher werden<br />

Marshall Goldsmith und Mark Reiter<br />

Riemann, 2007<br />

382 Seiten, ISBN-13: 978-3570500859<br />

Wer Erfolg hat, hält den meist für ebenso wohlverdient wie unendlich.<br />

Marshall Goldsmith will seinen Lesern die Illusion nehmen,<br />

sich auf ihren Lorbeeren ausruhen zu können. Im Gegenteil, wir<br />

sollten immer in <strong>Bewegung</strong> bleiben. Ein fester Glaube an uns<br />

selbst ist zwar nützlich, aber er hält uns von weiterem Erfolg ab.<br />

Weil er blind macht für Schwächen, insbesondere für schlechte<br />

Angewohnheiten, mit denen man seine Mitmenschen verärgert.<br />

Je höher man aufsteigt, desto eher können einen die eigenen<br />

unrühmlichen Verhaltensweisen behindern. Zu dieser Erkenntnis<br />

will Goldsmith jeden seiner Leser leiten. Das gelingt ihm mit viel<br />

Verständnis für die alltäglichen Schwächen und mit unterhaltsamen<br />

Beispielen auch aus seinem eigenen Verhaltensrepertoire. Die<br />

typisch amerikanische Erfolgsfixiertheit wird hier zwar noch eine<br />

Schraube weitergedreht nach dem Motto «Du bist zwar schon<br />

erfolgreich, aber du musst noch viel erfolgreicher werden!».<br />

Trotzdem ist dieses Buch empfehlenswert: Idealerweise werden<br />

seine Leser nach der Lektüre nicht nur sich selbst zu noch mehr<br />

Erfolg verhelfen, sondern auch anderen mehr Aufmerksamkeit<br />

und Freude schenken. © getAbstract<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


78 Leader Wolfgang Rihm<br />

Die Gemüsefrau<br />

und die Musik<br />

Am 27. Juli wird an den Salzburger Festspielen die Oper «Dionysos» von Wolfgang Rihm<br />

uraufgeführt. Kurz nach deren Fertigstellung sprachen wir mit ihm über die Rolle<br />

des Komponisten und die Überlebenschancen der Musik in der heutigen Gesellschaft.<br />

Interview: Max Nyffeler<br />

<strong>bull</strong>etin: Man sagt, der Künstler wolle geliebt werden vom<br />

Publikum. Gilt das auch für Sie?<br />

Wolfgang Rihm: Natürlich. Aber nicht um jeden Preis.<br />

Liebe dienern sollte man nicht.<br />

Sie hätten dazu auch lange keine Gelegenheit gehabt.<br />

Zu Beginn Ihrer Karriere in den frühen 1970er-Jahren schlug<br />

Ihnen heftige Ablehnung entgegen. Wie war das für Sie?<br />

Hart und abhärtend zugleich. Aber man muss sich klar sein:<br />

Die Ablehnung kam meistens aus der so genannten zweiten<br />

Reihe – von Positionen, die sich auf Seiten des «guten» und<br />

«richtigen» Avantgardismus wähnten.<br />

Sie galten damals als Inbegriff eines deutschen Komponisten:<br />

zu schwer, zu tiefgründig, zu konfliktreich. Schon im eigenen<br />

Land wurde das von der Kritik negativ vermerkt. Wie waren die<br />

Reaktionen im Ausland?<br />

In England, Amerika, den Niederlanden und teilweise auch in<br />

Frankreich, ja sogar in Italien, wurde ich anfänglich scheinbar als<br />

willkommene Verkörperung des «bösen Deutschen» wahrgenommen.<br />

Als hätte ich bei Hitler studiert. Da konnte man noch spüren,<br />

dass der Krieg erst 30 Jahre zurücklag. Und während mir zu<br />

Hause vorgeworfen wurde, ich sei eine Art neuer Sibelius, wurde<br />

in Ländern, wo man gern Sibelius hört, meine Musik als « t y p i s c h<br />

deutsch», nämlich «intellektuell» und «schlecht klingend», abqualifiziert.<br />

Gespielt wurden Sie aber trotzdem.<br />

Weil es zum Glück überall kenntnisreiche Menschen gab, die mich<br />

unterstützten. Es waren immer Einzelne, die sich an entscheidender<br />

Stelle für meine Musik einsetzten. Das Gros, für das auch die<br />

Musikkritiker sprachen, war aus den verschiedensten Gründen<br />

zunächst vorwiegend ablehnend bis feindlich. Doch mit der Zeit<br />

hat sich das dann geändert. Und das Publikum reagierte sowieso<br />

meist viel positiver als die so genannte Fachwelt.<br />

Robert Spaemann, der Doyen der deutschen Gegenwartsphilosophie,<br />

hat einmal die Aufgabe der Philosophie so definiert:<br />

Sie habe «im Grunde genommen nichts anderes zu tun, als<br />

das, was die Gemüsefrau schon immer wusste, in Schutz zu<br />

nehmen gegen den fortschreitenden Versuch einer gigantischen<br />

Sophistik, es ihr auszureden». Ein Plädoyer für den gesunden<br />

Menschenverstand, doch leider, sagt Spaemann, sei das heute<br />

auch nicht mehr so einfach. Zeigt sich hier nicht auch etwas<br />

vom Problem, das die zeitgenössische Musik mit ihrem Publi-<br />

kum hat?<br />

Ich möchte die Gemüsefrau nicht zwingen, sich mit Kunstmusik<br />

zu beschäftigen. Aber ihr sollte die Möglichkeit auch nicht genommen<br />

werden, sich dieser Musik zu öffnen; sie sollte ihr begegnen<br />

dürfen. Leider wird ihr heute von den Massenmedien eine<br />

Welt vorgestellt, in der nur das Platz hat, was mehrheitsfähig ist.<br />

Es sollte aber möglich sein, dass jeder in seiner sozialen Wirklichkeit<br />

irgendwann in Berührung kommen darf mit Kunstformen,<br />

die von den Formaten, die die Massenmedien bereithalten, nicht<br />

vorgesehen sind! Das wäre ein Moment von Freiheit.<br />

Wie kann man dahin gelangen?<br />

Man sollte sich vorbereiten können und den entsprechenden<br />

Ausdrucksformen immer wieder begegnen. Bei der Beschäftigung<br />

mit Kunst braucht es ein Minimum an Wissen. Es herrscht ein<br />

Widerspruch: Wir wünschen uns den «Zuspruch der Massen», aber<br />

wir erlauben ihnen nicht, sich auf die Begegnung mit der neuen<br />

Kunst vorzubereiten. Und wenn sie dann nicht ruckartig in Jubel<br />

ausbrechen, wird das als Argument gegen jede neue Kunst<br />

benutzt. Das ist ein grosser Fehler.<br />

Vom Münchner Volkskomiker Karl Valentin stammt der<br />

Ausspruch: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.<br />

Wie immer hat er recht. Beim Sport ist es doch allen klar:<br />

Niemand kann ohne Übung etwas leisten. Auch als Zuschauer<br />

muss man ein Wissen haben, um zu verstehen, um was es<br />

geht. Kunst wird aber mit einer falschen Aura versehen, wo man<br />

als Rezipient nichts mehr leisten darf, sondern sich nur noch<br />

bedienen lassen will und konsumiert. Die Eigenleistung sollte<br />

><br />

Foto: Annette Hausschild, OSTKREUZ<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Wolfgang Rihm Leader 79<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


80 Leader Wolfgang Rihm<br />

Wolfgang Rihm wurde am 13. März 1952 in<br />

Karlsruhe geboren und unternahm bereits mit<br />

elf Jahren erste Kompositionsversuche.<br />

Parallel zum Abitur legte er 1972 das Staatsexamen<br />

in Komposition und Musiktheorie<br />

ab. 1974 erhielt er mit dem Kompositionspreis<br />

der Stadt Stuttgart die erste bedeutende<br />

Auszeichnung. Viele weitere folgten, so 1981<br />

der Beethoven-Preis der Stadt Bonn, 1986<br />

der Rolf-Liebermann-Preis und 20<strong>03</strong> der<br />

Ernst-von-Siemens-Musikpreis. 1989 bekam<br />

Rihm das Bundesverdienstkreuz und 2004<br />

die Verdienstmedaille des Landes Baden-<br />

Württemberg. Seit 1985 hat er den Lehrstuhl<br />

für Komposition an der Musikhochschule<br />

Karlsruhe inne. In der Schweiz wirkte Rihm<br />

1997 beim Lucerne Festival und 2007 beim<br />

Davos Festival als Composer-in-Residence;<br />

1998 erhielt er den Jacob-Burckhardt-Preis der<br />

Johann Wolfgang von Goethe-Stiftung Basel.<br />

Nach Stipendien in Rom (1979/80) und Paris<br />

(1983) erhielt Rihm 1997 den Prix Composition<br />

Musical de la Fondation Prince Pierre<br />

de Monaco als ersten wichtigen Preis ausserhalb<br />

des deutschsprachigen Raums. 2001<br />

folgte der Royal Philharmonic Society Award<br />

und 20<strong>10</strong> an der Biennale in Venedig der<br />

Leone d’oro. Sein Œuvre umfasst derzeit<br />

rund 300 Kompositionen. schi<br />

wieder einen Wert darstellen dürfen: das Wissen von der Kunst<br />

und der Wunsch, mit ihr in Dialog treten zu können. Sich anstrengen,<br />

um ein Verständnis für eine Sache zu entwickeln, wird<br />

allerdings von vielen schon als Zumutung empfunden. Das<br />

scheint aber leider ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen<br />

zu sein und ist nicht auf die Kunst beschränkt.<br />

Argumentiert wird dann: «Mozart ist ja auch angenehm<br />

zu hören.»<br />

Mozart ist bis heute eine Herausforderung und war es schon<br />

für seine Zeitgenossen. Der Zürcher Musikschriftsteller<br />

Hans Georg Nägeli warf 1826 Mozart vor, er sei zu kompliziert:<br />

Er vermische Vokal- und Instrumentalstil und arbeite zu sehr<br />

aus dem Kontrastprinzip heraus.<br />

Da hat man bereits die heutige Forderung nach einer<br />

Wohlfühl-Ästhetik. Sogar auf Kosten Mozarts.<br />

Ich will ja keine Volkserziehung. Mir würde schon genügen,<br />

wenn dieses Prinzip des anstrengungslosen Gefallens ein wenig<br />

in Frage gestellt würde. Man will Spass haben und meint, die<br />

Voraussetzung dazu sei Ahnungslosigkeit. Ich habe nichts gegen<br />

Spass. Aber ich möchte, dass man auch gescheit sein darf,<br />

um vielleicht noch mehr Spass zu haben.<br />

Heute ist weltweit eine Ökonomisierung des Lebens zu<br />

beo bachten. Alles wird am Geldwert gemessen. Welche<br />

Über lebenschancen haben da die Künste, deren Wert sich<br />

nicht einfach nach Geld bemessen lässt ?<br />

Man sollte zunächst zwischen den verschiedenen Künsten unterscheiden.<br />

Ein Bild ist das Kunstwerk selbst – somit ein Wert –,<br />

eine Partitur aber ist nur eine Handlungsanweisung – sie weist<br />

auf einen Wert hin. Das musikalische Kunstwerk entsteht erst<br />

in der Aufführung und muss jedes Mal wieder neu hergestellt<br />

werden. Die CD ist nur eine Konserve, die einen längst vergangenen<br />

Moment in die Gegenwart hinein verlängert.<br />

Und was bedeutet das für das Überleben des Kunstwerks?<br />

In der bildenden Kunst genügen ein oder zwei potente Sammler,<br />

die sich um einen Künstler bemühen, und seine Arbeit und er<br />

selbst sind gerettet. Vielleicht steht die Skulptur dann im Garten<br />

i rgendeines Plutokraten oder das Bild verschwindet im Banksafe,<br />

aber im Prinzip ist ihr Überleben damit garantiert. Die Musik<br />

hingegen ist ein sozialer Vorgang, in den viele Menschen involviert<br />

sind: Es braucht einen Verlag, der das Aufführungsmaterial<br />

herstellt, Veranstalter, die das Werk programmieren, Interpreten,<br />

die die Musik zum Erklingen bringen, und es braucht ein zahlreiches<br />

Publikum, das sie hört. Erst dann kann der Urheber überhaupt<br />

von seinem Werk leben.<br />

Besteht heute die Gefahr, dass die Gesellschaft das Geld<br />

für diesen komplizierten Prozess nicht mehr aufbringen will?<br />

Es ist eine Frage der Werte. Wichtiger als die Verkäuflichkeit<br />

der Musik, die ja ein Faktum darstellt, ist ihr geistiger Gehalt, ihre<br />

emotive Energie: Will man diese Werte auch weiterhin fördern,<br />

oder gibt man sie preis? Der Impuls dazu muss letztlich von einzelnen<br />

Verantwortlichen kommen, die über das Geld und Veranstalterkapazitäten<br />

verfügen. Sie müssen sich zu diesen Werten<br />

bekennen und dem breiten Publikum damit die Möglichkeit geben,<br />

sich weiterhin mit Musik als Kunst auseinanderzusetzen, die etwas<br />

über unsere Gegenwart aussagt. Wenn diese Verantwortlichen<br />

aber der Meinung sind, sie müssten ihre Verantwortung abgeben<br />

an Statistiken, momentane Vorlieben von Mehrheiten und Moden,<br />

dann sieht es schlecht aus. Aber ich bin optimistisch.<br />

><br />

Fotos: Annette Hausschild, OSTKREUZ | Betty Freeman, Lebrecht Music & Arts | Marion Kalter, Lebrecht Music & Arts | Sven Paustian, Agentur Focus | Davos Festival<br />

<strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong> Credit Suisse


Wolfgang Rihm Leader 81<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

1 Ein Streichquartett entsteht. 2 Gerne gibt Wolfgang Rihm seine Erfahrungen an den Nachwuchs weiter, als Professor für Komposition<br />

an der Musikhochschule Karlsruhe oder, wie hier, im Rahmen einer Meisterklasse. 3 «Ich habe die Partie so für sie massgeschneidert,<br />

wie Mozart oder Richard Strauss für ihre Sängerinnen geschrieben haben», sagt der Komponist Wolfgang Rihm über Proserpina beziehungsweise<br />

die Sopranistin Mojca Erdmann. Die Uraufführung der Vertonung des Goethe-Gedichtes fand am 2. Mai 2009 im Schlosstheater<br />

Schwetzingen statt, unter der Regie von Hans Neuenfels. Kein Wunder also, singt Mojca Erdmann auch in «Dionysos». 4 Im Gespräch mit<br />

Graziella Contratto, der Intendantin von Davos Festival, wo Wolfgang Rihm 2007 Composer-in-Residence war.<br />

Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 3/<strong>10</strong>


82 Leader Wolfgang Rihm<br />

Sie haben schon an vielen Festivals als Composer-in-<br />

Residence teilgenommen, und in diesem Sommer steht nun<br />

auch bei den Salzburger Festspielen wieder eine grosse<br />

Werkschau auf dem Programm; schon 2000 waren Sie dort zu<br />

Gast. Was bedeutet es für Sie, an einem so repräsentativen<br />

Ort ausgiebig gefeiert zu werden?<br />

Ein Festival ist ja keine anonyme Struktur, sondern dort agieren<br />

immer engagierte Individuen – eben «Verantwortliche» –, die ein<br />

Programm zusammenbauen. In diesem Fall ist es Markus Hinterhäuser,<br />

2000 war es Hans Landesmann. Ob ich mich jeweils<br />

«repräsentiert» fühle, ist für mich nebensächlich. Zur Darstellung<br />

kommt ohnehin immer nur ein schmaler Ausschnitt des gesamten<br />

Schaffens. Viel wichtiger ist, dass da ein kompetenter Mensch,<br />

mit dem ich mich obendrein gut verstehe, Interesse an meinem<br />

Werk zeigt und es in wohlüberlegter Dramaturgie an die Öffentlichkeit<br />

bringt. Das ist genau das, worüber ich vorhin sprach:<br />

kundige Verantwortung.<br />

Gemessen an den Salzburger Festspielen ist das vor<br />

25 Jahren gegründete Davos Festival ein kleines, aber feines<br />

Festival. Auch hier waren Sie vor einigen Jahren eingeladen.<br />

Was war hier das Besondere?<br />

Es ist eigentlich dasselbe wie in Salzburg: Alles hängt an Einzelpersonen,<br />

die einem Festival sein Profil verleihen. In Davos ist<br />

das Graziella Contratto. Die Mittel sind natürlich viel bescheidener<br />

als in Salzburg, aber trotzdem wurde ein optimales Ergebnis erzielt.<br />

Zusätzlich wurden auch einige meiner Schüler einbezogen, man<br />

hat viel Kammermusik gemacht, und ich hatte das Gefühl, ich sei<br />

nicht ein «Repräsentant» der neuen Musik, die man «leider machen<br />

muss», sondern ich wurde als Künstler ernst genommen, dessen<br />

Werke dem Publikum etwas «wert» werden konnten.<br />

Sie sind heute ein international viel gespielter Komponist,<br />

obwohl Sie es dem Publikum nie einfach gemacht haben …<br />

… vielleicht gerade deswegen!<br />

… und Ihr Werkverzeichnis, das um 1970 einsetzt, verzeichnet<br />

inzwischen über 300 Titel. Bei der Fülle an Werken und Aufführungen<br />

könnte einem ja fast ein bisschen schwindlig werden.<br />

Wem? Mir? Auch wenn das jetzt ein bisschen provokant klingt:<br />

Ich habe eher das Gefühl, es ist zu wenig. Was ich gemacht habe,<br />

kommt mir sowieso vorläufig vor, und wie es rezipiert wird, ist<br />

ja die Vorläufigkeit selbst. Aber das stört mich nicht. Die Vorläufigkeit<br />

gehört zum menschlichen Dasein. Schwindlig werden kann<br />

einem nur, wenn man glaubt, man hätte ein Anrecht auf Heiligsprechung.<br />

Das wünsche ich nicht. Ich will am Leben teilhaben.<br />

Ich bin mit allen meinen Fehlern und Vorzügen ein Mensch und<br />

nicht der «Steinerne Gast» im «Don Giovanni». <<br />

Weitere Interviews mit Wolfgang Rihm unter<br />

www.beckmesser.de<br />

Fünfte Uraufführung eines Rihm-Werks<br />

an den Salzburger Festspielen<br />

Wolfgang Rihm steht im Zentrum<br />

der diesjährigen Salzburger Festspiele.<br />

Neben der Oper « Dionysos»<br />

sind 14 weitere Veranstaltungen<br />

dem deutschen Komponisten gewidmet.<br />

An Wolfgang Rihm kommt dieses Jahr kein<br />

Festspielbesucher vorbei. Hoffentlich! Glücklicherweise!<br />

Seine Oper «Dionysos» wird<br />

am 27. Juli unter der Leitung von Ingo Metzmacher<br />

uraufgeführt. Weitere Aufführungen<br />

folgen am 30. Juli sowie am 5. und 8. August.<br />

Inspiration und Ausgangspunkt ist Friedrich<br />

Nietzsches später Gedichtzyklus «Dionysos-<br />

Dithyramben». Für die Regie zeichnet Pierre<br />

Audi verantwortlich, für das Bühnenbild Jonathan<br />

Meese, für die Kostüme Jorge Jara,<br />

für das Licht Jean Kalman und für die Dramaturgie<br />

Klaus Bertisch. In der Titelrolle ist<br />

Johannes Martin Kränzle zu hören, als weitere<br />

Solisten darf man sich auf Mojca Erdmann,<br />

Virpi Räisänen sowie Matthias Klink<br />

freuen. Es singt die Konzertvereinigung Wiener<br />

Staatsopernchor, es spielt das Deutsche<br />

Symphonie-Orchester Berlin.<br />

Bühnenbildskizze zur Oper «Dionysos»<br />

von Jonathan Meese.<br />

Begleitet wird die Oper nicht nur von der<br />

Credit Suisse Sommerbegegnung für Medienschaffende,<br />

sondern auch von der vierteiligen<br />

Gesprächsreihe «Exegese Rihm» im<br />

Schüttkasten. Die Reihe «Kontinent Rihm»<br />

enthält zehn von Markus Hinterhäuser zusammengestellte<br />

Konzerte zwischen dem<br />

29. Juli und dem 22. August, darunter auch<br />

zwei mit den Wiener Philharmonikern.<br />

Bereits 2000 hatten die Salzburger Festspiele<br />

Wolfgang Rihm eine Konzertreihe<br />

unter der «kundigen Verantwortung» (Rihm)<br />

von Hans Landesmann gewidmet. Zu diesem<br />

Zeitpunkt konnte man Wolfgang Rihm schon<br />

zu den etablierten Komponisten zählen.<br />

Das war bei seinem ersten Besuch am<br />

17. August 1982 noch nicht im gleichen Masse<br />

der Fall. Die Internationale Stiftung Mozarteum<br />

Salzburg hatte ihm dazu das Werk<br />

«Fremde Szene» in Auftrag gegeben. Die<br />

nächste Uraufführung im Rahmen der Salzburger<br />

Festspiele folgte am 16. August<br />

1990 mit dem Requiem «Mein Tod» mit einem<br />

Text von Wolf Wondratschek. Während Rihm<br />

1991 die Festspiele als Redner eröffnete,<br />

musste man sich für die nächste Uraufführung<br />

bis zum 11. August 20<strong>03</strong> gedulden:<br />

Marjana Lipovšek interpretierte die Lavant-<br />

Gesänge nach Gedichten von Christine Lavant.<br />

Am 15. August 2006 folgte dann, als<br />

Auftragswerk der Salzburger Festspiele, ein<br />

Konzert für Violoncello und Orchester unter<br />

der Leitung von Paavo Järvi. schi<br />

<br />

www.salzburgerfestspiele.at;<br />

www.credit-suisse.com/salzburgerfestspiele<br />

Foto: Jan Bauer, Courtesy JonathanMeese.Com<br />

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