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Fabel für ein Lebewesen mit dem Sternzeichen Fisch oder auch nicht

Ein Text zum näheren Verständnis für die Entstehung destruktiver Lebensmuster. Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum Erwachsenenalter. Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet bleiben, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun. Und warum es ihnen mitunter so schwerfällt, sich aus ihnen zu lösen. Mit dem gewählten Beispiel treten die Zusammenhänge deutlich hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig – welche Funktion. Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf Vollkommenheit. Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag leisten.


Ein Text zum näheren Verständnis für die Entstehung destruktiver Lebensmuster.
Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum Erwachsenenalter.
Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet bleiben, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun. Und warum es ihnen mitunter so schwerfällt, sich aus ihnen zu lösen.
Mit dem gewählten Beispiel treten die Zusammenhänge deutlich hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig – welche Funktion.
Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf Vollkommenheit.
Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag leisten.

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Fabel

oder so etwas Ähnliches

für ein Lebewesen

mit dem Sternzeichen Fisch

oder auch nicht

Angela Detmers©

Dieser Text ist ausschließlich für den privaten Gebrauch freigegeben.

Die Verwertung des Textes, auch auszugsweise oder für unterrichtszwecke, ist ohne

Zustimmung der Autorin in jeder Form urheberrechtswidrig und strafbar.

Bei Interesse einer Verwertung – reden wir einfach miteinander.

angela.detmers@slowlife-institut.de

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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie einen Einstieg in das Thema suchen

„Wie entstehen - destruktive – Lebensmuster?“,

dann ist das Folgende genau dafür geeignet.

In diesem Text habe ich mich sehr frei an der Erzählform einer Fabel orientiert.

Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die

unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum

Erwachsenenalter.

Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu

können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet

zu sein scheinen, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun.

Ich hoffe, dass mit meinem gewählten Beispiel deutlich die Zusammenhänge

hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie

manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig

– welche Funktion.

Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den

Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist

überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf

Vollkommenheit.

Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag

leisten.

Angela Detmers

Lübeck, Februar 2019

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Weine nicht.

Werde nicht ungehalten.

Verstehe.

Spinoza

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Es war einmal ein Fisch. Es war kein Goldfisch. Auch kein Barracuda. Kein

Zierfisch, keine Moräne und kein Silberfischchen. Kein Hecht, kein Hai, kein

Lachs. Und auch keiner von den noch nicht entdeckten. Es war eine

einzigartige, wunderschöne Mischung aus allem, buchstäblich allem!

Ausgestattet mit allem erdenklich Schönem, Gutem und Nützlichem, mit Hellem

und Dunklem, mit Intelligenz und Kraft und Empfindsamkeit – und damit ein

rundum wertvolles und liebenswertes Geschöpf.

Dieser in seiner ganz ureigenen Vielfalt einzigartige Fisch schwamm jedoch in

einem Käfig herum, in den man ihn gesetzt hatte, als er noch ganz, ganz klein

war. Man hatte ihm erzählt, dass dies der Platz für so einen wie ihn sei, und

dass er dafür dankbar zu sein hatte, denn schließlich würden sie ihn auch

füttern, ihm sagen was falsch und richtig sei, was welchen Wert habe, wofür es

sich lohne, sich anzustrengen, wie viel Gemütlichkeit ihm in seinem Leben so

zustehe, was seine Aufgaben seien, in welcher Art und Weise er für sie klaglos

zu sorgen habe und sie machten ihm Hoffnung auf Zuneigung und Schutz und

Liebe, bei entsprechendem Wohlverhalten natürlich, und viele andere Dinge

mehr....... Dies sei schließlich nicht wenig, und er sähe ja wohl, wie sie sich

dafür abarbeiten müssten, und dass das Leben für sie ja weiß Gott auch nicht

das reinste Zuckerschlecken sei und da wäre immerwährende Dankbarkeit und

endloses Wohlverhalten zur Pflege ihrer kleinen und großen Egoismen ja wohl

wahrlich kein allzu großer Preis .......

Der kleine, muntere Fisch wollte natürlich um keinen Preis allein sein und

wollte auch nicht verhungern und wollte gern viel wissen und wollte auch ein

großer, starker Fisch werden und wusste auch selbst gar nicht, dass er hier nur

eine von vielen anderen Möglichkeiten, das Leben und sich selbst zu meistern,

hörte und so nickte er, und tat fortan alles, um sich die Gunst zu erhalten. Er

war bereit zu glauben!

Mit der Zeit jedoch musste er viel Kraft und Phantasie aufwenden, seine innere

Stimme, seine Gefühle zum Verstummen zu bringen, sie als falsch einzustufen

und anzuerkennen und viel zu oft merkte, spürte er seine eigene

Überforderung nicht. Denn mit der Zeit fühlte er natürlich, dass das Wasser um

ihn herum gar nicht schön warm, sondern kalt war, und dass er sich immer

häufiger an den Gitterstäben blutig stieß und diese Enge spürte, und Essen

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war eigentlich gar nicht sooo wichtig, und er bibberte und schwamm näher an

die Käfigtür.

Aber er wurde schroff abgewehrt, ein ums andere Mal darauf hingewiesen,

man sei schließlich Fisch und keine Kuscheldecke und man hätte anderes zu

tun, und er solle sich mal nicht so anstellen, man müsse sich ja sonst seiner

schämen, und überhaupt ginge es ihnen bei solch einer Klagerei und Forderei

ganz ekelig schlecht, und daran sei nur er schuld, und überhaupt sähe man ja

wohl sofort, was für ein ganz und gar ungeratenes Exemplar ihnen da zuteil

geworden war, also das hätten doch nun wirklich schon alle mitbekommen,

denn was sie allein durch Nachbarn und Verwandte durch ihn haben aushalten

müssen, also nein, und er wolle doch wohl nicht, dass es seinen Wohltätern,

seinen einzigen - sie vergaßen nicht, darauf hinzuweisen -, schlecht ginge. Und

da sie nichts zu lachen fanden, wolle er sich doch wohl nicht rausnehmen,

dass es ihm bessergehen solle als ihnen, auch dafür trüge er die volle

Verantwortung, und wenn ein Fischkind nicht von alleine brav und hübsch(!)

verständig sei, dann wisse man durchaus Mittel und Wege...

Da zog sich der kleine Fisch in seinen Käfig zurück, ganz in die andere Ecke

und begann leise und manchmal auch ein wenig lauter zu murren und zu

blubbern, vielleicht erlaubte das kleine Fischlein sich auch hin und wieder

einmal über sein wirklich und tatsächlich vorhandenes Elend zu weinen, und

manchmal versuchte es auch den Käfig mehr oder weniger kaputtzumachen,

immer die Augen auf seine Versorger gerichtet, ob sie denn wohl sähen, was

er da machte, damit sie mal ordentlich Notiz von ihm nähmen.

Und für unser Fischlein begann das große Warten, wann und wie sie es ihm

wohl durch Zuneigung und Wärme und Liebe lohnen würden, all diese selbst

verleugnerischen Anstrengungen und Entbehrungen und diese Energie, die er

brauchte, um sich und seine Wahrnehmungen und all seine Bedürfnisse als

falsch niederzuknüppeln, und wenn er sich auf die leiseste Hoffnung hin wieder

einmal enttäuscht sah, verdoppelte er seine Anstrengungen, in der Annahme,

es läge sicher nur an ihm, wenn die Versorger-Fische nicht sehen würden, wie

doll er sich doch Mühe gab, und wenn er nur perfekt genug werden würde, und

nur stark genug und sich nur genug quälen würde, dann... Irgendwann in

dieser Zeit begann ein Panzer zu wachsen - und das große Warten auf den

Weihnachtsmann begann.

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Und all die Jahre hindurch sah das Fischlein durch die Gitterstäbe die anderen

Fische schwimmen - in Freiheit und in Spaß und Freude und im Spiel und mit

Freunden und Familien, aber auch in absolut gefährlichen Gewässern, sah sie

sich die Flossen verletzen, sah den einen oder anderen zu Tode kommen in für

ihn unübersehbaren Strudeln, sah sie kämpfen, verlieren und weinen. Und sah

sie sich und andere betrügen.

Komischer(?)weise und ganz nebenbei begann er in geheimer Voraussicht,

sein Augenmerk immer mehr auf die zu richten, die nach seinem Dafürhalten

scheiterten oder auf das, was nicht funktionierte. Bis irgendwann das Nicht-

Funktionierende für ihn das Normale war. Das was gut war, sah er selten.

Das Glück anderer machte ihn manchmal traurig, dann versuchte er sich am

Leid anderer zu trösten, und manchmal konnte er es kaum ertragen, die

Sehnsucht, und er meinte, Glück nie erreichen zu können, und verspürte eine

Art Erleichterung, wenn er das Gute ignorierte, er wusste nichts davon, dass

die meisten viel dafür bereit waren zu opfern, zu tun, auszuhalten und vieles

mehr.

Aber immer wieder drang das Lachen anderer Fische in seinen Käfig,

zärtliches Geflüster, das freundliche Hallo und alles miteinander. Und das

schöne Blau und Grün des Meeres, und mit Schattierungen, wenn das Gold

der Sonne sich seinen Weg bahnte, dass einem der Atem stocken konnte vor

Schönheit, und in der Ferne Silhouetten fremder, verheißungsvoller,

verlockender, vielversprechender Berge, Täler und Landschaften in Farben,

Formen und in einer Vielfalt, dass es nur so eine leuchtende Pracht war.

Gelegentlich kam ein anderes Fischlein herbeigeschwommen und sagte

freundlich guten Tag. Mit einigen spielte er und erzählte sich was, sie kamen

eine Zeitlang wieder und eines Tages nicht mehr. Darüber war das Fischlein

traurig. Er begann Kunststückchen einzustudieren, probierte verschiedene aus,

und hatte schließlich einige gefunden, mit denen er den anderen Fischlein eine

Weile imponieren oder sie am Gehen hindern konnte.

Er musste sich ziemlich anstrengen, die anderen Fische zu erreichen, er

konnte ja nicht nahe an sie heran und die anderen natürlich nicht an ihn, er

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nutzte den Käfig so gut er konnte und war so unglaublich damit beschäftigt,

dass er sich selbst und das, was ihn wirklich ausmachte und was er so

dringlich gebraucht hätte, gar nicht mehr fühlen konnte und auch schon zu

vergessen begann. Auf die Idee, es könne jemand freiwillig und mit Vergnügen

bei ihm bleiben wollen, während er so ganz ohne Anstrengung nur er selbst

sein könnte, darauf kam unser Fischlein nicht - war ja kein Wunder.

Unterdessen wuchs sein Panzer unmerklich weiter und das Warten auf den

Weihnachtsmann nahm immer größere Formen an.

Das Fischlein wurde langsam älter und größer. Er hatte seine Zweifel im Griff.

Wenn ein anderer Fisch fragte, sag mal, warum wohnst du in so einem

komischen Käfig? Dann fühlte er ganz erschrocken seinen Magen krampfen

oder das Atmen setzte unmerklich für den Bruchteil einer Sekunde aus, und er

hörte sich augenblicklich die Vorteile eines solch feinen „sicheren“ Käfigs

verteidigen, die Schönheit preisen, die Bequemlichkeit, und wenn die anderen

zweifelnd oder gar ungläubig schauten, dann fing er an, seine eigene Angst,

sie könnten am Ende recht haben, mit dem was sie sagten, mit diesen wahren

Ketzerdingen, von denen er das meiste noch nicht einmal zu denken wagte (so

sehr brauchte er das Nichtwissen als Schutz, denn das all seine jahrelange

Qual vergeblich gewesen sein sollte und all sein mühsam bewahrtes

Wohlverhalten, die Entbehrungen und Schmerzen, nein, nicht auszuhalten) da

fing er sofort und mit zornigem Nachdruck an, den anderen, aber eigentlich

mehr sich selbst zu sagen, sie wüssten ja gar nicht, was wirklich und

wahrhaftig gut sei, und was wirklich falsch sei, denn so wie sie da draußen

rumschwämmen, das sähe doch wohl noch jeder, sei es ja wohl nur Kacke, so

einfach nur so durcheinander und sowieso nur Streit und überhaupt alles

schlecht - aber die Argumente wurden schnell schwächer und leiser, doch das

merkte niemand, weil die anderen Fischlein so viel nun auch nicht wissen

wollten von diesem kleinen Fisch und Zeit hatten alle sowieso nicht.

Und ohne es zu ahnen, schützte der kleine Fisch auf diese Weise auch seine

Versorger-Fischeltern. So lebte das Fischlein einsam und mit stetig

wachsendem Panzer vor sich hin und wurde groß und größer.

Als junger Fisch hatte er noch mächtig viel Kraft und konnte es schaffen, dass

ein oder andere Mal samt Käfig so weit davonzukommen, wie er die Ketten nur

langziehen konnte. Aber das währte nicht lang, und bald sah er die

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Sinnlosigkeit seines Tuns ein und begann, sich mit dem Zustand abzufinden

und sich in und mit seinem Käfig, so gut es ging, zu arrangieren.

Eines Tages war aus dem kleinen Fischlein ein ausgewachsener, schöner und

starker Fisch geworden. Er hatte viele innere und auch ein paar äußere

Verletzungen davongetragen, aber davon erzählte er so gut wie niemandem,

und er selbst hatte Wege gefunden, sie nicht allzu sehr zu spüren und zur Not

wusste er noch immer genügend Argumente, mit denen er den Sinn seiner

Verletzungen vor sich und den anderen hätte rechtfertigen können, damit die

Versorger-Fische auch weiterhin geschützt blieben und er nicht erst umdenken

musste.

Der Käfig war inzwischen längst zu klein geworden. Manchmal konnte er darin

kaum atmen, war fast bewegungsunfähig, was in Teilen seines Körpers immer

wieder zu Schmerzen und zu wahren Taubheitsgefühlen führte, er konnte sich

längst nicht mehr spontan drehen und wenden und auch für einen anderen

Fisch - wenn denn je einer mit in einen Käfig wollte - war längst kein Platz

mehr.

Und so schaute unser Fisch mit großen, traurigen Augen und voll ungestillter

Sehnsucht - ein wunderschöner und so liebenswerter Fisch - aus seinem

„Zuhause“ heraus, blind, taub und mit stillgelegten Gefühlen. Diese war er

besonders bemüht zu ignorieren, denn um Neptuns willen bloß nicht fühlen,

denn sonst - so hat er tiefste, nackte Angst - sonst verlöre er noch den

Verstand, wenn er all diese jahrelange lieblose Behandlung, diesen horrenden

Mangel an Liebe und Verständnis und BERÜHRUNG fühlen müsste, wofür er

mit seiner Jugend... , nein, wenn er glauben müsste, dass das, was er all die

Jahre als „richtig“ eingebläut und vorgekaut bekommen hatte, - wo doch nichts

durch noch so eine häufige Wiederholung „richtig“ wird -, unter Schmerzen und

nackter Selbstverleugnung gelernt hatte, nein, allein der Gedanke, all seine

Opfer sollten umsonst gewesen sein......., dieser gewaltige, Jahre währende

Kraftakt, für die er seine Intelligenz und seine Empfindsamkeit wieder und

wieder mit Flossen getreten hatte, dieser Kraftakt, den anderen mehr Glauben

zu schenken als sich selbst und seinen eigenen Wahrnehmungen, diese

Leugnung all seiner bewussten und oft so unbewussten (was für ein

gnadenvoller Selbstschutz ein ums andere Mal) Bedürfnisse, da befällt ihn eine

wilde Panik und er fürchtet, es nicht aushalten zu können.

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Und dazu wie blind! Denn er nahm überhaupt nicht wahr, dass sein Käfig

längst völlig verrottet und kaputt war, nicht mal, dass bereits ganze Gitterstäbe

fehlten und schon gar nicht, dass das Schloss schon seit vielen, vielen Jahren

verrostet und völlig veraltet zu Boden gefallen war. So weigerte sich der Fisch

beharrlich und so voller Trotz, das Knarren der Türangeln, das leise Schlagen

der Tür im Rhythmus der Meeresströmung zu hören, blind und taub geworden

gegenüber der Tatsache, dass aus den lieblosen ehemaligen Bewacher-

Fischen schon vor langer Zeit alte, kranke, geschrumpfte, in sich selbst

gefangene Wesen geworden waren, die von Ihrem Mythos leben und auf

Kosten der Tatsache, dass Lebewesen Gewohnheitstiere sind. Sie haben

dabei längst den Käfig aus den Augen verloren, ab und zu probieren sie aus,

ob noch ein Wort, eine Geste, ein Blick, ein alter Trick ausreicht, den Fisch in

gewohnter Weise in Schach und unter Druck zu halten, zu prüfen, ob er das,

was sie ihm erzählt haben - besonders das über seinen Wert und was ihm im

Leben so zusteht und welche Rolle er dort so zu spielen hat und dass er sonst

überhaupt nicht zu spielen hat - ob das noch Wirkung zeige und funktioniere.

Und erstaunlich, erstaunlich, noch immer schaute unser Fisch mit großen,

aufmerksamen und hungrigen Augen zu Ihnen auf - oder inzwischen eher

herunter - und wartete noch immer auf deren Liebe für so viel und so lange

durchgehaltenen, unerschütterlichen Glauben, eines Tages würden sie ihm all

das geben, wofür er sich fast gang und gar aufgegeben hatte. Das Warten auf

den Weihnachtsmann war zu einem Lebensinhalt geworden...

Eines Tages schwamm eine Löwe-Fischfrau an diesem Käfig vorbei, der ihr

merkwürdig bekannt vorkam. Sie versuchte den Käfig in seiner ganzen

Tragweite wahrzunehmen, sah die Duplizitäten, erinnerte sich an eigenes Leid

und eine tiefe Zuneigung erfasste sie zu unserem Fisch. Sie sah den

wunderschönen und starken Fisch, nahm den Panzer wahr, das Unglück, aber

auch die Kraft, die Empfindsamkeit und die Intelligenz. Sie verliebte sich in

unseren Fisch und begann ihm zu erzählen, was sie sah und fühlte.

Nun hatte der Fisch bereits seine eigenen Erfahrungen mit

vorbeischwimmenden Fischfrauen und Fischfrauen überhaupt und so beäugte

er sie misstrauisch. Er hörte etwas von Nähe und Wärme, Spaß und

Lebensfreude, von Liebe und Zuneigung, voneinander und sich selbst

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ernstnehmen, von Achtung und gegenseitiger Unterstützung - und vieles davon

war ihm vertraut, waren es doch Bestandteile seiner Träume.

Dennoch verunsicherte ihn vieles an ihren Erzählungen, rüttelte an seinen

morschen Gitterstäben. Inzwischen musste er von innen die Käfigwände

bereits mit den Händen zusammenhalten und Reparaturen von innen

ausführen, damit nicht alles um ihn herum zusammenkrachte, so baufällig war

das Ganze. Somit waren seine Hände beschäftigt, und er beraubte sich der

Möglichkeiten, zu „handeln“.

Aber dennoch - es war sein Zuhause, sein einziges, was hatte er sonst, und er

duldete es nicht, dass da einfach jemand so daherkam und ihm - wie schon

früher das ein oder andere Lebewesen es versucht hatte -, seinen Käfig von

außen einfach auseinandernahm, ohne ihn zu fragen, ob er das überhaupt

wolle und ohne zu sehen, dass man ihm damit alles nimmt, und ohne das er

wüsste, was er je anderes schaffen könnte, sich zu holen - oder besser

einzutauschen.

So begann er sich verständlicherweise gegen ihre Rütteleien zu wehren und

gegen das von ihr entworfene Bild einer Freiheit. Sie schöpfte Mut aus sich und

dem Universum und was sie sonst noch so erzählte, und er schützte seine

„Überzeugungen“ so gut es ging dadurch, dass er einfach sagte: die spinnt!!

Die große, große Angst davor, seine vertraute Welt zu verlassen, begann er

dahinter zu verstecken, dass er Dinge sagte wie: Es ist zu spät, ich bin zu alt,

ich bin es nicht wert, sollen doch erst mal die anderen, denn wenn das so leicht

wäre, dann....., und gerade das Löwe-Fischlein solle mal ganz ruhig sein, jeder

Blinde sehe doch, wie tief sie im Dreck stecke, obwohl er selbst nicht daran

glaubte, dass etwas Gesagtes bloß dadurch schon falsch wird, weil es von

einem Theoretiker kommt, und so sagte die Löwe-Fischfrau zwischendurch

immer mal wieder laut „Papperlapapp“ und erzählte mutig weiter, obwohl sie

eigentlich manches Mal mehr fühlte als wusste und obwohl sie selbst oft genug

mit ihrer eigenen Angst ihre liebe(!) Not hatte.

Aber sie war ein aufmerksames Lebewesen und spürte ihre Grenzen und

begann zu schweigen. Nur manchmal konnte er in ihren Augen lesen und

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manchmal flüsterte sie in seinen Träumen und manchmal fühlte er es in ihren

Händen, was sie ihm so gern sagen wollte:

Noch, Du einmaliges, wunderschönes Geschöpf dieses Meeres, Du

Bereicherung unser aller Dasein, noch verfügst Du über Platz, Dich zu wenden,

um Deinem Leben und Dir und Deinen Träumen und Deinen Schätzen, Deinen

inneren Schätzen, allen Raum zu geben, den Du Dir wünschst, noch kannst Du

eine Entscheidung treffen - für Dich und für die warmen, sonnigen, behaglichen

Strömungen dieses wundervollen Meeres.

Aber wisse: Nur Du allein kennst den Weg aus Deinem Käfig und nur mit

Deiner eigenen Kraft und Deinem eigenen Mut und Deinem eigenen Willen

wird es Dir gelingen!

Die Löwe-Fischfrau liebte den Fisch und wünschte ihm von Herzen, dass er

jemanden finden und sich trauen möge, ihn an seine Gitterstäbe zu bitten,

damit er nicht so allein sei, wenn er tatsächlich das größte Abenteuer eines

Lebewesens wagen sollte, selbständig und in eigener Verantwortung zu

denken, zu fühlen und zu handeln.

Davor jedoch muss er den Panzer vorsichtig lüften, Kontakt aufnehmen zu

seiner Angst, muss sie fühlen und sie ernstnehmen und die Tränen

schmecken, sich die Sätze der Angst und der Befürchtungen aussprechen

hören, die Verlorenheit spüren, um Schritte zu wagen - und seien sie noch so

klein. Dein Käfig, möchte Dir die Löwe-Fischfrau so gern noch sagen, geht Dir

niemals verloren, er wird immer in Deiner Nähe sein, und Du kannst jederzeit

wieder in ihn zurück. Ich hab Dich lieb.

E N D E

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Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, kontaktieren Sie mich gern:

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