Wirtschafts-News II 2021 Mainz

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04.08.2021 Aufrufe

18 Die schöne neue Arbeitswelt und ihre Grenzen Ein Gastbeitrag von David Dietz „Zukunft der Arbeit“, „Arbeit 4.0“ oder eben „New Work“ – alle diese Schlagworte beschreiben mit mehr oder weniger konzeptionellem Überbau, wie unser Arbeitsleben künftig aussehen soll. Interessanterweise hat sich unter den drei vorgenannten Begriffen selbst eine kleine Branche entwickelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen Trends über Arbeitsweisen in einer Zukunft, die ja eigentlich längst begonnen hat, Coaches wollen Unternehmen wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für das New Work-Zeitalter fit machen und Möbelhäuser bieten Lösungen für das „neue Büro“; auch für das neue Büro zu Hause. Und dabei sind noch nicht einmal die zahllosen Social-Media-Unternehmerinnen und -unternehmer einbezogen, deren Angebote sich in der digitalen Sphäre finden. Wer bei Instagram dem Hashtag #newwork folgt, der findet über 1,6 Millionen Beiträge. Die Relevanz ist demnach gegeben und ein dazugehöriger Markt auch. Den Begriff „New Work“ prägte vor allem der deutsche Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der im Mai dieses Jahres im Alter von 90 Jahren verstorben ist. Analog zu den ebenfalls genannten „Arbeit 4.0“ und der „Zukunft der Arbeit“ geht es um eine neue Arbeitskultur und neue Arbeitsprozesse in einer internationalisierten und digitalisierten Welt. Die Grundannahme ist, denke ich, gegeben. Wir leben in einer Situation, in der nicht nur Waren und Dienstleistungen im Wettbewerb extrem flexibel sind und für viele Akteure am Markt nicht mehr nur regional begrenzt zur Verfügung stehen. Gleiches gilt vielmehr auch am Personalmarkt, auf dem Unternehmen gut ausgebildete und mobile Menschen weltweit für sich gewinnen können. Auch sind unsere Arbeitsprozesse in vielfältiger Weise digitalisiert. Im vergangenen Jahr haben ich und viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber gemurrt, dass wir mit Teilen der öffentlichen Verwaltung mittels Fax kommuniziert haben. Das bedeutet im Umkehrschluss aber, dass dieser für uns eher lästige als tragische Vorgang die Standards der digitalen Kommunikation, an die wir uns mittlerweile gewöhnt haben, hervorhebt. Zu meiner Zeit als Pressesprecher hätte ich ohne Messenger-Dienste und Social Media sicherlich weniger Wirkung erzielen können. Doch wie bei so vielen Trends und Entwicklungen sind unterschiedliche Ausprägungen in verschiedenen Branchen zu verzeichnen. Als Geschäftsführer zweier Unternehmen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft, deren Geschäftsmodelle auf der Versorgung, Unterstützung und Pflege von Menschen mit entsprechenden Bedarfen beruht, erlebe ich Veränderung und gleichzeitig das notwendige Festhalten an Bewährtem. Die Lebenshilfe Mainz-Bingen betreibt Einrichtungen und bietet Dienstleistungen an für Menschen mit zumeist kognitiven Einschränkungen. Von der Kindertagesstätte bis zur Seniorentagesbetreuung, von der Begleitung beeinträchtigter Schülerinnen und Schüler bis zum Leben in stationären Wohnformen arbeiten mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit mehr als 550 Kundinnen und Kunden tagtäglich eng zusammen, um größtmögliche Selbstbestimmtheit dieser Menschen zu garantieren.

W N SPEZIAL Zukunft der Arbeit 19 In einem solchen Setting sind die Möglichkeiten von digitalisierten Arbeitsprozessen endlicher als in der Industrie oder bei sonstigen Dienstleistungen, wie beispielsweise im Bereich der Kommunikation. Auch, wenn New Work tatsächlich sehr viel mehr umfasst als die Digitalisierung der Arbeitswelt – wie zum Beispiel flexible Arbeits(zeit)modelle, Vereibarkeit von Arbeit und Familie oder anderen Lebensbereichen, kulturelle Aspekte und Hierarchien – so lassen sich für unsere Branche der Sozial- und Gesundheitswirtschaft insbesondere an diesem Beispiel die Grenzen neuer Entwicklungen aufzeigen. Natürlich nutzen auch wir im Rahmen weiter steigender Dokumentationspflichten in der Eingliederungshilfe und der Pflege zunehmend ITbasierte Lösungen. Die Kommunikation in unserem Pflegedienst basiert auf internen Messengerlösungen, sofern Telefonate und Videocalls nicht die Mittel der Wahl sind. Die Verwaltung, insbesondere die Finanzbuchhaltung, das Controlling und die Personalabteilung arbeiten hybrid mit digitalen Programmen, aber eben auch mit den klassisch ausgedruckten Papierseiten. Die Installation eines neuen Betriebssystems samt darauf basierenden Anwendungen und Cloud-Lösungen hat die Pandemie zunichte gemacht. Wenn ein Investitionsstopp notwendig ist, weil wir und unsere Kostenträger auf Sicht fahren müssen, wie es seit März 2020 der Fall ist, fällt auch die dringend notwendige weitergehende Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse diesem zum Opfer. Der entscheidende Punkt ist aber: unsere Dienstleistungen erfordern schlicht und ergreifend physische Nähe und nicht zuletzt auch Empathie. Der Einsatz der so genannten Pflegeroboter und von Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) werden immer bedeutendere Ergänzungen unserer Leistungen. Dies gilt natürlich vor allem auch für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über viel Erfahrung verfügen, aber deren körperliche Fähigkeiten mit den Bedarfen unserer Kundinnen und Kunden nicht auf Dauer mithalten können. Daher werden uns die technischen Möglichkeiten die Arbeit am Bett, in der KiTa und unseren anderen Tätigkeitsfeldern die Arbeit weiter erleichtern, aber den „Faktor Mensch“ zum Glück nicht ersetzen können. Damit werden wir auch künftig über Vergütungsfragen mit den Kostenträgern ringen, wir werden weiterhin arbeits- und tarifrechtliche Diskussionen mit den Betriebsräten führen und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Pflegetouren mit der bestmöglichen Effektivität ermitteln. Dabei werden uns KI-Lösungen helfen, die die Leitungskräfte im Home-Office anwenden. Unsere Kolleginnen und Kollegen im Betreuungsund Pflegedienst werden derweil genau das tun, was sie immer getan haben – betreuen und pflegen; in unseren Einrichtungen und bei den Menschen zu Hause. Text & Foto: David Dietz Über David Dietz: David Dietz, 39, hat berufliche Erfahrungen im rheinland-pfälzischen Landtag gesammelt, bevor er im Gesundheits- und Arbeitsministerium in Mainz tätig war. Als Pressesprecher der Landespflegekammer war er am Aufbau der größten Heilberufskammer in Rheinland-Pfalz beteiligt und ist seit 2018 Geschäftsführer der Lebenshilfe Mainz-Bingen GmbH, ein Multikomplexträger mit 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seit 2019 ist er außerdem Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes Lebenshilfe Mainz-Bingen Hausengel GmbH. Dietz, der Vater eines Sohnes ist, engagiert sich als Kreis- und Fraktionsvorsitzender der FDP Mainz und ist Mitglied des Landesvorstands seiner Partei.

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Zukunft der Arbeit<br />

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In einem solchen Setting sind die Möglichkeiten<br />

von digitalisierten Arbeitsprozessen endlicher<br />

als in der Industrie oder bei sonstigen Dienstleistungen,<br />

wie beispielsweise im Bereich der<br />

Kommunikation. Auch, wenn New Work tatsächlich<br />

sehr viel mehr umfasst als die Digitalisierung<br />

der Arbeitswelt – wie zum Beispiel flexible<br />

Arbeits(zeit)modelle, Vereibarkeit von Arbeit und<br />

Familie oder anderen Lebensbereichen, kulturelle<br />

Aspekte und Hierarchien – so lassen sich<br />

für unsere Branche der Sozial- und Gesundheitswirtschaft<br />

insbesondere an diesem Beispiel die<br />

Grenzen neuer Entwicklungen aufzeigen.<br />

Natürlich nutzen auch wir im Rahmen weiter<br />

steigender Dokumentationspflichten in der Eingliederungshilfe<br />

und der Pflege zunehmend ITbasierte<br />

Lösungen. Die Kommunikation in unserem<br />

Pflegedienst basiert auf internen<br />

Messengerlösungen, sofern Telefonate und<br />

Videocalls nicht die Mittel der Wahl sind. Die<br />

Verwaltung, insbesondere die Finanzbuchhaltung,<br />

das Controlling und die Personalabteilung arbeiten<br />

hybrid mit digitalen Programmen, aber<br />

eben auch mit den klassisch ausgedruckten<br />

Papierseiten. Die Installation eines neuen Betriebssystems<br />

samt darauf basierenden Anwendungen<br />

und Cloud-Lösungen hat die Pandemie<br />

zunichte gemacht. Wenn ein Investitionsstopp<br />

notwendig ist, weil wir und unsere Kostenträger<br />

auf Sicht fahren müssen, wie es seit März 2020<br />

der Fall ist, fällt auch die dringend notwendige<br />

weitergehende Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse<br />

diesem zum Opfer.<br />

Der entscheidende Punkt ist aber: unsere Dienstleistungen<br />

erfordern schlicht und ergreifend<br />

physische Nähe und nicht zuletzt auch Empathie.<br />

Der Einsatz der so genannten Pflegeroboter und<br />

von Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI)<br />

werden immer bedeutendere Ergänzungen unserer<br />

Leistungen. Dies gilt natürlich vor allem<br />

auch für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />

die über viel Erfahrung verfügen, aber<br />

deren körperliche Fähigkeiten mit den Bedarfen<br />

unserer Kundinnen und Kunden nicht auf Dauer<br />

mithalten können. Daher werden uns die<br />

technischen Möglichkeiten die Arbeit am Bett,<br />

in der KiTa und unseren anderen Tätigkeitsfeldern<br />

die Arbeit weiter erleichtern, aber den „Faktor<br />

Mensch“ zum Glück nicht ersetzen können. Damit<br />

werden wir auch künftig über Vergütungsfragen<br />

mit den Kostenträgern ringen, wir werden<br />

weiterhin arbeits- und tarifrechtliche Diskussionen<br />

mit den Betriebsräten führen und für die<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Pflegetouren<br />

mit der bestmöglichen Effektivität ermitteln.<br />

Dabei werden uns KI-Lösungen helfen, die die<br />

Leitungskräfte im Home-Office anwenden. Unsere<br />

Kolleginnen und Kollegen im Betreuungsund<br />

Pflegedienst werden derweil genau das tun,<br />

was sie immer getan haben – betreuen und<br />

pflegen; in unseren Einrichtungen und bei den<br />

Menschen zu Hause.<br />

Text & Foto: David Dietz<br />

Über David Dietz:<br />

David Dietz, 39, hat berufliche Erfahrungen im rheinland-pfälzischen Landtag gesammelt, bevor<br />

er im Gesundheits- und Arbeitsministerium in <strong>Mainz</strong> tätig war. Als Pressesprecher der Landespflegekammer<br />

war er am Aufbau der größten Heilberufskammer in Rheinland-Pfalz beteiligt und<br />

ist seit 2018 Geschäftsführer der Lebenshilfe <strong>Mainz</strong>-Bingen GmbH, ein Multikomplexträger mit<br />

300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seit 2019 ist er außerdem Geschäftsführer des ambulanten<br />

Pflegedienstes Lebenshilfe <strong>Mainz</strong>-Bingen Hausengel GmbH. Dietz, der Vater eines Sohnes<br />

ist, engagiert sich als Kreis- und Fraktionsvorsitzender der FDP <strong>Mainz</strong> und ist Mitglied des Landesvorstands<br />

seiner Partei.

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