Wirtschafts-News II 2021 Mainz

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04.08.2021 Aufrufe

50 Wirtschafts-News: In Ihrem Beruf wird Ihnen der Spannungsbogen zwischen Kunst und Wirtschaft, zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit und beschränkender Abhängigkeit bekannt sein. Wie nehmen Sie dieses Verhältnis wahr? Welche Forderungen würden Sie an die Politik richten, um Unabhängigkeit einerseits und ein gesichertes Kulturdasein anderseits zu ermöglichen? Ilknur: Als Kunstvermittlerin plädiere ich für ein echtes dialogisches Verhältnis zwischen Kunst und Wirtschaft, so dass die nicht endende Debatte um Kunst und Kommerz nach und nach überwunden werden kann. Dafür bedarf es kreativer Kooperationen. Die Frage stellt sich immer wieder, ob Kunst überhaupt frei sein kann, wenn zum einen der Künstler von wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig ist und zum anderen die Käufer dazu verleitet sind, die Kunst zu missbrauchen, um ihr Prestige und ihre Macht zu demonstrieren. Kunst braucht die Wirtschaft und umgekehrt. Kunst fördert Kreativität und erweitert unsere Sichtweise nur dann, wenn sie frei ist. Unternehmen, die Arbeit neu denken und die unerlässliche „Transformation“ nicht nur im Sinne der Digitalisierung vorantreiben wollen, kommen nicht umhin, sich mit der Perspektive der Kunst zu beschäftigen. Die Förderung von Kunst, Kreativität und Kultur ist allerdings nicht mit den Bemühungen der Mäzene und einiger bewussten Unternehmen getan. Die Politik müsste ein unverkennbares Zeichen setzten, um sich für die Kunstfreiheit auszusprechen und die gesellschaftliche Notwendigkeit von Kunst und Kultur einzusetzen. „Es bedarf kreativer Kooperationen” Wirtschafts-News: Sie sind Kunstberaterin und -vermittlerin. Das insinuiert zwei Perspektiven. Eine gedankliche Sicht, die von Ihnen ausgeht und eine, die den Blick auf Ihre Kunden und Künstler richtet. Liegen beide Perspektiven nahe beieinander? Was beschäftigt Sie gedanklich in diesem Bereich? Nach welchen Schwerpunkten wählen Sie Ihre Künstler aus? Ilknur: Aus der Vogelperspektive betrachtet, sind alle genannten Ebenen miteinander verbunden. Kunst ist das schöpferische Prinzip der Welt. Meine Liebe zum Leben und zur Kunst potenziert sich durch meine Sichtweise auf den Künstler und die Kunden. Und dies ermöglicht mir meine Aufgabe, mehr Schönheit in die Welt zu bringen. In meinem eigensinnigen Galerie-Programm habe ich einen, und zwar den einen Künstler; seit über einem Jahrzehnt widme ich mich dem monumentalen Werk des Frankfurter Künstlers AL alias DENKSTAHL. Ich habe noch nicht alle 2000 Bilder von ihm gesehen und noch nicht alle 1000 Gedichte gelesen, obwohl ich bereits mehrere Bücher mit seinen Werken publiziert habe. Immer wieder geht es ihm um einen stählernen Denkanstoß. Seine Worte haben mir oft die Tränen entrissen, seine Gedichte mich tief im Herzen getroffen. Es ist mir eine große Ehre, die DENKSTAHL Kunst dem Betrachter und dessen Botschaft dem Empfänger nahe zu bringen. Die spannende Biografie des Denkers, Dichters und Künstlers DENKSTAHL ist ein Beispiel für den zeitgenössischen Phönix aus der Asche. Sie erzählt die Geschichte einer gelungenen Transformation. Das Kriterium, nach dem ich einen Künstler auswähle? Er ist gleichzeitig ein Lebenskünstler. Wirtschafts-News: Niemand wird es häufiger gehört haben, als Sie selbst, wenn Menschen sagen, dass sie keine Ahnung von Kunst haben. Wie begegnen Sie dieser Haltung? Oder umgekehrt, welche Haltung empfehlen Sie Künstlern, um dieser vermeintlichen Hemmschwelle entgegenzutreten? Ilknur: Tatsächlich begegnet mir die Aussage „Ich habe keine Ahnung von Kunst“ laufend. Es ist überhaupt nichts Schlimmes, keine Ahnung von

einer Sache zu haben. Das ist meine Grundhaltung dazu. In solchen Momenten suche ich andere Berührungspunkte, über die wir im Gespräch früher oder später doch bei der Kunst landen. Je nach Tonlage kann ich schnell erkennen, ob jemand trotzdem offen ist für eine neue Erfahrung, die Erfahrung der Kunstbetrachtung und des Kunstgenusses. Um sich auf die Kunst einzulassen und sie auf sich wirken zu lassen, braucht man kein Kunstkenner zu sein. Das einzig Notwendige ist zunächst einmal „nur“ die Offenheit. Natürlich vermittle ich dabei auch, wie wichtig es ist, dass wir uns mit Kunst umgeben und uns mit der Perspektive der Kunst bzw. des Künstlers beschäftigen. Was wäre das Leben ohne Kunst?! – diese Frage und Aussage bringt mein Anliegen bestens zum Ausdruck. „Das einzig Notwendige ist Offenheit” Ahnung von Kunst zu haben, bedeutet nicht, kunsthistorisch bewandert zu sein. Kunstgeschichte ist wichtig, keine Frage. Wichtiger ist jedoch die Gegenwart – unsere Geschichte, die wir jetzt gerade schreiben. Deshalb ist für mich die am schwierigsten zugängliche, zeitgenössische Kunst am spannendsten. Künstlern empfehle ich im Allgemeinen, dass sie ihre Werke nicht auf die Methodik und Technik, also auf ihr handwerkliches Können, reduzieren, sondern ihr Schaffen der Kunst des Lebens widmen. Diese hat natürlich nicht nur das eigene Leben im Sinn, sondern das Leben an sich, also auch das große Ganze. Wirtschafts-News: Kunst muss schön sein, sie muss anziehen, sie muss verzaubern. Gleichzeitig soll sie korrektiv sein, sie soll Leitplanke und Wegweiser sein. Was befindet sich nach Ihrer Meinung zwischen „soll“ und „muss“, also zwischen Anforderung und Zielsetzung? Ilknur: Nicht umsonst heißt es so treffend „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“. Über das, was schön ist, scheiden sich jeher die Geister. Manche fühlen sich gezwungen, sich zwischen Schönheit und Wahrheit entscheiden zu müssen, so als ob das Schöne und das Wahre zwei gegensätzliche Qualitäten wären, die sich nicht vereinen lassen. Dem begegne ich beispielsweise im Zuge meiner Kunstberatung unmissverständlich. Es kommt nicht selten vor, dass jemand die kritischen DENKSTAHL Bilder gnadenlos ehrlich findet, die Aussagen des Künstlers lobt und die Wichtigkeit seines Schaffens betont, und dennoch fast im gleichen Atemzug äußert, dass er/sie sich diese Bilder jedoch nicht aufhängen würde. Warum? Ich zitiere: „Lieber umgebe ich mich in meinem Alltag mit schönen Happy- Peppy Bildern, die mich positiv stimmen!“ „Wir haben einen Sinn für das Wahre, Authentische und Unverfälschte” Während für die einen das Schöne und das Wahre sich nicht vereinbaren lassen, empfinden andere hingegen die Wahrheit als pure Schönheit. Ist das nur eine Frage des Geschmacks? Natürlich nicht! So wie wir einen Sinn für Humor haben, haben wir auch einen Sinn für das Wahre, Authentische und Unverfälschte. Wir haben einen (verkümmerten) Sinn für das Schöne, eine uns innewohnende Fähigkeit, Schönheit zu empfinden. Daran darf, kann, soll und muss Kunst erinnern. In diesem Rahmen stelle ich gerne die Frage: Kann auch das schön sein, das uns anstachelt, irritiert, provoziert, unser Denken auf den Kopf und unsere Lebensweise in Frage stellt? Über Ilknur Özen: BWN Fotos: GALERIE VOLLHERZIG Kunst, die das Menschsein, aber auch die Freiheit, die Wahrheit und die Liebe thematisiert, bediene sich denselben Grundkategorien wie die Philosophie, sagt Ilknur Özen. Beides, Kunst und Philosophie, zieht sich durch ihr Leben wie ein roter Faden. An der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz studierte sie Philosophie und Erziehungswissenschaften. 2012 veröffentlichte sie Ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Philosophie des Herzens“. Seither ist sie in Mainz als Galeristin, Kunstberaterin und -vermittlerin tätig. Zudem widmet sie sich zeitgenössischer philosophischer Kunst und setzt sich für Kunst- und Kreativförderung ein. 51

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<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: In Ihrem Beruf wird Ihnen<br />

der Spannungsbogen zwischen Kunst und Wirtschaft,<br />

zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit<br />

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sein. Wie nehmen Sie dieses Verhältnis wahr?<br />

Welche Forderungen würden Sie an die Politik<br />

richten, um Unabhängigkeit einerseits und ein<br />

gesichertes Kulturdasein anderseits zu ermöglichen?<br />

Ilknur: Als Kunstvermittlerin plädiere ich für ein<br />

echtes dialogisches Verhältnis zwischen Kunst<br />

und Wirtschaft, so dass die nicht endende Debatte<br />

um Kunst und Kommerz nach und nach<br />

überwunden werden kann. Dafür bedarf es kreativer<br />

Kooperationen. Die Frage stellt sich immer<br />

wieder, ob Kunst überhaupt frei sein kann, wenn<br />

zum einen der Künstler von wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen abhängig<br />

ist und zum anderen die<br />

Käufer dazu verleitet sind,<br />

die Kunst zu missbrauchen,<br />

um ihr Prestige und<br />

ihre Macht zu demonstrieren.<br />

Kunst braucht die Wirtschaft<br />

und umgekehrt.<br />

Kunst fördert Kreativität<br />

und erweitert unsere<br />

Sichtweise nur dann,<br />

wenn sie frei ist. Unternehmen,<br />

die Arbeit neu<br />

denken und die unerlässliche<br />

„Transformation“<br />

nicht nur im Sinne der<br />

Digitalisierung vorantreiben<br />

wollen, kommen nicht<br />

umhin, sich mit der Perspektive der Kunst zu<br />

beschäftigen. Die Förderung von Kunst, Kreativität<br />

und Kultur ist allerdings nicht mit den Bemühungen<br />

der Mäzene und einiger bewussten<br />

Unternehmen getan. Die Politik müsste ein<br />

unverkennbares Zeichen setzten, um sich für<br />

die Kunstfreiheit auszusprechen und die gesellschaftliche<br />

Notwendigkeit von Kunst und Kultur<br />

einzusetzen.<br />

„Es bedarf kreativer<br />

Kooperationen”<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Sie sind Kunstberaterin und<br />

-vermittlerin. Das insinuiert zwei Perspektiven.<br />

Eine gedankliche Sicht, die von Ihnen ausgeht<br />

und eine, die den Blick auf Ihre Kunden und<br />

Künstler richtet. Liegen beide Perspektiven nahe<br />

beieinander? Was beschäftigt Sie gedanklich in<br />

diesem Bereich? Nach welchen Schwerpunkten<br />

wählen Sie Ihre Künstler aus?<br />

Ilknur: Aus der Vogelperspektive betrachtet, sind<br />

alle genannten Ebenen miteinander verbunden.<br />

Kunst ist das schöpferische Prinzip der Welt.<br />

Meine Liebe zum Leben und zur Kunst potenziert<br />

sich durch meine Sichtweise auf den Künstler<br />

und die Kunden. Und dies ermöglicht mir meine<br />

Aufgabe, mehr Schönheit in die Welt zu bringen.<br />

In meinem eigensinnigen Galerie-Programm habe<br />

ich einen, und zwar den einen Künstler; seit über<br />

einem Jahrzehnt widme ich mich dem monumentalen<br />

Werk des Frankfurter Künstlers AL<br />

alias DENKSTAHL. Ich habe noch nicht alle 2000<br />

Bilder von ihm gesehen und noch nicht alle 1000<br />

Gedichte gelesen, obwohl<br />

ich bereits mehrere<br />

Bücher mit seinen<br />

Werken publiziert habe.<br />

Immer wieder geht es<br />

ihm um einen stählernen<br />

Denkanstoß. Seine<br />

Worte haben mir<br />

oft die Tränen entrissen,<br />

seine Gedichte<br />

mich tief im Herzen<br />

getroffen. Es ist mir<br />

eine große Ehre, die<br />

DENKSTAHL Kunst dem<br />

Betrachter und dessen<br />

Botschaft dem Empfänger<br />

nahe zu bringen.<br />

Die spannende Biografie<br />

des Denkers, Dichters<br />

und Künstlers DENKSTAHL ist ein Beispiel<br />

für den zeitgenössischen Phönix aus der Asche.<br />

Sie erzählt die Geschichte einer gelungenen<br />

Transformation. Das Kriterium, nach dem ich<br />

einen Künstler auswähle? Er ist gleichzeitig ein<br />

Lebenskünstler.<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Niemand wird es häufiger<br />

gehört haben, als Sie selbst, wenn Menschen<br />

sagen, dass sie keine Ahnung von Kunst haben.<br />

Wie begegnen Sie dieser Haltung? Oder umgekehrt,<br />

welche Haltung empfehlen Sie Künstlern,<br />

um dieser vermeintlichen Hemmschwelle entgegenzutreten?<br />

Ilknur: Tatsächlich begegnet mir die Aussage „Ich<br />

habe keine Ahnung von Kunst“ laufend. Es ist<br />

überhaupt nichts Schlimmes, keine Ahnung von

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