Wirtschafts-News II 2021 Mainz

Wirtschaftsnews
von Wirtschaftsnews Mehr von diesem Publisher
04.08.2021 Aufrufe

12 sich vertiefenden Gräben. Dies zeigte zuletzt die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Neben der Erkenntnis, dass die CDU stärkste Kraft wurde, ging die AFD im Vergleich zur vorangegangenen Wahl als stabil hervor, währenddessen die Grünen kaum Gehör finden. In einer Auseinandersetzung bei der Sendung „Anne Will“ von Sonntag, 06.06.2021 zwischen den beiden Parteichefs, Robert Habeck und Tino Chrupalla war die Kritik hörbar, die Ideen der Grünen, insbesondere im Hinblick auf CO2- Bepreisung seien zu kompliziert, die Menschen würden es nicht verstehen. Hier zeichnete sich eine Linie ab, die man – pointiert dargestellt – reaktionär-pragmatisch einerseits und visionär-dogmatisch andererseits nennen kann. Wie pragmatisch kann man sein, wenn es um den Klimaschutz geht, wie dogmatisch, wenn es um die Gewährleistung sozialer Sicherheit geht? Tabea Rößner: Ich weiß nicht, ob man die Konfliktlinie zwischen reaktionär-pragmatisch und visionär-dogmatisch ziehen kann. Meiner Ansicht nach geht es eher um reaktionär-dogmatisch versus visionär-pragmatisch. Für letzteres stehen wir Grünen. Die CO2-Bepreisung, die es ja bereits länger gibt und die ja auch die anderen Parteien befürworten, ist so kompliziert nicht. Es geht darum, über einen Marktmechanismus den CO2-Ausstoß zu verteuern, um Anreize zu mehr Klimaneutralität zu setzen. Und glauben Sie mir: Die Menschen sind nicht, wie die AfD es ihnen unterstellt, zu dumm, um diesen Mechanismus zu verstehen. Wir sind aber die einzigen, die ein Konzept zur sozialen Abfederung der CO2-Verteuerung haben. Denn mit dem Energiegeld werden die Einnahmen durch den CO2-Preis an die Menschen pro Kopf zurückgegeben. Das heißt, diejenigen, die zu den Besserverdienenden gehören und auch einen deutlich höheren CO2-Fußabdruck hinterlassen, werden belastet, und diejenigen mit einem schmalen Geldbeutel und einem geringeren Energieverbrauch werden profitieren. Eines ist klar: Wenn wir den Klimawandel nicht ernst nehmen und nicht alles tun, um Klimaneutralität zu erreichen, werden wir ganz andere Probleme haben. Wirtschafts-News: Arbeitsmarktpolitik unterliegt immer einem Pendelschwung, der eine Reaktion ist auf die Korrelation zwischen Nachfrageund Angebotspolitik einerseits und Indizien wie Lohnstückkosten und Investitionsvolumen andererseits. Gerhard Schröders Agenda 2010 war in diesem Zusammenhang eine Zäsur. Darauf folgten Korrekturen in Gestalt von arbeitnehmerfreundlicher Politik. In der Folge sank das Investitionsvolumen und die Lohnstückkosten stiegen an. Unter normalen Umständen wäre demnach nun eine Zeit der Angebotspolitik zu erwarten. Dies jedoch scheint derzeit kaum vorstellbar, da ein noch stärkerer Wegfall von Arbeitsplätzen zu befürchten wäre. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen? Tabea Rößner: Wenn ich den von ihnen beschriebenen Zyklus zugrunde lege, dann kann Ihre Einschätzung, es wäre kaum vorstellbar, den stärkeren Wegfall von Arbeitsplätzen zu verantworten, auch heißen, dass die Zeit für einen Wechsel zu einer mehr angebotsorientierten Politik nicht reif sei. Mal ganz davon abgesehen, was die Phase der Angebotspolitik für Arbeit und Leben bedeutet hat: das Drücken der Lohnkosten, ständige Rationalisierung, prekäre Arbeitsverhältnisse etc. Ziel müsste ja vielmehr sein, durch eine verhältnismäßig ausgewogenen Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik die Pendelbewegungen abzuschwächen. Im Rahmen des Strukturwandelprozesses müssen wir einen Ausgleich finden zwischen Wettbewerbsinteressen der Wirtschaft und Arbeitnehmerinteressen am Bestehen und Erhalt von Arbeitsplätzen, in denen sie sich entfalten können und die nicht ihr ganzes Leben in Besitz nehmen. Der Wandel der Wirtschaft ist unaus-

13 weichlich, er bietet aber eben auch Chancen. Wir werden viel investieren müssen für den Umbau der Wirtschaft. Dafür planen wir Grüne 500 Mrd. Euro ein. Innovation muss gefördert werden. In diesem Wandel besteht die Chance, den Ausgleich zu schaffen. Wirtschafts-News: In der vergangenen Ausgabe dieses Heftes sprachen wir über einen vermeintlichen Bewusstseinswandel als Folge der Pandemie. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit waren die Schlagworte. Gastautorin Stefanie Maasland schrieb von einer disruptiven Krise mit der Notwendigkeit, Eigenverantwortung zu übernehmen, da es Top-down-Lösungen nicht geben werde. Doch allzu oft ist ein Bewusstseinswandel von Rückschritten geprägt; der wohl prominenteste Rückschritt in Deutschland war der Ausstieg des Atomausstieges. Erst der GAU von Fukushima führte zu einer Rückbesinnung auf die eigentlichen Ziele, nicht zunächst ein wahrhafter Bewusstseinswandel. Zwar war dies eine Top-down-Lösung, nicht aber vernunftsgeprägt, sondern durch eine Katastrophe erzwungen. Überträgt man nun den Gedanken der Eigenverantwortung auf das Thema „Arbeit 4.0“, würde es bedeuten müssen, dass Investoren auf Rendite verzichten und Arbeitnehmer auf starre Arbeitszeiten und Verträge, um den Weg in der Mitte zu finden. Ist dies vorstellbar oder naiv, anzunehmen? Tabea Rößner: Ein schönes Beispiel kann man hier aus der Region anführen. Bei den Planungen für den Bau des Kohlekraftwerks hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Viele Menschen haben sich zusammengeschlossen und daran mitgewirkt, dass der Kohlekraftwerksbau verhindert wurde. Daher befürworte ich auch Top Down-Lösungen nicht. Der Bewusstseinswandel muss in der Gesellschaft stattfinden, aber dafür kann und muss es Anreize durch staatliche und gesellschaftliche Akteure geben. Im Rahmen des Austarierens der neuen schafts- und Arbeitsverhältnisse müssen si- Wirtcherlich Arbeitnehmer:innen wie Arbeitgeber:innen Verantwortung übernehmen. Gerade die Mitsprache der Arbeitnehmer:innen ist doch ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Sie hat unser Land stark gemacht. Das wissen auch die Unternehmen. Gleichzeitig gibt es auch solche, die eine Mitsprache aktiv zu verhindern versuchen. Das ist nicht im Sinne unseres über Jahrzehnte gewachsenen Gesellschaftsvertrags, untergräbt die soziale Verantwortung der Unternehmen und schadet langfristig allen Teilhabenden. Deshalb müssen die Aushandlungsprozesse zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen unter vernünftigen Zielsetzungen moderiert werden. Da sind die Tarifvertragsparteien in der Pflicht, aber auch der Staat wird als Regulierer und Impulsgeber eine Rolle spielen und in manchem Fall nötig sein. BWN Foto: Tabea Rößner Über das gleiche Thema, beleuchtet aus anderen Perspektiven, sprachen wir mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag Christian Baldauf. Wirtschafts-News: Herr Baldauf, eines der großen Bilder, das die Corona-Krise erzeugt hat, ist, dass viele Fäden, zumeist beklagenswerter Zustände, in einem Handlungsstrang zusammenlaufen und erst unter großem Druck projektiert wurden. Zwar gibt es Gedanken und Programme wie das des BmBF schon seit längerer Zeit, doch es stellte sich heraus, dass sie

13<br />

weichlich, er bietet aber eben auch Chancen.<br />

Wir werden viel investieren müssen für den<br />

Umbau der Wirtschaft. Dafür planen wir Grüne<br />

500 Mrd. Euro ein. Innovation muss gefördert<br />

werden. In diesem Wandel besteht die Chance,<br />

den Ausgleich zu schaffen.<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: In der vergangenen Ausgabe<br />

dieses Heftes sprachen wir über einen vermeintlichen<br />

Bewusstseinswandel als Folge der<br />

Pandemie. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und<br />

soziale Gerechtigkeit waren die Schlagworte.<br />

Gastautorin Stefanie Maasland schrieb von<br />

einer disruptiven Krise mit der Notwendigkeit,<br />

Eigenverantwortung zu übernehmen, da es<br />

Top-down-Lösungen nicht geben werde. Doch<br />

allzu oft ist ein Bewusstseinswandel von Rückschritten<br />

geprägt; der wohl prominenteste<br />

Rückschritt in Deutschland war der Ausstieg<br />

des Atomausstieges. Erst der GAU von Fukushima<br />

führte zu einer Rückbesinnung auf die<br />

eigentlichen Ziele, nicht zunächst ein wahrhafter<br />

Bewusstseinswandel. Zwar war dies eine<br />

Top-down-Lösung, nicht aber vernunftsgeprägt,<br />

sondern durch eine Katastrophe erzwungen.<br />

Überträgt man nun den Gedanken der Eigenverantwortung<br />

auf das Thema „Arbeit 4.0“,<br />

würde es bedeuten müssen, dass Investoren<br />

auf Rendite verzichten und Arbeitnehmer auf<br />

starre Arbeitszeiten und Verträge, um den Weg<br />

in der Mitte zu finden. Ist dies vorstellbar oder<br />

naiv, anzunehmen?<br />

Tabea Rößner: Ein schönes Beispiel kann man<br />

hier aus der Region anführen. Bei den Planungen<br />

für den Bau des Kohlekraftwerks hat ein<br />

Bewusstseinswandel stattgefunden. Viele Menschen<br />

haben sich zusammengeschlossen und<br />

daran mitgewirkt, dass der Kohlekraftwerksbau<br />

verhindert wurde. Daher befürworte ich auch<br />

Top Down-Lösungen nicht. Der Bewusstseinswandel<br />

muss in der Gesellschaft stattfinden,<br />

aber dafür kann und muss es Anreize durch<br />

staatliche und gesellschaftliche Akteure geben.<br />

Im Rahmen des Austarierens der neuen schafts- und Arbeitsverhältnisse müssen si-<br />

Wirtcherlich<br />

Arbeitnehmer:innen wie Arbeitgeber:innen<br />

Verantwortung übernehmen. Gerade die Mitsprache<br />

der Arbeitnehmer:innen ist doch ein<br />

Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Sie hat<br />

unser Land stark gemacht. Das wissen auch<br />

die Unternehmen. Gleichzeitig gibt es auch solche,<br />

die eine Mitsprache aktiv zu verhindern<br />

versuchen. Das ist nicht im Sinne unseres über<br />

Jahrzehnte gewachsenen Gesellschaftsvertrags,<br />

untergräbt die soziale Verantwortung der Unternehmen<br />

und schadet langfristig allen Teilhabenden.<br />

Deshalb müssen die Aushandlungsprozesse<br />

zwischen Arbeitnehmer:innen und<br />

Arbeitgeber:innen unter vernünftigen Zielsetzungen<br />

moderiert werden. Da sind die Tarifvertragsparteien<br />

in der Pflicht, aber auch der<br />

Staat wird als Regulierer und Impulsgeber eine<br />

Rolle spielen und in manchem Fall nötig sein.<br />

BWN<br />

Foto: Tabea Rößner<br />

Über das gleiche Thema, beleuchtet aus<br />

anderen Perspektiven, sprachen wir mit<br />

dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im<br />

rheinland-pfälzischen Landtag Christian<br />

Baldauf.<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Herr Baldauf, eines der großen<br />

Bilder, das die Corona-Krise erzeugt hat,<br />

ist, dass viele Fäden, zumeist beklagenswerter<br />

Zustände, in einem Handlungsstrang zusammenlaufen<br />

und erst unter großem Druck projektiert<br />

wurden. Zwar gibt es Gedanken und<br />

Programme wie das des BmBF schon seit längerer<br />

Zeit, doch es stellte sich heraus, dass sie

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!