Die Restrukturierung des Arbeitsmarktes im Übergang zur ...

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- 348 - Abgabesätzen. [...] Zudem ist zu berücksichtigen, daß alle westlichen Volkswirtschaften eine in etwa gleichgerichtete Alterung der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Wenn nun in allen Ländern ähnliche Anlageentscheidungen getroffen werden, dann wird dies tendenziell auch zu einer Angleichung der Renditen bei Auslandsanlagen“ führen (SCHMÄHL 1996: 414f). Und zu guter Letzt haben ja gerade die fulminanten Kurseinbrüche am „Neuen Markt“ erneut eindrucksvoll gezeigt, mit welchen Unsicherheiten eine kapitalgedeckte Altersvorsorge behaften sein kann – ganz zu schweigen von der äußerst problematischen Markttransparenz, die es dem „normalen“ Anleger nicht erleichtern wird, eine für ihn geeignete Anlageart zu bestimmen, die seinen Präferenzen beim Übergang in den Ruhestand in vielleicht zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren entspricht. Neben der Rentenversicherung wird auch auf die gesetzliche Krankenversicherung sowie auf die erst vor wenigen Jahren eingeführte Pflegeversicherung ein erheblicher Deregulierungsdruck ausgeübt. Abgesehen davon, dass in der Debatte nach wie vor mit höchst umstrittenen Argumenten operiert wird125 , wird jenseits der geführten und ohne Zweifel notwendigen Kostendiskussion der nachfragesteigernde Effekt von Kranken- und Pflegeversicherung nicht wahrgenommen. Sozi- alausgaben insbesondere in personalintensiven Bereichen steht immer gleichzeitig auch auf der Arbeitsangebotsseite ein entsprechend hohes Lohneinkommen gegenüber. Gerade weil aber für diese personenbezogenen Dienste (im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen) das Argument der „Kostenkrankheit“ aufgrund einge- schränkter Rationalisierungsmöglichkeiten besteht, wäre ein privatisiertes System bspw. der Krankenversicherungen mit vom jeweils individuellen Risiko abhängenden Beitragssätzen nicht nur ethisch bedenklich und sozial ungerecht, sondern auch nachfragehemmend. Denn nur die als angeblich ineffizient geltende „Umverteilung“ mit unabhängig vom individuell bestehenden Risiko erhobenen Beiträgen innerhalb des jetzigen sozialen Sicherungssystems stattet die Individuen mit dem höchsten Bedarf auch mit einer entsprechenden Nachfragekraft nach personalintensiven Dienstleistungen aus. Sicher würde dabei den momentanen Nettozahlern wie bisher Kaufkraft entzogen, jedoch wäre dies aus binnenwirtschaftlicher Sicht schlechtesten Falls ein Nullsummenspiel. Und die steigende 125 So behauptet bspw. BERTHOLD (2001b), die Ausgaben im Gesundheitswesen seien „explodiert“ obwohl seit Jahren dafür keine empirischen Belege gefunden werden können (vgl. bspw. jüngst MEINHARDT/SCHULZ 2003).

- 349 - Nachfrage nach Arbeitskräften aufgrund eines gut ausgebauten sozialen Sicherungssystems wäre wegen der dadurch generell verbesserten Mobilitätschancen allein schon ein Garant für einen auch in Zukunft beweglichen Arbeitsmarkt. Außerdem wird gerade in Bezug auf die Pflegeversicherung deutlich, dass die Finanzierung von qualitativ hochwertigen und kontrollierten Pflege- und Betreuungsdienstleistungen nicht nur qualitativ hochwertige Arbeitsplätze schafft, sondern gleichzeitig auch institutionelle Voraussetzung für die ausgeweitete und dauerhafte Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen ist, und damit nicht nur die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern fördert, sondern auch die effiziente Nutzung von Humankapitalressourcen verbessert (BOSCH/WAGNER 2002). Neben diesen Einzelargumenten ist bei der Beurteilung, welcher Einfluss von der Organisation und finanziellen Ausstattung des sozialen Sicherungssystems auf Arbeitsmarktmobilität ausgeübt wird, ganz generell zu bedenken, dass Menschen vor allem in wirtschaftlichen Aufschwungphasen mobil sind, d. h., wenn ihre Risiken relativ klein und überschaubar sind bzw. erscheinen. Nur zuversichtliche Menschen mit Perspektiven sind mobil; wer Angst hat, verfällt hingegen in eine Starre – nicht umgekehrt. „Angst [...], d. h. überwältigende Unsicherheit, macht aggressiv und paralysiert. So können wir unsere vielfältigen, häufig individuell zu gestaltenden Aufgaben im modernen Alltag nur bewältigen, wenn wir uns darauf verlassen können, daß die Geräte und Systeme sicher sind, mit denen wir umgehen und in denen wir uns bewegen“ (ZAPF et al. 1987: 139). Verunsicherte Menschen werden sich nur soweit wie eben nötig bewegen, weshalb sich ein „Kernsozialstaat“, der sie allenthalben auf ihre „Eigenverantwortung“ verweist, als mobilitätshemmend herausstellen wird. Dies würde zumindest solange gelten, wie es um ein Beschäftigungssystem geht, das – wie Deutschland – auf eine hoch produktive und wissensbasierte Güter- und Dienstleistungsproduktion mit starken berufsfachlichen Arbeitsmärkten ausgerichtet ist, in dem die betriebsinterne Kooperation und das gegenseitige Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer wichtiger für den Unternehmenserfolg wird. 5.4 Schlussbemerkung Unbestreitbar haben wir zum Jahrtausendwechsel in Deutschland so hohe Arbeitslosenzahlen wie nie zuvor seit Ende des 2. Weltkrieges. Neben dem fälschlichen Glauben an die Etablierung eines „entstrukturierten Turbo-Arbeitsmarktes

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Abgabesätzen. [...] Zudem ist zu berücksichtigen, daß alle westlichen Volkswirtschaften<br />

eine in etwa gleichgerichtete Alterung der Bevölkerung zu verzeichnen<br />

haben. Wenn nun in allen Ländern ähnliche Anlageentscheidungen getroffen<br />

werden, dann wird dies tendenziell auch zu einer Angleichung der Renditen bei<br />

Auslandsanlagen“ führen (SCHMÄHL 1996: 414f). Und zu guter Letzt haben ja<br />

gerade die fulminanten Kurseinbrüche am „Neuen Markt“ erneut eindrucksvoll<br />

gezeigt, mit welchen Unsicherheiten eine kapitalgedeckte Altersvorsorge behaften<br />

sein kann – ganz zu schweigen von der äußerst problematischen Markttransparenz,<br />

die es dem „normalen“ Anleger nicht erleichtern wird, eine für ihn geeignete<br />

Anlageart zu best<strong>im</strong>men, die seinen Präferenzen be<strong>im</strong> <strong>Übergang</strong> in den Ruhestand<br />

in vielleicht zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren entspricht.<br />

Neben der Rentenversicherung wird auch auf die gesetzliche Krankenversicherung<br />

sowie auf die erst vor wenigen Jahren eingeführte Pflegeversicherung ein<br />

erheblicher Deregulierungsdruck ausgeübt. Abgesehen davon, dass in der Debatte<br />

nach wie vor mit höchst umstrittenen Argumenten operiert wird125 , wird jenseits<br />

der geführten und ohne Zweifel notwendigen Kostendiskussion der nachfragesteigernde<br />

Effekt von Kranken- und Pflegeversicherung nicht wahrgenommen. Sozi-<br />

alausgaben insbesondere in personalintensiven Bereichen steht <strong>im</strong>mer gleichzeitig<br />

auch auf der Arbeitsangebotsseite ein entsprechend hohes Lohneinkommen gegenüber.<br />

Gerade weil aber für diese personenbezogenen <strong>Die</strong>nste (<strong>im</strong> Gegensatz zu<br />

anderen <strong>Die</strong>nstleistungen) das Argument der „Kostenkrankheit“ aufgrund einge-<br />

schränkter Rationalisierungsmöglichkeiten besteht, wäre ein privatisiertes System<br />

bspw. der Krankenversicherungen mit vom jeweils individuellen Risiko abhängenden<br />

Beitragssätzen nicht nur ethisch bedenklich und sozial ungerecht, sondern<br />

auch nachfragehemmend. Denn nur die als angeblich ineffizient geltende „Umverteilung“<br />

mit unabhängig vom individuell bestehenden Risiko erhobenen Beiträgen<br />

innerhalb <strong>des</strong> jetzigen sozialen Sicherungssystems stattet die Individuen<br />

mit dem höchsten Bedarf auch mit einer entsprechenden Nachfragekraft nach<br />

personalintensiven <strong>Die</strong>nstleistungen aus. Sicher würde dabei den momentanen<br />

Nettozahlern wie bisher Kaufkraft entzogen, jedoch wäre dies aus binnenwirtschaftlicher<br />

Sicht schlechtesten Falls ein Nullsummenspiel. Und die steigende<br />

125 So behauptet bspw. BERTHOLD (2001b), die Ausgaben <strong>im</strong> Gesundheitswesen seien „explodiert“<br />

obwohl seit Jahren dafür keine empirischen Belege gefunden werden können (vgl. bspw.<br />

jüngst MEINHARDT/SCHULZ 2003).

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