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Text/Fotos: Ingrid Walter, walter-wortware.de<br />
MUT&LIEBE / THEMA /<br />
Mich inspirierte gleich die ganze Halle mit luftigen<br />
Fabrikfenstern, Kettenzug und Werkbank. Im Showroom<br />
konnte ich mich gar nicht sattsehen an den<br />
Möbelstücken, die Melanie schon verschönert hatte.<br />
mich inspiriert, was in<br />
den dingen steckt<br />
Das originellste Stück war<br />
vielleicht ein kleiner Beistelltisch,<br />
der einen lateinischen<br />
Namen trägt und afrikanisch anmutet. „Das<br />
war mein erster Patient“, lacht Melanie. „Vir Stercus“<br />
oder ganz profan „der kackende Mann“ fand sich auf<br />
dem Flohmarkt. Melanie nahm ihn mit, ohne dass sie<br />
recht wusste, was sie mit ihm anfangen sollte. Als es<br />
dann bei ihr im Job immer stressiger wurde, musste<br />
er herhalten und sie arbeitete die eigenwillige Holzskulptur<br />
zu einem Büchertisch um, der das Zeug zum<br />
Eyecatcher hat. Daneben ein Barschrank mit kunstvoll<br />
gebrochenem Spiegelinnenleben oder ein alter<br />
Fernsehschrank, der zur Sitzbank avancierte. Melanie<br />
schafft es, die Seele aus den ausrangierten Möbeln<br />
zu holen und verhilft ihnen oft zu einer ganz anderen<br />
Funktion. Was sie dabei immer im Blick hat, ist das<br />
Holz in seiner individuellen Schönheit.<br />
Bevor sie sich zur Gründung ihrer Werkstatt entschloss,<br />
arbeitete sie in leitender Position bei der<br />
FRAGround, dem Personaldienstleister der FRAPort<br />
AG. Sie brachte das Unternehmen mit auf den Weg.<br />
Aber nach 18 Jahren war sie erschöpft und krank.<br />
Das war im Februar 2019, als die Welt sich in den<br />
ersten Lockdown begab. Für Melanie stand die Entscheidung<br />
fest, dass sie nicht weiterleben wollte wie<br />
bisher – auch, weil es zu Lasten des Familienlebens<br />
ging. „Ich war so zerrissen, stand nachts um drei auf, damit<br />
ich um vier Uhr am Flughafen war und nachmittags<br />
wieder zuhause, um für mein Kind da zu sein“, erzählt<br />
sie. Im Lockdown fand sie Zeit zum Nachdenken und<br />
begann wieder mit Holz zu arbeiten, was sie schon in<br />
ihrer Kindheit und Jugend immer wieder getan hatte.<br />
Die Resonanz von Familie und Freunden war positiv<br />
und so wuchs die Idee für eine eigene Möbelwerkstatt.<br />
Daneben wurde ihr immer klarer: das Immergleiche<br />
liegt ihr nicht. Mit der Abfindung machte sie<br />
ihren Traum Anfang 2021 wahr<br />
und wagte einen kompletten<br />
<strong>Neustart</strong> – mit Woodfever,<br />
woodfever:<br />
"nichts verschwenden,<br />
wieder verwenden"<br />
ihrer eigenen kreativen Holzwerkstatt und Marke.<br />
Das Motto dafür hat ihr neunjähriger Sohn geprägt:<br />
„Nichts verschwenden, wieder verwenden.“<br />
Unter ihrem leidenschaftlichen<br />
Label betreibt sie<br />
Upcycling, Recycling und<br />
bietet individuelle Möbel und Dekorationskunstwerke<br />
an. Denn Kunstwerke sind neben den Möbeln<br />
auch die eigensinnigen Lampen, die sie aus alten<br />
Ästen oder Planken mit modernen Leuchtkörpern<br />
fertigt. Tatsächlich kommt sie aus einer Handwerker-Familie,<br />
hat schon früh an Autos geschraubt und<br />
wollte eigentlich eine Schreinerlehre machen, was<br />
für Mädchen noch sehr unüblich war. Also wurde<br />
es eine kaufmännische Ausbildung. „Mich interessiert<br />
das Leben, das in den Dingen steckt. Das hole ich<br />
dann heraus. Einen festgelegten Plan gibt es nicht“, beschreibt<br />
sie ihre aktuelle Tätigkeit.<br />
Nachdem sie eine Werkstatt gefunden hatte, mussten<br />
Werkzeuge wie eine Kreissäge, ein Lackiergerät und<br />
andere angeschafft werden. Eine alte Werkbank, die<br />
sie gerade zu einem sehr individuellen Schreibtisch<br />
umgestaltet, stand schon da. Dinge zu erhalten, also<br />
Nachhaltigkeit im besten Sinn, ist ihr eine Herzensangelegenheit<br />
und<br />
das merkt man bei<br />
ihren Stücken, die<br />
alle einen eigenen Charakter<br />
besitzen. „Ich liebe<br />
Kleinmöbel, die etwas herruntergekommen<br />
sind und<br />
die ich dann einmal auf<br />
links drehen kann“, sagt<br />
sie. Manchmal bekommt<br />
sie Dinge zugetragen, mit<br />
denen die Menschen nichts<br />
mehr anfangen können, die<br />
aber zu schade zum Wegwerfen<br />
sind. So wurde ein<br />
altes Spinnrad zu einem<br />
hübschen Bar-Tisch, auf<br />
dem ein Apéro stilecht<br />
kredenzt werden<br />
kann.<br />
Upcycling, recycling &<br />
dekorationskunstwerke...<br />
MÄRZ / APRIL / MAI 2021<br />
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