Fabel für ein Lebewesen mit dem Sternzeichen Fisch oder auch nicht
Ein Text zum näheren Verständnis für die Entstehung destruktiver Lebensmuster. Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum Erwachsenenalter. Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet bleiben, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun. Und warum es ihnen mitunter so schwerfällt, sich aus ihnen zu lösen. Mit dem gewählten Beispiel treten die Zusammenhänge deutlich hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig – welche Funktion. Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf Vollkommenheit. Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag leisten.
Ein Text zum näheren Verständnis für die Entstehung destruktiver Lebensmuster.
Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum Erwachsenenalter.
Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet bleiben, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun. Und warum es ihnen mitunter so schwerfällt, sich aus ihnen zu lösen.
Mit dem gewählten Beispiel treten die Zusammenhänge deutlich hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig – welche Funktion.
Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf Vollkommenheit.
Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag leisten.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fabel
oder so etwas Ähnliches
für ein Lebewesen
mit dem Sternzeichen Fisch
oder auch nicht
Angela Detmers©
Dieser Text ist ausschließlich für den privaten Gebrauch freigegeben.
Die Verwertung des Textes, auch auszugsweise oder für unterrichtszwecke, ist ohne
Zustimmung der Autorin in jeder Form urheberrechtswidrig und strafbar.
Bei Interesse einer Verwertung – reden wir einfach miteinander.
angela.detmers@slowlife-institut.de
2
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn Sie einen Einstieg in das Thema suchen
„Wie entstehen - destruktive – Lebensmuster?“,
dann ist das Folgende genau dafür geeignet.
In diesem Text habe ich mich sehr frei an der Erzählform einer Fabel orientiert.
Anhand der Figur eines kleinen Fischleins und dessen Eltern werden die
unterschiedlichen Phasen der Musterentstehung geschildert bis hin zum
Erwachsenenalter.
Es geht bei diesem Text nicht um Lösungen. Es geht darum, nachvollziehen zu
können, warum einige von uns im Erwachsenenalter in Verhaltensstrukturen verhaftet
zu sein scheinen, obwohl ihnen diese offensichtlich nicht guttun.
Ich hoffe, dass mit meinem gewählten Beispiel deutlich die Zusammenhänge
hervortreten: In welch frühem Alter Muster angelegt werden, wie schwierig sie
manchmal zu erkennen sind, welche Auswirkungen sie haben und auch – sehr wichtig
– welche Funktion.
Es geht mir bei dieser kleinen Geschichte um den großen Bogen, den
Zusammenhang, um das Verständnis, um Geduld, denn das Thema Muster ist
überaus vielschichtig, und ich erhebe mit meinem Text keinen Anspruch auf
Vollkommenheit.
Vor jeder Veränderung steht das Verstehen. Und dafür möchte ich einen Beitrag
leisten.
Angela Detmers
Lübeck, Februar 2019
3
Weine nicht.
Werde nicht ungehalten.
Verstehe.
Spinoza
4
Es war einmal ein Fisch. Es war kein Goldfisch. Auch kein Barracuda. Kein
Zierfisch, keine Moräne und kein Silberfischchen. Kein Hecht, kein Hai, kein
Lachs. Und auch keiner von den noch nicht entdeckten. Es war eine
einzigartige, wunderschöne Mischung aus allem, buchstäblich allem!
Ausgestattet mit allem erdenklich Schönem, Gutem und Nützlichem, mit Hellem
und Dunklem, mit Intelligenz und Kraft und Empfindsamkeit – und damit ein
rundum wertvolles und liebenswertes Geschöpf.
Dieser in seiner ganz ureigenen Vielfalt einzigartige Fisch schwamm jedoch in
einem Käfig herum, in den man ihn gesetzt hatte, als er noch ganz, ganz klein
war. Man hatte ihm erzählt, dass dies der Platz für so einen wie ihn sei, und
dass er dafür dankbar zu sein hatte, denn schließlich würden sie ihn auch
füttern, ihm sagen was falsch und richtig sei, was welchen Wert habe, wofür es
sich lohne, sich anzustrengen, wie viel Gemütlichkeit ihm in seinem Leben so
zustehe, was seine Aufgaben seien, in welcher Art und Weise er für sie klaglos
zu sorgen habe und sie machten ihm Hoffnung auf Zuneigung und Schutz und
Liebe, bei entsprechendem Wohlverhalten natürlich, und viele andere Dinge
mehr....... Dies sei schließlich nicht wenig, und er sähe ja wohl, wie sie sich
dafür abarbeiten müssten, und dass das Leben für sie ja weiß Gott auch nicht
das reinste Zuckerschlecken sei und da wäre immerwährende Dankbarkeit und
endloses Wohlverhalten zur Pflege ihrer kleinen und großen Egoismen ja wohl
wahrlich kein allzu großer Preis .......
Der kleine, muntere Fisch wollte natürlich um keinen Preis allein sein und
wollte auch nicht verhungern und wollte gern viel wissen und wollte auch ein
großer, starker Fisch werden und wusste auch selbst gar nicht, dass er hier nur
eine von vielen anderen Möglichkeiten, das Leben und sich selbst zu meistern,
hörte und so nickte er, und tat fortan alles, um sich die Gunst zu erhalten. Er
war bereit zu glauben!
Mit der Zeit jedoch musste er viel Kraft und Phantasie aufwenden, seine innere
Stimme, seine Gefühle zum Verstummen zu bringen, sie als falsch einzustufen
und anzuerkennen und viel zu oft merkte, spürte er seine eigene
Überforderung nicht. Denn mit der Zeit fühlte er natürlich, dass das Wasser um
ihn herum gar nicht schön warm, sondern kalt war, und dass er sich immer
häufiger an den Gitterstäben blutig stieß und diese Enge spürte, und Essen
5
war eigentlich gar nicht sooo wichtig, und er bibberte und schwamm näher an
die Käfigtür.
Aber er wurde schroff abgewehrt, ein ums andere Mal darauf hingewiesen,
man sei schließlich Fisch und keine Kuscheldecke und man hätte anderes zu
tun, und er solle sich mal nicht so anstellen, man müsse sich ja sonst seiner
schämen, und überhaupt ginge es ihnen bei solch einer Klagerei und Forderei
ganz ekelig schlecht, und daran sei nur er schuld, und überhaupt sähe man ja
wohl sofort, was für ein ganz und gar ungeratenes Exemplar ihnen da zuteil
geworden war, also das hätten doch nun wirklich schon alle mitbekommen,
denn was sie allein durch Nachbarn und Verwandte durch ihn haben aushalten
müssen, also nein, und er wolle doch wohl nicht, dass es seinen Wohltätern,
seinen einzigen - sie vergaßen nicht, darauf hinzuweisen -, schlecht ginge. Und
da sie nichts zu lachen fanden, wolle er sich doch wohl nicht rausnehmen,
dass es ihm bessergehen solle als ihnen, auch dafür trüge er die volle
Verantwortung, und wenn ein Fischkind nicht von alleine brav und hübsch(!)
verständig sei, dann wisse man durchaus Mittel und Wege...
Da zog sich der kleine Fisch in seinen Käfig zurück, ganz in die andere Ecke
und begann leise und manchmal auch ein wenig lauter zu murren und zu
blubbern, vielleicht erlaubte das kleine Fischlein sich auch hin und wieder
einmal über sein wirklich und tatsächlich vorhandenes Elend zu weinen, und
manchmal versuchte es auch den Käfig mehr oder weniger kaputtzumachen,
immer die Augen auf seine Versorger gerichtet, ob sie denn wohl sähen, was
er da machte, damit sie mal ordentlich Notiz von ihm nähmen.
Und für unser Fischlein begann das große Warten, wann und wie sie es ihm
wohl durch Zuneigung und Wärme und Liebe lohnen würden, all diese selbst
verleugnerischen Anstrengungen und Entbehrungen und diese Energie, die er
brauchte, um sich und seine Wahrnehmungen und all seine Bedürfnisse als
falsch niederzuknüppeln, und wenn er sich auf die leiseste Hoffnung hin wieder
einmal enttäuscht sah, verdoppelte er seine Anstrengungen, in der Annahme,
es läge sicher nur an ihm, wenn die Versorger-Fische nicht sehen würden, wie
doll er sich doch Mühe gab, und wenn er nur perfekt genug werden würde, und
nur stark genug und sich nur genug quälen würde, dann... Irgendwann in
dieser Zeit begann ein Panzer zu wachsen - und das große Warten auf den
Weihnachtsmann begann.
6
Und all die Jahre hindurch sah das Fischlein durch die Gitterstäbe die anderen
Fische schwimmen - in Freiheit und in Spaß und Freude und im Spiel und mit
Freunden und Familien, aber auch in absolut gefährlichen Gewässern, sah sie
sich die Flossen verletzen, sah den einen oder anderen zu Tode kommen in für
ihn unübersehbaren Strudeln, sah sie kämpfen, verlieren und weinen. Und sah
sie sich und andere betrügen.
Komischer(?)weise und ganz nebenbei begann er in geheimer Voraussicht,
sein Augenmerk immer mehr auf die zu richten, die nach seinem Dafürhalten
scheiterten oder auf das, was nicht funktionierte. Bis irgendwann das Nicht-
Funktionierende für ihn das Normale war. Das was gut war, sah er selten.
Das Glück anderer machte ihn manchmal traurig, dann versuchte er sich am
Leid anderer zu trösten, und manchmal konnte er es kaum ertragen, die
Sehnsucht, und er meinte, Glück nie erreichen zu können, und verspürte eine
Art Erleichterung, wenn er das Gute ignorierte, er wusste nichts davon, dass
die meisten viel dafür bereit waren zu opfern, zu tun, auszuhalten und vieles
mehr.
Aber immer wieder drang das Lachen anderer Fische in seinen Käfig,
zärtliches Geflüster, das freundliche Hallo und alles miteinander. Und das
schöne Blau und Grün des Meeres, und mit Schattierungen, wenn das Gold
der Sonne sich seinen Weg bahnte, dass einem der Atem stocken konnte vor
Schönheit, und in der Ferne Silhouetten fremder, verheißungsvoller,
verlockender, vielversprechender Berge, Täler und Landschaften in Farben,
Formen und in einer Vielfalt, dass es nur so eine leuchtende Pracht war.
Gelegentlich kam ein anderes Fischlein herbeigeschwommen und sagte
freundlich guten Tag. Mit einigen spielte er und erzählte sich was, sie kamen
eine Zeitlang wieder und eines Tages nicht mehr. Darüber war das Fischlein
traurig. Er begann Kunststückchen einzustudieren, probierte verschiedene aus,
und hatte schließlich einige gefunden, mit denen er den anderen Fischlein eine
Weile imponieren oder sie am Gehen hindern konnte.
Er musste sich ziemlich anstrengen, die anderen Fische zu erreichen, er
konnte ja nicht nahe an sie heran und die anderen natürlich nicht an ihn, er
7
nutzte den Käfig so gut er konnte und war so unglaublich damit beschäftigt,
dass er sich selbst und das, was ihn wirklich ausmachte und was er so
dringlich gebraucht hätte, gar nicht mehr fühlen konnte und auch schon zu
vergessen begann. Auf die Idee, es könne jemand freiwillig und mit Vergnügen
bei ihm bleiben wollen, während er so ganz ohne Anstrengung nur er selbst
sein könnte, darauf kam unser Fischlein nicht - war ja kein Wunder.
Unterdessen wuchs sein Panzer unmerklich weiter und das Warten auf den
Weihnachtsmann nahm immer größere Formen an.
Das Fischlein wurde langsam älter und größer. Er hatte seine Zweifel im Griff.
Wenn ein anderer Fisch fragte, sag mal, warum wohnst du in so einem
komischen Käfig? Dann fühlte er ganz erschrocken seinen Magen krampfen
oder das Atmen setzte unmerklich für den Bruchteil einer Sekunde aus, und er
hörte sich augenblicklich die Vorteile eines solch feinen „sicheren“ Käfigs
verteidigen, die Schönheit preisen, die Bequemlichkeit, und wenn die anderen
zweifelnd oder gar ungläubig schauten, dann fing er an, seine eigene Angst,
sie könnten am Ende recht haben, mit dem was sie sagten, mit diesen wahren
Ketzerdingen, von denen er das meiste noch nicht einmal zu denken wagte (so
sehr brauchte er das Nichtwissen als Schutz, denn das all seine jahrelange
Qual vergeblich gewesen sein sollte und all sein mühsam bewahrtes
Wohlverhalten, die Entbehrungen und Schmerzen, nein, nicht auszuhalten) da
fing er sofort und mit zornigem Nachdruck an, den anderen, aber eigentlich
mehr sich selbst zu sagen, sie wüssten ja gar nicht, was wirklich und
wahrhaftig gut sei, und was wirklich falsch sei, denn so wie sie da draußen
rumschwämmen, das sähe doch wohl noch jeder, sei es ja wohl nur Kacke, so
einfach nur so durcheinander und sowieso nur Streit und überhaupt alles
schlecht - aber die Argumente wurden schnell schwächer und leiser, doch das
merkte niemand, weil die anderen Fischlein so viel nun auch nicht wissen
wollten von diesem kleinen Fisch und Zeit hatten alle sowieso nicht.
Und ohne es zu ahnen, schützte der kleine Fisch auf diese Weise auch seine
Versorger-Fischeltern. So lebte das Fischlein einsam und mit stetig
wachsendem Panzer vor sich hin und wurde groß und größer.
Als junger Fisch hatte er noch mächtig viel Kraft und konnte es schaffen, dass
ein oder andere Mal samt Käfig so weit davonzukommen, wie er die Ketten nur
langziehen konnte. Aber das währte nicht lang, und bald sah er die
8
Sinnlosigkeit seines Tuns ein und begann, sich mit dem Zustand abzufinden
und sich in und mit seinem Käfig, so gut es ging, zu arrangieren.
Eines Tages war aus dem kleinen Fischlein ein ausgewachsener, schöner und
starker Fisch geworden. Er hatte viele innere und auch ein paar äußere
Verletzungen davongetragen, aber davon erzählte er so gut wie niemandem,
und er selbst hatte Wege gefunden, sie nicht allzu sehr zu spüren und zur Not
wusste er noch immer genügend Argumente, mit denen er den Sinn seiner
Verletzungen vor sich und den anderen hätte rechtfertigen können, damit die
Versorger-Fische auch weiterhin geschützt blieben und er nicht erst umdenken
musste.
Der Käfig war inzwischen längst zu klein geworden. Manchmal konnte er darin
kaum atmen, war fast bewegungsunfähig, was in Teilen seines Körpers immer
wieder zu Schmerzen und zu wahren Taubheitsgefühlen führte, er konnte sich
längst nicht mehr spontan drehen und wenden und auch für einen anderen
Fisch - wenn denn je einer mit in einen Käfig wollte - war längst kein Platz
mehr.
Und so schaute unser Fisch mit großen, traurigen Augen und voll ungestillter
Sehnsucht - ein wunderschöner und so liebenswerter Fisch - aus seinem
„Zuhause“ heraus, blind, taub und mit stillgelegten Gefühlen. Diese war er
besonders bemüht zu ignorieren, denn um Neptuns willen bloß nicht fühlen,
denn sonst - so hat er tiefste, nackte Angst - sonst verlöre er noch den
Verstand, wenn er all diese jahrelange lieblose Behandlung, diesen horrenden
Mangel an Liebe und Verständnis und BERÜHRUNG fühlen müsste, wofür er
mit seiner Jugend... , nein, wenn er glauben müsste, dass das, was er all die
Jahre als „richtig“ eingebläut und vorgekaut bekommen hatte, - wo doch nichts
durch noch so eine häufige Wiederholung „richtig“ wird -, unter Schmerzen und
nackter Selbstverleugnung gelernt hatte, nein, allein der Gedanke, all seine
Opfer sollten umsonst gewesen sein......., dieser gewaltige, Jahre währende
Kraftakt, für die er seine Intelligenz und seine Empfindsamkeit wieder und
wieder mit Flossen getreten hatte, dieser Kraftakt, den anderen mehr Glauben
zu schenken als sich selbst und seinen eigenen Wahrnehmungen, diese
Leugnung all seiner bewussten und oft so unbewussten (was für ein
gnadenvoller Selbstschutz ein ums andere Mal) Bedürfnisse, da befällt ihn eine
wilde Panik und er fürchtet, es nicht aushalten zu können.
9
Und dazu wie blind! Denn er nahm überhaupt nicht wahr, dass sein Käfig
längst völlig verrottet und kaputt war, nicht mal, dass bereits ganze Gitterstäbe
fehlten und schon gar nicht, dass das Schloss schon seit vielen, vielen Jahren
verrostet und völlig veraltet zu Boden gefallen war. So weigerte sich der Fisch
beharrlich und so voller Trotz, das Knarren der Türangeln, das leise Schlagen
der Tür im Rhythmus der Meeresströmung zu hören, blind und taub geworden
gegenüber der Tatsache, dass aus den lieblosen ehemaligen Bewacher-
Fischen schon vor langer Zeit alte, kranke, geschrumpfte, in sich selbst
gefangene Wesen geworden waren, die von Ihrem Mythos leben und auf
Kosten der Tatsache, dass Lebewesen Gewohnheitstiere sind. Sie haben
dabei längst den Käfig aus den Augen verloren, ab und zu probieren sie aus,
ob noch ein Wort, eine Geste, ein Blick, ein alter Trick ausreicht, den Fisch in
gewohnter Weise in Schach und unter Druck zu halten, zu prüfen, ob er das,
was sie ihm erzählt haben - besonders das über seinen Wert und was ihm im
Leben so zusteht und welche Rolle er dort so zu spielen hat und dass er sonst
überhaupt nicht zu spielen hat - ob das noch Wirkung zeige und funktioniere.
Und erstaunlich, erstaunlich, noch immer schaute unser Fisch mit großen,
aufmerksamen und hungrigen Augen zu Ihnen auf - oder inzwischen eher
herunter - und wartete noch immer auf deren Liebe für so viel und so lange
durchgehaltenen, unerschütterlichen Glauben, eines Tages würden sie ihm all
das geben, wofür er sich fast gang und gar aufgegeben hatte. Das Warten auf
den Weihnachtsmann war zu einem Lebensinhalt geworden...
Eines Tages schwamm eine Löwe-Fischfrau an diesem Käfig vorbei, der ihr
merkwürdig bekannt vorkam. Sie versuchte den Käfig in seiner ganzen
Tragweite wahrzunehmen, sah die Duplizitäten, erinnerte sich an eigenes Leid
und eine tiefe Zuneigung erfasste sie zu unserem Fisch. Sie sah den
wunderschönen und starken Fisch, nahm den Panzer wahr, das Unglück, aber
auch die Kraft, die Empfindsamkeit und die Intelligenz. Sie verliebte sich in
unseren Fisch und begann ihm zu erzählen, was sie sah und fühlte.
Nun hatte der Fisch bereits seine eigenen Erfahrungen mit
vorbeischwimmenden Fischfrauen und Fischfrauen überhaupt und so beäugte
er sie misstrauisch. Er hörte etwas von Nähe und Wärme, Spaß und
Lebensfreude, von Liebe und Zuneigung, voneinander und sich selbst
10
ernstnehmen, von Achtung und gegenseitiger Unterstützung - und vieles davon
war ihm vertraut, waren es doch Bestandteile seiner Träume.
Dennoch verunsicherte ihn vieles an ihren Erzählungen, rüttelte an seinen
morschen Gitterstäben. Inzwischen musste er von innen die Käfigwände
bereits mit den Händen zusammenhalten und Reparaturen von innen
ausführen, damit nicht alles um ihn herum zusammenkrachte, so baufällig war
das Ganze. Somit waren seine Hände beschäftigt, und er beraubte sich der
Möglichkeiten, zu „handeln“.
Aber dennoch - es war sein Zuhause, sein einziges, was hatte er sonst, und er
duldete es nicht, dass da einfach jemand so daherkam und ihm - wie schon
früher das ein oder andere Lebewesen es versucht hatte -, seinen Käfig von
außen einfach auseinandernahm, ohne ihn zu fragen, ob er das überhaupt
wolle und ohne zu sehen, dass man ihm damit alles nimmt, und ohne das er
wüsste, was er je anderes schaffen könnte, sich zu holen - oder besser
einzutauschen.
So begann er sich verständlicherweise gegen ihre Rütteleien zu wehren und
gegen das von ihr entworfene Bild einer Freiheit. Sie schöpfte Mut aus sich und
dem Universum und was sie sonst noch so erzählte, und er schützte seine
„Überzeugungen“ so gut es ging dadurch, dass er einfach sagte: die spinnt!!
Die große, große Angst davor, seine vertraute Welt zu verlassen, begann er
dahinter zu verstecken, dass er Dinge sagte wie: Es ist zu spät, ich bin zu alt,
ich bin es nicht wert, sollen doch erst mal die anderen, denn wenn das so leicht
wäre, dann....., und gerade das Löwe-Fischlein solle mal ganz ruhig sein, jeder
Blinde sehe doch, wie tief sie im Dreck stecke, obwohl er selbst nicht daran
glaubte, dass etwas Gesagtes bloß dadurch schon falsch wird, weil es von
einem Theoretiker kommt, und so sagte die Löwe-Fischfrau zwischendurch
immer mal wieder laut „Papperlapapp“ und erzählte mutig weiter, obwohl sie
eigentlich manches Mal mehr fühlte als wusste und obwohl sie selbst oft genug
mit ihrer eigenen Angst ihre liebe(!) Not hatte.
Aber sie war ein aufmerksames Lebewesen und spürte ihre Grenzen und
begann zu schweigen. Nur manchmal konnte er in ihren Augen lesen und
11
manchmal flüsterte sie in seinen Träumen und manchmal fühlte er es in ihren
Händen, was sie ihm so gern sagen wollte:
Noch, Du einmaliges, wunderschönes Geschöpf dieses Meeres, Du
Bereicherung unser aller Dasein, noch verfügst Du über Platz, Dich zu wenden,
um Deinem Leben und Dir und Deinen Träumen und Deinen Schätzen, Deinen
inneren Schätzen, allen Raum zu geben, den Du Dir wünschst, noch kannst Du
eine Entscheidung treffen - für Dich und für die warmen, sonnigen, behaglichen
Strömungen dieses wundervollen Meeres.
Aber wisse: Nur Du allein kennst den Weg aus Deinem Käfig und nur mit
Deiner eigenen Kraft und Deinem eigenen Mut und Deinem eigenen Willen
wird es Dir gelingen!
Die Löwe-Fischfrau liebte den Fisch und wünschte ihm von Herzen, dass er
jemanden finden und sich trauen möge, ihn an seine Gitterstäbe zu bitten,
damit er nicht so allein sei, wenn er tatsächlich das größte Abenteuer eines
Lebewesens wagen sollte, selbständig und in eigener Verantwortung zu
denken, zu fühlen und zu handeln.
Davor jedoch muss er den Panzer vorsichtig lüften, Kontakt aufnehmen zu
seiner Angst, muss sie fühlen und sie ernstnehmen und die Tränen
schmecken, sich die Sätze der Angst und der Befürchtungen aussprechen
hören, die Verlorenheit spüren, um Schritte zu wagen - und seien sie noch so
klein. Dein Käfig, möchte Dir die Löwe-Fischfrau so gern noch sagen, geht Dir
niemals verloren, er wird immer in Deiner Nähe sein, und Du kannst jederzeit
wieder in ihn zurück. Ich hab Dich lieb.
E N D E
12
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, kontaktieren Sie mich gern:
angela-detmers@slowlife-institut.de
Wenn Sie mehr über mich erfahren möchten:
www-slowlife-institut.de
Weitere Bücher von mir:
Die Beherrschung des Unaufgeregten
Angela Detmers
Ein Buch über
Souveränität und Stoizismus, über Gelassenheit und Selbstliebe
– ergänzt durch das Slow Life Prinzip
Gebunden, 2. Auflage
Picknick-Verlag, ISBN 9783981 7399-2-3
(auch als Ebook/Kindle)
In jeder Buchhandlung bestellbar
Oder über: www.slowlife-institut.de
Erneut der wichtige HINWEIS:
Die Nutzung dieses Textes – insbesondere für gewerbliche Zwecke -
ist NUR mit Zustimmung der Autorin erlaubt.
info@slowlife-institut.de
13