MOIN_01_2021_ePaper
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DURCH OSTFRIESLAND
BIS HARLE
Bis man zu den schönen Stelzenhäusern in Carolinensiel kommt, fährt der Wangerooge-Besucher
durch das wunderschöne Ostfriesland, das Land der Teetrinker. Aber das Lieblingsgetränk wird im
friesischen Jever gebraut, in grüne Flaschen abgefüllt und auf die kleine Insel »nebenan« gebracht …
jever und die Ostfriesen. Das passt.
Aber ein anderes Getränk gibt auch
im Jahr 2021 den guten Ton an. In
Ostfriesland wird aus dem Teetrinken
ein Kult gemacht – und dabei ein Rekord
aufgestellt. Im Land der Teetrinker sieht es
aus wie in den angrenzenden Niederlanden:
Kanäle durchziehen die flache Gegend, an
markanten Stellen ragt eine Windmühle
oder eine Klappbrücke empor und hier und
da ein Warfendorf zwischen Meer, Marsch
und Moor. Der Wind bläst meist aus Richtung
Westen, weshalb sich die Bäume gen
Osten krümmen. Sie werden »Windlooper«
genannt, als liefen sie mit dem Wind davon.
Viele kannten die Region vor allem wegen
der Witze, die man darüber machte,
etwa: Was ist Ostfriesischer Dreikampf? –
Lesen, Rechnen, Teebeutel-Weitwurf. Oder:
Wie sieht ein Ehekrach auf Ostfriesisch aus?
»Willst noch ’nen Tee?« – »Nee!«. Schon
Heinrich Heine spottete, als er auf der Ostfriesischen
Insel Norderney weilte, über
die Einheimischen, die in kleinen Hütten
»wohlverwahrt in wollenen Jacken herumkauern,
und einen Tee trinken, der sich von
gekochtem Seewasser nur durch den Namen
unterscheidet«.
OSTFRIESENTEE ALS KULTURERBE
Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Gerade
Ostfriesentee wird sehr wertgeschätzt
und gilt als qualitätsvoll. Unlängst wurde die
ostfriesische Teekultur in das Verzeichnis
des Immateriellen Kulturerbes der Unesco
aufgenommen, wo bereits beispielsweise das
Skatspielen, Sächsische Knabenchöre und
das Kneippen zu finden sind. Die »Teetied«
(Teezeit) gibt Struktur und beschert Momente
der Muße. Bei manchen Ostfriesen findet
sie täglich sechsmal statt, unter anderem als
Pause »Elführtje« am späten Vormittag und
als Nachmittagstee um 15 Uhr, gemäß dem
Motto »Ostfriesische Gemütlichkeit hält
stets ein Tässchen Tee bereit.« Dazu muss
man wissen, dass sich ein echter Ostfriese
bei jeder dieser Teezeiten drei Tässchen
gönnt, denn das ist sein gutes Recht, »Dree
Koppkes Tee is Oostfreesenrecht«.
Viele urige Teestuben verführen Touristen,
an diesem Ritus teilzunehmen und
mehrmals täglich die Teezeit zu feiern. Tee
wird oft auf dem Stövchen serviert. Nach
dem Ostfriesischen Teezeit-Knigge sollte die
Zeremonie eröffnet werden, indem man ein
Stück Kandis (»Kluntje«) mit Hilfe einer silbernen
Kluntjezange in die Tasse gibt.
TEE MIT WÖLKCHEN
Dann wird der heiße Tee über den Zuckerklumpen
gegossen, bis der Kandis knisternd
zerbricht, um schließlich Sahne sanft auf
dem Teespiegel abzulegen, die sich wie ein
Wölkchen (»Wulkje«) ausbreiten soll. Umrühren
ist verpönt und wenig sinnvoll, will
man Schluck für Schluck den Ostfriesischen
Dreiklang erleben: vom oberen mild-sahnigen,
über einen aromatisch-herben bis zu einem
stark süßen Tee am Tassengrund.
Die MOIN sah sich beim Trip von Wangerooge
nach Norderney in Greetsiel um, einer
der schönsten Orte der Region und der
gesamten Nordseeküste Deutschlands. Zwei
Windmühlen, von Kastanienbäumen gesäumte
Kanäle, kopfsteingepflasterte Gassen,
Giebelhäuser dicht an dicht um einen
malerischen Hafen und bunte Krabbenkutter
– da strömen und staunen die Besucher.
Westlich am Deich steht der Pilsumer
Leuchtturm. Das gelbrot geringelte tonnenförmige
Seezeichen diente als Kulisse in
Otto Waalkes Film »Otto – Der Außerfriesische«.
TEXT: MANFRED OSENBERG
FOTO: BURKHARD RÜDIGER