Neue Szene ePaper2021-08
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Zoom
Das Neruda ist seit nunmehr elf Jahren eine Institution in der Augsburger
Kulturszene. Fikret Yakaboylu hat diesen bunten Ort der Begegnung geschaffen, an
dem die Vielfalt aller Kulturen gefeiert wird und Künstler*innen aus Augsburg und
der ganzen Welt zusammenkommen. Als wahrer Tausendsassa engagiert sich Fikret
mit Herzblut dafür, diesen Spirit auch über sein Kulturcafé hinaus in der Stadt zu
verbreiten. Wir trafen ihn zum Gespräch bei einem Gläschen Wein im Neruda.
Von Lina Frijus-Plessen
Augsburgs Künstler-Papa
Interview mit Fikret Yakaboylu, Betreiber des Neruda Kulturcafés
Fikret, wie läuft’s denn aktuell im Neruda?
Ist alles mehr oder weniger zur Normalität
zurückgekehrt?
Ja, zum Glück haben wir den letzten langen
Lockdown ohne große Magenschmerzen überstanden
und haben wieder jeden Tag ab 17.00 Uhr
geöffnet. Drinnen dürfen natürlich weniger Gäste
sitzen als vor Corona, trotzdem ist hier immer was
los, jeden Abend wird zusammen Musik gemacht.
Wir treffen uns hier auch wieder öfter mit dem
Kültürverein zum Besprechen und Organisieren.
Wir alle sind sehr froh, dass das Neruda wieder
voll da ist.
Wie habt ihr es so gut durch die monatelange
Durststrecke geschafft?
Unser To-Go-Angebot ist glücklicherweise gut
angekommen. Wir haben jeden Abend ein großes
interkulturelles Büffet gekocht, mit Gerichten
aus aller Welt. Den Gästen hat es wohl sehr gut
geschmeckt und viele haben bei der Abholung
ein paar Euro oben drauf gelegt oder ein Neruda-
T-Shirt gekauft, um uns zu unterstützen. Unser
wichtigstes Ziel war es, einfach weiterhin in
Kontakt mit den Gästen und Künstler*innen zu
bleiben. Aber die Kultur hat mir all die Monate
schon sehr gefehlt, gerade weil ich seit über 30
Jahren in der Augsburger Künstlerszene unterwegs
bin und dort viele Kontakte pflege. Plötzlich ein so
stilles Leben führen zu müssen, hat mich wirklich
traurig gemacht.
Wie hast du eigentlich damals deinen Weg
nach Augsburg gefunden?
Ich bin 1980 nach dem türkischen Militärputsch
nach Deutschland geflohen, aber nachdem sich
die politische Lage wieder etwas entspannt hatte,
bin ich erst mal in meine türkische Heimat
zurück. 1985 kam ich dann als Künstler für eine
Wanderausstellung erneut nach Deutschland. Ich
habe dann meine Frau kennengelernt, die zu dem
Zeitpunkt in Stuttgart lebte. Ich habe in München
gearbeitet und bin ständig hin- und hergependelt.
Irgendwann riet mir eine befreundete Schriftstellerin:
„Vergiss München und Stuttgart, komm
nach Augsburg, die Brechtstadt wird dir gefallen!“.
Ich bin sehr glücklich, dass ich ihrer Empfehlung
gefolgt bin. Wenn ich mal zwei Wochen in der
Türkei bin, um meine Verwandten zu besuchen,
vermisse ich Augsburg. Meine Wurzeln sind nach
all den Jahren so tief in dieser Stadt verwachsen,
dass mich hier nichts mehr wegbringt.
Was bedeutet das Neruda für dich und für die
Stadt?
Das Neruda ist wie eine große Familie. Die
Geschichte vom Neruda fing damit an, dass ich
einen Begegnungsort schaffen wollte, an dem
Künstler*innen, aber auch Publikum zusammenkommen
können. Dahinter steht die Idee des
„Bunten Baums“: Ein großer Baum, der an jedem
Ast unterschiedliche Früchte trägt. Das ist für mich
ein wunderschönes Bild für Vielfalt und Harmonie,
denn wir wachsen alle aus demselben Stamm,
haben dieselben Wurzeln, auch wenn wir alle
unterschiedlich sind. Meine Freund*innen und
ich haben es mit dem Neruda geschafft, diesen
„Bunten Baum“ in Augsburg zu pflanzen. Hier
herrscht totaler Friede zwischen den Kulturen und
Künsten!
Und Musik und Kunst werden hier mit großer
Leidenschaft zelebriert.
Dass stimmt, viele Künstler*innen nennen das
Neruda ihr zweites Wohnzimmer. Tagsüber
proben und arbeiten sie hier und abends können
sie ihre Kunst mit den Gästen teilen. Das Neruda
ist auch ein Ort, an dem du nicht nur ein passiver
Zuschauer bist, sondern aktiv am Geschehen teilnehmen
kannst, wie bei Brechts epischem Theater.
Wenn du ins Neruda kommst, kannst du mit uns
Musik oder Kunst machen, du kannst an unseren
Projekten mitarbeiten und dich einmischen.
Von Augsburger Musiker*innen hören wir
immer wieder, das Neruda war für sie die
erste Anlaufstelle und schließlich auch ein