Die Restrukturierung des Arbeitsmarktes im Übergang zur ...

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- 324 - vor allem „sklerotisiert“ wird die Komplexität von Arbeitsmarktprozessen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Konzentriert man sich zunächst auf die Thesen hinsichtlich eines „entstrukturierten Turbo-Arbeitsmarktes“ weisen diese reflexiv-modernen Arbeitsmarktprognosen neben ihrer weitgehenden Empiriefreiheit zusätzlich auch ein großes theoretisches Defizit auf. Was nahezu vollständig fehlt sind explizite Annahmen über die Wirkungsweise sozialer, ökonomischer oder aber technischer Veränderungen, d. h. wie veränderte Rahmenbedingungen genau auf das Handeln einzelner Arbeitsmarktakteure wirken und dadurch bestimmte gesamtgesellschaftliche Effekte verursachen. Empiriefreiheit und Theorieschwäche sind dabei symbiotisch miteinander verbunden: Da keine Empirie existiert, die Zweifel an aufgestellten Hypothesen aufkommen lassen könnte, wird auch das theoretische Defizit nicht als störend empfunden; gleichzeitig verhindern fehlende theoretische Überlegungen, dass mangelnde logische Plausibilitäten innerhalb der eigenen Hypothesen bemerkt werden können (müssen). Letztlich fehlt es insgesamt an einer sozialwissenschaftlichen Handlungstheorie des Ar- beitsmarktes, die • die Einbettung der Akteure in Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Ebenen berücksichtigt, • die Interdependenzen der Flexibilität bzw. der Flexibilitätsmöglichkeiten der Arbeitsanbieter und Arbeitsnachfrager anerkennt, • die haushalts- bzw. betriebsinterne Pfadabhängigkeit von Produktions- und Allokationsentscheidungen unterschiedlicher Ebenen einbezieht, • den Arbeitsmarkt wirklich als „Markt“ begreift, auf dem ein „Kompromiss“ zwischen zwei Kontraktpartnern mit unterschiedlicher und sich im Zeitverlauf wandelnder Marktmacht auszuhandeln ist. Kapitel 1 hat erste Ansätze einer solchen interdisziplinären Arbeitsmarkttheorie entwickelt. Eine solche Theorie muss erstens daran interessiert sein, Monokausalitäten liberaler ökonomischer Ansätze mit ihrer übertriebenen Fixierung auf die Lohnkosten oder aber den Kündigungsschutz zurückzuweisen. Zweitens sollten mögliche Verbindungen zwischen einzelnen Teiltheorien, wie etwa „Humankapitaltheorie“, „Effizienzlohntheorie“ oder auch „Segmentationstheorie“ hergestellt werden, um ein besseres Verständnis des Arbeitsmarktgeschehens insgesamt zu erreichen. Denn theoretisch liegt m. E. momentan die Herausforderung weniger in der Schaffung neuer Theorien als vielmehr in dem interdisziplinären Bemühen, die arbeitsmarkttheoretisch relevanten Forschungsarbeiten der zurückliegenden

- 325 - Jahrzehnte sinnvoll zu verknüpfen. Gerade die in Kapitel 1 geleistete Auseinandersetzung mit dem „Flexibilitäts-Begriff“ (Abschnitt 1.5) sollte gezeigt haben, wie wichtig es ist, die Bedeutung individuell handelnder Arbeitsmarktakteure zu berücksichtigen, gleichzeitig jedoch die Beschränkung des individuellen Handelns einerseits durch die Interaktion mit anderen Akteuren und andererseits durch die Einbettung in übergeordnete zeitveränderliche Rahmenbedingungen zu erkennen. So gelingt es bspw., den Untersuchungsgegenstand „Beschäftigungsstabilität“ als ein multidimensionales Phänomen zu begreifen und zu erklären. Das Fehlen einer handlungszentrierten sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarkttheorie macht sich nicht nur innerhalb der im engeren Sinne als „soziologisch“ zu verstehenden Debatte um den „entstrukturierten Turbo-Arbeitsmarkt“ bemerkbar. Eine fehlende interdisziplinäre Theorie führt außerdem dazu, dass den neoklassisch ausgerichteten Ökonomen relativ kampflos das Feld der Arbeitsmarkt-Mikrotheorie über- lassen wird. Wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die prominente Beschleuni- gungs- sowie Entstrukturierungs-These empirisch zu überprüfen. Im Zusammenhang mit der weitgehenden Zurückweisung dieser Hypothesen wurde dabei deutlich, dass noch eine Reihe offener theoretischer wie empirischer Forschungsfragen in Zukunft zu klären sein werden, bis ein besseres Verständnis für das komplexe Arbeitsmarktgeschehen erreicht sein wird. Eine Erklärung des sich abzeichnenden Restrukturierungsprozesses kann daher bislang auch nur in ersten Ansätzen erfol- gen. Dabei scheint wesentlich, dass man die gleichzeitig auftretenden quantitativen ebenso wie die qualitativen Veränderungen sowohl des Arbeitsangebots als auch der Arbeitsnachfrage gemeinsam heranzieht, um den im Zuge des Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft vollzogenen Wandel begreifen zu können. Im Laufe der vorausgegangenen Kapitel sind immer wieder Erklärungsansätze für die beobachteten Phänomene entwickelt worden, die hier nochmals kompakt aus Sicht einer veränderten Arbeitsnachfrage und eines veränderten Arbeitsangebots zusammengefasst werden sollen: Veränderte Arbeitsnachfrage Die Segmentationstheorie verweist darauf, dass ein Betrieb für unterschiedliche Belegschaftsteile auch unterschiedliche Flexibilisierungsstrategien anwenden kann. In Bereichen, wo eher „Jedermannsarbeitsplätze“ angesiedelt sind, wird

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vor allem „sklerotisiert“ wird die Komplexität von Arbeitsmarktprozessen nicht in<br />

ausreichendem Maße berücksichtigt. Konzentriert man sich zunächst auf die<br />

Thesen hinsichtlich eines „entstrukturierten Turbo-<strong>Arbeitsmarktes</strong>“ weisen diese<br />

reflexiv-modernen Arbeitsmarktprognosen neben ihrer weitgehenden Empiriefreiheit<br />

zusätzlich auch ein großes theoretisches Defizit auf. Was nahezu vollständig<br />

fehlt sind explizite Annahmen über die Wirkungsweise sozialer, ökonomischer<br />

oder aber technischer Veränderungen, d. h. wie veränderte Rahmenbedingungen<br />

genau auf das Handeln einzelner Arbeitsmarktakteure wirken und dadurch best<strong>im</strong>mte<br />

gesamtgesellschaftliche Effekte verursachen. Empiriefreiheit und Theorieschwäche<br />

sind dabei symbiotisch miteinander verbunden: Da keine Empirie<br />

existiert, die Zweifel an aufgestellten Hypothesen aufkommen lassen könnte, wird<br />

auch das theoretische Defizit nicht als störend empfunden; gleichzeitig verhindern<br />

fehlende theoretische Überlegungen, dass mangelnde logische Plausibilitäten<br />

innerhalb der eigenen Hypothesen bemerkt werden können (müssen). Letztlich<br />

fehlt es insgesamt an einer sozialwissenschaftlichen Handlungstheorie <strong>des</strong> Ar-<br />

beitsmarktes, die<br />

• die Einbettung der Akteure in Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen<br />

Ebenen berücksichtigt,<br />

• die Interdependenzen der Flexibilität bzw. der Flexibilitätsmöglichkeiten der<br />

Arbeitsanbieter und Arbeitsnachfrager anerkennt,<br />

• die haushalts- bzw. betriebsinterne Pfadabhängigkeit von Produktions- und<br />

Allokationsentscheidungen unterschiedlicher Ebenen einbezieht,<br />

• den Arbeitsmarkt wirklich als „Markt“ begreift, auf dem ein „Kompromiss“<br />

zwischen zwei Kontraktpartnern mit unterschiedlicher und sich <strong>im</strong> Zeitverlauf<br />

wandelnder Marktmacht auszuhandeln ist.<br />

Kapitel 1 hat erste Ansätze einer solchen interdisziplinären Arbeitsmarkttheorie<br />

entwickelt. Eine solche Theorie muss erstens daran interessiert sein, Monokausalitäten<br />

liberaler ökonomischer Ansätze mit ihrer übertriebenen Fixierung auf die<br />

Lohnkosten oder aber den Kündigungsschutz <strong>zur</strong>ückzuweisen. Zweitens sollten<br />

mögliche Verbindungen zwischen einzelnen Teiltheorien, wie etwa „Humankapitaltheorie“,<br />

„Effizienzlohntheorie“ oder auch „Segmentationstheorie“ hergestellt<br />

werden, um ein besseres Verständnis <strong>des</strong> Arbeitsmarktgeschehens insgesamt zu<br />

erreichen. Denn theoretisch liegt m. E. momentan die Herausforderung weniger in<br />

der Schaffung neuer Theorien als vielmehr in dem interdisziplinären Bemühen,<br />

die arbeitsmarkttheoretisch relevanten Forschungsarbeiten der <strong>zur</strong>ückliegenden

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