Die Restrukturierung des Arbeitsmarktes im Übergang zur ...

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- 128 - ben, der unterschiedliche Marktmacht auszugleichen und dabei gleichzeitig verlässliche Orientierungshilfen für die Akteure bereitzustellen versucht: „The German model of capitalism has been widely regarded as a succesful synthesis between a high level of international competitivness, a comparable high level of wages and welfare and a relativly low level of social inequality“ (HASSEL/SCHULTEN 1998: 487). Wesentlicher Bestandteil dieser ‚regulierten Flexibilität‘ ist das System der industriellen Beziehungen in Deutschland. Demnach obliegt es den jeweiligen Interessenverbänden der Arbeitsmarktakteure (i. d. R. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) auf Basis der grundgesetzlich garantierten „Koalitionsfreiheit“ für beide Seiten verbildlich geltende, i. d. R. branchenspezifische, kollektive Tarifverträge („Flächentarifverträge“) auszuhandeln. Abgeleitet aus der Koalitionsfreiheit existiert darüber hinaus eine zwar nicht durch den Gesetzgeber selbst, wohl aber durch die faktische Rechtsprechung („Richterrecht“) herausgebildete Regulierung von Tarifauseinandersetzungen (AVENARIUS 1995: 207), die unverzichtbarer Bestandteil der Tarifautonomie ist und den primär auf Kooperation als auf Konfrontation ausgerichteten Charakter der Arbeitnehmer-Arbeitgeber- Beziehungen in Deutschland unterstreichen: „Grundlegend für die Tarifautonomie ist der ‚Paritätsgedanke‘, das heißt die Idee, daß die sog. Tarifvertragsparteien [...] als formal gleiche Kontrahenten in einer staatsfreien Sozialsphäre autonom ihre Konflikte regeln [...]“ (MÜLLER-JENTSCH 1993: 496). 35 Die zwischen Arbeitge- bern und Gewerkschaften ausgehandelten Tarifvereinbarungen gelten als verbindliche Mindeststandards, die zwar nicht unterschritten wohl aber nach § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz auf Basis individueller Arbeitsverträge oder Betriebsvereinba- rungen zu Gunsten des Arbeitnehmers verbessert werden können („Günstigkeitsprinzip“; vgl. dazu DÜTZ 1999: 231ff). 36 Darüber hinaus garantiert vor allem das Betriebsverfassungsgesetz (BVerfG) die (über)betrieblichen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer bspw. durch die Definition von Rechten und Pflichten 35 Zur historischen Entwicklung des Tarifautonomie-Prinzips in Deutschland vgl. KLÖNNE (1993). 36 Die ausgehandelten Tarifverträge gelten nur für solche Unternehmen, die auch Mitglied im Arbeitgeberverband sind. Daher existieren neben den Flächentarifverträgen Firmen- bzw. Haustarifverträge, die die Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmervertreter mit den jeweiligen nicht-organisierten Unternehmen direkt aushandeln.

- 129 - von Betriebsräten (ausführlich dazu bspw. LAMPERT 1994: Kapitel VIII; NEUMANN/SCHAPER 1998: 82ff). Neben den industriellen Beziehungen ist das System der sozialen Sicherung elementarer Bestandteil des deutschen Gesellschaftsregimes. Die Kernbereiche Kranken-, Arbeitslosen-, Renten-, Unfall- und (seit 1994) Pflegeversicherung sind selbstverwaltet und parafiskalisch organisiert. Die in der vorliegenden Arbeit interessierenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind gerade durch den Umstand der Pflichtversicherung in diesen Bereichen definiert. Wesentlicher Bestandteil ist dabei die paritätische Beitragszahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber37 sowie das Solidarprinzip, wonach eine Beitragsdifferenzierung nicht anhand ungleicher Risiken, sondern entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vor allem gemessen an der Einkommenshöhe) erfolgt. 38 Darüber hinaus existieren mit der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe steuerfinanzierte Sicherungs- systeme, die nicht nach dem Versicherungs- sondern nach dem (subsidiären) Fürsorgeprinzip organisiert sind (ausführlich dazu LAMPERT 1994: Kapitel IX; NEUMANN/SCHAPER 1998: 141ff). 2.2.2 Bildungssystem Neben den industriellen Beziehungen und dem sozialen Sicherungssystem ist die Organisation des Bildungssystems ein zentrales Element der sozialen Ordnung. Bildung, verstanden als die Erweiterung von Kenntnissen und Fähigkeiten, ist zwar prinzipiell ein lebenslanger Prozess, gleichwohl jedoch insbesondere in spezifischen biographischen Abschnitten stark durch das institutionalisierte Bildungssystem (mit)bestimmt. Das institutionalisierte Bildungssystem beginnt mit der vorschulischen Kinderbetreuung, auf die die schulische Bildung, die berufliche Bildung und eventuell die Weiterbildung in späteren Lebensphasen aufbauen. In Deutschland ist die Gültigkeit der allgemeinen Schulpflicht das Fundament der schulischen Bildung. Sie stellt sicher, dass alle Kinder ab dem sechsten Lebensjahr zunächst die i. d. R. vierjährige Grundschule und anschließend eine weiter- 37 Gleichwohl kann man in den vergangenen Jahren eine Tendenz zur Aufweichung der paritätischen Beitragsaufbringung zu Ungunsten der Arbeitnehmer beobachten, so bspw. durch die Kompensation der Arbeitgeber im Rahmen der Einführung der Pflegeversicherung durch den Wegfall eines gesetzlichen Feiertages oder aber die Stärkung der privaten Eigenvorsorge im Zuge der Rentenreform („Riester-Rente“); vgl. dazu auch Abschnitt 5.3.3. 38 Ausnahme ist die gesetzliche Unfallversicherung mit alleiniger Beitragspflicht der Arbeitgeber sowie einer risikogerechten Beitragszahlung („Gefahrentarif“).

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ben, der unterschiedliche Marktmacht auszugleichen und dabei gleichzeitig verlässliche<br />

Orientierungshilfen für die Akteure bereitzustellen versucht: „The German<br />

model of capitalism has been widely regarded as a succesful synthesis between<br />

a high level of international competitivness, a comparable high level of<br />

wages and welfare and a relativly low level of social inequality“<br />

(HASSEL/SCHULTEN 1998: 487).<br />

Wesentlicher Bestandteil dieser ‚regulierten Flexibilität‘ ist das System der industriellen<br />

Beziehungen in Deutschland. Demnach obliegt es den jeweiligen<br />

Interessenverbänden der Arbeitsmarktakteure (i. d. R. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände)<br />

auf Basis der grundgesetzlich garantierten „Koalitionsfreiheit“<br />

für beide Seiten verbildlich geltende, i. d. R. branchenspezifische, kollektive<br />

Tarifverträge („Flächentarifverträge“) auszuhandeln. Abgeleitet aus der Koalitionsfreiheit<br />

existiert darüber hinaus eine zwar nicht durch den Gesetzgeber selbst,<br />

wohl aber durch die faktische Rechtsprechung („Richterrecht“) herausgebildete<br />

Regulierung von Tarifauseinandersetzungen (AVENARIUS 1995: 207), die unverzichtbarer<br />

Bestandteil der Tarifautonomie ist und den pr<strong>im</strong>är auf Kooperation als<br />

auf Konfrontation ausgerichteten Charakter der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-<br />

Beziehungen in Deutschland unterstreichen: „Grundlegend für die Tarifautonomie<br />

ist der ‚Paritätsgedanke‘, das heißt die Idee, daß die sog. Tarifvertragsparteien [...]<br />

als formal gleiche Kontrahenten in einer staatsfreien Sozialsphäre autonom ihre<br />

Konflikte regeln [...]“ (MÜLLER-JENTSCH 1993: 496). 35 <strong>Die</strong> zwischen Arbeitge-<br />

bern und Gewerkschaften ausgehandelten Tarifvereinbarungen gelten als verbindliche<br />

Min<strong>des</strong>tstandards, die zwar nicht unterschritten wohl aber nach § 4 Abs. 3<br />

Tarifvertragsgesetz auf Basis individueller Arbeitsverträge oder Betriebsvereinba-<br />

rungen zu Gunsten <strong>des</strong> Arbeitnehmers verbessert werden können („Günstigkeitsprinzip“;<br />

vgl. dazu DÜTZ 1999: 231ff). 36 Darüber hinaus garantiert vor allem das<br />

Betriebsverfassungsgesetz (BVerfG) die (über)betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte<br />

der Arbeitnehmer bspw. durch die Definition von Rechten und Pflichten<br />

35 Zur historischen Entwicklung <strong>des</strong> Tarifautonomie-Prinzips in Deutschland vgl. KLÖNNE<br />

(1993).<br />

36 <strong>Die</strong> ausgehandelten Tarifverträge gelten nur für solche Unternehmen, die auch Mitglied <strong>im</strong><br />

Arbeitgeberverband sind. Daher existieren neben den Flächentarifverträgen Firmen- bzw.<br />

Haustarifverträge, die die Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmervertreter mit den jeweiligen<br />

nicht-organisierten Unternehmen direkt aushandeln.

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