Wirtschafts-News II 2021 Mainz

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04.08.2021 Aufrufe

48 Kunst und Wirtschaft Die Beziehung zwischen Wirtschaft und Kunst steht heute im Spannungsverhältnis von Freiheit der Kunst und Abhängigkeit von der Wirtschaft. Das eine kann zur Abschottung, das andere zur Funktionslosigkeit, aber auch zu wechselseitigen Synergien führen. Kunst ist und war – in welcher Form auch immer – ein Spiegel der Gesellschaft. Wann immer es zu epochalen, gesellschaftlichen Veränderungen kommt, drückt sich dies unweigerlich in Kunst und Kultur aus. Eine der berühmtesten Kulturepochen ist wohl die Renaissance als Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit. Das Bedürfnis nach geistiger Neuorientierung findet hier verstärkt Ausdruck in Protest- und Mahnhaltungen durch Kunst und Literatur. Ein Korrektiv, das zumeist als Reaktion auf zu starke Machtkonzentration und Missstände sowie im Sinne der Aufklärung – entsprechend der geistigen und wissenschaftlichen Erkenntnisse – von Mäzenen gefördert wurde. Vor einem halben Jahrtausend etwa war es Michelangelos David, der zum Symbol der freien Bürger von Florenz wurde. Leonardo da Vincis Abendmahl legt Zeugnis ab von der Abkehr kanonischer Apodiktik. Der Mensch selbst rückte fortan in den Fokus. Der humanistische Gedanke wurde damit zum Wegbereiter dieser Epoche als Gegenreaktion auf eine machtgeprägte Haltung von Fürsten und Kirche. Das Prinzip hat sich auch über Jahrhunderte nicht verändert. Rund ein halbes Jahrtausend später, am 24.06.1995, war die Verhüllung des Deutschen Reichstages durch das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude abgeschlossen. Anders als 500 Jahre zuvor war es nun ein Parlament, der Deutsche Bundestag, der über die Realisierung des Projektes debattierte und sie schlussendlich beschied. Doch auch hier ging es um die Erschaffung eines Mahnsymbols gegen einen mehr als vier Jahrzehnte bestehenden Unrechts- und Überwachungsstaat. In der florentinischen Renaissance war es das Mäzenatentum, das die Entwicklung der Kunst ermöglichte und beförderte. Mit Fug und Recht kann man wohl sagen, dass vor allen Dingen die Medici ein politisches Interesse an der Förderung von Kunst und Architektur hatten. Dabei ging es ihnen nicht nur um die Zurschaustellung ihres Reichtums, sondern auch um die intellektuelle Deutungshoheit. Beides zusammen mündet in politischer Macht. Man muss nicht lange nachdenken, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass dies zu Missbrauch und Verklärung führt. 500 Jahre später gibt es das Mäzenatentum immer noch, doch gleichzeitig sind es öffentliche Förderungen, die Kunst und Kultur erst ermöglichen, um freie Künste auf den Weg zu bringen. Die Verbindung zwischen Kunst und Wirtschaft besteht fortan, auch in enger Korrelation. Nur die Paradigmen dabei haben sich geändert. Was entstanden ist, ist ein Zusammen- und Auseinanderwachsen gleichzeitig. Zwei scheinbar vollkommen unterschiedliche Bereiche haben ihre Komplementärhaftigkeit längst erkannt und sich doch selbst mit einer Gewaltenteilung versehen. Auch jetzt noch muss Kunst zugänglich

sein, muss anziehend sein, ja, sie muss schön sein. Sie hat die Aufgabe, ihre Betrachter zu unterhalten. Gleichzeitig, wichtiger noch, muss sie erklären, Leitplanke und Leuchtturm sein. Und in der schmerzhaftesten Form gehört auch das Ertragen dazu. Mit dem Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft, mit ihrem fragilen Dasein, der dringenden Notwendigkeit zur Unabhängigkeit, sowie dem Nutzen für die Wirtschaft wollen wir uns in dieser Reihe befassen. Gemeinsam mit der Galeristin, Kunstberaterin und -vermittlerin Ilknur Özen aus Mainz wollen wir uns dem Thema annähern. „Die Politik müsste ein unverkennbares Zeichen setzen“ Wirtschafts-News: Ilknur, Sie haben Philosophie und Erziehungswissenschaften studiert. Nun arbeiten Sie als Galeristin, Kunstberaterin und -vermittlerin. Wie kam es dazu, dass Sie nicht etwa im pädagogischen Bereich arbeiten, sondern sich auf ein unplanbares und risikobehaftetes Terrain begeben haben? Und welche Rolle in Ihrem Beruf spielen die Philosophin und Erziehungswissenschaftlerin? Ilknur: Auch wenn es auf den ersten Blick für einen Außenstehenden nicht ersichtlich ist, gibt es einen durchgehenden roten Faden in meinem Werdegang. Beispielsweise waren Kunst und Philosophie zwei meiner Abiturprüfungsfächer, was sich an meiner jetzigen Tätigkeit – der Vermittlung kritischer zeitgenössischer Kunst – klar widerspiegelt. Kunst, die das Menschsein, aber auch die Freiheit, die Wahrheit und die Liebe thematisiert, bedient sich denselben Grundkategorien wie die Philosophie in meinem Verständnis. Zudem habe ich mir mein Studium sowohl kritisch als auch interdisziplinär gestaltet (damals im Magisterstudium war das noch möglich) und beispielsweise ergänzend Medienphilosophie studiert. Die Schnittstelle von Kunst und Philosophie hat mich damals ergriffen und das ist bis heute so geblieben. Vor allem die akademische Philosophie ist intellektuell, linkshirnlastig, kalt und einsam ohne ihre Schwester, die Kunst. Die Kunst des Denkens und die Kunst des Sehens auf der einen Seite, Persönlichkeitsbildung und ästhetische Bildung auf der anderen Seite, sind tragende Säulen meines Berufes. Ist das ein unplanbares und risikoreiches Terrain? Ja, definitiv. Aber mich interessiert nicht nur das Mögliche, sondern und vor allem das vermeintlich Unmögliche – sowohl im beruflich-geschäftlichen Feld als auch im Bereich der geistigen Weiterentwicklung des Menschen. 49 "Der letzte Abend", DENKSTAHL Anzeige

sein, muss anziehend sein, ja, sie muss schön<br />

sein. Sie hat die Aufgabe, ihre Betrachter zu unterhalten.<br />

Gleichzeitig, wichtiger noch, muss sie<br />

erklären, Leitplanke und Leuchtturm sein. Und<br />

in der schmerzhaftesten Form gehört auch das<br />

Ertragen dazu.<br />

Mit dem Zusammenhang von Kunst und Wirtschaft,<br />

mit ihrem fragilen Dasein, der dringenden<br />

Notwendigkeit zur Unabhängigkeit, sowie dem<br />

Nutzen für die Wirtschaft wollen wir uns in dieser<br />

Reihe befassen.<br />

Gemeinsam mit der Galeristin, Kunstberaterin<br />

und -vermittlerin Ilknur Özen aus <strong>Mainz</strong> wollen<br />

wir uns dem Thema annähern.<br />

„Die Politik müsste ein<br />

unverkennbares Zeichen setzen“<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Ilknur, Sie haben Philosophie<br />

und Erziehungswissenschaften studiert. Nun<br />

arbeiten Sie als Galeristin, Kunstberaterin und<br />

-vermittlerin. Wie kam es dazu, dass Sie nicht<br />

etwa im pädagogischen Bereich arbeiten, sondern<br />

sich auf ein unplanbares und risikobehaftetes<br />

Terrain begeben haben? Und welche Rolle<br />

in Ihrem Beruf spielen die Philosophin und<br />

Erziehungswissenschaftlerin?<br />

Ilknur: Auch wenn es auf den ersten Blick für<br />

einen Außenstehenden nicht ersichtlich ist, gibt<br />

es einen durchgehenden roten Faden in meinem<br />

Werdegang. Beispielsweise waren Kunst und<br />

Philosophie zwei meiner Abiturprüfungsfächer,<br />

was sich an meiner jetzigen Tätigkeit – der<br />

Vermittlung kritischer zeitgenössischer Kunst<br />

– klar widerspiegelt. Kunst, die das Menschsein,<br />

aber auch die Freiheit, die Wahrheit und die<br />

Liebe thematisiert, bedient sich denselben<br />

Grundkategorien wie die Philosophie in meinem<br />

Verständnis. Zudem habe ich mir mein Studium<br />

sowohl kritisch als auch interdisziplinär<br />

gestaltet (damals im Magisterstudium war das<br />

noch möglich) und beispielsweise ergänzend<br />

Medienphilosophie studiert. Die Schnittstelle<br />

von Kunst und Philosophie hat mich damals<br />

ergriffen und das ist bis heute so geblieben.<br />

Vor allem die akademische Philosophie ist intellektuell,<br />

linkshirnlastig, kalt und einsam ohne<br />

ihre Schwester, die Kunst.<br />

Die Kunst des Denkens und die Kunst des Sehens<br />

auf der einen Seite, Persönlichkeitsbildung<br />

und ästhetische Bildung auf der anderen Seite,<br />

sind tragende Säulen meines Berufes. Ist das<br />

ein unplanbares und risikoreiches Terrain? Ja,<br />

definitiv. Aber mich interessiert nicht nur das<br />

Mögliche, sondern und vor allem das vermeintlich<br />

Unmögliche – sowohl im beruflich-geschäftlichen<br />

Feld als auch im Bereich der geistigen<br />

Weiterentwicklung des Menschen.<br />

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