Wirtschafts-News II 2021 Mainz

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04.08.2021 Aufrufe

Was kann die Politik? 10 Die Zukunft der Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven Längst ist klar, dass sich die Gesellschaft so stark im Wandel befindet, wie lange nicht zuvor. Die demographische Entwicklung, eine stärker zusammenwachsende Welt, der Klimawandel, die Energiefrage und das Ringen um soziale Gerechtigkeit sind dabei die starken Trigger. Ein Bewusstsein dafür gibt es nicht erst seit der Corona-Krise. Dies zeigen zahlreiche Projekte und Förderprogramme, wie etwa eines des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BmBF) unter dem Titel „Arbeit der Zukunft“, das von 2014 bis 2020 mit einem Volumen von 1 Mrd. Euro lief. Doch wie groß ist das Delta zwischen Bewusstsein und faktischer Veränderung? Die Pandemie, auch das ist längst klar, legt den Finger in die Wunde und zeigt auf, wo die Schwachstellen liegen. Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind dabei unausweichlich? Wie verändert sich Arbeit? Was kann die Politik unternehmen, um sich vertiefenden Gräben innerhalb der Gesellschaft entgegenzuwirken? Ein Interview mit der Mainzerin Tabea Rößner, Mitglied des Bundestages für Bündnis90/Die Grünen und Christian Baldauf, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag Wirtschafts-News: Frau Rößner, ich erinnere mich an ein längeres Gespräch mit Ihnen aus dem Sommer 2019 in der Mainzer Neustadt inmitten des Oberbürgermeister-Wahlkampfs. Wir unterhielten uns darüber, wie es dazu kam, dass Sie Politik machen, über Ihre berufliche Karriere jenseits der Politik und über Ihre Be- weggründe, Politik zu machen im Allgemeinen. So erzählten Sie mir etwa von den verlorenen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz im Jahr 2006. Gleichzeitig war Ihre Position beim ZDF bereits neu vergeben. Sie haben also die Erfahrung von Unsicherheit im Leben gemacht. Beim Thema „Arbeit 4.0“ geht es darum, ziale Sicherheit zu sogewährleisten und Arbeitsprozesse neu zu denken. Gleichzeitig dürfen Investitionen und Innovationen nicht ausgebremst werden. Während der Corona- Krise hat schon die Debatte um Homeoffice gezeigt, wie schmal der Grat ist. Das ist ein Ringen zwischen Angebots- und Nachfragepolitik und mithin zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Entlang welcher Linie sollte die Debatte verlaufen? Tabea Rößner: Sie haben die wesentlichen, die Debatte bestimmenden Konfliktlinien beschrieben. Es muss darum gehen, die Wirtschaft klimaneutral zu gestalten. Denn Klimaneutralität ist die entscheidende Größe auf den Märkten der Zukunft. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wer hier die Nase vorn hat. Wer die industriellen Standards festlegt und wer Lösungen bietet für die großen Fragen unserer Zeit. Im Rahmen des damit einhergehenden Strukturwandels der Arbeitswelt muss die Gewährleistung von sozialer Sicherheit einhergehen. Die ganzheitliche Bewältigung dieser Herausforderungen ist das zentrale Anliegen grüner Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik. Es gibt zahlreiche mittelständische und große Unternehmen aller Branchen, die das bereits vormachen – und zwar indem Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen an einem Strang ziehen. Tabea Rößner Mitglied des Bundestages für Bündnis90/Die Grünen.

W N SPEZIAL Zukunft der Arbeit 11 Auch das ist eine Form von Innovation und Investition, die sich für alle auszahlt. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die noch einen weiten Weg vor sich haben. Die Politik muss sie bei diesem Prozess unterstützen und den Rahmen vorgeben. Zweifelsohne wird das nicht immer konfliktfrei möglich sein. Je besser es der Politik gelingt, das notwenige, gemeinsame Ziel und die damit verbundenen Veränderungen zu artikulieren, desto konfliktärmer werden wir die Herausforderungen stemmen können. Ein gemeinsamer Rahmen gibt Beschäftigten Sicherheit und garantiert Unternehmen, die sich der klimaneutralen Produktion verschreiben, die notwendige Planungssicherheit für den Umbau. Denn gerade Unternehmen mit längeren Investitionszyklen brauchen diese Gewissheit, um in der Transformationsphase im internationalen Wettbewerb keine Nachteile zu erleiden. Dies gilt insbesondere, wenn der CO2- Preis in anderen Regionen der Welt nicht greift. Wirtschafts-News: Viele Ökonomen reden gerade von großen Chancen, die der Entwicklungsdruck und die Erkenntnisse der Corona-Zeit böten. Gemeint sind flexibilisierte Arbeitsmodelle, sowie der Einsatz neuer Technologien. Gleichzeitig bedeutet dies Arbeitsverdichtung und mithin den Wegfall von Arbeitsplätzen. Psychologen und Mediziner warnen mit Verweis auf signifikante Kennzahlen vor unverträglichem Druck. Wo sehen Sie Chancen und Risiken eines derartigen Strukturwandels? Wie lange der Strukturwandel in Ihrem Herkunftsland Nordrhein- Westfalen dauerte, zeigten die Bemühungen von Johannes Rau in den neunziger Jahren. Wie lassen sich die Härten eines solchen Transformationsprozesses für Betroffene abfedern? Tabea Rößner: Soziale Gestaltung der Arbeitsverhältnisse unter veränderten Rahmenbedingungen heißt nicht, die Menschen unter immer größeren Arbeitsdruck zu setzen. Vielmehr müssen die Chancen genutzt werden, die der Wandelprozess bietet, damit Arbeitsverhältnisse auf die individuellen Lebensentwürfe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angepasst werden können, ohne sie in die Falle des Immerim-Dienst-zu-Sein laufen zu lassen. Die ständige Erreichbarkeit durch die Digitalisierung erhöht den Arbeitsdruck. Gleichzeitig freuen sich Beschäftigte, dass sie in ihrer Arbeitszeit flexibler sind oder wie jetzt in der Pandemie auch für Sitzungen nicht aufwändige Reisen unternehmen zu müssen. Deshalb brauchen Unternehmen und ihre Beschäftigten klare Regeln. Beispielsweise werden in einigen Unternehmen die Server ab einer bestimmten Uhrzeit ausgeschaltet. Man muss den Menschen ihre Ängste nehmen, wenn sie befürchten, mit ihren erlernten Fähigkeiten nicht mehr gebraucht zu werden. Es werden ja nicht nur bisherige Arbeitsplätze wegfallen, es werden neue Arbeitsplätze entstehen, und zwar nicht nur solche für Spezialist:innen im Digitalbereich. Von öffentlicher Seite müssen die Menschen - wie ja auch die Unternehmen - im Wandelprozess unterstützt werden, sie müssen insbesondere durch Weiterbildung- und Umschulungsangebote auf den Stand gebracht werden, in veränderten Jobs und veränderten Arbeitsverhältnissen ihren Platz zu finden. Die weitere Digitalisierung unserer Gesellschaft ist unausweichlich. Mit einer Bundesregierung, die das akzeptiert, rechtzeitig antizipiert und nicht ständig hinterherhechelt, können die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt abgefedert und durch entsprechende Impulse auch für Arbeitnehmer:innen in die richtige Richtung gelenkt werden. Wirtschafts-News: Wie immer zu Zeiten eines Strukturwandels geht es um Entfremdung und

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Zukunft der Arbeit<br />

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Auch das ist eine Form von Innovation und<br />

Investition, die sich für alle auszahlt. Natürlich<br />

gibt es auch Unternehmen, die noch einen weiten<br />

Weg vor sich haben. Die Politik muss sie<br />

bei diesem Prozess unterstützen und den Rahmen<br />

vorgeben. Zweifelsohne wird das nicht<br />

immer konfliktfrei möglich sein. Je besser es<br />

der Politik gelingt, das notwenige, gemeinsame<br />

Ziel und die damit verbundenen Veränderungen<br />

zu artikulieren, desto konfliktärmer werden wir<br />

die Herausforderungen stemmen können. Ein<br />

gemeinsamer Rahmen gibt Beschäftigten Sicherheit<br />

und garantiert Unternehmen, die sich<br />

der klimaneutralen Produktion verschreiben,<br />

die notwendige Planungssicherheit für den<br />

Umbau. Denn gerade Unternehmen mit längeren<br />

Investitionszyklen brauchen diese Gewissheit,<br />

um in der Transformationsphase im internationalen<br />

Wettbewerb keine Nachteile zu<br />

erleiden. Dies gilt insbesondere, wenn der CO2-<br />

Preis in anderen Regionen der Welt nicht greift.<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Viele Ökonomen reden gerade<br />

von großen Chancen, die der Entwicklungsdruck<br />

und die Erkenntnisse der Corona-Zeit<br />

böten. Gemeint sind flexibilisierte Arbeitsmodelle,<br />

sowie der Einsatz neuer Technologien. Gleichzeitig<br />

bedeutet dies Arbeitsverdichtung und<br />

mithin den Wegfall von Arbeitsplätzen. Psychologen<br />

und Mediziner warnen mit Verweis auf<br />

signifikante Kennzahlen vor unverträglichem<br />

Druck. Wo sehen Sie Chancen und Risiken eines<br />

derartigen Strukturwandels? Wie lange der Strukturwandel<br />

in Ihrem Herkunftsland Nordrhein-<br />

Westfalen dauerte, zeigten die Bemühungen von<br />

Johannes Rau in den neunziger Jahren. Wie<br />

lassen sich die Härten eines solchen Transformationsprozesses<br />

für Betroffene abfedern?<br />

Tabea Rößner: Soziale Gestaltung der Arbeitsverhältnisse<br />

unter veränderten Rahmenbedingungen<br />

heißt nicht, die Menschen unter immer<br />

größeren Arbeitsdruck zu setzen. Vielmehr<br />

müssen die Chancen genutzt werden, die der<br />

Wandelprozess bietet, damit Arbeitsverhältnisse<br />

auf die individuellen Lebensentwürfe der<br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angepasst<br />

werden können, ohne sie in die Falle des Immerim-Dienst-zu-Sein<br />

laufen zu lassen. Die ständige<br />

Erreichbarkeit durch die Digitalisierung<br />

erhöht den Arbeitsdruck. Gleichzeitig freuen<br />

sich Beschäftigte, dass sie in ihrer Arbeitszeit<br />

flexibler sind oder wie jetzt in der Pandemie<br />

auch für Sitzungen nicht aufwändige Reisen<br />

unternehmen zu müssen. Deshalb brauchen<br />

Unternehmen und ihre Beschäftigten klare Regeln.<br />

Beispielsweise werden in einigen Unternehmen<br />

die Server ab einer bestimmten Uhrzeit<br />

ausgeschaltet.<br />

Man muss den Menschen ihre Ängste nehmen,<br />

wenn sie befürchten, mit ihren erlernten Fähigkeiten<br />

nicht mehr gebraucht zu werden. Es<br />

werden ja nicht nur bisherige Arbeitsplätze<br />

wegfallen, es werden neue Arbeitsplätze entstehen,<br />

und zwar nicht nur solche für<br />

Spezialist:innen im Digitalbereich. Von öffentlicher<br />

Seite müssen die Menschen - wie ja auch<br />

die Unternehmen - im Wandelprozess unterstützt<br />

werden, sie müssen insbesondere durch Weiterbildung-<br />

und Umschulungsangebote auf den<br />

Stand gebracht werden, in veränderten Jobs<br />

und veränderten Arbeitsverhältnissen ihren<br />

Platz zu finden. Die weitere Digitalisierung unserer<br />

Gesellschaft ist unausweichlich. Mit einer<br />

Bundesregierung, die das akzeptiert, rechtzeitig<br />

antizipiert und nicht ständig hinterherhechelt,<br />

können die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt<br />

abgefedert und durch entsprechende Impulse<br />

auch für Arbeitnehmer:innen in die richtige<br />

Richtung gelenkt werden.<br />

<strong>Wirtschafts</strong>-<strong>News</strong>: Wie immer zu Zeiten eines<br />

Strukturwandels geht es um Entfremdung und

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