Wirtschafts-News II 2021 Mainz
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zu subventionieren – so würde dann schon<br />
alles gut mit dem Klima und der sozialen<br />
Ungerechtigkeit. Übertragen wir das doch<br />
mal in ein Bild aus dem schwer gebeutelten<br />
Pflegesektor: Es wäre also ok, wenn man<br />
bestehende Wunden nicht kuriert und sogar<br />
noch tiefer reißt, solange man parallel besseres<br />
Verbandsmaterial entwickelt?! Sie<br />
sehen, lieber Mensch, das macht mich durchaus<br />
wütend. Falscher Ansatz, falsche Richtung.<br />
Wir brauchen keine neuen Konzepte,<br />
solange wir kein neues Mindset, eine neue<br />
Haltung, den Dingen und vor allem den Menschen<br />
gegenüber einnehmen. Sonst bleibt<br />
es schlicht beim alten, schal gewordenen<br />
Wein, den man versucht - in die vielzitierten<br />
neuen Schläuche gegossen - als Premiumqualität<br />
zu verkaufen.<br />
Och Frau Maasland, ich finde jetzt kippen Sie<br />
schalen Wein in frisches Bier. Ändert sich nicht<br />
gerade alles? Ich merke es deutlich, Ihre schöne<br />
Seele ereifert sich für das Gute. Der Klimawandel<br />
und soziale Gerechtigkeit umtreiben<br />
Sie. Aber beides sind doch Themen von Arbeit<br />
4.0, oder nicht? Ok, zu lahm, zu inhaltsleer zu<br />
oberflächlich, höre ich Sie sagen. Aber hat nicht<br />
immerhin der Scholz jetzt einen großen Schritt<br />
gemacht mit der weltweiten Unternehmenssteuer?<br />
Jaja, ich weiß, ich weiß, schauen wir<br />
mal, was davon am Ende übrig bleibt. Aber<br />
das ist doch schon mal was, oder nicht? Und<br />
wenn man dieser Tage Texte von Politikern<br />
liest, die eher unter dem Stern „how predictable“<br />
stehen, dann doch wohl deshalb, weil<br />
die sich nicht trauen und auf Parteilinie bleiben<br />
wollen. Eines erscheint mir vollkommen<br />
klar, liebe Frau Maasland. Strukturen oder,<br />
krasser noch, Änderungen daran folgen immer<br />
einer schieren Logik. Das hat nichts mit Emotionen<br />
zu tun. Will man also große Veränderungen,<br />
muss man wirkmächtige Hebel in Gang<br />
setzen. Und dann kurz warten. So eins, zwei<br />
Jahrzehnte und schwups, sind sie da. Alles,<br />
was dazwischen passiert, ist das Ringen um<br />
die beste Hebelidee, den besten Zeitpunkt<br />
einer solchen Idee und, wichtiger noch, um den,<br />
der´s sagen darf. Das, was in der Zwischenzeit<br />
stattfindet, gerade jetzt, das sind Emotionen.<br />
Ich glaube das ist es, was Sie mit Buzzword<br />
meinen; Kapriolen, irrlichternde Gedanken,<br />
Himmelsstürmer und Hasardeure ganz gleich<br />
von welcher Seite, ob von stimmgewaltigen<br />
Bewahrern oder ehrgeizigen Progressiven. Das,<br />
was in den kommenden Wochen bis September<br />
stattfindet, ist ne Mischung aus Schauspiel<br />
und Rockkonzert. Da hören Sie ne langgezogene,<br />
heulende Gitarre voller Pathos, dann<br />
sehen Sie schrille bis verstörende Auftritte von<br />
Typen, bei denen Sie sich fragen, ob das gerade<br />
ne Neuauflage von Top-Gun ist oder ein<br />
deutscher Verteidigungsminister. Part of the<br />
game, Frau Maasland, finden Sie nicht? Und<br />
jetzt mal Hand auf´s Herz, Sie sind die Kommunikationsexpertin.<br />
Ich bin der schlimmste<br />
Dogmatiker unter dieser Sonne, doch frage ich<br />
mich, was besser ist; eine emotional, ja vielleicht<br />
populistisch angeschobene Strukturreform oder<br />
eine, die nicht stattfindet?<br />
Natürlich finden gerade massive Veränderungen<br />
statt. Doch sollten wir achtgeben,<br />
dass wir uns nicht tatsächlich der Panscherei<br />
schuldig machen. Andererseits wird das<br />
aber natürlich auch immer noch sehr gern<br />
gekauft, dieses Misch-Zeug. Süffig, süß und<br />
selten merkt man rechtzeitig, dass es knülle<br />
und böse Kopfschmerzen macht. Merkste<br />
was? Ich bleibe also lieber beim unverdünnten<br />
Wein, in dem man ja bekanntlich<br />
die Wahrheit findet, wenn man tief genug<br />
ins Glas schaut. Und selbstverständlich würde<br />
ich mich allzu gern dem Flow hingeben<br />
und warten, bis Veränderung einfach passiert.<br />
Aber weil das alle vor uns schon gemacht<br />
haben, haben wir jetzt schlichtweg keine<br />
mehr Zeit, abzuwarten bis sich alles wie<br />
magisch zum Guten wendet. Meine politische<br />
Utopie ist eine sinnzentrierte, die den Menschen<br />
nicht als Faktor begreift, den es zu<br />
managen gilt, sondern als maßgebliche Einflussgröße,<br />
an der sich ausgerichtet wird.<br />
Und zwar im Miteinander auf Augenhöhe<br />
und nicht in den Rollen von Kümmerern und<br />
Bedürftigen, von Wissenden und Ahnungslosen.<br />
Hier schlummert er doch, der Geist<br />
einer zukunftsfähigen Arbeitswelt! Ich denke,<br />
die Aufgabe von uns Alten sollte nun sein,<br />
den Weg für die jungen Gescheiten und Empathischen<br />
zu bereiten oder zumindest nicht<br />
auf ebendiesen rumzulungern und die Sicht<br />
zu versperren. Wenn wir das als Gesellschaft<br />
schaffen, kann ich mich auch entspannen,<br />
Ihnen das mit der Kommunikation und den<br />
Emotionen noch mal erläutern und warum<br />
sachliche Logik eine Illusion ist. Vielleicht<br />
trinke ich sogar ein Bier dazu, wenn die Gitarren<br />
laut genug heulen.<br />
STM, BWN